SWR2 OPER

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SWR2 OPER
Moderationsmanuskript von Reinhard Ermen
Annette Schlünz (Musik)
„Tre Volti – Drei Blicke auf Liebe und Krieg“
Sonntag, 07.05.2017, 20.03 Uhr
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede
weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des
Urhebers bzw. des SWR.
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Am Mikrophon ist Reinhard Ermen. „Tre Volti – Drei Blicke auf Liebe und Krieg“, so heißt die
Oper, die am 28 April bei den Schwetzinger Festspielen uraufgeführt wurde. Musik: Annette
Schlünz, Text: Ulrike Draesner, Konzeption: Jeremias Schwarzer. Die Autoren sprechen von
einem „Musiktheater nach Monteverdi“, dessen Madrigal „Il combattimento di Tancredi e
Clorinda“ Teil des Stückes ist, und mehr noch: Dieser „Zweikampf von Tancredi und
Clorinda“ hat die Novität erst motiviert, er ist zur Gänze in „Tre Volti“ eingegangen. 2017 ist
schließlich ein ‚Monteverdi-Jahr‘; vor 450 Jahren wurde er in der Lombardei, in Cremona
geboren. Die Schwetzinger SWR-Festspiele widmen diesem Jahrhundertgenie einen
Schwerpunkt. Neben der Uraufführung, werden auch die drei überlieferten Opern des
Meisters in konzertanten Aufführungen zu hören sein.
Trotz der Inspiration durch einen wahrhaft alten Meister ist „Tre Volti“ (wörtlich zu übersetzen
mit „Drei Mal“) zuallererst eine zeitgenössische Oper, für die Ulrike Draesner eine
Geschichte erfunden hat, die entfernt an die klassische Vorlage erinnert. Zu erleben ist eine
Beziehung, die scheitert, bzw. schon zu Beginn am Ende ist. Das Ambiente ist
ausgesprochen „heutig“. Chlora ist einen Drohnenpilotin, die viele tausend Kilometer vom
eigentlichen Kriegsschauplatz entfernt, am Computer Kampfmaschinen steuert, Tankred ist
einer, der Handys rund um den Erdball herum verkauft. Und das ist auch schon (fast) die
ganze Geschichte. Nach 17 Jahren gehen die Wege der Beiden, ein Sopran und ein
Bariton, auseinander. Sie verlieren sich aus den Augen, sie reden, bzw. singen zunehmend
aneinander vorbei. Der persönliche Sichtkontakt ist ihnen abhanden gekommen,
wahrscheinlich handelt es sich um zwei paradigmatische Vereinzelungsschicksale am Rande
des Cyberspace, um es im Sinne des Sujets auf den Punkt zu bringen. Die Schriftstellerin
Ulrike Draesner, 1962 in München geboren, hat das in kurz gefassten, auch fragmentierten
lyrischen Zeilen zum Ausdruck gebracht. Für eine Komponistin ist das möglicherweise ein
idealer Text, eine assoziative Spielfläche mit viel Platz für die Musik.
Bei einer Uraufführung steht der Komponist, in diesem Falle die Komponistin Annette
Schlünz, freilich im Vordergrund. Sie wurde 1964 in Dessau geboren, sie hat bei Udo
Zimmermann und Paul-Heinz Dietrich studiert. Seit Ende der 80er Jahre ist sie eine Figur,
die auf den wichtigen Podien der neuen Musik zu hören ist, außerdem nimmt sie
verschiedene Lehrverpflichtungen wahr. Sie findet für die moderne Liebesgeschichte
angemessene Klänge. Der gelegentlich beiläufige Liebeskrieg hat seine eigene Chaotik und
seine eigensinnige Melancholie. Die Musik kann und will nichts beschönigen, aber
gelegentlich malt sie die schönen Schmerzen dieses Auseinandergehens, das nicht ganz
unversöhnlich endet. Und immer wieder brechen die alte Geschichte und ihre Musik in das
heutige Geschehen ein. Oft wird das „Combatimento“ hart in die neue Musik
hineingeschnitten, wenn die Handlung sich langsam entwickelt, straucheln die beiden
Lesarten auch schon mal übereinander. Es gibt eben mehrere Perspektiven, möglicherweise
auch mehr als die im Titel angedeuteten drei. Die archaische Ansicht erscheint dabei wie ein
heftiger Lichtwechsel, auch wie eine andere Erzählzeit mit einer entsprechenden, historisch
anmutenden Lokalfarbe. Das ist fast eine Art dramaturgisches ‚Ceterum Censeo‘, um es
etwas Prätentiös zu sagen, jedenfalls landet das Stück immer wieder bei Monteverdi;
möglicherweise um sich zu orientieren. Die Übergänge, der Umgang von Alt und Neu im
Rahmen zweier Erzählebenen, die sich ähneln, - das ist eine objektive Qualität dieser neuen
Arbeit fürs Musiktheater. Im Übrigen zitiert die Neue Musik manchmal auch andere Stücke
Monteverdis und seiner Zeit. Zur Eingewöhnung an das Doppelbödige von „Tre Volti“, jetzt
die ersten sieben Minuten, der Anfang bis zu dem Augenblick, in dem Monteverdi das erste
Mal in der Geschichte auftaucht. Der Anlass des Streits von Tankred und Chlora ist übrigens
ein ganz banaler: Eine Socke, das Lieblingsstück von IHM ist beim Waschen unter die Räder
gekommen. Man muss kein erfahrender Paartherapeut sein, um zu wissen, dass
Beziehungen, die sich bei solchen Lächerlichkeiten aufhalten, bereits in starkem Maße
gestört sind.
„Tre Volti“ = 7‘21“
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Zur Eingewöhnung an die Musik des heutigen Opernabends, der Anfang von „Tre Volti“ von
Annette Schlünz und Ulrike Draesner. Diesen Einstieg werden Sie gleich noch einmal hören,
im Zusammenhang mit der ganzen Oper, die am 28. April bei den Schwetzinger SWR
Festspielen uraufgeführt wurde.
Mit dem ersten Auftauchen von Monteverdi sind wir in dem Beispiel ausgestiegen. Und wie
geht diese alte Geschichte, die Torquarto Tasso in seinem Versepos „Das gerettete
Jerusalem“ erzählt? Das ist eine Kreuzzugsepisode. Vor den Toren von Jerusalem trifft
Tancredi auf einen anderen, ihm unbekannten Ritter, er fordert ihn zum Zweikampf. Bis aufs
Blut bekriegen sich die beiden in einem verbissenen, unschönen Kampf; eine Nacht lang, bis
der Morgen graut. Tancredi siegt, doch als er dem anderen den Helm abnimmt, muss er
erkennen, dass der andere in Wirklichkeit eine Frau ist, und mehr noch: Es ist Clorinda, die
schöne Feindin, die Sarazenin, die er liebt! Er hat sie getötet. Jetzt bittet sie ihn um die
Taufe. In wenigen Augenblicken, mit der schönsten nur denkbaren Musik fährt sie selig gen
Himmel. Dahinter steckt viel Zeittypisches. Doch es ist ein Kampf mit geschlossenem Visier,
der die Katastrophe überhaupt ermöglicht. Mit geschlossenem Visier kämpfen auch die
Liebenden in der Jetztzeit von „Tre Volti“. Die Szene, in der sie sich bewegen (Stichwort:
Cyberspace), ist ohnehin ein Ort, in dem man den Blickkontakt schnell verlieren kann. Unter
diesem Aspekt sind sich beide Begebenheiten doch sehr nahe. Was Monteverdis
Musikalisierung von 1624 nach wie vor so faszinierend macht, ist seine besondere
Erzählweise. „Testo“, der Zeuge berichtet, was er sieht. Sprechsingend, erzählt er den
tragischen Vorfall. Die handelnden Personen melden sich nur zu Wort, wenn die wörtliche
Rede das Sagen hat. Und diese kurzen Momente, erscheinen wie dramatische, emotionale
Zuspitzungen mit unglaublicher Wirkung. Ganz abgesehen davon, drückt die Musik aus, was
der Erzählzeuge empfindet. In seinem Bericht spielgelt sich das ganze Gewalt- und
Empfindungspotential des Geschehens.
In der neuen Geschichte hat der Bariton eigentlich drei Rollen, er übernimmt einen Großteil
des Testo, er ist Tancredi und eben Tankred in der aktuellen Handlung. Der Sopran ist
Clorinda, aber auch Chlora. Außerdem gibt es einen Solistenchor von vier Frauenstimmen,
die multifunktional im Geschehen beschäftigt sind. Sie bilden auch eine Art Echoraum der
Handlung. Im Grunde genommen ist „Tre Volti“ eine größer besetzte Kammermusik. Das
Orchester rekrutiert sich aus den Streichern von Concerto Köln, ergänzt durch wenige
moderne Instrumente, also E-Gitarre, Klarinette, Saxophon, Akkordeon und Schlagzeug. In
der vollständigen Besetzung sieht das so aus:
Chlora, Clorinda: Petra Hoffmann
Tankred, Tancredi, Testo: Dietrich Henschel
Vokalquartett: Hanna Herfurtner, Olivia Stahn, Lena Haselmann und Amélie Saadia
Lee Santana (Chitarrone, E-Gitarre)
Adam Starkie (Klarinette)
Philippe Koerper (Saxofon)
Vincent Lhermet (Akkordeon)
Philipp Lamprecht (Schlagzeug)
Außerdem Concerto Köln
Die Musikalische Leitung hat Arno Waschk
Wie schon gesagt, in dem modernen Stück, das den größten Teil des Abends ausmacht,
geht eine Liebe in die Brüche, zerfällt eine Beziehung. Die Stationen, bzw. die emotionale
Kurve wird von den „Combattimento“ Schüben gesetzt. Höhepunkt in diesem Sinne ist eine
Szene, die ich wie einen ‚Point of no Return‘ empfinde. Die Kämpfenden sinken erschöpft zu
Boden. Tancredi fordert sein Gegenüber auf, den Namen zu nennen. Clorinda tut‘s nicht.
Das ist die 7. Szene. Der ritualisierte Zweikampf geht weiter bis zur endgültigen
Erschöpfung. Clorinda ist tödlich getroffen, Tancredi erkennt sie jetzt; aber es ist zu spät. Mit
der christlichen Taufe fährt sie gen Himmel. Und das ist ein unglaublicher Augenblick von
Zweisamkeit in der 8. Szene. Das neue Stück reagiert mit einem ironischen aber
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empfindsamen Reflex darauf. Zum Schluss meldet sich fast ein versöhnlicher Tonfall; eine
sanfte Erinnerung. Vielleicht ist das Auseinandergehen nicht das letzte, was möglich ist.
Sie werden es gleich beim Hören feststellen, dass der Bühnenmitschnitt sehr präsent klingt.
Das Orchester sitzt hier nicht im Graben, es ist auf einem Gerüst um die Szene herum
platziert. Zu sehen war eine Werkstatt-, ja Laborsituation. Von der Dramaturgie kommt das
Stichwort: Versuchsanordnung. Die Personenführung der Regisseurin Ingrid von Wantoch
Rekowski setzt auf konzentrierte Zeichen und angedeutete Gesten, verstärkt durch ein
Tänzerpaar, das die Protagonisten des Liebeskrieges exemplarisch verdoppelt und hilft,
zwischen den beiden Ebenen, der alten und der neuen Geschichte zu vermitteln. Im Hörfunk
spielt dieser letzte Aspekt allerdings eine eher untergeordnete Rolle. – „Tre Volti“ dauert
insgesamt 85 Minuten.
„Tre Volti“ = 85‘ (ganz mit Beifall)
SWR2 Opernabend, Sie hörten „Tre Volti“ – Drei Blicke auf Liebe und Krieg“. Musiktheater
mit Monteverdi. Musik: Annette Schlünz. Text: Ulrike Draesner. Idee und musikalische
Konzeption: Jeremias Schwarzer. Unter Verwendung des „Madrigals „Il Combattimento di
Tancredi e Clorinda“ von Claudio Monteverdi. Die Ausführenden waren:
Chlora, Clorinda: Petra Hoffmann
Tankred, Tancredi, Testo: Dietrich Henschel
Vokalquartett: Hanna Herfurtner, Olivia Stahn, Lena Haselmann, Amélie Saadia
Lee Santana (Chitarrone, E-Gitarre)
Adam Starkie (Klarinette)
Philippe Koerper (Saxofon)
Vincent Lhermet (Akkordeon)
Philipp Lamprecht (Schlagzeug)
Außerdem Concerto Köln
Die Musikalische Leitung hatte Arno Waschk
Mitschnitt der Uraufführungsproduktion der Schwetzinger SWR Festspiele 2017 vom 28. und
30. Mai aus dem Rokokotheater. Ton und Technik: Michael Sandner, Bernfried Runow und
Isabelle Fischer. Redaktion und Einführung: Reinhard Ermen
Das Schweizer Radio, bzw. SRF Basel wird diese Opernübertragung zu einem späteren
Zeitpunkt übernehmen.
An den kommenden Sonntagen können Sie an dieser Stelle die drei überlieferten Monteverdi
Opern in Aufzeichnungen der Schwetzinger SWR Festspiele hören, nächste Woche also
„L’Orfeo“, in der Woche darauf „L’Incoronazione di Poppea“ und am 28. Mai „Il ritorno
d’Ulisse“; jeweils mit dem Ensemble „La Venexiana“ unter der Leitung von Davide Pozzi.
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