ROSSINI – ABER ERNSTHAFT Zur Premiere von Tancredi am Fr, 04. Dezember 2015 Kostümentwürfe von Sophie du Vinage Den allermeisten Opernfreunden fällt beim Namen Rossini spontan sofort Der Barbier von Sevilla ein und danach vielleicht noch La Cenerentola, seine in den letzten Jahren viel gespielte Version des Aschenbrödel-Märchens. Darüber kennt, wer sich für virtuosen Gesang interessiert, vielleicht Titel wie Die Italienerin in Algier, Der Türke in Italien, Die seidene Leiter oder Die Reise nach Reims. Schon an den Titeln, die entweder auf etwas ganz Allgemeines oder eine Charaktereigenschaft des Haupthelden verweisen, niemals aber seinen Namen verraten, kann man ablesen, dass es sich um komische Opern handelt. Rossini gilt zu recht als Meister der opera buffa. Dass er auch ernste Opern geschrieben hat, ist im allgemeinen Bewusstsein nicht mehr präsent. Das war im 19. Jahrhundert anders. Berühmt geworden ist Gioachino Rossini 1813 mit einem melodramma eroico, das, wie es sich für eine heroische Oper gehört, den Namen seines Helden trägt: Tancredi. Mit der Uraufführung im Teatro La Fenice in Venedig wurde Rossini – zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 21 Jahre alt – zum Hoffnungsträger für eine Erneuerung der ernsten italienischen Oper. Das lag nicht nur am Melodienreichtum auf den Spuren von Mozart und der berühmten Auftrittskavatine »Di tanti palpiti« des Titelhelden: Rossini war es gelungen, die eine neue Formensprache für die weitgehend zur Konvention erstarrte opera seria zu finden und dabei ihre besten Traditionen, vor allem die des virtuosen Ziergesangs, des bel canto, in die Gegenwart zu überführen. Statt eines Kastraten, musico genannt, stand nun ein ebenso kunstvoll singender contralto musico im Zentrum: Der von vermeintlichem Liebesverrat und ritterlicher Tugend innerlich zerrissene junge Titelheld ist für einen Mezzosopran in Hosen komponiert. So gelingt es Rossini, heroische und stimmliche Höhenflüge, wie sie im 18. Jahrhundert charakteristisch für den Kastratengesang waren, mit verletzlich-empfindsamen Charakterzügen zu verbinden, die schon auf die Romantik weisen und aus der Sicht der Zeit wohl am ehesten von einer Frau verkörpert werden konnten. Wer ist dieser Tancredi? Die Oper, die auf der berühmten Tragödie Tancrède des französischen Aufklärers Voltaire beruht, erzählt die tragische Liebesgeschichte zwischen einem jungen Ritter normannischer Abstammung und der etwa gleichaltrigen Amenaide, deren Vater Argirio in schweren Zeiten die politische Verantwortung für die Stadt Syrakus trägt. In der Stadt herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände, von außen wird sie von Sarazenenführer Solamir belagert. Argirio sieht sich deswegen zu einer Allianz mit seinem Feind Orbazzano gezwungen, der dafür Amenaides Hand verlangt – und die Todesstrafe für jeden, der mit Sarazenen oder Normannen paktiert. Amenaide hat jedoch ihren eigenen Kopf. Auf einer diplomatischen Mission mit ihrer Mutter hat sie Tancredi kennengelernt, der auch in Syrakus geboren, jedoch schon als Kind mit seiner einst dort mächtigen normannischen Familie verbannt wurde. Angesichts der Belagerung hat sie ihm einen Brief geschickt: Er solle kommen, sie heiraten und in Syrakus regieren. Unglücklicherweise wird der Brief von Orbazzanos Leuten im Lager der Sarazenen abgefangen und, da kein Adressat genannt ist, vermuten alle, Amenaide habe ihn an Solamir gerichtet. Das glaubt auch Tancredi, der voller Sehnsucht nach Amenaide und der alten Heimat von sich aus nach Syrakus gekommen ist. So nimmt das Unglück seinen Lauf: Der Vater sieht sich gezwungen, seine geliebte Tochter wegen Hochverrats zum Tode zu verurteilen, die arme Amenaide kann den Irrtum nicht aufklären, ohne Tancredis Leben in Gefahr zu bringen, Tancredi ist zwar bereit zu einem Zweikampf mit Orbazzano, um ihr Leben zu retten, nicht aber dazu, an ihre Unschuld zu glauben und will, wenn sie ihn nicht liebt, am liebsten in der Schlacht gegen Solamir sterben ... Regisseurin Cordula Däuper und ihr Team, dem Mannheimer Publikum durch ihre Die Liebe zu den drei Orangen und ihren Cole-Porter-Abend bereits vertraut, setzen auch bei Tancredi auf ein selbstbewusstes Spiel mit den Mitteln des Theaters, um diesen emotionsgeladenen Figuren einen Raum zu verschaffen, in dem sie sich begegnen und musikalisch entfalten können. Die komplizierte Handlung mit den vielen Verwicklungen dient schließlich allein dazu, die vier Protagonisten einem wahren Wechselbad der Gefühle auszusetzen. In den Gesangslinien ausgedehnter Arien, Duette und Ensembles finden ihre Liebe zueinander, Hoffnung auf Frieden und Versöhnung, Eifersucht und Wut, heroische Todesbereitschaft und existenzielle Angst musikalischen Ausdruck. Schönste Melodien und wahre Koloraturkaskaden verbinden sich mit der für Rossini so typischen rhythmischen Lebendigkeit und einer differenzierten Orchesterbehandlung. Anders als in Rossinis komischen Opern stehen diese Elemente jedoch nie für sich; Auftrag ist es, sie für den Affektausdruck und die Zeichnung der jeweiligen Figur zu nutzen. Nur so kann eine perfekte Balance zwischen Dramatischem, Lyrischem und Musikalischem, Formbewusstsein und Ausdruck entstehen. Die musikalische Verantwortung liegt dabei in den Händen von Rubén Dubrovsky, der zuletzt mit Glucks Alceste einen großen Erfolg am Nationaltheater Mannheim feierte. Mark Schachtsiek TANCREDI von Gioachino Rossini Premiere am Fr, 04. Dezember 2015 um 19.30 Uhr im Opernhaus anschließend Premierenfeier im Theatercafé Musikalische Leitung Rubén Dubrovsky | Inszenierung Cordula Däuper Bühne Ralph Zeger | Kostüme Sophie du Vinage | Licht Damian Chmielarz | Dramaturgie Merle Fahrholz/Mark Schachtsiek Chor Francesco Damiani Mit Maria Markina /Marie-Belle Sandis, Tamara Banješević / Eunju Kwon, Katharina von Bülow /Julia Faylenbogen, Ji Yoon, Filippo Adami, Sung Ha / Sebastian Pilgrim B-Premiere Di, 08. Dezember, 19.30 Uhr im Opernhaus Nächste Vorstellungen Fr, 11., Mi, 16. und Mi, 30. Dezember Karten unter Tel. 0621 1680 150 / [email protected] oder unter www.nationaltheater-mannheim.de