Kind e.V. Dachverband - Aktuelle Ausgabe Kindlicher Maßstab... 1

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Kind e.V. Dachverband - Aktuelle Ausgabe | Kindlicher Maßstab als R...
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http://www.kind-dachverband.de/de/baustein/kapitel745.html
Kindlicher Maßstab als Richtschnur der
Planung
Gute Architektur sorgt für das Wohlergehen ihrer
Nutzer, proklamieren Architekturpsychologen. Sie
erforschen die Faktoren, die die Zufriedenheit der
Menschen mit der gebauten Umgebung beeinflussen
und raten Architekten zum Dialog mit den künftigen
"Bewohnern". "Kinder haben dabei ähnliche
Bedürfnisse wie Erwachsene", sagt Rotraut Walden,
Architekturpsychologin an der Universität in Koblenz.
"Sie brauchen harmonische Gebäude und Räume, die
Orientierung geben, Kontrolle ermöglichen und Platz für eigene Gestaltung
lassen."
Wer Räume für Kinder plant, stößt zu einer Frage vor, die die Architektur lange Zeit viele meinen sträflich - vernachlässigte. Die Frage nämlich, welchen Einfluss
architektonische Gestaltung auf das Wohlergehen, die Gesundheit und
Leistungsfähigkeit ihrer Nutzer nimmt. Erwachsenen, so die selbstverständlich
Annahme, erschlösse sich die zeitlose Schönheit und Funktionalität moderner
Architektur sofort. Das Wohlergehen darin sei die natürliche Konsequenz. Bis in die
1970er Jahre galt der architektonische Entwurf als kreative Schöpfungsleistung, die vor
allem künstlerischen Gesichtspunkten genügen sollte. Dabei hatte Alexander
Mitscherlich schon 1965 die "Unwirtlichkeit unserer Städte" kritisiert, die von ihren
Erbauern als Inbegriff der Modernität gepriesen wurden. Erst allmählich greift die
Erkenntnis Raum, dass die Sichtweise des Architekten oder der Architektin nicht die
der Nutzer ist und dass es zweckmäßig sein könnte, diese in den Planungsprozess
einzubinden. Als junges Teilgebiet der Umweltpsychologie etablierte sich die
Architekturpsychologie, die die Wirkungen von Architektur auf den Menschen
untersucht. Rotraut Walden, Dozentin an der Universität in Koblenz, ist eine der
Wenigen, die in Deutschland auf diesem Gebiet forschen. Sie entwickelte Schemata
und Erhebungsinstrumente zur Beurteilung der Wirkung von Wohnungen, Büros,
Kindergärten, Schulen, Universitäten und Krankenhäusern auf das Verhalten und
Erleben ihrer Nutzerinnen und Nutzer.
Eine Vielzahl von Faktoren beeinflussen das Wohlergehen
"Wir betrachten Gebäude von außen nach innen", beschreibt sie den
Diagnose-Prozess. "Ein Gebäude steht nicht allein. Die umgebende Infrastruktur ist
wichtig, das Grundstück, die Nachbarhäuser. Dann sehen wir uns die Fassade an, den
Eingang, die Empfangsräume." Dann gehe es mit den Individualräumen, den
Wohnungen, Gruppen- oder Klassenräumen, den Sanitärräumen sowie Aspekten, die
für die Unfallsicherheit und Kriminalitätsvorsorge bedeutsam seien, weiter. Schließlich
spiele auch eine Rolle, welchen Eindruck das Gesamtgebäude mache. Die Kriterien,
nach denen Walden die Gebäude auf ihre Nutzerfreundlichkeit untersucht, sind viel
breiter angelegt, als der Laie vermuten würde: "Wohlbefinden ist eine sehr komplexe
Sache, die von unglaublich vielen Faktoren beeinflusst wird", erläutert Walden. Dabei
gibt es eher sachliche Aspekte, wie die Funktionalität des Gebäudes oder die Frage, in
wieweit die Architektur die Organisation und die täglichen Abläufe unterstützt. Ja sogar
finanzielle Dinge, nämlich die Frage, ob ein Haus eine hohe Qualität zu tragbaren
Kosten bietet, spielten eine Rolle bei der Zufriedenheit damit. Außerdem ist es der
Nutzerakzeptanz zuträglich, wenn das Gebäude ökologisch vorbildlich und ästhetisch
ansprechend gestaltet ist. Es erhöhe die Freude daran, wenn Architektur mit originellen
Ideen aufwarte.
8.5.2008 10:04
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Ideen aufwarte.
Positives Beispiel: Die Architektur des Künstlers Friedensreich Hundertwasser
Beispiel für gelungene Architektur, die im Schulterschluss mit Nutzern oder Bewohnern
entstand, sind die Häuser des Künstlers Friedensreich Hundertwasser. "Die spielerisch
wirkenden Gebäude regen zu eigenen Gestaltungen an", sagt Walden begeistert.
Hundertwasser wollte, dass der Mensch am Gebäude Zeichen setzen, sich die Räume
aneignen kann. Er schreibt: "Ein Bewohner muss das Recht haben, sich aus seinem
Fenster zu lehnen und außen an der Außenwand alles umzugestalten, wie es ihm
entspricht so weit sein Arm reicht damit man von weitem, von der Straße sehen kann:
dort wohnt ein Mensch." Lediglich dass die Hundertwasserhäuser noch so einzigartig
sei, dass die Bewohner Touristenattraktionen darstellten, schade deren Wohlbefinden,
meint Walden. Hundertwasser realisierte übrigens unter anderem auch eine
Kindertagesstätte in Frankfurt-Heddernheim und eine Schule in Wittenberg.
Kontrolle über Wärme und Belüftung wichtig
Das Gefühl der Kontrolle ist für den Menschen auch in Bezug auf die Umweltfaktoren,
wie Wärme und Belüftung, sehr wichtig. "Zum Beispiel sind Thermostate für Heizungen
sehr zweckmäßig", erläutert Walden. "Es sollte aber auf jeden Fall die Möglichkeit
bestehen, die Temperatur der Heizung in einzelnen Räumen individuell zu regeln." Von
zentraler Bedeutung sei außerdem, inwiefern ein Gebäude die Bedürfnisse nach
sozialer Interaktion einerseits und nach einem Rückzug ins Private andererseits
unterstütze. "In Kindergärten und Schulen fehlen Rückzugsorte häufig komplett", stellte
Walden in ihren Studien fest. "Das ist ein Stressfaktor für Kinder und Pädagogen, unter
dem sie deutlich leiden."
Gute Architektur für Kinder wird deren Maßstab gerecht
"Nutzer haben ein berechtigtes Interesse an Kontrolle, Sicherheit und Orientierung im
Gebäude", sagt Walden weiter. Das könne Architektur fördern. Dabei seien die
Kriterien guter, menschenfreundlicher Architektur für Kinder nicht anders als für
Erwachsene. Beide Gruppen bevorzugten harmonische Räume mit angenehmer
Akustik, deren Gestaltung Hinweise auf die Nutzung geben und so die Orientierung
erleichtern. "In vielen Kindergärten und Schulen hapert die Orientierungsunterstützung
durch die Architektur schon an der Tür. Sie muss deutlich hervorgehoben und groß
genug sein, um als Begrüßungssignal wahrgenommen zu werden", erläutert die
Psychologin. In den Innenräumen erhöhten dann zum Beispiel Ein- und Durchblicke
sowie Ausblicke in die Umgebung die Orientierung und das Kontrollgefühl. Doch diese
Blicke müssten in Kitas und Schulen auch für die Kinder möglich sein. Wand- und
Türfenster gelte es auch auf ihre Augenhöhe abzustimmen. "Wer für Kinder baut, muss
ihren Maßstab zur Richtschnur seiner Planung machen", fordert Walden. Zwar seien
die Kleiderhaken zumeist für Kinder erreichbar, aber schon bei den Handläufen der
Treppen hapere es oft. "Hier gibt es noch viel Optimierungsbedarf", meint Walden.
Amerika: Architekturpsychologe ist dabei
In Amerika ist es längst Usus, bei größeren Bauvorhaben Architekturpsychologen oder
Soziologen zu Rate zu ziehen. Sie moderieren den Austausch zwischen Architekten,
Bauherren und künftigen Nutzern und bringen Optimierungsvorschläge ein. Das werde
auch in Deutschland kommen, meint Architekturpsychologe Günter Hertel aus
Hannover. In Amerika schätze man die Leistungsverbesserung der Nutzer in unter
psychologischen Gesichtspunkten optimierten Häusern auf 15 bis 17 Prozent, erklärt
Rotraut Walden. Daraus ergebe sich ein sehr positives Kosten-Nutzen-Verhältnis.
Diese Erkenntnis hat sich hierzulande jedoch noch nicht durchgesetzt.
8.5.2008 10:04
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