29.5 Die Bindungsverhältnisse in Komplexen

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vielen rechts- wie linksdrehenden Molekülen besteht, hat sie keinen Effekt
auf polarisiertes Licht (sie ist ,,optisch inaktiv‘‘).
Vom Tris(1,2-diaminoethan)cobalt(III)-Ion gibt es zwei Enantiomere.
Wie in
29.8 erkennbar, sind die beiden Enantiomeren nicht deckungsgleich.
Die beiden beschriebenen Arten von Stereoisomerie, cis-trans-Isomerie
und optische Isomerie, kommen beim Dichloridobis(1,2-diaminoethan)cobalt(III) vor ( 29.9). Das trans-Isomere ist optisch inaktiv; das Ion ist
achiral, d. h. mit seinem Spiegelbild deckungsgleich. Die cis-Anordnung ist
dagegen chiral, so dass davon zwei Enantiomere existieren. Die trans-Form
ist ein Diastereoisomeres von jedem der beiden Enantiomeren. Bezüglich
einer weitergehenden Betrachtung der Enantiomerie siehe Abschnitt 32.1
(S. 574).
29.8 Die beiden Enantiomeren des
Tris(1,2-diaminoethan)cobalt(AAA)-Ions
29.2 Elektronenkonfiguration einiger
Übergangsmetall-Ionen
Elektronenkonfiguration
Beispiele
3 s2 3 p6 3 d 1
3 s2 3 p6 3 d 2
Ti3
V3
3 s2 3 p6 3 d 3
3 s2 3 p6 3 d 4
Cr3, V2
Cr2, Mn3
3 s2 3 p6 3 d 5
Mn2, Fe3
2
6
6
3s 3p 3d
3 s2 3 p6 3 d 7
Fe2, Co3
Co2
3 s2 3 p6 3 d 8
3 s2 3 p6 3 d 9
Ni2
Cu2
29.9 Isomere des Dichloridobis(1,2-diaminoethan)cobalt(AAA)-Ions
a trans-Isomeres
b Enantiomere cis-Formen
29.5 Die Bindungsverhältnisse in Komplexen
Die erste Theorie zur Erklärung der Bindungsverhältnisse in Komplexen
nahm einfach an, dass Liganden Elektronenpaare zur Verfügung stellen,
um Bindungen mit dem Zentralatom einzugehen. Solche Bindungen wurden koordinative Bindungen genannt. Aus der Weiterentwicklung dieses
Konzepts erwuchs die Valenzbindungstheorie. Dabei werden für das Zentralatom unbesetzte Hybridorbitale angenommen (zum Beispiel sechs
d2 sp3-Hybridorbitale bei einem oktaedrischen Komplex); die Liganden
stellen die Elektronenpaare zur Besetzung dieser Hybridorbitale zur Verfügung, wobei kovalente Bindungen entstehen. Die Valenzbindungstheorie
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29 Komplex-Verbindungen
515
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29.5 Die Bindungsverhältnisse in Komplexen
29.10 Grenzflächendarstellung für die d-Orbitale
passt gut zu einer Reihe
bestimmte andere nicht
ungepaarten Elektronen
dem macht sie keinerlei
von experimentellen Beobachtungen, kann aber
erklären. Insbesondere kann sie die Anzahl der
bei manchen Komplexen nicht erklären, außerAussagen zu den Farben von Komplexen.
Moderne Theorien zur Bindung in Komplexen wurden von der Kristallfeld-Theorie abgeleitet. In ihrer einfachsten Form nimmt sie elektrostatische Wechselwirkungen zwischen der positiven Ladung des zentralen
Metall-Ions und den negativen Ladungen der Elektronenpaare der Liganden an. Ein wichtiger Aspekt ist dabei der Effekt, den das elektrische Feld
der Liganden auf die d-Orbitale des zentralen Metall-Ions bewirkt.
Die Außenelektronen von Übergangsmetall-Ionen sind d-Elektronen
(vgl.
29.2). In einem isolierten Übergangsmetall-Ion sind alle fünf dOrbitale entartet, d. h. sie haben die gleiche Energie. Die Orbitale sind
jedoch nicht mehr alle energetisch gleich, wenn sie unter dem Einfluss
des elektrischen Felds von umgebenden Liganden stehen.
Betrachten wir die Orientierung der d-Orbitale ( 29.10) relativ zur
Anordnung der sechs Liganden in einem oktaedrischen Komplex
( 29.11 a). Die Orbitale dz 2 und dx 2 –y 2 weisen mit den Bereichen höchster
Elektronendichte in Richtung auf die Liganden, während es bei den Orbitalen dxy, dxz und dyz die Richtung zwischen den Liganden ist. Es ergeben
sich zwei Sätze von d-Orbitalen:
29.11 Anordnung der Liganden
a in einem oktaedrischen
b in einem quadratisch-planaren Komplex
relativ zu einem Satz von kartesischen Koordinatenachsen
29 Komplex-Verbindungen
29.12 Diagramme, die veranschaulichen, dass die Linearkombination (Überlagerung) der Wellenfunktionen von einem
dz2 – y2- und einem dz2 – x2-Orbital ein dz 2-Orbital ergibt. Die Vorzeichen bezeichnen das Vorzeichen der Wellenfunktion im jeweiligen
Bereich.
1. die Orbitale dxy, dxz und dyz, im oktaedrischen Komplex als t2g-Orbitale
bezeichnet, sind untereinander äquivalent, aber verschieden von
2. den Orbitalen dz 2 und dx 2 – y2, die ihrerseits untereinander äquivalent sind
(eg-Orbitale)
Die Symbole t2g und eg bringen zum Ausdruck, dass es sich um dreifach
bzw. zweifach entartete Orbitale handelt (t = tripel-entartet, e = entartet).
Es ist nicht sofort ersichtlich, dass ein dz2 -Orbital einem dx2 – y2-Orbital
völlig gleichwertig ist. Ein dz2 -Orbital kann als Linearkombination von
zwei Orbitalen dz2 – y2 und dz2 – x2 angesehen werden, welche die gleiche
Gestalt wie das dx 2 – y 2-Orbital haben, aber anders orientiert sind ( 29.12).
Da die Zahl der d-Orbitale auf fünf begrenzt ist, können die Orbitale dz2 – y 2
und dz2 – x 2 nicht unabhängig voneinander sein.
In der Kristallfeld-Theorie wird ein elektrisches Feld angenommen, das
von den negativen Enden der dipolaren Liganden-Moleküle oder von den
als Liganden wirkenden Anionen um das zentrale Metall-Ion erzeugt wird.
Ein Elektron in einem d-Orbital des Metall-Ions, das auf die Liganden
ausgerichtet ist, hat wegen der elektrostatischen Abstoßung eine höhere
Energie als ein Elektron in einem Orbital, das zwischen den Liganden
ausgerichtet ist. Demnach haben in einem oktaedrischen Komplex die
eg-Orbitale höhere Energien als die t2g-Orbitale. Die Differenz zwischen
den Energien der eg- und der t2g-Orbitale in einem oktaedrischen Komplex
wird mit o bezeichnet.
In einem quadratisch-planaren Komplex ( 29.11b) sind viererlei
Wechselwirkungen zwischen Liganden und d-Orbitalen zu berücksichtigen. Das dx 2 – y2-Orbital ist auf die Liganden ausgerichtet und hat die höchste
Orbitalenergie. Das dxy-Orbital liegt in der Ebene der Liganden, ist aber
zwischen diese ausgerichtet; seine Energie liegt unter der des dx 2 – y2-Orbitals. Die Elektronendichte des dz2-Orbitals ist hauptsächlich entlang der
z-Achse konzentriert, aber der Ring in der xy-Ebene, auf den etwa ein
Drittel der Elektronendichte kommt, steht in Wechselwirkung zu den Liganden. Das dz2-Orbital hat die nächst niedrigere Orbitalenergie. Die Or-
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516
29.5 Die Bindungsverhältnisse in Komplexen
In einer erweiterten Fassung der Theorie, der Ligandenfeld-Theorie,
werden kovalente Bindungsanteile berücksichtigt. Ähnlich wie bei der
Elektronenpaar-Abstoßungs-Theorie (Abschn. 9.2, S. 122) wird die gegen-
29.14 Die energetische Aufspaltung von d-Orbitalen durch drei verschiedene
Ligandenfelder
29.13 Die Verteilung von vier tetraedrisch angeordneten Liganden relativ zu einem kartesischen Koordinationssystem
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bitale dxz und dyz sind entartet; sie werden vom elektrischen Feld der
Liganden am wenigsten beeinflusst, da ihre Eleketronendichte aus der
Ebene der Liganden hinausweist. Sie haben die niedrigste Energie.
Die Aufspaltung der Orbitalenergien der d-Orbitale in einem tetraedrischen Komplex kann man sich durch Betrachtung von
29.13 überlegen.
Die tetraedrisch angeordneten Liganden kann man sich in vier der acht
Ecken eines Würfels denken; die Würfelflächen stehen senkrecht zu den
Koordinatenachsen. Die Orbitale dxy, dxz und dyz sind auf die Kantenmitten
des Würfels ausgerichtet, während die Orbitale dz2 und dx2 – y2 auf die Flächenmitten ausgerichtet sind. Der Abstand von einer Würfelecke zu einer
Flächenmitte ist größer als der zu einer Kantenmitte. Infolgedessen werden
Elektronen in den drei Orbitalen dxy, dxz und dyz stärker von den Liganden
abgestoßen. Diese drei Orbitale werden im tetraedrischen Komplex mit t2
bezeichnet (ohne Index g für gerade, der nur bei zentrosymmetrischen
Komplexen geschrieben wird). Die Energien der t2-Orbitale liegen höher
als die der anderen beiden Orbitale, die mit e bezeichnet werden. Die
energetische Abfolge von e- und t-Orbitalen ist im tetraedrischen Komplex
somit umgekehrt wie im oktaedrischen Komplex. Die Differenz der Orbitalenergien im tetraedrischen Komplex wird mit t bezeichnet; sie ist
etwa halb so groß wie o bei gleichem Zentral-Ion und gleichen Liganden.
Die Aufspaltung der Energieniveaus der d-Orbitale in tetraedrischen,
oktaedrischen und quadratisch-planaren Komplexen ist in
29.14 wiedergegeben. Ein Nachteil der Kristallfeld-Theorie ist ihre einseitige Betrachtung von elektrostatischen Wechselwirkungen, ohne Berücksichtigung des kovalenten Charakters der Bindungen.
517
518
29 Komplex-Verbindungen
d
s
29.15 Nichtbindende Überlappung
eines s-Orbitals mit einem d-Orbital
Noch umfassender ist die Molekülorbital-Theorie. Sie beschreibt die
Bindungen durch das Auftreten von bindenden, nichtbindenden und antibindenden Molekülorbitalen. Alle Theorien kommen jedoch zum gleichen
Schluss bezüglich der Aufspaltung der Energieniveaus und der Verteilung
der d-Elektronen im zentralen Metall-Ion. Auf die Bedeutung der Aufspaltungen gehen wir weiter unten ein.
Nach der Molekülorbital-Theorie kommt es in einem oktaedrischen
Komplex zur Überlappung von je einem Orbital der sechs Liganden mit
dem 4s-Orbital, den drei 4p-Orbitalen und dem 3dz2 und dem 3dx2 – y2Orbital des Zentralatoms, wobei sechs bindende und sechs antibindende
Molekülorbitale entstehen. Die t2g-Orbitale dxy, dxz und dyz beteiligen sich
an keinen -Orbitalen und verhalten sich nichtbindend (weder bindend
noch antibindend,
29.15; die t2g-Orbitale können jedoch an -Bindungen mitwirken). Ein Molekülorbital-Diagramm für einen oktaedrischen
Komplex ohne Berücksichtigung von -Bindungen ist in
29.16 gezeigt.
Wenn zwei Atomorbitale unterschiedlicher Energie miteinander in
Wechselwirkung treten, so entspricht der Charakter des entstehenden bindenden Molekülorbitals überwiegend demjenigen des Atomorbitals mit
der niedrigeren Energie, und das antibindende Molekülorbital entspricht
mehr dem Atomorbital mit der höheren Energie. In einem oktaedrischen
Komplex entsprechen die bindenden Orbitale überwiegend den Orbitalen
der Liganden. Die antibindenden Orbitale ähneln mehr den Orbitalen des
Metall-Atoms. Die nichtbindenden t2g-Orbitale können als reine MetallAtomorbitale angesehen werden.
29.16 Molekülorbital-Diagramm für einen oktaedrischen Komplex ohne Bindungen
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seitige Abstoßung zwischen bindenden Elektronenpaaren und den zusätzlich vorhandenen d-Elektronen betrachtet.
29.5 Die Bindungsverhältnisse in Komplexen
Für oktaedrische Komplexe eines gegebenen Metall-Ions hängt der Betrag des Aufspaltungsparameters o von den Liganden ab. Für die Elektronenkonfiguration bestimmter Komplexe ist der Wert von o maßgeblich.
Bei oktaedrischen Komplexen von Übergangsmetall-Ionen mit einem,
zwei oder drei d-Elektronen (d1-, d2 oder d 3-Ionen) kommt je nur eine
Elektronenkonfiguration in Betracht, unabhängig vom Betrag von o. Die
d-Elektronen besetzen die t2g-Orbitale einzeln mit parallelem Spin. Dagegen haben Komplexe von Metall-Ionen mit vier, fünf, sechs oder sieben
d-Elektronen jeweils zwei mögliche Elektronenkonfigurationen zur Auswahl ( 29.18).
29.17 Überlappung eines p-Orbitals
mit einem d-Orbital zu einer p–dBindung
Konfiguration des High-SpinZentralatoms
Zustände
Low-SpinZustände
29.18 Verteilung der Elektronen in oktaedrischen High-Spin- und Low-SpinKomplexen für d 4-, d 5-, d 6- und d 7-MetallIonen
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In einem oktaedrischen Komplex werden die bindenden Molekülorbitale vollständig von den sechs Elektronenpaaren besetzt, welche die Liganden einbringen. Die Valenzelektronen des Zentralatoms besetzen die
nichtbindenden t2g- und die antibindenden eg-Orbitale. Die Energiedifferenz zwischen diesen beiden Orbitalsätzen ist o. Die vier übrigen antibindenden Orbitale werden im Grundzustand bei keinem Komplex besetzt.
Die Schlussfolgerung dieser Betrachtungsweise entspricht weitgehend
den Aussagen der Kristallfeld-Theorie. In einem oktaedrischen Komplex
kann man sich die fünffache Entartung der d-Orbitale des freien MetallAtoms aufgespalten denken, und zwar in einen dreifach entarteten Satz von
Orbitalen, t 2g , und einen energetisch höherliegenden zweifach entarteten
Satz von Orbitalen, eg. Der in
29.16 farbig hervorgehobene Teil mit den
Molekülorbitalen, die von den d-Elektronen des Metall-Atoms besetzt werden, entspricht dem Diagramm gemäß der Kristallfeld-Theorie ( 29.14).
Die 6 bindenden und 3 nichtbindenden Orbitale ergeben zusammen 9
Orbitale, die von 18 Elektronen besetzt werden können. Wenn dies der
Fall ist, d. h. bei einem d 6-Ion (6 d-Elektronen), ist die 18-Elektronen-Regel
erfüllt. Wir erkennen auch, warum die Regel oft nicht erfüllt wird: ob die
nichtbindenden t2g-Orbitale besetzt sind oder nicht, macht kaum einen
Unterschied aus. Die Besetzung der antibindenen eg-Orbitale führt zu einer
Verminderung der Stabilität. Diese Stabilitätsverminderung ist oft gering
genug, um toleriert zu werden; sie erklärt aber, warum zum Beispiel oktaedrische Cobalt(II)-Komplexe (d 7) weniger stabil sind als Cobalt(III)-Komplexe (d6) und warum oktaedrische Komplexe bei den Elementen am Ende
des d-Blocks relativ selten sind.
Eine zusätzliche Stabilisierung kann durch -Bindungen eintreten, die
durch Wechselwirkung von p-Orbitalen der Liganden mit d-Orbitalen des
Zentralatoms entstehen (p-d-Bindungen,
29.17). In einem oktaedrischen Komplex sind die t2g-Orbitale genau richtig orientiert, um solche
Wechselwirkungen einzugehen. Wie bei einer -Bindung aus zwei p-Orbitalen ( 9.13b, S. 132) ergibt sich bei einer p-d-Bindung ein bindendes -Orbital, das energetisch unter dem Niveau des t2g-Orbitals liegt, und
ein antibindendes *-Orbital, das darüber liegt. Die Besetzung des -Orbitals kann mit einem Elektronenpaar aus einem besetzten p-Orbital des
Liganden erfolgen; das d-Orbital des Zentralatoms muss dann unbesetzt
sein. Umgekehrt ist auch die Besetzung aus einem besetzten d-Orbital und
einem unbesetzten p-Orbital möglich.
Die Anwendung der Molekülorbital-Theorie auf tetraedrische oder quadratisch-planare Komplexe ist etwas komplizierter. Auch in diesen Fällen
kommt man zu Energieterm-Aufspaltungen, die den Diagrammen von
29.14 entsprechen.
519
29 Komplex-Verbindungen
High-Spin-Komplex:
o < P
Low-Spin-Komplex:
o > P
Spektrochemische Serie:
A < Br < CB < F < OH < C2O
4
< H2O < NH3 < en < NO
2 < H
< CN < CO
Im Falle eines oktaedrischen Komplexes eines d 4-Ions kann das 4. Elektron eines der energetisch höher liegenden eg-Orbitale besetzen oder es
kann sich mit einem der schon vorhandenen drei Elektronen in einem
t2g-Orbital paaren. Im ersten Fall ergibt sich eine Konfiguration mit vier
ungepaarten Elektronen; man spricht von einem High-Spin-Zustand. Im
zweiten Fall sind nur zwei ungepaarte Elektronen vorhanden, man spricht
von einem Low-Spin-Zustand. Welche der beiden Konfigurationen angenommen wird, hängt davon ab, welche energetisch günstiger ist.
Um zwei Elektronen mit entgegengesetztem Spin auf das gleiche Orbital zu bringen, muss deren gegenseitige Abstoßung überwunden werden: es muss ein gewisser Energiebetrag, die Spinpaarungsenergie P, aufgebracht werden (wegen der Spinpaarungsenergie werden entartete Orbitale immer zunächst einfach besetzt: Hund-Regel). Wenn o kleiner als
P ist, ist es günstiger, wenn das 4. Elektron eines der eg-Orbitale besetzt
und keine Spinpaarung auftritt. Umgekehrt ist es günstiger, Elektronen zu
paaren und die eg-Orbitale unbesetzt zu lassen, wenn 0 größer als P ist.
Ob ein High-Spin- oder ein Low-Spin-Komplex entsteht, hängt somit
von der relativen Größe der Energiebeträge 0 und P ab. Der Wert für P
liegt im Allgemeinen in der Größenordnung von 200 kJ/mol und hängt
vom Metall-Ion ab. Der Wert o ist von Komplex zu Komplex verschieden
und hängt wesentlich von der Natur der Liganden ab.
Die Schlussfolgerung gilt auch für Komplexe von d 5-, d6- und d7-Ionen.
Für Komplexe von d 8-Ionen gibt es keine Wahl zwischen High- und LowSpin-Zustand; die einzige in Betracht kommende Konfiguration hat sechs
gepaarte Elektronen in den t2g-Orbitalen und zwei ungepaarte Elektronen
in den eg-Orbitalen. Entsprechend gibt es auch für Komplexe von d9- und
d10-Ionen je nur eine mögliche Konfiguration.
Werte für o können durch Messung der Absorptionsspektren der Komplexe erhalten werden. Im Falle des Komplexes [Ti(OH2)6]3 ist im Grundzustand nur ein Elektron in einem der t2g-Orbitale vorhanden. Durch Zufuhr von Energie, die dem Betrag von o entspricht, kann das Elektron
angeregt werden und in ein eg-Orbital überwechseln. Anregungen dieser
Art können durch Absorption von Licht zustande kommen. Das
[Ti(OH2)6]3 zeigt ein Maximum der Lichtabsorption bei einer Wellenlänge
von 490 nm; das entspricht einem Wert o = 243 kJ/mol. Das absorbierte
Licht ist blau, es wird aber auch noch grünes Licht absorbiert. Rotes und
violettes Licht werden nicht absorbiert, was dem Komplex seine rot-violette Farbe verleiht.
Allgemein ergibt der Austausch von Liganden an einem gegebenen
Metall-Ion eine Änderung der Energiedifferenz o und damit veränderte
Bedingungen für die Lichtabsorption. In vielen Fällen beobachtet man
auffällige Farbänderungen, wenn Liganden eines Komplexes durch andere
ersetzt werden.
In der spektrochemischen Serie werden die Liganden nach der Größe
des von ihnen verursachten o-Wertes eingereiht. Bei der experimentellen
Untersuchung der Spektren vieler Komplexe hat sich herausgestellt, dass
die gleiche Reihenfolge bei Komplexen aller Übergangsmetalle überwiegend eingehalten wird; nur zwischen Liganden, die in der Serie nahe
beieinanderstehen, gibt es gelegentlich Umkehrungen in der Reihenfolge.
Die Spektrochemische Serie für häufig verwendete Liganden ist nebenstehend aufgeführt.
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520
Halogenid-Ionen verursachen in der Regel nur geringe Aufspaltungen
der d-Orbitalterme, und Halogenido-Komplexe haben meist High-SpinKonfiguration. Das Cyanid-Ion, das am anderen Ende der Serie steht, induziert große o-Werte. Cyanido-Komplexe haben meist Low-Spin-Konfiguration.
Ein gegebener Ligand bringt aber nicht immer Komplexe der gleichen
Spin-Art mit sich. Zum Beispiel hat das Hexammineisen(II)-Ion eine HighSpin-Konfiguration, aber das isoelektronische Hexammincobalt(III)-Ion
eine Low-Spin-Konfiguration.
Für jedes Metall-Ion gibt es einen Punkt in der Serie, bei dem der
Wechsel von high-Spin-erzeugenden zu low-Spin-erzeugenden Liganden
eintritt. Zum Beispiel sind Cobalt(II)-Komplexe mit Ammoniak oder 1,2Diaminoethan High-Spin-Komplexe und solche mit Nitrit- oder CyanidIonen Low-Spin-Komplexe. Die Stelle, an der in der Serie der Wechsel von
high-Spin- nach low-Spin-erzeugenden Komplexen erfolgt, hängt von der
Spinpaarungsenergie P des Metall-Ions und vom Wert o des betreffenden
Komplexes ab.
Bei tetraedrischen Komplexen haben die zwei e-Orbitale niedrigere
Orbitalenergien als die drei t2-Orbitale ( 29.14, S. 517). Für Komplexe
mit d 1- und d 2-Ionen kommt jeweils nur eine Elektronenkonfiguration
mit einfach besetzten e-Orbitalen in Betracht. Für ein d 3-Ion ( 29.19a)
ist ebenso wie für ein d 4-, d 5- oder d 6-Ion jeweils ein High-Spin- und ein
Low-Spin-Zustand denkbar. Tatsächlich kennt man jedoch bei tetraedrischen Komplexen nur High-Spin-Komplexe.
In einem tetraedrischen Komplex ist die Energiedifferenz t zwischen
den t 2- und e-Orbitalen relativ gering, nämlich etwa halb so groß wie o.
Deshalb gilt für alle tetraedrischen Komplexe t < P. Wenn eine Alternative
besteht, ist der Komplex mit ungepaarten Elektronen deshalb immer günstiger.
Quadratisch-planare Komplexe treten bei d8-Ionen auf. Für diese ist
ein High-Spin- und ein Low-Spin-Zustand denkbar ( 29.19b). Tatsächlich
kennt man nur quadratische Komplexe mit Low-Spin-Konfiguration; da
alle Elektronen gepaart sind, sind diese Komplexe diamagnetisch. Der Energieunterschied zwischen dem energetisch höchsten Orbital und dem energetisch darunter liegenden Orbital ist zu groß um eine High-Spin-Konfiguration zu ermöglichen. Für quadratische Komplexe von d 7-Ionen gilt
das Gleiche; sie unterscheiden sich nur darin, dass im höchsten besetzten
Orbital nur ein Elektron vorhanden ist.
-Komplexe sind eine besondere Art von Komplex-Verbindungen, bei
denen die Bindung über die Elektronen eines -Bindungssystems des Liganden vermittelt wird. Besonders zu nennen sind Verbindungen mit der
Cyclopentadienid-Gruppe als Liganden. Im Cyclopentadienid-Anion, C5H
5,
verfügen die fünf C-Atome des planaren Ringmoleküls über ein delokalisiertes -Bindungssystem mit 6 Elektronen (vgl. Abschn. 9.6, S. 138, und
S. 548). Diese -Elektronen treten in Wechselwirkung mit unbesetzten
d-Orbitalen eines Metall-Atoms, wobei sich das Metall-Atom genau über
der Ringmitte befindet. Eine besonders stabile Verbindung ist Ferrocen,
Fe(C5H5)2; es ist diamagnetisch und kann bis über 500 °C erhitzt werden
ohne sich zu zersetzen. Das Fe-Atom befindet sich genau zwischen den
beiden parallelen C5H5-Ringen. Verbindungen mit dieser Art von Aufbau
werden auch Sandwich-Komplexe genannt. Ein anderer stabiler -Sand-
high Spin
low Spin
high Spin
low Spin
521
29.19 Verteilung der d-Elektronen in
High-Spin- und Low-Spin-Zuständen:
a in einem tetraedrischen Komplex eines
d 3-Ions
b in einem quadratisch-planaren Komplex
eines d 8-Ions
Ferrocen (Dicyclopentadienido-eisen; die
Fünfecke symbolisieren C5H
5 -Ionen, die
Kreise stehen für die je 6 delokalisierten
-Elektronen)
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29.5 Die Bindungsverhältnisse in Komplexen
29 Komplex-Verbindungen
Dibenzolchrom
Dichloridodicyclopentadienidotitan
wich-Komplex ist das Dibenzol-Chrom, Cr(C6H6)2, in welchem zwei Benzol-Moleküle (S. 137, 534) mit ihren -Elektronen an das Chrom-Atom
gebunden sind. Die Ringe müssen nicht parallel sein, wie das Beispiel
(C5H5)2TiCl2 zeigt.
Auch einfache Moleküle mit -Bindungen wie zum Beispiel Alkene
(Kohlenwasserstoffe mit CğC-Doppelbindungen) können über ihre Elektronen an Übergangsmetall-Atome gebunden werden. Die älteste bekannte Verbindung dieser Art enthält das Ion [(C2H4)PtCl3], das beim
Einleiten von Ethen (C2H4) in eine wässrige K2[PtCl4]-Lösung entsteht.
Komplexe dieser Art spielen eine Rolle als Zwischenstufen bei Reaktionen,
bei denen Alkene im Beisein von katalytisch wirkenden Übergangsmetallverbindungen umgesetzt werden (z. B. bei der Ziegler-Natta-Polymerisation, S. 581).
Übungsaufgaben
(Lösungen s. S. 701)
29.1 Welche Oxidationszahl hat das Zentralatom in folgenden Komplexen?
a) [Co(NO2)6]3 d) [Co(NH3)4Br2] g) [Ni(CO)4]
b) [Au(CN)4]
e) [Co(en)CB4]2
h) [PdCB 6]2
c) [V(CO)6]
f ) [Fe(H2O)2CB 4]
29.2 Welche Ionenladung hat ein Komplex aus:
a) Ag und 2 NH3
d) Pt4, 3 H2O und 3 Br
2
2
b) Co und 3 C2O4 e) Hg2 und 4 CB
c) Au und 2 CN
f) Cr und 6 CO
29.3 Geben Sie die Formeln für folgende Verbindungen
an:
a) Zink-hexachloridoplatinat(IV)
b) Kalium-tetracyanidoniccolat(0)
c) Tetramminchloridonitrito-N-cobalt(III)-sulfat
d) Kalium-tetrabromidoaurat(III)
e) Natrium-tetracyanidodioxidorhenat(V)
f ) Tetramminplatin(II)-ammintrichloridoplatinat(II)
g) Tetrammindithiocyanato-S-chrom(III)-diammintetrathiocyanato-S-chromat(III)
h) Natrium-dithiosulfatoargentat(3−)
i ) Kalium-aquapentachloridorhodat(III)
j ) Tetramminkupfer(2+)-hexachloridochromat(3−)
29.4 Geben Sie die Namen für folgende Komplexe an:
a) K4[Ni(CN)4]
f ) [Co(NO)(CO)3]
g) [Co(en)2(SCN)CB]CB
b) K2[Ni(CN)4]
c) (NH4)2[Fe(H2O)CB5]
h) [Co(NH3)6]4 [Co(NO2)6]3
d) [Cu(NH3)4][PtCB4]
i ) Na[Au(CN)2]
e) [Ar(NH3)5(ONO)]CB2
29.5 Berechnen Sie die Komplexzerfallskonstante für das
[AB(OH)4] -Ion aus folgenden Daten:
3 e + [AB(OH)4] AB + 4 OH 3 e + AB 3
AB
E o = − 2,330 V
E o = − 1,662 V
29.6 Bei Zusatz einer Lösung von Kaliumhexacyanidoferrat(II) zu Fe3 (aq) fällt ein Niederschlag von Kalium-eisen(III)-hexacyanidoferrat(II) aus, genannt Berliner Blau.
Der gleiche Niederschlag entsteht bei Zusatz einer Lösung
von Kaliumhexacyanidoferrat(III) zu Fe2 (aq). Welche Formel hat Berliner Blau?
29.7 Zwei Verbindungen haben die gleiche empirische
Formel Co(NH3)3(H2O)2CBBr2.
In einem Exsikkator verliert ein Mol der Verbindung A leicht
ein Mol Wasser, Verbindung B jedoch nicht. Die elektrische
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