Länger überleben dank Früherkennung

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NZZ am Sonntag
1. Februar 2009
Mensch&Medizin
77
Gebremster
Urin-Strahl
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Diagnose
Felicitas Witte
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F
In der Schweiz werden Neugeborene derzeit auf sechs angeborene Stoffwechselerkrankungen getestet. (A1Pix)
Länger überleben dank
Früherkennung
In einigen Ländern werden Neugeborene routinemässig auf zystische Fibrose hin
untersucht. Das fordern Fachleute jetzt auch für die Schweiz. Von Anna Klott
In der Schweiz werden Neugeborene
derzeit auf sechs angeborene Stoffwechselerkrankungen getestet. Die
zystische Fibrose (CF) ist nicht dabei.
Denn bisher fehlte der Nachweis, dass
eine frühzeitige Diagnose den kleinen
Patienten wirklich einen Vorteil bringt.
Neuere Studien zeigen aber: Früh behandelte Kinder sind besser ernährt
und werden grösser, ihr Gehirn entwickelt sich besser, sie kommen seltener
ins Spital und haben eine bessere Lungenfunktion. Es gibt sogar Hinweise,
dass sie länger überleben. Die Studien
stammen aus den USA und Australien,
also aus Ländern, wo man die Neugeborenen schon seit Jahren routinemässig auf CF untersucht. Nationale Screening-Programme gibt es heute auch in
Neuseeland, Österreich, Frankreich,
Irland, England, Schottland und Polen.
die Ärzte wegen der Durchfälle zuletzt
auf Zöliakie. Eine tiefgreifende Untersuchung auf CF «fand erst auf Drängen
von uns Eltern statt», sagt Mülhauser.
Heute geht es Oliver besser, aber nur
dank der passenden Therapie. Für
Mülhauser ist klar: «Je früher die Diagnose gestellt werden kann, desto eher
ist die Krankheit in den Griff zu kriegen und ein geregeltes Familienleben
möglich.» Eine noch so aufwendige
Therapie in das Alltagsleben zu integrieren, sei immer noch besser, «als
mit einem latent schlechten Gesundheitszustand und der damit verbunde-
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«Oliver wuchs nicht
richtig und hat kaum
zugenommen. Er war oft
krank und hatte mehrere
Lungenentzündungen.»
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nen Ungewissheit zu leben». Die
Schweizerische Gesellschaft für zystische Fibrose setzt sich ebenfalls für die
Einführung
eines
NeugeborenenScreenings in der Schweiz ein.
Heikle Fälle möglich
Odyssee verhindern
In der Schweiz hingegen haben Betroffene bis zur Diagnose CF oft «eine
wahre Odyssee hinter sich», sagt Jürg
Barben vom Ostschweizer Kinderspital
in St. Gallen und Präsident der Schweizerischen Ärztevereinigung für zystische Fibrose. Manchmal vergehen Jahre, bis sie wissen, an welcher Krankheit
sie leiden. Erst dann aber können die
Symptome richtig behandelt und Schäden in den Organen einigermassen in
Grenzen gehalten werden.
Als Beispiel nennt Barben den Fall
eines Kindes, das wegen wiederkehrender Lungenentzündungen jahrelang
und bei verschiedenen Ärzten in Behandlung war. Als einer von ihnen CF
diagnostizierte, war das Kind bereits
zehn Jahre alt. «Mit einem Screening
wäre ihm dieser Leidensweg und den
Eltern die Ungewissheit von vorneherein erspart geblieben», sagt Barben.
Bruno Mülhauser, Präsident der
Schweizerischen Gesellschaft für zystische Fibrose, kennt die Problematik
auch aus persönlicher Erfahrung. Sein
Sohn Oliver war zweieinhalb Jahre alt,
als im Jahre 1996 die Diagnose CF fiel.
«Oliver wuchs nicht richtig und hat an
Gewicht kaum zugenommen. Er war
oft krank und hatte mehrere Lungenentzündungen durchgemacht.» Nach
verschiedenen Fehldiagnosen tippten
Bei einem solchen Screening wird
das Blut, das den Neugeborenen für die
Untersuchung auf die anderen Stoffwechselkrankheiten entnommen wird,
auf ein weiteres Protein getestet. Ist
der Wert für das immunreaktive Trypsin erhöht, deutet das auf eine zystische Fibrose hin. In diesem Fall untersucht man das Blut gezielt auf die
häufigsten Veränderungen im Erbgut
(Mutationen), die eine klassische zystische Fibrose auslösen. Findet man solche Mutationen, wird das Baby in ein
CF-Zentrum überwiesen. Dort werden
weitere Untersuchungen durchgeführt,
zum Beispiel ein Schweisstest. Bei den
Betroffenen zeigt sich ein zu hoher
Chloridgehalt im Schweiss.
Patientin mit zystischer Fibrose: Das Inhalieren hilft, den zähen Schleim zu lösen. (SPL)
Lebenserwartung liegt heute bei 40 Jahren
Etwa eines von 2500 Babys in der
Schweiz ist von zystischer Fibrose betroffen. Bei dieser angeborenen Stoffwechselstörung bildet sich in verschiedenen
Organen zäher Schleim; besonders betroffen sind die Lunge und die Bauchspeicheldrüse. Unbehandelt leiden Babys und Kleinkinder an ständigem Husten und Entzündungen der Atemwege
sowie unter einer Gedeihstörung. Bei
älteren Kindern und Erwachsenen entwickeln sich zusätzlich Symptome wie
Entzündungen der Gallenblase, Leberzirrhose, Diabetes und Osteoporose.
Die Krankheit ist fortschreitend und
unheilbar. Dank neuen Medikamenten
hat sich die mittlere Lebenserwartung
der Betroffenen aber deutlich erhöht.
Sie liegt heute bei 40 Jahren. Aufgrund
verbesserter Antibiotikatherapien gelingt
es heute zudem, die Entzündungen in der
Lunge besser zu bekämpfen. Sie entstehen dadurch, dass der zähe Schleim in
der Lunge den Abtransport von Krankheitserregern und Schmutz verhindert.
In besonders schweren Fällen wird die
Lunge transplantiert.
Gegen die eigentlichen Ursachen der
zystischen Fibrose gibt es im Moment
noch keine Mittel. Forscher versuchen
einerseits, eine Gentherapie zu entwickeln. Ein weiterer Ansatz besteht darin,
das defekte Chlorid-Transport-Molekül in
den Membranen der Schleimhäute zu
reparieren oder in seiner Funktion zu
unterstützen. Anna Klott
Damit die zystische Fibrose ausbricht,
müssen beide Elternteile entsprechende Mutationen weitergegeben haben.
Insgesamt können mehr als 1600 Mutationen zu zystischer Fibrose führen.
Viele haben eine milde Form der
Krankheit zur Folge, die sich kaum
oder erst im späteren Leben bemerkbar macht. Diese Patienten kommen
lange ohne Therapie aus, eine frühzeitige Diagnose könnte für die Kinder
und ihre Eltern eine unnötige Belastung bedeuten. Deshalb wird bei einem
Neugeborenen-Screening gezielt nach
den häufigsten sechs bis zehn Mutationen gesucht, die mit einem schweren
Krankheitsverlauf einhergehen.
Heikle Fälle sind damit aber nicht
ausgeschlossen. So kann das Screening
positiv ausfallen bei Babys, die zwar
Träger eines CF-Gens sind, selbst aber
nie Symptome entwickeln werden. Erst
ein Schweisstest kann Gewissheit geben. Noch schwieriger ist die umgekehrte Situation: Zwei bis vier Prozent
der Neugeborenen mit schwerer CF
werden trotz allem negativ getestet.
Eine Vorstudie zur Einführung des
CF-Screenings für Neugeborene in der
Schweiz ist bereits in Planung, muss
aber erst noch von der Ethikkommission bewilligt werden. Dabei geht es
auch um die Wirtschaftlichkeit. Experten schätzen, dass die Einsparungen
durch die frühe Behandlung die Kosten
für das Screening deutlich überwiegen.
ast ständig spürt der 17-Jährige Harndrang. Doch auch
wenn er dringend muss, ist
sein Urinstrahl schwach
und dünn. Ab und zu bricht
er sogar ab, ohne dass er es will. Es
dauert ewig, bis seine Blase geleert
ist. Schon seit einem Jahr hat er diese
Beschwerden. Als es aber immer
schlimmer wird, sucht er endlich
seinen Hausarzt auf.
Dieser fragt ihn, ob er in der letzten
Zeit eine Harnwegsinfektion oder einen Unfall im Bereich des Unterleibs
gehabt habe. Der junge Mann verneint.
Der Arzt untersucht ihn sorgfältig
und schaut sich Nieren und Blase mit
dem Ultraschall an. Er findet aber
nichts Auffälliges. Nun muss der junge
Mann in einen speziellen Behälter
Wasser lösen. Dabei misst der Arzt,
wie schnell der Harn fliesst. Nur zehn
Milliliter pro Sekunde – normalerweise sollte es mindestens doppelt so
viel sein! Irgendetwas bremst den
Urin im Bereich der Harnwege. Um
die Engstelle zu lokalisieren, spritzt
der Mediziner Kontrastmittel in die
Öffnung der Harnröhre am Penis und
fertigt eine Röntgenaufnahme an.
Als der Arzt das Bild sieht, hat er
die Problemstelle gefunden: Während
die Harnröhre im Penis durch das
weisse Kontrastmittel als fingerdicke
Linie gut sichtbar ist, kann er die
Röhre bei ihrem Abgang aus der Blase
nur als hauchdünnen Strich erkennen.
Kein Wunder, dass hier kein Urin
nach aussen gelangt.
Wenige Tage später wird der junge
Mann operiert. Die Urologen entfernen die Engstelle in der Harnröhre
mitsamt einem kugeligen Gebilde
drum herum, welches die Röhre zusammengedrückt hat. Die Enden der
Röhre nähen sie wieder aneinander.
Ein Pathologe untersucht das entfernte Gewebe und stellt fest, dass es sich
um ein sogenanntes Leiomyom handelt, eine gutartige Wucherung, die
aus Muskelzellen entsteht. Sie kommen am häufigsten in der Gebärmutter vor, bei Männern sind sie selten.
Nach der Operation erholt sich der
junge Mann rasch. Schon kurz darauf
fliesst sein Harn beim Wasserlassen
wieder kräftig und schnell.
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Quelle: «Aktuelle Urologie», Bd. 39, S. 150.
Medizin-News
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COLOURBOX
Kaffee schützt vor Alzheimer
Kaffee macht nicht nur morgens munter,
er hält auch auf lange Sicht wach: Wer im
mittleren Lebensalter viel Kaffee trinkt,
senkt möglicherweise sein Alzheimerrisiko. Forscher haben 1400 Männer und
Frauen nach ihrem Kaffeekonsum befragt.
(«Journal of Alzheimer's Disease», Bd. 16,
S. 85). 20 Jahre später waren 61 der inzwischen 65- bis 79-Jährigen an Demenz
erkrankt. Unter Berücksichtigung von
Blutdruck, Cholesterin und anderen bekannten Risikofaktoren für Alzheimer fanden die Forscher, dass jene Personen, die
3 bis 5 Tassen Kaffee täglich konsumiert
hatten, das geringste Alzheimerrisiko aufwiesen. Wieso dem so ist, ist unklar. Möglicherweise spielt der Diabetes eine Rolle,
der seinerseits das Demenzrisiko erhöht.
In früheren Studien konnte gezeigt werden, dass, wer regelmässig Kaffee trinkt,
seltener an Diabetes Typ II erkrankt. (tlu.)
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