Presse-Information - Diabetes! Hören Sie auf Ihre Füße?

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Presse-Information
Neues von der Aufklärungsinitiative „Diabetes! Hören Sie auf Ihre Füße?“
Die diabetische Neuropathie ist für Betroffene eine große Unbekannte
Berlin, 13. Mai 2015. Die diabetische Neuropathie ist eine der häufigsten Folgeerkrankungen des
Diabetes. Etwa jeder dritte Mensch mit Diabetes in Deutschland ist von dieser Nervenschädigung
betroffen1, die sich durch Empfindungsstörungen wie Kribbeln, Brennen, Taubheit oder Schmerzen in
den Füßen bemerkbar machen kann. Unbehandelt kann sich daraus das diabetische Fußsyndrom
entwickeln, auf das jährlich bis zu 40.000 Amputationen zurückzuführen sind.2 Doch für viele Betroffene ist die diabetische Neuropathie eine große Unbekannte. Das zeigten die Ergebnisse von über
1.000 podologischen Untersuchungen, die bei der Informations- und Aktionstour der Aufklärungsinitiative „Diabetes! Hören Sie auf Ihre Füße?“ in den Jahren 2013 und 2014 durchgeführt wurden. Die
wissenschaftliche Auswertung der Daten wurde im Rahmen einer Pressekonferenz und eines Symposiums anlässlich der 50. Jahrestagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) in Berlin erstmals
der Öffentlichkeit vorgestellt.
Als weitere wichtige Themen standen die Ursachen, Symptome, Diagnose und Therapien der diabetischen Neuropathie sowie der Einfluss der Erkrankung auf Lebensqualität, Komorbidität und Lebenserwartung im Fokus. Wie wichtig die frühzeitige Aufklärung über den Diabetes und seine Folgeerkrankungen auch aus gesundheitspolitischer Sicht ist, verdeutlichte Dietrich Monstadt (MdB, CDU)
vor dem Hintergrund der geplanten Nationalen Diabetes-Strategie der Bundesregierung in seinem
Grußwort. „In den vergangenen 15 Jahren hat sich die Zahl der Diabeteserkrankungen um 38 Prozent
erhöht. Das ist eine dramatische Entwicklung – nicht zuletzt im Hinblick auf die schwerwiegenden
Folgeerkrankungen des Diabetes. Wir brauchen ein Konzept, das Präventionsstrategien sowie Früherkennungsmaßnahmen enthält, insbesondere zur Stärkung der Selbsthilfe von Betroffenen. Die
geplante Nationale Diabetes-Strategie wird ein erster und wichtiger Schritt in die richtige Richtung
sein“, sagte Monstadt, der u.a. Mitglied des Gesundheitsausschusses des Bundestages ist.
Auf die Füße „hören“ – Ergebnisse der Aufklärungsinitiative
Die wissenschaftlich evaluierten Ergebnisse der im Rahmen einer bundesweiten Informations- und
Aktionstour der Aufklärungsinitiative durchgeführten über 1.000 podologischen Untersuchungen
stellte Prof. Dr. med. Oliver Schnell, Geschäftsführender Vorstand der Forschergruppe Diabetes e.V.
am Helmholtz Zentrum München und Kurator der Deutschen Diabetes-Stiftung (DDS), vor. Dabei
wurden die Daten der Fuß-Checks aus den Jahren 2013 und 2014 herangezogen, die in 26 Städten
Deutschlands erfasst wurden. Die Untersuchungen beinhalteten die Überprüfung der Temperatur-,
Druck- und Vibrationswahrnehmung sowie die Palpation der Fußpulse.
Dabei zeigte sich bei gut jedem zweiten Untersuchten ein Verdacht auf das Vorliegen einer Neuropathie. Bei mehr als der Hälfte der Untersuchten mit bekanntem Typ-2-Diabetes ergaben sich Hinweise
auf das Vorliegen einer beginnenden oder klinisch manifesten Neuropathie. Und sogar etwa jeder
vierte Untersuchte ohne bekannten Diabetes zeigte Anzeichen einer moderaten oder schweren Neuropathie. Da eine Neuropathie auch schon vor der Diagnose eines Diabetes oder im Stadium des
Prädiabetes auftreten kann, gibt es seit Herbst 2014 am Informationsstand der Aufklärungsinitiative
die Möglichkeit, den HbA1c-Wert zu bestimmen, um auch einen Hinweis auf bisher unerkannte Diabetes-Fälle zu erhalten. Die Auswertung der HbA1c-Werte bei einer Teilgruppe der Untersuchten
ohne bekannten Diabetes ergab: Mehr als 30 % der Untersuchten hatten einen auffälligen HbA1cWert (≥ 5,7).
Insgesamt stieg der Anteil von Neuropathie-Verdachtsfällen bei den Untersuchten mit zunehmendem Alter signifikant an. Bei zwei Drittel aller Untersuchten, bei denen sich ein Neuropathie-Verdacht
ergab, lag anamnestisch keine Neuropathie-Diagnose vor. Bei Untersuchten mit bekanntem Typ-2Diabetes war dies in 61,5 % der Fall, bei Typ-1-Diabetes lag der Anteil bei 35,7 % und bei Untersuchten
ohne bekannten Diabetes sogar bei 79,1 %.
„Die Ergebnisse dieser Fuß-Checks verdeutlichen, wie wichtig die Aufklärung über die diabetische
Neuropathie und die regelmäßige Untersuchung der Füße sind, insbesondere wenn Warnsignale wie
Kribbeln oder Brennen an den Füßen auftreten. Denn nur wenn diese häufige Folgeerkrankung des
Diabetes frühzeitig erkannt und behandelt wird, kann dem Voranschreiten der Nervenschädigung
entgegengewirkt und schwerwiegenden Komplikationen, wie dem diabetischen Fußsyndrom, vorgebeugt werden“, so Prof. Schnell.
Neuropathie bei Diabetes: Welche Ursachen kommen in Frage?
Über die Ursachen einer diabetischen Neuropathie referierte Prof. Dr. med. Karlheinz Reiners, stellvertretender Direktor der Neurologischen Klinik und Poliklinik am Universitätsklinikum Würzburg.
Dabei unterschied er zwischen Faktoren, die von Menschen mit Diabetes nicht direkt beeinflussbar
sind, und pathogenetischen Faktoren, die vom Betroffenen selbst zum Teil gesteuert werden können.
Zu diesen, heute oft dem Lebensstil zugerechneten Einflussgrößen, zählte er vor allem ungünstige
Ernährung, mangelnde Bewegung, hohes Körpergewicht, Genussmittel (Alkohol, Rauchen) und hohen Blutdruck. Als nicht vom Patienten steuerbare Einflussfaktoren nannte Prof. Reiners die genetische Disposition, Begleiterkrankungen mit direktem (z.B. Nierenerkrankungen) oder indirektem negativen Einfluss auf die Nervenfunktion (neurotoxische Medikation, zum Beispiel Amiodaron, Zytostatika), Neuropathien nicht-diabetischer Genese, entzündliche Gefäßerkrankungen und das Alter der
Betroffenen. „Jede Strategie, die eine diabetische Neuropathie erfolgreich behandeln will, muss alle
diese Faktoren einbeziehen, sonst wird sie nicht langfristig erfolgreich sein können“, sagte er.
Die Behandlung jeder Neuropathie umfasse nicht-medikamentöse und medikamentöse Maßnahmen.
Als Grundlage für die medikamentöse Behandlung einer Neuropathie beschrieb er das 3-SäulenSchema. Zu diesen gehört zum einen die Optimierung des Stoffwechsels: „Übergeordnetes Behandlungsziel ist die Erzielung einer Normoglykämie. Hierzu sind in erster Linie internistische Maßnahmen
zur Blutzuckereinstellung erforderlich, die je nach Einzelfall in der Verordnung von oralen Antidiabetika mit unterschiedlichen Angriffspunkten oder Insulin besteht.“ Als zweite Säule beschrieb er die
Blockierung pathogener Stoffwechselwege, z.B. durch die Gabe von Benfotiamin, einem fettlöslichen,
ausgezeichnet resorbierbaren Thiamin- (Vitamin B1-) Derivat, erläuterte Prof. Reiners: „Experimentell
wurde belegt, dass Benfotiamin an vier entscheidenden Reaktionen beteiligt ist, die ursächlich für die
Entwicklung der diabetischen Neuropathie sind3.“ Die symptomatische Therapie, insbesondere
neuropathischer Schmerzen nannte er als dritte Säule.
Das „Chamäleon“ diabetische Neuropathie – vielfältige Symptome erschweren die Diagnose
„Das klinische Screening in Bezug auf eine diabetische Polyneuropathie umfasst auch eine jährliche
Fußuntersuchung. Bei jedem Patienten mit Diabetes sind die Füße nach Hautbeschaffenheit, Fußdeformitäten und Nagelbett zu inspizieren, die Fußpulse zu palpieren und die Berührungs- und Vibrationsempfindung sowie die Kalt-Warm-Diskrimination mit einem einfachen Instrumentarium zu testen“, erklärte Prof. Dr. med. Kristian Rett, Chefarzt der Abteilung Endokrinologie und Diabetologie
am Krankenhaus Frankfurt-Sachsenhausen. Angesichts mehrheitlich unspezifischer Symptome, wie
Ausfall- bzw. Reizzeichen, empfahl er hierfür die systematische Verwendung von Defizit- und Symptom-Scores.
„Wenn eine diabetische Neuropathie allerdings einmal symptomatisch geworden ist, liegt häufig
bereits ein fortgeschrittenes Erkrankungsstadium mit begrenzten therapeutischen Möglichkeiten vor.
Daher ist eine möglichst frühzeitige Diagnosestellung anzustreben. Das gilt in besonderem Maße für
die motorische Schädigung, die in der Regel unbeachtet bleibt, die aber im Hinblick auf die Sturzneigung als sekundäre Komplikation und Folgeerscheinung einer Neuropathie eine sehr konkrete Gefahr
insbesondere für ältere Menschen darstellt“, erläuterte Prof. Rett.
Beispielhaft seien zwei häufig unerkannte diagnostische Fallstricke, die zudem auch noch gehäuft bei
Patienten mit Diabetes und Prädiabetes auftreten: Überlastung bei Adipositas und das Tarsaltunnelsyndrom. Bei erstem könne mittels Pedographie ein pathologischer Abrollvorgang einen frühzeitigen diagnostischen Hinweis geben. Bei zweitem gelingt laut Prof. Rett der Nachweis einer isolierten Läsion des Nervus tibialis im Tarsaltunnel durch die Messung der sensiblen und motorischen Nervenleitgeschwindigkeit.
Diabetische Neuropathie – Einfluss auf Lebensqualität, Komorbidität und Lebenserwartung
Die diabetische Neuropathie beeinflusst nicht nur die Lebensqualität, sondern auch die Komorbidität
und die Lebenserwartung von Betroffenen. Das verdeutlichte Prof. Dr. med. Ralf Lobmann, Ärztlicher
Direktor der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Geriatrie am Bürgerhospital des Klinikums in
Stuttgart. Dabei ging er auf die peripher sensible, die motorische und die peripher autonome Komponente der Neuropathie der distalen unteren Extremität ein.
Als Zeichen einer sensiblen Neuropathie nannte er eine Reduktion oder den Verlust des Vibrationsempfindens sowie der taktilen Oberflächensensibilität (Druck, Berührung) und subjektiv
Parästhesien. Eine besondere und für die Patienten meist stark belastende Form der diabetischen
Neuropathie sei das sogenannte „burning feet syndrome“, das in der Regel nachts auftritt und mit
zum Teil quälenden Schmerzen einhergeht.
Die motorische Neuropathie äußere sich in der Atrophie der kleinen Fußmuskeln und bewirke eine
Fehlstellung der Zehen im Sinne der sogenannten Krallenzehen. In der Kombination der sensiblen
und motorischen Komponente der peripheren Neuropathie ergeben sich, seinen Ausführungen zufolge, eine Fußfehlbelastung und Gangunsicherheit für den betroffenen Menschen mit Diabetes.
„Durch eine periphere autonome Neuropathie kommt es zu einer Vasomotorenlähmung mit Eröffnung von arterio-venösen Shunts im Bereich des subkutanen Gefäßplexus“, so Prof. Lobmann. Als
weiteres Zeichen nannte er unter anderem die Störung bzw. den Verlust der Schweißsekretion
(Sudomotorenparese) als Ausdruck einer autonomen Neuropathie.
„Auch die Entstehung einer Mediasklerose, verbunden mit einem zweifach höherem Ulkusrisiko und
einem dreifach erhöhten Amputationsrisiko, der diabetischen Osteoarthropathie (Charcot-Fuß), die
neuropathische Ödembildung und Veränderungen der Hautdicke gehen auf das Vorliegen einer autonomen Neuropathie bei Diabetes mellitus zurück. Daneben wird die Visko-Elastizität des Fußes
durch die Neuropathie, bedingt durch die nicht enzymatische Glycosilierung mit gesteigerter Quervernetzung der extrazellulären Matrix, beeinträchtigt. Diese Steifigkeit von Hand- und Fußgelenken
(„limited joint mobility“) ist bei über 40 Prozent der Diabetiker anzutreffen“, betonte er.
Therapie der diabetischen Neuropathie – Mehr Aufmerksamkeit für die Nerven
Prof. Dr. med. Dan Ziegler, stellvertretender Direktor am Institut für Klinische Diabetologie des Deutschen Diabetes Zentrums der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, ging in seinem Vortrag auf die
Therapie der diabetischen Neuropathie ein. Dabei beschrieb er drei therapeutische Ansätze: die kausale Therapie, mit dem Ziel einer Nahe-Normoglykämie einschließlich Kontrolle der kardiovaskulären
Risikofaktoren; eine pathogenetisch begründete Therapie der diabetischen Polyneuropathie und die
symptomatische Therapie neuropathischer Schmerzen. Ein Ziel der pathogenetisch begründeten
Therapie sei die Blockierung pathogener Stoffwechselwege mit Substanzen, die in kontrollierten Studien über Zeiträume von bis zu vier Jahren günstige Effekte auf neuropathische Symptome und Defizite gezeigt haben.
Die Behandlung der chronisch schmerzhaften diabetischen Polyneuropathie beschrieb Prof. Ziegler
als eine ärztliche Herausforderung, die folgende praktische Regeln berücksichtigen sollte: jeder Patient benötigt eine individuelle Dosierung nach sorgfältiger Titration unter Berücksichtigung von Wirkung, Nebenwirkungen und Komorbiditäten; die Wirkungslosigkeit des Medikamentes sollte erst
nach mindestens zwei bis vier Wochen Therapie bei ausreichender Dosierung definitiv beurteilt werden; eine analgetische Kombinationstherapie ist sinnvoll; vor dem Hintergrund der häufigen
Polypharmazie bei Patienten mit Diabetes sind potentielle Arzneimittelinteraktionen zu berücksichtigen.
„Nicht nur ein übermäßiger Alkoholkonsum, sondern auch die traditionellen kardiovaskulären Risikofaktoren wie viszerale Adipositas, Hypertonie, Hyperlipidämie und Rauchen spielen eine Rolle bei der
Entwicklung und Progression der diabetischen Neuropathie und sind daher durch Lebensstilintervention und pharmakologisch zu behandeln“, resümierte Prof. Ziegler.
Quellen
1
Ziegler D et al. Diabetische Neuropathie. Diabetologie 2014; 9:S100-S110
2
Die meisten Amputationen in Deutschland sind Folge von Diabetes – und ließen sich verhindern. Pressemitteilung der „AG Diabetischer
Fuß“ der DDG, 2012
3
Hammes HP, Du X, Edelstein D et al.: Benfotiamine blocks three major pathways of hyperglycemic damage and prevents experimental
diabetic retinopathy. Nat Med, 2003, 9: 294-299
Pressekontakt
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Telefon: 0711/96031333
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