Friedrich Kittler: Optische Medien. Berliner Vorlesung 1999, Berlin

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Friedrich Kittler: Optische Medien. Berliner Vorlesung 1999, Berlin: Merve
Verlag 2002, 331 S., ISBN 3-88396-183-3, EUR 16,70.
Rezensiert von:
Ralf Adelmann
Fakultät für Kulturwissenschaft, Universität Paderborn
Der Band geht zurück auf eine gleichnamige Vorlesung, die
Friedrich Kittler in Berlin gehalten hat. Möglicherweise ist
die Vorlesung aufgezeichnet und transkribiert worden. Oder
es ist das Vorlesungsmanuskript, entstanden "unterm
Diktat eines Textverarbeitungsprogramms namens WORD
5.0" (322), das mit einigen Korrekturen in das Medium des
Buches überführt worden ist. Die Struktur einer Vorlesung
jedenfalls ist, sichtbar zum Beispiel im Inhaltverzeichnis,
erhalten geblieben. Unverändert geblieben sind auch
Kittlers einleitende Ausführungen zum Medium der
Vorlesung als "jene Mixtur aus Akustik und Schriftlichkeit"
(10). Diese mediale Differenz ist Kittler wichtig, da die
Vorlesung einen ethnologischen Blick auf optische Medien
erlaube, während der Buchdruck Voraussetzung für
optische Medien sei: "Gutenbergs Buchdruck, darf man
bündig sagen, machte seine eigenen Überbietungen - von
der Photographie bis zum Computer - allererst möglich"
(78). Unbearbeitet geblieben sind auch die zeitlichen Bezüge auf nächste Sitzungen oder
die vorherige Woche, die den Text eigenartig fiktionalisieren.
Zum Schluss zitiert Kittler einen Song von Leonard Cohen ("A Bunch of Lonesome
Heroes") und die Leserin und der Leser fragen sich, wurde 1999 in Berlin der Song
abgespielt, sang ihn Kittler den Studierenden vor oder sollen wir selber singen? Im Sinne
der Hörbuch-Hausse an den Büchermärkten würde man sich über eine beigelegte CD
freuen, die den einmaligen Duktus des Vorlesenden zumindest ansatzweise vermitteln
könnte. Aber trotz aller Kritik an der Art der Buchpräsentation ermöglicht der Text eine
angenehme Leseerfahrung, die durch die Redundanzen einer Vorlesung
Argumentationsstränge und Zusammenhänge verdeutlicht.
Die Struktur von Kittlers Buch ist schnell erzählt. Nach einigen Vorbemerkungen zu
seinen Perspektiven und Methoden bei der Betrachtung der Geschichte optischer Medien
wird im ersten Drittel des Buches die Vorgeschichte von den Griechen bis zur
romantischen Dichtung aufgerollt. Hieran schließt die Entwicklung der eigentlichen
optischen Medien Fotografie, Film, Fernsehen und Computer an. Die lange Vorgeschichte
rechtfertigt Kittler mit dem Hinweis auf die Imaginationen von optischen Medien in der
Literatur und der Entwicklung von Apparaten wie der Camera obscura, die unmittelbaren
Einfluss auf die beginnende Medienevolution im 19. Jahrhundert hatten.
Seine theoretischen Vorannahmen stellt Kittler explizit an den Anfang seiner Geschichte.
Den zentralen Begriff des Mediums führt er auf die technischen Definitionen von Innis
und McLuhan zurück. Damit grenzt er sich bewusst von großen Teilen der deutschen
Medienwissenschaft ab. Die technische Grundlage dieses Medienbegriffs fundiert Kittler
zusätzlich mit der mathematischen Informationstheorie nach Shannon, deren
universalistische Gültigkeit im Laufe des Textes zum Abgleich mit den jeweiligen
optischen Medien gebracht wird. Inwieweit dadurch optische Medien nur eine nominelle
Untergruppe aller Medien sind, bleibt leider offen.
Zwar sieht Kittler die Gefahr der Technikgeschichte "einem Kult der genialen Erfinder
und Pioniere zu verfallen" (28), trotzdem präsentiert er uns ständig Anekdoten und
biografische Details als Erklärungsmuster für Medienentwicklungen. Ähnliches geschieht
mit den körperlichen Defiziten seiner Protagonisten, die frei nach McLuhan immer wieder
Kausalitäten liefern müssen: "Krüppel und Handicaps liegen wie Leichen auf dem
technischen Weg zur Gegenwart" (159). Der zweite Begründungszusammenhang ist
Krieg. Gegen Ende des Buches wird "der Missbrauch von Heeresgerät" für jede
technische Weiterentwicklung von Film, Fernsehen und Computer zum formelhaft
wiederholten Ursprungsmythos.
Der Startpunkt der Geschichte optischer Medien im 15. Jahrhundert liegt in einer
medialen Differenz: der Speicherung von Bildern, die erst mit der mathematischen
Linearperspektive der Renaissance-Malerei verwirklicht ist. Buchdruck, Camera obscura
und die Laterna magica bilden in den folgenden Jahrhunderten unterschiedliche
Medienverbünde, die die medialen Möglichkeiten jeweils als Form der Propaganda für die
Reformation, die Gegenreformation, des deutschen Idealismus, die romantische Literatur
und vieles mehr benützen. Die romantische Literatur wird deshalb zum Medium, weil sie
den Wunsch nach dem Reellen des Mediums Film im Imaginären schon erfüllt hat. Die
Lacansche Referenz erzeugt eine Reihe sich in Erfüllung schließender historischer Kreise,
in denen technische Medien (fast) immer das Ende ihrer Vorgeschichten sind. Diese
Geschichte der Enden füllt die restlichen zwei Drittel des Buches. Zum einen lässt sich
damit ein teleologisches Geschichtsmodell unterstellen. Zum anderen erfahren wir
erstaunlich wenig Neues über die optischen Medien im 20. Jahrhundert. Für den
Computer, der immerhin in der Vorbemerkung als Integration aller optischen Medien
angekündigt wird, bleiben am Ende nur achteinhalb Seiten.
Die Lektüreerfahrung ist aber keineswegs negativ, sondern nur sehr unentschieden
zwischen der erfrischenden Originalität und der mangelnden wissenschaftlichen Sorgfalt.
Die Originalität von Kittlers Zugang zu den technischen Medien macht seine Geschichte
spannend, obwohl völlig überraschende Wendungen, wie in einigen seiner frühen
Bücher, im Großen und Ganzen ausbleiben. Seine totalisierende Perspektive scheut nicht
davor zurück, große Zusammenhänge über mehrere Jahrhunderte hinweg zu erkennen
und zu vermitteln, die nicht den üblichen Konventionen der Technikgeschichte
entsprechen und denen eine ganz eigene Didaktik innewohnt.
Mit dem Vorwurf mangelnder wissenschaftlicher Sorgfalt soll - um in Kittlers
Vergleichsmuster zu verbleiben - nicht ein großes Geschütz aufgefahren werden,
sondern auf einige Ungereimtheiten im Kleinen hingewiesen werden. Im Abschnitt über
die Vorgeschichte des Films geht Kittler auf einige Thesen in Jonathan Crarys Buch
"Techniken des Beobachters" ein. Mit Hinweis auf die ansonsten "brillanten" (199)
Ausführungen Crarys kritisiert er ihn in zwei Punkten, ohne auf die eigentliche Differenz
zwischen ihm und Crary einzugehen. Während Crary einen epistemologischen Bruch
zwischen den Modellen der Camera obscura und der Fotografie in seiner Diskursanalyse
nachweist, sieht Kittler die Fotografie beziehungsweise deren Speicherfähigkeit als
Vollendung der Camera obscura. Hier läge meines Erachtens die eigentliche spannende
wissenschaftliche Auseinandersetzung, der Kittler aber irgendwie ausweicht. Ein zweites
Beispiel für Unschärfe findet sich im allzu kurzen Fernsehkapitel. Im Unterschied zu allen
anderen optischen Medien gibt es nach Kittler für das Fernsehen keine Anknüpfung an
kulturelle Wünsche und literarische Fantasien. Im Gegensatz hierzu lässt sich auf die
verbreitete Vorstellung von "sogenannten Erdspiegeln, in denen man weit Entferntes
beobachten kann" [1] verweisen. Solche Schilderungen finden sich beispielsweise bei
Wolfram von Eschenbach im 12. Buch des "Parzival". Auch die Vorstellung eines
Livefernsehens kann demnach als kollektive Fantasie und literarische Umsetzung in der
Kulturgeschichte zurückverfolgt werden.
Passend zum Schlusszitat bei Kittler und zum Song "A Bunch of Lonesome Heroes" von
Leonard Cohen zurückkehrend, möchte ich mit folgenden songlines enden:
"A bunch of lonesome and very quarrelsome heroes
were smoking out along the open road;
the night was very dark and thick between them,
each man beneath his ordinary load.
'I'd like to tell my story,'
said one of them so young and bold,
'I'd like to tell my story,
before I turn into gold.'"[2]
Anmerkungen:
[1] Heinz Herbert Mann: Optische Instrumente, in: Hans Holländer (Hg.) Erkenntnis Erfindung - Konstruktion. Studien zur Bildgeschichte von Naturwissenschaft und Technik
vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Berlin 2000, 358-407, hier 359.
[2] Eine Hörprobe findet sich unter http://www.leonardcohen.com/lc02_03.html.
Redaktionelle Betreuung: Martina Heßler
Empfohlene Zitierweise:
Ralf Adelmann: Rezension von: Friedrich Kittler: Optische Medien. Berliner Vorlesung 1999, Berlin:
Merve Verlag 2002, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 11 [15.11.2003], URL:
<http://www.sehepunkte.historicum.net/2003/11/2705.html>
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