Fotos: Dr. August Oetker KG Werbewagen, 1927 Das erste Erfolgs­ produkt: Backin. Verpackungen von 1916, 1956 und 1979 Der Unternehmens­gründer: Dr. August Oetker (1862–1918) ber 1916, brachte dessen Witwe den Sohn Rudolf-August auf die Welt. Und auch dieser muss im nächsten Weltkrieg einen schweren Verlust erleiden: Bei einem Bombenangriff im September 1944 kommen seine Mutter Ida und sein von ihm sehr geschätzter Stiefvater Richard Kaselowsky, der bis dahin das Unternehmen geführt hatte, ums Leben. Von nun an liegt die Leitung der Firma in den Händen von Rudolf-August Oetker. Getreu seines Mottos »Lege nie alle Eier in einen Korb« engagierte er sich schon bald neben dem Nahrungsmittelgeschäft auch in anderen Branchen, übernahm das alteingesessene Bankhaus Lampe, die große Reederei Hamburg Süd sowie Hotels der Luxusklasse und stieg mit dem Erwerb der Marken aus Westfalen Der Backpulver-Gigant Vor 125 Jahren übernahm Dr. August Oetker in Bielefeld eine Apotheke. ber 400 Firmen unterschiedlichster Branchen von der Nahrungsmittelindustrie über die Schifffahrt bis zum Finanzwesen, weltweit 30 800 Mitarbeiter, rund 12 Milliarden Euro Jahresumsatz: Die Dr. August Oetker KG mit Stammsitz in Bielefeld gehört zu den größten Familienunternehmen Deutschlands. Das erste Kapitel dieser Erfolgsgeschichte wurde vor genau 125 Jahren in einer nur vier Quadratmeter großen Kammer in einer Bielefelder Apotheke geschrieben, die Dr. August Oetker (1862–1918) im Jahr 1891 übernommen hatte. In seiner »Geheimbutze« entwickelte der experimentierfreudi- 56 ge Apotheker und Bäckerssohn zunächst einen Gesundheitskakao, eine Fußcreme und eine Warzentinktur, bevor ihm 1893 der Geniestreich gelang, der den Grundstock für den heutigen Oetker-Konzern bildete: Das von ihm ausgetüftelte Backpulver »Backin« war anders als seine Vorgänger nicht nur geschmacksneutral und lagerfähig. Dr. Oetker verpackte es zudem in kleine Papiertüten, deren Füllmenge exakt für ein Pfund Mehl ausreichte und die auf der Rückseite mit einem Rezept bedruckt waren. Der große Erfolg des ersten Produktes mit »Gelinggarantie« ließ den JungUnternehmer Oetker nicht ruhen. Bald schon brachte er Speisestärke, Aromen, Puddingpulver und Einmachhilfen auf den Markt, die ab 1899 mit dem bis heute international bekannten Markenzeichen, dem weißen Frauenprofil auf rotem Grund, versehen wurden. Ein Jahr später erfolgte der Umzug von der Apotheke in eine Fabrik, in der Oetker die industrielle Fertigung zügig ausbaute und schon damals eine Versuchsküche einrichtete. Am 8. März 1916 ereilte August Oetker ein Schicksalsschlag, der ihm Kraft und Lebensmut nahm: An diesem Tag fiel sein einziger Sohn und Firmenerbe Rudolf erst 27-jährig in Verdun. Ein halbes Jahr später, am 20. Septem- Westfalenspiegel 4-2016 Daraus hat sich eines der größten Familienunternehmen in Deutschland entwickelt. Ü Die Bielefelder Apotheke, in der alles begann Binding-Brauerei und der Sektkellerei Söhnlein ins Getränkegeschäft ein. Darüber hinaus setzte Rudolf-August Oetker das bereits von seinen Vorfahren begonnene Engagement im kulturellen Bereich fort. Zum Gedenken an ihren gefallenen Sohn hatte Caroline Oetker, Witwe des Firmengründers, den Bielefeldern im Jahr 1930 ein Konzerthaus, die Rudolf-Oetker-Halle, geschenkt. 1968 stiftete Rudolf-August Oetker die von dem amerikanischen Architekten Philip Johnson entworfene Bielefelder Kunsthalle. Eine von RAO – wie er firmenintern genannt wurde – gegründete Stiftung unterstützt zudem Projekte wie den chinesischen Salon im Potsdamer Schloss Sanssouci, hat nach dem Fall der Mauer die Restaurierung von etwa 200 Kirchen in den neuen Bundesländern gefördert und ermöglicht immer wieder den Ankauf von Kunst für Museen. 1981 zog sich RudolfAugust Oetker, der im Hausfrauenberatung mit dem VW Bulli, 1954 Jahr 2007 verstarb, aus dem operativen Geschäft zurück und übergab die Unternehmensleitung an seinen ältesten Sohn August Oetker. Seit 2010 leitet dessen Bruder Richard die Geschicke des Konzerns, der seinen größten Umsatz längst nicht mehr mit den Backpulvertütchen macht. Mit einem Anteil von mehr als 47 Prozent am Gesamtumsatz liegt die Schifffahrt vorn, mit 24 Prozent folgen die Nahrungsmittel auf dem zweiten Platz, und mit der Radeberger-Gruppe gehört die größte deutsche private Brauereigruppe zu dem Familienunternehmen. Und auch wenn die meisten Menschen beim Namen Dr. Oetker zunächst an Pudding denken, gehört längst die Tiefkühlpizza, mit der die Bielefelder bereits 1970 das Essverhalten der Deutschen revolutionierten, zu den absoluten Verkaufsrennern. Regina Doblies Auf dem Bielefelder Firmengelände befindet sich seit 2005 die Dr. Oetker Welt. Besucher erfahren in dem hauseigenen Museum auf anschauliche Weise Wissenswertes über die Marke Dr. Oetker, ihre Produkte und die Produktion. Eine Anmeldung ist erforderlich unter www.droetkerwelt.de 57