Thieme-Verlag Frau Biehl-Vatter Sommer-Druck Feuchtwangen Graf u.a.: Anästhesie b. alten Menschen WN 25401/01/01 TN 148451 25.11.2009 Umbruch 45 2.8 Wärmeregulation 2.8.1 Physiologische Grundlagen Physiologie des Wärmehaushaltes Der Mensch hält seine Körperkerntemperatur trotz wechselnder Umgebungstemperatur auf einem konstanten Niveau von etwa 36,5 bis 37 °C. Als Körperkern werden dabei die inneren Gewebe des Körpers bezeichnet, deren Temperaturverhältnis untereinander nicht durch Anpassungen von Kreislauf oder durch Wärmeverlust zur Umwelt beeinflusst werden (The Commision for Thermal Physiology of the International Union of Physiological Sciences 2001). Dabei schwankt die Körperkerntemperatur tagesrhythmisch. Die niedrigsten Körperkerntemperaturen werden nachts gefunden, die höchsten am frühen Nachmittag. Die Regulation des Wärmehaushalts erfolgt im hinteren Anteil des Hypothalamus. Dort laufen afferente Impulse von Wärme- und Kälterezeptoren ein. Diese stammen zum Teil von temperaturempfindlichen Wärmeoder Kälteneuronen des vorderen Hypothalamus selbst (Area praeoptica) (ca. 20 %), zum Teil aus anderen Teilen des Gehirns (ca. 20 %), aus dem Rückenmark (ca. 20 %), aus dem Abdomen (ca. 25 %) und aus der Haut (ca. 15 %) (Sessler 1990). In der Area hypothalamica posterior werden diese Informationen durch thermoresponsive Zellen verarbeitet. Dabei spielen Transmitter wie Histamin (Hirose et al.), Noradrenalin, Dopamin, Serotonin, Acetylcholin, Prostaglandin E1 sowie verschiedene andere Neuropeptide (Sessler 1990) eine Rolle. Reaktion auf Abkühlung Bei Abkühlung setzen Regelprozesse ein, die zunächst eine thermoregulatorische Vasokonstriktion auslösen. Durch Noradrenalinfreisetzung aus sympathischen Nervenfasern werden an arteriovenösen Shunts α1-Rezeptoren stimuliert und führen dort zur Vasokonstriktion. Diese arteriovenösen Shunts befinden sich hauptsächlich in der Lederhaut der Akren. Durch die Abnahme der peripheren Hautdurchblutung kommt es zu einer Abkühlung der der Haut. Dadurch verringert sich der Temperaturgradient zwischen Haut und Umgebung und damit auch die Wärmeabgabe über die Haut. Darüber hinaus kommt es zu einer Umverteilung des venösen Rückstroms. Das venöse Blut der Extremitäten fließt nun weniger durch die oberflächlichen Venen zurück, sondern vermehrt durch die tiefen Venen und tauscht dort die Wärme mit der direkt danebenliegenden Arterie im Gegenstromprinzip aus. Über diesen Mechanismus führt die thermoregulatorische Vasokonstriktion zu einer funktionellen Trennung von Körperkern und Körperschale. Dies ist der entscheidende Wirkmechanismus der thermoregulatorischen Vasokonstriktion (Sessler 1990, Sessler 1997). Reicht dieser Mechanismus zur Konstanthaltung der Körperkerntemperatur nicht aus, so wird die Wärmebildung zusätzlich durch Kältezittern gesteigert (Abb. 2.8). Parallel zu diesen autonom ablaufenden Mechanismen greift der Mensch bewusst durch sein Verhalten steuernd ein. 2.8.2 Physikalische Grundlagen Physikalische Mechanismen des Wärmeaustausches Der menschliche Körper tauscht mit seiner Umgebung über vier Mechanismen Wärme aus: Konduktion, Konvektion, Radiation und Evaporation. Ganz grundsätzlich fließt Wärme immer vom Ort der höheren Energie zum Ort mit niedrigerer Energie. Die Größe des Wärmeaustausches bestimmen drei Faktoren: 1. Der treibende Energiegradient. Dies ist für Konduktion, Konvektion und Radiation der Temperaturgradient. Beim evaporativen Wärmeaustausch ist der treibende Energiegradient die Wasserdampfpartialdruckdifferenz. 2. Die wärmeaustauschende Fläche. 3. Der Wärmeaustauschkoeffizient h. Der Wärmeaustausch wird wie folgt beschrieben: . Q = ΔT · A · h. Dabei ist: . Q = Wärmeaustausch [W] ΔT = Temperaturgradient [°C] A = Fläche [m2] h = Wärmeaustauschkoeffizient [W m–2 °C–1] Verändert sich der Temperaturgradient und misst man zeitgleich den Wärmeaustausch pro Flächeneinheit, so lässt sich aus diesen Daten der Wärmeaustauschkoeffizient bestimmen. Dazu wird der Wärmefluss pro Flä- Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. A. Bräuer Thieme-Verlag Frau Biehl-Vatter Graf u.a.: Anästhesie b. alten Menschen WN 25401/01/01 TN 148451 25.11.2009 Umbruch 2 Physiologische Veränderungen im Alter Abb. 2.8 Das Thermoregulationszentrum befindet sich im hinteren Hypothalamus. Hier laufen die afferenten Impulse aus dem vorderen Hypothalamus, aus anderen Teilen des Gehirns, aus dem Rückenmark, aus dem Abdomen und der Haut ein. Beim Erreichen bestimmter Schwellenwerte werden thermoregulatorische Gegenmechanismen wie Vasokonstriktion und Kältezittern ausgelöst. cheneinheit über dem Temperaturgradienten aufgetragen und durch die Datenpunkte eine Regressionsgerade gelegt (Abb. 2.9). Dieser Wärmeaustauschkoeffizient erlaubt dann die Effektivität des betrachteten Wärmeaustauschmechanismus zu quantifizieren. Dabei ist der Wärmeaustauschkoeffizient vom Temperaturgradienten unabhängig. Die Kenntnis des Wärmeaustauschkoeffizienten erlaubt die Berechnung der Wärmeflüsse, wenn nur der Temperaturgradient bekannt ist (English 2001). det konvektive Wärmeübertragung nur in Gasen oder Flüssigkeiten statt (English 2001). Beispiel: Konvektive Luftwärmer. Konduktion Bei Konduktion wird Wärme von Molekül zu Molekül übertragen. Dabei kommt es zu einer Steigerung der Energie der Moleküle und auch der Temperatur. Bei konduktiver Wärmeübertragung bleiben alle beteiligten Moleküle an ihrem Standort. Daher kann konduktive Wärmeübertragung nur in oder zwischen Festkörpern stattfinden (English 2001). Beispiel: Elektrisch oder wasserbetriebene Wärmematten. Konvektion Bei Konvektion wird Wärme ebenfalls von Molekül zu Molekül übertragen. Dabei kommt es auch hier zu einer Steigerung der Energie der Moleküle und der Temperatur. Anders als bei Konduktion ändern bei konvektiver Wärmeübertragung die Moleküle ihren Standort. Daher fin- Abb. 2.9 Linearer Zusammenhang zwischen Wärmefluss pro Fläche und Temperaturgradienten bei konduktivem Wärmeaustausch zwischen einer mit Gel beschichteten Wassermatte und dem Rücken. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 46 Sommer-Druck Feuchtwangen Sommer-Druck Feuchtwangen Graf u.a.: Anästhesie b. alten Menschen WN 25401/01/01 TN 148451 25.11.2009 Umbruch 2.8 Wärmeregulation Radiation Bei Radiation wird Wärme durch elektromagnetische Wellen zwischen zwei Körpern mit unterschiedlicher Temperatur übertragen. Dabei wird kein Medium zur Wärmeübertragung benötigt. Wenn Strahlung auf einen festen Körper trifft, so kann diese Strahlung entweder den Körper durchdringen, reflektiert oder absorbiert werden. Nur extrem dünne Körper können von Infrarotstrahlung durchdrungen werden. Diese Möglichkeit kann bei der Interaktion von Infrarotstrahlung mit dem menschlichen Körper vernachlässigt werden. Der Anteil an Strahlung, der von einem Körper absorbiert wird, ist abhängig vom Absorptionsvermögen dieses Körpers. Da die menschliche Haut eine Emissivität von annähernd 1 hat, wird die auftreffende Infrarotstrahlung fast vollständig absorbiert. Der restliche Anteil der Strahlung wird reflektiert. Beispiel: Infrarotstrahler. Vorerkrankungen. Zusammen mit der damit verbundenen Medikation sind diese Patienten schon vor jeglicher anästhesiologischen Maßnahme gefährdet, hypotherm zu werden. Auch bei gesunden älteren Menschen sind die Kälteabwehrmechanismen wie Vasokonstriktion und Steigerung der Wärmeproduktion abgeschwächt (Kenney u. Munce 2003, DeGroot u. Kenney 2006). Dies führt in Verbindung mit einer reduzierten Muskelmasse, einem geringeren Ruheenergieumsatz (Harris u. Benedict 1919) und dem reduzierten subkutanen Fettgewebe (Priebe 2000) dazu, dass ältere Menschen unter Kältestress schneller hypotherm werden (Kenney u. Munce 2003). Dies ist auch unter perioperativen Bedingungen nachgewiesen (Kurz et al. 1993). Kernaussagen ● Evaporation Bei Evaporation wird Wärme durch die Verdunstung von Feuchtigkeit abgegeben. Die Wassermoleküle diffundieren hierbei von einer feuchten Oberfläche mit einem hohen Wasserdampfpartialdruck zu einem Ort mit niedrigerem Wasserdampfpartialdruck. Das Ausmaß der Evaporation ist hierbei abhängig vom Unterschied des Wasserdampfpartialdrucks. Durch Zunahme der Luftgeschwindigkeit erhöht sich auch das Ausmaß der Wärmeabgabe durch Evaporation. Dabei besteht ein linearer Zusammenhang zwischen evaporativem Wärmeverlust und konvektivem Wärmeverlust (English 2001). Beispiel: Wärmeverlust über das eröffnete Peritioneum. 2.8.3 Besonderheiten beim alten Menschen Die Körperkerntemperatur von gesunden älteren Menschen unterscheidet sich nicht grundsätzlich von der jüngerer Menschen. Kommen allerdings zusätzliche Faktoren, wie z. B. Mangelernährung, Untergewicht, Rauchen, Alkoholkonsum, Diabetes mellitus, neurologische Erkrankungen oder der Einfluss verschiedener Medikamente wie z. B. von Neuroleptika (Kudoh et al. 2004) hinzu, dann finden sich häufig niedrige Körperkerntemperaturen bei älteren Menschen (Kenney u. Munce 2003). In aller Regel sind ältere Patienten, die sich einem größeren operativen Eingriff unterziehen müssen, nicht gesund. Sehr viele dieser Patienten haben kardiovaskuläre, pulmonale, renale, neurologische und psychiatrische 47 ● ● Bei Abkühlung reagiert der menschliche Körper zunächst mit einer thermoregulatorischen Vasokonstriktion zur Aufrechterhaltung der Körperkerntemperatur. Bei Nichterfolg setzt das Kältezittern zur Wärmebildung ein. Ältere Menschen mit Vorerkrankungen haben häufig niedrige Körperkerntemperaturen. Ältere Menschen sind generell anfälliger für Hypothermie unter Stressbedingungen. Literatur DeGroot DW, Kenney WL. Impaired defense of core temperature in aged humans during mild cold stress. Am J Physiol Regul Integr Comp Physiol 2006; 292: R103–108 English MJM. Physical principles of heat transfer. Curr Anaesth Crit Care 2001; 12: 66–71 Harris JA, Benedict FG. A biometric study of basal metabolism in man. Philadelphia: Lippincott; 1919 Hirose M, Hara Y, Matsusaki M. Premedication with famotidine augments core hypothermia during general anesthesia. Anesthesiology 1995; 83: 1179–1183 Kenney WL, Munce TA. Invited review: aging and human temperature regulation. J Appl Physiol 2003; 95: 2598–2603 Kudoh A, Takase H, Takazawa T. Chronic treatment with antipsychotics enhances intraoperative core hypothermia. Anesth Analg 2004; 98: 111–115 Kurz A, Plattner O, Sessler DI et al. The threshold for thermoregulatory vasoconstriction during nitrous oxide/isoflurane anesthesia is lower in elderly than in young patients. Anesthesiology 1993; 79: 465–469 Priebe H-J. The aged cardiovascular risk patient. Brit J Anaesth 2000; 85: 763–778 Sessler DI. Mild perioperative hypothermia. N Engl J Med 1997; 336: 1730–1737 Sessler DI. Temperature monitoring. In: Miller RD, Hrsg. Anesthesia. 3. Aufl. New York: Churchill Livingstone; 1990: 1227–1242 The Commission for Thermal Physiology of the International Union of Physiological Sciences. Glossary of terms for thermal physiology. 3rd ed. Jpn J Physiol 2001; 51: 245–280 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Thieme-Verlag Frau Biehl-Vatter Sommer-Druck Feuchtwangen Graf u.a.: Anästhesie b. alten Menschen WN 25401/01/01 TN 148451 25.11.2009 Umbruch Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Thieme-Verlag Frau Biehl-Vatter