Landschaft der Forschungsinfrastrukturen aLMa – auge ins kalte universum Landschaft der forschungsinfrastrukturen: aLMa, stand august 2016 2 ALMA – Auge ins kalte Universum auf einer hochebene in chile stehen in über 5000 Metern höhe über dem Meeresspiegel die 66 antennen des aLMa-observatoriums. aLMa steht für „atacama Large Millimeter/submillimeter array“, also „anordnung für den Millimeter-/submillimeterbereich in der atacama-Wüste“. Zusammen bilden die aLMa-instrumente das weltweit größte teleskop für diesen Wellenlängenbereich, mit dem besonders das „kalte universum“ beobachtet werden kann: gas- und staubwolken in unserer Milchstraße und galaxien am rande des kosmos. Was für den Astronomen, der ALMA besuchen möchte, ein körperliches Problem sein kann, ist für die Instrumente eine notwendige Voraussetzung: 5000 Meter Höhe! Hier ist die Atmosphäre recht dünn, und gerade über der trockenen Atacama-Wüste enthält sie nur ganz wenig Wasserdampf. Unsere Erdatmosphäre ist es nämlich, die den Blick auf Wolken aus kalten Molekülen und Atomen im Universum trübt, wenn man zu viel davon „vor der Linse hat“. Das ChajnantorPlateau ist der Standort von ALMA – eine Hochebene fernab der Zivilisation. Bis zur nächsten Kleinstadt sind es 50 Kilometer, die nächste Hafenstadt, die auch eine Linienfluganbindung ermöglicht, ist Antofagasta in 280 Kilometern Entfernung. Wegen dieses abgelegenen und hohen Standorts war der Aufbau des ALMA-Observatoriums mit einem großen technischen und körperlichen Aufwand verbunden: Alle Geräte, Antennen und Baumaterialien mussten erst in die entlegene Gegend in Chile geschafft werden. internationale Zusammenarbeit ALMA ist ein Gemeinschaftsprojekt von Europa, den USA, Kanada, Japan, Taiwan und dem Gastgeberland Chile. Europas Anteil von 37,5 Prozent der Bau- und Betriebskosten wird durch die Europäische Südsternwarte (ESO) aufgebracht, die zurzeit mit 23,1 Prozent aus Bundesmitteln finanziert wird. Die gesamten Baukosten von ALMA betrugen rund 1,2 Milliarden Euro (deutscher Anteil 120 Millionen Euro). Damit ist ALMA das bisher kostenaufwendigste astronomische Observatorium auf der Erde. Es ist erheblich leistungsfähiger als bisherige Einzelantennen-Submillimeterteleskope oder andere Submillimeter-Anordnungen wie etwa das Submillimeter-Array (SMA) auf Hawaii mit seinen acht Antennen oder das Antennenfeld des Instituts für Radioastronomie im Millimeterbereich (IRAM) in den französischen Alpen, das bis zum Jahr 2019 auf 12 Antennen ausgebaut werden soll. Das ALMA-Antennenfeld auf dem Chajnantor-Plateau in Chile in 5000 Metern Höhe, schematisch dargestellt. Für die 66 Antennen gibt es viele mögliche Anordnungen. Die über hundert Tonnen schweren Apparaturen werden mit zwei Spezialtransportern zu ihren Plätzen bewegt. Ein Großrechner, der zu den schnellsten der Welt zählt, setzt die Messdaten des Antennenfeldes zu extrem scharfen Aufnahmen der kalten Komponenten des Universums zusammen. (Bild: Britta von Heintze/Welt der Physik) Landschaft der Forschungsinfrastrukturen: ALMA, Stand august 2016 3 Die Antennen von ALMA wurden zwischen 2009 und 2013 geliefert. Einmalig war dabei, dass drei verschiedene Antennentypen von den Partnerregionen Europa, Nordamerika und Asien unabhängig voneinander entwickelt und gebaut wurden. Alle drei Typen erreichten dabei die strengen technischen Leistungsvorgaben des ALMA-Konsortiums. Schon in den ersten Betriebsjahren gelangen mit ALMA bahnbrechende Entdeckungen. Ein heraus­ragendes Beispiel ist die Aufnahme einer soge­nannten proto­ planetaren Scheibe um einen jungen Stern. Darin sind ringförmige Strukturen erkennbar, die wahrscheinlich auf gerade im Entstehen begriffene Planeten zurück­ zuführen sind. Die einzelnen Antennen können – je nach Beobachtungsziel – ganz kompakt innerhalb von nur 150 Metern aufgestellt werden oder ganz weit verteilt mit Ab­ ständen von bis zu 16 Kilometern. Dadurch wirkt das gesamte Antennenfeld wie ein gigantisches ZoomObjektiv. Eine weitere Entdeckung in einer protoplanetaren Staubscheibe gelang im Jahr 2015: Hier konnten große Mengen von Molekülen gefunden werden, die aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Stickstoff zusammen­ gesetzt sind. Diese organischen Moleküle könnten die Basis für lebensfreundliche Atmosphären extrasolarer Planeten bilden. Weitere Untersuchungen können in Zukunft vielleicht auch Hinweise auf Wasser oder andere bei uns häufige Moleküle liefern. Millimeter- und Submillimeter-Astronomie Astronomen empfangen aus dem Weltall nicht nur sichtbares Licht in ihren Teleskopen auf der Erde – also Licht, das wir mit unseren Augen wahrnehmen können. Andere Wellenlängenbereiche wie etwa Radio­ wellen, Ultraviolett- oder Röntgenlicht enthalten wei­tere wichtige Informationen über die Vorgänge im Kosmos. Der Millimeter- und Submillimeterbereich, den ALMA beobachtet, befindet sich zwischen den Radiowellen und dem fernen Infrarotlicht, das fast ausschließlich mit Weltraumteleskopen beobachtet werden kann. Hier „leuchten“ besonders die kalten Molekül- und Staubwolken im Kosmos, in denen Sterne entstehen oder aus denen sich zu Beginn des Universums Galaxien gebildet haben. Die extrem gute Auflösung von ALMA wird im Vergleich mit der HubbleAufnahme der Region um HL Tauri klar. Erst im ALMA-Bild (rechts oben) ist die Struktur der protoplanetaren Staubscheibe mit ihren Ringen und Speichen auszumachen: Hier entsteht ein Planetensystem. (Bild: ALMA (ESO/NAOJ/NRAO), ESA/Hubble and NASA, Judy Schmidt) Während sich die protoplanetaren Staubscheiben, die man mit ALMA beobachtet, in unserer Nachbarschaft innerhalb der Milchstraße befinden, sind andere Forschungsobjekte fast so weit entfernt, wie es das beobachtbare Universum zulässt: Galaxien, die sich nur wenige hundert Millionen Jahre nach dem Urknall gebildet haben. Wir können sie heute noch in ihrem frühen Zustand beobachten, weil das Licht von ihnen mehrere Milliarden Jahre brauchte, um zu uns zu gelangen. Dabei hat es seine Wellenlänge verändert: Was damals als Infrarotlicht auf den Weg ging, ist nun wegen der sogenannten Rotverschiebung im ALMAWellenlängenbereich von wenigen Millimetern zu beo­ bachten. Mit den ALMA-Radioteleskopen und dem IRAM-Teleskop in Spanien konnte ein internationales Astronomenteam unter Beteiligung des MaxPlanck-Institutes für Astronomie in Heidelberg erstmals die Temperaturen großer Staubkörner im Außenbereich einer protoplanetaren Staubscheibe vermessen. Sie sind nur 7 Grad wärmer als der Temperaturnullpunkt – erwartet hatten die Astronomen eine Temperatur von 15 bis 20 Kelvin. (Bild: Digitized Sky Survey 2/NASA/ESA) Landschaft der Forschungsinfrastrukturen: ALMA, Stand august 2016 4 Mit ALMA werden in Zukunft somit Antworten auf zwei grundsätzliche Fragestellungen gegeben werden können: Die Entstehung der Galaxien und Sterne im frühen Universum und die Mechanismen, die im heu­ti­ gen Universum zur Bildung von Sternen und Planeten­ systemen führen. Wir werden erfahren, wie unsere Milchstraße und unser Sonnensystem entstanden, und Hinweise darauf bekommen, ob unsere Erde ein einmaliger Glücksfall im Universum ist, oder ob wir noch andere bewohnbare Planeten um ferne Sterne erwarten dürfen. Spiegel, Schwertransport und schnelle Rechner Die Spiegeloberfläche der ALMA-Teleskope besteht aus Metallplatten, die mit einer Präzision von 25 Mikro­ metern (0,025 Millimeter) gefertigt sind. Diese im Vergleich zu optischen Teleskopen relativ raue Oberfläche ist glatt genug, denn grundsätzlich müssen die optischen Elemente nur etwa so genau sein wie ein Bruchteil der benutzten Wellenlänge. Für Milli­ meterwellen im Beobachtungsbereich von ALMA sehen die Spiegel genau so glatt aus wie die polierten Spiegel der optischen Teleskope für Licht im Wellenlängenbereich unter einem Mikrometer. Diese Spiegel werden mit der Mechanik sehr genau gesteuert. Sie können in jede Richtung gedreht werden und jeden Punkt am Himmel mit einer Genauigkeit von 0,6 Bogensekunden ansteuern. Würde man einen entsprechend langen Zeigestock daran montieren, Mit einer Präzision von 0,025 Millimetern gefertigt sind die Oberflächen der Teleskopspiegel. Die Mechanik erlaubt es, die Teleskope in jede Richtung zu schwenken, mit einer Richtungsgenauigkeit von rund einer halben Bogensekunde. Jedes Teleskop wiegt über hundert Tonnen. (Bild: ESO/B. Tafreshi, twanight.org) könnte man damit in 15 Kilometern Entfernung einen Golfball treffen. Die einzelnen Teleskope von ALMA wiegen über einhundert Tonnen – und trotzdem werden sie im Routinebetrieb zwischen ihren einzelnen Positionen bewegt und von Zeit zu Zeit bis ins 28 Kilometer entfernte Wartungszentrum in einer Höhe von „nur“ 2900 Metern über dem Meeresspiegel gefahren. Dabei sind die Straßen nur teilbefestigt und besitzen nicht etwa eine glatte Asphaltdecke. Otto und Lore sind die Namen der beiden speziell für ALMA gefertigten Schwertransporter. Sie werden benötigt, um die Teleskopantennen zur Wartung in die fast 30 Kilometer entfernte Serviceeinrichtung zu transportieren und um die Antennen gemäß den Anforderungen des Beobachtungsprogramms mal enger zusammen, mal bis zu 16 Kilometer weit verteilt zu platzieren. Dabei werden die über 100 Tonnen schweren Messinstrumente nur mit dem Hebezeug des Fahrzeugs aufund abgeladen. (Bild: ESO/P. Martinez) Die beiden Fahrzeuge zu entwickeln und zu bauen, die mit diesen Herausforderungen im Routinebetrieb klar kommen, war Aufgabe der deutschen Firma Scheuerle. Entstanden sind „Otto“ und „Lore“, zwei Giganten, die jeweils 130 Tonnen auf die Waage bringen. Sie sind 20 Meter lang, zehn Meter breit und sechs Meter hoch. Mit ihrer ausgeklügelten Technik können sie die hundert Tonnen schweren Antennen oder weiteres Hebezeug auf- und abladen. Ihre Höchstgeschwindig- 5 Landschaft der Forschungsinfrastrukturen: ALMA, Stand august 2016 keit beträgt ohne Last 20 und mit Antenne im Huckepack noch beachtliche 12 Kilometer pro Stunde. Damit dies sicher möglich ist, wurden für die 28 Reifen neue Brems- und Sicherheitssysteme entwickelt. Und die große Höhe, in der gearbeitet wird, macht sich doppelt bemerkbar: Zum einen für den Fahrer, dessen Sitz so geformt ist, dass er einen Sauerstofftank mitführen kann, zum anderen für den Motor, der auf Meereshöhe zwar 700 PS leisten könnte, in der großen Höhe aber nur auf 450 PS kommt. Doch nicht nur die Herausforderungen an die Maschinenbauer waren gewaltig. Um die Messdaten der 66 Antennen zu kombinieren und daraus ein zwei­ dimensionales Bild zu berechnen, ist ein sogenannter Korrelator notwendig. Das ist ein leistungsfähiger Computer, der die Datenströme der Teleskope so miteinander kombiniert, dass daraus ein einziges großes Teleskop entsteht. Die Kombination besitzt dann – je nach Anordnung der Spiegel – die Auflösung eines Einzelteleskops von bis zu 16 Kilometern Durchmesser. Ein Radioteleskop dieser Größe könnte man nicht einfach bauen; erst der Trick mit dem Zusammen­ schalten ermöglicht einen solch riesigen Durchmesser und damit eine hohe Auflösung. benötigt viel Rechenkapazität, während die optische Interferometrie mit geschickten Spiegel- und Linsenkombinationen durchgeführt wird. Für ALMA können die Einzelteleskope nur rechnerisch zusammengeschaltet werden. Dafür wurde ein Spezialrechner entwickelt, der 17 Billiarden Rechenoperationen pro Sekunde ausführt. Er besitzt beachtliche 134 Millionen Prozessoren – zum Vergleich: Der schnellste Universal­ rechner der Welt zum Zeitpunkt der Fertigstellung des ALMA-Korrelators kam auf 17,6 Billiarden Rechen­ operationen pro Sekunde mit nur 560 640 Prozessorkernen. Heute (Top-500-Liste 6/2016) ist der schnellste Rechner etwa fünfmal so schnell mit etwa über 10,6 Millionen Prozessorkernen. ALMA ist also in jeder Hinsicht in Technologietreiber: Im Maschinenbau, in der Informationstechnik und auch in anderen Gebieten wie etwa der Lasertechnik. Die Investitionen Deutschlands in dieses internatio­ nale Gemeinschaftsprojekt tragen dazu bei, die Technologieführerschaft in diesen Bereichen auszubauen. ALMA Forschungsinfrastruktur der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung Der ALMA-Korrelator war zum Zeitpunkt seiner Inbetriebnahme genauso schnell wie der der damals schnellste Universalrechner: 17 Billionen Rechenoperationen pro Sekunde kann er durchführen. Allerdings ist er darauf spezialisiert, die Signale der 66 ALMA-Antennen zu einem interferometrischen Gesamtbild zusammenzufügen. Andere Aufgaben wie etwa Klimasimulationen würden auf seinen 134 Millionen Prozessorkernen nicht laufen. (Bild: ESO) Die Messmethode, die dahintersteckt, ist die sogenannte Interferometrie. Sie wird schon seit einigen Jahrzehnten bei Radioteleskopen und seit etwas mehr als zehn Jahren bei optischen Teleskopen wie dem VLT („Very Large Telescope“) der ESO eingesetzt. Ersteres Landschaft der Forschungsinfrastrukturen: ALMA, Stand august 2016 Steckbrief ALMA Typ: Teleskop-Anordnung Technologie: Millimeter- / Submillimeter-Teleskop Standort: Chajnantor-Plateau in der Atacama-Wüste, Chile Betreiber: Joint ALMA Observatory (übergreifende Projektleitung) Baukosten: 1,2 Milliarden Euro Deutscher Beitrag : 127 Millionen Euro an Baukosten 23,1 Prozent an Europäischer Südsternwarte (ESO) Inbetriebnahme: Erstes Licht („First Light“) am 30. September 2011 Wellenlängenbereich: 350 Mikrometer bis 10 Millimeter (alle Bereiche, für die die Atmosphäre durchsichtig genug ist) Größe der Antennen: 12 Meter Durchmesser (54 Stück) 7 Meter Durchmesser (12 Stück) Ausdehnung des Messfeldes: 150 Meter (kompakte Anordnung) bis 16 Kilometer (weite Anordnung) (zahlreiche Konfigurationen je nach wissenschaftlicher Anordnung möglich) Spiegelmaterial: Kohlefaserverstärkter Kunststoff und Aluminium (12-Meter-Antennen) Stahl und Aluminium (7-Meter-Antennen) Abdeckung des Himmels: 87% des gesamten Himmels können beobachtet werden Winkelauflösung: 0,005 Bogensekunden bei 0,3 Millimetern Wellenlänge (fünfmal besser als das Hubble-Weltraumteleskop) Beteiligte Länder und Einrichtungen: Europäische Südsternwarte (ESO), U.S. National Science Foundation (NSF), National Institutes of Natural Sciences of Japan (NINS), NRC ( Kanada), NSC und ASIAA (Taiwan), KASI (Südkorea) sowie das Gastgeberland Chile. 6 Landschaft der Forschungsinfrastrukturen: ALMA, Stand august 2016 Impressum Dieser Artikel ist Teil der Webseite „Landschaft der Forschungsinfrastrukturen“ (www.fis-landschaft.de), die der Projektträger DESY im Auftrag des Bundes­ ministeriums für Bildung und Forschung gestaltet und umsetzt. Auf der Webseite werden Großforschungs­ anlagen der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung aus aller Welt vorgestellt, an denen sich Deutschland derzeit wissenschaftlich und finanziell beteiligt – vom Radioteleskop ALMA bis zum Röntgenlaser European XFEL. Herausgeber: Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY Abteilung Projektträger DESY Notkestraße 85 22607 Hamburg [email protected] https://pt.desy.de Stand: August 2016 Redaktion: Dr. Claudia Schneider Design und Layout: Britta von Heintze Bildnachweis (Titelbild, Weltkarte): ESO/C. Malin, Britta von Heintze/Welt der Physik 7