Das Kino "International" in Berlin, Berlin

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Claudia Tittel: Rezension von: Dietrich Worbs: Das Kino
"International" in Berlin, Berlin: Gebr. Mann Verlag 2015, in
sehepunkte 17 (2017), Nr. 5 [15.05.2017],
URL:http://www.sehepunkte.de/2017/05/27273.html
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sehepunkte 17 (2017), Nr. 5
Dietrich Worbs: Das Kino "International" in
Berlin
Das Kino "International" gehört zu den prominentesten Gebäuden
Berlins. An der "Prachtstraße" in Ost-Berlin, der Karl-Marx-Allee gelegen,
wurde es von Josef Kaiser im zweiten Bauabschnitt der Stalinallee
1961-64 errichtet und sollte die Überlegenheit des sozialistischen
Staates gegenüber dem Westen auch architekturästhetisch
widerspiegeln. Dabei kehrte sich der Architekt von dem nach
sowjetischen Vorbild adaptierten neoklassizistischen Baustil des ersten
Bauabschnitts ab und wandte sich einer modernen Architektursprache
zu, die die neue sozialistische Gesellschaft verkörpern sollte.
Das Kino "International" bildete mit den beiden Nachbargebäuden, dem
Hotel "Berolina" und dem Café "Moskau" das städtebauliche Zentrum des
neu entstandenen Wohngebiets in aufgelockerter Bebauung zwischen
Alexanderplatz und Strausberger Platz, das nicht nur als Antwort auf die
INTERBAU 1957 in West-Berlin zu verstehen ist, sondern von ihr
inspiriert war. Das "International" spielt dabei eine besondere Rolle, da
es nicht nur ein Prestigeprojekt der DDR war, sondern bis heute als
Solitärbau ein Highlight der Berliner Baugeschichte geblieben ist.
Aufgrund seiner außergewöhnlichen architektonischen Gestalt und
seiner großzügige, luxuriösen und ausgewogenen Innenausstattung bis
ins Detail offenbart es die Anschlussfähigkeit der DDR-Architektur an
eine internationale Architektursprache und zeigt exemplarisch die
Weiterführung und -entwicklung des Formenvokabulars des Neuen
Bauens im sozialistischen Deutschland. Nie wieder, so viele Stimmen, sei
die sozialistische Architektur so elegant gewesen.
Insofern verwundert es nicht, dass sich der Bauhistoriker und Architekt
Dietrich Worbs diesem außergewöhnlichen Gebäude widmet und es einer
genaueren Analyse unterzieht, wobei er sich nicht nur mit der
Baugeschichte des Kinos selbst, sondern seiner Umgebung und dem
ersten und zweiten Bauabschnitt der Stalinallee auseinandersetzt und
diesen in die politischen und historischen Ereignisse einordnet.
Worbs hat im Vorfeld der Recherche viele Zeitzeugen aufgesucht, mit
ihnen Interviews geführt, sowie zahlreiche Archivalien ausgewertet. Als
jahrelanger Mitarbeiter des Berliner Landesdenkmalamts hatte er nicht
nur Zugriff zu den verschiedensten bautechnischen Dokumenten, was
sich auch in den Anmerkungen zeigt, sondern bringt vor allem ein
praktisches Verständnis für bauliche Entscheidungen mit.
Das Buch ist in sieben chronologische Kapitel unterteilt. Nachdem der
Bau in Kapitel 1 vorgestellt wird, widmet sich Kapitel 2 dem Bau des I.
und II. Bauabschnitts der Stalinallee und bezieht dabei auch die
Lebensläufe der Planer und Architekten des Entwurfs mit ein, was an
manchen Stellen recht langatmig ist, jedoch die architektonische
Herkunft der Architekten offenbart und somit die Vorbilder für den
Entwurf biografisch erläutert und erklärt. Kapitel 3 beschäftigt sich mit
Planung, Bau und Gestaltung des Kinos "International" und würdigt die
gestalterische und konzeptuelle, vor allem aber auch bautechnische
Komplexität des Mehrzweckgebäudes, das eine Bibliothek und einen
Club beinhaltete, und sowohl architekturästhetisch-funktionale
Anforderungen erfüllen musste, als auch als Repräsentationsbau eine
neuartige und spektakuläre innere und äußere Gestaltung bieten sollte.
Während in Kapitel 4 die Betonreliefs aus Steinguss von Waldemar
Grzimek, Hubert Schiefelbein und Karl-Heinz Schamal Gegenstand der
Betrachtung sind - und dabei die bauplastische Gestaltung einer Kunst
am Bau reflektiert wird -, stellt Kapitel 5 das "International" als
Premierenkino und somit als wichtigen Ort der Filmgeschichte vor.
Schließlich geht Worbs in Kapitel 6 dem Schicksal des Baus nach 1990
nach und skizziert in Kapitel 7 einen Rück- und Ausblick.
Der Autor, und dies formuliert er im ersten Kapitel dezidiert, möchte mit
seiner Publikation helfen, "die bisherigen Auffassungen von der DDRNachkriegsmoderne in vielerlei Hinsicht zu differenzieren." (10) Sein
Interesse an einer wissenschaftlichen Würdigung des Gebäudes ist sicher
dem Umstand zu verdanken, dass die Wahrnehmung der Architektur der
DDR insgesamt gestiegen ist, befeuert durch das erstarkte Interesse an
der Aufarbeitung der DDR-Geschichte allgemein und einer damit
verbundenen neuen historischen Lesart und Objektivierung der
baulichen Werke der DDR im Kontext architektonischer (und
städtebaulicher) Debatten, was zahlreiche zuletzt erschienene Bücher
beweisen. [ 1 ] Zudem besitzt das Gebäude "Kultcharakter" und zählt
nicht nur unter Architekturhistorikern, sondern auch unter Filmkritikern
zu den beliebtesten Kinos Berlins. [ 2 ]
Insofern schließt das Buch ein Desiderat, da es exemplarisch anhand
eines Baus die Geschichte der DDR kritisch und gleichzeitig objektiver
darzustellen versucht. Dennoch wäre es verkürzt, den Band allein auf das
Feld der historischen "Aufarbeitung" zu reduzieren: Vielmehr legt das
Buch nicht nur Zeugnis von der herausragenden Architektur der
Nachkriegsmoderne in der DDR ab, sondern reflektiert anhand des
Gebäudes die Filmgeschichte des Landes. Wie kaum ein anderes
Gebäude hat das "International" nicht nur Bau-, sondern auch
Kinogeschichte geschrieben. So fanden berühmte Filme wie "Spur der
Steine" (1966, Regie: Frank Beyer) oder "Coming Out" (1989, Regie:
Heiner Carow) hier ihre Uraufführung.
Auch wenn Worbs mit seiner Monografie über das Kino "International"
zur Differenzierung des Diskurses über die DDR-Architektur und seiner
Objektivierung beigetragen hat, kann nicht darüber hinweggetäuscht
werden, dass der Band aus der Hand eines Praktikers stammt, da er zwar
in seinen Analysen die in den Archiven aufgesuchten Dokumente
heranzieht, jedoch die verschiedenen, vor allem in den letzten Jahren
geführten Diskurse und Debatten über die Architektur der DDR,
entweder nicht kennt oder sie weitestgehend ausblendet.
So geht er leider - trotz der Einbeziehung von Zeitzeugen, als auch der
Filmgeschichte und wichtiger baupolitischer Ereignisse und
Entscheidungen, die am Kino "International" ablesbar sind - nicht über
einen historiografischen Diskurs hinaus. Zudem werden zum
architekturästhetischen Vergleich ausschließlich der West-Berliner ZooPalast oder die Deutsche Oper herangezogen, und es wird nicht nach
formalästhetischen Ähnlichkeiten in der Architektur der DDR gesucht,
um dann entweder die Singularität dieses Solitärbaus herauszustellen
oder aber ihn als Vorbild für andere Bauten der DDR-Nachkriegsmoderne
zu würdigen. Auch kann man dem Autor nicht folgen, wenn er von
Schwächen des Baus schreibt, wie etwa den zu groß dimensionierten
Verkehrswegen oder dem hohen konstruktiven Aufwand für das
Tragwerk des Foyers. Der Aufwand hätte - seiner Meinung nach - recht
einfach mithilfe einer Stützenreihe gelöst werden können. Dann
aber verkennt der Autor, dass das Besondere und Außergewöhnliche des
Baus zum einen in seiner räumlichen Großzügigkeit, zum anderen in der
architektonischen Gestaltung, vor allem aber der gewagten Auskragung
des monolithischen Körpers - des Foyers - aus der Fassade begründet
liegt. Dieses "freie Spiel" lässt den Bau fast skulptural erscheinen.
Im "International" fließen somit Film- und Architekturgeschichte der
DDR kongenial ineinander. Indem nämlich mittels der riesigen Glasfront
des auskragenden Foyers die kinematografische Wahrnehmung
symbolhaft nach Außen verlagert wird, kann durch die Fensterfront nicht
nur in das Innere des Gebäudes geschaut werden, sondern die gebaute
Architektur selbst wird zum Film - zu einem Screen, zu einer Leinwand in
der Stadt am damals modernsten Boulevard der DDR.
Anmerkungen :
[ 1 ] Zu nennen wären hier: Peter Müller: Symbolsuche. Die Ost-Berliner
Zentrumsplanung zwischen Repräsentation und Agitation, Berlin 2005;
Christoph Bernhardt / Thomas Flierl / Max Welch Guerra (Hgg.):
Städtebau-Debatten in der DDR. Verborgene Reformdiskurse, Berlin
2012; Eva Engelberg-Dockal / Kerstin Vogel (Hgg.): Sonderfall Weimar?
DDR-Architektur in der Klassikerstadt, Weimar 2013 (vgl. http://
www.sehepunkte.de/2013/10/23610.html ); Elmar Kossel: Hermann
Henselmann und die Moderne. Eine Studie zur Modernerezeption in der
Architektur der DDR, Königstein im Taunus 2013 (vgl. http://
www.sehepunkte.de/2015/10/forum/mehrfachbesprechung-elmar-kosselhermann-henselmann-und-die-moderne-eine-studie-zurmodernerezeption-in-der-architektur-der-ddr-koenigstein-im-taunus-karlrobert-langewiesche-nachfolger-2013-204/ ); Juliane Richter: DDRArchitektur in der Leipziger Innenstadt, Weimar 2015 oder Toni Salomon:
Bauen nach Stalin, Berlin 2016.
[ 2 ] In zahlreichen Filmrezensionen wird immer wieder auch auf das
"International" als herausragenden Kino-Ort verwiesen.
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