Was den Titel betrifft, will ich bekennen, daß ich recht gern

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»Was den Titel betrifft, will ich
bekennen, daß ich recht gern
auch das ‚Deutsch’ fortließe und
einfach den ‚Menschen’ setzte.«
Johannes Brahms an Carl Reinthaler über sein „Deutsches Requiem“
C1: Do, 24.10.2013, 20 Uhr | D1: Fr, 25.10.2013, 20 Uhr | Hamburg, Laeiszhalle
L1: Sa, 26.10.2013, 19.30 Uhr | Lübeck, Musik- und Kongresshalle
Thomas Hengelbrock Dirigent
Miah Persson Sopran | Detlef Roth Bariton | NDR Chor | RIAS Kammerchor
Dmitrij Schostakowitsch Kammersinfonie c-Moll op. 110a
Johannes Brahms Ein deutsches Requiem op. 45
DAS ORCHESTER DER ELBPHILHARMONIE
NDR SINFO NIEO RCHE S T ER
Das Konzert wird am 11.11.2013 um 20 Uhr
auf NDR Kultur gesendet.
Donnerstag, 24. Oktober 2013, 20 Uhr
Freitag, 25. Oktober 2013, 20 Uhr
Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal
Samstag, 26. Oktober 2013, 19.30 Uhr
Lübeck, Musik- und Kongresshalle
Dirigent:
Solisten:
Thomas Hengelbrock
Miah Persson Sopran
Detlef Roth Bariton
NDR Chor
RIAS Kammerchor
(Einstudierung: Thomas Hengelbrock)
Dmitrij Schostakowitsch
(1906 – 1975)
Kammersinfonie c-Moll op. 110a
(Streichquartett Nr. 8 op. 110 in der Bearbeitung
für Streichorchester von Rudolf Barschai)
(1960)
I. Largo –
II. Allegro molto –
III. Allegretto –
IV. Largo –
V. Largo
Johannes Brahms
(1833 – 1897)
Ein deutsches Requiem op. 45
nach Worten der Heiligen Schrift (vollendet 1866/1868)
I. Selig sind, die da Leid tragen (Chor)
II. Denn alles Fleisch, es ist wie Gras (Chor)
III. Herr, lehre doch mich (Bariton und Chor)
IV. Wie lieblich sind Deine Wohnungen (Chor)
V. Ihr habt nun Traurigkeit (Sopran und Chor)
VI. Denn wir haben hie keine bleibende Statt (Bariton und Chor)
VII. Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben (Chor)
Gesangstexte auf S. 18 – 20
Keine Pause
Einführungsveranstaltungen mit Thomas Hengelbrock und Friederike Westerhaus
am 24.10. und 25.10.2013 um 19 Uhr im Großen Saal der Laeiszhalle.
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NDR SINFO NIEO RCHE S T ER
Thomas Hengelbrock
Miah Persson
Dirigent
Sopran
Thomas Hengelbrock ist seit 2011 Chefdirigent
des NDR Sinfonieorchesters. Unkonventionelle
Programmgestaltung, interpretatorische Experimentierfreude, innovative Musikvermittlung
und Lust an der Ausgrabung vergessener Meisterwerke sind Markenzeichen seiner Arbeit.
Auf Tourneen durch Deutschland, Europa und
Japan sowie bei den Eröffnungskonzerten des
Schleswig-Holstein Musik Festivals 2012 und
2013 hat die Zusammenarbeit Hengelbrocks mit
dem NDR Sinfonieorchester auch bundesweit
und international ein großes Echo gefunden.
Als CD-Einspielung erschien zuletzt Schuberts
Große C-Dur-Sinfonie.
Die schwedische Sopranistin Miah Persson
tritt in der ganzen Welt gleichermaßen als
Recital- und Konzertsängerin wie als Operndarstellerin auf. Sie hat mit Dirigenten wie
Bernard Haitink, Colin Davis, Daniel Barenboim,
Esa-Pekka Salonen, Pierre Boulez, John Eliot
Gardiner, Nikolaus Harnoncourt, Marc Minkowski, Gustavo Dudamel oder Mariss Jansons
zusammengearbeitet.
In Wilhelmshaven geboren, begann Hengelbrock
seine Karriere als Violinist in Würzburg und
Freiburg. Grundlegende Impulse erhielt er
durch seine Assistenztätigkeiten bei Witold
Lutosławski, Mauricio Kagel und Antal Doráti,
ebenso durch seine Mitwirkung in Nikolaus
Harnoncourts Concentus musicus. Neben frühen Begegnungen mit zeitgenössischer Musik
war Hengelbrock maßgeblich daran beteiligt,
das Musizieren mit Originalinstrumenten in
Deutschland dauerhaft zu etablieren. In den
1990er Jahren gründete er mit dem BalthasarNeumann-Chor und -Ensemble Klangkörper,
die zu den international erfolgreichsten ihrer
Art zählen. Führende Positionen hatte Hengelbrock daneben bei der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, dem Feldkirch Festival
und an der Wiener Volksoper inne. 2012 wurde
ihm der Praetorius Musikpreis Niedersachsen
verliehen.
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Thomas Hengelbrock ist heute gleichermaßen
als Opern- wie auch als Konzertdirigent international gefragt. Er dirigiert an Opernhäusern
wie der Opéra de Paris, dem Royal Opera House
in London und dem Teatro Real in Madrid. Mit
herausragenden Produktionen ist er im Festspielhaus Baden-Baden zu einem der wichtigsten Protagonisten geworden. Gastdirigate führen
Hengelbrock wiederholt zum Symphonieorchester des BR, zu den Münchner Philharmonikern,
zum Chamber Orchestra of Europe sowie
zum Orchestre de Paris. Mit seinen BalthasarNeumann-Ensembles sorgte er im Januar 2013
mit konzertanten Aufführungen von Wagners
„Parsifal“ auf authentischen Instrumenten für
Aufsehen. Bei den diesjährigen Salzburger Festspielen begeisterte Hengelbrock Publikum und
Presse mit seiner Interpretation von Mozarts
Requiem sowie dem musikalisch-literarischen
A cappella-Programm „Nachtwache“.
Ihr Debüt an der New Yorker Met gab Persson
2009 als Sophie in „Der Rosenkavalier“. An das
Haus kehrte sie in folgenden Jahren u. a. als
Fiordiligi in „Così fan tutte“ zurück. Nach ihrem
gefeierten Konzert-Debüt bei den Salzburger
Festspielen 2003 war sie dort auch als Sophie
und als Sifare in „Mitridate“ zu erleben. 2006
folgten die Debüts am Royal Opera House Covent Garden und beim Glyndebourne Festival,
wohin sie regelmäßig (u. a. in Strawinskys
„The Rake’s Progress“ oder Brittens „The Turn
of the Screw“) zurückkehrt. Darüber hinaus
war sie u. a. an der Bayerischen Staatsoper,
Hamburgischen Staatsoper, Wiener Staatsoper,
Berliner Staatsoper, San Francisco Opera,
Königlichen Oper Stockholm oder dem Festspielhaus Baden-Baden engagiert. In der vergangenen Saison gastierte sie u. a. als Susanna
in „Le nozze di Figaro“ an der Wiener Staatsoper sowie als Donna Elvira in „Don Giovanni“
am Théâtre des Champs Elysées und am Liceu
Barcelona. Vom schwedischen König wurde
Persson 2011 zur Hofsängerin ernannt.
Mit ihrem breit gefächerten Konzert- und LiedRepertoire tritt Miah Persson regelmäßig in
renommierten Konzertsälen und mit weltweit
bedeutenden Orchestern auf, so etwa bei den
BBC Proms, in der New Yorker Carnegie Hall,
der Londoner Wigmore Hall, im Concertgebouw
Amsterdam, mit dem Los Angeles Philharmonic
und Chicago Symphony Orchestra, dem DSO
Berlin, Budapest Festival Orchestra oder
London Symphony und London Philharmonic
Orchestra. Mit René Jabos und der Akademie
für Alte Musik Berlin ging sie 12/13 als Pamina
in konzertanten Aufführungen der „Zauberflöte“
auf Europa-Tournee. Perssons reiche Diskographie beinhaltet Händels „Rinaldo“ unter
Jacobs, Haydns „Jahreszeiten“ unter Ivor Bolton,
„Die Schöpfung“ unter Paul McCreesh, Mozarts
„Mitridate“ unter Minkowski und „Le nozze di
Figaro“ unter Antonio Pappano (beide auf DVD)
oder Solo-Programme wie „Soul & Landscape“,
Mozart-Arien oder Lieder von Clara und
Robert Schumann.
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NDR SINFO NIEO RCHE S T ER
Detlef Roth
NDR Chor
RIAS Kammerchor
In der Spielzeit 2013/2014 zeigt der NDR Chor
unter der Leitung seines Chordirektors Philipp
Ahmann die ganze Weite seines Repertoires
und seiner Möglichkeiten. Im Mittelpunkt steht
die Abonnementreihe mit thematisch konzipierten A cappella-Konzerten, mit attraktiven
Gastsolisten und Ensembles.
Das künstlerische Profil des RIAS Kammerchores ist in seinem Facettenreichtum unverwechselbar. Unter den Berufschören ist der
RIAS Kammerchor der Pionier in historischer
Aufführungspraxis. Seit seiner Gründung 1948
als Chor des Rundfunks im Amerikanischen
Sektor (RIAS), setzt er sich außerdem beispielhaft für die Musik der Gegenwart und der Moderne ein. In diesem Spannungsfeld gewinnen
auch die Werke des klassischen und romantischen Repertoires in den Interpretationen des
Chores intensive Klangrede mit Tiefenschärfe.
2013 erhielt das Ensemble die „Nachtigall“,
den Ehrenpreis des Preises der deutschen
Schallplattenkritik, und wurde 2010 von der
Zeitschrift Gramophone unter die zehn besten
Chöre der Welt gewählt.
Bariton
Detlef Roth wurde in Freudenstadt geboren
und studierte Gesang an der Musikhochschule
Stuttgart bei Georg Jelden. Er war Preisträger
beim „Belvedere Wettbewerb“ in Wien (1992)
und beim Internationalen Wettbewerb für
Wagner-Stimmen in Straßburg (1994). Von
2008 – 2012 sang er bei den Bayreuther Festspielen den Amfortas in Wagners „Parsifal“
unter Daniele Gatti und Philippe Jordan. Zu
seinem Repertoire als Konzertsänger gehören
Mendelssohns Oratorien, Bachs Passionen oder
die Werke von Gustav Mahler, in denen er regelmäßig auf den großen europäischen Konzertbühnen bis hin zu den Salzburger Festspielen
sowie in den USA zu hören ist. Sein besonderes
Interesse gilt auch der Alten Musik. So arbeitete
er u. a. mit Dirigenten wie John Eliot Gardiner,
Philippe Herreweghe, Ton Koopman, Trevor
Pinnock oder Thomas Hengelbrock.
Opernengagements führten Detlef Roth u. a. als
Papageno ans Teatro dell’Opera, Rom, Théâtre
du Châtelet und an die Opéra de Bastille, Paris,
als Wolfram in „Tannhäuser“ an die Hamburgische Staatsoper, nach Berlin, Amsterdam und
Bern sowie als Amfortas an die Oper Leipzig,
die Deutsche Oper Berlin und die Oper Zürich.
1997/98 war er im Ensemble der Oper Frankfurt. Bei den Salzburger Festspielen debütierte
er unter Lorin Maazel und Valery Gergiev als
Masetto in „Don Giovanni“, bei den Schwetzinger Festspielen als Creonte in Haydns „L’anima
del Filosofo“ (unter Thomas Hengelbrock). Er
sang weiterhin am Teatro Real Madrid, an der
Mailänder Scala, der Nederlandse Opera, Opéra
de Lyon, Washington Opera, in Aix-en-Provence
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(unter Simon Rattle) und bei den Salzburger
Osterfestspielen. Eine enge Zusammenarbeit
verbindet ihn seit Jahren mit dem Grand
Théâtre de Genève.
Wichtige Dirigenten seiner Karriere sind u. a.
Riccardo Chailly, Wolfgang Gönnenwein, Armin
Jordan, Charles Mackerras, Neville Marriner,
Kurt Masur, Kent Nagano, Wolfgang Sawallisch,
Giuseppe Sinopoli, Jeffrey Tate und Christian
Thielemann. Detlef Roths Diskographie umfasst
u. a. Mozarts „Zauberflöte“ (Sprecher) unter
Gardiner, Mahlers Sinfonie Nr. 8 mit dem DSO
Berlin unter Nagano, Beethovens 9. Sinfonie
mit dem Tonhalle-Orchester Zürich unter David
Zinmann, Bachs Weihnachtsoratorium und
Brahms’ Requiem mit dem RSB unter Marek
Janowski sowie zwei CDs mit Liedern von
Schubert mit dem Pianisten Ulrich Eisenlohr.
Der NDR Chor ist als der professionelle Konzertchor des Nordens mit einer großen Programmvielfalt im gesamten Sendegebiet des NDR und
darüber hinaus präsent – zu seinen Partnern
zählen alle anderen Ensembles des NDR bis
hin zur Big Band. Einladungen führen ihn zum
SWR Sinfonieorchester Stuttgart und zum
WDR Sinfonieorchester Köln sowie zu gemeinsamen Konzerten mit dem SWR Vokalensemble
und dem RIAS Kammerchor. In der Spielzeit
2013/2014 sind Konzerte mit dem Festspielorchester Göttingen, dem Raschèr Saxophone
Quartet und der Accademia Bizantina geplant.
Regelmäßig gastiert das Ensemble bei zahlreichen Festivals, in dieser Spielzeit u. a. beim
Schleswig-Holstein Musik Festival, der Bachwoche Ansbach, den internationalen HändelFestspielen Göttingen, den Händel-Festspielen
in Halle, dem Festival Mecklenburg-Vorpommern
und dem Anima Mundi Festival Pisa.
Seit 2007 setzt Hans-Christoph Rademann
Akzente in der Entwicklung des Chorklanges.
Unter seiner Leitung hat der Chor in der Breite
seiner stilistischen Ausdrucksmöglichkeiten
hinzugewonnen. Dem RIAS Kammerchor verdanken zahlreiche Werke ihre Ur- und Erstaufführung sowie ihre Verankerung im Repertoire.
Der RIAS Kammerchor ist ein Ensemble der
Rundfunk Orchester und Chöre GmbH. Gesellschafter sind Deutschlandradio, die Bundesrepublik Deutschland, das Land Berlin und der
Rundfunk Berlin-Brandenburg.
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NDR SINFO NIEO RCHE S T ER
Wenn man innerlich nie lacht ...
Zum Programm des heutigen Konzerts
„Das Leben raubt einem mehr als der Tod“.
Wie oft mag ein Komponist wie Dmitrij Schostakowitsch dergleichen Worte schmerzlich bestätigt empfunden haben? Er sah die Schrecken
zweier Weltkriege mit eigenen Augen, er spürte
die Maßregelungen des stalinistischen Regimes
am eigenen Leibe und ihn musste immer die
Angst verfolgen, den nächsten Tag vielleicht
nicht mehr zu erleben. „Der Weg des Komponisten ist voller Dornen“, versicherte Schostakowitsch seinem Schüler Edisson Denissow einmal – und er wusste wahrhaftig, wovon er sprach!
Recht unverhältnismäßig erscheint es da, das
Leben und Wirken des Komponisten Johannes
Brahms in diesem Kontext überhaupt zu nennen.
Und dennoch stammt das einleitende Zitat von
ebendiesem und nicht etwa von Schostakowitsch. „Ihnen brauche ich wohl nicht zu sagen,
daß ich innerlich nie lache“, ist ein weiteres
Bekenntnis des brummigen Norddeutschen, das
Schostakowitsch wohl ebenso unterschrieben
hätte. Nun war gewiss Brahms’ Leben vollständig frei von politischer Verfolgung und künstlerischen Repressalien, und natürlich hatte
Brahms aus ganz anderen Gründen als Schostakowitsch nichts zu lachen. Den Ausspruch
beispielsweise, dass das Leben eines Komponisten „voller Dornen“ sei, hätte der von bisweilen übertriebenen Selbstzweifeln geplagte
Brahms sehr gut verstanden – wenn er auch
von den gemeinten Einschränkungen und
Lebensbedrohungen in einer Diktatur nichts
ahnen konnte. Bei Brahms müssen wir ferner
von einer melancholischen Grundhaltung
ausgehen, die ihn schon als jungen Mann das
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Lied „Das Grab ist meine Freude“ singen ließ,
wenn er einmal so richtig augelassen (!) war.
Der frühe Tod seiner geliebten Mutter und
seines so sehr geschätzten Freundes und Förderers Robert Schumann waren Schicksalsschläge, die sein trübseliges Lebensgefühl nur
noch vertieften. Auch dass er zeitlebens ohne
feste partnerschaftliche Bindung blieb, verbitterte Brahms zunehmend. Am Ende seines
Lebens komponierte er die „Vier ernsten
Gesänge“, in denen es heißt: „Da lobte ich die
Toten, die schon gestorben waren, mehr als
die Lebendigen, die noch das Leben hatten“ ...
Das heutige Konzert bringt zwei Werke von
Schostakowitsch und Brahms zusammen, die
sich mit den für beide Komponisten auf individuell besondere Weise so zentralen ernsten
Themenkreisen von Tod und Leben, Leid und
Hoffnung, Trauer und Trost auseinandersetzen.
Beide Werke sind (im allerweitesten Sinne der
Gattungsbezeichnung) Requien, freilich aus
verschiedenen Perspektiven, mit abweichender
Botschaft und unter Verwendung unterschiedlicher Mittel. Bei Schostakowitschs Kammersinfonie op. 110a handelt es sich um Rudolf
Barschais vom Komponisten autorisierte Bearbeitung des Achten Streichquartettes op. 110,
das Schostakowitsch 1960 unter dem Eindruck
des kriegszerstörten Dresden schrieb und dem
Gedächtnis der Opfer von Krieg und Faschismus
widmete. Unter dieser offiziellen Oberfläche
aber stellt das mit zahlreichen Selbstzitaten
gespickte Werk zugleich einen Gedenkstein für
den vom diktatorischen Regime gegängelten
Menschen und Künstler Schostakowitsch dar.
mismus ist angesichts der von Schostakowitsch
erlebten Epoche und seines persönlichen
Schicksals dabei nur allzu verständlich.
Johannes Brahms (Porträtaufnahme um 1866)
Fasst man den Begriff des Requiems ganz
allgemein und losgelöst von jeder Liturgie als
Synonym für „Trauermusik“ auf (wie es durchaus auch Brahms tat), so trägt dieses textlose
Streichquartett zweifellos Züge eines Requiems –
eines Requiems für den Autor selbst, so wie es
Schostakowitsch an Isaak Glikman schrieb:
„Man könnte auf seinen Einband auch schreiben:
‚Gewidmet dem Andenken des Komponisten
dieses Quartetts’.“ Momente von Trost und
Zuversicht findet man – wie eigentlich immer
bei Schostakowitsch – kaum: Das Werk bewegt
sich, abgesehen von einigen wenigen Lichtblicken, fast ausschließlich in Moll-Bereichen
und endet in kraftloser Düsternis. Der Pessi-
Ein einigermaßen konträres Bild vermittelt
Brahms’ „Deutsches Requiem“: Wer das Werk
einmal von den Satzschlüssen her betrachtet
(man denke etwa an das strahlende C-Dur im
6. Satz), könnte mancherorts gar meinen, es
handele sich um ein Stück zu festlichem Anlass.
Insgesamt prägt das Werk – auch in seinen
introvertierteren Teilen – eine deutliche DurTendenz: Es ist jene Art der Trauer, die immer
auch einen Funken Hoffnung und Trost in sich
trägt; eine Musik, die zu Herzen gehend traurig,
aber nicht tragisch, zu Tränen rührend, aber
nicht niederdrückend wirkt. Tatsächlich ging
es dem (damals im Übrigen noch sehr jungen!)
Komponisten – anders als im Falle Schostakowitschs – weder um eine ichbezogene Aufarbeitung der eigenen leidvollen Biografie noch
primär um das Beklagen menschlicher Verluste.
Überhaupt ist ein konkreter Anstoß für die
Komposition des „Deutschen Requiems“ nicht
festzustellen. Zwar mögen der Tod der Mutter
und des Freundes Schumann Erfahrungen gewesen sein, die Brahms bei seinem RequiemProjekt im Innersten bewegten, doch sind, wie
der Brahms-Biograf Siegfried Kross bezwingend
formulierte, „die menschlich-seelischen und
allgemeinen geistigen Grundlagen, in denen
das Werk wurzelt, so vielschichtig und so tief
innerlich mit dem [oben charakterisierten]
Wesen des Menschen Brahms verbunden, daß
es unangemessen erscheint, es gleichsam zur
Reaktion auf einen von außen gekommenen
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NDR SINFO NIEO RCHE S T ER
Reiz zu degradieren.“ Wenn man Schostakowitschs Kammersinfonie als ein erschütterndes,
historisch bedingtes Mahnmal für eine durch
politische Gewaltherrschaft, ideologische
Verfolgung, Krieg, Ungerechtigkeit und Unterdrückung zerstörte Menschheit verstehen darf,
in dem sich das Ich mit unzähligen weiteren
Opfern identifiziert, so ist Brahms’ „Deutsches
Requiem“ bestimmt von geradezu objektiver
Menschenliebe. Brahms rückt hierfür nicht – wie
sonst im Requiem üblich – die Bitte um das
Seelenheil der Verstorbenen in den Mittelpunkt,
sondern richtet sich mit der Kraft der Liebe
und Musik vor allem an die trauernden Hinterbliebenen. Sein „Deutsches Requiem“ schildert
nicht die Verzweiflung der Menschen, sondern
stimmt zuversichtlich: Leid und Tod sind
unvermeidbar, doch kann der Mensch auf Trost
und Erlösung bauen. Im heutigen Konzert mag
Brahms’ Requiem eine hoffnungsvolle Antwort
auf Schostakowitschs bedrückende Kammersinfonie geben – auch wenn eine solche Botschaft für einen Menschen wie Schostakowitsch
nur schwer zu fassen gewesen sein muss.
„... und wieder kamen mir die
Tränen“ – Schostakowitschs
Kammersinfonie op. 110a
Als Dmitrij Schostakowitsch im Juli 1960 nach
Dresden reiste, hatte er eigentlich anderes
im Sinn, als ein in seinen Worten „niemandem
nützendes und ideologisch verwerfliches Quartett“ zu schreiben. Im Gegenteil: Grund der
Reise war ein Besuch der Dreharbeiten zum
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sowjetischen Propagandafilm „Fünf Tage – fünf
Nächte“, der die Rettung der Dresdner Gemäldegalerie durch die Rote Armee schilderte.
Schostakowitsch, der wieder einmal mit der
Filmmusik beauftragt worden war, hatte also
ein ideologisch vollkommen angepasstes Stück
Gebrauchsmusik vor sich. In der stalinistischen
Vergangenheit waren es gerade die lukrativen
Arbeiten an solchen Filmmusiken gewesen, die
ihm die Gunst des Diktators gesichert hatten.
Mit diesen Werken hatte er sich nach außen
hin stets staatstreu gezeigt – so wie er sich in
Reden und schriftlichen Äußerungen sogar
nach Stalins Tod im Ausland immer auch als
russischer Patriot verhielt und sogar die für ihn
so verhängnisvolle Kulturpolitik Schdanows
verteidigte. Gedanken und Probleme, die ihn
innerlich beschäftigten, pflegte er wohlweislich
nicht offen nach außen zu tragen, und selbst
in seiner Musik musste man mit geschultem
Ohr hinter die Fassaden hören, um die versteckten Botschaften zu vernehmen. Nun also
ließ Schostakowitsch die Arbeit an der „nützlichen“ Filmmusik liegen und komponierte in
seinem Hotel in der Sächsischen Schweiz binnen drei Tagen ein intimes Streichquartett,
das an – jetzt schon gar nicht mehr allzu sorgsam versteckten – Botschaften reicher denn
je war (und das als ideale „Einführung“ in den
musikalisch- semantischen Kosmos Schostakowitschs zu seinen populärsten Werken
überhaupt werden sollte).
„Wie sehr ich auch versucht habe, die Arbeiten
für den Film im Entwurf auszuführen, bis jetzt
konnte ich es nicht“, schrieb Schostakowitsch
Dmitrij Schostakowitsch (Foto von 1966)
an Isaak Glikman. „Ich dachte darüber nach,
dass, sollte ich irgendwann einmal sterben,
kaum jemand ein Werk schreiben wird, das
meinem Andenken gewidmet ist. Deshalb habe
ich beschlossen, selbst etwas Derartiges zu
schreiben.“ Diese Worte sind der Schlüssel zum
Verständnis von Schostakowitschs Kammersinfonie. Vielleicht mag ihn der Anblick des
zertrümmerten Dresden an Leningrad erinnert
haben, vielleicht löste er schreckliche Erinnerungen an den Krieg bei ihm aus, und bestimmt
dachte er bei der Komposition auch an die in
der Widmung genannten „Opfer von Krieg und
Faschismus“. Ganz sicher aber handelt das
Werk vor allem von ihm selbst. „Grundlegendes
Thema des Quartetts sind die Noten D. Es. C. H.,
d. h. meine Initialen“, sagte es Schostakowitsch
gerade heraus. Der Musikwissenschaftler
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NDR SINFO NIEO RCHE S T ER
Bernd Feuchtner, der sich mit den autobiografischen Spuren in Schostakowitschs Kammersinfonie umfassend beschäftigt hat, kam
entsprechend zu einem einleuchtenden Fazit:
„Die Gefühle der Lethargie, Verzweiflung, des
Gehetztseins, Anpassungszwangs, Indentitätsverlusts, der Totenklage, Sehnsucht und Resignation, die in diesem Werk stets in Verbindung
mit seinen Initialen vermittelt werden, beziehen
sich auf sein Empfinden, selbst zur Ruine ausgebrannt zu sein.“ Das Werk müsse daher vor
allem als „Rückblick auf den eigenen Weg“, als
„Reflexion über seine Identität“ gehört werden.
Da Schostakowitsch – anders als beispielsweise
in der ebenfalls autobiografisch deutbaren
Zehnten Sinfonie – den „netten Mischmasch“
seiner Selbstzitate (im besagten Brief an
Glikman) nicht nur offengelegt, sondern auch
vergleichsweise plastisch angeordnet hat, sind
viele Analytiker versucht, sich bei der Interpretation des inneren Programms der Kammersinfonie weiter als sonst aus dem Fenster zu
lehnen. Der 1. Satz beginnt mit einem fahlen
Fugato aus den Noten der erwähnten Initialen:
D(mitrij) SCH(ostakowitsch). Unmittelbar darauf
weht aus alten Zeiten der Beginn von Schostakowitschs Erster Sinfonie herüber – einem Werk,
das für die Karriere des Komponisten von so
großer Bedeutung war, dass er das Datum
seiner Uraufführung zu seinem persönlichen
Feiertag erklärte. Ein weiteres Zitat aus der
Fünften Sinfonie sowie das wiederkehrende
DSCH-Motiv legen nahe: Hier stellt sich der
Autor des Werks als schaffender Künstler vor.
Dass der Weg des Komponisten in einer fa12
Das „DSCH“-Motiv aus Schostakowitschs Kammersinfonie
op. 110a (die Tonfolge d-es-c-h entspricht den Initialen Dmitrij
Schostakowitschs in der deutschen Schreibweise und Aussprache). Darunter das daraus abgeleitete Thema des Ersten
Cellokonzerts, das im 3. Satz der Kammersinfonie zitiert wird
schistischen Diktatur indes „voller Dornen“ ist,
ruft der 2. Satz krass ins Bewusstsein. Das
omnipräsente DSCH-Motiv gerät hier in den
Mahlstrom eines brutalen, gehetzten Allegro
molto. Wenn dann das jüdisch gefärbte Thema
aus dem Finale des Zweiten Klaviertrios auftaucht und das DSCH teilweise sogar zu einem
ununterbrochenen Ostinato mutiert, solidarisiert sich Schostakowitsch musikalisch gewissermaßen mit dem Schicksal der verfolgten
Juden und stellt sich selbst als Opfer der Gewaltherrschaft dar. Den Zwang, sich als Komponist
mit den aufoktroyierten kulturpolitischen
Vorstellungen arrangieren zu müssen, könnte
sodann der 3. Satz thematisieren. Bernd
Feuchtner hat eine plausible Deutung dargelegt:
Das „brav“ im Dreiertakt „hüpfende“ DSCHMotiv und dessen freundlichere Wendung
durch die angehängte Note g wirken wie die
„personifizierte Anpassung im gleichmütigen
Ton“. Gleichzeitig führe Schostakowitsch vor,
wie das Thema seines Ersten Cellokonzerts
aus dem Vorjahr „als Verballhornung seiner
eigenen Initialen entstanden ist, wie aus dem
ICH die Maske wurde!“ Jenes Cellokonzert aber
sei „von emsiger Betriebsamkeit“ beherrscht
und wirke „wie ein Selbstporträt als Funktionär
im Komponistenverband, der eifrig seinen
Pflichten nachgeht und den regimetreuen
Staatskomponisten spielt.“ Diese nicht ohne
sarkastische Züge ausgebreitete Schönmalerei
zertrümmert der 4. Satz mit Fortissimo-Schlägen, die dem zitierten Thema des Cellokonzerts
wütend Einhalt gebieten. Erneut identifiziert
sich Schostakowitsch als Opfer von Krieg und
Faschismus, diesmal durch Zitate der in Russland bekannten Lieder „Gequält von schwerer
Sklavenfron“ und „Unsterbliche Opfer, ihr sanket
dahin“. Eine kurze Vision des Glücks blitzt in
einer auffällig zarten Dur-Passage auf, die eine
Stelle aus Schostakowitschs Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ zitiert: „Geliebter du! Endlich!
Wir sahen uns den ganzen Tag gar nicht!“ ...
Das abschließende Largo (5. Satz) schließt den
Kreis und setzt dem Werk wiederum unter
Verwendung des DSCH-Motivs ein resignatives
Ende. „Dieses Quartett ist von einer derartigen
Pseudotragik, dass ich beim Komponieren so
viele Tränen vergossen habe, wie man Wasser
lässt nach einem halben Dutzend Bieren“,
schrieb Schostakowitsch voll bitterer Ironie an
Glikman. „Zu Hause angekommen, habe ich es
zweimal versucht zu spielen, und wieder kamen
mir die Tränen. Aber diesmal schon nicht mehr
nur wegen seiner Pseudotragik, sondern auch
wegen meines Erstaunens über die wunderbare
Geschlossenheit der Form.“
Musik zum Troste derer, „die da
Leid tragen“ – Brahms’ „Ein deutsches
Requiem“
„Denn es wird die Posaune schallen“, so heißt es
im 6. Satz aus Brahms’ „Deutschem Requiem“.
Es ist die in punkto dramatischer Wucht sicherlich auffälligste Stelle im gesamten Werk. Und
tatsächlich blitzt hier auch etwas von jener effektvollen Schreibweise auf, wie sie zumal opernerprobte Komponisten wie Verdi oder Berlioz
in ihren Requien bei der Vertonung der Totensequenz „Dies irae“ wählten. Der bezeichnende
Unterschied: Bei Brahms bleibt dies die einzige
Stelle, die überhaupt etwas vom Jüngsten Gericht erahnen lässt. Und selbst hier wird deutlich:
Nicht die Schrecken, die die Toten erwartet,
stehen im Fokus, sondern einzig die Zuversicht
des Glaubens, das ewige Leben, die Erlösung
und der Lobpreis Gottes. „Selig sind die Toten,
die in dem Herrn sterben“, heißt es schließlich
im letzten, zutiefst friedevollen Satz, der freilich
nicht ohne Grund musikalisch an den 1. Satz
anknüpft. Hier, am Beginn des Werkes, aber war
bezeichnenderweise nicht von den Toten die
Rede, sondern von denen, „die da Leid tragen“
und die „getröstet werden“ sollen. So könnte
man im Verhältnis von erstem und letztem Satz
stellvertretend die zentrale Aussage des „Deutschen Requiems“ festmachen: Trost für die
Trauernden und Erlösung für die Toten, Leben
und Tod, Leid und Hoffnung sind Pole einer Einheit. Und weil sich das Werk in diesem Sinne „nur
und ausschließlich an den Menschen“ wendet,
wird auch der Tod „nur als Erfahrung des Leids
für die Lebenden“ behandelt (Siegried Kross).
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Johannes Brahms: „Ein deutsches Requiem“, eigenhändige Notenschrift des ersten Choreinsatzes
Dass die inhaltliche Ausrichtung von den
übrigen, orthodoxen Requiem-Vertonungen
abweicht, liegt natürlich auch daran, dass wir
es im Falle des „Deutschen Requiems“ mit
einer ganz anderen Textgrundlage zu tun haben.
Der protestantische Freigeist Brahms wäre
niemals auf die Idee gekommen, den für die
Liturgie der katholischen Totenmesse vorgesehenen lateinischen Text zu vertonen.
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Stattdessen stellte er sich selbst einige überkonfessionelle Bibelworte in der deutschen
Übersetzung Luthers zusammen. Entsprechend
verwies er mit dem unbestimmten Artikel im
Titel seines Werks auf dessen nicht-liturgischen
und nicht zwingend auf die christliche Glaubenslehre bezogenen Ansatz. Weil Brahms in seiner
Textauswahl zudem auf Passagen verzichtete,
die die Schuld und Sünde der Menschen und
den Erlösungstod Jesu Christi erwähnen –
mithin den Schlüsselaspekt des Christentums –
waren Rezeptionsschwierigkeiten auf Seiten
der Kirche freilich vorprogrammiert. Als Carl
Reinthaler die Uraufführung des „Deutschen
Requiems“ am Karfreitag 1868 im Bremer Dom
anregte, legte er Brahms daher ans Herz, noch
einen Satz zu diesem Thema nachzukomponieren. In der Tat hat Brahms später (und zwar erst
nach der Bremer Uraufführung der 6-sätzigen
Fassung) den heutigen 5. Satz ergänzt – jedoch
geht es auch hier nicht um Jesu Erlösungstod.
Die Zeilen „Ich will euch trösten, wie einen seine
Mutter tröstet“ legen vielmehr nahe, dass der
Satz als eine späte musikalische Reaktion des
Komponisten auf den Tod seiner Mutter zu
verstehen ist. Möglich ist ferner, dass Brahms
mit diesem Satz samt Sopran-Solo auf eine
fürchterliche Unsitte der noch jungen Aufführungstradition des „Deutschen Requiems“
antwortete: Bei der Bremer Uraufführung hatte
man nämlich, um das „christologische Defizit“
zu kompensieren, eine Sopran-Arie aus Händels
„Messias“ („Ich weiß, daß mein Erlöser lebet“)
zwischen den 3. und 4. Satz des Werkes eingeschoben. In einer Folgeaufführung war es
dann sogar eine völlig unpassende Arie aus
Webers „Freischütz“ ...
Die übrigen sechs Sätze des „Deutschen
Requiems“ sind Teile eines lange währenden
Kompositionsprozesses. Pläne für eine Trauerkantate reichen dabei bis 1859 zurück.
Nachdem Brahms als Leiter des Singvereins in
Detmold zahlreiche praktische Erfahrungen
mit Chorwerken gemacht und sein Handwerk
Der Bremer Dom St. Peter, wo Brahms’ „Deutsches Requiem“
in der 6-sätzigen Fassung 1868 uraufgeführt wurde
(Lithografie um 1845)
auch mit kleineren Orchesterkompositionen
wie den Serenaden op. 11 und 16 verfeinert
hatte, war das Projekt eines großen chorsinfonischen Werks gleichsam die logische Folge.
Die Idee, den 1. Satz des Requiems mit einer
dunklen Instrumentierung ohne Violinen zu
beginnen, war im Übrigen nicht neu: Bereits in
seinem „Begräbnisgesang“ op. 13 hatte Brahms
auf Soprane verzichtet, in der Serenade op. 16
ebenfalls auf die Geigen. Dass das „Deutsche
Requiem“ zugleich eine wichtige Rolle auf
Brahms’ Weg zur Sinfonie spielt, mag man
wiederum daraus erkennen, dass der 2. Satz
15
Johannes Brahms: „Ein deutsches Requiem“, eigenhändige
Notenschrift des Beginns der Fuge „Der Gerechten Seelen
sind in Gottes Hand“ im 3. Satz
ursprünglich als – freilich sehr düsteres –
Scherzo einer Sinfonie geplant war, die dann
zum 1. Klavierkonzert umgeformt wurde. Die
große Schlussfuge des Satzes hat mit dieser
kompositorischen Tiefenschicht indes nichts zu
tun: Sie gehört zwingend in ein Vokalwerk und
stellt deutliche Bezüge zur Oratorientradition
des Barock und der Klassik her. Dies gilt auch
für das gewaltige Orgelpunktfinale im 3. Satz,
zu dem Brahms 1866 in seinem Sommerdomizil im Schweizer Hochgebirge inspiriert wurde:
16
„Was ich an Stiefeln in Winterthur und Baden
durchgelaufen, um den berüchtigten Orgelpunkt zu finden, rechne ich nicht.“ Berüchtigt
nannte er diesen Orgelpunkt übrigens deshalb,
weil der Pauker bei einer Voraufführung des
Satzes in Wien sein D doch ein wenig zu beherzt
gewirbelt hatte, so dass sich beim Publikum –
um es in Eduard Hanslicks Worten positiv zu
formulieren – ein Gefühl der „Beklemmung“
eingestellt hatte ... Nach der kontrastierend
lieblichen Insel des vierten und dem in seiner
Schlichtheit anrührenden fünften Satz folgt mit
dem sechsten noch einmal ein groß dimensionierter Satz samt Fuge, bei der sich Brahms
von der Botschaft vom Sieg des Lebens über
den Tod zu einer solchermaßen zum Schluss
fortdrängenden Gestaltung hinreißen ließ, dass
er später scherzhaft kommentierte: „Leider
ist die Fuge in Nr. 6 ein Beweis, daß ich (dem
‚Schwung’ zu Gefallen?) nicht gerade streng
bin.“ – Mit einem nach innen gekehrten letzten
Satz, der wie insbesondere schon der 1. Satz
immer wieder von jenen typisch kirchenmusikalischen, von Brahms so ungemein ergreifend
eingesetzten harmonischen (Quart-)Vorhalten
Gebrauch macht und das Werk auf demjenigen
Klangbild zur Ruhe kommen lässt, von dem
es ausgegangen war, endet das „Deutsche
Requiem“. Wie drückte sich Clara Schumann
einmal so wunderbar aus? „Es ist ein ganz gewaltiges Stück, ergreift den ganzen Menschen
in einer Weise wie wenig anderes. Der tiefe
Ernst, vereint mit allem Zauber der Poesie, wirkt
wunderbar, erschütternd und besänftigend.“
Julius Heile
Johannes Brahms: Ein deutsches Requiem
Gesangstexte
I.
Selig sind, die da Leid tragen,
denn sie sollen getröstet werden.
Matthäus 5, 4
Die mit Tränen säen,
werden mit Freuden ernten.
Sie gehen hin und weinen
und tragen edlen Samen
und kommen mit Freuden
und bringen ihre Garben.
Psalm 125 (126), 5 und 6
II.
Denn alles Fleisch, es ist wie Gras
und alle Herrlichkeit des Menschen
wie des Grases Blumen.
Das Gras ist verdorret
und die Blume abgefallen.
1. Petrus 1, 24
Denn alles Fleisch, es ist wie Gras
und alle Herrlichkeit des Menschen
wie des Grases Blumen.
Das Gras ist verdorret
und die Blume abgefallen.
Aber des Herren Wort bleibet in Ewigkeit.
1. Petrus 1, 24 und 25
Die Erlöseten des Herrn werden wiederkommen
und gen Zion kommen mit Jauchzen;
Freude, ewige Freude,
wird über ihrem Haupte sein;
Freude und Wonne werden sie ergreifen,
und Schmerz und Seufzen wird weg müssen.
Jesaja 35, 10
III.
IV.
Herr, lehre doch mich,
daß ein Ende mit mir haben muß
und mein Leben ein Ziel hat
und ich davon muß.
Siehe, meine Tage sind
einer Hand breit vor Dir,
und mein Leben ist wie nichts vor Dir.
Wie lieblich sind Deine Wohnungen,
Herr Zebaoth!
Meine Seele verlanget und sehnet sich
nach den Vorhöfen des Herrn;
mein Leib und Seele freuen sich
in dem lebendigen Gott.
Wohl denen, die in Deinem Hause wohnen,
die loben Dich immerdar.
Ach wie gar nichts sind alle Menschen,
die doch so sicher leben.
Sie gehen daher wie ein Schemen
und machen ihnen viel vergebliche Unruhe;
sie sammeln und wissen nicht,
wer es kriegen wird.
Nun, Herr, wes soll ich mich trösten?
Ich hoffe auf Dich.
Psalm 38 (39), 5 – 8
Psalm 83 (84), 2, 3 und 5
V.
Ihr habt nun Traurigkeit;
aber ich will euch wiedersehen,
und euer Herz soll sich freuen,
und eure Freude soll niemand von euch nehmen.
Johannes 16, 22
Der Gerechten Seelen sind in Gottes Hand,
und keine Qual rühret sie an.
Weisheit Salomos 3, 1
Ich will euch trösten,
wie einen seine Mutter tröstet.
Jesaja 66, 13
So seid nun geduldig, liebe Brüder,
bis auf die Zukunft des Herrn.
Siehe, ein Ackermann wartet
auf die köstliche Frucht der Erde
und ist geduldig darüber,
bis er empfahe den Morgenregen
und Abendregen.
So seid geduldig.
Sehet mich an: Ich habe eine kleine Zeit
Mühe und Arbeit gehabt
und habe großen Trost gefunden.
Jesus Sirach 51, 35
Jakobus 5, 7
18
19
NDR SINFO NIEO RCHE S T ER
Konzertvorschau
VI.
VII.
NDR SINFONIEORCHSTER
Denn wir haben hie keine bleibende Statt,
sondern die zukünftige suchen wir.
Selig sind die Toten,
die in dem Herrn sterben,
von nun an.
Ja, der Geist spricht,
daß sie ruhen von ihrer Arbeit;
denn ihre Werke folgen ihnen nach.
B3 | Do, 07.11.2013 | 20 Uhr
A3 | So, 10.11.2013 | 11 Uhr
Hamburg, Laeiszhalle
Alan Gilbert Dirigent
Frank Peter Zimmermann Violine
Antonín Dvořák
Violinkonzert a-Moll op. 53
Richard Wagner
Auszüge aus
„Der Ring des Nibelungen“
für Orchester
arrangiert von Alan Gilbert
Hebräer 13, 14
Siehe, ich sage euch ein Geheimnis:
Wir werden nicht alle entschlafen,
wir werden aber alle verwandelt werden;
und dasselbige plötzlich in einem Augenblick,
zu der Zeit der letzten Posaune.
Denn es wird die Posaune schallen,
und die Toten werden auferstehen unverweslich;
und wir werden verwandelt werden.
Dann wird erfüllet werden das Wort,
das geschrieben steht:
Der Tod ist verschlungen in den Sieg.
Tod, wo ist dein Stachel!
Hölle, wo ist dein Sieg!
Offenbarung Johannes 14, 13
C2 | Do, 21.11.2013 | 20 Uhr
D2 | Fr, 22.11.2013 | 20 Uhr
Hamburg, Laeiszhalle
L2 | Sa, 24.11.2013 | 19.30 Uhr
Lübeck, Musik- und Kongresshalle
Herbert Blomstedt Dirigent
Piotr Anderszewski Klavier
Wolfgang Amadeus Mozart
Klavierkonzert C-Dur KV 503
Wilhelm Stenhammar
Sinfonie Nr. 2 g-Moll op. 34
Einführungsveranstaltungen:
21.11.2013 | 19 Uhr
22.11.2013 | 19 Uhr
Einführungsveranstaltung:
07.11.2013 | 19 Uhr
1 Korinther 15, 51, 52, 54, 55
Herr, Du bist würdig
zu nehmen Preis und Ehre und Kraft,
denn Du hast alle Dinge erschaffen,
und durch Deinen Willen haben sie das Wesen
und sind geschaffen.
Piotr Anderszewski
Frank Peter Zimmermann
Offenbarung Johannes 4, 11
20
21
NDR SINFO NIEO RCHE S T ER
Impressum
Saison 2013 / 2014
KAMMERKONZERT
NDR CHOR
NDR DAS NEUE WERK
Di, 29.10.2013 | 20 Uhr
Hamburg, Rolf-Liebermann-Studio
QUINTETT À LA CARTE
Daniel Tomann Flöte
Beate Aanderud Oboe
Gaspare Buonomano Klarinette
Sonja Bieselt Fagott
Dave Claessen Horn
Nobue Ito Klavier
Werke von
Ferenc Farkas
Paul Hindemith
Luciano Berio
Joseph Haydn
Jacques Ibert
Francis Poulenc
Abo-Konzert 2
So, 10.11.2013 | 18 Uhr
Hamburg, St. Nikolai am Klosterstern
SILENTIUM
Philipp Ahmann Dirigent
Julian Prégardien Tenor
Miljenko Turk Bariton
Ensemble Resonanz
Arvo Pärt
Cantus in Memoriam Benjamin Britten
Berliner Messe
Benjamin Britten
Hymn to St. Cecilia
Cantata Misericordium
Fr, 15.11.2013 | 20 Uhr
Hamburg, Rolf-Liebermann-Studio
NDR Sinfonieorchester
Alejo Pérez Dirigent
Adrian Brendel Violoncello
York Höller
· „Sphären“
für Orchester und Live-Elektronik
· Konzert für Violoncello
und Orchester
(UA, Auftragswerk des NDR)
Bernd Alois Zimmermann
„Canto di speranza“ –
Kantate für Violoncello und
kleines Orchester
Nachholtermin für das in der Saison 2012/2013
entfallene Konzert
NDR FAMILIENKONZERT
Sa, 02.11.2013 | 14.30 + 16.30 Uhr
Hamburg, Rolf-Liebermann-Studio
FELIX UND FANNY AUF REISEN
Ein Musiktheaterstück rund um die
Geschwister Mendelssohn
Jörg Schade als Felix
Melanie Spitau (Sopran) als Fanny
Mitglieder des NDR Sinfonieorchesters
Arrangement: Andreas N. Tarkmann
Inszenierung: Jörg Schade
ab 6 Jahren
22
Herausgegeben vom
NORDDEUTSCHEN RUNDFUNK
PROGRAMMDIREKTION HÖRFUNK
BEREICH ORCHESTER UND CHOR
Leitung: Rolf Beck
Redaktion Sinfonieorchester:
Achim Dobschall
Redaktion des Programmheftes:
Julius Heile
Der Einführungstext von Julius Heile
ist ein Originalbeitrag für den NDR.
Fotos:
Gunter Gluecklich (S. 4)
Monika Rittershaus (S. 5)
akg-images (S. 9, S. 14, S. 15)
akg-images | RIA Nowosti (S. 11)
culture-image | Lebrecht (S. 16)
Franz Hamm (S. 21 links)
Sheila Rock | Virgin Classics (S. 21 rechts)
Michael Müller | NDR (S.22)
Hanne Engwald (S. 23)
NDR | Markendesign
Gestaltung: Klasse 3b, Hamburg
Litho: Otterbach Medien KG GmbH & Co.
Druck: Nehr & Co. GmbH
Philipp Ahmann
York Höller
Nachdruck, auch auszugsweise,
nur mit Genehmigung des NDR gestattet.
Karten im NDR Ticketshop im Levantehaus,
Tel. (040) 44 192 192, online unter ndrticketshop.de
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