„So steht es im Koran, Mann!“ Wie kommt ein junger Italo-Schweizer aus dem Basler St-JohannQuartier dazu, vom Hip-Hopper zum strenggläubigen Muslim zu werden, im Taliban-Look aufzutreten und Bin Laden zu bewundern? Gespräche mit dem 27-jährigen Franco*, der im Koran die neue Richtschnur seines bis anhin unsteten Lebens gefunden hat. Beat Stauffer Symbolbild; Quelle siehe Anhang An der Basler Elsässerstrasse, einer verkehrsreichen Ausfallsachse in Richtung Frankreich, tauchen ab und zu kleine Gruppen orientalisch gekleideter Männer auf, die unter Passanten für Irritationen sorgen. Zu ihnen gehört Franco (Pseudonym), ein junger Secondo sizilianischer Herkunft, der mit seinem Vollbart, einem langen, weissen Gewand und einem islamischen Käppchen wie ein Anhänger der afghanischen Taliban aussieht, den es aus unerfindlichen Gründen nach Mitteleuropa verschlagen hat. Die bärtigen jungen Männern, die in den Strassen des St. JohannQuartiers vor allem am Freitag Abend und an Wochenenden auftauchen, geben sich damit unzweifelhaft als konservative, buchstabengläubige Muslime zu erkennen. Obwohl nur Fachleute die feinen und regional gefärbten Unterschiede zwischen dem Outfit eines streng gläubigen Muslims, eines radikalen Islamisten oder gar eines Dschihad-Kämpfers erkennen können, ist klar: Diesen jungen Männern ist ihr Glaube wichtig; so wichtig, dass sie auch ablehnende Reaktionen ihrer Umwelt in Kauf nehmen. Über Franco sind zahlreiche Gerüchte im Umlauf; unangenehme Dinge. Doch Franco mag nicht darüber reden. Was über ihn erzählt werde, sei alles Quatsch. „Das ist ja zum Lachen, Mann!“. Die antisemitischen Sprüche, die er an eine Bretterwand gesprayt haben soll. Seine Hasstiraden auf Schwulen und Lesben, die zur Folge hatten, dass er eine besetzte Liegenschaft an der Basler Elsässerstrasse, die „Elsi“, verlassen musste. Seine wiederholten Gewaltausbrüche. Und vor allem der eine, massive Vorwurf: Dass Franco nämlich eine extremistische Gruppe mit dem Namen „Al Kaida Romanid“ gegründet habe. Ein „Kindergarten“ sei das alles, wiederholt Franco, als er sich nach mehreren vergeblichen Versuchen doch noch zu einem Treffen bereit erklärt. In einem türkischen Café nahe beim Voltaplatz, über den unablässig schwere Sattelschlepper und andere Fahrzeuge donnern, sitzt ein jüngerer Mann mit langem Bart und unsicherem Gesichtausdruck. Er trinkt eine Cola, wartet misstrauisch auf die Fragen des Journalisten. Was wollen Sie von mir? Wer hat sie geschickt? Was soll das Ganze? Franco nimmt nach einigem Zögern Stellung zu den Vorwürfen, die allesamt von jungen Menschen seines Alters stammen. Gewalttätige Übergriffe auf Mitbewohner der besetzten Häuser? Franco liefert eine vollkommen andere Version der Ereignisse, räumt aber ein, nach Provokationen vielleicht etwas überreagiert zu haben. Dass er Schwulen und Lesben nicht möge, sei ja wohl logisch angesichts seiner streng katholischen Erziehung. Seine Bekehrung zum strenggläubigen Muslim sei ja wohl Privatsache und gehe niemanden etwas an. Doch all die „saublöden“ Gerüchte von einer al-Kaida-Gruppe seien nun wirklich hirnverbrannt. Ja, vielleicht habe er in der Wut mal so was gesagt, sich zu einem dummen Spruch hinreissen lassen. Doch da sei, das könne er beschwören, überhaupt nichts dran. Vom Vorstadtjugendlichen zum streng gläubigen Muslim Lassen wir al-Kaida, schlage ich Franco vor. Erzählen Sie stattdessen, wie Sie zum Islam gefunden haben. Denn alle Recherchen in seinem Umfeld weisen eher drauf hin, dass Franco kaum ein „Schläfer“ ist, ein Mitglied einer islamistischen Kampftruppe, der nur darauf wartet, gegen den gottlosen Westen zuzuschlagen. Vieles an ihm wirkt naiv, unsicher, labil. Franco beginnt etwas Vertrauen zu fassen, erzählt. Geboren Ende der 70-er Jahre in Basel, in einer aus Sizilien stammenden Familie. Einfache Verhältnisse; beide Eltern arbeiten, sind katholisch, wenden sich aber später den „Zeugen Jehovas“ zu. Franco verbringt seine Kindheit im Arbeiterquartier St. Johann, in dem sich zunehmend Migranten niederlassen. Beginnt eine Lehre als Elektromonteur, die er aber bereits nach einem Jahr abbricht. Hängt herum. Fühlt sich den „Homeboys“, der HipHop-Bewegung zugehörig. Kifft, nimmt später auch härtere Drogen. Lebt abwechselnd von Gelegenheitsarbeiten und von der Fürsorge. Begeht ein paar Delikte in einer Jugendbande Schlägereien, Diebstähle - und macht auf diese Weise Bekanntschaft mit der Jugendanwaltschaft. Verkehrt – als einer der wenigen „Secondos“, wie er sagt - in besetzten Häusern und an einigen Orten der alternativen Subkultur. Ein unruhiges, schwieriges Leben. Eine verwirrte Seele? Dann findet Franco zum Islam. Lässt Alkohol und andere Drogen beiseite, meidet Partys, findet endlich Halt, Sicherheit, Orientierung. Wie war das möglich? Es war im Frühjahr 2002, sagt Franco, als ihm ein Freund vom Koran und von der „alles erleuchtenden Wahrheit“ des Islam erzählt hat. Zusammen besuchten sie eine Moschee. Da ist es passiert. „Als ich den Koran aufgemacht habe, habe ich Sicherheit bekommen“. Da war für ihn auf einmal klar, dass dies der richtige, der einzige, der unumstössliche Weg ist. Er kann sie sich nicht anders erklären, diese Zugkraft, diese Faszination der neu entdeckten Religion, als eben so: Es ist die wahre Botschaft. Die Wirkung liess nicht auf sich warten. „Seit ich zum Islam übergetreten bin“, sagt Franco beinahe euphorisch, „ fühle ich mich psychisch gestärkt“. Er spricht von einer „Therapie für Geist und Seele“, von seiner Suche nach echter Spiritualität, die nun ihr Ziel gefunden habe. In seinem Basler Dialekt, der immer wieder mit Jugendslang und Sprachgewohnheiten der italienischen Secondos durchsetzt ist, berichtet der neu bekehrte Muslim von seinen Erfahrungen. Allah gibt ihm nun „unsichtbaren Schutz mit Engeln“. Er fühlt sich, als ob er „aus der Finsternis ins Licht getreten sei“. Die zentrale Botschaft des Korans ist „eine Botschaft des Friedens“. Und Mohamed ist der letzte Prophet, der Menschheit „die absolute Wahrheit“ gebracht hat. Franco hat fest im Sinn, baldmöglichst eine Pilgerfahrt nach Mekka anzutreten und damit eine Glaubenspflicht als Muslim zu erfüllen. Denn in Saudi-Arabien, so weiss, der junge Konvertit, leben die Menschen „islamisch korrekt“; oder kurz gesagt: „Islam pur“. Einen langen Bart trägt Franco „aus Respekt vor dem Propheten“, und auch mit seiner Kleidung – einem langen, weissen Gewand und einem kleinen Käppchen - will er „bewusst zeigen“, dass er gläubiger Muslim sei. Dass auch Islamisten sich auf solche Weise zu erkennen geben, stört ihn nicht. Mit Dschihadisten und anderen radikalen Muslimen will Franco nichts am Hut haben. „Ich kenne niemanden, der Attentate begehen könnte“, sagt Franco im Brustton der Überzeugung. Der Dschihad, der im Deutschen fälschlich als „heiliger Krieg“ übersetzt werde, bedeute ohnehin klar „eine innere Anstrengung“ und nicht etwa Krieg. „So steht es im Koran, Mann!“ Die Anschuldigungen, er habe etwas mit radikalen Gruppen zu tun, sagt Franco mit Nachdruck, entbehrten deshalb jeder Grundlage. Eine abgeschottete Gemeinschaft Es scheint in der Tat, als handle es sich bei Franco um einen Konvertiten, der sein Heil in einem strengen Islam gefunden hat, aber mit radikalen Gruppen nicht wirklich etwas zu tun hat. Möglich, dass es ein paar unbedachte, nicht ganz ernst gemeinte Äusserungen waren, die zum Verdacht geführt haben, im Basler St. Johann-Quartier habe sich ein Ableger von Al-Kaida gebildet. Die Behörden haben auf jeden Fall keine Anhaltspunkte von einer derartigen Gruppierung. Dennoch ist das Ganze nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Denn Franco und seine Gesinnungsgenossen verkehren in einer Moschee, die sich nicht gerade um Transparenz bemüht. Es handelt sich um die „Arrahma“-Moschee an der Elsässerstrasse 128-130, nicht weit vom Verkehrsknotenpunkt Voltaplatz. Dahinter steht ein Verein mit demselben Namen, der im Frühjahr 2002 gegründet wurde. Das islamische Zentrum machte schon bald wegen fehlenden Bewilligungen und einzelnen Nachtruhestörungen von sich reden machte. Nach einer Vermittlung durch den damaligen Islam– Beauftragten der reformierten Kirche, Werner Schatz, scheinen sich die Konflikte mit der Nachbarschaft seither weitgehend gelegt zu haben. Verschlossene Türen Wer allerdings der Frage nachgehen will, was für ein Islam in dieser Basler Moschee praktiziert und vermittelt wird, stösst auf verschlossene Türen. Zwar wurden wir bei einem ersten, spontanen Besuch im Gebetsraum höflich empfangen. Doch im Anschluss erwies es sich als unmöglich, vom Imam der Moschee oder vom Präsidenten des Moscheevereins „Arrahma“ - zu deutsch „Barmherzigkeit“ - nähere Auskunft zu erhalten. Schriftlich eingereichte Fragen über die Ausrichtung der Moschee und über einzelne Punkte blieben trotz mehrmaligem Nachfragen unbeantwortet. Auch die Statuten des Vereins „Arrahma“ sind vollkommen unverbindlich gehalten („Förderung und Pflege der islamischen Kultur“) und lassen keinerlei Rückschlüsse zu auf die Ausrichtung der Moschee. Die Moscheeverantwortlichen – so muss gefolgert werden – sind nicht willens, über ihre Ausrichtung und ihre Aktivitäten zu informieren. Abspaltung von saudischer Moschee Die Ausrichtung der „Arrahma“-Moschee lässt sich dennoch in groben Zügen beschreiben. Unbestritten ist, dass es sich dabei um eine Abspaltung von Gläubigen der „Islamischen König FayçalStiftung“ handelt, eine Stiftung saudischen Ursprungs, die über ein Zentrum an der Basler Friedensgasse verfügt. Nabil Arab, der Direktor dieses Zentrum, mag nicht im Detail über die Gründe berichten, die vor mehr als zwei Jahren zum Auszug eines Teil der Gläubigen aus seinem Zentrum geführt haben. Eine Rolle sollen die neuen Richtlinien gespielt haben, welche die in Genf domizilierte „König Fayçal-Stiftung“ nach den Anschlägen vom 11/9 erlassen hatten. Diese sehen unter anderem die nächtliche Schliessung der Gebetshäuser und Einschränkungen bezüglich Besuchen von Muslimen aus anderen Ländern vor – zwei Punkte, welche die Dissidenten nicht akzeptieren mochten. Diese empfanden die „Friedensgasse“ zudem, so berichtet ein Insider, als zu wenig „fromm“ und strenggläubig. In der zu einer Moschee umgewandelten 5-Zimmer-Wohnung an der Elsässerstrasse versuchen sie seither den ihrer Ansicht nach richtigen Islam zu leben. Eine „sehr strenge Auslegung“ des Islam habe er bei einem Besuch in der „Arrahma“-Moschee vorgefunden, erinnert sich Werner Schatz, der sich 20 Jahre lang um den Kontakt mit Muslimen bemüht hat. Einer, der mehr über die Moschee „Arrahma“ weiss, ist Youssef Ibram, Imam der (damalige) Moschee an der Zürcher Rötelstrasse. Er habe schon an der „Elsässerstrasse“ gepredigt und kenne diese Gruppe recht gut, erklärte uns Ibram vor einigen Monaten. Sie gehörten zur Gruppe „Dawa wa Tabligh“ und seien aufrichtige, streng gläubige Muslime, die ihre etwas „einfache“ Sicht des Islam zu leben und zu verbreiten versuchten. Für ihn seien das „gute Menschen“, sagt Ibram, „Menschen, die den Frieden suchten“. In einem gewissen Sinn missionierten sie auch, indem sie versuchten, andere Muslime auf der Strasse anzusprechen und auf den richtigen Weg zurückzuführen. Politisch sei diese Gruppe allerdings überhaupt nicht. Diese Einschätzung deckt sich mit Beobachtungen, die sich in Basel machen lassen: Mitglieder der Arrahma-Moschee besuchten regelmässig ein Asylwohnheim in Basel, um dort Muslime, gelegentlich aber auch Nicht-Muslime, auf den „rechten Weg" zurückzuführen; im Fall von „Franco“ mit Erfolg. Es gibt nichts mehr zu sagen Gerne hätte ich noch mehr von Franco erfahren. Von seinem Leben, seinem Alltag. Von seinen Freunden in der Basler Arrahma-Moschee, die Journalisten keine Auskunft über ihre Tätigkeit und ihre Ausrichtung geben mögen. Von seinen Ideen über die Zukunft des Islam in Europa. Von seiner Meinung über das Attentat in den Niederlanden. Doch Franco will nicht mehr reden. „Es wäre toll wenn es kein Bericht“, lässt er mich per sms wissen. „Es hat nichts was für Medien wichtig ist.“ Alle Versuche, ihn ein weiteres Mal zu treffen, scheitern. Der junge Konvertit aus dem Basler St. Johann-Quartier hat nichts mehr zu sagen. (Dieser Artikel ist in einer stark gekürzten Fassung am 28. November 2004 in der NZZaS publiziert worden) Bildnachweis: http://www.paranormalknowledge.com/articles/wpcontent/uploads/2009/04/al-qaeda.png Missionarischer Islam Die „Tabligh“-Bewegung, die in den verschiedenen Ländern unter je unterschiedlichen Namen auftritt, wurde 1927 in Indien von Muhamad Ilyas gegründet. Sie gilt als grösste missionarische Bewegung innerhalb des Islam. Ähnlich wie Zeugen Jehovas gehen die „Tablighi“ von Haus zu Haus, um Menschen persönlich zu bekehren. Die Bewegung wird in der Fachliteratur als apolitisch und hierarchisch strukturiert beschrieben; das Hauptquartier befindet sich in Grossbritannien (Dewsbury). In Frankreich ist die Tabligh-Bewegung seit über 30 Jahre sehr präsent in den Banlieues von Paris und Lyon, aber auch in kleineren Städten wie Mulhouse. Sie nennt sich seit 1972 „Association Foi et Pratique“; vor einigen Jahren hat sich eine Gruppe namens „Tabligh wa dawa“ von ihr abgespalten. Diese islamische Bewegung hat laut dem Sozialwissenschafter Moussa Khedimallah, der sich intensiv mit „Foi et Pratique“ befasst hat, eine wichtige Rolle bei der Reislamisierung von dissozialen Vorstadtjugendlichen gespielt. Sie habe diesen Jugendlichen ermöglicht, eine „Würde“ zu finden, schreibt Khedimallah. Ganz ähnlich die Einschätzung von „Le Monde“: Die „extrem effiziente“ Tabligh-Bewegung übe eine grosse Anziehungskraft auf viele Vorstadtjugendliche aus, indem sie ihnen einen Lebenssinn anbiete. So positiv die Rolle Tabligh-Bewegung für die Sozialisierung dieser jungen Menschen sein kann, so klar ist auch, dass viele auf solche Weise „Bekehrten“ nicht bei dieser strikten, pietistisch anmutenden Auffassung des Islam bleiben. In Frankreich, so berichten verschiedene Quellen, sollen junge Muslime sowohl aus dem Umfeld der Tabligh-Bewegung wie auch der Salafisten zu Dschihad-Kämpfern geworden sein. Vor allem bei Konvertiten, die über ein Legitimitätsproblem verfügten, sei eine solche Radikalisierung in vielen Fällen zu beobachten gewesen. Bei einigen der bekannt gewordenen al-Kaida-Kämpfer handelt es sich in der Tat um junge Europäer, die zum Islam konvertiert sind. In Frankreich gehen Schätzungen von 50'000 zum Islam Konvertierten aus.