Koordinierte Makropolitik auf EU

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Möglichkeiten einer koordinierten makroökonomischen
Politik in der Europäischen Union
Strategien zur Durchsetzung einer beschäftigungsorientierten
Wirtschaftspolitik im Rahmen der europäischen Institutionenund Interessenkonstellationen
Kurzbeschreibung des gleichnamigen Projekts von Eckhard Hein,
Torsten Niechoj, Thorsten Schulten und Achim Truger
(WSI in der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf),
Laufzeit: 01.01.2003 bis 31.12.2004
Anhaltend hohe Arbeitslosigkeit und geringe Wachstumsraten kennzeichnen seit vielen Jahren die Lage in der Europäischen Union. Während in den USA die durchschnittliche jährliche
Wachstumsrate des realen BIP in der zweiten Hälfte der 90er Jahre auf über 4% anstieg, belief sie sich in den an der Währungsunion teilnehmenden Ländern (EU-12) nur auf 2,6% und
lag dabei nur wenig über den 1,5% der ersten Jahrzehnthälfte. Für die Bundesrepublik
Deutschland fiel das BIP-Wachstum sogar von 2,1% auf 1,8%. Während die Arbeitslosenquoten in den USA in der zweiten Hälfte der 90er Jahre auf durchschnittlich unter 5% fielen,
blieben sie EU-12-weit bei etwas mehr als 10% und stiegen in Deutschland von 7,1% auf
8,5% an.
Die gängige Lehre der monetaristisch-neuklassischen Theorie verortet die Ursachen der
ökonomischen Schwäche in einer »Eurosklerose«, die auf staatliche Einmischung in die Wirtschaft und überregulierte Arbeitsmärkte zurückgeführt wird. Sie versucht, der Beschäftigungs- und Wachstumsschwäche mittels einer angebotsorientierten Ausrichtung der Politiken
beizukommen und sieht hierfür eine klare Aufgabentrennung (»assignment«) vor: Die Geldpolitik hat demnach nur die Aufgabe, Preisniveaustabilität zu sichern, um der Wirtschaft einen stabilen monetären Rahmen vorzugeben. Für die Finanzpolitik stehen Haushaltskonsolidierung und Senkung der Staatsquote im Vordergrund, wodurch über Anreizeffekte die
Marktkräfte entfesselt werden sollen. Die Höhe der Beschäftigung wird allein auf dem Arbeitsmarkt bestimmt. Von den Gewerkschaften wird Lohnzurückhaltung, und von der Wirtschaftspolitik eine weitgehende Deregulierung dieses Marktes gefordert.
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Beim Vergleich der EU mit den vielfach als Vorbild einer prosperierenden Wirtschaft gepriesenen USA drängt sich statt dieser neoklassischen Sklerosethese jedoch eine andere, makroökonomische Erklärung für Leistungsfähigkeitsunterschiede auf: In den Vereinigten Staaten sorgte die expansivere Geldpolitik im Verbund mit einer konjunkturgerechten Fiskalpolitik und einer – im Ergebnis – stärker produktivitätsorientierten Lohnentwicklung für hohe
Investitionen und einen starken privaten Konsum. Anders als im monetaristischneuklassischen Ansatz erfordert nach post-keynesianischer Auffassung die Schaffung einer
solchen Prosperitätskonstellation statt einer klaren Aufgabentrennung gerade die Koordinierung der Politikbereiche Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik. Diese umfasst in der EU dabei zwei
Ebenen: einmal die Koordination zwischen den Politikbereichen auf supranationaler Ebene
und einmal innerhalb der jeweiligen in nationalstaatlicher Verantwortung verbliebenen Politikbereiche.
Im Verhältnis der Politikbereiche untereinander müssen die Wechselwirkungen beachtet
werden: Bei exogener Entwicklung der Arbeitsproduktivität und Zuschlagskalkulation der
Unternehmen (mark-up pricing) bestimmen die Nominallohnsatzvereinbarungen der Tarifparteien das Preisniveau. Wenn sich dann die Lohnabschlüsse an der Summe aus Produktivitätswachstum und Zielinflationsrate der Zentralbank orientieren, werden sowohl Disinflation
als auch inflationstreibende Lohn-Preis-Spiralen vermieden, und die Konsumnachfrage
wächst mit der Produktion. Solcherart durch die Tarifpolitik entlastet, kann die Geldpolitik
expansiver agieren, weil sie im Aufschwung steigende Beschäftigung ohne Gefahr für das
Preisniveau tolerieren kann. Die Finanzpolitik schließlich kann den Wachstumsprozess unterstützen, indem sie kurzfristig konjunkturbedingte Haushaltsdefizite und -überschüsse hinnimmt (Wirkenlassen der automatischen Stabilisatoren) und langfristig ausreichend öffentliche Investitionen tätigt.
Im Binnenverhältnis der jeweiligen Politikbereiche kommt es darauf an, die unterschiedlichen Praktiken auf nationalstaatlicher Ebene und zwischen den Mitgliedsländern abzustimmen. Die Geldpolitik wird von der Europäischen Zentralbank einheitlich für die gesamte
EWU betrieben. In der Lohn- und Fiskalpolitik existiert derzeit jedoch kein Akteur, der eine
europaweite Politik umsetzen könnte. Die institutionellen Bedingungen der Lohnfindungen
unterscheiden sich in den EU-Ländern zum Teil massiv; erste Ansätze der Gewerkschaften
für eine europäische Koordinierung der Tarifpolitik gestalten sich zudem recht schwierig und
widersprüchlich. Für die Fiskalpolitik, die vorrangig in nationaler Verantwortung betrieben
wird, liegt mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt zwar eine EWU-weite Norm vor. Diese
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schließt aber konjunkturgerechte und an den Entwicklungsunterschieden der nationalen
Volkswirtschaften orientierte nationale Fiskalpolitiken gerade aus.
Ziel des Forschungsvorhabens ist es zu prüfen, welche Chancen einer Realisierung koordinierter Makropolitik auf EU-Ebene vorhanden sind und mit welchen Widerständen zu rechnen ist. Der post-keynesianische Ansatz kann zwar modellhaft angeben, wie eine erfolgreiche
Wirtschaftspolitik aussehen und wie die dazu passende institutionelle Ausgestaltung beschaffen sein sollte. Er kann aber modellimmanent nicht benennen, wie die genannte Wirtschaftspolitik unter den institutionellen Bedingungen der EWU genau ausgestaltet, politisch durchgesetzt und wie evtl. erforderliche institutionelle Änderungen herbeigeführt werden können.
Der post-keynesianische Ansatz muss also zum einen für den EWU-Rahmen präzisiert und
zum anderen mit einer politikwissenschaftlichen Analyse angereichert werden, welche die
politisch-ökonomischen Prozesse in der EU nachvollziehbar macht, indem sie Problemwahrnehmungen und Interessen benennt, die Bildung von kollektiven Akteuren und Verhandlungsorganen beschreibt sowie den Institutionenwandel, d.h. die Veränderung der Regeln und
Verfahren, einbezieht.
Seit sich die Beschäftigungspolitik in den 90er Jahren als eigenständiges Politikfeld innerhalb der EU etablieren konnte, stehen sich angebotspolitische und keynesianische Konzepte gegenüber, die in unterschiedlichem Maße die Politik geprägt haben. Obwohl bereits
1993 mit dem Delors-Weißbuch und dem Larsson-Bericht makroökonomische Instrumente
vorgeschlagen wurden, konnte sich diese Richtung erst durch die Regierungsübernahme sozialdemokratischer Parteien in mehreren EU-Ländern, nicht zuletzt durch den Wahlsieg der rotgrünen Koalition in Deutschland, stärkere Geltung verschaffen. Mit Unterstützung Frankreichs, Italiens, Schwedens, Österreichs und Deutschlands wurde auf dem 1999er Kölner
Gipfel Vollbeschäftigung und Makropolitik wieder zum Thema; im Jahr 2000 ist der Bedarf
an makroökonomischer Abstimmung durch den Lissabonner Sondergipfel noch einmal bestätigt worden. Zur Koordination der einzelnen makroökonomischen Politikfelder wurde mit
dem Makroökonomischen Dialog ein Gremium geschaffen, in dem Vertreter der Europäischen Zentralbank, der Regierungen, der Europäischen Kommission und der Tarifparteien
gemeinsam die Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik aufeinander abstimmen sollen.
Angesichts dieser Ausgangslage in der EU können als Arbeitshypothese zwei grundlegende, durchaus auch kombinierbare Strategien zur Durchsetzung post-keynesianischer Ideen
identifiziert werden: einerseits eine explizite Koordinierung im Rahmen des Makroökonomischen Dialogs, andererseits eine implizite Als-ob-Koordinierung, die versucht, ohne ein
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Steuerungszentrum zu ähnlichen Ergebnissen wie bei expliziter Koordinierung zu kommen.
Mit dem Makroökonomischen Dialog gibt es erstmals ein Gremium, in dem die Akteure der
Geld-, Lohn- und Fiskalpolitik gemeinsam zusammentreffen. Damit könnten über diesen
Dialog die drei Politiken abgestimmt und inhaltlich im Sinne einer beschäftigungsorientiertkoordinierten Wirtschaftspolitik ausgerichtet werden. Die wenigen bisher vorliegenden Informationen über den Makroökonomischen Dialog deuten jedoch darauf hin, dass die Gremienmehrheit momentan monetaristisch-neuklassischen Vorstellungen folgt und insbesondere
von Seiten der Europäischen Zentralbank eine effektive Koordinierung eher blockiert wird.
Gewichtiger noch erscheint als weitere Hürde, dass die drei Politiken auf europäischer Ebene
bislang nicht durch drei gleichgewichtige Akteure repräsentiert werden. Nur die Zentralbank
kann weitgehend autonom die Geldpolitik setzen, die Kompetenzen für die Fiskal- und Lohnpolitik sind dagegen breit gestreut: Weder herrscht vollständige Konvergenz zwischen den
Ländern, noch erfolgt eine makroökonomisch orientierte Abstimmung zwischen supranationaler und nationaler Ebene. Soll der Makroökonomische Dialog als Instrument der expliziten
Koordinierung genutzt werden, so muss dort der Vorteil einer Koordinierung für alle verdeutlicht werden oder alternativ durch öffentlichen Druck eine Koordinierung auch gegen die
blockierende Zentralbank herbeigeführt werden. Bei der Umsetzung besteht zusätzlicher Koordinierungsbedarf, um die nationalen und supranationalen Zuständigkeiten zu bündeln und
auf eine gemeinsame Politikvorstellung auszurichten.
Für die zweite Option einer auf implizite Koordinierung setzenden Als-ob-Lösung gilt:
Erstens müssten dazu die Gewerkschaften ihre Anstrengungen für eine europaweit koordinierte Lohnpolitik verstärken und an der Zielinflationsrate der EZB und dem Produktivitätswachstum orientierte Lohnabschlüsse durchsetzen. Zweitens müsste die Zentralbank dies
anerkennen und – etwa aufgrund öffentlichen Drucks – die negativen Effekte einer Hochzinspolitik auf die Investitionen verstärkt berücksichtigen und expansiver agieren. Erwiesen sich
dann drittens die Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspakts als für die Regierungen nicht
einhaltbar und ergäben sich dadurch Änderungen in den nationalen Fiskalpolitiken, würde
sich im Ergebnis eine Politik einstellen als ob die Akteure dem post-keynesianischen Ansatz
folgten und explizit ihre Wirtschaftspolitiken miteinander koordinierten. Institutionelle Modifikationen – wie die Etablierung koordinierter europäischer Lohnfindungsverfahren, eine
Verpflichtung der Zentralbank auf Wachstums- und Beschäftigungsförderung und mehr
Transparenz in ihrem Handeln oder Vertragsänderungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts
– sind dazu sicher förderlich, jedoch nicht zwingend nötig: Bereits durch eine Umdeutung der
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bestehenden Regeln und Verfahren könnte möglicherweise eine solche Als-ob-Lösung etabliert werden.
Aktuelle Entwicklungen wie die Initiative der EU-Kommission für mehr fiskalische Eigenständigkeit der supranationalen Ebene, die Schwierigkeiten der Regierungen, die Zielgrößen des Stabilitätspakts nicht zu überschreiten, oder die Initiativen zur Stärkung der Makropolitik im Rahmen der Beratungen im Europäischen Konvent zeigen zweierlei: Erstens gerät
die bisherige monetaristisch-neuklassisch ausgerichtete Politik in Schwierigkeiten, und zweitens artikulieren sich wieder zunehmend Kräfte, die für eine koordinierte Makropolitik eintreten. Im Forschungsprojekt ist zu prüfen, inwieweit die Strategie einer makroökonomischen
Koordination gangbar ist und welche Rolle die Gewerkschaften dabei einnehmen können.
Entscheidend für eine erfolgreiche makroökonomische Koordinierung wird sein, ob
–
die Abstimmung der Politiken tatsächlich eine Kollektivgutsituation darstellt, d.h. für alle
Beteiligten von Vorteil ist,
–
die Akteure Problemwahrnehmungen folgen, die eine Koordinierung als vorteilhaft erscheinen lassen,
–
Institutionen etabliert werden können, die Akteure so sanktionieren, dass sie einer
– impliziten oder expliziten – Koordinierung folgen, und ob
–
ausreichend Machtpotenziale zur Durchsetzung einer Koordinierung vorhanden sind, was
wiederum bedeutet, Interessen zu bündeln, Koalitionen zu bilden und die Organisationsfähigkeit von Akteuren zu stärken, um in den vorhandenen Gremien und ihnen gegenüber
Druck zu entfalten.
Der Forschungsablauf gliedert sich in drei Schritte:
1. Das post-keynesianische Modell koordinierter Makropolitik
Anhand der Vorarbeiten im WSI und zusätzlicher Literaturauswertung sollen die wirtschaftspolitischen Empfehlungen, die sich aus der post-keynesianischen Theorie ergeben,
abgeleitet werden. Danach ist zu klären, welche Instrumente von den wirtschaftspolitischen Akteuren auf welche Weise miteinander koordiniert werden müssen, damit bestimmte – evtl. gemeinsam verfolgte – Ziele realisiert werden können. Hierbei sind die
sich aus dem Modell ergebenden Koordinationszwänge im Hinblick auf die besonderen
Bedingungen der EWU zu konkretisieren. Es sind also Konzeptionen für eine koordinierte Makropolitik in einem zwar monetär, politisch aber nur unvollständig integrierten
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Wirtschaftsraum zu diskutieren. Des Weiteren sind diejenigen institutionellen Formen
und Akteurskonstellationen zu benennen, die eine Koordinierung fördern bzw. ihr entgegenstehen.
2. Institutionelle Bedingungen und Akteurskonstellationen auf EU-Ebene
Soweit für eine Koordinierung der Makropolitik relevant, soll die Politikformierung innerhalb der EU als Ausdruck konfligierender Interessenkonstellationen bei sich verändernden ökonomischen Rahmenbedingungen nachvollzogen werden. Einerseits historisch, anderseits politisch-ökonomisch ist zu zeigen, welche Problemwahrnehmungen
dem Integrationsprozess zugrunde lagen, welche Richtung das europäische Integrationsprojekt genommen hat und welche Interessen und Weltanschauungen sich hierbei durchgesetzt haben. Ist der aktuelle Stand erarbeitet, soll analysiert werden, inwieweit die existierenden Institutionen und Organe funktional oder dysfunktional für eine makroökonomische Koordination sind. Da mit dem Makroökonomischen Dialog ein Gremium geschaffen wurde, das eine explizite Koordinierung als Zielsetzung hat und über dessen Arbeit bislang wenig bekannt ist, bildet es den empirischen Kernbereich des Projekts: Durch
Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern der Gremienakteure sollen die dort vorhandenen Problemwahrnehmungen und Interessen, die Prozeduren der Koordinierung und
das Zustandekommen etwaiger Übereinkünfte ermittelt und analysiert werden.
3. Politikoptionen makroökonomischer Gestaltung
Im dritten Schritt werden aus der bisherigen Analyse mögliche Strategien zur Durch- und
Umsetzung makroökonomischer Koordinierung entwickelt. Dabei wird der Frage nachgegangen, ob der Makroökonomische Dialog hierzu ein geeignetes Gremium ist oder ob
institutionelle Änderungen hinzutreten müssen. Zugleich soll nach Interessenkoalitionen
gefragt werden, die potenziell Träger einer koordinierten Wirtschaftspolitik in Europa
sein könnten.
Kontakt:
Dr. Torsten Niechoj, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut in der Hans-BöcklerStiftung, Hans-Böckler-Str. 39, 40476 Düsseldorf.
E-Mail: [email protected]
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