Dramatisch und reich an Nuancen

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KULTUR
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Dramatisch und reich an Nuancen
LIEDERABEND Der
Tenor Christoph Prégardien und der Pianist Andreas Staier waren im
Hans-Huber-Saal in Basel zu Gast. Im Zentrum stand Schuberts «Schwanengesang».
Abend
mit Pianist
Chopin
Jacek
KLASSIK
Kortus in Basel.
E D W I N JO H A N N E S D E ST E R K E
Was soll da ein Kritiker machen?
Da kommt ein bereits lorbeerbekränzter junger polnischer Pianist als Gast der Chopin-Gesellschaft nach Basel; er gibt ein
Chopin gewidmetes Rezital, worin er sich durch technische Makellosigkeit und einen furiosen,
aber durchdachten Zugang zum
Klavier auszeichnet – durch Tastlöwen-Spiel quasi; dabei nimmt
er durch sein bescheidenes Wesen die Zuschauer für sich ein.
Dann gibt es wohl nicht viel zu
schreiben?
Doch, aber nur eine Kleinigkeit. Der etwas zartere Klang,
das Problematische einer Musik,
die so scheinbar selbstverständlich und gross-virtuos daherkommt, dieser Klang fehlte fast
ganz, obwohl der Pianist Jacek
Kortus um die charakterliche
Problematik von Chopins Musik
gewusst haben dürfte.
FA B I A N K R I ST M A N N
Der begeisterte Schlussapplaus
war von Bravorufen begleitet,
dies im Hans-Huber-Saal des Basler Stadtcasinos, der bis fast auf
den letzten Platz besetzt war.
Das ist wenig verwunderlich,
denn am zweiten Konzert innerhalb der aktuellen Saison der
«Kammermusik Basel» war der
vielseitige, insbesondere im
Liedgesang seit vielen Jahren gefeierte Tenor Christoph Prégardien zu Gast. Zusammen mit seinem langjährigen Begleiter Andreas Staier am Klavier trat er mit
derjenigen Sammlung von
Franz Schuberts Liedern auf, die
seit ihrer Erstveröffentlichung
1829 als «Schwanengesang» bekannt ist, und reicherte das Programm mit acht weiteren Nummern aus dem Liedschaffen
Schuberts an.
Dabei war es keineswegs ein
leicht verdaulicher, nett anzuhörender Schubert, den Prégardien und Staier präsentierten: nicht duftige Blumenmusik
oder zarte rosenfarbene Lyrik
waren ihre Sache, sondern im
Gegenteil tief ausgelotete Interpretationen, die der opernhaften Dramatik näher standen
und jede Schlichtheit vermieden. Dies war an der flexiblen
Handhabung der Tempi, die sich
fernab von langweiliger Geradlinigkeit bewegten, ebenso zu erkennen wie an der nuancenreichen Umsetzung der in sich so
verschiedenen Stimmungen, die
in den einzelnen Liedern angelegt sind und die die beiden Musiker in einer klanglich wie interpretatorisch idealen Synthese
umsetzten.
DER UNHEIMLICHE «Doppelgänger» wurde denn auch zu einem
anschaulichen Beispiel für diese
Art von Musizieren, obgleich
Prégardien auch in allen anderen Nummern stets subtil dem
Textinhalt nachhorchte und
APPLAUS Das Publikum dankt dem Tenor Christoph Prégardien und dem Pianisten Andreas Staier für den eindrücklichen Liederabend. JURI JUNKOV
sich nicht scheute, gegebenenfalls ein eindringliches Fortissimo anzubringen. Dass die Herangehensweise dennoch nichts
Gewaltsames oder Erzwungenes
an sich hatte, machte das Besondere des Konzertes aus und trug
mit dazu bei, dass Prégardien
und Staier vom ersten bis zum
letzten Ton die Anwesenden
buchstäblich in ihren Bann zu
ziehen vermochten.
Als weiterer wesentlicher Be-
standteil des in sich gerundeten,
von einem grossen Bogen überspannten Abends ist das Timbre
des Tenors zu erwähnen: Unter
Prégardiens stets unaufdringlich schimmernder Brillanz
schwang immer auch ein volles,
geradezu baritonales Volumen
mit, das Weite und Tiefe gab und
jede gestalterische Oberflächlichkeit von Vornherein ausschloss. Die technische Meisterschaft kann bei einem erfahre-
Schillernde Farben
BASELBIETER KONZERTE Das Trio Sortilège mit Flöte
,
Viola und Harfe spielte in der Stadtkirche Liestal.
ROLF DE MARCHI
Eigentlich ist es erstaunlich, dass
nicht mehr Komponisten für die Besetzung Flöte, Viola und Harfe schrieben, nachdem 1915 der französische
Klangvisionär Claude Debussy (1862 –
1918) seine Sonate für eben diese Besetzung veröffentlicht hatte. Wenige
andere Triobesetzungen verfügen
über ein solch farbiges Klangspektrum wie diese, vom silbrig-hellen
Klang der Querflöte über den erdigwarmen Sound der Viola hin zum perlenden Ton der Harfe und ihrer Beweglichkeit stellt diese Instrumentierung eine Tonfarbenpalette zur Verfügung, die ihresgleichen sucht.
Immerhin haben sich ein paar
Komponisten von Debussys klangpoetischem Stück inspirieren lassen, wie
das Konzert des Trio Sortilège in der
Stadtkirche Liestal beweist, in dem neben Debussys Sonate auch Jacques
Iberts (1890 – 1962) «Deux Interludes»
für Flöte, Viola und Harfe erklangen.
Die drei Musiker Vicent Morelló Broseta (Flöte), Julia Dinerstein (Viola) und
Anton Sie (Harfe) tasteten sich anfänglich noch vorsichtig in den ersten mit
Andante espressivo überschriebenen
Satz vor; im schnelleren Allegro vivo
aber verschränkten sie mit feurigem
Schmelz die weit geschwungenen Melodiebögen der Flöte und der Viola mit
expressiv gezeichneter Dynamik ineinander. Auch Gabriel Faurés (1845 –
1924) «Fantaisie» op.79 für Flöte und
Harfe mit den für den Franzosen typischen Kantilenen wurde mit inniger
Ausdruckskraft vorgetragen.
ETWAS SCHLICHTER ZWAR, aber dennoch überzeugend die «Scènes de la
forêt» op. 123 für Flöte, Viola und Harfe des ebenfalls französischen Komponisten Mel Bonis (1858 – 1937), ein
Werk, das trotz seines programmatischen Titels auf aufgesetzte Klangspielereien verzichtet.
Neben der zeitgenössischen Komposition «Prélude Ysaye» für Viola solo
von Mikhail Kugel (1946), die von Julia
Dinerstein mit Verve vorgetragen wurde, stellte das Werk «Garten von Freuden und Traurigkeiten» für Flöte, Viola und Harfe der momentan wohl erfolgreichsten russischen AvantgardeKomponistin Sofia Gubaidulina (1931)
den für einen grossen Teil des Publikums wohl am schwersten zu verdauenden Broken des Konzertes dar. Fühlbar das Bemühen im Saal, dieses
schwer zugängliche, ausdrucksstarke
Stück mit seinen fremdartigen Spieltechniken zu verstehen. Wahrnehmbar aber auch die Erleichterung, als
das Trio Sortilège noch Maurice Ravels
(1875 – 1937) Klavierstück «Sonatine»
in einer bezaubernden Bearbeitung
für Flöte, Viola und Klavier duftigleicht interpretierte. Mit Emphase
schloss das Trio Sortilège sein Konzert
mit Tango-Grossmeister Astor Piazzollas «Amelitango».
nen Künstler wie Prégardien ohnehin vorausgesetzt werden: Da
sitzt jeder Ton, jede vokalische
Färbung, und die Textverständlichkeit ist damit sozusagen automatisch gewährleistet.
CHARAKTERISTISCH für diese
bedeutungsschwere Interpretationsweise war die Umstellung
einzelner Nummern, die Prégardien und Staier vornahmen: Das
Lied vom «unglücksel’gen Atlas»,
der an der ganzen Welt schwer
zu tragen hat, setzten sie an den
Schluss und brachten so das Moment des Gewichtigen, das den
Abend beherrschte, noch einmal
eindrücklich auf den Punkt.
Gezielt ausgewählt überdies
die beiden Zugaben: Auf die
«Taubenpost», der vermutlich
letzten Liedkomposition Schuberts, folgte ein knappes Stück,
das seinerseits mit «Schwanengesang» überschrieben ist.
Das Atmosphärische
spielte die Hauptrolle
SZENISCHES KONZERT «Paradiesische Utopien für
Chor, Sprecher und Seiltänzerin» bot «larynx».
PAU L S C H O N R O
Die Anhänger und Freunde des im
Jahr 2005 gegründeten Vokalensembles «larynx», die in die Leonhardskirche pilgerten, wussten ahnungsweise
was sie erwartet. Genau deswegen besuchten sie auch das Konzert. Sie wurden nicht enttäuscht und genossen,
bei diesem vierten Projekt einmal
mehr diese ganz eigene, eigenartige,
die Besucher in aller Achtsamkeitt
umgarnenden Atmosphäre – eine Synthese aus Licht, Stille, Bewegung, Sprache und Gesang.
Nicht vorschlagen für einen Preis
bei einem Originalitätswettbewerb
würde ich das Motto, den Titel des Projekts «Überall und Nirgendwo». Er
wirkt zu diffus und abgedroschen. Die
Ausgestaltung ist denn auch glücklicherweise origineller, zielgerichteter
und zeitlos aktuell.
IM FOKUS steht die Suche nach einer
Art von Paradies, das, als Wunschvorstellung sich stets verändert und
uns nicht ruhen lässt. Dieses Suchen
und Bemühen findet Ausdruck in den
anderthalbstündigen «Paradiesischen
Utopien für Chor, Sprecher und
Seiltänzerin»: einerseits in den von
Matthias Steiger über den ganzen
Abend verteilten literarisch-poetischen Miniaturen aus Italo Calvinos
phantastischem Roman «Die unsichtbaren Städte», andererseits in den
dreizehn Liedern und Gesängen von
Komoponisten aus ganz verschiedenen Ländern und Jahrhunderten.
Man findet darunter solche in italienischer,
engIischer,
rätoromanischer, deutscher und in franzöisischer
Sprache.
VIELFÄLTIG IST die musikalischstilistische Palette, die neben Liedern von
Benjamin Brittcn, Hugo Wolf, Paris
Rutherford, Darius Millhaud, Robert
Schumann, Heinrich Schütz, Felix
Mendelssohn-Bartholdy auch Werke
des Bündners Gion Antoni Derungs
und eine Uraufführung des jungen
Westschweizer Komponisten Christophe Schiess enthielt.
Dem aus zwanzig Frauen und Männern bestehenden Chor – oft in Bewegung und sich im Raum neu und anders positionierend – gelang es hervorragend, die Gesänge stil -und stimmungsgerecht, subtil akzentuierend
und nuancenreich vorzutragen.
Ein Leckerbissen war die Wiedergabe des letzten Liedes, «Ich muss
ja glücklich sein» von Christophe
Schieess, ausdrucksstark das stimmgewaltige Solo von Jakob Pilgram, der
zusammen mit Olivia Heiniger und
Béla Riethausen für die künstlerische
Leitung verantwortlich zeichnete.
Eine unvermittelte, nicht nach einer Ausdeutung verlangende kurze
Einlagen in Luftartistik bot die Seiltänzerin Nadine Tobler. – Der Abend
war eine Wohltat.
DENN DAS PROGRAMM war
mit besonderem Bedacht zusammengestellt. Es schien so
aufgebaut zu sein, dass der Teil
vor der Pause dem Teil danach
Punkt für Punkt entsprach. Beide Teile fingen mit einer Nocturne an (E-Dur aus Op. 62, bzw. cMoll aus Op. 48). Darauf folgte
nach der Pause die Sonate b-Moll
(Op. 35), deren Sätze die Abfolge
der Tänze vor der Pause diktiert
hatte: Das grossangelegte «Grave/Doppio movimento» antwortete der «Grande Valse Brillante
As-Dur» (aus Op. 34), die verzweifelte Ausgelassenheit des «Scherzo» den düsteren «Mazurken»
(aus Op. 17), die berühmte «Marche funèbre» der ebenso abgründigen «Fantasie f-Moll» (Op. 49),
der toll geratene Übermut des
«Finale/Presto» der ausbündigen
«Polonaise As-Dur» (Op. 53).
Jacek Kortus selber wuchs im
Verlaufe des Abends in dieses interessante Programm hinein.
War mit der ersten Nocturne
noch nicht so klar, was das Publikum von ihm erwarten durfte, so wurde bereits mit der
Grande Valse deutlich, dass er
auf alle Fälle ein Könner ist, dem
man sich anvertrauen kann. Das
Schmerzhafte der Mazurken
brachte er zwar weniger heraus,
aber vor und in der Fantasie
wurde eine zunehmende innere
Kraft bemerkbar. Diese kehrte
sich während der darauffolgenden Polonaise leider in die äusserlich wirkende Kraft eines beinahe ständigen Fortissimo um.
Fortissimo blieb die Losung
auch in der Sonate, obwohl es
immer wieder Augenblicke einer besonderen Helligkeit gab
und einer Klarheit der Aussage,
die den Hörer doch etwas beglückt heimschickte.
aktuell
Preis für
Stadtkino
Das Stadtkino Basel wird am
25. November in Berlin mit einem der drei Programmpreise
der DEFA-Stiftung in der Höhe
von 50 000 Euro ausgezeichnet. Die DEFA-Stiftung vergibt
die Preise an Kinos und Kinematheken, die in besonderem
Masse dazu beitragen, den
deutschen Film zu fördern
und ihn als kulturelles Erbe
präsent zu halten. Das Stadtkino Basel hat sich in verschiedenen Reihen immer
wieder mit dem deutschen
Film beschäftigt. ( B Z )
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