Bauen mit Massivholz

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Vom Stab zur Platte
Bauen mit Massivholz
Geir Brendeland, Olav Kristoffersen
Holz war uns immer gegenwärtig. Das macht der norwegische Hintergrund. Gegenwärtig in der Natur und gegenwärtig als Baumaterial. Wir sind an Holz im Außen- und Innenraum, in den Städten und auf dem Land gewöhnt. Der maschinell gefertigte
Blockbau eines Bauernhauses von 1928 oder der vor 200 Jahren konstruierte Speicher eben dieses Bauernhofes. Die unbehandelte
Holzfassade einer Hütte, die Südwand von der Sonne gebleicht, die Nordseite einheitlich grau. Eine Vielfalt von Bauweisen:
Stabkirchen, alte Bauernhöfe, Boote, Brücken, große Hotels aus den 1890er Jahren im Chaletstil, Milchrampen, Gestelle zum
Trocknen des Stockfisches im hohen Norden, große Anwesen des reichen Bürgertums aus dem 18. Jahrhundert in Trondheim.
Alles aus Holz.
Als Kinder haben wir Hütten aus Holzresten gebaut, alle beide. Wir haben Bäume im Wald gefällt und beim Wandern Feuer
gemacht. Denken wir an Häuser, oder genauer: an alte Häuser, dann unmittelbar an Holz, seine Maserung, seinen Geruch und an
den Klang eines alten Holzfußbodens, wenn man darüber läuft. Risse, Muster und Äste in der Decke beflügeln die Phantasie eines Kindes, das im Liegen nach oben schaut.
1948 stellte der norwegische Bauunternehmer Selmer die kostengünstige Holzrahmenbauweise als preiswerte Möglichkeit vor, Wohnraum für die Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg zu schaffen. Es war eine Herausforderung
der herrschenden Doktrin, die in Norwegen zu einer neuen Denkweise bezüglich Holzbau führte. Mit Unterstützung der norwegischen Regierung durch steuerliche Anreize und einer staatlichen Bausparkasse wurde der Holzbau zur konstruktiven Lösung für Hunderttausende von Einfamilienhäusern. In größeren
Projekten jedoch setzten sich Beton und Stahl gegenüber Holz und Mauerwerk
durch. Eine große Anzahl von Holzbauten in den Städten wurde abgerissen
und durch Gebäude aus nichtbrennbaren Materialien ersetzt. Diese Erneuerungen waren zwar zeitgemäß, aber für viele Norweger architektonisch nicht so
ansprechend wie ihre hölzernen Vorgänger. In den siebziger und achtziger Jahren begannen junge Leute sich für die Reize der erhaltenen alten Holzbauten,
die sie in den norwegischen Städten entdeckten, zu interessieren. Sie hatten
nicht mehr das Vorurteil ihrer Eltern gegenüber dem Leben in ärmlichen Arbeitervierteln. Darüber hinaus fand seit den neunziger Jahren ein Bauboom auf
dem Land statt, bei dem wohlhabende Norweger Wochenendhäuser aus Holz
bauten in Nachahmung der traditionelle Blockbauten, die mit Doppelgaragen,
mehreren Badezimmern und Flachbildfernsehern ausgestattet wurden.
Als wir 2002 an dem Wettbewerb für “Neue Wohnbauten in Svartlamoen” teilnahmen, bestand die praktikabelste Konstruktion für mehrgeschossige
Bauten aus vorgefertigten Betonplatten auf feuergeschützten Stahlstützen, außen
mit nichtbrennbaren Materialien verschalt und innen mit Gipskarton ausgekleidet. Das Wettbewerbsprogramm forderte jedoch für die neuen Gebäude eine
Holzkonstruktion und daher begannen wir, vor allem wegen der Brandschutzvorschriften, uns mit den Möglichkeiten von Massivholzelementen auseinanderzusetzen. An dieser ersten Begegnung entzündete sich unser Interesse und
seitdem haben wir das architektonische Potenzial dieser Bautechnik in einer Reihe verschiedener Projekte untersucht.
Brettsperrholzelemente
Es gibt verschiedene Arten von Massivholzelementen von einer Reihe verschiedener Hersteller aus verschiedenen Ländern. In unserer Arbeit haben wir sogenannte Brettsperrholzelemente verwendet, die aus mehreren Lagen kreuzweise
verleimter Bretter bestehen. Brettsperrholzelemente sind ein Massenprodukt, das
per Kubikmeter bestellt werden kann. Standardelemente bestehen üblicherweise aus niederklassiger Fichte, aber die Sichtoberfläche oder auch die anderen
Schichten können in verschiedenen Qualitäten oder sogar in verschiedenen
Holzarten bestellt werden. Die Abmessungen eines Elements sind vor allem
durch die Transportmittel zwischen Hersteller und Baustelle beschränkt. Die
Hersteller bieten Elemente mit standardisierter Breite, in verschiedenen Standarddicken bzw. Lagenanzahl an. Die Form der Elemente kann vom Hersteller
mit präzisen computergesteuerten Fräsmaschinen oder auf der Baustelle von
einem Zimmermann weiter bearbeitet werden.
Materialität, Oberfläche und Präsenz
Ein Massivholzelement besteht durch und durch aus Holz. Wird die Oberfläche
des Elements entfernt, ist es immer noch das gleiche Material. Es vermittelt eine
Dichte, Festigkeit und ein Gefühl von Qualität, das mit den vergleichsweise windigen Holzrahmenkonstruktionen nicht zu erreichen ist. Dieses Gefühl verstärkt
sich, wenn alle Oberflächen eines Innenraumes gleich gestaltet sind: Wände,
Böden und Decken, Möbelstücke und Innentüren. Der Raum scheint aus einem
einzigen Block herausgeschnitzt zu sein, ist aber dennoch mehrdeutig, da die
einzelnen Elemente und die Bretter innerhalb dieser Elemente lesbar bleiben. In
unserem Reihenhausprojekt in Longyearbyen haben wir Massivholzelemente
sogar auf den Außenwänden angebracht, um den Eindruck einer scheinbar
monolithischen, vollständig aus Massivholz bestehenden Struktur zu erwecken.
Standardelemente sind eben und legen eine abstrakte und einfache Architektur mit ebenen Oberflächen nahe. Winzige Variationen in Oberfläche, Farbe und Maserung reflektieren das Tageslicht auf subtile Weise. Die Oberfläche
Die große Holzbautradition Norwegens begründet sich nicht zuletzt aus dem Verbot jeglicher Steingebäude durch die koloniale Verwaltung des Landes durch die Dänen bis 1814.
obere Reihe: Gebäude in Vardø; Lagerhaus in Trondheim; Haufensiedlung in Agatunet,
Hardanger, 19. Jahrhundert; Stabkirche in Heddal, Anfänge im 13. Jahrhundert
untere Reihe: Stockfischgestell in Øksnes; Baumhaus in Torget; Königliche Residenz in
Trondheim, 1774 – 78; Wochenendhaus in Hemsedal
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ist fest, jedoch weich genug, um die Spuren von Gebrauch und Leben innerhalb des Gebäudes aufzunehmen, wodurch sie im Lauf der Zeit immer interessanter wird. Die Farben verändern sich durch ultraviolettes Licht und Oxidation und dunkeln allmählich nach. Die Fasern scheinen lebendig zu sein und
reagieren auf Feuchtigkeitswechsel mit Rissen und neuen Mustern. Die Oberfläche fühlt sich wärmer an als Gips oder Mauerwerk, sie eignet sich für das
nördliche Klima. Aber während der warmen und sonnigen Sommer kühlt das
Holz dennoch den Innenraum.
Wir lassen die Massivholzelemente gerne unbehandelt, wodurch wir den
Einsatz von Chemikalien vermeiden und den Unterhaltsbedarf verringern. Nur
die Fußböden und Details, die besonderen Schutz vor Schmutz und Wasser benötigen, werden mit einem transparenten, farblosen Lack überzogen. Die Oberflächen können während ihrer Lebensdauer geschliffen oder gestrichen, neue
Öffnungen mit einer Kettensäge hinzugefügt werden, die Benutzer können
schwere Möbel an den Wänden befestigen.
Vereinfachte Konstruktion
Ein Massivholzelement kann mehrere
Funktionen gleichzeitig übernehmen,
während bei der Holzrahmenbauweise jede der zahlreichen Schichten
ihre eigene spezifische Funktion erfüllt.
Als konstruktives System tragen Massivholzelemente in sich das Potenzial für
weniger komplexe und daher weniger
riskante Detaillierung als der Holzrahmenbau. Massivholz kann zugleich als
optische Trennung und Sichtoberfläche, Lastabtragung und Aussteifung,
Brandschutz des Tragwerks und Unterteilung in Brandabschnitte, thermische Masse und Dampfbremse agieren.
Bis zu einem gewissen Grad kann es
sogar die Funktionen von Windbremse,
Schallschutz, Wärmedämmung und
Verkleidung erfüllen. Elektrische Leitungsführung, Anschlussdosen, Schalter und Beleuchtung können in Massivholzelemente integriert werden, wie
wir dies in einer Reihe von Projekten
getan haben, obwohl dies eine sehr
sorgfältige Planung und gute Koordination auf der Baustelle erfordert.
Massivholz brennt in einer voraussagbaren Geschwindigkeit ab, wodurch es einfach wird, die notwendige Dicke der Elemente zu berechnen,
um die Brandschutzanforderungen
einzuhalten. Die zusätzliche Dicke der
Wände und Scheiben schützt die Tragwerksfunktion und wirkt gleichzeitig
als Brandabschnittstrennung. Grundsätzlich ist keine besondere Oberflä- Wohngebäude in Swartlamoen, 2002
chenbehandlung notwendig, um die
norwegische Brandschutzverordnung zu erfüllen. In Svartlamoen setzten wir
eine Sprinkleranlage ein. Sie war nicht wegen des Holztragwerks notwendig,
sondern wegen der Nähe zu den benachbarten Holzbauten.
Das Svartlamoen Projekt bewältigte den Trittschallschutz mit einem speziell
entwickelten schwimmenden Holzfußboden auf der Massivholzscheibe. Die
größte Herausforderung lag darin, eine ökonomische Lösung für die Verbindung von sichtbarer Holzoberfläche und Schallschutzanforderungen zu finden.
Zu unserer Erleichterung bestätigten die nach Vollendung des Gebäudes durchgeführten Messungen die Zulässigkeit unserer Lösung. Da sich der Bauplatz in
der Nähe des Meeres befindet, wurden die Stöße zwischen den Elementen so
entwickelt und berechnet, dass sie schweren Windlasten auf die Fassade Stand
halten können. Nur die Außenwände sind lastabtragend; das bietet für künfti31
ge Sanierungen bzw. Veränderungen bessere Möglichkeiten. Massivholzelemente bilden im Vergleich zu Beton- und Stahlkonstruktionen ein relativ leichtes Tragwerk. Auf dem schwierigen Untergrund dieses Bauplatzes erlaubte die Massivholzkonstruktion deutlich kleinere und günstigere Fundamente.
Im Kindergarten in Svartlamoen von 2007, der eine Umnutzung eines Autohauses von 1983 ist, beschäftigten wir uns mit komplexen CNC-Fräsungen.
Alle Holzelemente haben eine Form, die mit ihrer Position im Gebäude korrespondiert. Geneigte Wände, stumpfe und spitze Winkel, Türöffnungen, innenliegende Fenster und Luftkanäle sowie Einpassungen in die bestehende Struktur
modifizieren die Elemente. Mit Hilfe eines 3D-Modells konnten wir jedes Element
für seinen spezifischen Zweck gestalten und fräsen. Sogar die Einbaumöbel aus
Massivholz wurden auf diese Weise gefertigt. 120 mm Massivholz erfüllte die
Schallschutzanforderungen des Auftraggebers ohne zusätzliche Schichten.
Bei den Reihenhäusern in Longyearbyen von 2007 waren Logistik und ungewöhnliche klimatische Bedingungen die größten Herausforderungen. Jedes
Teil dieser Gebäude wurde gezeichnet, gefertigt, in Transportcontainer verpackt und auf diese abgelegene Insel verschifft, um eine schnelle Montage während des kurzen arktischen Sommers zu ermöglichen. Allerdings hatte ein Mitarbeiter falsche Zahlen in die Fräsmaschine eingegeben und ein wichtiges Element wurde in fehlerhafter Form geliefert. Zum Glück war es etwas zu groß,
so dass die Zimmerleute es auf der Baustelle mit einer Kettensäge korrigieren
konnten. Die innenliegenden Decken, Türen, Treppenhäuser und einige Einbau-
möbel sind Massivholzelemente ohne weitere Schichten. Alle anderen Bauteile bestehen aus drei Schichten – die Außenwände: lastabtragende 100 mm
Massivholz, Mineralwolle mit Holzabstandshaltern und 60 mm Verkleidung aus
Massivholz (in Abstimmung mit dem Farbschema des lokalen Gestaltungsplans),
das Dach: Massivholz, Mineralwolle und einer Dachmembran, die Wohnungstrennwände: Massivholz, Mineralwolle, Massivholz. Als Faustregel gilt, dass der
Preis eines Elements direkt proportional zu seinem Volumen ist. Um den strengen Wärmedämmanforderungen zu entsprechen, ist es wirtschaftlicher, eine
Dämmschicht hinzuzufügen, als die Dicke des Elements zu erhöhen.
In unserer Villa in Ranheim von 2008 gehen große horizontale Massivholzelemente, Brettschichtholzträger und vertikale Ständer eine statische Einheit ein
und bilden nahezu ein Monocoque, das von 6 Stahlstützen in Form eines auf
dem Kopf stehenden Vs getragen wird. Bei diesem Gebäude hatte der Hersteller
nicht genug Zeit, um die Fensteröffnungen zu fräsen, da die Bestellung knapp
vor den Sommerferien in Auftrag gegeben wurde und der Bauunternehmer das
Aufrichten während der Ferien ausführen wollte. Aus diesem Grund mussten
die Fenster auf der Baustelle mit einer Handkreissäge ausgeschnitten werden.
Feuchtigkeitsausgleich
Holz quillt und schwindet gemäß seinem Feuchtigkeitsgehalt. Die Schwankungen
in den Abmessungen eines Holzstücks sind quer zur Faser größer als in Faserrichtung. Da die verschiedenen Schichten eines Elementes kreuzweise mitein-
ander verleimt sind, bleiben die Gesamtabmessungen eines Massivholzelements bemerkenswert konstant, während Veränderungen des Feuchtigkeitsgehaltes Spannungen aufbauen, die letztendlich zu Rissen in der Oberfläche
führen können. Risse dieser Art kommen auch häufig in den Blockbauwänden
und Dielenböden traditioneller norwegischer Holzbauten vor.
In Longyearbyen haben wir Elemente aus einem besonders gut getrockneten Holz verwendet, die während Lagerung und Transport speziell geschützt
wurden. Die relative Luftfeuchtigkeit in dieser arktischen Wüste ist während des
langen Winters nahezu Null. Ein Jahr nach der Fertigstellung zeigten die Oberflächen im Innenraum einige Risse, jedoch nicht mehr als erwartet. Da unverkleidetes Massivholz im Innenraum Feuchtigkeit aufnehmen und abgeben kann,
stabilisiert es den Feuchtigkeitsgehalt im Innern des Gebäudes. Ein Badezimmer
oder eine Küche mit einer Decke aus unbehandeltem Holz fühlt sich nicht so
feucht an wie eine mit Latexfarbe gestrichene Gipskartonplatte. In Longyearbyen haben die Bewohner festgestellt, dass sie nach dem Duschen nicht einmal
den Spiegel zu wischen brauchten, da die Decke die Feuchtigkeit absorbiert.
Massivholzelemente dürfen, wenn sie trocken sind, als dampfdicht betrachtet werden. Selbst in einem sauber gebauten Kompaktdach gibt es keinen Grund
für eine Dampfbremse. Allerdings sollte der Ausführung der Stöße besondere
Aufmerksamkeit gewidmet werden, um Spalten und kleine Öffnungen zu vermeiden. Spalten können zur Kondensation innerhalb des Wandaufbaus und
zum ungewolltem Eindringen von Außenluft führen. In der hohen Arktis sind
die Konsequenzen schwerwiegender als auf dem norwegischen Festland. In einigen undichten Holzrahmenbauten enthielten dort Dach und Wohnungstrennwände bereits nach einer einzigen Wintersaison hunderte Kilo von Eis.
Fügen, Auseinandernehmen, Wiederverwendung und Recycling
Massivholzwände werden üblicherweise mit langen Schrauben sowie Nutund Federverbindungen gefügt. Die notwendige Anzahl und die Abstände
zwischen den Schrauben werden von einem Tragwerksingenieur berechnet.
Diese Schrauben sind meist selbstschneidend und manche haben an ihren beiden Enden eine unterschiedliche Gewindesteigung, wodurch die Schraube
beim Anziehen die Elemente zusammenzieht. Ein Vorteil beim Einsatz von
Schrauben ist die Justierung der Elemente nach dem Fügen. Außerdem kann
die Struktur relativ einfach wieder auseinandergenommen werden, wenn sie
saniert, verändert oder entfernt werden soll. Gebrauchte Elemente können
grundsätzlich an neue Strukturen angepasst und wiederverwendet oder auch
weiter aufgetrennt werden, um zu Spanplatten, Pellets, Brennholz usw. verarbeitet zu werden.
Da die Bauweise relativ neu ist, haben bislang nur sehr wenige Gebäude
aus Massivholz einen kompletten Lebenszyklus durchlaufen. Für den Designmai
2005 in Berlin haben wir eine Massivholzhütte in den Edison Höfen in Berlin
gebaut, die mit Erfolg auseinandergenommen, umgesetzt und in Neustrelitz wieder zusammengefügt wurde. Ein anderes kleines Gebäude, das wir für 100 %
Design in London realisierten, wurde anschließend demontiert und in Einzelteilen in einem Londoner Lagergebäude aufbewahrt, bereit für einen neuen Einsatz.
Mit vorgefertigten Elementen gibt es bei sorgfältiger Planung nur wenig Abfall auf der Baustelle. Bei dem Wohnbau in Longyearbyen kam jedes Massivholzelement zum Einsatz, das auf die abgelegene Insel verschifft wurde. Selbst
die Verschnittflächen von Kochfeld und Spüle wurden als Schneidebrett genutzt.
Baupraxis
Massivholzelemente sollten vorsichtig behandelt werden während des
Transports, der Lagerung auf der Baustelle, dem Aufrichten und während der
ersten Heizwochen nach dem Schließen der Gebäudehülle. Dies gilt insbesondere, wenn die Elemente als innere Sichtoberfläche gedacht sind. Abdrücke
von Gabelstaplern, eingedrückte Seitenkanten und merkwürdige Fußspuren
quer über Wände und Decken scheinen bei der Arbeit mit unerfahrenen
Handwerkern an der Tagesordnung zu sein. Es empfiehlt sich ein Crashkurs mit
allen Baubeteiligten (inklusive Installateuren, Elektrikern usw.) über das Bauen
mit Massivholz. Unserer Erfahrung nach sollte ein erfahrener Zimmermann mit
einbezogen werden, um an den letzten Tagen vor Fertigstellung mit kleinen
Reparaturen und Korrekturen nachbessern zu können.
Freie Bewitterung über mehrere Tage kann das Wachstum von Pilzen anregen, die auf den Oberflächen graue Flecken hinterlassen. Oberflächen, die
während der Bauzeit nass geworden sind, neigen auch zum stellenweisen Ver-
Reihenhäuser im arktischen Klima von
Longyearbyen auf Spitzbergen, 2007
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werfen oder Reißen, da die Qualität
und Sortierung von Brettern in Standardelementen meist nicht die allerbeste ist. Einige Hersteller verwenden
gut getrocknetes, hochwertiges Holz
und drehen sogar alle sichtbaren Bretter mit der Kernseite nach außen, um
die Oberfläche stabiler und homogener zu machen.
Bei unseren Projekten in Longyearbyen und Ranheim schützte der Hersteller die Sichtoberflächen mit einer
Plastikfolie, die vom Bauunternehmer
nach Fertigstellung der Gebäude entfernt wurde. Dies vermeidet nicht nur
Schäden durch Regenwasser, sondern
verhindert auch Flecken und Farbun- Kindergarten im ehemaligen Autohaus, 2007
terschiede infolge ungleicher Sonneneinstrahlung, bevor die Außenwände, das Dach und die Fenster positioniert
werden. Abgesehen davon macht es Spaß, die Innenwände des fertigen Baus
vor den Augen eines gespannten Auftraggebers zu enthüllen.
Der Einfluss des Architekten
Die alles in den Schatten stellende Forderung nach Kostengünstigkeit im
Bauwesen führt zur Bevorzugung desjenigen Bauunternehmers, der weniger
Arbeitsstunden benötigt und weniger gut ausgebildete (also günstigere)
Arbeitskräfte einsetzt als seine Mitbewerber. Diese Tendenz ist eine wesentliche
Quelle für Ausführungsschäden, beschränkte technische Qualität und Kopfschmerzen des Architekten. Wenn Fehler begangen worden sind, wird der
Bauunternehmer eher vorschlagen, das Problem auf “kreative Weise“ zu bereinigen als noch einmal abzubrechen und die betroffenen Teile neu zu bauen mit
dem Risiko, den vereinbarten Termin nicht halten zu können.
Bauen mit Massivholzelementen ist ein wenig anders, da die Elemente meistens im Voraus von einem Hersteller maßgeschneidert und anschließend von
einem Bauunternehmer geprüft werden, wenn sie auf der Baustelle ankommen.
Wenn der Hersteller während Fertigung oder Transport einen Fehler begangen
hat, wäre er verpflichtet, neue fehlerfreie Elemente zu seinen Lasten auszuführen. Da die Elemente verschiedene Formen und Eigenschaften haben, die wie
ein großmaßstäbliches Puzzle zusammenpassen, gibt es in vielen Fällen nur eine
einzige Art, sie korrekt zu fügen. Ein Fehler bei der Montage würde den Bauunternehmer zwingen, die betroffenen Elemente wieder auseinander zu nehmen und von vorne zu beginnen. Um diesem Risiko zu begegnen, werden (unserer Erfahrung nach) Zeichnungen und Beschreibungen sowohl von Herstellern als auch Ausführenden peinlich genau befolgt. Dies gibt dem Architekten
mehr Einfluss auf die Qualität des fertigen Gebäudes und gleichzeitig eine
größere Verantwortung für die Korrektheit seiner Zeichnungen und Beschreibungen. Der Architekt kann sogar wesentliche Aspekte der Detaillierung in die
Form der gefrästen Elemente integrieren, um den Einfluss möglicherweise schlechter Ausführung auf der Baustelle und um die Bauzeit zu verringern.
Wir fertigen die Werkstattzeichnungen für die Fräse betriebsintern, um den
größeren Einfluss auf die Qualität des Gebäude nutzen zu können. Unserer
Ansicht nach ist dies eine der interessantesten Eigenschaften der Massivbauweise im Vergleich zu herkömmlichen Holzrahmenkonstruktionen und anderen
in situ Bauweisen. In all unseren Massivholz-Projekten bat der Hersteller um PdfDateien mit 2D-Zeichnungen, die wir aus unseren 3D-Modellen ableiteten. Die
Zeichnungen beinhalteten bereits alle Toleranzen und Details. Ein Mitarbeiter
gab dann auf dieser zeichnerischen Grundlage manuell die Abmessungen und
Winkel in ein CAM-Programm ein, ein zusätzliches Fehlerrisiko. Die Möglichkeit der direkten Weiterverarbeitung importierter 3D-Zeichnungen auf einem
CNC-Bearbeitungszentrum bestand in unserem Fall nicht.
Klebstoff, Nägel und Dübel
Holz als Baustoff hat eine lange Geschichte. Moderne Klebstoffe haben das
nicht. Werden sich Brettsperrholzelemente im Verlauf der Zeit aufblättern und
eine Gefahr für Leib und Gut darstellen? Wird der Klebstoff “verschwinden“
nachdem das Holz verrottet ist, oder wird er länger in der Natur verbleiben und
ein ökologisches oder ästhetisches Problem darstellen, während er sich langsam zersetzt? Die verschiedenen Hersteller verwenden unterschiedliche Klebstoffe und geben unterschiedliche Antworten auf diese Fragen. Zudem machen
sie den Anspruch geltend, ihr Klebstoff wäre dauerhaft und nicht schädlich für
Menschen während Verarbeitung, Montage, Nutzung, Demontage oder Brand.
Die Bretter eines Elements können auch mit Holzdübeln oder Nägeln anstatt Klebstoff zusammengehalten werden. Ähnliche Fragen kommen auf: Wie
dauerhaft sind diese Elemente? Könnten die Dübel ihren Halt verlieren,
könnte das Gebäude sich im Lauf der
Zeit verformen oder sogar in sich zusammenstürzen? Einige der verdübelten Elemente haben interne Holzschichten für besondere strukturelle Anforderungen, z.B. als Verstärkung oberhalb einer Fensteröffnung. Solche Elemente sind kaum wiederzuverwenden
ohne eine detaillierte Dokumentation.
Dies könnte Bauunternehmer dazu veranlassen, gebrauchte Elemente eher
weiter aufzutrennen als sie für ein neues Bauprojekt zu verwenden, wodurch
ein potenzieller Vorteil des Massivholzes
vergeben würde.
Eine Architektur in Massivholz
Jede Bauweise hat ihre Schwachpunkte und unbekannten Faktoren. Die obigen
Fragen werden hoffentlich in Zukunft mit Ausreifen der Bautechnik beantwortet
werden können. Niemand weiß genau, wie sich ein Gebäude aus Stahlbeton
langfristig verhalten wird, aber wir haben heute ein besseres Verständnis seiner Eigenarten als vor hundert Jahren. Mit Sicherheit aber können wir sagen,
dass sich aus Stahlbeton exquisite und zweckdienliche Architektur machen
lässt. Offenkundig lässt sich damit, wie aus jedem anderen Baumaterial, auch
schlechte und wenig nachhaltige Architektur machen. Es ist daher ein großes
Privileg, an einer gemeinsamen Anstrengung um eine nachhaltige Architektur
für den Massivholzbau teilzuhaben, eine Architektur, die andere bautechnisch
etablierte Architekturen ergänzen kann.
oben: Villa in Ranheim, 2008; rechts: Nachtaufnahme: temporäres Gehäuse in Berlin, 2005
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Übersetzung: Christoph Schindler
Vom Stab zur Platte
Genagelt und geschraubt
Christoph Schindler
Holz kann mit den verschiedensten Mitteln verbunden werden. Man kann es
verkleben, zusammennageln, verschrauben oder so spanend bearbeiten, dass
daraus eine formschlüssige Holzverbindung entsteht. Ohne diese Verbindungstechniken könnten wir einen Baum, sobald wir ihn aufgetrennt
haben, gar nicht zu Objekten oder Bauwerken zusammenfügen.
Innerhalb hölzerner Bauteile geht fast nichts ohne synthetische
Klebstoffe. Nägel und Holzverbindungen dienen hier allenfalls zum
Positionieren und Fixieren, um ein Bewegen ihrer Bestandteile
während des Aushärtens des Klebstoffs zu verhindern.
Beim Fügen der Bauteile zu einem Gebäude spielt das Verkleben dagegen
keine wesentliche Rolle, da die chemische Reaktion der Klebstoffe Temperaturen von etwa 20° C voraussetzt. Diese sind während der langen Aushärtezeit
in unseren Breiten allenfalls in lauen Sommernächten gegeben. Wie kann man
hier zeitgemäß vorgehen? Die traditionellen handwerklichen Holzverbindungen stabförmiger Konstruktionen, also das riesige Repertoire des Zimmermanns
an Stoß-, Zapfen-, Eck-, Blatt-, Kamm-, Versatz- oder Klauenverbindungen,
kommen schon seit Ende des 19. Jahrhunderts wegen ihres Herstellungsaufwands
sowie ihrer eingeschränkten Leistungsfähigkeit durch die Querschnittsschwächung der Bauteile in rechnerisch optimierten Holztragwerken kaum mehr in
Frage. Sie wurden sukzessive durch metallische, stiftförmige Verbindungsmittel
wie Nägel, Dübel, Bolzen oder Schrauben ersetzt. Stiftförmige Verbindungsmittel sind immer dabei – entweder als direkte Holz-Holz-Verbindung oder in
Kombination mit Stahlblechformteilen wie Balkenschuhen, Integralverbindern
oder Nagelplatten. Dem Nagel kommt hier sicher die Rolle des Grabträgers
der handwerklichen Holzverbindung zu. Als universelles maschinell hergestelltes Verbindungsmittel wurde er ab den 1830er Jahren in den amerikanischen
Balloon- und Platform-Frames zu einem der Protagonisten der Besiedlung des
Mittleren Westens. Da die aufwendige Holzverbindung entfiel, konnten auch
die Holzbauteile komplett in den Dampfsägewerken vorgefertigt werden.
In den letzten beiden Jahrzehnten hat der Nagel starke Konkurrenz aus der
eigenen Familie bekommen, nämlich von der Schraube. Die Schraube macht
die Rotationsbewegung von Maschinen zur Grundlage ihrer Befestigung – eine
Bewegung, die mit einem manuell geführten Schraubenzieher nur langsam und
umständlich ausführbar ist, da sie ein ständiges Umgreifen erfordert. Die Entwicklung maschinentauglicher Kopfformen wie dem Kreuzschlitz oder dem Torx
in Kombination mit dem Akkuschrauber hat aus der Schraube ein äußerst wirtschaftliches und universelles Verbindungsmittel gemacht, das fast so schnell und
mühelos im Holz verschwindet wie der Nagel. Gegenüber dem Nagel hat die
Schraube die höheren Auszugswerte, so dass sie nicht nur auf Abscheren, sondern auch auf Zug belastbar ist. Ein weiterer Vorteil ist ihre Demontierbarkeit:
Während der Nagel so konstruiert ist, dass man ihn möglichst schwer wieder
aus dem Holz ziehen kann, ist der Aufwand zum Herausdrehen einer Schraube genau so hoch wie der des Eindrehens – eine vor dem Hintergrund der Wiederverwendung hölzerner Bauteile ausschlaggebende Eigenschaft.
Eine vielversprechende Entwicklung sind lange, selbstbohrende Schrauben
mit durchgehendem Gewinde, die für Holz-Holz-Verbindungen, also ohne Stahlblechformteile, eingesetzt werden. Längen bis 600 mm und Durchmesser bis
12 mm erschließen der Vollgewindeschraube einen großen Anwendungsbereich. Spezielle Bohrspitzen verhindern ein Aufspalten des Holzes, so dass ein
Vorbohren entfällt und die Schrauben dennoch mit geringen Abständen einge-
setzt werden können. Gegenüber Stahlblechformteilen zeichnen
sich Vollgewindeschrauben bei gleicher Belastbarkeit durch einen
geringeren Materialverbrauch sowie kürzere Montagezeiten aus.
Außerdem verschwinden sie bis auf den kleinen Schraubenkopf vollständig im Material, was den gestalterischen Absichten der meisten Planer sehr entgegenkommt.
Man unterscheidet bei der Vollgewindeschraube zwei Aufgabenbereiche:
Zum einen wird sie als Verbindungsmittel zwischen zwei Bauteilen eingesetzt.
Dazu werden die Vollgewindeschrauben häufig mit einer Schablone in einem
Winkel von 45° schräg von beiden Seiten des anzuschließenden Bauteils eingedreht. Durch die Kombination von rechtwinklig zueinander stehenden Schrauben sind diese wie in einem Fachwerk nur in axialer Richtung, also entweder
auf Druck oder auf Zug belastet. Die Vollgewindeschraube wird oftmals mit Brettsperrholzkonstruktionen in Verbindung gebracht, obwohl ihre Anwendung keineswegs darauf beschränkt ist. Der andere Aufgabenbereich der Vollgewindeschraube ist nicht die Verbindung von Bauteilen, sondern die Bewehrung des
hölzernen Bauteils selbst. Da Holz auf Zugbelastung quer zur Faser weitaus mehr
zum Reißen neigt als in Faserrichtung, werden Vollgewindeschrauben an besonders belasteten Stellen als Querkraftbewehrung eingedreht. Die Verzahnung des Gewindes mit dem Holz funktioniert dabei analog zu den Rippen eines Bewehrungsstahls im Beton. Die Bewehrung hält gewissermaßen das Holz
des Bauteils quer zur Faser dort zusammen, wo es nicht durch Klebstoff zusammengehalten wird. Dies wurde früher vielfach mit Bolzen erreicht, die gegenüber der Schraube nicht über die gesamte Achse, sondern nur an ihren Endpunkten Druck ausüben, der bei einem Schwinden des Holzes sogar ganz aufgehoben werden kann. Solche mit Vollgewindeschrauben bewehrten Stellen
können beispielsweise die Auflagerflächen von Balken sein.
Sogenannte Doppelgewindeschrauben zeichnen sich durch zwei verschiedene durch ein Stück Schaft voneinander getrennte Gewindeneigungen aus.
Da die Bauteile durch das Doppelgewinde zusammengezogen werden, ist diese Verbindung nicht nur form-, sondern auch kraftschlüssig, wenn durch die
entstehende Reibung eine Vorspannung erzeugt wird. Damit dies funktioniert,
muss allerdings das gewindefreie Schaftstück genau in der Fuge zwischen den
Bauteilen zu liegen kommen, was von außen nur schwer zu beurteilen ist. Gegenstand aktueller Forschung sind Vollgewindeschrauben, deren Gewindesteigung sich über die gesamte Länge des Schafts kontinuierlich ändert.
Welche Rolle aber spielen die mit Hilfe computergestützter Holzbearbeitungsmaschinen gefrästen Verbindungen wie der Schwalbenschwanz, die sich
etwa seit der Jahrtausendwende ihren Platz in den Zimmereien erobert hatten
und die nun unter Architekten als eine digitale Wiedergeburt der handwerklichen Holzverbindung diskutiert werden? Es ist sicher richtig, dass der Herstellungsaufwand solch geometrisch komplizierter Verbindungen auf heutigen Abbundmaschinen durch die automatische Werkzeugführung wieder wirtschaftlich geworden ist. Eine Modellierung des Holzprofils bedeutet aber nach wie
vor eine Querschnittsschwächung, die nur an statisch wenig belasteten Stellen
wie etwa Nebenträgerauflagern in Decken zu verantworten ist. Die digitale
Holzverbindung ist daher – wie schon beim Einsatz innerhalb von Wand- und
Deckenelementen des Holzrahmenbaus – in erster Linie eine Positionierungshilfe, welche die stiftförmigen Verbindungsmittel allenfalls ergänzen, aber nicht
ersetzen kann.
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