357_405_BIOsp_0409.qxd 09.06.2009 13:05 Uhr Seite 383 383 Molekulare Medizin Zystische Fibrose – pathophysiologische Konzepte KATRIN ANNE BECKER, JOACHIM RIETHMÜLLER, GERD DÖRING, ERICH GULBINS INSTITUT FÜR MOLEKUL ARBIOLOGIE, UNIVERSITÄTSKLINIKUM ESSEN, UNIVERSITÄT DUISBURG-ESSEN, ESSEN Nahezu alle Patienten mit zystischer Fibrose leiden an chronischen Lungeninfektionen, insbesondere mit Pseudomonas aeruginosa. Die molekularen Mechanismen der hohen Infektanfälligkeit dieser Patienten sind bislang nicht identifiziert. Cystic fibrosis patients very often suffer from chronic pulmonary infections, in particular with Pseudomonas aeruginosa. The molecular mechanisms of the very high infection susceptibility of these patients are presently unknown. Hypothesen zur Pathophysiologie zystischer Fibrose ó Zystische Fibrose (CF) entsteht durch Mutationen im cystic fibrosis transmembrane conductance regulator-Gen (human abgekürzt als CFTR-, murin als Cftr-Gen) [1]. Zystische Fibrose ist eine der häufigsten autosomal rezessiven Erbkrankheiten, zumindest in der EU und den USA. Mit einer Rate von einem betroffenen Kind auf 2.500 Geburten sind ca. 40.000 Kinder und junge Erwachsene in der EU erkrankt. Der genetische Defekt des CFTR-Moleküls führt zu verschiedenen klinischen Problemen mit insbesondere pulmonalen und gastrointestinalen Symptomen. Während im Verdauungstrakt die Sekretion pankreatischer Verdauungsenzyme in den Darm gestört ist, sodass das Wachstum und die Gewichtszunahme der Patienten vermindert ist, führen bakterielle Infektionen mit Pseudomonas aeruginosa, Staphylococcus aureus, Burkholderia cepacia oder Haemophilus influenzae zu chronischen Lungenentzündungen, die ein mehr oder weniger schnelles Lungenversagen und damit den frühzeitigen Tod der Patienten zur Folge haben. Die Ursache der hohen Anfälligkeit von Patienten mit zystischer Fibrose, bakterielle pulmonale Infektionen, insbesondere mit P. aeruginosa, zu entwickeln, ist letztlich noch unbekannt. BIOspektrum | 04.09 | 15. Jahrgang Das für die zystische Fibrose verantwortliche Genprodukt, CFTR, ist ein Protein, das aus 1.480 Aminosäuren mit einer Größe von ca. 170 kDa besteht und eine Chloridkanalfunktion aufweist [1]. Das Protein wird insbesondere in Epithelzellen des Respirationsund Gastrointestinaltrakts sowie der Haut, aber auch in Makrophagen, Endothelzellen und Lymphozyten exprimiert. Das Protein wurde sowohl in der Zellmembran als auch in intrazellulären Vesikeln, insbesondere Lysosomen, nachgewiesen. Dort fungiert es als Chloridkanal, scheint aber auch andere Moleküle transportieren zu können. Bei Patienten mit zystischer Fibrose wird CFTR aufgrund der Genmutationen entweder gar nicht in die Zellmembranen eingebaut, oder aber eingebaute CFTR-Moleküle weisen mehr oder weniger schwere Funktionsstörungen auf. Werden Chloridionen nur unzureichend von den Epithelzellen der Lunge in den darüberliegenden Mukusfilm abgegeben, erhöht sich dessen Viskosität [2]. Im Deutschen wird die Krankheit daher auch Mukoviszidose genannt. Als Folge der erhöhten Viskosität wird eine Abnahme der mukoziliären Clearance der Lunge diskutiert, da Zilien der Epithelzellen den Mukusfilm nicht mehr gerichtet aus der Lunge hinaustransportieren können. Dies wiederum wird als Ursache für die Lungeninfektionen, ausge- löst durch den Umweltkeim P. aeruginosa oder andere opportunistische bakterielle Infektionserreger angesehen, die nun nach dem Auftreffen auf die Mukusschicht nicht mehr eliminiert werden können, sondern sich in dieser schnell vermehren [2]. Untersuchungen an Patienten mit zystischer Fibrose konnten eine Störung der mukoziliären Clearance jedoch nicht sicher nachweisen [2]. Eine alternative Hypothese geht davon aus, dass ein gestörter Chloridtransport auf der Lungenoberfläche nicht zu erniedrigten, sondern erhöhten Salzkonzentrationen führt, und dadurch antibakterielle Moleküle des Patienten, so genannte Defensine, die von Epithelzellen des Respirationstrakts sezerniert werden, in ihrer Funktion beeinträchtigt werden [2]. Die Fehlfunktion dieser Peptide wiederum würde das Wachstum von P. aeruginosa begünstigen und zu Lungeninfektionen führen. Auch die Erklärung der P. aeruginosa-Lungeninfektion bei CF-Patienten durch eine defekte Internalisierung von P. aeruginosa in Lungenepithelzellen lässt viele Fragen offen. Lipopolysaccharide (LPS) der äußeren Membran von P. aeruginosa binden an die Aminosäuren 103–117 des CFTRMoleküls [3], was zur Internalisierung des Bakteriums und seinem intrazellulären Abbau führt. Fehlt auf den Lungenepithelzellen der CFTR-Rezeptor für P. aeruginosa kann sich der Infektionserreger im Mukusfilm ungestört vermehren und chronische Infektionen auslösen. Da aber P. aeruginosa auch unabhängig von CFTR aufgenommen werden kann und zudem in Cftr-defizienten Mäusen nicht nur die Internalisierung der Bakterien gestört ist, ist die biologische Bedeutung dieser Hypothese noch nicht völlig geklärt. Verschiedene Studien konnten zeigen, dass das CFTR-Molekül den lysosomalen pH-Wert in Makrophagen und Epithelzellen reguliert [2, 4–6]. Die Akkumulation von Protonen in Lysosomen erfordert entsprechende Gegenionen, z. B. Chloridionen, die über CFTR in Lysosomen gelangen. Fehlt CFTR ist der pH- 357_405_BIOsp_0409.qxd 384 09.06.2009 13:05 Uhr Seite 384 WISSENSCHAFT A B ˚ Abb. 1 A, Bei Infektion mit Pseudomonas aeruginosa kommt es unter normalen Bedingungen zur Abwehr der Bakterien durch Epithelzellen, die über CFTR die Bakterien internalisieren, durch schleimbildende Zellen in den submukosalen Drüsen und die Sekretion bakteriotoxischer Peptide sowie insbesondere durch neutrophile Granulozyten (PMN, hellblau) und Makrophagen (MØ, lila), die die Bakterien internalisieren und intrazellulär abbauen, aber auch extrazellulär durch Sauerstoffradikale, Proteasen, Lipasen und Nukleasen abtöten. B, Bei zystischer Fibrose werden diese Abwehrmechanismen gestört und die Bakterien können die Lunge kolonisieren. Durch CFTRMutation und -Fehlfunktion kommt es zu einer Akkumulation von Ceramid in Epithelzellen (1), wodurch eine chronische Entzündung entsteht (2), Epithelzellen absterben (3) und sich DNA auf den Epithelzellen ablagert. Die DNA erhöht die Adhäsion und Proliferation von P. aeruginosa und steigert die Viskosität des Schleims in den Atemwegen. Die Bakterien besiedeln schließlich die Lunge chronisch und befinden sich in den Atemwegen in Biofilmstrukturen, in denen sie vor den Abwehrmechanismen der Lunge geschützt sind (modifiziert aus [2], aus Cellular Microbiology). Wert in diesen Lysosomen dementsprechend alkalischer, was wiederum die Fähigkeit der Zellen, phagozytierte Bakterien abzubauen, vermindert. Weitere Auswirkungen der CFTRabhängigen pH-Änderung bei CF-Patienten werden nachfolgend im Zusammenhang mit Ceramiden diskutiert. P. aeruginosa induziert sowohl in Epithelzellen in vitro als auch fokal in der Lunge nach Infektion Zelltod [7]. Die Bakterien „missbrauchen“ dazu ein endogenes Rezeptor/ Liganden-System, das CD95-Rezeptor-/CD95Ligand-System, um Apoptose infizierter Zellen auszulösen. Versuche an Mäusen, die kein CD95 exprimierten, zeigten, dass die durch die Bakterien induzierte Apoptose für die Abwehr gegen die Bakterien in der Lunge von größter Wichtigkeit ist. Bei zystischer Fibrose ist die Induktion von Apoptose gestört [8], was zur hohen Infektionsanfälligkeit beitragen könnte. Diese Modelle der Pathophysiologie zystischer Fibrose erklären jedoch nicht Befunde, dass es in der Lunge von Patienten mit zystischer Fibrose bereits ohne bakterielle Infektion zu einer chronischen Entzündung der Lunge zu kommen scheint, wie Daten an Neugeborenen und abortierten Feten zeigen [9]. Zudem erklären diese Modelle die intrazelluläre Rolle von CFTR und die Funktion des Proteins in Makrophagen, Lymphozyten oder Endothelzellen nicht. In den letzten Jahren wurde daher als Ursache für die erhöhte Infektanfälligkeit von CFPatienten ein Ungleichgewicht zwischen pround anti-inflammatorischen Zytokinen in den Atemwegen diskutiert [10]. So ist insbesondere Interleukin-8 (IL-8) im Respirationstrakt bereits bei nicht infizierten Cftr-defizienten Mäusen im Vergleich zu normalen Mäusen erhöht. Die vermehrte Freisetzung pro-inflammatorischer Zytokine von CFTR-defizienten Epithelzellen korreliert mit einer erhöhten konstitutiven Aktivität von NFκB in diesen Zellen. Infektionen mit P. aeruginosa führen in Zellen mit mutiertem CFTR zu einer höheren Freisetzung von IL-1, IL-8, TNF-α, Mip-2 und KC als in Zellen, die Wildtyp-CFTR exprimieren. Gleichzeitig ist die Bildung antiinflammatorischer Zytokine, insbesondere von IL-10, in der Lunge Cftr-defizienter Mäuse sowohl unter basalen Bedingungen als auch nach bakterieller Infektion im Vergleich zu normalen Mäusen vermindert. Die Mechanismen, über die Cftr-Mutationen bzw. -Defizienz zu einer gesteigerten NFκB-Aktivität, einer vermehrten Freisetzung pro-inflammatorischer Zytokine und verminderten Freisetzung anti-inflammatorischer Zytokine führen, sind noch ungeklärt. Zystische Fibrose und Ceramid Etwas vereinfachend bestehen Zellmembranen aus Glycerophospholipiden, Sphingolipiden und Cholesterol. Das am häufigsten vorkommende Sphingolipid ist Sphingomyelin, das aus dem sehr hydrophoben Ceramidrest und der hydrophilen Phosphorylcholin-Kopfgruppe besteht. Ceramid ist ein Amidester aus der Sphingoidbase D-Erythrosphingosin und einer Fettsäure, die normalerweise eine Kettenlänge von 16 bis 26 C-Atomen besitzt. BIOspektrum | 04.09 | 15. Jahrgang 357_405_BIOsp_0409.qxd 09.06.2009 13:05 Uhr Seite 385 385 Daten unserer Arbeitsgruppe zeigen, dass Ceramid in Lungen Cftr-defizienter Mäuse akkumuliert [5]. Die Akkumulation von Ceramid in Cftr-defizienten Zellen wird durch die oben beschriebene Funktion von Cftr in Lysosomen verursacht: Unter normalen Bedingungen haben Lysosomen einen sauren pHWert, wodurch die Enzyme, die Ceramid bilden und wieder abbauen, das heißt die saure Sphingomyelinase und die saure Ceramidase, optimal arbeiten. Fehlt Cftr, steigt der pHWert an, wodurch die Aktivität der sauren Ceramidase, die Ceramid abbaut, fast vollständig blockiert wird, während die Aktivität der sauren Sphingomyelinase, die Ceramid freisetzt, durch die Alkalisierung des pH-Wertes nur um ca. 30 Prozent abnimmt. Durch das Ungleichgewicht der pH-sensitiven Enzyme kommt es zu einer Akkumulation von Ceramid in Lysosomen und später auch in anderen Membranen Cftr-defizienter Zellen. Die Akkumulation von Ceramid in Zellen des Respirationstrakts hat vielfältige biologische Konsequenzen: Ceramid löst verstärkt Zelltod aus, vermittelt eine erhöhte Freisetzung pro-inflammatorischer Zytokine und stört die mukoziliäre Clearance. Eine pharmakologische Blockade der sauren Sphingomyelinase, über die zelluläres Ceramid gebildet wird, mit Amitriptylin normalisiert zumindest im Tierversuch die Ceramidkonzentration, den Zelltod, die Freisetzung von Zytokinen und die mukoziliäre Clearance in der Lunge und den Bronchien Cftr-defizienter Mäuse. Insbesondere normalisiert die Blockade der sauren Sphingomyelinase mit Amitriptylin und die Reduktion der Ceramidkonzentration in Cftr-defizienten Mäusen auch die erhöhte Anfälligkeit dieser Mäuse, pulmonale P. aeruginosa-Infektionen zu entwickeln (Abb. 1). Ein erster Behandlungsversuch mit Amitriptylin an vier freiwilligen erwachsenen Patienten ergab eine deutliche Verbesserung der Lungenfunktion bereits nach wenigen Wochen Therapie. Diese Befunde müssen jedoch noch in einer größeren klinischen Studie bestätigt werden, bevor eine neue Therapie beruhend auf einer Manipulation des Sphingolipidstoffwechsels bei Patienten mit zystischer Fibrose vorgeschlagen werden kann. ó [5] Teichgräber V, Ulrich M, Riethmüller J, Grassme H, Wilker B, De Oliveira-Munding CC, van Heeckeren AM, Barr ML, von Kürthy G, Schmid KW, Weller M, Tümmler B, Lang F, Grassme H, Döring G, Gulbins E (2008) Ceramide accumulation mediates inflammation, cell death and infection susceptibility in CF. Nature Med 14:382–391. [6] Noe J, Petrusca D, Rush N, Deng P, Vandemark M, Berdyshev E, Gu Y, Smith P, Schweitzer K, Pilewsky J, Natarajan V, Xu Z, Obhukov AG, Petrache I (2009) CFTR regulation of intracellular pH and ceramides is required for lung endothelial cell apoptosis. Am J Respir Cell Mol Biol, DOI:10.1165/rcmb.2008-0264OC. [7] Grassmé H, Kirschnek S, Riethmueller J, Riehle A, von Kürthy G, Lang F, Welle M, Gulbins E (2000) Host defense to Pseudomonas aeruginosa requires CD95/CD95 ligand interaction on epithelial cells. Science 290:527–530. [8] Kowalski MP, Pier GB (2004) Localization of cystic fibrosis transmembrane conductance regulator to lipid rafts of epithelial cells is required for Pseudomonas aeruginosa-induced cellular activation. J Immunol 172:418–425. [9] Verhaeghe C, Delbecque K, de Leval L, Oury C, Bours V (2007) Early inflammation in the airways of a cystic fibrosis foetus. J Cyst Fibro 6:304–308. [10] Rottner M, Freyssinet JM, Martínez MC (2009) Mechanisms of the noxious inflammtory cycle in cystic fibrosis. Respir Res 213:10–23. Literatur Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Erich Gulbins Institut für Molekularbiologie Universitätsklinikum Essen Universität Duisburg-Essen Hufelandstraße 55 D-45122 Essen Tel.: 0201–723–3418 Fax: 0201–723–5974 [email protected] [1] Ratjen F, Döring G (2003) Cystic fibrosis. Lancet 361:681– 689. [2] Döring G, Gulbins E (2009) Cystic fibrosis and innate immunity: How chloride channel mutations provoke lung disease. Cell Microbiol 11:208–216. [3] Pier GB (2000) Role of the CF transmembrane conductance regulator in innate immunity to Pseudomonas aeruginosa infections. Proc Natl Acad Sci USA 97:8822–8828. [4] Barasch J, Kiss B, Prince A, Saiman L, Gruenert D, alAwqati Q (1991) Defective acidification of intracellular organelles in CF. Nature 352:70–73. AUTOREN Katrin Anne Becker Gerd Döring 1996–2001 Studium der Biologie an der Universität Mainz. 2001–2005 Promotion und Postdoktorandin am Institut für Mikrobiologie und Hygiene, Mainz. 2005–2006 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für experimentelle Dermatologie, Universität Witten/Herdecke. Seit 2007 Postdoktorandin am Institut für Molekularbiologie, Universität Duisburg-Essen. 1969–1975 Studium der Chemie und Pharmazie an der Universität Tübingen. 1975–1978 Promotion in Organischer Chemie. 1986 Habilitation für das Fach Experimentelle Hygiene und experimentelle medizinische Mikrobiologie. Bis heute Arbeitsgruppenleiter „Cystische Fibrose“, Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene des Universitätsklinikums Tübingen. Joachim Riethmüller Erich Gulbins 1983–1992 Studium und Dissertation an der Humanmedizin Universität Tübingen. 1999 Facharzt für Kinderheilkunde. 2000 Weiterbildung „Spezielle Pädiatrische Intensivmedizin“. Seit 2004 Leiter des pädiatrischen Sekretariates zur Durchführung klinischer Studien. 2009 Habilitation eingereicht. 1985–1991 Studium der Humanmedizin und Promotion an den Universitäten Heidelberg, Guy’s Hospital, London, UK, Louisville, Kentucky, USA. 1996 Habilitation in Physiologie, Universität Tübingen. 2000–2002 Associate Professor, Dept. of Immunology, St. Jude Children’s Research Hospital, Memphis, USA. Seit 2001 Direktor des Institutes für Molekularbiologie, Universität Essen-Duisburg BIOspektrum | 04.09 | 15. Jahrgang