Aufsatz Der deutsche Generalstab und die Illusion des kurzen

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Aufsatz
Stig Förster
Der deutsche Generalstab und die Illusion des kurzen Krieges,
1871-1914. Metakritik eines Mythos1
I. Die militärische Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges
Als im August des Jahres 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, rief Kaiser Wilhelm II. den ausrückenden deutschen Truppen zu:
»Ihr werdet wieder zu Hause sein, ehe noch das Laub von den Bäumen
fällt2.«
Doch die Soldaten waren auch Weihnachten noch nicht wieder zu Hause. Bekanntlich dauerte es mehr als vier Jahre, bis dieser furchtbare Krieg vorüber war.
Die »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts« (George F. Kennan) forderte weltweit
mehr als zehn Millionen Tote, brachte die Weltwirtschaft an den Rand des Ruins,
beendete die Vorherrschaft Europas und führte zu einer Serie von Revolutionen,
die gerade jene Regimes hinwegfegten, die für die Auslösung des Weltkrieges
hauptverantwortlich waren. Im August 1914 begann eine der dunkelsten Epochen der europäischen Geschichte, die vielleicht erst mit dem Ende des Kalten
Krieges ihren Abschluß fand.
Dauer und Intensität des Krieges waren die entscheidenden Faktoren, die zur
allgemeinen Katastrophe führten. War all dies vorhersehbar? Mit welchen Vorstellungen zogen insbesondere die Militärs, die als Fachleute ja am ehesten Bescheid wissen mußten, in den Krieg? Hingen sie selbst etwa dem vom deutschen
Kaiser propagierten Optimismus nach, ein europäischer Koalitionskrieg sei mit
einem kurzen, schneidigen Feldzug abzumachen? Gab es so etwas wie ein sicheres Siegesrezept, mit dessen Hilfe ein kontrollierter, die Auswirkungen eines
Großkrieges begrenzender Feldzug militärisch machbar war? Hat der Glaube an
die Machbarkeit des kurzen Krieges namentlich die deutsche militärische
Führung dazu verleitet, einen Krieg geradezu herbeizuwünschen? Gingen die
militärische und auch die politische Führung im Kaiserreich zumindest subjektiv
von einem rationalen Kalkül aus, als sie in der Julikrise für Krieg optierten? Die1
Der folgende Aufsatz beruht auf meinem Beitrag zu einer vom Deutschen Historischen Institut Washington, D. C., im Juli 1994 in Augsburg organisierten Konferenz
zum Thema »Anticipating Total War. The United States of America and Germany,
1871-1914«. Für diese Tagung schrieb ich einen Artikel mit dem Titel »Dreams and
N i g h t m a r e s . G e r m a n Military L e a d e r s h i p and the Images of F u t u r e Warfare,
1871-1914«. Eine stark gekürzte Version dieses Textes erschien am 9. August 1994 in
der Frankfurter Rundschau unter dem Titel »Mit Hurra und vollem Bewußtsein in die
Katastrophe. Der Erste Weltkrieg und das Kriegsbild des deutschen Generalstabs«.
Das Aufsehen, das dieser Zeitungsartikel erregte, veranlaßt mich, noch vor der Publikation meines ursprünglichen Aufsatzes im Rahmen eines Sammelbandes der Konferenzbeiträge nunmehr eine überarbeitete deutsche Fassung vorzulegen. Ich möchte
die Gelegenheit nutzen, all jenen zu danken, die mir durch ihre Kritik meiner Thesen
wertvolle Anregungen gegeben haben.
2
Zitiert nach Holger Afflerbach, Falkenhayn. Politisches Denken und Handeln im Kaiserreich, München 1994, S. 171.
Militärgeschichtliche Mitteilungen 54 (1995), S. 61-95 © Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam
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se und ähnliche Fragen haben die Debatte um Ursachen und Verlauf des Ersten
Weltkrieges wesentlich mitbestimmt.
Oberflächlich betrachtet scheint der militärische Ablauf der ersten Kriegswochen tatsächlich darauf hinzudeuten, daß die Heeresleitungen der europäischen
Kontinentalmächte bestrebt waren, mit Brachialgewalt gleich zu Beginn den
großen Durchbruch zu erzielen, um einen langwierigen Abnutzungskrieg mit all
seinen Folgen zu vermeiden. In mächtigen Offensiven jagten sie jedenfalls ihre
Armeen gegeneinander und vermittelten dadurch den Eindruck, den Feind mit
einem Schlag vernichten zu wollen. Erst als alle Offensiven gescheitert waren,
scheint sich die unangenehme Erkenntnis verbreitet zu haben, daß dieser Krieg
sehr lange dauern würde.
Besonders prominent war die deutsche Großoffensive durch Belgien in das
Innere Frankreichs hinein. Sie scheiterte bekanntlich in der Schlacht an der Marne. Unmittelbar nach dieser Niederlage, die Generalstabschef Helmuth von
Moltke sein Amt kostete, begann in Deutschland die Suche nach den Ursachen.
Damit wurde jene Debatte ausgelöst, die sich bis in die Gegenwart hinein fortsetzte. Zunächst machte man es sich allzu leicht, indem Moltke zum Hauptschuldigen deklariert wurde. Ihm wurden Inkompetenz und schwere Führungsfehler vorgeworfen. Er selbst wehrte sich natürlich gegen diese Anschuldigungen
und ließ durchblicken, daß die mangelnde Unterstützung durch den Kaiser und
letztlich die zahlenmäßige Überlegenheit der Gegner die Niederlage herbeigeführt hätten 3 . Doch es half ihm nichts. Nach dem Krieg jedenfalls warf ihm die
offizielle Geschichtsschreibung vor, auf Grund seiner angeblichen Nervenschwäche im entscheidenden Moment den völlig unnötigen Rückzugsbefehl erteilt und damit den sicheren Sieg verschenkt zu haben 4 . Noch schärfer war die
Kritik, die der frühere Generalstabsoffizier und letzte Chef der Obersten Heeresleitung, Wilhelm Groener, gegenüber Moltke äußerte. Demnach hatte Moltke die
Niederlage nicht nur durch seine Führungsfehler verursacht, sondern weit
grundsätzlicher von vornherein durch die angebliche Verwässerung des ansonsten »genialen« Schlieffenplans provoziert. Mit einem unverfälschten Schlieffenplan habe der Generalstab nämlich über ein sicheres Siegesrezept verfügt, das
den langwierigen und katastrophalen Stellungskrieg im Westen vermeidbar gemacht hätte5. Groener propagierte damit jenes Argument, das fortan die Debatte
dominieren sollte: Im Schlieffenplan manifestierte sich der Glaube der Militärs
an die Machbarkeit des kurzen Krieges.
3
4
5
Helmuth von Moltke, Betrachtungen und Erinnerungen (November 1914), in: Generaloberst Helmuth von Moltke. Erinnerungen, Briefe, Dokumente, 1877-1916, hrsg. von
Eliza von Moltke, Stuttgart 1922, S. 8-28. Dabei läßt bereits das Argument von der zahlenmäßigen Überlegenheit der Gegner aufhorchen. Diese war ja vor Kriegsausbruch
durchaus bekannt. Woher also, so muß man sich fragen, soll Moltke im Sommer 1914
den Optimismus genommen haben, die Ententetruppen in einer einzigen gigantischen
Offensivoperation entscheidend schlagen zu können?
Der Weltkrieg 1914 bis 1918. Die militärischen Operationen zu Lande, bearb. im
Reichsarchiv, 15 Bde, Berlin 1925-1944, Bd 4, S. 508-543, besonders S. 542.
Wilhelm Groener, Das Testament des Grafen Schlieffen, Berlin 1930 u n d Wilhelm
Groener, Feldherr wider Willen. Operative Studien über den Weltkrieg, Berlin 1931. In
einer privaten Notiz aus dem lahre 1935 betonte Groener erneut, daß Schlieffen den
Veränderungen an seinem Plan, die Moltke, dessen Stellvertreter Stein und der damalige Oberst Ludendorff vorgenommen hatten, niemals zugestimmt hätte. Dies gelte in
besonderem Maße für die Schwächung des rechten, offensiven Flügels im Westen zu-
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Mit diesen Argumenten beschäftigte sich auch Gerhard Ritter, der nach dem
Zweiten Weltkrieg die entscheidenden Anstöße für die Verwissenschaftlichung
der Debatte lieferte. Dabei veröffentlichte Ritter in seiner bahnbrechenden Arbeit
nicht nur die unmittelbar relevanten Dokumente, soweit sie der Forschung zugänglich waren, sondern setzte sich auch in äußerst kritischer Weise mit dem inzwischen zur Legende gewordenen Schlieffenplan auseinander 6 . In krassem Gegensatz zu Groener kam Ritter zu dem Ergebnis, daß der Schlieffenplan alles
andere als ein sicheres Siegesrezept war und statt dessen ein in jeder Hinsicht
abenteuerliches Vabanquespiel darstellte. In wohlgesetzten, aber für seine Verhältnisse doch sehr harten Worten warf Ritter demgemäß dem Jüngeren Moltke
und der politischen Leitung des Kaiserreichs vor, die Vorgaben des Schlieffenplans letztlich alternativlos akzeptiert und auf diese Weise die Niederlage an der
Marne vorprogrammiert zu haben. Unter diesen Umständen habe sich die im
Schlieffenplan angelegte Illusion des kurzen Krieges zur festgefügten Militärdoktrin des Kaiserreichs entwickeln können, die jedoch im September 1914 zum
Scheitern verurteilt war und somit den langwierigen Krieg, u m dessen Verhinderung es ja gegangen war, mit tödlicher Sicherheit herbeiführte.
Ritters Argument von der Illusion des kurzen Krieges, demzufolge sich die
deutsche militärische Führung einseitig auf die Planung eines kurzen Vernichtungskrieges festgelegt hatte, der die französische Armee innerhalb weniger Wochen zerschlagen sollte, dominierte fortan das geschichtswissenschaftliche Denken über die militärischen Vorbedingungen des Ersten Weltkrieges. Generationen
von Historikern sind Ritter grundsätzlich gefolgt, auch wenn noch so manches
Detail hinzugefügt wurde 7 . Lancelot L. Farrar ging sogar soweit, »The Short War
Illusion« zum Titel seines Buches über das deutsche Vorgehen zu Kriegsbeginn
1914 zu machen 8 . Bei all dem wurde jedoch kaum der Versuch unternommen,
Ursachen, Bedeutung und Wirkungsweise der Illusion vom kurzen Krieg kritischer zu untersuchen und die durchaus bekannten zahlreichen zeitgenössischen
Warnungen vor der drohenden Katastrophe eines langen Krieges ernst zu nehmen. Allzu leichtfertig wurden Ritters Argumente einfach für die ganze Wahrheit genommen und allmählich zur Orthodoxie erklärt.
Dabei gab es durchaus gelegentlich Zweifel an diesem stark vereinfachenden,
recht eindimensionalen Bild. So wies bereits Lothar Burchardt in seiner ausgezeichneten Studie nach, daß führende Köpfe des deutschen Militärs im Gegensatz zu Schlieffen fürchteten, die Planung für den kurzen Krieg könnte zum
6
7
8
gunsten des linken, defensiven Flügels. Bundesarchiv-Militärarchiv (BA-MA) Freiburg, N-46, Nachlaß Groener, Nr. 51: »Zum Schlieffenplan«.
Gerhard Ritter, Der Schlieffenplan. Kritik eines Mythos, München 1956. Für Details der
Kritik Ritters siehe unten.
Siehe exemplarisch Jehuda Wallach, Das Dogma der Vernichtungsschlacht. Die Lehren
von Clausewitz und Schlieffen und ihre Wirkungen in zwei Weltkriegen, Frankfurt
a. M. 1967; Gunther E. Rothenberg, Moltke, Schlieffen, and the Doctrine of Strategie
Envelopment, in: Makers of Modern Strategy from Machiavelli to the Nuclear Age, ed.
by Peter Paret, Princeton, N. J. 1986, S. 296-325; Detlef Bald, Zum Kriegsbild der militärischen Führung im Kaiserreich, in: Bereit zum Krieg. Kriegsmentalitäten im wilhelminischen Deutschland, 1890-1914, hrsg. von Jost Dülffer und Karl Holl, Göttingen
1986, S. 146-159; Arden Bucholz, Moltke, Schlieffen and Prussian War Planning, New
York 1991.
Lancelot L. Farrar, The Short War Illusion. German Policy, Strategy, and Domestic Affairs August-December 1914, Oxford 1973.
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Scheitern verurteilt sein9. Doch im Zuge der auf Ritter zurückgehenden Orthodoxie fanden diese deutlichen Hinweise auf Fehler im gängigen Geschichtsbild
weit weniger Beachtung als andere Aspekte in der Untersuchung Burchardts.
Der hier geführte Nachweis, daß das Deutsche Reich in keiner Weise zu einer
adäquaten Vorbereitung für einen langwierigen Krieg in der Lage war, schien ja
auch Wasser auf die Mühlen derjenigen zu leiten, die die Illusion des kurzen
Krieges zum Kernbestandteil ihrer Erklärungsmuster für die Ursachen des Ersten Weltkrieges gemacht hatten. Sogar die wichtige Studie Jack Snyders ging
mit Burchardts Forschungsergebnissen auf diese Weise um. Snyder stellte nämlich fest, sowohl für die deutschen wie auch für die französischen und russischen Militärs »the unlikely had to be the necessary«, daß es für sie also keine
Alternative zum kurzen Krieg gab 10 . Diese gesamteuropäische Dimension ist
kürzlich von Dieter Storz aufgegriffen worden, der ähnlich wie Snyder die Ansicht vertrat, die führenden Militärs in Europa hätten eine defensive Kriegführung aus Angst vor einem langwierigen Gemetzel abgelehnt11.
In bezug auf die deutsche Armeeführung, insbesondere hinsichtlich des Generalstabs, gingen viele Historiker noch weiter. Starkes Interesse rief hierbei die
wohlbekannte Tatsache hervor, daß der Generalstab bei fast jeder größeren internationalen Krise seit 1871 einen Präventivkrieg gegen Frankreich und/oder Rußland forderte12. Vor allem die Rolle des Jüngeren Moltke, der seit 1911 zu einem
der Hauptkriegstreiber innerhalb der Reichsleitung avancierte und der in der
Schlußphase der Julikrise des Jahres 1914 maßgeblich dazu beitrug, den Krieg
vom Zaun zu brechen, fand starke Beachtung. Mehrere Historiker interpretierten
Moltkes aggressive Haltung als Ergebnis seiner wachsenden Sorge, der Schlieffenplan könne im Zuge des internationalen Wettrüstens, das das Reich bis
1916/17 nicht zuletzt wegen der russischen Rüstungen zu verlieren drohte, undurchführbar werden. Diesem Argument zufolge wollte Moltke den Operationsplan des Generalstabs zur Anwendung bringen, solange dafür noch Zeit war.
Die relativ günstige Lage nach der Durchführung der Heeresvorlage von 1913
und vor der Verwirklichung der dreijährigen Dienstpflicht in Frankreich13 habe
dem Generalstabschef den Sommer 1914 als letzte Chance für einen erfolgreichen Feldzug auf der Grundlage seines alternativlosen Konzepts erscheinen lassen. Unter diesen Umständen entwickelte sich der Schlieffenplan von einem militärischen Siegesrezept zu einer der wesentlichen unmittelbaren Kriegsursachen.
9
10
11
12
13
Lothar Burchardt, Friedenswirtschaft und Kriegsvorsorge. Deutschlands wirtschaftliche Rüstungsbestrebungen vor 1914, Boppard 1968.
Jack Snyder, The Ideology of the Offensive. Military Decision Making and the Disasters of 1914, Ithaca, Ν. Y. 1984, S. 9-31, 4 1 - 5 4 , 1 5 5 , 1 6 4 .
Dieter Storz, Kriegsbild und Rüstung vor 1914. Europäische Landstreitkräfte vor dem
Ersten Weltkrieg, Herford 1992, S. 372.
Siehe etwa Karl-Ernst Jeismann, Das Problem des Präventivkrieges im europäischen
Staatensystem mit besonderem Blick auf die Bismarckzeit, München 1959 und Albrecht Moritz, Das Problem des Präventivkrieges in der deutschen Politik während
der ersten Marokkokrise, Bern 1974.
Zur Heeresvermehrung von 1913 siehe Stig Förster, Der doppelte Militarismus. Die
deutsche Heeresrüstungspolitik zwischen Status-quo-Sicherung und Aggression,
1890-1913, Stuttgart 1985, S. 247-295. Zur Einführung der dreijährigen Dienstpflicht in
Frankreich siehe Gerd Krumeich, Aufrüstung und Innenpolitik in Frankreich vor dem
Ersten Weltkrieg. Die Einführung der dreijährigen Dienstpflicht, 1913-1914, Wiesbaden 1980.
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Die Illusion des kurzen Krieges habe demgemäß nicht nur die Entscheidung von
Politikern und Militärs erleichtert, zu den Waffen zu greifen, sondern sie geradezu gezwungen einen Krieg auszulösen, über den sie dann die Kontrolle verloren14.
Die Logik dieser Argumentation erscheint in der Tat bestechend. Die in der
Rückschau so offenkundig unverantwortliche und nahezu wahnwitzige Entscheidung der deutschen Führung, einen Großkrieg herbeizuführen, wird auf
diese Weise verständlicher. Die Kombination aus Schlieffenplan, der Illusion
vom kurzen Krieg und der drohenden Niederlage im Wettrüsten bildet dabei die
Grundlage, um der politisch-militärischen Führung ein wenigstens subjektiv rationales Handeln zu unterstellen. Wenn sie auch objektiv von falschen Voraussetzungen ausgingen, so glaubten demnach doch vor allem die Generale, eine
echte, allerdings letzte Siegeschance zu besitzen. Diese Interpretation findet
schon deswegen eine breite Akzeptanz — wenn man einmal von den immer seltener werdenden und kaum noch ernst zu nehmenden apologetischen Gegenstimmen absieht — weil sie dem allgemeinen Bedürfnis nach rationaler Erklärung historischer Abläufe entspricht. Wie düster würde doch unser Geschichtsbild,
wenn so fundamentale Vorgänge wie die Entscheidung zum Kriege im Jahre
1914 auch in der subjektiven Gedankenwelt der Akteure nicht mehr von einem
gewissen Kosten-Nutzen-Denken gerechtfertigt worden wäre. Es bliebe dann
nur noch das Chaos, die Irrationalität. Geschichte ließe sich nicht mehr vorausberechnen, weil die historisch Handelnden sich jedem rationalen Kalkül entzögen. Interpretationen, die aber gerade dies unterstellen, haben es deshalb besonders schwer, weil sie an den Grundfesten unseres Weltbildes rütteln, demzufolge
auch die Geschichte auf der Grundlage nachvollziehbarer Kausalitäten verläuft 15 .
Und dennoch müssen erhebliche Zweifel an der Richtigkeit jener Argumentationskette geäußert werden, derzufolge der deutsche Generalstab im festen Glauben an die militärische Beherrschbarkeit eines europäischen Großkonfliktes und
in der Hoffnung auf den schnellen Sieg mit einem gewissen Optimismus in den
Krieg zog. Insbesondere die These von der Illusion des kurzen Krieges erscheint
nämlich fragwürdig. Allzu zahlreich und gewichtig sind die Hinweise darauf,
daß das Kriegsbild des Generalstabs und von Teilen der Öffentlichkeit bereits
lange vor 1914 sehr viel realistischer war, als bisher generell angenommen.
14
15
So oder ähnlich argumentierten etwa Fritz Fischer, Krieg der Illusionen. Die deutsche
Politik von 1911 bis 1914, 2. Aufl., Düsseldorf 1969, S. 565-584; Adolf Gasser, Deutschlands Entschluß zum Präventivkrieg 1913/14, in: Discordia concors. Festgabe für Edgar Bonjour, hrsg. von Marc Sieber, 2 Bde, Basel, Stuttgart 1968, S. 171-224; Adolf Gasser, Der deutsche Hegemonialkrieg von 1914, in: Deutschland in der Weltpolitik des
19. und 20. Jahrhunderts. Festschrift für Fritz Fischer zum 65. Geburtstag, hrsg. von
Imanuel Geiss und Bernd-Jürgen Wendt, Düsseldorf 1973, S. 307-340; John G. C. Röhl,
Die Generalprobe. Zur Geschichte und Bedeutung des »Kriegsrats« vom 8. Dezember
1912, in: Industrielle Gesellschaft und politisches System. Beiträge zur politischen Sozialgeschichte. Festschrift für Fritz Fischer zum 70. Geburtstag, hrsg. von Dirk Stegmann [u. a.], Bonn 1978, S. 357-373 und James Joll, The Origins of the First World War,
London 1984, S. 81-84.
Zum Problemfeld Geschichte und Chaos bereitet Timo Baumann eine umfassende Arbeit vor. Seine kürzlich erstellte Augsburger Magisterarbeit liefert bereits wertvolle
Ansätze: Timo Baumann, Friktion und Chaos. Carl von Clausewitz und der Versuch
eines systematischen Denkens über den Krieg.
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Als Kronzeuge hierfür kann Generalfeldmarschall Helmuth von Moltke, der
Held der Einigungskriege, gelten. Von 1871 bis zu seinem Tode entwickelte er
sich zu einem regelrechten Pessimisten im Hinblick auf den Charakter eines
zukünftigen Krieges16. In seiner letzten Reichstagsrede am 14. Mai 1890 konfrontierte er demgemäß die Abgeordneten mit einem düsteren Szenario:
»Die Zeit der Kabinettskriege liegt hinter uns — wir haben jetzt nur noch den
Volkskrieg [...]
Meine Herren, wenn der Krieg, der jetzt schon mehr als zehn Jahre lang wie
ein Damoklesschwert über unseren Häuptern schwebt, — wenn dieser Krieg
zum Ausbruch kommt, so ist seine Dauer und ist sein Ende nicht abzusehen.
Es sind die größten Mächte Europas, welche, gerüstet wie nie zuvor, gegen
einander in den Kampf treten; keine derselben kann in einem oder in zwei
Feldzügen so vollständig niedergeworfen werden, daß sie sich für überwunden erklärte, daß sie auf harte Bedingungen hin Frieden schließen müßte,
daß sie sich nicht wieder aufrichten sollte, wenn auch erst nach Jahresfrist,
um den Kampf zu erneuern. Meine Herren, es kann ein siebenjähriger, es
kann ein dreißigjähriger Krieg werden, — wehe dem, der Europa in Brand
steckt, der zuerst die Lunte in das Pulverfaß schleudert17!«
Moltke war nicht der einzige, der im ausgehenden 19. Jahrhundert vor einer Katastrophe warnte. Bereits 1887 schrieb Friedrich Engels von einem
»Weltkrieg von einer bisher nie geahnten Ausdehnung und Heftigkeit. Acht
bis zehn Millionen Soldaten werden sich untereinander abwürgen und dabei
ganz Europa so kahlfressen, wie noch nie ein Heuschreckenschwarm. Die
Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges zusammengedrängt in drei bis
vier Jahre und über den ganzen Kontinent verbreitet; Hungersnot, Seuchen,
allgemeine, durch akute Not hervorgerufene Verwilderung der Heere wie der
Volksmassen; rettungslose Verwirrung unsres künstlichen Getriebes in Handel, Industrie und Kredit, endend im allgemeinen Bankerott; Zusammenbruch der alten Staaten und ihrer traditionellen Staatsweisheit, derart, daß
die Kronen zu Dutzenden über das Straßenpflaster rollen und niemand sich
findet, der sie aufhebt; absolute Unmöglichkeit, vorherzusehn, wie das alles
enden und wer als Sieger aus dem Kampf hervorgehen wird; nur ein Resultat
absolut sicher: die allgemeine Erschöpfung und die Herstellung der Bedingungen des schließlichen Siegs der Arbeiterklasse18.«
Ähnlich düstere Prognosen stellte der polnische Bankier Ivan Bloch auf, der in
seinem monumentalen Werk »Der Krieg« den katastrophalen Charakter eines
europäischen Großkrieges ziemlich exakt voraussagte 19 .
16
17
18
19
Zu diesem Komplex siehe Stig Förster, Optionen der Kriegführung im Zeitalter des
»Volkskrieges«. Zu Helmuth von Moltkes militärisch-politischen Überlegungen nach
den Erfahrungen der Einigungskriege, in: Militärische Verantwortung in Staat und Gesellschaft. 175 Jahre Generalstabsausbildung in Deutschland, hrsg. von Detlef Bald,
Koblenz 1986, S. 83-107; Stig Förster, Helmuth von Moltke und das Problem des industrialisierten Volkskrieges im 19. Jahrhundert, in: Generalfeldmarschall von Moltke.
Bedeutung und Wirkung, hrsg. von Roland G. Foerster, München 1991, S. 103-116;
Moltke. Vom Kabinettskrieg zum Volkskrieg. Eine Werkauswahl, hrsg. von Stig Förster, Bonn, Berlin 1992, S. 1-34.
Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages (RT-Sten. Ber.),
1890/91, Bd 114, S. 76-77.
Karl Marx, Friedrich Engels, Werke, hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus
beim ZK der SED, 39 Bde, Berlin 1958-68, Bd 21, S. 350 f.
Johann v. Bloch [d.i. Jan Bloch], Der Krieg, 6 Bde, Berlin 1899.
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Hat die deutsche Generalität, hat vor allem der Generalstab, insbesondere
nach der Jahrhundertwende, solche Warnungen tatsächlich nicht mehr ernst genommen? Ging die nachfolgende Generation führender Offiziere sogar so weit,
die Einsichten des alten Moltke, des Helden von Sedan und Ziehvaters des Generalstabs, einfach zu ignorieren? Verstanden die Berufssoldaten des Kaiserreichs wirklich weniger von der Natur des zukünftigen Kriegs als die »Amateure« Engels und Bloch? All dies erscheint doch zumindest zweifelhaft.
Es wird deshalb die Aufgabe des vorliegenden Aufsatzes sein, die Entwicklung des Kriegsbildes der deutschen Generalität näher zu untersuchen und die
These von der Illusion des kurzen Krieges auf ihre Haltbarkeit zu prüfen. Dabei
kann eine abschließende Untersuchung an dieser Stelle noch nicht geleistet werden20. Hier kann es nur um einen Einstieg in die Materie gehen, der sich auf den
Generalstab, vor allem dessen Chefs und einige weitere bedeutende Persönlichkeiten konzentriert. Grundlage für diese Untersuchung bilden unter anderem
Akten aus den Beständen des Bundesarchivs-Militärarchivs Freiburg und des
Zwischenarchivs in Potsdam 21 . Vor allem letztere haben sich als interessant erwiesen, handelt es sich hierbei doch um Bestände aus dem Reichsarchiv und der
Kriegsgeschichtlichen Forschungsanstalt, die bis vor kurzem als verloren galten.
Entscheidend sind jedoch nicht diese eher begrenzten Aktenfunde, sondern es
wird in erster Linie darum gehen, längst bekanntes Material mit Hilfe einer neuen Fragestellung, unter einer neuen Perspektive gegen den bisherigen interpretatorischen Strich zu bürsten.
In jüngster Zeit hat sich auch die deutsche Militärgeschichtsschreibung zu
Recht einer historischen Betrachtung »von unten« zugewandt. Wie Wolfram
Wette treffend betont, kann es nicht länger angehen, Militärgeschichte nur aus
der Perspektive der führenden Persönlichkeiten heraus zu betrachten und dabei
über 99 Prozent der Armeeangehörigen zu mehr oder weniger »unbekannten
Soldaten« zu stempeln 22 . Ja, so möchte man hinzufügen, eine Militärgeschichte,
die ihr Sujet nicht in den gesamtgesellschaftlichen Rahmen einbettet, ist obsolet
geworden. Diese Einsicht soll bei der folgenden Analyse mitgedacht werden,
auch wenn an dieser Stelle wenig Gelegenheit vorhanden sein wird, den innermilitärischen und gesamtgesellschaftlichen Interdependenzen genauer nachzugehen. Nur in groben Zügen wird sich andeuten lassen, wie eng die Veränderungen des Kriegsbildes vom 19. Jahrhundert bis 1914, die die Generalstäbler so
sehr beschäftigten, mit dem inneren Wandel der Streitkräfte und der gesamtgesellschaftlichen Umbruchsituation verzahnt waren. Auf der anderen Seite muß
jedoch festgehalten werden, daß die Notwendigkeit einer Militärgeschichte von
unten die weitere Untersuchung von Entscheidungsprozessen an der Spitze
nicht ausschließen darf. Gerade wenn der einfache Soldat, wie Wette betont, das
Militär als »totale Institution« erfuhr, ist es wichtig zu erfahren, mit welchen
Konzepten die mit so viel Macht ausgestatteten obersten Militärbehörden hantierten. Operative Planung war schließlich nur die Angelegenheit einiger weniger Männer im Generalstab. Die Konsequenzen ihrer Überlegungen hatten dann
jedoch alle zu tragen. Was dem einfachen Soldaten an der Marne widerfuhr,
wird nur vor dem Hintergrund der Generalstabsplanung verständlich. Auch
20
21
22
Ich plane, in den nächsten Jahren hierzu ein größeres Buch vorzulegen.
Die Potsdamer Akten sind inzwischen ebenfalls nach Freiburg verlagert worden.
Der Krieg des kleinen Mannes. Eine Militärgeschichte von unten, hrsg. von Wolfram
Wette, München, Zürich 1992, S. 9-18.
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wenn die »Geschichte der großen Männer« methodologisch überholt sein dürfte,
so führt doch kein Weg daran vorbei, daß im Generalstab die Entscheidungen
nur von wenigen Männern unter Ausschluß der Öffentlichkeit getroffen wurden.
Hier machten Männer tatsächlich noch Geschichte — aber ihr Spielraum wurde
immer kleiner.
II. Operative Planung im Zeitalter des Volkskrieges
Dennis E. Showalter hat in einem interessanten Artikel den Versuch unternommen, die Idee des Blitzkrieges bis zu ihren historischen Wurzeln zurückzuverfolgen. Er kam dabei zu dem Ergebnis, daß das Konzept des kurzen Feldzuges unter maximalem Kräfteaufwand bei gleichzeitig begrenzten strategischen und
politischen Zielen traditionell grundlegend für das preußische und später das
deutsche operative Denken war:
»The German heritage, properly understood, is a heritage of total force applied in limited wars for limited objectives23.«
Tatsächlich erlaubten die ungünstige geopolitische Lage in der Mitte Europas,
umringt von drei Großmächten, sowie die begrenzten menschlichen und materiellen Ressourcen Preußen seit den Tagen Friedrichs II. zu keinem Zeitpunkt, einen langwierigen Krieg auf eigene Faust mit Aussicht auf Erfolg zu führen 24 .
Schnelle Feldzüge zur Niederwerfung des Gegners, ohne politisch zu viel von
ihm zu verlangen, wurden deshalb zum Idealbild preußischer Kriegführung.
Der Altere Moltke hat dieses System modernisiert und perfektioniert. Ausgehend von einem stark verengenden, utilitaristischen Verständnis der entsprechenden Ausführungen in Carl von Clausewitz' Werk »Vom Kriege«25, machte
Moltke den Vernichtungsgedanken zum Kernstück seiner operativen Planungen.
In den Feldzügen von 1866 und 1870 strebte er demgemäß die schnelle und
möglichst vollständige Zerschlagung der feindlichen Hauptarmeen an. Die
Schlachten von Königgrätz und Sedan kamen Moltkes Ideal am nächsten. All
dies stimmte vorzüglich mit Bismarcks Politik begrenzter Kriegsziele (zumindest
gegenüber Osterreich) überein. Moltke schuf somit die operative Planung für
den modernen »Kabinettskrieg«, wie er es später nannte 26 .
23
24
25
26
Dennis E. Showalter, German Grand Strategy: A Contradiction in Terms?, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen, 48 (1990), S. 65-102. Zitat auf S. 66.
Den Siebenjährigen Krieg überlebte Preußen nur mit der finanziellen Unterstützung
Großbritanniens und auf Grund beinahe unglaublicher Glücksumstände. Vgl. Gerhard
Ritter, Staatskunst und Kriegshandwerk. Das Problem des »Militarismus« in Deutschland, 4 Bde, München 1954-1968, Bd 1, S. 44-49 und Theodor Schieder, Friedrich der
Große. Ein Königtum der Widersprüche, Frankfurt a. M., Berlin 1983, S. 170-223.
Carl von Clausewitz, Vom Kriege, hrsg. von Werner Hahlweg, 16. Aufl., Bonn 1952.
Zum Vernichtungsgedanken bei Clausewitz siehe besonders Buch 1 und 8. Als sachgerechte Analyse der Ausführungen Clausewitz' und deren Verengung durch Moltke
siehe Panajotis Kondylis, Theorie des Krieges. Clausewitz — Marx — Engels — Lenin,
Stuttgart 1988, besonders S. 87-90 und S. 118-122. Hinsichtlich Moltke verläßt sich
Kondylis allerdings zu sehr auf veraltete Literatur, weswegen er dem Generalstabschef
fälschlich den unverrückbaren Glauben an den kurzen Krieg unterstellt.
Helmuth von Moltke, Ueber den angeblichen Kriegsrath in den Kriegen König Wil-
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Eine der Grundvoraussetzungen für Moltkes Siege bestand jedoch in der numerischen Überlegenheit der preußischen Truppen. Moltkes Glück war die Tatsache, daß nur Preußen in den 1860er Jahren über die mehr oder weniger vollständig durchgeführte allgemeine Wehrpflicht verfügte. Die Preußen (und 1870
die Deutschen, da in der Zwischenzeit die allgemeine Wehrpflicht bei allen deutschen Staaten eingeführt war) verfügten über die »stärkeren Bataillone« im
Kampf gegen Osterreich und gegen das Frankreich Napoleons III. Es kam also
»nur« darauf an, diese großen Armeen effizient einzusetzen, um den Gegner in
einem einzigen mächtigen Schlag zu zertrümmern. Angesichts dieser Verhältnisse wirkte sich die allgemeine Wehrpflicht als wertvolles Mittel zur Abkürzung
von Feldzügen aus27.
Ein zweiter Faktor waren die Anfänge industrialisierter Kriegführung, die
damals in der westlichen Welt heraufdämmerten. Von besonderer Bedeutung in
diesem Zusammenhang erwiesen sich die Eisenbahnen, die die enormen Probleme des Transports und der Versorgung von Massenarmeen lösen halfen. Niemand verstand das besser als Moltke. Die Verbesserung der Waffentechnologie
(Zündnadelgewehre 1866 und die modernisierte Feldartillerie 1870) erwies sich
für die preußischen Armeen ebenfalls als hilfreich28. Zwar bedeutete die allgemeine Verbesserung der Feuerkraft eine Stärkung der taktischen Defensive gegenüber der Offensive, und Moltke zog aus den Erfahrungen des Krieges gegen
Dänemark bereits den weisen Schluß, daß offene Angriffe über freies Feld gegen
mit gezogenen Hinterladern bewaffnete Infanterie selbstmörderisch waren. Aber
in dieser Phase war der Generalstabschef noch in der Lage, offensive Operationen anzulegen, die auf dem Wege des Ausflankierens den Gegner in die taktische Offensive zwangen, während die eigenen Truppen sich defensiv verhielten.
Nach dem Zurückschlagen des feindlichen Angriffs unter schweren Verlusten
für den Gegner konnte dann zum vernichtenden Gegenschlag ausgeholt werden,
der die Fortsetzung der offensiven Operation erlaubte 29 .
Insgesamt also war Moltke der richtige Mann am richtigen Platz in der richtigen Zeit. Alle Faktoren kamen zusammen, um Preußen nicht nur glänzende Siege zu ermöglichen, sondern auch, was vielleicht noch wichtiger war, um relativ
kurze Kriege zu erlauben, die das Land vor allzu schweren wirtschaftlichen, sozialen und politischen Lasten, wie auch vor der Gefahr einer Intervention durch
dritte Mächte bewahrten.
Aber nach dem Triumph von Sedan erfuhr das preußische Konzept der Kriegführung einen abrupten Einschnitt, von dem es sich nie wieder erholen sollte.
Bismarck und Moltke begingen nämlich den kapitalen Fehler, die politischen
27
28
29
helms I., Artikel aus dem Jahre 1880/81, neu publiziert in: Moltke (wie Anm. 16),
S. 129-137.
Zur problematischen Bedeutung der allgemeinen Wehrpflicht im 19. Jahrhundert siehe
Stig Förster, Militär und staatsbürgerliche Partizipation. Die allgemeine Wehrpflicht
im Deutschen Kaiserreich 1871-1914, in: Die Wehrpflicht. Entstehung, Erscheinungsformen und politisch-militärische Wirkung, hrsg. von Roland G. Foerster, München
1994, S. 55-70, hier: S. 55-57.
Vgl. Dennis E. Showalter, Railroads and Rifles. Soldiers, Technology, and the Unification of Germany, Hamden, Conn. 1976, sowie Martin van Creveld, Supplying War. Logistics from Wallenstein to Patton, Cambridge 1977, S. 75-108.
Helmuth von Moltke, Bemerkungen über den Einfluß der verbesserten Feuerwaffen
auf die Taktik, Artikel aus dem Jahre 1865, neu publiziert in: Moltke (wie Anm. 16),
'S. 147-163.
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Stig Förster
Kriegsziele der Verbündeten gegenüber Frankreich zu überdehnen. Mit ihren
exorbitanten Forderungen zwangen sie die neue französische Regierung, den
Krieg trotz aller Niederlagen fortzusetzen. Leon Gambetta und Charles-Louis de
Freycinet propagierten nun den guerre ä outrance und riefen die levee en masse
aus. Das neue Frankreich setzte die allgemeine Wehrpflicht in Kraft und verschärfte den Kampf gegen die Invasoren. Neue Armeen wurden formiert, und
anstelle des scheinbar unmittelbar bevorstehenden Sieges zog sich der Krieg
noch weitere sechs Monate hin, in deren Verlauf zwölf zusätzliche Schlachten geschlagen wurden. Die deutschen Armeen wurden bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit gefordert, zumal sie sich jetzt einem zahlenmäßig überlegenen,
wenn auch schlechter ausgebildeten Gegner gegenüber sahen. Obendrein mußten 100 000 Soldaten zum Schutz der rückwärtigen Verbindungen gegen francstireurs abgestellt werden. Beide Seiten begannen, den Kampf mit erschreckender
Grausamkeit zu führen. Dies war kein Feldzug mehr gegen eine reguläre feindliche Armee, sondern ein Krieg gegen ein ganzes Volk. Wie wenige Jahre zuvor im
Amerikanischen Bürgerkrieg trat nunmehr auch in Europa das gräßliche Phänomen des industrialisierten Volkskriegs zutage 3 0 .
Auf dem Höhepunkt der Krise, im Winter 1871, trennte Moltke sich schließlich von seinem Konzept des kurzen, harten Krieges. Er schlug nunmehr vor, auf
den guerre ä outrance mit einem Schritt in Richtung auf den totalen Krieg zu antworten. Unter voller Ausnutzung der deutschen Wehrkraft wollte er Frankreich
vollständig zerschlagen und besetzen. O h n e jede politische R ü c k s i c h t n a h m e
sollte die militärische Führung die alleinige Verantwortung für diese Art der
Kriegführung übernehmen. Die Idee des Vernichtungskrieges trat damit an die
Stelle des Vernichtungsfeldzugs. Bismarck, der nicht zuletzt u m seine Position
innerhalb der preußischen Führungstroika fürchtete, verhinderte jedoch die Umsetzung der Forderungen Moltkes, zumal er eine weitere Verlängerung des Krieges angesichts möglicher Probleme an der Heimatfront und angesichts der drohenden Intervention dritter Mächte ablehnte. Dennoch markierte das Jahr 1871
den Beginn jener Probleme, mit denen sich das neu gegründete Deutsche Reich
in jedem zukünftigen Großkrieg konfrontiert sehen mußte: Wie war ein langwieriger Krieg zu vermeiden und wie sollte man reagieren, wenn diese Gefahr zur
Realität wurde 3 1 ?
Den Zeitgenossen war jedenfalls klar, daß sich in der zweiten Hälfte des
Deutsch-Französischen Krieges etwas Fundamentales ereignet hatte. Der Charakter des modernen Krieges hatte sich unwiderruflich gewandelt. Von nun an
mußte damit gerechnet werden, daß jeder größere militärische Konflikt nach
französischem Vorbild mit der ganzen Volkskraft geführt werden würde. Schon
30
31
Zur zweiten Phase des Deutsch-Französischen Krieges siehe die immer noch unübertroffene Arbeit von Michael Howard, The Franco-Prussian War. The German Invasion
of France, 1870-1871, 4. Aufl., London 1979, S. 224-431. Als Überblicksdarstellung
zum Amerikanischen Bürgerkrieg auf gleichem Niveau vgl. James McPherson, Battie
Cry of Freedom. The Civil War Era, New York 1988.
Für eine detaillierte Analyse der Auseinandersetzungen innerhalb der preußischen
Führung während des Deutsch-Französischen Krieges siehe demnächst Stig Förster,
The Prussian Triangle of Leadership in the Face of People's War. A Re-Assessment of
the Conflict between Bismarck and Moltke, 1870/71, in: On the Road to Total War. The
American Civil War and the German Wars of Unification, 1861-1871, ed. by Stig Förster and Jörg Nagler, New York (wahrscheinlich 1995).
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Der deutsche Generalstab und die Illusion des kurzen Krieges
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die Kriege im Gefolge der Französischen Revolution von 1789 hatten ja diese
Tendenz aufgewiesen. Clausewitz hatte diese Entwicklung seinerzeit mit den
Worten kommentiert:
»Der Krieg war urplötzlich wieder eine Sache des Volkes geworden, und
zwar eines Volkes von 30 Millionen, die sich alle als Staatsbürger betrachteten32.«
Zu der durch die Mobilisierung ganzer Volksmassen hervorgerufenen Steigerung militärischer Machtmittel meinte er:
»nachdem die Regierungen alle diese Hilfsmittel kennengelernt haben, ist
nicht zu erwarten, daß sie dieselben in künftigen Kriegen unbenutzt lassen
werden, sei es, daß die Gefahr der eigenen Existenz ihnen drohe, oder ein
heftiger Ehrgeiz sie treibe.
Daß Kriege, welche mit der ganzen Schwere der gegenseitigen Nationalkraft
geführt werden, nach anderen Grundsätzen eingerichtet sein müssen als solche, wo alles nach dem Verhältnis der stehenden Heere zueinander berechnet
wurde, ist leicht einzusehen 33 .«
In den Jahrzehnten nach 1815 war es den europäischen Kabinetten und den militärischen Führern zwar gelungen, diese für die Stabilität der konservativen Regimes so gefährlichen Tendenzen der Kriegführung noch einmal zu unterdrücken. Doch spätestens seit d e m Deutsch-Französischen Krieg w a r e n
Clausewitz' Worte aktueller denn je. Im Zeichen wachsender staatsbürgerlicher
Partizipation am politischen Geschehen war es unmöglich geworden, Kabinettskriege mit stehenden Heeren zu führen, während für den Rest der Bevölkerung
galt: »Ruhe ist die erste Bürgerpflicht«. Ganz im Gegenteil: Die kontrollierte Mobilisierung der Völkskraft für den Krieg mit Hilfe der allgemeinen Wehrpflicht
involvierte zumindest die männlichen Staatsbürger direkt in den Militärapparat.
Krieg wurde damit zu einer nationalen Angelegenheit und es bestand die latente
Gefahr, daß allein schon wegen der damit verbundenen emotionalen Aufputschung der Massen die Führung die Kontrolle über den Krieg als Instrument ihrer Politik verlieren würde. Solange nur ein Staat, nämlich Preußen, sich der
Wehrpflicht als Grundlage für die Kriegführung bediente, wurden diese Gefahren nicht so deutlich. Doch wenn beide Seiten das Volk zu den Waffen riefen, wie
dies nach Sedan geschah, konnte der Krieg aus der von oben gewünschten geordneten Bahn geraten. Die Folge konnte ein langwieriges, brutales Gemetzel
sein, an dessen Ende auf der Seite des Verlierers womöglich sogar noch die Revolution stand, wie dies die Pariser Kommune demonstriert hatte34.
Nicht nur Helmuth von Moltke sprach deshalb fortan davon, daß die Zeit der
Kabinettskriege vorüber sei und man nunmehr nur noch den Volkskrieg habe35.
32
33
34
35
Clausewitz, Vom Kriege (wie Anm. 25), S. 868.
Ebd., S. 311.
Zur Kommune siehe Robert Tombs, The War against Paris, 1871, Cambridge 1981.
Zum Komplex allgemeine Wehrpflicht, staatsbürgerliche Partizipation und Krieg siehe
Förster, Militär (wie Anm. 27).
So leitete Moltke seine eigenhändige Darstellung des Krieges von 1870/71 mit folgenden Worten ein: »Es sind vergangene Zeiten, als für dynastische Zwecke kleine Heere
von Berufssoldaten ins Feld zogen, um eine Stadt, einen Landstrich zu erobern, dann
in die Winterquartiere rückten oder Frieden schlossen. Die Kriege der Gegenwart rufen die ganzen Völker zu den Waffen, kaum eine Familie, welche nicht in Mitleidenschaft gezogen würde. Die volle Finanzkraft des Staates wird in Anspruch genommen,
und kein Jahreswechsel setzt dem rastlosen Handeln ein Ziel.« Helmuth von Moltke,
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Stig Förster
Auch einer der vielversprechendsten Vertreter der jüngeren Offiziersgeneration,
Colmar von der Goltz, schrieb vom »Zeitalter des Volkskrieges«, das den Charakter jedes zukünftigen Krieges bestimmen würde 36 . Wie noch zu zeigen sein
wird, setzte sich dieser Gedanke vor allem in den Köpfen einiger einflußreicher
Militärs fest. Die meisten von ihnen empfanden den Volkskrieg allerdings als eine furchtbare Bedrohung, weil er jegliche Kriegführung in ein gänzlich unkalkulierbares Risiko verwandelte 37 . Denn ein Volkskrieg mit seinen zahlreichen, auch
nicht-militärischen Variablen, wie etwa politische Stimmungslagen unter der Bevölkerung, wirtschaftliche Faktoren usw., drohte den Militärs die Gewalt über
ihr Metier, nämlich den Krieg, zu entreißen. Hinzu kam schließlich noch, daß
das Wiederaufleben des Volkskriegssyndroms im 19. Jahrhundert nunmehr auf
Gesellschaften traf, die sich auf dem Wege der Industrialisierung befanden. Der
Krieg erreichte damit eine ganz andere Intensitätsstufe als zu den Zeiten Napoleons I. Noch größere Armeen konnten zum Einsatz gebracht und versorgt werden. Die Vernichtungskraft der Waffen war erheblich gesteigert worden. Vor allem aber w u r d e das Kriegführen teurer und stärker denn je abhängig vom
Funktionieren einer hochdifferenzierten Volkswirtschaft. Weniger als zu irgendeiner früheren Epoche ließ sich ein solcher Krieg nur vom Feldherrnhügel aus
leiten.
Die Wirkung des Volkskriegssyndroms wurde durch die Entwicklung der allgemeinen militärpolitischen Lage in Europa nach 1871 noch verschärft. Da war
zunächst die Gefahr eines Zweifrontenkrieges, die das neu gegründete Reich bedrohte. Es war schließlich unwahrscheinlich, daß das geschlagene Frankreich
permanent international isoliert bleiben würde. Rußland war Frankreichs natürlicher Partner gegen das Deutsche Reich. Bis in die 1890er Jahre hinein verdichteten sich die Anzeichen für eine französisch-russische Allianz in der Tat immer
mehr. Die strategische Lage des Reiches wurde dadurch derart verschlechtert,
daß ein Sieg in einem weiteren Krieg vielleicht unmöglich wurde. Natürlich war
es in einem derartigen Krieg wünschenswert, zunächst einen der beiden Gegner
durch eine konzentrierte Offensive unter Ausnutzung der inneren Linie niederzuwerfen, um sich dann gegen den anderen zu wenden. Doch war ein schneller
Sieg nach einer Seite hin möglich, wenn ganze Nationen zu den Waffen gerufen
werden würden?
36
37
Geschichte des Krieges 1870/71, Darstellung aus dem Jahre 1888, neu publiziert in:
Moltke (wie Anm. 16), S. 236-594, Zitat auf S. 241.
Colmar von der Goltz, Das Volk in Waffen, 2. Aufl., Berlin 1883, S. 17. Diese Erkenntnis
war inzwischen so populär geworden, daß sie sogar in Enzyklopädien Verbreitung
fand. So schrieb Meyers Konversationslexikon unter dem Stichwort »Krieg«: »Man unterscheidet Volks= [krieg, S.F.] und die früher häufigen Kabinettskriege, je nachdem
ein K. für die Interessen eines ganzen Volkes oder der persönlichen Interessen eines
Fürsten wegen geführt wird. Letztere sind heutzutage fast undenkbar.« Meyers Konversations-Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens, 17 Bde, 5. Aufl.,
Leipzig 1897, Bd 10, S. 710.
Mit seiner offenkundigen Bewunderung für Gambettas Volkskrieg ruinierte von der
Goltz um ein Haar seine Karriere. Siehe Colmar von der Goltz, Leon Gambetta und
seine Armeen, Berlin 1877. Das konservative Kriegsministerium und die militärische
Kamarilla um den Kaiser wollten sogar die Verabschiedung des vorlauten jungen Offiziers durchsetzen, weil er es gewagt hatte, das quasi-revolutionäre Vorgehen Gambettas zu loben. Nur Moltkes Intervention rettete von der Goltz, der mit einem schweren
Tadel davon kam. Generalfeldmarschall Colmar von der Goltz, Denkwürdigkeiten,
hrsg. von Friedrich Freiherr von der Goltz und Wolfgang Foerster, Berlin 1929, S. 105.
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Hinzu kam die Tatsache, daß das Reich nach 1871 sein Monopol in Sachen
allgemeine Wehrpflicht verlor, weil alle anderen kontinentaleuropäischen
Großmächte diese Maßregel nachahmten. Mit der französischen Wiederaufrüstung begann sogar ein allgemeines Wettrüsten, das alle bisherigen Proportionen
sprengte. Vor allem in Frankreich, Rußland und dem Deutschen Reich entstanden
Massenarmeen, die nicht nur die Kriegführung generell komplizieren mußten,
sondern kaum noch in kurzer Frist zerschlagen werden konnten. Hinzu kamen
weitere Verbesserungen in der Waffentechnologie, der Ausbau des Eisenbahnwesens und von Festungen. Im Verlauf dieser Entwicklung verlor das Reich
allmählich seinen militärischen Vorsprung vor den potentiellen Gegnern Frankreich und Rußland. Die Aussichten waren düster geworden.
Bis zu seiner Verabschiedung versuchte Generalstabschef Moltke zweimal,
der drohenden Gefahr durch die Forderung nach einem Präventivkrieg zu begegnen. Im Jahre 1875 verlangte er einen erneuten Krieg gegen Frankreich, bevor
es vollständig aufgerüstet sei. Und 1887 forderten Moltke und sein Stellvertreter
Alfred Graf von Waldersee einen Präventivschlag gegen Rußland. In beiden Fällen lehnte Bismarck mit Entschiedenheit ab38.
Moltke nahm Bismarcks Entscheidungen widerspruchslos hin. Der Grund für
diese eigentlich untypische Haltung war die Tatsache, daß Moltke selbst immer
unsicherer über die Erfolgsaussichten eines Krieges, ja sogar eines Überraschungsangriffs, geworden war. Eine genaue Untersuchung seiner Operationspläne ab 1871 zeigt, daß er es zunehmend unmöglich fand, das vertrackte Problem zu lösen, wie ein schneller Sieg im Zeitalter des Volkskrieges zu erringen
war, zumal unter dem Zweifrontendruck. Bereits am 27. April 1871 verfaßte
Moltke ein Memorandum über einen Zweifrontenkrieg gegen Frankreich und
Rußland. Dabei stellte er fest, daß es sicherlich am aussichtsreichsten sei, die
Gegner nacheinander zu schlagen. Aber Deutschland, so fuhr er fort,
»darf nicht hoffen, durch eine rasche und glückliche Offensive in letzterer
Richtung [nach Westen, S.F.] sich in kurzer Zeit von dem einen Gegner zu befreien, um sich dann gegen den anderen zu wenden. Wir haben eben erst erlebt, wie schwer es ist, selbst den siegreichsten Kampf gegen Frankreich zu
beenden39.«
In den folgenden zwei Jahrzehnten arbeitete Moltke mit aller Macht an dem Versuch, einen Ausweg zu finden. Aber egal ob er einen Krieg mit einer Offensive
nach Westen oder (gegen Ende seines Lebens) mit einem Angriff auf Rußland
beginnen wollte, er kam immer zu demselben Ergebnis: ein schneller Totalsieg
gegen einen der beiden Gegner war unmöglich40.
In seinen Denkschriften nannte Moltke das Wettrüsten, das französische Festungsbauprogramm und die territoriale Weite Rußlands als Ursachen für die
Unmöglichkeit eines schnellen Sieges. Obendrein verlieh die ständige Verbesserung der Feuerkraft der taktischen Defensive immer mehr Vorteile gegenüber
der Offensive. Dieser Faktor in Verbindung mit der zunehmenden Größe der Armeen, die sich kaum noch in die Flanken fassen ließen, besonders wenn sie
38
39
40
Für Details siehe Förster, Optionen (wie Anm. 16), S. 94-99.
Denkschrift vom 27. 4. 1871, neu publiziert in: Moltke (wie Anm. 16), S. 598-609, Zitat
auf S. 603.
Siehe Graf Moltke, Die Aufmarschpläne, 1871-1890, hrsg. von Oberstleutnant a. D.
Ferdinand von Schmerfeld, Berlin 1929. Als Analyse vgl. Förster, Optionen (wie
Anm. 16), S. 97-99.
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durch starke Forts und Feldbefestigungen teilweise geschützt wurden, ließ wenig Raum für offensive Operationen. Selbst wenn viele europäische Generale
sich nach wie vor etwas mit der stereotypen Behauptung vormachten, der Angriff sei die beste Kampfesweise, so war doch klar, daß die Situation zumindest
schwierig geworden war41. Entscheidend aber war bei all dem das Volkskriegssyndrom. An der schieren Unmöglichkeit, ein ganzes Volk in einem rasanten
Feldzug niederwerfen zu können, verzweifelte Moltke. Vor diesem Hintergrund
hielt er seine berühmte Reichstagsrede am 14. Mai 1890, in der er vor der bevorstehenden Katastrophe warnte. Sein Rat an die nachfolgende Generation lautete
deshalb, Krieg möglichst überhaupt zu vermeiden und auf der Grundlage wohldosierter Rüstungspolitik eine maßvolle Politik der Abschreckung zu betreiben 42 .
Für den Großen Generalstab stand der Beginn des letzten Jahrzehnts im
19. Jahrhundert somit unter denkbar schlechten Vorzeichen. Es mag sein, daß die
düsteren Prognosen Moltkes die Äußerungen eines alten Mannes waren, der seinen baldigen Tod kommen sah. Es ist ebenfalls nicht auszuschließen, daß die beinahe gleichzeitig von Engels und Bloch entworfenen Schreckensszenarios nicht
unbeeinflußt von einer Zeit waren, die nach 16 Jahren tiefer wirtschaftlicher Depression nicht gerade zum Optimismus neigte43. Aber die harten Fakten sprachen durchaus für derlei Prognosen, und Moltke wußte sicherlich, wovon er
sprach. Es ist außerdem wahr, daß verantwortungslose Offiziere, wie Moltkes
draufgängerischer Nachfolger Waldersee dennoch mit dem Gedanken an einen
Krieg spielten — ohne Rücksicht auf die Folgen44. Doch derlei Forderungen hatten einstweilen keine Chance, da sowohl der junge Kaiser als auch die politische
Führung das Risiko eines Krieges scheuten. Sicherlich waren viele Militärs und
Politiker der Überzeugung, daß Krieg früher oder später unausweichlich sein
würde. In jener Phase wurde diese Ansicht gerade durch den neuen Reichskanzler Leo von Caprivi vertreten 45 . Aber Caprivi und die meisten anderen schreckten davor zurück, den Krieg eigenhändig vom Zaun zu brechen. Krieg hatte
nämlich aufgehört, eine attraktive Option der Politik zu sein.
Wie ernst die militärische Lage tatsächlich war und wie wenig Aussichten
auf einen erfolgreichen Feldzug im Kriegsfalle bestanden, macht eine Denkschrift deutlich, die der Oberquartiermeister im Generalstab, Generalmajor Köpke,
41
42
43
44
45
Storz, Kriegsbild (wie Anm. 11), S. 25-32.
Vgl. Förster, Optionen (wie Anm. 16), S. 99-102.
Vgl. etwa Hans Rosenberg, Große Depression und Bismarckzeit. Wirtschaftsablauf,
Gesellschaft und Politik in Mitteleuropa, Berlin 1967.
Waldersee war vielleicht ein Extremfall. Während seiner Laufbahn forderte er nämlich
wie manisch bei jeder Gelegenheit, mit Gewalt gegen den äußeren oder den »inneren«
Feind vorzugehen. Siehe John C.G. Röhl, Wilhelm II. Die Jugend des Kaisers,
1859-1888, München 1993, S. 601-628.
Siehe Caprivis Denkschrift an den Kaiser vom 27. 8. 1891, in: Der Weltkrieg 1914 bis
1918. Kriegsrüstung und Kriegswirtschaft, Anlagen zum ersten Band (fortan Kriegsrüstung, Anlagen), Berlin 1930, S. 45-50. Hier, wie auch in seinen öffentlichen und geheimen Reden zur Rechtfertigung seiner Heeresvorlage von 1892 vertrat Caprivi die Ansicht, daß Krieg auf die Dauer unvermeidbar sei und man sich darauf vorbereiten
müsse. Dies war nicht nur ein Fall von Rüstungspropaganda sondern der Beginn eines
weit verbreiteten Syndroms im Wilhelminischen Deutschland, das Krieg im Endeffekt
zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeihung machte. Vgl. Wolfgang J. Mommsen,
The Topos of Inevitable War in Germany in the Decade before 1914, in: Germany in the
Age of Total War, ed. by Volker R. Berghahn and Martin Kitchen, London 1981,
S. 23-44. Zu Caprivi und der Heeresvorlage von 1892 siehe Förster, Militarismus (wie
Anm. 13), S. 36-57.
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im August 1895 verfaßte. Unter der Überschrift »Eine deutsche Offensive gegen
Frankreich nach ihren Bedingungen, Richtungen und Aussichten« untersuchte er
die Möglichkeiten eines Angriffs auf die stark befestigte französische Grenze. Er
kam dabei angesichts der zahlenmäßigen Unterlegenheit der deutschen Truppen
gegenüber den Franzosen in einem Zweifrontenkrieg zu dem Ergebnis, daß allenfalls eine begrenzte Offensive gegen Nancy, den Eckpfeiler der feindlichen
Befestigungslinie, machbar sei. Doch selbst bei einem Erfolg dieser Operation sei
ein weiteres Vordringen wohl kaum zu erwarten, was »in der Armee wie im
Volke als ein Zugeständnis der eignen Schwäche empfunden werden und daher
sein bedenkliches haben« werde. Auf der anderen Seite dürfe man sich auch
nicht auf Unternehmungen einlassen, »die nicht nur aussichtslos sind, sondern
auch aller menschlichen Voraussicht nach einen für uns verhängnisvollen Verlauf nehmen werden«. Man würde sich also in Nancy in einer Lage befinden, in
der selbst »mit dem offensivsten Geiste [...] nichts weiter zu erreichen« sei, »als
durch ein schrittweises, mühevolles und blutiges Vorwärtsarbeiten — hier und
da im Wege des förmlichen Angriffs des Belagerungskrieges — allmählich Vorteile zu erringen«. Es seien somit »nur eine Summe partieller Erfolge im Kleinen« zu erzielen. Köpke fuhr fort:
»Nur dem zähen, geduldigen und mutigen Ausharren jedes Einzelnen im
Ringen um ein kleines Stück der großen und weiten Kampffelder werden wir
vielleicht einen schließlichen Erfolg im Großen verdanken. Möglicherweise
läßt sich der Gegner in seinem Tatendrang hier und da zu unbedachten Unternehmungen hinreißen, deren erfolgreiche Abwehr und Ausbeutung uns
im Laufe der Zeit vielleicht dauernde und entscheidende Vorteile verschafft.
Mit Sicherheit aber darauf zu rechnen haben wir keine Veranlassung.«
Köpke Schloß mit einem geradezu niederschmetternden Blick in die Zukunft:
»Jedenfalls sprechen Anzeichen genug dafür, daß der Krieg der Zukunft ein
anderes Aussehen, als der von 1870/71 haben wird. Schnelle Siege von entscheidender Bedeutung haben wir nicht zu erwarten. Armee und Volk müssen sich aber bei Zeiten an diese unerfreuliche Perspektive gewöhnen, soll
nicht ein bedenklicher Pessimismus schon gleich bei Beginn des Krieges Platz
greifen und zu einer schlimmen Gefahr für dessen Ausgang werden. Der Po. sitionskrieg im Großen, der Kampf um lange Fronten befestigter Feldstellungen, die Belagerung großer fester Plätze muß siegreich durchgeführt werden.
Anders werden wir keine Erfolge über die Franzosen erringen können. Hoffentlich wird es uns dann nicht an den hierzu nötigen Vorbereitungen in intellektueller wie materieller Hinsicht fehlen und werden wir uns im entscheidenden Augenblick für diese Kampfesform wohl vorgeübt und ausgerüstet
sehn46.«
Für den heutigen Leser erscheint Köpkes Analyse geradezu prophetisch, wurden doch hier die taktisch-operativen Verhältnisse des Ersten Weltkrieges vorausgesagt. In der damaligen Zeit bedeutete Köpkes Denkschrift aber nichts an46
Dieses Dokument ist offenbar bei der teilweisen Zerstörung des Potsdamer Reichsarchivs im Jahre 1945 verloren gegangen. Die hier zitierten Auszüge stammen aus einem
unveröffentlichten Manuskript der Kriegsgeschichtlichen Forschungsanstalt des Heeres, das ich in den Beständen des ehemaligen Militärarchivs der DDR in Potsdam
fand: Dr. Dieckmann, Der Schlieffenplan, unvollendetes und unveröffentlichtes Manuskript, Bundesarchiv-Militärarchiv, Abteilung Potsdam (fortan BA-MA Potsdam),
Bestand Kriegsgeschichtliche Forschungsanstalt des Heeres, W-10, 50220, S. 53-57.
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deres, als daß ein kurzer Krieg mit glänzenden Siegen gegenüber Frankreich für
unwahrscheinlich erklärt wurde. Von der Illusion des kurzen Krieges waren Teile des Generalstabes im Jahre 1895 demnach weit entfernt. Doch konnten Armee
und Volk auf einen langwierigen, mühsamen Stellungskrieg vorbereitet werden,
ohne daß man dabei Gefahr lief, jegliche Kriegsbegeisterung, die doch für die
Durchführung einer Mobilisierung der ganzen Volkskraft unentbehrlich war,
von vornherein auszuschließen? Ließ sich ein Volkskrieg mit einem derartig düsteren Szenario offensiv führen? Köpkes Denkschrift, die die Einschätzung des
Alteren Moltke intern bestätigte, zeigte erneut, daß die operativen Planungen
des Generalstabs in eine Sackgasse geraten waren.
III. Schlieffen und die Quadratur des Kreises
Der ab 1891 im Amt befindliche Generalstabschef Alfred von Schlieffen soll Köpkes Analyse der Folgen eines Frontalangriffs auf den französischen Festungsgürtel für sehr überzeugend gehalten haben47. Aber Schlieffen war nicht bereit, sich
mit diesem Verdikt, das einen schnellen und entscheidenden Feldzug im Westen
ausschloß, zufrieden zu geben.
Während seiner gesamten Amtszeit arbeitete Schlieffen vielmehr hart an dem
Versuch, einen Ausweg aus dem Dilemma zu finden. Bereits im Frühjahr 1891
hatte Schlieffen zu erkennen gegeben, daß er alle Überlegungen, den Zweifrontenkrieg mit einer Offensive im Osten zu beginnen, aufgeben wollte, sehr zum
Ärger seiner beiden Vorgänger, die den Angriff auf Rußland bevorzugt hatten48.
Schlieffen war der Überzeugung, daß ein schneller, durchschlagender Erfolg in
den riesigen Weiten Osteuropas unmöglich erreicht werden konnte, denn die
russischen Armeen besaßen jederzeit die Möglichkeit, sich vor den Umklammerungsversuchen der deutschen und österreichisch-ungarischen Truppen in die
Tiefe ihres Reiches zurückzuziehen. Die schlechte Infrastruktur und die neuen
Befestigungsanlagen nahe der Grenze erschwerten die Dinge zusätzlich. Schlieffen kam daher zu dem Schluß, daß allein im Westen Aussichten auf einen
schnellen Feldzug bestanden49.
Es ist nicht nötig, an dieser Stelle die Entstehungsgeschichte des Schlieffenplans im einzelnen nachzuzeichnen. Gerhard Ritter hat dies in vorbildlicher Weise bereits getan50. Hier sollen nur noch einmal die wichtigsten Stationen in Erinnerung gerufen werden. Im August 1892 entschloß sich Schlieffen endgültig, das
Schwergewicht seiner Planungen nach Westen zu verlagern. Doch Köpke überzeugte ihn davon, daß ein Angriff auf den französischen Festungsgürtel nicht
die erwünschten Resultate bringen würde. Am 2. August 1897 trat Schlieffen
47
Ebd., S. 57 f.
Noch am Tage seines Todes, dem 24. 4. 1891, verlieh Moltke gegenüber Waldersee seiner Sorge über die Absichten Schlieffens Ausdruck und beklagte sich darüber, daß der
Kaiser ihn nicht mehr in strategischen Fragen konsultierte. Siehe Denkwürdigkeiten
des General-Feldmarschalls Alfred Grafen Waldersee, hrsg. von Heinrich-Otto Meisner, 3 Bde, Berlin 1923, Bd 2, S. 205.
49
Ritter, Schlieffenplan (wie Anm. 6), S. 19 f.
so Ebd., S. 20-45.
48
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deshalb zum ersten Mal mit der Idee hervor, den Festungsgürtel nördlich zu umgehen und den Hauptangriff durch die neutralen Staaten Luxemburg und Belgien zu führen. Auf diese Weise hoffte er, das strategische Dilemma zu lösen. Es
dauerte jedoch noch mehrere Jahre, bis Schlieffen endgültig zu der Überzeugung
gelangte, daß dies die einzige Möglichkeit war. Erst 1904/05 überraschte er seine
Untergebenen mit den Grundzügen seines später so berühmten Plans: Die
Hauptmacht der deutschen Armeen sollte sich im Westen an der rechten Flanke
versammeln, durch Belgien und die südlichen Niederlande marschieren, um die
südlich dislozierte Masse der französischen Armee zu umgehen, einzuschließen
und zu vernichten.
Im Dezember 1905 kulminierten schließlich 14 Jahre harter Arbeit in Schlieffens Großer Denkschrift, die er bei seiner Verabschiedung im Januar 1906 seinem
Nachfolger, dem Jüngeren Moltke, hinterließ 51 . Der alte General riet für den
Kriegsfall zu einem atemberaubenden Abenteuer. Zwei Drittel der deutschen
Streitkräfte (33 1/2 Korps) sollten den offensiven rechten Flügel im Westen bilden, während wesentlich schwächeren Kräften die Deckung der Vogesen und
des Oberrheins anvertraut wurde. Ein einziges Armeekorps sollte die Verteidigung Ostpreußens gegen den zu erwartenden russischen Ansturm übernehmen.
Sogar die Reservekorps und der Landsturm waren zur Unterstützung des Vormarsches auf dem rechten Flügel im Westen einzusetzen. Schlieffen setzte somit
alles auf eine Karte.
Das Ziel des Schlieffenplans war es, nach dem Vorstoß durch die neutralen
Staaten im Nordwesten Paris westlich zu umgehen, um dann der feindlichen
Hauptmacht in den Rücken zu fallen und sie in ihrem eigenen Festungsgürtel
einzuschließen. Auf diese Weise sollte die schnelle, möglichst vollständige Vernichtung der französischen Armee erreicht werden. Unter keinen Umständen
durfte der Feind in das Innere seines Landes entkommen und sich damit der
Einkesselung entziehen, weil dies zu einem »endlosen Kriege führen« werde.
Mit Emphase stellte Schlieffen fest:
»Das französische Heer muß vernichtet werden 52 .«
Im Grunde sollte der gesamte Westfeldzug zu einer einzigen gigantischen
Schlacht reduziert werden. Um dieses Ziel zu erreichen, hielt Schlieffen auch den
Bruch der belgischen und niederländischen Neutralität für gerechtfertigt, selbst
wenn dies den Kriegseintritt Großbritanniens provozierte, dessen Armee er nicht
besonders ernst nahm 53 . Eine mögliche französische Offensive in das Elsaß hinein wäre ihm sogar gelegen gekommen und er spielte mit dem Gedanken, den
Feind bis in den Schwarzwald vordringen zu lassen, weil ihm dann der Rückzug
ins Innere Frankreichs unmöglich wurde 54 . Schlieffen vermied es, sich über das
zu erwartende Schicksal der Ostprovinzen auszulassen. Aber seine Absicht, die
Ostfront beinahe vollständig von Truppen zu entblößen und spätere Äußerungen deuteten an, daß er den vorübergehenden Verlust dieser Gebiete in Kauf zu
nehmen bereit war55.
51
52
53
54
55
Das Original der Denkschrift, ebenso wie spätere Zusätze sind abgedruckt ebd.,
S. 145-195.
Ebd., S. 157.
Eine britische Interventionsstreitmacht gedachte er entweder schnell zu vernichten oder,
zusammen mit der belgischen Armee, in Antwerpen einzuschließen. Ebd., S. 154,175 f.
Ebd., S. 157-160.
Siehe besonders Schlieffens Denkschrift vom 28.12.1912, ebd., S. 185 f.
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Nichts sollte von dem einseitigen Plan ablenken, die französische Armee mit
einem Schlag zu vernichten. Aber dies war immer noch ein extrem schwieriges
und riskantes Unterfangen. Im Grunde hing alles von der Einhaltung eines sehr
engen Zeitplans ab. Straßen, Brücken und Eisenbahnlinien mußten schnell und
möglichst intakt genommen werden, damit der vorstoßende rechte Hügel einen
Zeitvorsprung vor französischen Gegenmaßnahmen behielt. Auf der Grundlage
seiner Erkenntnisse über den Russisch-Japanischen Krieg stellte Schlieffen fest:
»Nie darf der Angriff, wie es im Ostasiatischen Kriege geschah, zum Stillstand kommen56.«
Entgegen allen preußischen Militärtraditionen plante Schlieffen deshalb die Details jedes einzelnen Schrittes für den gesamten Feldzug im voraus. Nichts sollte
dem Zufall überlassen bleiben, als ob Clausewitz in seinem Werk »Vom Kriege«
das Problem der Friktion nicht zum Schlüssel des Verständnisses vom Ablauf
von Feldzügen gemacht hätte57. Dabei war Schlieffen sich offenbar selbst nicht
ganz sicher, ob seine Planung funktionieren würde. Die Sprache seiner Denkschrift war jedenfalls voll von Ausdrücken wie »ob«, »wenn«, »vielleicht« und
»hoffentlich«58. Am bedenklichsten war jedoch die Tatsache, daß die gemäß dem
Schlieffenplan vorgesehene zahlenmäßige Überlegenheit der deutschen Armeen
im Westen keinesfalls bis zum August 1914 existierte. Als Schlieffen seine Denkschrift verfaßte, waren volle acht Korps, die in seiner Rechnung auftauchten, einfach nicht vorhanden 59 ! Vor diesem Hintergrund kam Gerhard Ritter zu dem
völlig berechtigten Schluß, daß der Schlieffenplan alles andere als ein sicheres
Siegesrezept war:
»Er war ein kühnes, ja überkühnes Wagnis, dessen Gelingen von vielen
Glückszufällen abhing60.«
Warum aber ging Schlieffen ein derartiges Vabanquespiel überhaupt ein? Warum
insistierte er geradezu engstirnig auf einem Plan, der so viele offensichtliche
Schwächen enthielt? War er einfach nur ein seniler Idiot, wie ein bekannter Militärhistoriker mir einmal schrieb61? Diese Erklärung wäre vielleicht doch zu einfach. Immerhin wurden die Grundzüge des Schlieffenplans nicht nur von der
politischen Leitung des Kaiserreichs widerstandslos akzeptiert, sondern auch
Schlieffens Nachfolger wagte es nicht, dieses Konzept gänzlich zu verwerfen. Es
ist deshalb notwendig, Schlieffens eigenen Überlegungen nachzugehen, die die
Grundlage seines Plans bildeten.
Schon Wilhelm Groener schätzte die Dinge richtig ein, als er schrieb, daß es
Schlieffen vor allem darum ging, einen langwierigen Abnutzungskrieg um jeden
Preis zu vermeiden. Laut Groener war Schlieffen sich völlig darüber im klaren,
daß das Reich einen derartigen Kampf nicht gewinnen konnte62. Tatsächlich war
56
Ebd., S. 156.
Clausewitz, Vom Kriege (wie Anm. 25), z.B. S. 159-163.
58 Ritter, Schlieffenplan (wie Anm. 6), S. 146-155.
59
Vgl. Wallach, Dogma (wie Anm. 7), S. 94. Dabei ist es durchaus möglich, daß Schlieffen auf diese Weise seinen Nachfolger anspornen wollte, die vom Generalstab seit langem geforderte volle Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht endlich durchzusetzen. Siehe Förster, Militarismus (wie Anm. 13), S. 164 f.
60
Ritter, Schlieffenplan (wie Anm. 6), S. 68.
61
Da mein Freund und Kollege mich bat, mit dieser Aussage nicht zitiert zu werden, sehe ich davon ab, seinen Namen zu nennen.
62
Wilhelm Groener, Über den Schlieffenplan, Manuskript aus dem Jahre 1935, BA-MA
Freiburg, N-46 (Groener), Nr. 51.
57
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Der deutsche Generalstab und die Illusion des kurzen Krieges
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Schlieffen von Szenarios, wie sie der Ältere Moltke und Köpke entworfen hatten,
entsetzt. Bis etwa 1901 verwarf er den Abnutzungskrieg vornehmlich aus strategischen Gründen heraus. Schlieffen war der Überzeugung, daß das Reich sich einen langwierigen Zweifrontenkrieg gegen die zahlenmäßig überlegene französisch-russische Allianz einfach nicht leisten konnte. Ohne einen entscheidenden
und schnellen Sieg über einen der beiden Gegner würden die deutschen Armeen
allmählich erdrückt werden 63 . Diese geostrategische Uberzeugung fand in der
zeitgenössischen militärischen Öffentlichkeit durchaus Unterstützung 64 .
Im Laufe der Zeit fand Schlieffen jedoch auch andere Argumente, die einen
Abnutzungskrieg seiner Ansicht nach zur unannehmbaren Option machten.
Möglicherweise beeinflußt durch die Arbeiten Ivan Blochs wandte sich Schlieffen wirtschaftlichen Aspekten zu. So kommentierte der Generalstabschef ein
Kriegsspiel im Jahre 1905 damit, daß ein Positionskrieg über ein oder zwei Jahre
hinweg, mit Schlachten, die zwölf Tage dauerten, unakzeptabel sei. Dies würde
alle Beteiligten derart erschöpfen, daß sie am Ende um Frieden auf der Basis des
Status quo ante bellum bitten müßten. Das komplizierte Wirtschaftsgeflecht, das
Millionen ernähre, könne einen langen, kriegsbedingten Stillstand nämlich nicht
aushalten 65 . Ähnlich äußerte sich Schlieffen in einem Aufsatz, den er 1909 in der
Deutschen Revue veröffentlichte:
»Solche Kriege sind aber zu einer Zeit unmöglich, wo die Existenz der Nation
auf einem ununterbrochenen Fortgang des Handelns und der Industrie begründet ist, und durch eine rasche Entscheidung das zum Stillstand gebrachte Räderwerk wieder in Lauf gebracht werden muß. Eine Ermattungsstrategie läßt sich nicht treiben, wenn der Unterhalt von Millionen den Aufwand
von Milliarden erfordert.«
Er fuhr fort, indem er seiner Sorge Ausdruck verlieh, daß ein langwieriger Krieg
nicht nur Wirtschaft und Finanzen ruinieren, sondern auch das soziale und politische System des Kaiserreichs zum Einsturz bringen werde. Eine solche Katastrophe könne im Endeffekt zur Revolution führen und damit die schlimmsten
Befürchtungen gegenüber »dem roten Gespenst, das im Hintergrund auftaucht«
zur Wirklichkeit werden lassen66.
Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß der Schlieffenplan zu einem gut'en Teil dem Bedürfnis entsprang, die solcherart bedrohlichen Rückwirkungen
eines langwierigen Krieges auf die Heimat zu vermeiden. Insofern handelte es
sich bei diesem Plan um eine konservativ-militaristische Strategie zum Zwecke
des Erhalts der wilhelminischen Klassengesellschaft im Falle eines Großkrieges67. Es ging also Schlieffen unter anderem darum, einen Krieg erfolgreich führbar zu machen trotz der Voraussagen des Älteren Moltke, daß im Zeitalter des
63
64
65
66
67
Vgl. Ritter, Schlieffenplan (wie Anm. 6), S. 37 f. und Snyder, Ideology (wie Anm. 10),
S. 139.
Im Jahre 1900 argumentierte ein anonymer Artikel im Militärwochenblatt unter dem
Titel »Der Burenkrieg und die europäische Kriegskunst«, daß trotz der Erfahrungen
aus dem Krieg im südlichen Afrika der Offensive nach wie vor Vorrang vor der Defensive einzuräumen sei, da Deutschlands geostrategische Lage der Armee keine andere
Wahl ließe. Zitiert nach Storz, Kriegsbild (wie Anm. 11), S. 55.
Siehe Groener, Feldherr (wie Anm. 5), S. 379.
Graf Alfred von Schlieffen, Der Krieg der Gegenwart, Neuabdr. in: ders., Gesammelte
Schriften, 2 Bde, Berlin 1913, Bd 1, S. 11-22.
Vgl. Förster, Militarismus (wie Anm. 13), S. 163-165.
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Stig Förster
Volkskrieges jeder größere militärische Konflikt die europäische Zivilisation zerstören könne 68 . Mit anderen Worten: Der Schlieffenplan war ein hochriskantes
Abenteuer, das sein konservativer Schöpfer als die einzige Chance betrachtete,
die wirtschaftliche, finanzielle, soziale und politische Katastrophe eines langwierigen Krieges zu verhindern. Es war ein verzweifeltes Glücksspiel. Vor diesem
Hintergrund erklärt sich, warum Schlieffen nie den Versuch unternahm, langfristige wirtschaftliche und finanzielle Vorbereitungen für den langen Krieg durchzusetzen, mit deren Hilfe den Folgen einer britischen Seeblockade hätte begegnet werden können 69 . Der Krieg der Zukunft müßte eben kurz sein, oder alles
war verloren. So gesehen machte der Schlieffenplan immerhin politisch Sinn,
aber eben nicht militärisch.
Natürlich speiste sich der Schlieffenplan auch noch aus anderen Quellen.
Ganz offensichtlich meinten viele der »Halbgötter« im Generalstab es sich einfach nicht leisten zu können, Moltkes Verdikt hinzunehmen, daß Krieg keine rationale Option der Politik mehr war. Ihre herausragende Stellung in Staat und
Gesellschaft, ja die Elitefunktion des gesamten Offizierkorps, das Colmar von
der Goltz als »achtes Ritterthum« bezeichnete, beruhte schließlich auf dem Versprechen, im Ernstfall dem Vaterland — wie in den glorreichen Einigungskriegen — den Sieg zu garantieren 70 . Krieg mußte deshalb um jeden Preis führbar
und gewinnbar gemacht werden 71 .
Ein weiterer Faktor war die Tatsache, daß der Generalstab keineswegs für die
Gesamtkriegsplanung zuständig war. Es gab keine ernsthafte Zusammenarbeit
mit der Marineführung. Gegenüber der politischen Führung bestand eher ein Rivalitätsverhältnis. Eine durchgreifende Koordination wirtschafts- und finanzpolitischer Kriegsvorbereitungen fand nicht statt. Ja sogar mit dem preußischen
Kriegsministerium und dem Militärkabinett stand der Generalstab im permanenten Konflikt. Im polykratischen Chaos der wilhelminischen Staatsverwaltung
gab es deshalb keine koordinierte Gesamtkriegsplanung 72 . Ebensowenig war es
möglich, eine Gesamtstrategie für den Kriegsfall zu entwerfen. So blieb der Generalstab auf die operative Planung beschränkt. Der Schlieffenplan war demgemäß auch nichts anderes als ein operativer Entwurf für einen Feldzug gegen
Frankreich. Nur darauf konzentrierte er sich, nicht aber auf die Frage, wie ein
ganzer Krieg gegen Frankreich, Rußland und Großbritannien gewonnen werden
könne. Von letzterem war nirgendwo die Rede. So manche Fehlinterpretation
des Schlieffenplans beruhte auf dem Umstand, daß er als Siegesrezept für einen
ganzen Krieg mißverstanden wurde, wo er doch ausschließlich einen Feldzugsplan darstellte73. Dennoch scheint Schlieffen mit seinem Plan die Hoffnung verbunden zu haben, daß ein entscheidender Sieg über Frankreich die anderen
Großmächte, Rußland und Großbritannien, entmutigen würde, den Kampf fort68
69
70
71
72
73
Auch davon hatte Moltke in seiner Reichstagsrede vom 14. 5. 1890 gesprochen. Siehe
RT-Sten. Ber., 1890/91 (wie Anm. 17), S. 77 f.
Burchardt, Friedenswirtschaft (wie Anm. 9), S. 38-47.
Siehe von der Goltz, Volk in Waffen (wie Anm. 36), S. 44-49,125-131.
Zu dieser standespolitischen Komponente vgl. auch Snyder, Ideology (wie Anm. 10),
S. 122-124.
Zum Problem der »autoritären Polykratie« siehe Hans-Ulrich Wehler, Das Deutsche
Kaiserreich, 1871-1918, Göttingen 1973, S. 69-77.
Ich bin Herrn Dr. Gerhard Papke zu Dank verpflichtet, der mich vor Jahren auf diesen
Umstand aufmerksam machte.
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Der deutsche Generalstab und die Illusion des kurzen Krieges
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zusetzen. Für einen derartigen Optimismus bestand jedoch herzlich wenig Anlaß. Selbst weiin das »zweite Cannae« funktionieren sollte, war doch kaum zu
erwarten, daß das noch unbesetzte Frankreich aufgeben würde, zumal wenn
ihm Großbritannien und Rußland zur Seite standen. Hatte Frankreich nicht
1870/71, von der Welt allein gelassen, auch nach der Katastrophe von Sedan
und nach der Kapitulation von Metz den Krieg noch sechs Monate weitergeführt?
Zu all dem kommt hinzu, daß der Schlieffenplan alles andere als mehr oder
weniger abstrakte Überlegungen für einen eher unwahrscheinlichen Kriegsfall
darstellte. Was ihn so gefährlich machte war die Tatsache, daß er auf der festen
Überzeugung beruhte, ein Krieg sei über kurz oder lang sowieso unvermeidbar. Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts verstärkte sich nämlich innerhalb
der politischen und militärischen Führung des Kaiserreichs der fatalistische
Glaube an die Unvermeidbarkeit des großen Krieges 74 . Schlieffen selbst war einer der entschiedensten Protagonisten jener Einkreisungsphobie, die das Reich
von unversöhnlichen Feinden umringt sah, deren einziges Ziel es sei, bei der
erstbesten Gelegenheit über den Emporkömmling in der Mitte Europas herzufallen. In seinem Artikel »Der Krieg der Gegenwart« schimmerten geradezu
paranoide Vorstellungen über die finsteren Absichten der »Triple-Entente«
durch:
»Damit ist die militärische Lage Europas gegeben. In der Mitte stehen ungeschützt Deutschland und Österreich, ringsherum hinter Wall und Graben
die übrigen Mächte. Der militärischen Lage entspricht die politische [...]
Es ist nicht ausgemacht, daß diese Leidenschaften und Begehrlichkeiten sich
in gewaltsames Handeln umsetzen werden. Aber das eifrige Bemühen ist
doch vorhanden, alle diese Mächte zum gemeinschaftlichen Angriff gegen
die Mitte zusammenzuführen. Im gegebenen Augenblick sollen die Tore
geöffnet, die Zugbrücken herabgelassen werden und die Millionenheere über
die Vogesen, die Maas, die Königsau, den Niemen, den Bug und sogar über
den Isonzo und die Tiroler Alpen verheerend und vernichtend hereinströmen. Die Gefahr erscheint riesengroß75.«
Von hier aus war es nur noch ein kleiner Schritt zu schlußfolgern, daß es besser
sei, statt auf den feindlichen Angriff unter ungünstigen Umständen zu warten,
selbst die Initiative zu einem Präventivschlag zu ergreifen. Tatsächlich soll
Schlieffen schon während der ersten Marokkokrise zum Losschlagen geraten haben76. Mehr noch, die fatalistische Vorstellung von der Unvermeidbarkeit des
Krieges, kombiniert mit dem im Schlieffenplan angelegten Zwang zum schnellen
Handeln, war geradezu eine Einladung an den Generalstab, den Plan in die Tat
74
75
76
Vgl. Mommsen, Topos (wie Anm. 45).
Schlieffen, Krieg (wie Anm. 66), S. 20 f. In den folgenden Passagen entkräftete Schlieffen dieses Schreckensgemälde nur wenig, indem er wirtschaftliche und politische Hinderungsgründe für die unmittelbare Kriegslüsternheit der Feinde aufzählte. Unversöhnliche Feinde waren sie für ihn allemal.
Groener behauptete später, daß Schlieffen bereits im Jahre 1904 einen Überfall auf
Frankreich gefordert habe, da Rußland im Krieg gegen Japan fest engagiert sei. Groener, Schlieffenplan (wie Anm. 62). Schlieffens aggressive Haltung während der ersten
Marokkokrise ist untersucht bei Heiner Raulff, Zwischen Machtpolitik und Imperialismus. Die deutsche Frankreichpolitik, 1904-1906, Düsseldorf 1976, S. 78 f. Andere haben mit Entschiedenheit verneint, daß Schlieffen jemals einen Präventivkrieg verlangt
habe. Siehe Ritter, Staatskunst (wie Anm. 24), Bd 2, S. 133 und 240 f.
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umzusetzen, bevor er durch die Aufrüstung der Gegner undurchführbar wurde.
Das »worst-case-thinking« der Berufsmilitärs im Generalstab konnte unter diesen Umständen zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung geraten 77 . Dies
war sicherlich einer der Gründe, warum sich der Generalstab vor allem ab 1911
zu einem Hort der Kriegstreiberei entwickelte. Vor dem Hintergrund wachsender nationalistischer Hysterie im Gefolge der zweiten Marokkokrise wurde
auch der pensionierte Generalfeldmarschall zum regelrechten Kriegstreiber.
Am 28. Dezember 1912, einen Tag vor seinem Tod, verfaßte Schlieffen noch
einmal eine Denkschrift, in der er jegliche Zurückhaltung fallen ließ und einen
Krieg für notwendig erklärte, um Großbritanniens Weltmachtstellung zu brechen. Auf der Grundlage seines Operationsplans von 1905 sollten die französischen und britischen Streitkräfte auf dem westlichen Kriegsschauplatz zerschmettert werden. Rußland wollte er immer noch weitgehend ignorieren,
auch wenn dies den Verlust Ostpreußens bedeutete. Vielmehr sei fast das gesamte deutsche Heer nach Westen zu werfen, um dort den entscheidenden
Schlag zu führen. Der rechte Angriffsflügel sollte auch schwere Artillerie mitführen, um die belgischen Festungen zusammenzuschießen. Beim Eindringen
in Nordfrankreich könnten diese Geschütze dann gegen die dortigen Städte
eingesetzt werden:
»Schon die große Industriestadt Lille wird sich als vorzügliches Objekt für
ein Bombardement erweisen78.«
Schlieffens Planungen nahmen allmählich den Charakter eines intellektuellen
Amoklaufes an.
Es ist kaum anzunehmen, daß die Forschung in Zukunft an Ritters Verdikt
rütteln wird, wonach der Schlieffenplan militärisch unausgegoren und niemals
mit Erfolg durchzuführen war. Alles deutet vielmehr darauf hin, daß es sich
hierbei um den Versuch einer Quadratur des Kreises handelte, also um das verzweifelte Bemühen eines im Grunde ratlosen Schreibtischfeldherrn, mit Hilfe eines kurzen, durchschlagenden Feldzuges unter maximaler Gewaltanwendung
Krieg auch im Zeitalter des industrialisierten Volkskriegs wieder führbar zu machen. Doch war dies wirklich gleichbedeutend mit der Illusion des kurzen Krieges? Hat vor allem Schlieffens Nachfolger diese operativen Entwürfe derart für
bare Münze genommen, daß er von der Machbarkeit des schnellen Sieges überzeugt war? Hat diese Überzeugung ihn schließlich dazu verleitet, den Krieg herbeizuwünschen, solange die kräftemäßigen Voraussetzungen für den Schlieffenplan noch halbwegs gegeben waren?
77
78
Vgl. Förster, Militarismus (wie Anm. 13), S. 162.
Denkschrift vom 28. 12. 1912, in: Ritter, Schlieffenplan (wie Anm. 6), S. 181-190, Zitat
auf S. 189. Auf S. 71 f. zitiert Ritter eine Denkschrift Moltkes aus dem Jahre 1913, die
im Zweiten Weltkrieg offenbar verloren ging. Moltke setzte sich hier mit Schlieffens
Denkschrift von 1912 auseinander. Dabei deutete sich an, wie sehr er an der Durchführbarkeit des Schlieffenplans zweifelte. So hielt er es für gänzlich inakzeptabel, den
Osten vor den heranrückenden russischen Armeen zu entblößen, da diese sonst bis
Berlin vorstoßen könnten. Auch auf dem westlichen Kriegsschauplatz glaubte er nicht
an ein reibungsloses Funktionieren der Entwürfe Schlieffens, weil die Kombination
aus französischen, britischen und belgischen Truppen doch recht stark sei. Eine exakte
Vorherplanung des gesamten Feldzugs hielt er fur ausgeschlossen. Ganz besonders
lehnte er die Verletzung der niederländischen Neutralität ab, da dieses Land als »Luftröhre« benötigt würde.
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Der deutsche Generalstab und die Illusion des kurzen Krieges
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IV. Moltke und das Bild vom Krieg der Zukunft
Am 1. Januar 1906 übernahm Helmuth von Moltke, der Neife des Siegers von
Sedan, den Posten des Generalstabschefs. Der Kaiser vertraute ihm und half
ihm, die Führung des Generalstabs gegen den hinhaltenden Widerstand Schlieffens zu übernehmen, der über seine Verabschiedung sehr unglücklich war. Moltke war kein brillanter Kopf. Er war sich noch nicht einmal sicher, ob er die enorme Last überhaupt übernehmen wollte, in die Fußstapfen seines berühmten
Onkels zu treten. Aber Moltke war sicherlich nicht der Schwächling, als den ihn
seine späteren Kritiker gerne hinstellten. So gelang es ihm sogar, als Vorbedingung für seine Amtsübernahme den launischen und im Grunde kindischen Kaiser davon zu überzeugen, bei künftigen Kaisermanövern nicht mehr selbst zu
führen. Der angeblich so geniale Schlieffen hatte das nicht geschafft79.
Moltke war jedoch nicht der Mann, der eine radikal neue operative Planung
ausgearbeitet hätte. Er verharrte vielmehr grundsätzlich bei den Entwürfen seines Vorgängers und wagte es nicht, den Schlieffenplan trotz seiner offensichtlichen Mängel aufzugeben. Statt dessen versuchte er sich und anderen einzureden, daß es keine Alternative zu Schlieffens Feldzugsplan gäbe 80 . Dennoch
waren Moltke einige Aspekte des Schlieffenplans offenbar nicht ganz geheuer.
Ab 1908 begann er demgemäß signifikante Veränderungen im Detail vorzunehmen. So verlegte er Truppen vom offensiven rechten Flügel nach Süden, um die
Verteidigung der Saarregion und Elsaß-Lothringens zu stärken. Darüber hinaus
gab er Schlieffens Idee auf, neben der Neutralität Belgiens auch noch die der
Niederlande zu verletzen. Der Angriff sollte nunmehr ausschließlich durch Belgien und nicht mehr durch die Provinz Limburg geführt werden. Da dies jedoch
eine wesentliche Verengung der Vormarschroute für die deutschen Armeen beinhaltete, wurde damit die Notwendigkeit verstärkt, die belgische Infrastruktur intakt in die Hände zu bekommen. Gemeinsam mit Oberst Erich Ludendorff arbeitete Moltke deshalb Pläne für einen Überraschungsangriff auf Lüttich aus.
Dieser wichtige Verkehrsknotenpunkt sollte aus dem Stand heraus erobert werden, noch bevor die mobilisierten deutschen Truppen vollständig aufmarschiert
waren81.
79
80
81
Siehe Moltkes Brief an seine Frau vom 29. 1. 1905, in: Moltke, Erinnerungen (wie
Anm. 3), S. 304-320. Für eine faire Einschätzung Moltkes siehe Bucholz, Moltke (wie
Anm. 7), S. 214-226.
Tatsächlich ließ er im Jahre 1913 sogar den von ihm für überflüssig betrachteten alternativen Ostaufmarschplan nicht weiter bearbeiten. Siehe Ritter, Schlieffenplan (wie
Anm. 6), S. 31-35. Nach seiner Entlassung betonte Moltke erneut, daß der Schlieffenplan die einzige Chance bot, einen langwierigen Stellungskrieg im Westen zu vermeiden. Moltke, Betrachtungen und Erinnerungen, in: ders., Erinnerungen (wie Anm. 3),
S. 16 f. Inwieweit dies jedoch ein nachträglich vorgeschobenes Rechtfertigungsargument war, bleibt dahingestellt. Immerhin teilten die meisten Generalstabsoffiziere diese Ansicht. Nicht nur Groener erklärte den Schlieffenplan für »genial«, sondern auch
Ludendorff schrieb nach dem Krieg, daß dieser Plan dem Reich die bestmöglichen
Siegchancen eröffnete. Erich Ludendorff, Kriegführung und Politik, 2. Aufl., Berlin
1922, S. 69-74.
Es ist allgemein bekannt, daß diese Maßnahme die Wirkung des Schlieffenplans insofern radikalisierte, als sie der Reichsleitung in einer schweren internationalen Krise die
Hände band. Denn der Angriff mußte stattfinden, bevor die Belgier Zeit zu wirksamen
Gegenmaßnahmen hatten. Dies spielte in der Schlußphase der Julikrise 1914 ^ine
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Es erscheint sinnlos, zu spekulieren, ob diese Veränderungen den ansonsten
»genialen« Schlieffenplan derart verwässerten, daß sie die Niederlage an der
Marne herbeiführten. Schließlich war der Schlieffenplan ohnehin zum Scheitern
verurteilt. Viel interessanter sind die Gründe, die Moltke zu seinen Eingriffen in
die bestehende Planung veranlaßten. So rechtfertigte Moltke in einer Denkschrift
zum Schlieffenplan seine Entscheidung, auf den Bruch der niederländischen
Neutralität zu verzichten, mit der Notwendigkeit, dieses Land als »Luftröhre«
für den deutschen Außenhandel zu erhalten, sollte Großbritannien zu den Mitteln einer Seeblockade greifen 82 . Dies war ein deutlicher Hinweis darauf, daß
Moltke fürchtete, der Krieg könne länger dauern und das Reich würde deshalb
einen Zugang zum Weltmarkt benötigen, um einen solchen Krieg wirtschaftlich
durchzustehen. Ebensogut ist es möglich, daß die Erwartung eines längeren
Krieges hinter der Entscheidung stand, Truppen vom rechten Flügel nach Süden
zu verlegen, um dort größere Geländeverluste zu vermeiden. Immerhin war die
Industrieregion an der Saar von großer Bedeutung für die Kriegsproduktion 83 .
In der Tat war Moltke sehr pessimistisch hinsichtlich Deutschlands Aussichten in einem Krieg. Schon im Januar 1905, als der Schlieffenplan noch gar nicht
fertig war, entwarf Moltke vor dem Kaiser, der ihm gerade den Posten des Generalstabschefs angeboten hatte, ein düsteres Szenario:
»Wir haben jetzt eine über dreißigjährige Friedensperiode hinter uns und ich
glaube, daß wir in unseren Anschauungen vielfach sehr friedensmäßig geworden sind. Wie und ob es überhaupt möglich sein wird, die Massenheere,
die wir aufstellen werden, einheitlich zu leiten, kann, glaube ich, kein
Mensch vorher wissen. Auch unser Gegner ist ein anderer geworden, wir
werden es nicht mehr wie früher mit einem feindlichen Heer, dem wir mit
Überlegenheit entgegentreten können, zu tun haben, sondern mit einer Nation in Waffen. Es wird ein Volkskrieg werden, der nicht mit einer entscheidenden Schlacht abzumachen sein wird, sondern der ein langes mühevolles Ringen mit einem Lande sein wird, das sich nicht eher überwunden geben wird,
als bis seine ganze Völkskraft gebrochen ist, und der auch unser Volk, selbst
wenn wir Sieger sein sollten, bis aufs äußerste erschöpfen wird84.«
Da war es wieder, das Argument vom unkontrollierbaren Volkskrieg, der ein
Kampf bis zur vollständigen Erschöpfung sein würde. Und dabei sprach er nur
von einem Krieg gegen Frankreich. Wie sollte da erst ein allgemeiner europäischer Krieg aussehen? Es mag sein, daß Moltke dieses Argument benutzte —
dafür spricht der Textzusammenhang —, um Wilhelm II. davon zu überzeugen,
82
83
84
wichtige Rolle. Auf der anderen Seite verstärkte der Handstreich auf Lüttich das dem
Schlieffenplan innewohnende Element des Glückszufalls noch weiter. Tatsächlich war
es im August 1914 nur der Ungeschicklichkeit der belgischen Verteidiger zu verdanken, die es versäumten, die Verkehrswege rechtzeitig und nachhaltig zu zerstören, daß
die deutsche Offensive nicht schon bei Lüttich liegen blieb. Vgl. Burchardt, Friedenswirtschaft (wie Anm. 9), S. 48-50 und Snyder, Ideology (wie Anm. 10), S. 150-153.
Moltkes Bemerkungen (wahrscheinlich 1911) und ähnlich seine Denkschrift aus dem
Jahre 1913 in Ritter, Schlieffenplan (wie Anm. 6), S. 178-180 und S. 70 f.
Mit diesem Argument rechtfertigte zumindest Erich Ludendorff Moltkes Entscheidung für die Verlegung der Truppen. Siehe Ludendorff, Kriegführung (wie Anm. 80),
S. 71.
Moltke an seine Frau, 29. 1. 1905, in: Moltke, Erinnerungen (wie Anm. 3), Zitat auf
S. 308.
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Der deutsche Generalstab und die Illusion des kurzen Krieges
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von den ganz unkriegsgemäßen Kaisermanövern unter dessen theatralischer
Führung Abstand zu nehmen. Doch Moltke stand hier ganz in der Tradition der
Einsichten seines Onkels. Vor allem aber demonstrierte sein weiteres Verhalten,
daß der neue Generalstabschef alles andere als Illusionen über die Möglichkeit
eines kurzen Krieges hegte.
Moltke blieb nämlich grundsätzlich bei seinen Ansichten, auch nachdem er
den Schlieffenplan kennengelernt hatte. Seine Prognosen über die zu erwartende
Kriegsdauer mögen von Zeit zu Zeit variiert haben, und aus taktischen Gründen
versprach er der politischen Führung schon mal, daß ein kurzer Feldzug machbar sei. Aber insgesamt rechnete er mit einer Kriegsdauer von mindestens eineinhalb bis zwei Jahren. Vor allem ab 1912, im Zeichen des sich verschärfenden
Wettrüstens u n d angesichts immer bedrohlicher werdender internationaler
Spannungen, rechnete Moltke endgültig mit einem langwierigen Zweifrontenkrieg. Dabei stand Moltke mit dieser Ansicht nicht allein, da viele Offiziere innerhalb und außerhalb des Generalstabs von ähnlichen Voraussetzungen ausgingen85. Schlieffen und seine Jünger waren in die Isolation geraten. Rückschauend
betrachtet scheint Schlieffens zur Schau getragener Optimismus über die Möglichkeit eines kurzen Krieges in der Gesamtperiode von 1871 bis 1914 überhaupt
eher die Ausnahme gewesen zu sein. Pessimismus und düstere Szenarios überwogen doch deutlich.
Das galt auch und gerade für den Umgang des Generalstabs mit dem Schlieffenplan, der keinesfalls als sicheres Rezept für einen kurzen Feldzug im Westen
aufgefaßt wurde. Bezeichnend ist hierfür eine Studie, die die 3. Abteilung des Generalstabs im Mai 1910 anfertigte und die bis zum April 1914 viermal überarbeitet
wurde. Auf der Grundlage einer intensiven Auswertung der französischen Militärpublizistik und von Geheimdienstinformationen beschäftigte sich diese Studie
mit »Aufmarsch und operative[n] Absichten der Franzosen in einem zukünftigen
deutsch-französischen Kriege«. Dabei wurde zunächst deutlich, daß die Grundzüge des Schlieffenplans ebenso wie der beabsichtigte Handstreich auf Lüttich den
französischen Militärs durchaus bewußt waren. Für die Planung des deutschen
Generalstabs geradezu erschütternd mußten jedoch die Folgerungen sein, die sich
aus den vorgesehenen Gegenmaßnahmen der Franzosen ergaben. Falls sich der
deutsche Angriff nicht aufhalten ließ, stand nämlich folgendes Bild zu erwarten:
»Es ist also sehr wahrscheinlich, dass die Masse des [französischen, S.F.] Heeres auf die mittlere Loire, Teile des rechten Flügels in Richtung auf Lyon, des
linken Flügels nach Paris zurückweichen werden.
Die Verhältnisse liegen insofern anders als 1870/71, als beim planmäßigen
Aufmarsch zu Beginn des Krieges der letzte Mann, über den Frankreich verfügen kann, an der Grenze im freien Felde, oder in den Ostfestungen sowie in den
übrigen Festungen des Landes bereitsteht. Die Wehrkraft Frankreichs ist aufs
äusserste angespannt. Es ist kaum noch möglich, mehr als die nötigen Ersatzformationen aufzustellen. Solche massenhafte Neuformationen wie sie 1870/71 im
Norden und Westen, an der Loire und im Südosten im Laufe des Krieges auftraten, nachdem die im Verhältnis zu heute schwache kaiserliche Armee vernichtet
war, sind die Franzosen in Zukunft nicht mehr im Stande zu bilden.
85
Diese Zusammenhänge hat schon Lothar Burchardt überzeugend nachgewiesen. Doch
im Rahmen der vorherrschenden Orthodoxie fanden diese Erkenntnisse in der Geschichtswissenschaft wenig Widerhall. Siehe Burchardt, Friedenswirtschaft (wie
Anm. 9), S. 20-27.
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Andrerseits wird man allerdings in Zukunft auch kaum mit einer solchen
völligen Vernichtung der gesamten Feldarmee rechnen können, wie sie 1870
durch die Katastrophen von Metz und Sedan erreicht wurden. Wenn von der
heute 6mal so starken Feldarmee (heute 2 000 000 Mann, 1870 — 340 000
Mann) nach anfänglichen Niederlagen starke Teile in den angegebenen Richtungen entkommen, so ist die Fortsetzung der deutschen Operationen keineswegs leicht. Starke Kräfte werden vor den französischen Grenzbefestigungen zurückgelassen werden müssen. Der Vormarsch der deutschen
Hauptkräfte gegen die Loire wird von Paris und Lyon her flankiert. Die Riesenfestung Paris wird schwer zu bewältigen sein 86 .«
Das bedeutete im Klartext nichts anderes, als daß selbst bei großen Anfangserfolgen alle operativen Ziele des Schlieffenplans, insbesondere die schnelle Vernichtung der gesamten französischen Armee, unerreichbar waren! Die systematische
Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht in Frankreich, die Gambettas improvisierte levee en masse ersetzt hatte, also der von oben gelenkte und wohl vorbereitete Volkskrieg, zerstörten jede Aussicht auf einen schnellen Totalsieg im Westen. Was dies unter den Bedingungen eines Zweifrontenkrieges bedeutete, war
klar: Trotz aller Bemühungen war es dem Generalstab nicht gelungen, aus jenem
Dilemma herauszukommen, gegen das schon der alte Moltke seit 1871 vergeblich angekämpft hatte. Der lange Krieg blieb damit unabwendbar.
In eine ähnliche Richtung deutete ein Schreiben, das Moltke und Oberst Ludendorff am 1. November 1912 an das Kriegsministerium richteten. Vor dem
Hintergrund der Auseinandersetzungen um eine erneute Heeresvorlage 87 wandte sich der Generalstab hier dem Problem der Munitionsversorgung im Kriegsfall zu. Moltke und Ludendorff stellten eingangs fest, daß nur mit begrenztem
Munitionsverbrauch zu rechnen sei, wenn das deutsche Heer so stark wäre,
»daß wir mit einem gewaltigen Schlage gleich zu Beginn der Operationen unsere
Gegner niederwerfen und damit den Krieg schnell beenden können«. Doch dazu
reiche die gegenwärtige Truppenstärke nicht aus.
»Wir müssen uns schon auf einen langwierigen Feldzug mit zahlreichen
schweren, langdauernden Kämpfen gefaßt machen, bis wir einen unserer
Gegner niederzwingen; die Kräfteanstrengung und der Kräfteverbrauch steigert sich, wenn wir auf verschiedenen Kriegsschauplätzen im Westen und
Osten nacheinander siegen müssen und vorher mit Unterlegenheit gegen eine Überlegenheit zu kämpfen haben.«
Danach rechnete der Generalstab vor, daß die vorhandene Munitionsmenge allenfalls bis zum 40. Mobilmachungstag reichen würde, was völlig unannehmbar
sei. Es sei deshalb dringend notwendig, mehr Munition im Frieden zu lagern 88 .
Natürlich standen diese Warnungen in engem Zusammenhang mit der Propagandaaktion des Generalstabs für eine radikale Aufrüstung. Jedes Argument
86
87
88
Großer Generalstab, 3. Abteilung, Mai 1910 (berichtigt 9. 11. 1912, für Mobilmachung
1913/14, April 1914), Geheim!, »Aufmarsch und operative Absichten der Franzosen in
einem zukünftigen deutsch-französischen Kriege«, BA-MA Freiburg, P H 3 / 2 5 6 (Generalstabsakten), Zitat auf Blatt 40.
Zum Streit zwischen Generalstab und Kriegsministerium im Vorfeld der Heeresvorlage von 1913 siehe Förster, Militarismus (wie Anm. 13), S. 265-274.
Dieses Schreiben zitiere ich nach Dr. Dieckmann, Die Vorbereitungen für die Versorgung des deutschen Heeres mit Munition vor Ausbruch des Weltkrieges, unveröffentlichtes Manuskript aus dem Jahre 1939, BA-MA Potsdam, Bestand Kriegsgeschichtli-
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Der deutsche Generalstab und die Illusion des kurzen Krieges
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mußte herhalten, um das zögerliche Kriegsministerium von der Notwendigkeit
verstärkter Rüstungsanstrengungen zu überzeugen. Die in diesem Brief getroffenen Aussagen über das zu erwartende Kriegsbild wären denn auch nicht weiter
ernst zu nehmen, wenn sie nicht nahtlos mit anderen Dokumenten zusammenpassen würden. Zudem entsprachen sie vollständig der Realität.
Während die armeeinterne Diskussion sich vornehmlich um den zu erwartenden Kriegsverlauf an der Westfront drehte und bereits hier sich die Stimmen im
Generalstab mehrten, daß ein schneller Sieg eher unwahrscheinlich sei, verdichteten sich Anzeichen, daß ein europäischer Großkrieg nicht an einer Front, nicht an
zwei Fronten, sondern mindestens an drei Fronten auszufechten sein würde. Der
maritime Rüstungswettlauf, die Bildung der entente cordiale und die erste Marokkokrise trieben Großbritannien allmählich in die offenen Arme Frankreichs. Mehr
noch, der vom Generalstab geplante Bruch der belgischen Neutralität machte einen britischen Kriegseintritt auf der Seite Frankreichs sehr wahrscheinlich. Gleichzeitig zeichnete sich immer mehr ab, daß des Kaisers Flotte niemals in der Lage
sein würde, die Royal Navy entscheidend zu schlagen. Unter diesen Umständen
konnte eine weit angelegte britische Seeblockade für die deutsche Wirtschaft und
die Versorgung der Bevölkerung zu einer tödlichen Bedrohung werden, besonders wenn der Krieg lange dauern würde 89 . Obendrein würden die enormen Ressourcen des Empires bei einem britischen Kriegseintritt nicht nur einen schnellen
Sieg über Frankreich zusätzlich erschweren, zumal Richard Haldanes Heeresreform die hierfür nötigen Truppen schuf, sondern auch mit zunehmender Dauer
des Krieges das Kräftegleichgewicht zuungunsten des Reiches verschieben. Auch
dies bildete den Hintergrund für die Fortsetzung der Debatte über die zu erwartende Kriegsdauer, die trotz des Schlieffenplans nicht verstummte.
Dabei kamen warnende Stimmen nicht nur aus dem Generalstab. So wandte
sich Staatssekretär des Reichsmarineamtes Alfred von Tirpitz am 28. Januar 1907
an den Staatssekretär des Innern, Arthur Graf von Posadowsky-Wehner, und beschwerte sich über die leichtfertige Haltung, die das Reichsamt des Innern hinsichtlich der Lebensmittelversorgung im Kriegsfall an den Tag legte. Er fügte eine »Untersuchung des Reichsmarineamts« bei, die sich folgendermaßen zur
Dauer eines möglichen Krieges äußerte:
»Es ist nicht abzusehen, warum der Krieg nur 9 Monate dauern sollte; speziell wenn mehrere Mächte und verschiedene Kriegsschauplätze einbezogen
. sind, ist eine Ausdehnung über eine längere Frist durchaus nicht unwahrscheinlich. Um nicht zu trügerischen Vorstellungen zu gelangen, wird eine
längere Kriegsdauer — vielleicht 1 1 / 2 Jahre, ein Zeitraum, in dem die Wirkungen des Krieges erst voll fühlbar werden — den Ermittlungen zugrunde
zu legen sein.«
89
che Forschungsanstalt des Heeres, W-10/50777, S. 37-^1, wörtliche Zitate auf S. 38,
Hervorhebungen im Original. Bei Dieckmanns Manuskript handelt es sich u m ein besonders interessantes Dokument, da es das erste Kapitel zu dem nie vollendeten zweiten Band v o n Kriegsrüstung und Kriegswirtschaft (wie Anm. 25) darstellt. Dieser Bestand enthält auch einen Brief der Kriegsgeschichtlichen Forschungsanstalt an General
a. D. Sieger v o m 21. 9. 1939 mit der Mitteilung, daß die Weiterbearbeitung des Bandes
w e g e n des Ausbruchs eines erneuten Krieges eingestellt wurde ...
Moltkes Schreiben wurde allerdings bereits abgedruckt in Erich Ludendorff, Urkunden der Obersten Heeresleitung über ihre Tätigkeit 1916/18,2. Aufl., Berlin 1921, S. 14.
Vgl. Burchardt, Friedenswirtschaft (wie Anm. 9), S. 55-57.
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Die Untersuchung fuhr fort, schwere soziale Unruhen, Arbeitslosigkeit und Produktionsengpässe in der Industrie für den Fall vorherzusagen, daß die Versorgung mit Lebensmitteln und Rohstoffen nicht gesichert werden könne 90 . Derlei
Argumente tauchten in der Debatte um die Kriegsversorgung, über die noch zu
sprechen sein wird, wiederholt auf. So machte das Reichsamt des Innern im Januar 1914 selbst darauf aufmerksam, daß das Reich im Falle eines Dreifrontenkrieges vom Weltmarkt ausgeschlossen werden würde und damit für eine unbestimmbare Kriegsdauer autark sein müsse 9 1 . Drastischer äußerte sich der
Geheime Finanzrat Dr. Meydenbauer in einer Denkschrift vom 23. April 1914.
Für den Fall eines Dreifrontenkrieges befürchtete er die Aushungerung des Reiches, die zu einem Chaos bei der Lebensmittelversorgung, Spekulation und politischen Unruhen führen müsse. Sogar die Kampfkraft des Heeres würde letztlich
darunter zu leiden haben 92 . Daß Meydenbauer eine derartige Krise der Lebensmittelversorgung nicht bei einer kurzen Kriegsdauer befürchtete, verstand sich
dabei von selbst.
Auch in der breiteren Öffentlichkeit wurden wiederholt Befürchtungen hinsichtlich der Dauer und Folgen eines Krieges laut93. Der Militärhistoriker und
Publizist Hans Delbrück etwa schrieb immer wieder über einen furchtbaren und
langen Krieg, sollte es in Europa zum allgemeinen Konflikt kommen 94 . Auch der
Führer der Sozialdemokraten, August Bebel, machte zum Beispiel in einer
Reichstagsrede am 5. Dezember 1904 in Anlehnung an Engels, Bloch und den
Alteren Moltke deutlich, daß er von einem Krieg nichts anderes als ein langwieriges Gemetzel, die vollständige wirtschaftliche, soziale und politische Katastrophe des Systems und schließlich die Revolution erwartete 95 . Derartige Warnungen von »Amateuren« w u r d e n natürlich öffentlich von den militärischen
»Fachleuten« zurückgewiesen, denn die seinerzeit von Köpke vorgeschlagene
Politik, die Öffentlichkeit auf den zu erwartenden langen Krieg vorzubereiten,
wurde wegen der anzunehmenden demoralisierenden Wirkung nicht verfolgt.
So blieben die pessimistischen (und realistischen) Vorstellungen von Militärs
und Beamten eine interne Angelegenheit.
90
Tirpitz an Posadowsky-Wehner, 28. 1. 1907 und Untersuchung des Reichsmarineamts,
in: Kriegsrüstung, Anlagen (wie Anm. 45), S. 218-223, Zitat auf S. 219.
Denkschrift des Reichsamts des Innern an die Staatssekretäre der Reichsämter, die
Preußischen Staatsminister, den Admiralstab der Marine und den Generalstab der Armee, Januar 1914, ebd., S. 253-270.
92
Denkschrift des Geheimen Finanzrats Dr. Meydenbauer für den Preußischen Finanzminister Dr. Lentze vom 23. 4.1914, in: ebd., S. 274-287.
93
Es wäre mehr als lohnenswert, einmal die öffentliche Wirkung dieser Warnungen zu
untersuchen. So scheint die Unterstellung einer Illusion des kurzen Krieges bei der
breiten Öffentlichkeit ähnlich problematisch zu sein wie im Falle des Generalstabs, der
allerdings natürlich über die bessere Detailkenntnis verfügte. Hier könnte ein Zusammenhang mit den jüngsten Forschungsergebnissen bestehen, die zeigen, daß bei
Kriegsausbruch 1914 keineswegs von einer allgemeinen Jubelstimmung innerhalb der
Bevölkerung gesprochen werden kann. So kommt etwa eine kürzlich von Wolfgang
Gomoll an der Universität Augsburg abgeschlossene Magisterarbeit über die öffentliche und veröffentlichte Meinung dieser Stadt in den ersten Kriegswochen zu dem
womöglich verallgemeinerbaren Ergebnis, daß Angst und Hysterie gegenüber Gefühlen von Kriegsbegeisterung deutlich überwogen.
94
Siehe hierzu und zu den Gegenstimmen Arden Bucholz, Hans Delbrück and the German Establishment. War Images in Conflict, Iowa City 1985, S. 73-76.
9
5 RT-Sten. Ber., 1903-1905, Bd 201, S. 3353-3364.
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Am pessimistischsten war wohl Helmuth von Moltke selbst, der entscheidende Mann, wenn es um die operative Planung für den nächsten Krieg ging. Niemand wußte besser als er, wie es um die Möglichkeit stand, den Krieg durch ein e n s c h n e l l e n F e l d z u g nicht n u r g e w i n n b a r , s o n d e r n a u c h in s e i n e n
Auswirkungen erträglich zu machen. Als aber gegen Ende der Julikrise 1914 die
Stunde der Wahrheit schlug, gab er aus freien Stücken zu erkennen, daß jegliche
Illusion über einen kurzen Krieg fehl am Platze war. So schrieb er am 28. Juli einen hochinteressanten Brief an Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg.
Hierin brachte er seinen Abscheu über den »Störenfried« Serbien zum Ausdruck,
der sich zu einem Mordkomplott habe hinreißen lassen. Osterreich sei vollständig berechtigt, endlich zur Abrechnung zu schreiten. Doch nun habe sich Rußland »auf die Seite des verbrecherischen Landes« gestellt. Die finsteren Machenschaften des vom Panslawismus beseelten Zarenreiches würden Europa in den
Krieg stürzen. Doch Moltke sprach auch von einem »Weltkrieg«, der jetzt drohe:
»die gegenseitige Zerfleischung der europäischen Kulturstaaten wird beginnen«,
wenn nicht ein Wunder geschehe, »um noch in letzter Stunde einen Krieg zu
verhindern, der die Kultur fast des gesamten Europas auf Jahrzehnte hinaus vernichten wird«96.
Auch als der Kriegsausbruch kurz bevorstand, hatte Moltke also seine Meinung über dessen zu erwartenden Charakter nicht geändert. Nach wie vor rechnete er, wie schon sein Onkel, mit einer allgemeinen Katastrophe. Hatte der
Schlieffenplan somit überhaupt nichts an dem strategischen Dilemma geändert,
an dem schon der alte Moltke verzweifelt war? Warum blieb Moltke dann überhaupt bei diesem gefährlichen und offensichtlich nutzlosen Plan, den die Dritte
Abteilung des Generalstabs ja für aussichtslos erklärte? Eine sichere Beantwortung dieser Fragen ist derzeit noch nicht möglich. Es scheint aber, wenn man
sich den Gesamtzusammenhang vor Augen führt, daß Moltke den von ihm veränderten Schlieffenplan durchaus noch für sinnvoll hielt. Nur erwartete er nicht,
mit der dort vorgesehenen Operation den Feldzug im Westen endgültig zu entscheiden, oder gar den Krieg zu gewinnen. Alles deutet vielmehr darauf hin,
daß Moltke mit einer erfolgreichen Invasion Nordfrankreichs, die den feindlichen Armeen schwere Schläge zufügen würde, eine günstige Ausgangsposition
für die Fortführung des Krieges zu gewinnen erhoffte. Der Schlieffenplan wurde
unter diesen Umständen zu einem Eröffnungszug in einem unabsehbar langen
Krieg mit ungewissem Ausgang. Die Historiker haben es sich wohl zu leicht gemacht, wenn sie Moltke unterstellten, er habe wegen des Schlieffenplans die Illusion des kurzen Krieges gehegt.
96
Helmuth von Moltke, »Zur Beurteilung der politischen Lage«, Geheimes Schreiben an
den Reichskanzler vom 28. 7. 1914. Ich zitiere hier nach einer Abschrift des Originals,
das ich im Nachlaß Wilhelm Groeners fand, BA-MA Freiburg, Ν 46 (Nachlaß Groener), Nr. 40; Korrespondenz mit dem Reichsarchiv. Dieses Dokument wurde veröffentlicht in Moltke, Erinnerungen (wie Anm. 3), S. 3-7. Das Dokument ist demgemäß der
Forschung gut bekannt. Doch wurde es bisher — zu Recht — als Beleg für die Kriegstreiberei des Generalstabs verstanden. Die darin enthaltenen Aussagen Moltkes über
den zu erwartenden Charakter des bevorstehenden Krieges wurden schon deshalb zumeist als nebensächlich abgetan, weil sie nicht in den Kontext früherer Äußerungen
des Generalstabschefs und der grundsätzlichen Frage nach dem Kriegsbild der Zeitgenossen gestellt wurden.
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Der längst pensionierte Generalfeldmarschall Colmar von der Goltz brachte
wohl die Haltung der Einsichtigen unter den führenden Militärs auf den Punkt,
als er bei Kriegsausbruch zu seinem Sohn sagte:
»Das wird ein langer und sehr schwerer Krieg. Vorläufig sehe ich noch nicht,
wie wir mit Rußland und England zum Frieden kommen können97.«
V. Mit vollem Bewußtsein in die Katastrophe
Wie ging die militärische Führung nun mit ihrer Erwartung eines langen Krieges
um? Theoretisch besaß sie drei Alternativen.
1. Sie konnte die politische Leitung des Kaiserreichs davon überzeugen, Staat,
Wirtschaft und Gesellschaft auf einen langwierigen Krieg gegen überlegene
Gegner vorzubereiten. Durch die Mobilisierung aller menschlichen und materiellen Ressourcen gleich zu Kriegsbeginn hätte das Reich vielleicht einen
gewissen Vorsprung vor seinen weniger gut vorbereiteten Gegnern erzielt,
um einen Abnutzungskrieg eventuell doch durchzustehen. Dies wäre allerdings auf die Planung eines totalen Krieges lange vor 1914 hinausgelaufen.
2. Der Generalstab hätte den Kaiser und die politische Führung eindeutig und
rechtzeitig warnen können, daß keine Aussicht auf einen kurzen Krieg bestand und daß das Reich wenig Chancen besaß, in einem langwierigen
Kampf gegen Frankreich, Rußland und Großbritannien zu bestehen. Ähnlich
wie der Ältere Moltke im Jahre 1890 hätte die Armeeführung demgemäß
überhaupt von einem Krieg abraten und statt dessen für eine besonnene Politik der Zurückhaltung und der Abschreckung plädieren können.
3. Man konnte es trotzdem mit Krieg versuchen, ohne Rücksicht auf den Ausgang.
Von diesen drei Optionen ist die erste nur halbherzig, die zweite überhaupt nicht
und die dritte schließlich gänzlich verfolgt worden. Die Gründe für dieses Verhalten und seine Folgen sollen abschließend kurz analysiert werden, ohne an
dieser Stelle allerdings endgültige Ergebnisse liefern zu können.
Das vielleicht offensichtlichste Gebiet für intensive Kriegsvorbereitungen war
die Mobilisierung der menschlichen Ressourcen, also der Bereitstellung von
»Menschenmaterial« für die Streitkräfte. Entgegen der Tatsache jedoch, daß die
allgemeine Wehrpflicht in der Verfassung stand, ist sie vor 1914 niemals vollständig durchgeführt worden. Nach 1871 wurden Tausende junger Männer nicht
eingezogen. Von den 1890er Jahren bis zu seiner Verabschiedung verlangte
Schlieffen immer wieder, daß diesem Mißstand abgeholfen werde, denn er
fürchtete um die Durchführbarkeit seiner operativen Pläne, für die einfach nicht
genügend Truppen vorhanden waren98. Gleichzeitig aber weigerte sich Schlief97
98
Von der Goltz, Denkwürdigkeiten (wie Anm. 37), S. 345 f.
Auch in seiner Großen Denkschrift vom Dezember 1905 brachte Schlieffen diese Forderung zum Ausdruck: »Wir haben die allgemeine Wehrpflicht und das Volk in Waffen erfunden und den anderen Nationen die Notwendigkeit, diese Institution einzuführen, bewiesen. Nachdem wir aber unsere geschworenen Feinde dahin gebracht
haben, ihre Heere ins Ungemessene zu vermehren, haben wir in unseren Anstrengungen nachgelassen. Wir pochen noch immer auf unsere hohe Einwohnerzahl, auf die
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fen, das für Rüstungsfragen zuständige preußische Kriegsministerium in seine
operativen Pläne einzuweihen". Diese Geheimniskrämerei erleichterte es dem
Ministerium, aus sozialkonservativen Vorstellungen heraus die volle Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht zu blockieren. Tatsächlich gestatteten die
politische Führung, das Kriegsministerium und der Reichstag, nicht zuletzt im
Hinblick auf die enormen Kosten des Flottenbaus, nur einen begrenzten Ausbau
der Armee.
Es ist interessant zu sehen — die näheren Hintergründe sind bis heute ungeklärt —, daß der Jüngere Moltke lange Jahre hindurch nichts unternahm, um eine Forcierung der Heeresrüstung durchzusetzen. Erst nach 1911, unter dem Eindruck wachsender internationaler Spannungen und des sich verschärfenden
kontinentalen Rüstungswettlaufs, änderte Moltke seine diesbezügliche Haltung,
zumal ihn Ludendorff dazu drängte. Am 21. Dezember 1912 übersandten beide
schließlich eine »Große Denkschrift« an den Reichskanzler und das Kriegsministerium, in der sie vor einer Überrüstung durch die »Triple-Entente« warnten
und die endliche Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht einforderten. Die
Armee könne auf diese Weise um 300 000 Mann verstärkt werden 100 . Im Frühjahr
1913 wurde dann tatsächlich eine Heeresvorlage im Reichstag eingebracht (die
letzte vor dem Krieg). Aber die Forderungen des Generalstabs waren nur zur
Hälfte erfüllt worden. Als ein knappes Jahr später der Krieg ausbrach, waren daher mehrere zehntausend Taugliche nicht ausgebildet und konnten nicht eingezogen werden.
Die volle Mobilisierung von Deutschlands Ressourcen an »Menschenmaterial«101 für die Streitkräfte scheiterte an mehreren Hindernissen: am Sozialkonservativismus des Kriegsministeriums, an den Kosten des Flottenbaus, an der innenpolitischen Undurchführbarkeit einer durchgreifenden Reichsfinanzreform
und, zumindest bis 1911, am Widerstand des Reichstags gegen die volle Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht. Gegen diese Widerstände verspürte nicht
nur die politische Leitung lange Zeit wenig Verlangen, den Kampf um eine radikale Aufrüstung zu Lande aufzunehmen. Auch der Generalstab verschlief unter
Moltkes Führung wertvolle Jahre und verharrte in Fatalismus. Selbst in der Rüstungspolitik konnte deshalb von einer vollen Mobilisierung aller Kräfte für einen langen Krieg keine Rede sein102.
Dies galt auch für andere Aspekte der Kriegsvorbereitungen. Auf dem Gebiet
der Wirtschaft fanden bis zum Jahre 1906 überhaupt keine Bemühungen in dieser Richtung statt. Weder die zivilen Behörden noch die militärischen Führungsinstanzen interessierten sich für diese Frage. Beim Generalstab konnte dies nicht
Volksmassen, die uns zu Gebote stehen, aber die Massen sind nicht in der vollen Zahl
der Brauchbaren ausgebildet und bewaffnet.« Ritter, Schlieffenplan (wie Anm. 6),
S. 155.
99
Dr. Dieckmann, Der Schlieffenplan, BA-MA Potsdam, W-10/50220, S. 34-40, 79.
100 Moltke an Bethmann Hollweg und an Kriegsminister von Heeringen, 21. 12. 1912, in:
Kriegsrüstung, Anlagen (wie Anm. 45), S. 158-174.
101
Dieses schöne Wort fand sich in Moltkes und Ludendorffs Großer Denkschrift, w o es
im Hinblick auf die zahlenmäßige Durchführbarkeit ihrer Rüstungsforderungen lapidar hieß: »Menschenmaterial steht in hinreichender Menge für eine Heeresverstärkung zur Verfügung.« Ebd., S. 168.
102
Zur Geschichte der deutschen Heeresrüstungspolitik von 1890 bis 1913 siehe Förster,
Militarismus (wie Anm. 13).
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verwundern, verfolgte dort doch Schlieffen seine Obsession vom kurzen Feldzug. Erst im Sommer 1906 trafen sich Repräsentanten verschiedener Behörden,
um das Problem zu diskutieren. Doch sie kamen zu dem Schluß, daß der Krieg
zu kurz sein werde, um ernsthafte wirtschaftspolitische Vorbereitungsmaßnahmen zu erheischen103.
Wie oben angedeutet, waren es Tirpitz und das Reichsmarineamt, die im Januar 1907 als erste gegen diese sorglose Haltung aufbegehrten. Am 12. Februar
1907 griff dann auch Moltke ein. Er verlangte finanzielle Kriegsvorbereitungen
und verlieh außerdem seiner Sorge Ausdruck, daß die Lebensmittelversorgung
der Zivilbevölkerung im Kriegsfalle nicht gesichert sei. Davon könne die Haltung der Bevölkerung im Krieg abhängen:
»Die Interessen des Volkes lassen sich aber von denen des Heeres nicht mehr
trennen. Sie beeinflussen sich gegenseitig104.«
Als bis zum Frühjahr 1914 trotz aller Diskussionen faktisch nichts geschah,
wandte sich Moltke an den Staatssekretär des Innern Delbrück, um ihn an die
Notwendigkeit wirtschaftlicher Kriegsvorbereitungen zu erinnern. Diese seien
von äußerster Wichtigkeit, da selbst militärische Siege wenig nutzten, wenn die
Wirtschaft zusammenbreche. Moltke betonte:
»Ein unter Umständen langwieriger Krieg gegen zwei Fronten kann auch nur
von einem wirtschaftlich starken Volke getragen werden105.«
Aber es war bereits zu spät.
In seiner exzellenten Studie hat Lothar Burchardt nicht nur die mangelnde
wirtschaftliche Kriegsvorbereitung des Reiches im einzelnen nachgezeichnet,
sondern auch die Gründe für dieses Versäumnis genannt. So sorgte das polykratische Chaos im kaiserlichen Regierungssystem dafür, daß sich niemand, noch
nicht einmal das Reichsmarineamt und der Generalstab, für dieses Problem
wirklich verantwortlich fühlte. Darüber hinaus verhinderte die Finanzmisere
auch hier durchgreifende Maßnahmen. Vor allem aber: Niemand, noch nicht einmal Moltke, verstand wirklich, welche Belastungen auf die Wirtschaft in einem
modernen Großkrieg zukamen und wie eine Kriegswirtschaft zu organisieren
war106. Die Idee des totalen Krieges existierte eben noch nicht107.
Typisch hierfür ist ein Vorfall, von dem Wilhelm Groener berichtete. Im Februar 1914 habe der Generalstab den Ankauf der gesamten Getreideernte Argentiniens vorgeschlagen. Das Getreide sollte demnach auf Rheinschiffen gelagert
und im Kriegsfalle verteilt werden. Aber das Reichsschatzamt habe diese Anregung wegen der damit verbundenen enormen Kosten abgelehnt108. Auf den we-
Burchardt, Friedenswirtschaft (wie Anm. 9), S. 16.
Moltke an das Kriegsministerium, 12. 2. 1907, in: Kriegsrüstung, Anlagen (wie
Anm. 45), S. 224.
105 Moltke an Delbrück, 14. 5.1914, ebd., S. 287-291, Zitat auf S. 288.
1 0 6 Burchardt, Friedenswirtschaft (wie Anm. 9), S. 242-250.
107 Nach dem Krieg betonte auch Erich Ludendorff, daß niemand die wirtschaftlichen
Notwendigkeiten in einem solchen Krieg vorhergesehen hatte: »Selbstverständlich ist
jetzt der Zusammenhang der Dinge auch auf wirtschaftlichem Gebiet klarer als vorher.
Die volle Übersicht konnten erst die Ereignisse bringen.« Ludendorff, Kriegführung
(wie Anm. 80), S. 60.
108 BA-MA Freiburg, N-46 (Nachlaß Groener), Nr. 51: Zum Schlieffenplan. Bis jetzt habe
ich in den offiziellen Dokumenten keinen Hinweis auf die Korrektheit von Groeners
Angaben finden können.
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sentlich vielversprechenderen Gedanken, die landwirtschaftliche Produktion des
Reiches selbst durch Regierungskontrollen im Kriegsfalle zu steigern, scheint der
Generalstab jedoch nicht gekommen zu sein.
Auch bei der Versorgung der Armee mit Munition für einen langen Krieg
ging es nicht voran. Moltke entdeckte überhaupt erst nach Hinweisen Ludendorffs im Jahre 1908, daß die Armee allenfalls über genügend Munitionsvorräte
für ein paar Schlachten verfügte. Seit Januar 1909 schrieb Moltke periodisch an
das Kriegsministerium, um Abhilfe zu verlangen. Aber auch hier geschah wegen
finanzieller Engpässe wenig. Als der Krieg ausbrach, waren somit zwischen 20
und 50 Prozent der notwendigen Munitionsreserven für die einzelnen Waffensysteme nicht vorhanden. Die industriellen Kapazitäten waren z u d e m derart
schwach entwickelt, daß die volle Reproduktion der bei Kriegsbeginn vorhandenen Munition nicht in sechs Wochen, wie es der Generalstab verlangt hatte, sondern erst in sechs Monaten geleistet werden konnte. Erneut hatten die bürokratischen und finanziellen Hemmnisse des Kaiserreichs durchgreifende Maßnahmen
verhindert 109 .
Alles in allem war das Deutsche Reich vor 1914 unfähig, sich durch eine volle
Mobilisierung aller Ressourcen auf einen langwierigen Krieg vorzubereiten.
Auch wenn der Generalstab durchaus pessimistische Vorstellungen über die zu
erwartende Kriegsdauer besaß, so begriff er doch weder die vollen Implikationen eines solchen Krieges, noch waren die nötigen Gelder für dessen Vorbereitung vorhanden. Der Generalstab besaß auch gar nicht den Einfluß, um die notwendigen Vorbereitungen durchzusetzen. Jack Snyder scheint deshalb auf dem
richtigen Wege zu sein, wenn er argumentiert, daß das einzige, was der Generalstab unter diesen Bedingungen tun konnte, war, sich auf seinen unmittelbaren
Zuständigkeitsbereich zu konzentrieren: die Planung für den Feldzug in den ersten Kriegswochen 110 . Aber dies war eben keineswegs gleichbedeutend mit dem
Glauben an den kurzen Krieg.
Unter diesem Umständen hatte der Generalstabschef allen Grund zum Pessimismus, denn die Erfolgsaussichten in einem Krieg waren alles andere als rosig.
Moltke und viele andere führende Offiziere weigerten sich jedoch dennoch, den
Kaiser und die politische Leitung zu einer Politik der Kriegsverhütung anzuhalten. Ganz im Gegenteil: Moltke war bekanntlich einer der schlimmsten Kriegstreiber in den letzten Jahren vor 1914. Er setzte damit die Tradition seiner Vorgänger fort, die bei fast jeder Gelegenheit einen Präventivschlag gefordert
hatten. So schrieb er auf dem Höhepunkt der zweiten Marokkokrise wütend an
seine Frau, daß er von der Reichsleitung endlich eine durchgreifende Aktion erwarte111. In dem inzwischen berühmt-berüchtigten Kriegsrat vom 8. Dezember
1912 pflichtete er den hysterischen Ausbrüchen Wilhelms II. geflissentlich bei
und sprach die furchtbaren Worte:
»Ich halte einen Krieg für unvermeidlich und: je eher, desto besser112.«
109
110
111
112
Das unveröffentlichte Manuskript Dieckmanns zur Munitionsversorgung, BA-MA
Potsdam, W-10/50777 (wie Anm. 88), liefert eine exzellente Analyse dieses Problems.
Snyder, Ideology (wie Anm. 10), S. 154.
Moltke an seine Frau, 19. 8.1911, in: Moltke, Erinnerungen (wie Anm. 3), S. 362.
Zitiert nach: Der Kaiser ... Aufzeichnungen des Chefs des Marinekabinetts Admiral
Georg Alexander v. Müller über die Ära Wilhelms II., hrsg. von Walter Görlitz, Berlin
1965, S. 125. Für eine Interpretation des Kriegsrats neben vielen anderen siehe Förster,
Militarismus (wie Anm. 13), S. 252-255.
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Im März 1914 schließlich versuchte Moltke, den Staatssekretär des Auswärtigen,
Gottlieb v. Jagow, bei einem privaten Gespräch davon zu überzeugen, daß angesichts der in spätestens zwei bis drei Jahren drohenden Niederlage im kontinentalen Rüstungswettlauf ein baldiger Präventivkrieg die beste Lösung sei. Aufgabe der Außenpolitik sei es, diesen Krieg herbeizuführen113.
Schon wenige Monate später erhielt Moltke endlich seine Chance. In der
Schlußphase der Julikrise von der Kur nach Berlin zurückgekehrt, begann er den
Reichskanzler unter Druck zu setzen, sofort loszuschlagen114. Holger Afflerbach
hat kürzlich in seiner Falkenhaynbiographie gezeigt, daß der preußische Kriegsminister offenbar noch kriegslüsterner war als der Generalstabschef. In seinem
Tagebuch regte sich Erich von Falkenhayn jedenfalls über den angeblich zögerlichen Moltke auf. Ob Moltke nur relativ vorsichtig agierte, weil er ein Abspringen Wiens in letzter Minute befürchtete, wie Afflerbach meint, muß dahingestellt bleiben115. Vielleicht kamen ihm auch noch letzte Skrupel, die Katastrophe,
die er befürchtete, wirklich herbeizuführen. Tatsächlich schrieb er ja am 28. Juli
an Bethmann, daß der bevorstehende Weltkrieg »die Kultur fast des gesamten
Europas auf Jahrzehnte hinaus vernichten« werde. Aber er riet dennoch zum sofortigen Losschlagen116! Am 30. Juli ließ er jedenfalls alle Hemmungen fallen und
verlangte vom Reichskanzler ultimativ aufs Ganze zu gehen. Falkenhayn schrieb
befriedigt in sein Tagebuch:
»Moltke spricht sich in sehr entschiedener Weise für den Krieg sans phrase
aus.«
Er konnte sich jedoch den Zusatz nicht verkneifen:
»Seine Stimmungswechsel sind kaum oder gar nicht zu erklären117.«
Vielleicht ist die Erklärung gar nicht so schwierig, wenn man sich bewußt macht,
mit welchem Kriegsbild Moltke nach Jahren der Planung und der Kontemplation dastand. Jetzt, wo es zum Schwur kam, war seine Freude über den endlich
beginnenden Krieg, den er selbst seit Jahren gefordert hatte, wohl doch nicht so
groß. Daß er ihn im Endeffekt dennoch und im vollen Bewußtsein der drohenden Katastrophe befürwortet hat, mag man, wie ich es tun würde, als nahezu
verbrecherische Unverantwortlichkeit bezeichnen. Dies ist allerdings eine Bewertungsfrage.
113
114
115
116
Volker R. Berghahn, Germany and the Approach of War in 1914, London 1973, S. 172.
Moltke ging es hierbei jedoch nicht darum, das Siegesrezept für einen kurzen Krieg
vor den Rüstungsanstrengungen der Gegner zu retten. Seine Forderung nach einem
baldigen Präventivkrieg beruhte demnach nicht etwa auf der Illusion von der Machbarkeit eines kurzen Krieges. Es handelte sich hierbei vielmehr um den bescheideneren Wunsch, den Krieg überhaupt noch mit einer größeren offensiven Operation nach
Westen eröffnen zu können, damit wenigstens der französischen Armee schwerer
Schaden zugefügt wurde. Seinen Berechnungen zufolge konnte nämlich spätestens ab
1917 jeder Krieg nur noch defensiv geführt werden, weil dann die zahlenmäßige Überlegenheit der Gegner erdrückend wurde.
Erschrocken berichtete der Bayerische Militärbevollmächtigte in Berlin, von Wenninger/am 29. 7 . 1 9 1 4 seinem Kriegsminister in München über die Kriegstreiberei des Generalstabs. Bayerisches Hauptstaatsarchiv — Kriegsarchiv, München, Abt. IV KA,
Bayerischer Militärbevollmächtigter, Bd 1. Als gute Analyse der Rolle des Generalstabs in der Julikrise siehe Joll, Origins (wie Anm. 14), S. 81-84.
Afflerbach, Falkenhayn (wie Anm. 2), S. 154-158.
Moltke, Zur Beurteilung der politischen Lage (wie Anm. 96).
Afflerbach, Falkenhayn (wie Anm. 2), S. 159.
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Der deutsche Generalstab und die Illusion des kurzen Krieges
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Für die Forschung wird es wichtiger sein zu erklären, wie es denn letztlich
möglich war, daß der Generalstabschef zu einer so offenkundig irrationalen Entscheidung kam. Zweifellos spielte hier sein militärisches Umfeld, das von vollständig hemmungslosen Kriegstreibern wie Falkenhayn durchsetzt gewesen zu
sein scheint, eine Rolle. Hinzu kam sicherlich auch der enorme Erwartungsdruck, unter dem der Träger eines so berühmten Namens wie Moltke stand118.
Von Bedeutung war wohl auch die Tatsache, daß der Generalstab sich nicht
durchringen konnte, von Krieg abzuraten, weil dies die hervorgehobene Stellung des Offizierkorps in Staat und Gesellschaft gefährdet hätte. Der Schlüssel
zu allem scheint mir jedoch in der Mentalität der führenden Militärs, wie auch
der Eliten des Wilhelminischen Deutschlands überhaupt zu liegen. Die fortschreitende Entwicklung hin zu einer modernen, pluralistischen Industriegesellschaft, die sich damals politisch im fortgesetzten Aufstieg der Sozialdemokratie
manifestierte, schien das Europa der »belle epoque« ohnehin dem Untergang zu
weihen. Es konnte schon bald der Zeitpunkt eintreten, wo aus der Sicht der alten
Eliten nichts Verteidigungswürdiges und Erhaltenswertes mehr in dieser Gesellschaft vorhanden war. Der damals gerade unter Offizieren weit verbreitete Sozialdarwinismus gab deutliche Hinweise in diese Denkrichtung119. So gesehen war
Moltkes Entschluß zum Krieg möglicherweise doch eine Art Selbstmord aus
Angst vor dem Tode. All dies zu klären, muß weiteren Forschungen vorbehalten
bleiben, wobei es auch auf den europäischen Vergleich ankäme. Aber vielleicht
repräsentierte jener Ausspruch Falkenhayns vom 4. August 1914, über den sich
Bethmann Hollweg noch Monate später aufregte, doch ganz gut die Geisteshaltung der führenden deutschen Militärs:
»wenn wir auch darüber zu gründe gehen, schön wars doch«120.
118
119
120
Bezeichnend hierfür war jene Szene, in der Wilhelm II. völlig die Fassung verlor, als
Moltke sich am 1. 8 . 1 9 1 4 weigerte, den gesamten Aufmarsch nach Osten umzudirigieren, weil die vage Möglichkeit einer Neutralität Großbritanniens bestand, falls der Angriff auf Frankreich nicht erfolgte. Der Kaiser soll daraufhin seinen Generalstabschef
angeschnauzt haben: »Ihr Onkel würde mir eine andere Antwort gegeben haben«.
Laut Moltkes eigener Aussage war von diesem Moment an, als der Kaiser ihn ins
Mark traf, sein Vertrauen in den Obersten Kriegsherrn wie auch sein Selbstvertrauen
zerbrochen. Moltke, Erinnerungen (wie Anm. 3), S. 19-21.
Zur Verbreitung des Sozialdarwinismus unter den damaligen europäischen Offizierkorps siehe Storz, Kriegsbild (wie Anm. 11), S. 79-91.
Notiz vom 22. 11. 1914 nach einem Gespräch mit dem Kanzler, in: Kurt Riezler, Tagebücher, Aufsätze, Dokumente, hrsg. von Karl Dietrich Erdmann, Göttingen 1972,
S. 228.
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