Lärm und die Folgen RATGEBER 12 DSB-Ratgeber 12 Lärm und die Folgen Eine Information für alle 4. Auflage 2016 Autoren: Dipl.-Ing. Rolf Erdmann, Dipl.-Bibl. Irmgard Schauffler unter Mitarbeit von Carsten Ruhe. Vorwort: Karl-Heinz Steber Bearbeitung: Dipl.-Bibl. Irmgard Schauffler Herausgeber: Deutscher Schwerhörigenbund e.V. Sophie-Charlotten-Str. 23a 14059 Berlin Tel.: 030 / 47 54 11 14, Fax: 030 / 47 54 11 16 [email protected] http://www.schwerhoerigen-netz.de Über diesen Ratgeber Nach wie vor herrscht die Meinung, Schwerhörigkeit sei ein Attribut des Alters, mit dem man heute durchaus leben könne. Insbesondere junge Menschen stehen der Schwerhörigkeit arglos gegenüber, denn bis es „soweit“ sei, so denken sie, es sei ja noch eine lange Zeit und schließlich sei die Technik heute so ausgereift, dass man bei entsprechender Versorgung „wieder alles hören könne“. Schuld daran ist nicht nur die Werbung sondern sicherlich auch der Mangel an Aufklärung. Und dazu gehört vor allem der Lärm. Seit Jahren steht der Lärmschaden in der Liste der anerkannten Berufskrankheiten an erster Stelle. Die Berufsgenossenschaften haben deshalb einschneidende Vorschriften zur Bekämpfung dieser Erkrankungen erlassen – wohl wissend, dass deren Folgen weitaus gravierender sind, als allgemein angenommen wird. Lärmschutz ist daher in vielen Betrieben das oberste Gebot. Doch nicht nur bei Arbeiten an und mit lärmintensiven Maschinen und Geräten ist die Gefahr der Hörschädigung so immens groß; wir wissen inzwischen sehr genau, dass der ständige Einfluss der zunehmenden Umweltgeräusche, sei es in geschlossenen Räumen oder im Verkehr, von großer Bedeutung ist. Und diese Auswirkungen lassen sich leider nicht immer messen und in exakten Zahlen darstellen. Bei Schwerhörigkeit ist aber nicht nur eine mögliche Erscheinung im Alter. Wir wissen inzwischen sehr genau, dass auch andere Faktoren Hörbeeinträchtigungen unterschiedlicher Art und Schwere verursachen können. Dazu gehören Krankheiten - nicht nur der Hörorgane - sowie insbesondere auch äußere, umweltbedingte Einflüsse. 1 der Anerkennung eines Gehörschadens als Berufskrankheit wird bereits das Freizeitverhalten als mögliche Mitursache berücksichtigt. Hörsturz enden, die Gefahr einer Schädigung liegt vielmehr in der permanenten Überbeanspruchung des Gehörs. Alarmierend ist die deutliche Zunahme der Hörminderung bei Kindern und Jugendlichen, wie bei Schuluntersuchungen festgestellt wurde. Und diese Entwicklung ist leider progressiv. Hierbei spielt die ständige Berieselung durch Musik, insbesondere die direkte durch MP3- oder CD-Player, i-Pods usw. eine große Rolle. Aber auch der Besuch in Discos stellt eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die Ohren dar. Dabei muss ein solcher Besuch nicht unbedingt mit einem Wenn man bedenkt, dass das Ohr Tag und Nacht in Betrieb ist (es dient ja schließlich auch als Warnfunktion), es somit auch nicht „abschaltbar“ ist, dann müsste es eigentlich jedem klar sein, dass es in besonderem Maße der Rücksichtnahme bedarf. Wenn man ferner bedenkt, wie sensibel dieses Organ in jeder Beziehung ist, im Aufbau wie in den Funktionen, dann sollte man es hüten wie seinen Augapfel - und vor Lärm schützen. 2 Inhalt 1. Medizinisch-physikalische Aspekte ............................ 5 Ein Schall erreicht das Ohr ..................................................... 5 Was ist Schall, Geräusch, Lärm?............................................ 7 Wie wird Lärm empfunden? .................................................... 9 Was passiert bei Schädigung durch Lärm? .......................... 10 Schadet es den Ohren, Hörgeräte zu tragen? ...................... 15 2. Raumakustik ............................................................... 17 3. Wie kann man sich gegen Lärmschwerhörigkeit schützen? .................................................................... 19 4. Auswirkungen einer Lärmschwerhörigkeit .............. 22 5. Vorschriften und Richtlinien ...................................... 24 Anhang: Literatur in Auswahl .......................................... 26 3 4 1. Medizinisch-physikalische Aspekte der informatorisch wichtigeren oberen Frequenzen abgeschwächt werden. Dies dient als eine Art Lausch-Hilfe und ist kein „Gehörschutzreflex“. Ein Schall erreicht das Ohr Vom Schallreiz zum Höreindruck Alle Töne und Geräusche, die wir hören, breiten sich in Form von Druckschwankungen in der Luft als Schallwellen aus. Diese Schallwellen werden von der Ohrmuschel aufgefangen und in den Gehörgang geleitet. Dabei wird das Klangbild so verändert, dass ein Heraushören von Sprache aus Umgebungsgeräuschen möglich ist. Die Schallwellen erreichen das Ende des 2,5 cm langen Gehörgangs und bewirken Vibrationen des Trommelfells. Die Gehörknöchelchen verbinden das Trommelfell mit dem ovalen Fenster. Die vorverarbeiteten Schallschwingungen werden in winzige Stampf- und Kippbewegungen der Steigbügel-Fußplatte, die elastisch ins ovale Fenster des flüssigkeitsgefüllten Innenohres eingelassen ist, umgesetzt. Das Innenohr ähnelt einem Schneckenhaus mit 2 ½ Windungen und ist etwa erbsengroß. Es ist das eigentliche Sinnesorgan und wird als „Hörschnecke“ - medizinisch „Cochlea“ - bezeichnet. Sie enthält zwei unterschiedliche Flüssigkeiten, die Perilymphe (= Flüssigkeit zwischen dem häutigen und dem knöchernen Anteil des Innenohres) und die Endolymphe (= Flüssigkeit im häutigen Anteil des Innenohres), Die so entstandenen Schwingungen werden von den Gehörknöchelchen im Mittelohr (Hammer, Amboss, Steigbügel) um mehr als das 20-fache verstärkt. Gleichzeitig können tiefe Frequenzen durch Zusammenziehung des Steigbügelmuskels (der sogenannte akustische Stapediusreflex) zugunsten 5 die durch eine Membran voneinander getrennt sind. Das Cortische Organ mit etwa 30.000 Hörsinneszellen (Haarzellen) befindet sich im Endolympheschlauch. Wenn die Schallwelle die Endolymphe durchläuft, werden die Haarzellen hin und her bewegt und gebogen. Die mechanischen Schwingungen in der Endolymphe werden von den Haarzellen in elektrische Signale umgesetzt und auf die Endungen der Hörnervenfasern übertragen. äußeren Haarzellen vorbereitete Erregung in den Hörnerv ein. Der Hörnerv wiederum verschlüsselt die elektrischen Impulse und leitet sie an das Gehirn weiter. Erst im Gehirn wird Hören bewusst. Definitionen im Hörbereich des Menschen Frequenz bedeutet „Häufigkeit“. Sie bestimmt die Tonhöhe. Impulse, Geräusche und Knall sind aus vielen, teilweise unreinen Tönen zusammengesetzt, hingegen Klänge aus mehreren reinen Tönen (= Sinustöne). Will man die Frequenzzusammensetzung eines Schallvorgangs darstellen, so bildet sich ein sogenanntes Schallspektrum. Die Haarzellen sind die empfindlichsten Mechanorezeptoren (Rezeptoren = reizaufnehmende Zellen) unseres Organismus. Es gibt zwei Arten, die nach ihrer Lage in der Hörschnecke als „äußere“ und „innere“ Haarzellen unterschieden werden. Sie haben verschiedene Aufgaben. Die äußeren Haarzellen (etwa 13.000 bis 18.000 je Ohr) dienen als Vorverstärker, d. h. sie verstärken und verschärfen die Wirkung der Wellenbewegungen. Erst hierdurch werden die Schwingungsvorgänge für die inneren Haarzellen verwertbar. Die Stärke eines Schallreizes und Lautstärke eines Schallsignals wird durch den Schallpegel mit dem Maß Dezibel (dB) angegeben. Um Lärm (relativ) objektiv messen und exakte Aussagen über die zu erwartenden Auswirkungen machen zu können, wurde ein sogenannter frequenzbewerteter Schallpegel mit der Maßeinheit dB(A) Die inneren Haarzellen – nur etwa 3.500 je Ohr – sind die eigentlichen „Hörzellen“. Sie geben ihre von den 6 entwickelt. Man versucht, mit einer technisch relativ einfach herstellbaren Filterkurve, der ABewertungskurve, die unterschiedliche Empfindlichkeit des menschlichen Gehörs bei verschiedenen Tonhöhen nachzubilden. Bei etwa 120 dB(A) liegt die Schmerzgrenze, und Geräusche mit 120 dB(A) und insbesondere kurzzeitige und deshalb nicht in voller Höhe wahrnehmbare Impulse über 140 dB(AI) können das Gehör unwiderruflich schädigen. mit einer Grundfrequenz von etwa 100 bis 400 Hz, ein Sopran mit etwa 200 bis 800 Hz. Die höchsten (gegriffenen) Töne der Violine liegen etwa bei 2000 Hz; hinzu kommen dann noch die Obertöne in harmonischer Reihenfolge. Ein Geräusch ist ein Schall, der aus mehreren verschiedenen unharmonisch gemischten Einzeltönen besteht. Unter Lärm werden weitgehend Schallereignisse verstanden, die einen Empfänger erreichen und deren Wirkungen sich negativ auf dessen körperlichen Zustand auswirken können. Es ist nicht nur das physikalische Schallereignis selbst, sondern auch die Umstände, in denen sich die Person befindet, sind für die Empfindung einer Lärmeinwirkung verantwortlich. Heute gehört der Umweltfaktor Lärm zu den primären Umweltbelastungen. Was ist Schall, Geräusch, Lärm? Als Schall werden Druckänderungen in der Luft (oder einem anderen Medium) bezeichnet, die sich in Form einer Schallwelle allseitig ausbreiten. Die Anzahl der Druckänderungen pro Sekunde wird „Frequenz“ des Schalls genannt, die Einheit hierfür wurde als „Hertz“ (1 Hertz, abgekürzt Hz = 1 Schwingung pro Sekunde) festgelegt. Der hörgesunde Mensch kann einen Bereich von 20 Hz (sehr tiefe Töne) bis 20.000 Hz (sehr hohe Töne) hören. Im Alter nimmt dieser Frequenzbereich ab. Ein Bass singt Es gibt unterschiedliche Lärm- und Geräuscharten: A Dauerlärm. Dauergeräusche verändern sich nicht. B Bei Impulslärm, bei Geräuschen, die sehr schnell einen hohen 7 Schallpegel erreichen und extrem kurz sind, wirkt in einem sehr kurzen Zeitraum eine enorme Energie auf das Ohr ein. Diese Impulsschallereignisse mit sehr kurzer Dauer und recht großer Stärke werden oft gar nicht so laut gehört und sind gerade deshalb besonders gefährlich. Bei Impulslärm, wie z. B. durch Pistolen verursacht, werden Sinneshärchen geschädigt. Weitere Beispiele: Feuerwerkskörper, Quietschenten, Knackfrösche, Spielzeugpistolen, Schießsport, Explosionen, Anlaufen von vor allem Flugzeug-Motoren, Sirenen. Verkehrsgeräusche. Diese sind bei uns die Hauptquellen des Umgebungslärms. Straßenverkehr Schienenverkehr Flugverkehr Industrie-, Gewerbe- und Baulärm Kindergarten, Schule Wohn- und Freizeitlärm Häuslicher Bereich (Fernseher, Radio, Heimwerkstatt, Hausmusik, Rasenmäher) Sportstadien, Rockkonzerte, Diskotheken, MP3-Player Kinderspielplätze, Ferienlager Schwimmbäder. Besonders risikoreich sind Impulsschallbelastungen in der metallverarbeitenden Industrie, bei der Bundeswehr, der Polizei mit ihren Schießübungen. Was ist wie laut? In der Welt des Menschen Düsenflugzeug Voll aufgedrehter MP3-Player Gummiente am Kinderohr Spielzeugpistole (125 dB) Spielzeugmikrofon (2,5 cm von Ohr entfernt 122 dB) Spielzeughandy (125 dB) Presslufthammer, MP3-Player LKW-Motor Kreissäge Laute Disco (105 C Bei einem schwankenden Geräusch ändert sich die Frequenz und/oder der Schallpegel. D Beim intermittierenden Geräusch erfolgt die ständige Schaltung zwischen verschiedenen Geräuschen und/oder mit Pausen. Geräuschquellen sind: 8 dB (A) 130 In der natürlichen Umwelt Vulkanausbruch 120 110 Orkan 100 Sturm dB) Rock-Konzert Vorbeifahrt eines ICE „Leiser“ MP3Player (95 dB) Spielzeugmikrofon (25 cm vom Ohr entfernt 93 dB) Hauptverkehrsstraße Pause im Schulhof Kindergarten Spielstraße „Ruhige“ Schulklasse Leise Radiomusik Kühlschrank 90 80 70 60 50 40 Flüstern Ticken einer Uhr 30 20 „Stille“ 10 weil Lärm nicht nur zugefügt, sondern auch selbst gemacht wird, weil der „Lärmende“ sich nicht unbedingt als gestört oder gar geschädigt sieht, sondern Freude am eigenen Lärmen hat. Gewitter Gebirgsfluss Unsere Gesellschaft hat leider ein völlig unterentwickeltes Gespür für Lärm und seine Folgen für das Gehör. Damit wir kein Volk der Schwerhörigen werden, muss unbedingt ein neues Lärmbewusstsein entwickelt werden. Dies betrifft ganz besonders junge Menschen, die oft viel zu sorglos mit ihrem Gehör umgehen. (Siehe Kapitel 3.) Normales Gespräch Vogelgezwitscher Leichter Wind Blätterrauschen Normales Atmen Wie wird Lärm empfunden? Die Tageszeit kann das Lärmempfinden sehr beeinflussen: Nachts wird Lärm viel störender empfunden als tagsüber. Plötzlich auftretender lauter Lärm wie etwa durch Tiefflieger kann erhebliche Schreckreaktionen, besonders bei Kindern, auslösen. Lärm wird oft unterschiedlich empfunden: Selbst erzeugter Lärm stört nicht so sehr wie der, den andere produzieren. Unser Lärmbewusstsein mehr geschärft werden, muss Aus der Sicht der Lärmforschung stellt ein Schallpegel bis 85 dB(A) bei einer Einwirkdauer bis zu 8 Stunden keine Gefahr dar. Bei einer Erhöhung des Schallpegels um weil Lärm nicht nur ein objektives akustisches Ereignis ist, sondern auch eine Form subjektiver Belästigung, Störung oder gar Schädigung, 9 3 dB(A) halbiert sich die zulässige Einwirkungsdauer. eine akute Gefahr für die Hörfähigkeit. Das bedeutet: Ein Schallpegel von 88 dB(A) ist nur 4 Stunden am Tag gefahrlos hinnehmbar, während ein Schallpegel von 100 dB(A) - das entspricht der Lautstärke in Discos oder bei Rock-Konzerten - nur maximal 15 Minuten am Tag gefahrlos überstanden werden kann (siehe Tabelle). Beurteilungspegel in dB(A) Zulässige Stunden Einwirkdauer in 85 88 8 4 Was passiert bei Schädigung durch Lärm? 1. Lärmschwerhörigkeit Um es vorweg zu nehmen: Lärmschwerhörigkeit ist UNHEILBAR! Die Hörschwelle ist derjenige Schalldruck bzw. Schalldruckpegel, bei dem unser Gehör Töne oder Geräusche gerade noch wahrnimmt. Bei starken Schallbelastungen auf das Gehör, die aber noch unterhalb von kritischen Werten sind, kann eine vorübergehende Hörschwellenverschiebung stattfinden. Das bedeutet, dass die Ohren durch den Lärm vertaubt sind und man eine Zeit lang das Gefühl hat, schlechter zu hören. Dies kann auch einhergehen mit der Empfindung eines vorübergehenden Ohrgeräusches und/oder Schwindels. Die Hörschwelle verschiebt sich nach einer Ruhepause wieder auf das normale Niveau zurück. Anders ausgedrückt: 40 Stunden Arbeit bei 85 dB(A) (Beginn des Risikos für Lärmschwerhörigkeit) pro Woche schädigen ebenso wie 4 Stunden Aufenthalt pro Woche in einer gar nicht so „lauten“ Disco mit 95 dB(A). In einer lauten Disco aber ist diese Schädigungsgrenze bereits nach 24 Minuten erreicht. Bei einem Schallpegel von 120 dB(A) beginnt beim Menschen die Schmerzschwelle, bei der die Ohren schmerzen, und es besteht Eine permanente Hörschwellenverschiebung entsteht, wenn diese Ruhepause vor der nächsten 10 Lärmeinwirkung von zu kurzer Dauer ist oder die Schallereignisse einen kritischen Wert überstiegen haben. Infolge eines chronischen Stoffwechseldefizites mit Sauerstoffverlust im Innenohr können die Haarzellen absterben. Dies beginnt meist in jenem Bereich der Cochlea, in der hohe Töne zwischen 4.000 und 6.000 Hz (HochtonVerlust) verarbeitet werden. So entsteht die Lärmschwerhörigkeit. Dies ist der Frequenzbereich, in welchem das gesunde Ohr besonders sensibel ist. Unsere frühen Vorfahren waren auf die Warnfunktion beim Rascheln von Blättern oder Knacken von Ästen angewiesen. nur mit einer audiometrischen Untersuchung beim HNO-Arzt messbar. Wenn Haarzellen in bestimmten Frequenzbereichen ausgefallen sind, können diese Frequenzen auch mit Hörgeräten nicht mehr gehört werden. Hörgeräte können lediglich jene Frequenzen verstärken, deren zugehörige Hörzellen im Innenohr noch funktionsfähig sind. Die dann auftretenden VerstehSchwierigkeiten kann man sich anhand des folgenden Satzes, in dem die stimmlosen hochfrequenten Konsonanten fehlen, vorstellen: „Di on-onan-en in in-orma-ion-räger e a-e.“ Zunächst ist der Hochton-Verlust kaum spürbar, da er sich meist nur langsam fortentwickelt. Daher wird die Wahrnehmung von Geräuschen, das Hören von Musik und das Sprachverstehen vorerst kaum spürbar beeinträchtigt. Weder der Betroffene noch sein Umfeld bemerken etwas von dem beginnenden Hörverlust. Wenn er die Beeinträchtigung jedoch als solche wahrnimmt, ist es für eine Behandlung in der Regel zu spät. Der Beginn einer Lärmschwerhörigkeit ist Der Satz lautet: „Ohne die hochfrequenten Konsonanten ist der Satz völlig unverständlich“. Leider werden schon bei vielen jungen Menschen messbare Hörschäden festgestellt. Auslöser dieser Lärmschwerhörigkeiten sind zu laut eingestellte MP3-Player, zu häufige und lang dauernde Besuche überlauter Discos und RockKonzerte. 11 In Deutschland sind derzeit etwa 5 Millionen Menschen während der Arbeit gehörschädigendem Lärm oberhalb von 85 dB(A) ausgesetzt. 3. Tinnitus Es werden Geräusche „gehört“, ohne dass ein Schallreiz an sich das Gehör erreichte. Der Tinnitus lässt sich u. a. auf die Schädigung der Haarzellen zurückführen, aber die genauen Ursachen von Tinnitus sind wissenschaftlich noch weitgehend ungeklärt. Mit Tinnitus ist nicht unbedingt eine Schwerhörigkeit verbunden, d. h. der Betroffene hört nicht schlechter. Aber die oft permanenten Geräusche führen häufig zu Depressionen, Stress, Schlafstörungen und unter Umständen zu Verstehensproblemen. (s. auch DSB-Ratgeber Nr. 9.) Lärmschwerhörigkeit ist die am häufigsten anerkannte Berufskrankheit (knapp 40% aller gemeldeten Fälle, Stand 2004). Das betrifft insbesondere die Menschen, die unter Impulsschall leiden (s. o.) und die Menschen, die mit Maschinen zu arbeiten haben. Auch Musiker sind häufig Lärmspitzen bis zu 90 oder gar 110 dB(A) ausgesetzt. 2. Hyperacusis Dies ist eine Form der Geräuschempfindlichkeit, bei der laute Geräusche, die an sich nicht gehörschädigend sind, Erregungen, Ängste und kurzzeitige Verstärkungen von Ohrgeräuschen hervorrufen. Es handelt sich also um eine Überempfindlichkeit gegenüber bestimmten Geräuschen. 4. Vegetative Lärmschädigung Diese Schäden äußern sich in Form von Bluthochdruck, Beschleunigung der Herzfrequenz, Erweiterung der Pupillen, Stoffwechselreaktionen, Verengung der Blutgefäße, Nervosität. Durch die Verzerrung hört man hohe Töne sehr schrill und tiefe Töne unangenehm dröhnend. Hohe Töne führen zu Kopf-, Nacken- und Schulterschmerzen. Tiefe Töne können Verdauungsstörungen und Magenerkrankungen hervorrufen. 12 5. Psychosoziale Auswirkungen durch Lärmeinwirkung herabgesetzt, trächtigt. A Schlafstörungen. Häufige Lärmemissionen können sich bei Kindern schädlich hinsichtlich der geistigen Entwicklung und der Gesundheit auswirken. Dann sind Schüler für schwere Aufgaben nicht mehr so leicht zu motivieren, und sie geben früher auf. Daraus entstehende Verhaltensmuster sind Passivität und Teilnahmslosigkeit. Erhebliche Auswirkungen hat Umweltlärm, wenn dadurch der nächtliche Schlaf gestört wird. Da das Gehör auch im Schlaf aktiv ist, ergeben sich ab einem gewissen Lärmpegel Aufwachreaktionen, die sich negativ auf die Leistungs-, Reaktions- und Konzentrationsfähigkeit auswirken. Dadurch sind größere Anstrengungen erforderlich, damit das Gehör die normale Leistung erbringen kann. Sind die Schlafstörungen durch Lärm länger andauernd, können sich bleibende Gesundheitsstörungen und Stimmungsveränderungen einstellen. Kreativität beein- C Kommunikationsstörungen. Sie hängen von mehreren Faktoren ab. Solange die Umweltgeräusche 10 dB unter der Gesprächslautstärke liegen, beeinträchtigen sie das Gespräch (bei normal Hörenden) nicht. Die lärmbedingte Störung ist abhängig von den Pegeldifferenzen und Frequenzspektren, zusätzlich jedoch auch von der Entfernung der Gesprächspartner, dem Informationsgehalt des Gespräches, der Verstehensfähigkeit des Hörers, dem Sichtkontakt usw. B Leistungsstörungen. Sie sind unabhängig von der Art des Schallreizes. Intermittierende Pegelschwankungen (s. o.), besonders hohe Tonhöhen oder Geräusche stören den Arbeits- und Lernvorgang. Auf Dauer bewirkt die Lärmeinwirkung niedrigere Konzentrationsfähigkeit, gesenkte Belastbarkeit und Ermüdung. Die geistige Leistungsfähigkeit wird D Wirtschaftliche Folgen. In Straßenzügen mit hohem Lärmaufkommen sinkt der Wert der dortigen Häuser (festgestelltes Maß: 13 Minderung 5% pro zusätzlichem dB Lärmbelastung). uns sprechen oder verärgert. Das beeinflusst uns, unser Denken, unser Fühlen, unser Handeln und Nicht-Handeln, motiviert oder demotiviert. Freude - Trauer, Erschrecken, Erkennen von Warnrufen und Signalen aller Art, Angstabwehr, alles wird im Wesentlichen über das Ohr vermittelt und hervorgerufen. E Psychosoziale Folgen, Psychologie. Arbeitspsychologen sagen mit Recht: Geräusche werden vor allem dann als störender Lärm empfunden, wenn sie als vermeidbar oder nicht sinnvoll erlebt werden. Daher geht das psychologische Lärmverständnis von der Erfahrung derjenigen aus, die Lärm ausgesetzt sind und/oder darunter leiden. Subjektiv kann sowohl Lärm als auch Nicht-Lärm („bedrohliche Stille“) als störend empfunden werden. Lärm verändert die Gefühlswelt und ist daher nicht nur eine Umweltverschmutzung, sondern auch eine ganz wesentliche „InnenweltVerschmutzung“. Lärm vermindert Kontakt- und Hilfsbereitschaft. Das ist schon bei den Kindern im lauten Kindergarten- und Schulalltag festzustellen. Und Arbeitnehmer an LärmArbeitsplätzen können Tag für Tag nicht miteinander kommunizieren. Auch in Wohnheimen ist es meist so laut, dass keine Kommunikation untereinander möglich ist. Alle Menschen, denen Lärm weniger ausmacht (z. B. Bauarbeiter, die Gehörschutz ablehnen, oder Menschen, die Autorennen oder Discos aufsuchen), müssen wissen, dass sie ihr Gehör auch dann schädigen, wenn ihnen Lärm im Moment nichts auszumachen scheint, oder sie sich sogar an sehr lauter Musik erfreuen. Lärm vermindert die Lebensqualität z. B. in Flughafengebieten oder bei nahe gelegenen Eisenbahnstrecken oder Autobahnen. „Musik spiegelt die Seele“ heißt es. Über das Ohr, über das Gehirn werden Stimmungen, Gefühle erzeugt. Wir nehmen wahr, ob unsere Gesprächspartner freundlich mit Es kommt zu sozialen Veränderungen: Niedrig Verdienende werden 14 in besonders lärmbelastete Gegenden abgedrängt. Es gibt sogar neuerdings den Tipp, bei Hörproblemen einfach einen Ohrstöpsel ins Ohr zu stecken und auf Hörgeräte zu verzichten. Fachleute bezeichnen diesen Tipp als „Steinzeit-Medizin“. Die Technologie von Hörsystemen ist heute so weit entwickelt, dass Höreinbuße bestmöglich und individuell ausgeglichen werden kann. Den Patienten stehen Hörsysteme zur Verfügung, die eine differenzierte Schallverarbeitung bieten. Sie stellen sich auf unterschiedliche Hörsituationen ein und unterdrücken belastenden Störlärm. Wirkungsvolle Lautstärkebegrenzungen gewährleisten zudem vollen Schutz vor starken akustischen Reizen. Lärm kann als Mittel der Aggression eingesetzt werden. Schadet es den Ohren, Hörgeräte zu tragen? Leider gibt es viele Menschen, die sich davor scheuen, ihre Hörgeräte zu benutzen. Sie meinen, das ständige Tragen beanspruche die Hörnerven zu sehr. So ist dies nicht richtig. Das normale Ohr ist ja auch immer in Funktion, wird Tag und Nacht nicht abgeschaltet, kommt nie zur Ruhe. Das ist „natürlich“. Andererseits ist zu bedenken, dass Hörgeräte die Töne in einer unnatürlich hohen und dauerhaft wirkenden Lautstärke auf Trommelfell, Hammer/Amboss/Steigbügel und die Cochlea übertragen. Jedoch verfügen Hörgeräte seit langem über entsprechende automatisch wirkende Begrenzer, die eine Verstärkung über die Schädigungsschwelle hinaus ausschließen. Lediglich Hörgeräte der ersten Generation bis etwa 1980 können evtl. eine Lärmschädigung bewirkt haben. Das bedeutet: Hörgeräte, die fachgerecht angepasst und richtig eingestellt sind, schaden keineswegs. Sie sind für den Hörbehinderten unverzichtbar (s. auch Kapitel 4). Um Missverständnissen vorzubeugen: Auch die besten Hörgeräte sind nicht in der Lage, einem Hörgeschädigten das normale Hören zurück zu geben! Vor zu hohen Erwartungen an Hörgeräte muss daher gewarnt werden. Aber andererseits sind Hörgeräte unverzichtbare technische Wunderwerke. 15 16 2. Raumakustik als „Nachhall“. Dieser führt zu erheblich erhöhten Schallpegeln z. B. am Arbeitsplatz. Bis zu einer Entfernung von 60 cm wird die Sprache vom Menschen direkt wahrgenommen. Bei größeren Entfernungen ist sie zunehmend verhallt und abhängig von der Raumakustik. Besonders wichtig ist es, schon in Kindertagesstätten, Kindergärten, Schulen für eine gute Raumakustik zu sorgen. Seit 1962 gibt es die Norm DIN 4109 „Schallschutz im Hochbau“, die z. B. auch für Schulbauten gilt. Sie bezieht sich aber nicht auf die Raumakustik. Diese Raumakustik hängt ab von den Wänden eines Raumes, Boden, Decke, sowie von den in diesem Raum befindlichen Menschen und Gegenständen. Als Raumrückwirkung bezeichnet man die Verstärkung des Schallpegels durch Reflexionen von Wänden, Decke und Fußboden. Sie ist abhängig von Form und Größe des Raumes, sowie von den verwendeten Materialien, aus denen Decke und Wände bestehen. In diesem Zusammenhang weisen wir auf die DIN 18041 „Hörsamkeit in kleinen bis mittelgroßen Räumen“ hin, die wichtige Hinweise für die akustische Planung und dadurch erzielbare Sprachverständlichkeit enthält. Die erste Normfassung wurde bereits 1968 veröffentlicht, die neueste stammt aus dem Jahr 2004. Sind die Räume niedrig und der Boden, die Wände sowie die Decke aus schallhartem Material, werden die Schallwellen fast ungeschwächt in den Raum reflektiert. Die Überlagerung der vielen kurzfristig auftretenden Echos bezeichnet man Eben da muss angesetzt werden, die Akustik und Schalldämmung zu verbessern. Allein in leeren Unterrichtsräumen wurden schon 45 dB(A) gemessen und in Räumen 17 mit Schülern ab 65 bis über 80 dB(A). Kinder reagieren auf Nachhallzeiten empfindlicher als Erwachsene. dürfen. Z. B. die Lese- und Rechtschreibschwächen (zentralauditive Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörungen) könnten mit guten schulischen Bedingungen, angefangen mit optimaler Raumakustik, eingeschränkt werden. Gerade schon in den Kindergärten und Schulen werden Räume benötigt, die Schall absorbieren. Damit werden die äußeren Bedingungen verbessert und der Einzelne bekommt mehr Lärmbewusstsein. Insbesondere Kinder mit Hörstörungen werden durch eine schlechte Raumakustik im Lernen und in ihrer Entwicklung beeinträchtigt. Mit und durch Lärm wird die Effektivität des Schulunterrichts deutlich eingeschränkt. Die Folgen sind: Vor allem die Schüler in den ersten beiden Klassen sind in hohem Maße auf die Zuwendung des Lehrers angewiesen, also auf die verbale Rückkopplung. Das Anschreiben an die Tafel und Bücher helfen da noch nicht viel. Die Lehrkräfte sind ein Erwerbsleben lang Lärmpegeln ausgesetzt, die allmählich an ihren Nerven zehren. Die schlechte Akustik der Räume gibt ihnen oft keine adäquate akustische Rückmeldung, sie ermüdet, lässt ablenken und macht reizbar. Auch Stimmbanderkrankungen sind bei Lehrern besonders häufig. Kinder mit Migrationshintergrund haben dieselben Schwierigkeiten wie hörgeschädigte Kinder. Sie haben häufig ihren ersten Kontakt zur deutschen Sprache erst im Kindergarten oder in der Grundschule. Die Schüler sind etwa 10 000 Stunden ihres Lebens einer verlärmten Schule ausgesetzt. Wie sollen sie da ein Lärmbewusstsein entwickeln? Auf die DIN 18040 „Barrierefreies Bauen“ wird hingewiesen. Darin sind u. a. zahlreiche bauliche Maßnahmen für hörgeschädigte Menschen aufgeführt. Besonders gefährdet sind die Kinder, die besonderer Förderung be- 18 3. Wie kann man sich gegen Lärmschwerhörigkeit schützen? An erster Stelle ist die bessere Information der Bevölkerung, vor allem der jungen Leute, über die Gefahren von Lärm zu nennen. Es muss ein Lärmbewusstsein geschaffen werden. bald dies die Erzieherin oder der Lehrer tut. Immer helfen kleine Bewegungs-, Lockerungs- und RuheÜbungen. Im Kindergarten etwa hilft es auch, wen der Erzieher mit dem aggressiv lärmenden Kind aus dem Raum geht und sich ganz allein dem Kind zuwendet. Für eine ganze lärmende Klasse dient eine Gruppenarbeit als Ablenkung. Aber auch in weiterführenden Schulen sollte es regelmäßig aktive Unterrichtung zum Thema Lärm geben, etwa durch entsprechende Unterrichtsprojekte. Hierzu gibt es ausgezeichnete Unterrichtsmaterialien und sonstige Literatur für den Alltag des Menschen (siehe auch Anhang). Der Deutsche Schwerhörigenbund e. V. ist bereit, Hilfestellung zu leisten. Lärm zählt heute neben den Allergien zu den wichtigsten Themen des gesundheitlichen Umweltschutzes. Sinnvoll ist es, schon bei Kindern im Kindergarten und in der Grundschule im Rahmen der Gesundheitserziehung und Gesundheitsförderung das Thema Lärm zu behandeln. So können Grundlagen zu einer neuen Einstellung zu Lärmvermeidung gelegt und gefestigt werden. Im Kindergarten und in der Grundschule können zur Lärmminderung Vereinbarungen getroffen werden, bei denen mimisch mehr Ruhe eingefordert wird. Z. B. legen alle den Finger auf den Mund, so- Entscheidend ist die Kooperation zwischen Erziehern/Lehrern und Eltern. Das Wichtigste aber ist das 19 Vorbild zuhause, das Verhalten der Eltern. Läuft den ganzen Tag das Radio oder der Fernseher? Telefonieren die Eltern mit voller Lautstärke, lassen sie die Türen offen stehen, wenn sie die Waschmaschine und andere Geräte betätigen und wenn musiziert wird? Ist im Hobbyraum Schallschutz und tragen die Eltern beim Rasenmähen Gehörschutz? Schon das Verhalten zuhause prägt die Kinder und schult das Lärmbewusstsein – oder auch nicht! der Lehrer, Eltern und Schüler gefragt, indem sie selbst die Räume renovieren. Dann kann nachträglich zusätzliches Schallabsorptionsmaterial an der Decke (z. B. mit Mineralfaserelementen) oder an den Wänden mit glasgewebekaschierten Glaswollepaneelen angebracht oder der Linoleum-Bodenbelag gegen Teppich ausgewechselt werden. Der Aufwand lohnt sich. Ebenso wichtig wie die Lärmvermeidung ist es, sich möglichst keinem unnötigen Lärm auszusetzen. Dies betrifft besonders junge Menschen, die an Wochenenden in Discos oft überaus hohe Lärmdosen konsumieren. Ebenso wesentlich ist es, die MP3-Player und CDPlayer auf einer gesundheitlich unbedenklichen Lautstärke einzustellen. Noch besser wären bundesweit gültige Gesetze, die eine Verstärkung über eine bestimmte gesundheitsgefährdende Lautstärke hinaus verbieten. Der einfachste Schutz vor Lärmschwerhörigkeit ist es, bewusster auf das eigene Verhalten zu achten, unnötigen Lärm zu vermeiden und sich möglichst selten Lärmsituationen auszusetzen. Hierzu können beispielsweise folgende Maßnahmen aus dem Verkehrsbereich beitragen: Schließen von Türen ohne lauten Schwung, Fahren im niedrigen Drehzahlbereich, Tiefe Frequenzen belasten das Gehör weniger als die hohen, und so ist der mit aufgedrehten Bässen erzielte Gewinn von Lautstärke weniger schädigend als der mit hohen Frequenzen. Dabei wird unnötiges Hupen vermeiden. Wenn kein Geld da ist, um z. B. in den Schulen die Raumakustik zu verbessern, ist die Eigeninitiative 20 immer noch voller Musikgenuss vermittelt. Andererseits können diese Bässe störend wirken, weil sie aufgrund ihrer langen Wellen von den Baumaterialien gut in die benachbarten Räume und Wohnungen übertragen werden! Sehr wichtig ist die Verwendung von individuellem Gehörschutz. Das gilt nicht nur bei der Industriearbeit, wo das Tragen von Gehörschutz oft vorgeschrieben ist, sondern auch in Freizeit und Hobby z. B. beim Rasenmähen, bei Maschinenarbeiten in der Hobbywerkstatt, beim Motorradfahren, oder auch bei Rock-Konzerten, auch für Musiker gibt es spezielle Gehörschutzstöpsel, die das Musizieren nicht beeinträchtigen. Nicht minder von Bedeutung ist es, das man sich bei Rock-Konzerten nicht gerade in die Nähe der Lautsprecher stellt. Es wäre zu begrüßen, wenn in allen Bundesländern DiscoVerordnungen (wie sie z. B. das Bundesland Niedersachsen erlassen hat) bestünden, in der bestimmte maximale Lautstärken vorgeschrieben und bei Nichtbeachtung Sanktionen angedroht werden. Wesentlich ist aber auch die strikte Anwendung derartiger Verordnungen, d. h. Überprüfung auf Einhaltung der Maximalwerte. In einigen Bundesländern (z. B. SchleswigHolstein) werden für die Discjockeys Ausbildungen zum DJFührerschein angeboten, die mit gewissen Privilegien bei der behördlichen Überwachung verbunden sind. Es ist darauf zu achten, dass Maschinen mit Schallschutz ausgestattet werden. Ebenso wichtig sind raumakustische Maßnahmen. Die Schallschluckwirkung von Pflanzen in Büros ist leider wesentlich geringer als der psychologische Effekt. Sehr wesentlich sind Gehörvorsorgeuntersuchungen. Wenn Hörverschlechterungen frühzeitig festgestellt werden, können Schutzmaßnahmen eine weitere Verschlechterung verhindern. Auch besteht die Möglichkeit zu einer Umsetzung aus einem Lärmarbeitsbereich heraus. 21 4. Auswirkungen einer Lärmschwerhörigkeit Die Folgen sind für die vierend und Gesellschaft schätzt. einer Hörminderung Betroffenen sehr grawerden doch von der meist absolut unter- trauen verliert zu sich selbst und zu seiner Umgebung. Wer "seinen eigenen Ohren nicht mehr trauen kann", empfindet ständig Unsicherheit, richtig verstanden zu haben und angemessen zu reagieren. Schwerhörigkeit bedeutet in jedem Lebensalter Verlust an menschlicher Nähe. Insbesondere hochgradige Hörstörungen führen zu sozialen Beziehungsstörungen. Die Empfindung des Ausgeschlossenseins, zumindest aber der Einschränkung seiner Aktionsfähigkeit in Gesprächen ist für einen Hörgeschädigten allgegenwärtig. Die Sprache dient als Träger der Kommunikation nicht nur dem Austausch von Informationen, sie kann durch Tonfall, Betonung und Sprachmelodie sehr verschiedene Emotionen wie Sympathie, Antipathie, Ärger, Freude, Trauer, Mitleid, Überraschung, Zweifel, Skepsis, Ironie oder Spott ausdrücken. Dadurch kann ein einzeln gesprochenes Wort wie „Ja“ eine ganze Palette sehr unterschiedlicher Bedeutungen haben. Das Gehör wird öfter als „soziales Kontaktorgan” bezeichnet. Es dient hauptsächlich der Kommunikation, hat aber weitere Aufgabenstellungen wie die Wahrnehmungsfunktion bei Gefahren (Alarm, Verkehr usw.) oder die Orientierungsfunktion. All diese Funktionen sind bei einer Hörbehinderung gestört, so dass der Schwerhörige das Ver- Diese Nuancen können bei einem gestörten Hörvermögen nicht wahrgenommen werden. Das führt - neben dem oft unvermeidbaren Falschverstehen - zu Fehleinschätzungen zwischen den Gesprächs22 partnern und zu Fehlverhalten, aufseiten des Hörgeschädigten wie auch beim gut Hörenden und damit zu Verunsicherung und bisweilen Aggression. sich ausgegrenzt und nicht zugehörig. Oft wird den Schwerhörigen als „Trost“ gesagt: “Es ist doch nicht so schlimm, wenn Sie nicht alles verstehen. Es wird meist Unsinn geredet." Das mag ja stimmen, dennoch wird der Schwerhörige bei dieser Betrachtungsweise entmündigt und fremdbestimmt, was oft als sehr demütigend empfunden wird. Aufgrund der langsamer ablaufenden und als schwierig empfundenen Kommunikation gehen gut Hörende Gesprächen mit Hörgeschädigten möglichst aus dem Wege. Das kann aufseiten des Hörgeschädigten zu Misstrauen, Empfindlichkeit, Minderwertigkeitsgefühlen, Ungeduld, Verletzbarkeit und Versagensgefühlen führen; er fühlt Leider werden die meisten Menschen erst dann sensibel gegenüber dem Problem Hörschädigung, wenn sie selbst betroffen sind. 23 5. Vorschriften und Richtlinien Es gibt eine Fülle von Vorschriften und Richtlinien zum Thema Lärm. An dieser Stelle werden nur die wichtigsten Vorschriften genannt. spezielle Regelungen für verschiedene Arbeitsmaschinen und gewerbliche Lärmbereiche, aber auch auf Schutzmaßnahmen wie Gehörschutzkapseln Vorschriften zum Schutz vor Lärm am Arbeitsplatz VDI 2058 Blatt 3 Beurteilung von Lärm unter Berücksichtigung unterschiedlicher Tätigkeiten Unfallverhütungsvorschrift Arbeitsmedizinische Vorsorge VBG 100 Enthält Begriffsdefinitionen, Darstellung unterschiedlicher Schallpegel. Danach sollen folgende Schallpegel als Mitteilungspegel über eine achtstündige Arbeitsschicht nicht überschritten werden: Enthält Anweisungen an Unternehmer und Betriebsärzte hinsichtlich Vorsorge-Untersuchungen von Arbeitnehmern, auch im Zusammenhang mit Lärm Unfallverhütungsvorschrift VBG 121 Lärm Tätigkeit Enthält Anweisungen an Unternehmer hinsichtlich Lärmminderungsmaßnahmen und vorgeschriebene Schallschutzmaßnahmen für Mitarbeiter Maximal zulässiger Mittelungspegel 55 dB(A) überwiegend geistige Tätigkeit einfache oder überwie- 70 dB(A) gend mechanisierte Bürotätigkeiten und vergleichbare Tätigkeiten alle sonstigen Tätigkei- 85 dB(A) ten Arbeitsstättenrichtlinie Enthält Anweisungen für maximal zulässige Geräuschpegel in Arbeitsräumen, nimmt Bezug auf 24 Vorschriften zum Schutz vor Lärm in der Gesellschaft DIN 15905- Veranstaltungstechnik – Tontechnik, Teil 5, Maßnahmen zum Vermeiden einer Gehörgefährdung des Publikums durch hohe Schallemissionen TA Lärm - Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm, 6. Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz elektroakustischer technik Enthält Angaben über die zu treffenden Vorsorgemaßnahmen gegen schädliche Umwelteinwirkungen durch Lärm sowie die rechnerischen Grundlagen zur Bestimmung der Lärmausbreitung und deren Messung Beschallungs- Diese Norm wurde erstmals 1989 herausgegeben und war Grundlage für den Runderlass in Niedersachsen: DIN 4109 Schallschutz im Hochbau (mit Beiblättern) Schutz vor Gesundheitsgefährdungen und schädlichen Umwelteinwirkungen durch Diskotheken und diskothekenähnliche Betriebe Enthält Angaben für die schalltechnische Planung von Gebäuden (Außen- und Innenwände, Türen, Fußböden, Fenster) und den darin befindlichen haustechnischen Anlagen (Wasser-, Abwasserinstallation, Aufzüge, Klima- und Notstromanlagen usw.) Dieser Erlass sei angegeben als ein Beispiel, das Schule machen könnte. Der Erlass regelt die zulässigen Schallpegel in Diskotheken zum Schutz der Besucher und der dortigen Arbeitnehmer und nennt Sanktionsmaßnahmen bei Nichteinhaltung. 25 Anhang: Literatur in Auswahl Etliches ist auch über das Internet herunterzuladen. Kostenlos zu beziehende Informationsmaterialien der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA): Fax 0180 321 4 321; http://www.baua.de/info/bestell.htm: Broschüren: Gesundheitsschutz 4 „Lärmwirkungen: Gehör, Gesundheit, Leistungen“ / H. Ising, C.A. Sust, P. Plath. – Dortmund : Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2000. Gesundheitsschutz 5 „Gehörschäden durch Musik“; Arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse Nr. 97 „Lärmbeurteilung - Gehörschäden“; Arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse Nr. 98 „Lärmbeurteilung - Extraaurale Wirkungen“ Sonderschriften: Hörschäden durch Arbeitslärm / A. Hottenbacher, K. Wühler. - Bremerhaven: Wirtschaftsverlag NW 1996. - CD mit Begleitheft. (Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz, Sonderschrift 40) - ISBN 3-89429782-4 Ratgeber zur Ermittlung gefährdungsbezogener Arbeitsschutzmaßnahmen im Betrieb. - Bremerhaven: Wirtschaftsverlag NW nach 2001. (Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz, Sonderschrift 42) - ISBN 389701-794-6 Normen und Regelwerke: Berlin, Beuth-Verlag. DIN 4109 Schallschutz im Hochbau DIN 15905 Veranstaltungstechnik-Tontechnik. DIN 18040 Barrierefreies Bauen (Entwurf) DIN 18041 Hörsamkeit in kleinen bis mittelgroßen Räumen VDI 2058-2 Beurteilung von Arbeitslärm hinsichtlich Gehörgefährdung 26 VDI 2058-3 Beurteilung von Arbeitslärm unter Berücksichtigung unterschiedlicher Tätigkeiten Praxis/Lärm, Lärmschutz, Akustik, Geräusche / Schäden und Beeinträchtigungen durch Lärm / BAuA: www.baua.de/de/Themen-von-A-Z/Anlagenund- Betriebssicherheit/TRLV/TRLV-Laerm.html Telefonauskunft der BauA: Emission von Maschinen, Lärm; 0231/90 71-22 90/24 61/22 87 Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Gesundheitsgefahren durch Lärm / E. Rebentsich, H. Lang-Asschenfeld, H. Ising. – München : MMV-Verlag 1994. (BGA-Schriften, 1/94) Lärm und Gesundheit / Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Diese Materialien können zusammen mit den Tonbeispielen auch aus dem Internet frei herunter geladen werden: www.bzga.de Zu viel für die Ohren? / M. Ahrens, J.-W. Landsberg-Becher, E. Maslon. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2000. Kostenlos über Bestell-Nr. 20 39 10 00. Arbeitsplatz Schule aus arbeitsmedizinischer Sicht / A. Wagener. - 1995. (Biologie in der Schule, 55, 1, S. 1 - 22) Die akustisch gestaltete Schule – auf der Suche nach dem guten Ton / L. Huber, J. Kahlert, M. Klatte. – Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht 2002. (Edition Zuhören, 3) – ISBN 3-525-48002-4 Es ist zu laut! Ein Sachbuch über Lärm und Stille / S. Marks, R. Gernhardt. - Frankfurt : Fischer 2003. – ISBN 3-5961-3993-7 Gut hören – heute und morgen / G. Fleischer u. a. - Heidelberg: Median 2000. Lärm belästigt uns / G. Zöllner. – 1985. (Sonderschulmagazin, 7, 12, S. 21 - 22) Lärmschäden des Gehörs und ihre Begutachtung / P.Plath. – KINDHörgeräte 1991. (Schriftenreihe für den HNO-Arzt) – ISBN 3-8770-6334-9 www.earaction.bayern.de/Lärm – Umweltproblem Nr. 1 und Geißel unserer Zeit / www.psychosoziale-gesundheit.net/psychiatrie/laerm.html In Test Nr. 1/Januar 2005 gibt die Stiftung Warentest Tipps für den Spielzeugkauf und eine Übersicht, wie hoch die Dezibelwerte der einzelnen 27 Spielzeuge sind. Die europäische Norm zur Sicherheit von Spielzeug ist EN 71-1. Unter http://www.bayern.de/lfu/umwberat/data/laerm/laerm_lit_lk_2004.pdf ist eine Literatur- und Linkliste des Bayerischen Landesamtes für Umweltschutz zum Thema Lärm zu finden (Stand: Februar 2004). J. Kießling: Mögliche Instrumente zur Steuerung der Hörgeräteversorgung im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung bei Lärmschwerhörigkeit (BK 2301).Gießen 2004. C. Ruhe: Günstige Raumakustik hilft Hörgeschädigten. – 1998. (Beratende Ingenieure, 11/12, S. 132 – 137) C. Ruhe: Klassenraumakustik und Klassenraumgestaltung für die Integrative Beschulung hörgeschädigter Kinder. – 2003. (WKSB, 51, S. 9 – 19) C. Ruhe: DIN 18041, Der Nachhall wird kürzer. – 2003. (TrockenbauAkustik, Sonderheft, S. 36 – 40) C. Ruhe: „Kindertagesstätte; zu hohe Schallpegel infolge zu geringer Schallabsorption“. (Bauschäden-Sammlung, 13, S. 86 – 93) C. Ruhe: Öffentliche Veranstaltungen – AUCH für Menschen mit Hörschädigungen“. – 2003. (DSB-Veröffentlichung zum EJMB 2003) H.-G. Schönwalder, G. Tiesler: Lärm in Bildungsstätten – Ursachen und Minderung. – 2004. M. Oberdörster, G. Tiesler: Akustische Ergonomie der Schule. – 2006. Außerdem geben Informationen über aktuelle Literatur: Verwaltungsberufsgenossenschaft Dipl.-Ing. Buhmann Friesenstraße 22, 20097 Hamburg, [email protected] Schweizerische Unfallversicherungsanstalt Dr. Beat Hohmann Fluhmattstraße 1, CH 6002 Luzern, [email protected] Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin Dr.-Ing. Patrick Kurtz Friedrich-Henkel-Weg 1, 44149 Dortmund, [email protected] DSB-Referat Barrierefreies Planen und Bauen, Dipl.-Ing. Carsten Ruhe, Rellinger Straße 26, 25421 Pinneberg [email protected] 28 Der Druck dieses Ratgebers wurde gefördert durch die Für die Inhalte dieser Veröffentlichung übernimmt die KKH keine Gewähr. Auch etwaige Leistungsansprüche sind daraus nicht ableitbar. Deutscher Schwerhörigenbund e.V. Der Interessenverband der Schwerhörigen und Ertaubten in Deutschland