Referat + Kommentar Hoberman A et al. Shortened Antimicrobial Treatment for Acute Otitis Media in Young Children. N Engl J Med. 2016; 375: 2446–2456 Führt bei Kindern mit akuter Otitis media die Begrenzung der antimikrobiellen Behandlung auf 5 Tage im Vergleich zur Standardtherapie über 10 Tage zum gleichen Ergebnis? Kann durch die gleiche Strategie in darauffolgenden Episoden der Gesamtantibiotikaverbrauch und damit das Auftreten von Resistenzen reduziert werden? Diese Fragen wollten amerikanische Kinderärzte in einer Vergleichsuntersuchung klären. In die Studie wurden 520 Kinder im Alter von 6 bis 23 Monaten eingeschlossen und in drei Altersgruppen 6–11, 12–17 und 18–23 Monate stratifiziert und danach in zwei Gruppen randomisiert. Die eine Gruppe erhielt Amoxicillin plus Clavulansäure über 5 Tage sowie 5 Tage Plazebo und die zweite Gruppe Amoxicillin plus Clavulansäure über 10 Tage. Eingeschlossen wurden Kinder mit einer Otitis media, wobei mindestens drei Kriterien diagnostiziert werden mussten: mindestens drei Punkte auf einer 14 Punkte Symptomskala (Acute Otitis Media – Severity of Symptoms Scale [AOM-SOS], 0 = keine Symptome, 14 = viele und schwere Symptome), Mittelohrerguss sowie ein Erythem des Trommelfells mit und ohne Schmerzen. An den Tagen 4, 5 oder 6 erfolgten Telefoninterviews mit den Eltern und eine Ab- schlussuntersuchung am Tag 12,13 oder 14. Die AOM-SOS-Scores sollten die Eltern jeden Tag dokumentieren. Alle 6 Wochen bis zum Ende der Infektionszeit (definiert vom 1. Oktober bis 31. Mai) erfolgten Untersuchungen, desweiteren bei auftretenden Krankheiten sowie am Ende der Studienphase. Von den 257 Kindern der 10 Tage- Gruppe beendeten 93 % die Studie und von den 258 Kindern der 5 Tage- Gruppe 89 %. Insgesamt nahmen 418 Kinder (89 %) mindestens 80 % der Studienmedikation ein. Bei den Kindern, die mit Amoxicillin über 5 Tage behandelt wurden, kam es signifikant häufiger zu einem klinischen Versagen, als in der Gruppe der Kinder, die länger behandelt wurden. Dabei war dieses Versagen deutlicher ausgeprägt bei Kindern mit schwerer Symptomatik. Der Anteil der Kinder, deren Symptome mehr als 50 % von Beginn bis zum Ender der Behandlung abnahmen, was auf weniger schwere Symptome hinwies, war in der 5-Tage-Gruppe signifikant kleiner als in der 10-Tage-Gruppe. Signifikante Gruppenunterschiede in Rezidivrate, Nebenwirkungen sowie der nasopharyngealen Besiedelung mit penicillinresistenten Keimen konnten nicht beobachtet werden. Insgesamt war in der Kombination beider Gruppen ein klinisches Versagen häufiger festzustellen, wenn die Betroffenen mit mehr als 3 Kindern oder mehr als 10 Stunden in der Woche Kontakt hatten. Ein Versagen der Behandlung fand sich auch dann häufiger, wenn beide Ohren betroffen waren im Vergleich zur einseitigen Infek­ tionserkrankung. Bewertungssystem Exzellente Arbeit, die bahnbrechende Neuerungen beinhaltet oder eine ausgezeichnete Übersicht bietet. Gute experimentelle Arbeit, gute klinische Studie oder gute ­Übersichtsarbeit. Mittelmäßige publikation mit etwas geringerem Innovationscharakter oder nur für Spezialisten geeignet. Mäßige publikation von geringerem klinischen und erxperimentellen Interesse und leichten methodischen Mängeln. Nur für die Literatursammlung, wesentliche inhaltliche oder formale Mängel. Laryngo-Rhino-Otol 2017; 96 Fa zit Die Untersuchung zeigt nach Auffassung der Autoren, dass bei 6 bis 23 Monate alten Kindern mit akuter Otitis media, die begrenzte Antibiotikabehandlung gegenüber der Standardtherapie zu einem schlechteren Ergebnis führt. Durch das verkürzte Behandlungsschema konnten weder Nebenwirkungsrate noch das Auftreten von Antibiotikaresistenzen verringert werden. Richard Kessing, Zeiskam Studien-Kommentar Bei der akuten Otitis media (AOM) handelt es sich um die häufigste Erkrankung, die im Kindesalter einen Antibiotikaeinsatz erfordert. Dies macht sorgfältige Untersuchungen zur kontinuierlichen Weiterentwicklung einer evidenzbasierten Therapie dieses Krankheitsbildes unerlässlich. In der vorliegenden Arbeit von Hoberman et al. konnte bei Kindern im Alter von 6 bis 23 Monaten nachgewiesen werden, dass eine Verkürzung der Dauer einer antibiotischen Therapie mit Amoxycillin und Clavulansäure von 10 auf 5 Tage zu einer Erhöhung der klinischen Versagerrate von 16 auf 34 % führt, ohne dabei Vorteile in Bezug auf eine Reduzierung des Auftretens unerwünschter Nebenwirkungen oder eine Verringerung der Entwicklung von Resistenzen zu erbringen. Bei der Studie handelt es sich um die konsequente Fortsetzung der Arbeit derselben Arbeitsgruppe, die bereits 2011 an Patienten gleichen Alters die Überlegenheit der Therapie der AOM mit Amoxycillin und Clavulansäure gegenüber Placebo nachweisen konnte und im selben Journal publizierte. Die doppelblind randomisierte Studie stellt eine qualitativ ausgesprochen hochwertig angelegte Untersuchung zur Beantwortung der oben genannten Frage dar. Bislang wird in den Empfehlungen zur Antibiotikatherapie der AOM im deutschsprachigen Raum die Dauer der Antibiotikagabe mit 5 bis 10 Tagen noch recht ungenau angegeben. Insofern ist die Durchführung 347 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Akute Otitis Media: wie lange Antibiotika einsetzen? Referat + Kommentar Auch wenn das in der Studie verwendete Amoxycillin plus Clavulansäure als das effektivste orale Antibiotikum in der Behandlung einer AOM beschrieben wird, entspricht die Verwendung dieser Kombina­ tion als First-line Therapie jedoch nicht den üblichen aktuellen Leitlinien, einschließlich derer der American Academy of Pediatrics. Hierin wird als First-line Antibiotikum die alleinige Gabe von Amoxycillin empfohlen. Die zusätzliche Verwendung von Clavulansäure beschränkt sich nur auf Fälle mit einer zusätzlichen eitrigen Konjunktivitis, eine innerhalb der letzten 30 Tage vorausgegangene Therapie mit Amoxycillin, eine in der Anamnese nicht auf Amoxycillin ansprechende wiederkehrende AOM oder eine Infektion mit einem vermuteten Beta-Lactamase-positiven Keim. Insofern weicht die Studienmedikation von der bislang üblichen Therapieempfehlung einer AOM ab. Der Autor Dr. Jan Peter Thomas Klinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie der Ruhr-Universität Bochum, St. ElisabethHospital, Bochum Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. eines strukturierten Vergleichs von unterschiedlichen Therapiedauern von erheblicher klinischer Relevanz für alle Fachrichtungen, die sich mit der Diagnostik und Therapie dieses Krankheitsbildes befassen. Unabhängig von dem Ergebnis der vorliegenden Studie bleibt bei der Therapie der AOM unverändert eine, u. a. auf Alter und Symptomausprägung basierende, zunächst observierende Strategie mittels Analgesie und klinischer Kontrolle nach 2 bis 3 Tagen als optionale Alternative zum sofortigen Antibiotikaeinsatz bestehen. Im Falle einer eindeutigen Indikation zur antibiotischen Therapie sollte diese im Säuglings- und jungen Kleinkindesalter jedoch ausreichend lang erfolgen. Nicht der längere, sondern der unnötige und zu breit durchgeführte Antibiotikaeinsatz führt zu einer vermehrten Entwicklung von Antibiotikaresistenzen. Mit dieser klar strukturierten Studie kann der Hinweis älterer Studien auf Nachteile einer Kurzzeittherapie mit Antibiotika bei jüngeren Kindern mit AOM erhärtet werden. Zu beachten bleibt, dass eine Ausdehnung der Schlussfolgerungen auf andere Altersgruppen, als die in der Studie untersuchte, nicht zulässig ist, sondern weiterer Studien entsprechender Patientenaltersgruppen bedarf. 348 Laryngo-Rhino-Otol 2017; 96