GESUNDHEIT Kälberhusten hat dramatische Spätfolgen Ï top agrar: Wo liegen die verlustbringenden Probleme in der Kälberaufzucht? Heckert: Die Tierverluste während der Aufzuchtphase belaufen sich auf 10 bis 15%. Davon sind zwei Drittel auf Durchfälle und Atemwegserkrankungen zurückzuführen. Diese Zahlen berücksichtigen aber nur die Totalverluste. Die eigentlichen wirtschaftlichen Verluste sind vor allem bei den Atemwegserkrankungen wesentlich schwerwiegender. Nach überstandener Krankheit entwickeln sich diese Tiere zu Kümmerern. Das Wachstum ist unzureichend und die Tageszunahmen zu gering. Dies ist darauf zurückzuführen, dass mit jeder Atemwegserkrankung ein Verlust an funktionellem Lungengewebe einhergeht. Werden diese Tiere für die Bestandsergänzung aufgezogen, sind die Auswirkungen besonders gravierend. Der Verlust an Lungengewebe wirkt sich auf das Leistungsvermögen der melkenden Tiere aus. So sind die Ursachen für schlechte Einsatzleistungen und höhere Anfälligkeit für Stoffwechselprobleme schon in der Aufzucht dieser Tiere zu suchen. Diese Lungenschäden sind ein entscheidender Grund dafür, dass die durchschnittliche Nutzungsdauer von Kühen nur bei 2,6 Laktationen liegt und viele Betriebe Probleme mit der Remontierung haben. Ï top agrar: Welche Erreger haben im Zusammenhang mit Atemwegserkrankungen in letzter Zeit an Bedeutung gewonnen? Heckert: Primärer Auslöser der Rindergrippe sind Viren, wobei Einzel- als auch Mischinfektionen vorliegen könR 16 top agrar 1/2005 Fotos: Dr. Heckert Gibt es neue Entwicklungen in der Diagnose und Behandlung von Atemwegserkrankungen? top agrar sprach mit Dr. Hans Peter Heckert, Klinik für Klauentiere an der FU Berlin. Schleimig-eitriger Nasenausfluss nach einer bakteriellen Sekundärinfektion. nen. Innerhalb weniger Tage nach der viralen Infektion beherrschen die hinzutretenden bakteriellen Sekundärerreger den weiteren Krankheitsverlauf. Unter den viralen Erregern hat in den letzten Jahren besonders die BRSV-Infektion an Bedeutung gewonnen. Die Parainfluenza-3-Infektion spielt ebenfalls eine große Rolle bei Atemwegserkrankungen von 3 bis 6 Wochen alten Kälbern. Als bakterielle Sekundärerreger werden vor allem Pasteurellen (Mannheimia haemolytica) nachgewiesen. Diese weisen häufig ein ausgeprägtes Resistenzverhalten auf. In vielen Betrieben sind auch Mykoplasmen Ursache von schweren Atemwegserkrankungen. Eine endgültige Beurteilung ist nur schwer möglich, da es keine flächendeckenden, repräsentative Erhebungen gibt. Außerdem spielen die Weiterentwicklungen in der Diagnostik eine wichtige Rolle beim Erregernachweis. Hieraus kann sich ein neues Bild bei der Häufigkeitsverteilung von Krankheitserregern ergeben. Eindeutig zu beobachten ist jedoch, dass Atemwegserkrankungen heute kein saisonales Problem der Wintermonate mehr sind. Die Krankheitsausbrüche kommen das ganze Jahr über vor. Der Grund hierfür ist der höhere Infektionsdruck in den größer werdenden Tierbeständen. Ï top agrar: Welche diagnostischen Maßnahmen sind zur Ursachenforschung sinnvoll? Heckert: Für den viralen Erregernachweis muss in den ersten drei bis fünf Krankheitstagen ein Abstrich mit einem langstieligen Nasentupfer tief im unteren Nasengang erfolgen. Hierbei werden lebende Schleimhautzellen gewonnen, in denen der Virusnachweis erfolgen kann. Bei längerem Krankheitsgeschehen ist der Nachweis viraler Erreger nicht mehr möglich. Für den bakteriellen Erregernachweis, der im Anschluss an die virale Phase an Bedeutung gewinnt, ist der Nasentupferabstrich ungeeignet. Die Schleimhaut ist mit einer Vielzahl von Keimen besiedelt, die nicht mit der Erkrankung in Zusammenhang stehen. So lässt z. B. R I N D ein positiver Pasteurellen-Befund aus dem Nasensekret keinen Rückschluss auf eine Beteiligung am Krankheitsgeschehen zu. Diese Keime werden auch bei gesunden Tieren gefunden. Aus diesem Grund wird ein Abstrich aus der Luftröhre entnommen, da hier bereits ein selektiertes Keimspektrum vorliegt. Ein Antibiogramm sollte immer erstellt werden. Wesentlich für eine erfolgreiche Diagnostik ist daher, neben der richtigen Auswahl der zu beprobenden Tiere, die Entnahmetechnik, der Entnahmezeitpunkt und die rich- Dr. Hans Peter Heckert tige Fragestellung an das Laborinstitut. Da die Mehrzahl der auslösenden Krankheitskeime durch schlechte Haltungsbedingungen begünstigt werden, muss das Umfeld der Tiere ebenfalls mit in die Diagnostik aufgenommen und bewertet werden. Einen Sonderfall stellen die Mykoplasmeninfektionen dar. Diese Erreger können nur bei der Sektion frisch verendeter Tiere oder mittels Lungenspülproben nachgewiesen werden. Ï top agrar: Welche Therapiekonzepte empfehlen Sie? Heckert: Beim Auftreten infektiöser Atemwegserkrankungen muss wegen der hinzutretenden bakteriellen Infektion ein Antibiotikum eingesetzt werden. Ausschlaggebend für den Behandlungserfolg sind: ■ der frühzeitige Therapiebeginn, je früher desto besser, ■ eine ausreichend hohe Dosierung der Medikamente, ■ Wiederholungsbehand- lungen, d. h. eine ausreichend lange Behandlungsdauer ■ der Einsatz laut Antibiogramm um die Wirksamkeit sicherzustellen. Gegen virale Infektionen helfen nur die Abwehrmechanismen des Organismus. Besonders in der Anfangsphase der Erkrankung sollte deshalb das Immunsystem mit entzündungshemmenden Präparaten (NSAID) unterstützt werden. Schleimlösende Medikamente (Sekretolytika) mildern ebenfalls das Krankheitsgeschehen und unterstützen die Wirkung der eingesetzten Antibiotika. Da Kälber meistens in Gruppen gehalten werden, muss bei erfolgtem Erregernachweis von einer Gruppeninfektion ausgegangen werden. Somit ist in diesem Fall auch eine Gruppenbehandlung erforderlich. In der Praxis haben sich zwei Konzepte zum Antibiotikaeinsatz bewährt. ■ Es kann ein preiswertes, oral wirksames Antibiotikum für einen längeren Zeitraum über die Tränke oder ein Futtermittel verabreicht werden. ■ Zum anderen gibt es Langzeitantibiotika, die über eine einmalige Injektion einen lang anhaltenden Wirkspiegel aufbauen. Zugelassen hierfür sind z. B. Florfenicol (Nuflor®), Tilmicosin (Micotil®), und Tulathromycin (Draxxin®). Ï top agrar: Welche vorbeugenden Maßnahmen gegen Rindergrippe haben sich bewährt? Heckert: Wichtiger als die medikamentelle Behandlung sind für eine erfolgreiche Kälberaufzucht Prophylaxemaßnahmen. Hier haben sich Impfungen gegen die viralen Infektionen z. B. BRSV und Parainfluenza-3 und gegen die bakteriellen Infektionen z. B. Pasteurellen bewährt. Allerdings müssen diese immer durch eine Verbesserung der Haltungsbedingungen flankiert werden. Das heißt, das Absenken von Risikofaktoren wie Schadgasbelastung, Luftgeschwindigkeit und Luftfeuchte im Bereich des Stallklimas sollten oberste Priorität haben. Das Interview führte F. Wattendorf-Moser top agrar 1/2005 R 17