Tiefenblick, Verrückt (3/4) – Die multiple Störung der Versorgung O- Ton 1 Marianne M. Die Problematik, die fing an, dass bei so Kleinigkeiten, Anziehen und Wäsche aussuchen und was ziehe ich an - ich habe keine Kraft mehr gehabt. O- Ton 2 Banger Wenn jetzt jemand kommt, dann muss der zuständige Arzt vom Dienst feststellen, gibt es eine Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit, ist der ausreichend krank, dass man ihn stationär behandeln muss, oder kann man es mit anderen Mitteln auf den Weg bringen, zum Beispiel mit einer ambulanten Behandlung. Musik: Quartet No. 4 / Allegretto scherzando O- Ton 3 Marianne M. Der Druck, den ich mir selber immer schon mache während der Arbeit, das sind mehrere Faktoren auch gewesen, im Freundeskreis haben viele Kinder bekommen, also Familien gegründet und ich war halt Single und das hatte dann auch noch zugesetzt. O- Ton 4 Banger Eine Wartezeit von drei Monaten auf einen ambulanten Behandler ist keine Therapie! Und das kann natürlich dazu führen, dass Patienten Situationen haben, die dann eskalieren, dann müssen sie stationär aufgenommen werden, was nicht so sinnvoll ist. Ansage: Verrückt Die multiple Störung der Versorgung von Martin Hubert O- Ton 5 Marianne M. Bei mir ist es so, dass es langsam hochkommt und wie eine dunkle Decke, ja ein schwarzer Vorhang sich über meine Augen oder über mich selbst, über meinen ganzen Körper geht und dass ich dann Gut und Böse nicht mehr unterscheiden kann und ich dann halt alles, was ich von Eindrücken von außen bekomme, dass mir das Angst macht. Sprecherin: Die Geschichte von Marianne M. Die Solingerin leidet unter Arbeitsdruck, ihre Mutter stirbt, nach einer schweren Operation macht sie sich Sorgen um ihren Vater. Schließlich wird alles zu viel. O- Ton 6 Marianne M. Dass zum Beispiel Autos mit den Scheinwerfern, dass die mir Angst machen, dass da jemand drin ist, der mir etwas Böses will. Es sind Menschen, die auf der Straße sind, die da ganz andere Gedanken haben, aber ich dann denke, dass die mir was Böses wollen. Dass © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 1 Tiefenblick, Verrückt (3/4) – Die multiple Störung der Versorgung ich einfach diese Stimmen, wenn es bei mir in der Wohnung ganz ruhig war und ich dann auf einmal abends so unterschwellig so leise Stimmen gehört habe. Musik: 1953 Sprecherin: Marianne M. erhält die Diagnose Psychose und Angststörung, was sie in eine psychiatrische Klinik führt. ATMO: Klinik O- Ton 7 Püllen Es gibt eine grobe Tagesstruktur, es wird morgens immer Wochentags gegen 7:15 Uhr, 7:20 Uhr geweckt, dann erfolgen meistens noch mal Kreislaufkontrollen, Medikamentengaben, gegen 8:00 Uhr gibt es Frühstück. Sprecherin: Klaus Püllen, pflegerischer Leiter einer Station für Abhängigkeitserkrankungen und Psychotherapie an der LVR-Klinik in Bonn, des Landschaftsverbands Rheinland. O- Ton 8 Püllen Danach, nachdem die Medikation verabreicht, Frühstück erledigt ist, sind häufig also wochentäglich Gruppenangebote verschiedenster Art. Mittwochs gibt es eine Visite mit dem Oberarzt um 10:00 Uhr. Entspannung gibt es im Angebot auch am Nachmittag und das ist meistens so etwas gerahmt von den Mahlzeiten und den Medikamenten-Kreislauf-Kontrollen, dazwischen finden die einzelnen therapeutischen Angebote, auch Einzelgesprächsangebote je nachdem statt. Sprecherin: Psychiatrische Kliniken sind durchorganisierte Institutionen und die Bonner LVR-Klinik zählt zu den größeren ihrer Art. Sie verfügt über circa 700 Stationsbetten, beschäftigt fast 1.500 Psychiater, Ärzte, Neurologen, Psychologen und Pfleger und versorgt Patienten aus der Stadt Bonn und einigen Nachbarkreisen. Im Jahr 2014 behandelte sie 11.000 Menschen in stationären Betten, 1.100 teilstationär und 30.000 ambulant. O- Ton 9 Banger Psychiatrische Versorgung im Krankenhaus heißt immer, dass man von einem Team betreut wird. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 2 Tiefenblick, Verrückt (3/4) – Die multiple Störung der Versorgung Sprecherin: Professor Markus Banger, der ärztliche Direktor der Bonner LVR-Klinik. O- Ton 10 Banger Das ist in der Regel ein Oberarzt, der ein Team leitet, ein Assistenzarzt, dann aber auch ein Psychologe, ein Sozialarbeiter, ein Pflegeteam, dann gibt es Ergotherapeuten, oder Kreativtherapeuten, Kunsttherapeuten, Musiktherapeuten, Tanztherapeuten. Musik: Madigrals / Buch I / Los muertos llevan alas de musgo O- Ton 11 Marianne M. Was mir gefallen hat, war doch die Ergotherapie, also mit Töpfern, überhaupt mit Kunst, Gestaltung, das hat mir geholfen. drunter. Sprecherin: Die Bonner LVR-Klinik behandelt die verbreiteten psychiatrischen Erkrankungen, bietet zusätzlich aber noch Spezialangebote für Erkrankungen von Kindern oder für Mütter mit Schwangerschafts-Depression an. Ein breites Spektrum. O- Ton 12 Banger Und dann muss man schon schauen, dass man viele Rückmeldungen bekommt und die sammelt, dafür gibt es dann auch Teambesprechungen, und da redet man über den Patienten und versucht einen Weg zu finden. Es kann auch sein, dass der Patient sich bei dem Arzt völlig anders verhält als in der Ergotherapie oder beim Sozialarbeiter und in solchen Teambesprechungen wird versucht, das zusammenzuführen, einen gemeinsamen Weg zu finden für den Patienten. Musik: KUU O- Ton 13 Marianne M. Dieser Name „Ärztin für Psychiatrie“ ist für mich jetzt immer noch eine Problematik. Also ich habe auch öfter das Gefühl gehabt, dass sie unter Zeitdruck war, also so ganz hundertprozentiges Vertrauen habe ich nicht so. Psychiatrie ist so, ich habe halt auch die Erfahrung gemacht in einer Klinik, und das war für mich Horror. Sprecherin: Marianne M. war nicht in der Bonner LVR- Klinik. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 3 Tiefenblick, Verrückt (3/4) – Die multiple Störung der Versorgung O- Ton 14 Marianne M. Für mich war das so wie eine Maschinerie, dass man Menschen Medikamente gibt und die ruhig stellt und ja, und damit hat sich‘s eigentlich im Großen und Ganzen. Im Vordergrund waren halt diese Medikamente, die man nehmen musste, also ich habe auch sehr viel zugenommen in der Zeit und da leide ich ja heute noch drunter. Sprecherin: Woher kommt die Unzufriedenheit vieler Patienten? Warum fühlen sich viele nicht gut betreut? Seit Jahren – wenn nicht seit es sie gibt - steckt die Psychiatrie in der Krise. O- Ton 15 Wenzel-Jankowski Ja, ich finde, Krise ist vielleicht ein zu starkes Wort, aber ich würde schon sagen, dass die psychiatrischen Kliniken oder dass die psychiatrischen Versorger insgesamt sich doch noch mal in einer Zeit befinden, in der es eine Reihe von Herausforderungen gibt. Sprecherin: Martina Wenzel-Jankowski ist Dezernentin des LVR-Klinikverbunds und Verbunds heilpädagogischer Hilfen, eine Art Hauptgeschäftsführerin für alle zehn LVR-Kliniken im Rheinland. O- Ton 16 Wenzel- Jankowski Der eine Grund ist vielleicht der, dass wir eine Personalbemessung im psychiatrischen Krankenhaus haben nach der so genannten Psychiatrie-Personalverordnung, wo man in Bezug auf jeden Patienten, den man einstuft in bestimmte Behandlungsbereiche, also Regelbehandlung oder zum Beispiel Intensivbehandlung, diesem Patienten weist man zu soundso viele therapeutische, ärztliche, pflegerische Minuten pro Woche. Sprecherin: Seit Jahren schon wird um die Psychiatrie-Personalverordnung gestritten. O- Ton 17 Wenzel-Jankowski Und dieses Bemessungssystem, was ja auf empirischer Basis beruht, das ist aus den 1990er Jahren! Sprecherin: Allein zwischen 2003 und 2013 ist die Zahl der psychiatrischen Behandlungsfälle um fast 30 Prozent auf nahezu 1 Million Fälle gestiegen. Die Zahl der Klinikbetten stieg aber nur um 13 Prozent. Die Folge ist ein eklatantes Missverhältnis zwischen Personal, Behandlungsplätzen und Behandlungsbedarf. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 4 Tiefenblick, Verrückt (3/4) – Die multiple Störung der Versorgung O- Ton 18 Wenzel-Jankowski Ich glaube, dass wir mit einem Personalbestand auf der Basis dieser alten Berechnungsschemata eben moderne Psychiatrie abbilden müssen und da ist vielleicht die personelle Decke per se ein bisschen knapp. Sprecherin: Der LVR-Klinikverbund gehört zu den reformwilligen Verbünden in Deutschland, der immer wieder auf Probleme der Psychiatrischen Kliniken hinweist. O- Ton 19 Wenzel- Jankowski Und das zweite, was da eine Rolle spielt, ist sicherlich, dass wir einen zunehmenden Dokumentationsdruck auch haben, das fordert einfach zunehmend Zeit und das erklärt, glaube ich, warum so ein junger Psychiater dann die Idee hat, dass er vieles seiner Zeit nicht mehr am Patienten verbringt sondern in der Bürokratie drum herum und das ist sicherlich so ein Thema. Sprecherin: Der Druck auf die Klinikstationen nimmt auch deshalb zu, weil in vielen Regionen zu wenig niedergelassene Psychiater oder Therapeuten vorhanden sind. Vor allem im Osten und in den ländlichen Gebieten Deutschlands herrscht Mangel. Auf der anderen Seite sind viele Kliniken auch gerne bereit, Patienten stationär statt ambulant aufzunehmen. O- Ton 20 Wenzel- Jankowski Ich denke schon auch, dass es ein Problem ist, weil es immer noch zu tun hat mit dem Anreizsystem, die Vergütungssysteme setzen. Sprecherin: Für einen LVR-Patienten im stationären Bereich zahlen 2016 die Kassen Tagessätze von ca. 250 bis 300 Euro. Für einen ambulanten Patienten, der nur ab und zu in die Klinik kommt, aber ansonsten zu Hause in seinem sozialen Umfeld lebt, gibt es dagegen nur 120 bis 150 Euro im Quartal. O- Ton 21 Wenzel-Jankowski Und wir sind im Moment mit allen unseren Modellen dabei, diese abgegrenzten Sektoren aufzubrechen und zu sagen, es muss doch möglich sein, dass wir den Patienten, so wie er sich wünscht, in seinem Lebensumfeld behandeln, da einfach flexibler personenzentrierter uns aufzustellen, das sind so Themen, die uns bewegen. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 5 Tiefenblick, Verrückt (3/4) – Die multiple Störung der Versorgung Musik: Dream sequence Sprecherin: Nur die wirklich schweren Fälle und möglichst wenige sollten tatsächlich stationär in der Klinik behandelt werden. Dort werden sie zwar fachkompetent betreut, meint Ulrich Adler, der Leiter des regionalen Vertragswesens der Technikerkrankenkasse in NordrheinWestfalen… O- Ton 22 Adler Aber das Problem ist, sobald die Behandlung zu Ende ist, kommen sie wieder aus dem Krankenhaus raus und in der nächsten Krise passiert genau das gleiche wieder. Sprecherin: Das Problem ist seit vielen Jahren als „Drehtüreffekt“ bekannt. Viel zu viele Patienten lernen nicht, eigenständig mit ihren Problemen umzugehen, können ihr Leben nicht gestalten und werden wieder zum Klinikfall. O- Ton 23 Adler Und das heißt, wenn man das einfach mal weiter denkt und auf das Zahlenmaterial schaut, dass 30 Prozent der Menschen, die schon einmal im Krankenhaus meinetwegen mit einer Depression oder Schizophrenie waren, immer wieder ins Krankenhaus kommen. Und unser Gedanke war es, wie kann man dieses Problem aufbrechen, wie kann man das schaffen? Sprecherin Modellprojekte wie zum Beispiel in Bonn möchten ein besseres Verhältnis zwischen stationärer und ambulanter Behandlung etablieren, zu der auch die Tageskliniken gehören, in denen Menschen teilstationär behandelt werden. O- Ton 24 Greulich Es geht in die Richtung, dass wir die Gelder eben effizienter beim Patienten einsetzen, das ist der Gedanke. Sprecherin: Ludger Greulich, der kaufmännische Direktor der Bonner LVR- Klinik will die finanzielle Bevorzugung der stationären Behandlung beenden. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 6 Tiefenblick, Verrückt (3/4) – Die multiple Störung der Versorgung O- Ton 25 Greulich Also ein Instrument ist ja, dass man sogenanntes Home Treatment anbietet, also zum Patienten nach Hause fährt, das hat natürlich auch wieder Logistikkosten bringt das wiederum mit sich und da müssen Teams für gebildet werden. Auf der anderen Seite werden Patienten vermehrt dann zum Beispiel dreimal die Woche zu Behandlungen kommen in die Klinik, dafür müssen wir die Stationen umorganisieren. O- Ton 26 Wenzel-Jankowski Unser Behandlungsangebot soll ja möglich machen, dass ein Patient zum Beispiel auch einem Tag in die Klinik kommt und seine Medikamente abholt, aber vielleicht auch an der Gruppentherapie teilnimmt, bevor er dann wieder nach Hause geht. O- Ton 27 Greulich Wir gehen davon aus, dass nach einer gewissen Einführungspraxis ein Teil der Stationen umgewandelt werden können, dass der stationäre Aufenthalt jetzt für die Übernachtung und für das Wochenende nicht in dem Umfang notwendig ist und ein Teil dann für Angebote im Tagesbetrieb umgewandelt werden kann. Sprecherin: Das gleiche Geld für eine flexiblere Versorgung des Patienten, die ihn so weit wie möglich in seinem gewohnten Umfeld belässt und ihn vielseitig und individuell betreut, damit er rascher und nachhaltig ins normale Leben zurückfindet. Musik: The Sleeper II O-Ton 28 Marianne M. Der Erstkontakt war eigentlich so, dass ich meiner Nachbarin helfen wollte und ich noch nicht den Mut hatte, dorthin zu gehen für mich. Sprecherin: Marianne M. brauchte ihre Zeit, um sich an ein psychiatrisches Versorgungskonzept heran zu wagen, das dem Modellprojekt der Bonner LVR-Klink ähnelt. O- Ton 30 Marianne M. Das ist ja quasi ein Vierundzwanzigstundendienst, kann man sagen, man kann da jederzeit anrufen. Ich habe bestimmte Bezugspersonen, mit denen ich halt gut klar komme. Es ist auch gut, dass halt verschiedene Betreuer da sind für jeden Typ Mensch, die stellen sich darauf ein, also die sind halt - ja, für mich ist schon fast eine Ersatzfamilie. Atmo: Klinik © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 7 Tiefenblick, Verrückt (3/4) – Die multiple Störung der Versorgung O- Ton 31 Salize Itzehoe ist die Mutter aller integrierten Versorgungsprojekte. Sprecherin: Prof. Hans-Joachim Salize leitet die Arbeitsgruppe Versorgungsforschung am Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim. Er erforscht unter anderem Projekte, die bereits Home Treatment praktizieren. O- Ton 32 Salize Auch von Anfang an wissenschaftlich begleitet, was auch immer noch eine Seltenheit ist und insofern sind da die Dinge nachprüfbar, die tatsächlich erreicht worden sind. Sprecherin: Das Zentrum für Psychosoziale Medizin am Itzehoer Klinikum begann schon 2003 mit Home Treatment. Das Klinikum handelte mit den Krankenkassen der Region aus, dass es selbst bestimmen kann, wie es das Geld für seine Patienten einsetzt, stationär oder ambulant. „Regionalbudget“ heißt das Konzept, bei dem die Klinikärzte so oft wie möglich zu den Patienten fahren, nicht umgekehrt. Die Folge: das Itzehoer Klinikum konnte die Zahl seiner stationären Betten um die Hälfte verringern. O-Ton 33 Salize Die Flexibilisierung zwischen vollstationärer, teilstationärer und ambulant-psychiatrischer Versorgung ist da gelungen, das heißt innerhalb dieser drei Bereiche, die sonst bei herkömmlicher Finanzierung ja streng getrennt finanziert und dadurch auch verordnet werden, ist aufgehoben, und das ist der entscheidende Durchbruch dort. Sprecherin: Eine Studie zum Itzehehoer Projekt zeigt: die Patienten sind zufriedener, brechen die Behandlung seltener ab und sind besser sozial integriert, können also ihr Leben wieder eigenständig gestalten. Ein Parallelprojekt im Herzogtum Lauenburg rechnet sogar vor, dass es tatsächlich Kosten spart. O- Ton 34 Salize Die Güte der Versorgung, die sie erhalten als psychisch Kranker ist wirklich abhängig davon, wo sie wohnen. Das kann bei Überschreiten einer Landesgrenze, d.h. bei einer Distanz von wenigen Kilometern schon ganz anders aussehen. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 8 Tiefenblick, Verrückt (3/4) – Die multiple Störung der Versorgung Sprecherin: Hans Joachim Salizes Bilanz zur aktuellen psychiatrischen Versorgungslage in ganz Deutschland fällt ernüchternd aus. Nur etwa ein Dutzend solcher regionaler PsvchiatrieBudgets existieren heute in den 400 Stadt- und Landkreisen Deutschlands. O- Ton 35 Salize Also da von einer Einheitlichkeit der Versorgungsstrukturen zu reden, das kann man nicht in Deutschland und entsprechend schwierig ist es dann auch für die Forschung, entsprechende Aussagen zu treffen. Meine Schätzung ist, dass gut geschätzt zwischen 50.000 und 60.000 Patienten im Moment eingeschrieben sind in solche Projekte - bei weit über 800.000 stationären Aufnahmen pro Jahr in der bundesweiten Psychiatrie! Also man sieht da, was das auch mengenmäßig noch für ein Anteil ist, um zu sehen, was es denn überhaupt bringt. Sprecherin: Viele Projekte einer integrierten und flexiblen Versorgung sind in den letzten Jahren schon in der Planungsphase gescheitert. Ein Grund für die mangelnde landesweite Umsetzung: Die einzelnen Krankenkassen möchten die Kontrolle über die Finanzen behalten. O- Ton 36 Salize Die Sichtweise der Finanzierungsträger ist natürlich eine betriebswirtschaftliche, da muss am Ende des Jahres die schwarze Null stehen und das ist das erste Interesse erst einmal. Und wenn das geht und die Versorgungsbelange des Patienten dabei berücksichtigt werden, ist es gut. Aber es verhindert natürlich, dass über die Grenzen des Verantwortungsbereichs eines Finanzierungsträgers hinaus gedacht wird. Sprecherin: Regionalbudgets wie in Itzehoe sind eigentlich darauf angewiesen, dass alle Leistungsträger und -anbieter einer Region gewillt sind, mit der zuständigen Klinik zusammen zu arbeiten. Die Ärzte, Psychotherapeuten und Pfleger der Klinik fahren in die Wohnung und an den Arbeitsplatz eines Patienten, um dessen Probleme in den Griff zu bekommen. Wenn der Patient dabei noch von einem niedergelassene Psychotherapeuten, Arzt oder Psychiater betreut wird, wäre es gut, wenn sie mit dem Klinikteam kooperieren. Daran hindert sie aber oft die Furcht, von der Klinik dominiert zu werden und ihre Autonomie und Kontrolle zu verlieren. Die eigenen Standesinteressen sind stärker als das Ziel, dem Patienten eine integrierte Versorgung anzubieten. Deshalb werden auch andere Wege beschritten. Musik: Smoking Zone VIII © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 9 Tiefenblick, Verrückt (3/4) – Die multiple Störung der Versorgung O- Ton 37 Hohmann Was ist, wenn es also wirklich eskaliert? Sprecherin: Die Geschichte von Ulrich Hohmann. O- Ton 38 Hohmann Da kamen zwei Mitarbeiterinnen von der integrierten Versorgung, da haben wir dann zu Hause mit meiner Frau zusammen gesessen, haben besprochen, was passiert, wenn es eskaliert, an wen kann ich mich wenden? Sprecherin: Der 60 jährige Ulrich Hohmann, hat in seinem Leben bereits mehrere depressive Schübe hinter sich. Er geht daher auch schon seit Jahren zu einem Therapeuten und braucht eine langfristige Betreuung. O- Ton 39 Hohmann An wen kann sich meine Frau wenden, oder wenn ich plötzlich mal irgendwann hier auf der Matte stehe und sage es geht nicht mehr, an wen können sich die Mitarbeiter der integrierten Versorgung wenden, wer ist erster Ansprechpartner, also meine Frau, zweite Ansprechpartner eine Tochter, zweite Tochter oder auch der Psychiater. O-Ton 40 Adler Wir erleben immer wieder, dass Menschen, die einfach unter psychischen Erkrankungen leiden, in einer akuten Krisensituation keinen Ansprechpartner haben und deswegen einfach ins Krankenhaus gehen. Sprecherin: Um wenig später wieder entlassen zu werden und erneut dort Hilfe zu suchen. Deshalb hat, sagt Ulrich Adler, der Leiter des regionalen Vertragswesens der Technikerkrankenkasse in Nordrhein-Westfalen, seine Kasse schon vor mehreren Jahren einen Vertrag für ein „Netzwerk psychischer Gesundheit“ entworfen, um dem „Drehtüreffekt“ entgegenzuwirken. Ausgewählte Patienten, die den Vertrag abschließen, erhalten neben und nach der Klinikbehandlung noch zusätzliche Leistungen. Das Programm gilt seit 2011 auch für Nordrhein-Westfalen und inzwischen haben sich auch andere Krankenkassen angeschlossen. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 10 Tiefenblick, Verrückt (3/4) – Die multiple Störung der Versorgung Auch ein gemeindepsychiatrisches Zentrum in Solingen ist beteiligt. O- Ton 42 Greve Die Krankenkassen haben uns als Vergütung Jahrespauschalen angeboten pro eingeschriebenen Versichertem. Das hat für uns den großen Vorteil, dass wir flexibel sind in der Absprache mit den Patienten, was wir für sie tun wollen. Sprecherin: Nils Greve, Psychiater, Psychotherapeut und Vorsitzender des psychosozialen Trägervereins in Solingen, PTV, der die integrierte Versorgung im Rahmen des Netzwerkvertrags der Technikerkrankenkasse anbietet. O- Ton 43 Greve Wir müssen nicht bestimmte Leistungen aufeinander häufen um möglichst viel Geld zu bekommen, sondern wir müssen für diese Pauschalen möglichst das tun, was erforderlich ist, damit jemand ambulant davon profitiert. Musik: Smoking Zone VIII O- Ton 44 Hohmann Ich denke mal, ich war einer der ersten, die überhaupt in diese ganze Geschichte reinkamen. Sprecherin: Ulrich Hohmann wurde Anfang 2012 von der Technikerkrankenkasse angerufen. Die bot ihm an, am Netzwerkvertrag teilzunehmen und sich in Solingen integriert versorgen zu lassen. O- Ton 45 Hohmann Und ich fand es super. Und ich muss sagen, diese zusätzliche Unterstützung, also die hat mir sehr, sehr gut getan, weil die gesagt haben, wir haben Krisenintervention. Sie können jederzeit anrufen, und da muss ich sagen, das hat doch gut gepasst. Und so habe ich im Grunde genommen seit 2012, 2013 durchweg ein zweites Standbein bei meiner psychotherapeutischen Versorgung, wobei die Psychotherapie ist eine Sache, hier läuft es manchmal ein bisschen anders ab, lockerer, persönlicher. O- Ton 46 Vedder Die Leute müssen lernen zuzuhören, eine bestimmte Haltung zu entwickeln, Gespräche so zu führen, dass die Menschen auf eigene Lösungsideen kommen und zu verstehen, dass es keine einzige Wahrheit, keinen einzigen Weg gibt, sondern dass man in kleinen Schritten vorwärtsgehen muss. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 11 Tiefenblick, Verrückt (3/4) – Die multiple Störung der Versorgung Sprecherin: Der Pädagoge und Familientherapeut Martin Vedder ist Leiter der Ambulanz des Psychosozialen Trägervereins Solingen. Für ihn ist entscheidend, dass die integrativen Behandler eine neue Haltung gegenüber ihren Klienten entwickeln. Sie müssen lernen, ihre Expertenrolle zu relativieren, offen zu werden für die lebensgeschichtlichen und sozialen Probleme derer, die sie betreuen. Musik: Hanging O- Ton 47 Vedder Ich wurde angerufen von einer Familie, von der Mutter eines jungen Mannes, der sehr aufgeregt war, der sehr deutlich in einer psychischen Krise war. Also die Eltern wussten sich nicht zu helfen, sie konnten ihn nicht mehr beruhigen, sie waren drauf und dran die Polizei zu rufen. Ich habe dann angeboten, dass ich dort vorbei komme, habe dort, als ich dann da war, den jungen Mann gefragt, ob er damit einverstanden ist, dass ich ein gemeinsames Gespräch mit ihm und den Eltern führe. Sprecherin: Home Treatment heißt für Martin Vedder: die Gesamtsituation vor Ort erkunden, verständlich sprechen, sich Zeit nehmen, allen Stimmen ihr Recht geben. O- Ton 48 Vedder Und habe dann zunächst einmal mir angehört, nacheinander, wie denn die Situation von allen Beteiligten erlebt wird. Und darüber war vorstellbar, dass alle sich ein Stück zurücknehmen und beruhigen, um weiter zu gucken, was als nächstes passiert. Sprecherin: Vieles lässt sich vor Ort lösen, aber die Klienten können auch zu einem „Runden Tisch“ gehen, an dem sie zwanglos mit anderen Betroffenen in Kontakt treten können. Sie können in eine „Tagesstätte“ in Solingen kommen und sich dort von Pflegern und Therapeuten betreuen lassen. Wenn sie tief in eine Krise geraten, stehen auch Notbetten für sie bereit. O-Ton 49 Greve Das sind sehr wohnliche Zimmer, keine geschlossenen Türen, keine Möglichkeit dafür. Und wenig vorgegebene Regeln, was man alles tun muss, wie man sich verhalten muss. Ich habe mal zu einem jungen Mann, der zu uns kam, weil er zum so und so vielen Male wahnhaft meinte, alles Essen wäre vergiftet, zu dem habe ich gesagt: Wissen Sie was, wenn Sie bereit sind, zumindest Leitungswasser zu trinken, können sie bleiben. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 12 Tiefenblick, Verrückt (3/4) – Die multiple Störung der Versorgung Sprecherin: Ein integriertes Angebot, das dem Einzelnen viele Möglichkeiten bietet, sich kontinuierlich und abgestuft behandeln zu lassen. Musik: Smoking Zone VIII O-Ton 50 Hohmann Und ich denke mir, das hat mir sehr geholfen hier, aber klar ist auch, ich mache sowohl meine normale Psychotherapie weiter, allerdings jetzt in etwas längeren Intervallen, aber hier mache ich auch weiter. O- Ton 51 Adler Wie die ersten Erfahrungen hier in Nordrhein-Westfalen zeigen, sieht man, dass einfach viele Patienten durch dieses Angebot in der Lage sind, ihr Leben besser zu gestalten und nicht mehr in die Kliniken müssen und das ist natürlich ein sehr, sehr großer Zugewinn an Lebensqualität und an Lebensformen. Sprecherin: Ulrich Adler von der Technikerkrankenkasse. Der Erfolg des Netzwerkprojekts in Solingen wird wissenschaftlich untersucht. Erste Ergebnisse scheinen positiv zu sein, ebenso bei vergleichbaren Projekten. Aber, betont Hans-Joachim Salize vom Zentrum für Seelische Gesundheit in Mannheim, ihre Zahl sei noch zu gering und sie sind zu unterschiedlich, um sie exakt vergleichen zu können. O- Ton 52 Greve Integrierte Versorgung ist aus meiner Sicht nicht der Königsweg des zukünftigen Gesundheitswesens. Dafür sind die Verträge zu selektiv, die Patienten müssen sich einschreiben. Dies ist das erste Mal, dass wir in großen Stil erproben können, wie ambulante Komplexbehandlung aussehen könnte. Sprecherin: Auch Nils Greve, der Leiter des Psychosozialen Trägervereins Solingen, sieht sich erst am Anfang eines langen Weges. O- Ton 53 Greve Und ich hoffe sehr, dass wir in wenigen Jahren dann eine Debatte zu führen haben: Wie wird das in der Regelversorgung übernommen?! © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 13 Tiefenblick, Verrückt (3/4) – Die multiple Störung der Versorgung O- Ton 54 Gaebel Na, ich denke mal, es werden sich die Modelle durchsetzen, die tatsächlich auch kostenmäßig vertretbar sind und zum anderen gute Ergebnisse zeigen. Sprecherin: Professor Wolfgang Gaebel, der Direktor der psychiatrischen Universitätsklinik und der Klinik des Landschaftsverbandes Rheinland in Düsseldorf. Auch er arbeitet an einem LVRModellprojekt zur integrierten Versorgung. Er hofft, dass es die Debatten um die künftige Regelversorgung beeinflussen wird, um die Zerrissenheit der psychiatrischen Versorgungslandschaft zu überwinden. Doch ist das realistisch? Wie vertragen sich Konzepte, die eher psychotherapeutisch orientiert sind wie in Solingen mit Klinikkonzepten wie in Düsseldorf? O- Ton 55 Gaebel Hier ist die Koordination, die Strukturierung des Ganzen doch noch mal sozusagen eine ganze Nummer höher. Sprecherin: Denn auch das Düsseldorfer Konzept setzt auf Home Treatment, will aber vor allem die Organisation der integrierten Versorgung optimieren. Ein so genanntes Community Health Center mit Case Managern aus Ärzten, Psychiatern oder Psychotherapeuten soll die Behandlung jedes einzelnen Patienten so steuern, dass sie den herrschenden Leitlinien psychiatrischer Standardtherapie entspricht. Musik: Hanging O- Ton 56 Gaebel Das Community Mental Health Center ist natürlich auch eine Einrichtung, die selber auch Behandlung anbietet, selber eine Ambulanz haben wird, selber eine Tagesklinik haben wird in einem beschränkten Umfang. O- Ton 57 Greve Also eindeutig passt dieses Modell in unsere Ideen und ein solches Community Mental Health Center wäre sehr nahe bei dem, was wir vorhaben. Sprecherin: Nils Greve, der Leiter des Psychosozialen Trägervereins Solingen, PTV. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 14 Tiefenblick, Verrückt (3/4) – Die multiple Störung der Versorgung O- Ton 58 Gaebel Wo aber eben das Case Management eine ganz wesentliche Rolle spielen wird, die Patienten nicht nur richtig zu platzieren, sondern auch sozusagen je nach ihrem Behandlungsstand und nach ihrer Verfassung und ihrem Zustand richtig durch das System zu führen und, was sozusagen bei der integrierten Versorgung natürlich nicht der Fall ist. Da wird zwar integriert behandelt, aber die Behandlung selber unterliegt selber nicht einem derartigen strukturierten Ansatz, wie wir ihn hier vorhaben. O- Ton 59 Vedder Ich glaube, wenn man so eine Art ambulante Therapie macht, muss man sich von der Art, dass man weiß, welchen Schritt man als nächstes zu gehen hat, lösen. Sprecherin: Anstatt wie im Düsseldorfer Projekt die Behandlungsschritte mit festgelegten Behandlungsleitlinien psychiatrischer Gesellschaften abzugleichen, will Martin Vedder, der Leiter der Ambulanz im sozialpsychiatrischen Zentrum in Solingen, sich mit den Patienten im Detail beschäftigen. Er möchte auf sie eingehen und den Behandlungsplan im Dialog mit ihnen entwickeln. O- Ton 60 Vedder Patientenorientierung oder Bedürfnisorientierung heißt nicht, ich stimme mein Mittel jetzt auf die Situation ab und wende das dann an, sondern ich gehe auf die Situation sehr konkret ein und versuche im Verstehen dessen, was im Moment die Krise auslöst und was sie auflösen könnte, einen gemeinsamen Weg mit den Patienten zu suchen. O-Ton 61 Hohmann Also jetzt, wo ich ja weiß, wie die integrierte Versorgung funktioniert und wenn sie abgeschafft würde, ich denke mal, es würde insofern was fehlen, die Sicherheit zu haben, schnell anzurufen und hier weiß ich, wenn ich anrufe, irgendeiner kümmert sich um mich. O- Ton 62 Gaebel Man muss sich eher davor hüten, dass nicht der Eindruck entsteht, man wolle nun alles sozusagen an der kurzen Leine führen und die Patienten haben gar keine Freiheit mehr, sich hier frei im System zu bewegen - aber ohne Kontrolle wird ein solches Modell sicherlich nicht laufen. Musik: Frozen © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 15 Tiefenblick, Verrückt (3/4) – Die multiple Störung der Versorgung Sprecherin: Sensibler, offener Dialog mit dem Patienten versus Steuerung des Behandlungsablaufs nach einmal festgelegten Normen? Beides muss sich nicht ausschließen, aber momentan ist offen, ob die Ansätze zusammenwachsen können, obwohl beide ein gemeinsames Ziel haben: Den Drehtüreffekt zu verhindern und die Patienten möglichst in ihrem sozialen Umfeld zu belassen. Absage: Verrückt Die multiple Störung der Versorgung Ein Feature von Martin Hubert Es sprach: Johanna Gastdorf Technische Realisation: Jürgen Glosemeyer und Barbara Göbel, Regieassistenz: Natia Koukoulli-Marx, Regie: Claudia Johanna Leist. Redaktion: Dorothea Runge. Eine Produktion des Westdeutschen Rundfunks 2016. Am kommenden Sonntag geht es weiter mit der Feature-Serie: „Verrückt: Die Blockade des Arbeitslebens“. Informationen und Download der Sendung finden Sie unter WDR5.DE und im WDRFeaturedepot. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 16