Zystische Fibrose – pathophysiologische Konzepte

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Molekulare Medizin
Zystische Fibrose –
pathophysiologische Konzepte
KATRIN ANNE BECKER, JOACHIM RIETHMÜLLER, GERD DÖRING, ERICH GULBINS
INSTITUT FÜR MOLEKUL ARBIOLOGIE, UNIVERSITÄTSKLINIKUM ESSEN,
UNIVERSITÄT DUISBURG-ESSEN, ESSEN
Nahezu alle Patienten mit zystischer Fibrose leiden an chronischen
Lungeninfektionen, insbesondere mit Pseudomonas aeruginosa. Die
molekularen Mechanismen der hohen Infektanfälligkeit dieser Patienten
sind bislang nicht identifiziert.
Cystic fibrosis patients very often suffer from chronic pulmonary infections, in particular with Pseudomonas aeruginosa. The molecular mechanisms of the very high infection susceptibility of these patients are presently unknown.
Hypothesen zur Pathophysiologie
zystischer Fibrose
ó Zystische Fibrose (CF) entsteht durch
Mutationen im cystic fibrosis transmembrane
conductance regulator-Gen (human abgekürzt
als CFTR-, murin als Cftr-Gen) [1]. Zystische
Fibrose ist eine der häufigsten autosomal
rezessiven Erbkrankheiten, zumindest in der
EU und den USA. Mit einer Rate von einem
betroffenen Kind auf 2.500 Geburten sind
ca. 40.000 Kinder und junge Erwachsene in
der EU erkrankt. Der genetische Defekt des
CFTR-Moleküls führt zu verschiedenen klinischen Problemen mit insbesondere pulmonalen und gastrointestinalen Symptomen.
Während im Verdauungstrakt die Sekretion
pankreatischer Verdauungsenzyme in den
Darm gestört ist, sodass das Wachstum und
die Gewichtszunahme der Patienten vermindert ist, führen bakterielle Infektionen
mit Pseudomonas aeruginosa, Staphylococcus
aureus, Burkholderia cepacia oder Haemophilus influenzae zu chronischen Lungenentzündungen, die ein mehr oder weniger
schnelles Lungenversagen und damit den
frühzeitigen Tod der Patienten zur Folge
haben. Die Ursache der hohen Anfälligkeit
von Patienten mit zystischer Fibrose, bakterielle pulmonale Infektionen, insbesondere
mit P. aeruginosa, zu entwickeln, ist letztlich
noch unbekannt.
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Das für die zystische Fibrose verantwortliche Genprodukt, CFTR, ist ein Protein, das
aus 1.480 Aminosäuren mit einer Größe von
ca. 170 kDa besteht und eine Chloridkanalfunktion aufweist [1]. Das Protein wird insbesondere in Epithelzellen des Respirationsund Gastrointestinaltrakts sowie der Haut,
aber auch in Makrophagen, Endothelzellen
und Lymphozyten exprimiert. Das Protein
wurde sowohl in der Zellmembran als auch in
intrazellulären Vesikeln, insbesondere Lysosomen, nachgewiesen. Dort fungiert es als
Chloridkanal, scheint aber auch andere Moleküle transportieren zu können.
Bei Patienten mit zystischer Fibrose wird
CFTR aufgrund der Genmutationen entweder gar nicht in die Zellmembranen eingebaut, oder aber eingebaute CFTR-Moleküle
weisen mehr oder weniger schwere Funktionsstörungen auf. Werden Chloridionen nur
unzureichend von den Epithelzellen der Lunge in den darüberliegenden Mukusfilm abgegeben, erhöht sich dessen Viskosität [2]. Im
Deutschen wird die Krankheit daher auch
Mukoviszidose genannt. Als Folge der erhöhten Viskosität wird eine Abnahme der mukoziliären Clearance der Lunge diskutiert, da
Zilien der Epithelzellen den Mukusfilm nicht
mehr gerichtet aus der Lunge hinaustransportieren können. Dies wiederum wird als
Ursache für die Lungeninfektionen, ausge-
löst durch den Umweltkeim P. aeruginosa
oder andere opportunistische bakterielle
Infektionserreger angesehen, die nun nach
dem Auftreffen auf die Mukusschicht nicht
mehr eliminiert werden können, sondern
sich in dieser schnell vermehren [2]. Untersuchungen an Patienten mit zystischer Fibrose konnten eine Störung der mukoziliären
Clearance jedoch nicht sicher nachweisen
[2]. Eine alternative Hypothese geht davon
aus, dass ein gestörter Chloridtransport auf
der Lungenoberfläche nicht zu erniedrigten,
sondern erhöhten Salzkonzentrationen führt,
und dadurch antibakterielle Moleküle des
Patienten, so genannte Defensine, die von
Epithelzellen des Respirationstrakts sezerniert werden, in ihrer Funktion beeinträchtigt werden [2]. Die Fehlfunktion dieser
Peptide wiederum würde das Wachstum von
P. aeruginosa begünstigen und zu Lungeninfektionen führen. Auch die Erklärung der
P. aeruginosa-Lungeninfektion bei CF-Patienten durch eine defekte Internalisierung von
P. aeruginosa in Lungenepithelzellen lässt
viele Fragen offen. Lipopolysaccharide (LPS)
der äußeren Membran von P. aeruginosa binden an die Aminosäuren 103–117 des CFTRMoleküls [3], was zur Internalisierung des
Bakteriums und seinem intrazellulären
Abbau führt. Fehlt auf den Lungenepithelzellen der CFTR-Rezeptor für P. aeruginosa
kann sich der Infektionserreger im Mukusfilm ungestört vermehren und chronische
Infektionen auslösen. Da aber P. aeruginosa
auch unabhängig von CFTR aufgenommen
werden kann und zudem in Cftr-defizienten
Mäusen nicht nur die Internalisierung der
Bakterien gestört ist, ist die biologische
Bedeutung dieser Hypothese noch nicht völlig geklärt.
Verschiedene Studien konnten zeigen, dass
das CFTR-Molekül den lysosomalen pH-Wert
in Makrophagen und Epithelzellen reguliert
[2, 4–6]. Die Akkumulation von Protonen in
Lysosomen erfordert entsprechende Gegenionen, z. B. Chloridionen, die über CFTR in
Lysosomen gelangen. Fehlt CFTR ist der pH-
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WISSENSCHAFT
A
B
˚ Abb. 1 A, Bei Infektion mit Pseudomonas aeruginosa kommt es unter normalen Bedingungen
zur Abwehr der Bakterien durch Epithelzellen, die über CFTR die Bakterien internalisieren, durch
schleimbildende Zellen in den submukosalen Drüsen und die Sekretion bakteriotoxischer Peptide
sowie insbesondere durch neutrophile Granulozyten (PMN, hellblau) und Makrophagen (MØ, lila),
die die Bakterien internalisieren und intrazellulär abbauen, aber auch extrazellulär durch Sauerstoffradikale, Proteasen, Lipasen und Nukleasen abtöten. B, Bei zystischer Fibrose werden diese
Abwehrmechanismen gestört und die Bakterien können die Lunge kolonisieren. Durch CFTRMutation und -Fehlfunktion kommt es zu einer Akkumulation von Ceramid in Epithelzellen (1),
wodurch eine chronische Entzündung entsteht (2), Epithelzellen absterben (3) und sich DNA auf
den Epithelzellen ablagert. Die DNA erhöht die Adhäsion und Proliferation von P. aeruginosa und
steigert die Viskosität des Schleims in den Atemwegen. Die Bakterien besiedeln schließlich die
Lunge chronisch und befinden sich in den Atemwegen in Biofilmstrukturen, in denen sie vor den
Abwehrmechanismen der Lunge geschützt sind (modifiziert aus [2], aus Cellular Microbiology).
Wert in diesen Lysosomen dementsprechend
alkalischer, was wiederum die Fähigkeit der
Zellen, phagozytierte Bakterien abzubauen,
vermindert. Weitere Auswirkungen der CFTRabhängigen pH-Änderung bei CF-Patienten
werden nachfolgend im Zusammenhang mit
Ceramiden diskutiert.
P. aeruginosa induziert sowohl in Epithelzellen in vitro als auch fokal in der Lunge nach
Infektion Zelltod [7]. Die Bakterien „missbrauchen“ dazu ein endogenes Rezeptor/
Liganden-System, das CD95-Rezeptor-/CD95Ligand-System, um Apoptose infizierter Zellen auszulösen. Versuche an Mäusen, die kein
CD95 exprimierten, zeigten, dass die durch
die Bakterien induzierte Apoptose für die
Abwehr gegen die Bakterien in der Lunge von
größter Wichtigkeit ist. Bei zystischer Fibrose ist die Induktion von Apoptose gestört [8],
was zur hohen Infektionsanfälligkeit beitragen könnte.
Diese Modelle der Pathophysiologie zystischer Fibrose erklären jedoch nicht Befunde,
dass es in der Lunge von Patienten mit zystischer Fibrose bereits ohne bakterielle Infektion zu einer chronischen Entzündung der
Lunge zu kommen scheint, wie Daten an Neugeborenen und abortierten Feten zeigen [9].
Zudem erklären diese Modelle die intrazelluläre Rolle von CFTR und die Funktion des
Proteins in Makrophagen, Lymphozyten oder
Endothelzellen nicht.
In den letzten Jahren wurde daher als Ursache für die erhöhte Infektanfälligkeit von CFPatienten ein Ungleichgewicht zwischen pround anti-inflammatorischen Zytokinen in den
Atemwegen diskutiert [10]. So ist insbesondere Interleukin-8 (IL-8) im Respirationstrakt
bereits bei nicht infizierten Cftr-defizienten
Mäusen im Vergleich zu normalen Mäusen
erhöht. Die vermehrte Freisetzung pro-inflammatorischer Zytokine von CFTR-defizienten
Epithelzellen korreliert mit einer erhöhten
konstitutiven Aktivität von NFκB in diesen
Zellen. Infektionen mit P. aeruginosa führen
in Zellen mit mutiertem CFTR zu einer höheren Freisetzung von IL-1, IL-8, TNF-α, Mip-2
und KC als in Zellen, die Wildtyp-CFTR exprimieren. Gleichzeitig ist die Bildung antiinflammatorischer Zytokine, insbesondere
von IL-10, in der Lunge Cftr-defizienter Mäuse sowohl unter basalen Bedingungen als
auch nach bakterieller Infektion im Vergleich
zu normalen Mäusen vermindert. Die Mechanismen, über die Cftr-Mutationen bzw. -Defizienz zu einer gesteigerten NFκB-Aktivität,
einer vermehrten Freisetzung pro-inflammatorischer Zytokine und verminderten Freisetzung anti-inflammatorischer Zytokine führen, sind noch ungeklärt.
Zystische Fibrose und Ceramid
Etwas vereinfachend bestehen Zellmembranen aus Glycerophospholipiden, Sphingolipiden und Cholesterol. Das am häufigsten vorkommende Sphingolipid ist Sphingomyelin,
das aus dem sehr hydrophoben Ceramidrest
und der hydrophilen Phosphorylcholin-Kopfgruppe besteht. Ceramid ist ein Amidester
aus der Sphingoidbase D-Erythrosphingosin
und einer Fettsäure, die normalerweise eine
Kettenlänge von 16 bis 26 C-Atomen besitzt.
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Daten unserer Arbeitsgruppe zeigen, dass
Ceramid in Lungen Cftr-defizienter Mäuse
akkumuliert [5]. Die Akkumulation von Ceramid in Cftr-defizienten Zellen wird durch die
oben beschriebene Funktion von Cftr in Lysosomen verursacht: Unter normalen Bedingungen haben Lysosomen einen sauren pHWert, wodurch die Enzyme, die Ceramid bilden und wieder abbauen, das heißt die saure
Sphingomyelinase und die saure Ceramidase,
optimal arbeiten. Fehlt Cftr, steigt der pHWert an, wodurch die Aktivität der sauren
Ceramidase, die Ceramid abbaut, fast vollständig blockiert wird, während die Aktivität
der sauren Sphingomyelinase, die Ceramid
freisetzt, durch die Alkalisierung des pH-Wertes nur um ca. 30 Prozent abnimmt. Durch
das Ungleichgewicht der pH-sensitiven Enzyme kommt es zu einer Akkumulation von
Ceramid in Lysosomen und später auch in
anderen Membranen Cftr-defizienter Zellen.
Die Akkumulation von Ceramid in Zellen des
Respirationstrakts hat vielfältige biologische
Konsequenzen: Ceramid löst verstärkt Zelltod aus, vermittelt eine erhöhte Freisetzung
pro-inflammatorischer Zytokine und stört die
mukoziliäre Clearance. Eine pharmakologische Blockade der sauren Sphingomyelinase,
über die zelluläres Ceramid gebildet wird,
mit Amitriptylin normalisiert zumindest im
Tierversuch die Ceramidkonzentration, den
Zelltod, die Freisetzung von Zytokinen und
die mukoziliäre Clearance in der Lunge und
den Bronchien Cftr-defizienter Mäuse. Insbesondere normalisiert die Blockade der sauren Sphingomyelinase mit Amitriptylin und
die Reduktion der Ceramidkonzentration in
Cftr-defizienten Mäusen auch die erhöhte
Anfälligkeit dieser Mäuse, pulmonale P. aeruginosa-Infektionen zu entwickeln (Abb. 1).
Ein erster Behandlungsversuch mit Amitriptylin an vier freiwilligen erwachsenen
Patienten ergab eine deutliche Verbesserung
der Lungenfunktion bereits nach wenigen
Wochen Therapie. Diese Befunde müssen
jedoch noch in einer größeren klinischen Studie bestätigt werden, bevor eine neue Therapie beruhend auf einer Manipulation des
Sphingolipidstoffwechsels bei Patienten mit
zystischer Fibrose vorgeschlagen werden
kann.
ó
[5] Teichgräber V, Ulrich M, Riethmüller J, Grassme H, Wilker
B, De Oliveira-Munding CC, van Heeckeren AM, Barr ML, von
Kürthy G, Schmid KW, Weller M, Tümmler B, Lang F,
Grassme H, Döring G, Gulbins E (2008) Ceramide accumulation mediates inflammation, cell death and infection susceptibility in CF. Nature Med 14:382–391.
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DOI:10.1165/rcmb.2008-0264OC.
[7] Grassmé H, Kirschnek S, Riethmueller J, Riehle A, von
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[9] Verhaeghe C, Delbecque K, de Leval L, Oury C, Bours V
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[10] Rottner M, Freyssinet JM, Martínez MC (2009)
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Literatur
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Erich Gulbins
Institut für Molekularbiologie
Universitätsklinikum Essen
Universität Duisburg-Essen
Hufelandstraße 55
D-45122 Essen
Tel.: 0201–723–3418
Fax: 0201–723–5974
[email protected]
[1] Ratjen F, Döring G (2003) Cystic fibrosis. Lancet 361:681–
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AUTOREN
Katrin Anne Becker
Gerd Döring
1996–2001 Studium der Biologie an der Universität Mainz.
2001–2005 Promotion und Postdoktorandin am Institut für
Mikrobiologie und Hygiene, Mainz. 2005–2006 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für experimentelle Dermatologie, Universität Witten/Herdecke. Seit 2007 Postdoktorandin am Institut für Molekularbiologie, Universität
Duisburg-Essen.
1969–1975 Studium der Chemie und Pharmazie an der
Universität Tübingen. 1975–1978 Promotion in Organischer Chemie. 1986 Habilitation für das Fach Experimentelle Hygiene und experimentelle medizinische Mikrobiologie. Bis heute Arbeitsgruppenleiter „Cystische Fibrose“,
Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene des
Universitätsklinikums Tübingen.
Joachim Riethmüller
Erich Gulbins
1983–1992 Studium und Dissertation an der Humanmedizin
Universität Tübingen. 1999 Facharzt für Kinderheilkunde.
2000 Weiterbildung „Spezielle Pädiatrische Intensivmedizin“. Seit 2004 Leiter des pädiatrischen Sekretariates zur
Durchführung klinischer Studien. 2009 Habilitation eingereicht.
1985–1991 Studium der Humanmedizin und Promotion an
den Universitäten Heidelberg, Guy’s Hospital, London, UK,
Louisville, Kentucky, USA. 1996 Habilitation in Physiologie, Universität Tübingen. 2000–2002 Associate Professor, Dept. of Immunology, St. Jude Children’s Research
Hospital, Memphis, USA. Seit 2001 Direktor des Institutes
für Molekularbiologie, Universität Essen-Duisburg
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