KULTUR 36 Dramatisch und reich an Nuancen LIEDERABEND Der Tenor Christoph Prégardien und der Pianist Andreas Staier waren im Hans-Huber-Saal in Basel zu Gast. Im Zentrum stand Schuberts «Schwanengesang». Abend mit Pianist Chopin Jacek KLASSIK Kortus in Basel. E D W I N JO H A N N E S D E ST E R K E Was soll da ein Kritiker machen? Da kommt ein bereits lorbeerbekränzter junger polnischer Pianist als Gast der Chopin-Gesellschaft nach Basel; er gibt ein Chopin gewidmetes Rezital, worin er sich durch technische Makellosigkeit und einen furiosen, aber durchdachten Zugang zum Klavier auszeichnet – durch Tastlöwen-Spiel quasi; dabei nimmt er durch sein bescheidenes Wesen die Zuschauer für sich ein. Dann gibt es wohl nicht viel zu schreiben? Doch, aber nur eine Kleinigkeit. Der etwas zartere Klang, das Problematische einer Musik, die so scheinbar selbstverständlich und gross-virtuos daherkommt, dieser Klang fehlte fast ganz, obwohl der Pianist Jacek Kortus um die charakterliche Problematik von Chopins Musik gewusst haben dürfte. FA B I A N K R I ST M A N N Der begeisterte Schlussapplaus war von Bravorufen begleitet, dies im Hans-Huber-Saal des Basler Stadtcasinos, der bis fast auf den letzten Platz besetzt war. Das ist wenig verwunderlich, denn am zweiten Konzert innerhalb der aktuellen Saison der «Kammermusik Basel» war der vielseitige, insbesondere im Liedgesang seit vielen Jahren gefeierte Tenor Christoph Prégardien zu Gast. Zusammen mit seinem langjährigen Begleiter Andreas Staier am Klavier trat er mit derjenigen Sammlung von Franz Schuberts Liedern auf, die seit ihrer Erstveröffentlichung 1829 als «Schwanengesang» bekannt ist, und reicherte das Programm mit acht weiteren Nummern aus dem Liedschaffen Schuberts an. Dabei war es keineswegs ein leicht verdaulicher, nett anzuhörender Schubert, den Prégardien und Staier präsentierten: nicht duftige Blumenmusik oder zarte rosenfarbene Lyrik waren ihre Sache, sondern im Gegenteil tief ausgelotete Interpretationen, die der opernhaften Dramatik näher standen und jede Schlichtheit vermieden. Dies war an der flexiblen Handhabung der Tempi, die sich fernab von langweiliger Geradlinigkeit bewegten, ebenso zu erkennen wie an der nuancenreichen Umsetzung der in sich so verschiedenen Stimmungen, die in den einzelnen Liedern angelegt sind und die die beiden Musiker in einer klanglich wie interpretatorisch idealen Synthese umsetzten. DER UNHEIMLICHE «Doppelgänger» wurde denn auch zu einem anschaulichen Beispiel für diese Art von Musizieren, obgleich Prégardien auch in allen anderen Nummern stets subtil dem Textinhalt nachhorchte und APPLAUS Das Publikum dankt dem Tenor Christoph Prégardien und dem Pianisten Andreas Staier für den eindrücklichen Liederabend. JURI JUNKOV sich nicht scheute, gegebenenfalls ein eindringliches Fortissimo anzubringen. Dass die Herangehensweise dennoch nichts Gewaltsames oder Erzwungenes an sich hatte, machte das Besondere des Konzertes aus und trug mit dazu bei, dass Prégardien und Staier vom ersten bis zum letzten Ton die Anwesenden buchstäblich in ihren Bann zu ziehen vermochten. Als weiterer wesentlicher Be- standteil des in sich gerundeten, von einem grossen Bogen überspannten Abends ist das Timbre des Tenors zu erwähnen: Unter Prégardiens stets unaufdringlich schimmernder Brillanz schwang immer auch ein volles, geradezu baritonales Volumen mit, das Weite und Tiefe gab und jede gestalterische Oberflächlichkeit von Vornherein ausschloss. Die technische Meisterschaft kann bei einem erfahre- Schillernde Farben BASELBIETER KONZERTE Das Trio Sortilège mit Flöte , Viola und Harfe spielte in der Stadtkirche Liestal. ROLF DE MARCHI Eigentlich ist es erstaunlich, dass nicht mehr Komponisten für die Besetzung Flöte, Viola und Harfe schrieben, nachdem 1915 der französische Klangvisionär Claude Debussy (1862 – 1918) seine Sonate für eben diese Besetzung veröffentlicht hatte. Wenige andere Triobesetzungen verfügen über ein solch farbiges Klangspektrum wie diese, vom silbrig-hellen Klang der Querflöte über den erdigwarmen Sound der Viola hin zum perlenden Ton der Harfe und ihrer Beweglichkeit stellt diese Instrumentierung eine Tonfarbenpalette zur Verfügung, die ihresgleichen sucht. Immerhin haben sich ein paar Komponisten von Debussys klangpoetischem Stück inspirieren lassen, wie das Konzert des Trio Sortilège in der Stadtkirche Liestal beweist, in dem neben Debussys Sonate auch Jacques Iberts (1890 – 1962) «Deux Interludes» für Flöte, Viola und Harfe erklangen. Die drei Musiker Vicent Morelló Broseta (Flöte), Julia Dinerstein (Viola) und Anton Sie (Harfe) tasteten sich anfänglich noch vorsichtig in den ersten mit Andante espressivo überschriebenen Satz vor; im schnelleren Allegro vivo aber verschränkten sie mit feurigem Schmelz die weit geschwungenen Melodiebögen der Flöte und der Viola mit expressiv gezeichneter Dynamik ineinander. Auch Gabriel Faurés (1845 – 1924) «Fantaisie» op.79 für Flöte und Harfe mit den für den Franzosen typischen Kantilenen wurde mit inniger Ausdruckskraft vorgetragen. ETWAS SCHLICHTER ZWAR, aber dennoch überzeugend die «Scènes de la forêt» op. 123 für Flöte, Viola und Harfe des ebenfalls französischen Komponisten Mel Bonis (1858 – 1937), ein Werk, das trotz seines programmatischen Titels auf aufgesetzte Klangspielereien verzichtet. Neben der zeitgenössischen Komposition «Prélude Ysaye» für Viola solo von Mikhail Kugel (1946), die von Julia Dinerstein mit Verve vorgetragen wurde, stellte das Werk «Garten von Freuden und Traurigkeiten» für Flöte, Viola und Harfe der momentan wohl erfolgreichsten russischen AvantgardeKomponistin Sofia Gubaidulina (1931) den für einen grossen Teil des Publikums wohl am schwersten zu verdauenden Broken des Konzertes dar. Fühlbar das Bemühen im Saal, dieses schwer zugängliche, ausdrucksstarke Stück mit seinen fremdartigen Spieltechniken zu verstehen. Wahrnehmbar aber auch die Erleichterung, als das Trio Sortilège noch Maurice Ravels (1875 – 1937) Klavierstück «Sonatine» in einer bezaubernden Bearbeitung für Flöte, Viola und Klavier duftigleicht interpretierte. Mit Emphase schloss das Trio Sortilège sein Konzert mit Tango-Grossmeister Astor Piazzollas «Amelitango». nen Künstler wie Prégardien ohnehin vorausgesetzt werden: Da sitzt jeder Ton, jede vokalische Färbung, und die Textverständlichkeit ist damit sozusagen automatisch gewährleistet. CHARAKTERISTISCH für diese bedeutungsschwere Interpretationsweise war die Umstellung einzelner Nummern, die Prégardien und Staier vornahmen: Das Lied vom «unglücksel’gen Atlas», der an der ganzen Welt schwer zu tragen hat, setzten sie an den Schluss und brachten so das Moment des Gewichtigen, das den Abend beherrschte, noch einmal eindrücklich auf den Punkt. Gezielt ausgewählt überdies die beiden Zugaben: Auf die «Taubenpost», der vermutlich letzten Liedkomposition Schuberts, folgte ein knappes Stück, das seinerseits mit «Schwanengesang» überschrieben ist. Das Atmosphärische spielte die Hauptrolle SZENISCHES KONZERT «Paradiesische Utopien für Chor, Sprecher und Seiltänzerin» bot «larynx». PAU L S C H O N R O Die Anhänger und Freunde des im Jahr 2005 gegründeten Vokalensembles «larynx», die in die Leonhardskirche pilgerten, wussten ahnungsweise was sie erwartet. Genau deswegen besuchten sie auch das Konzert. Sie wurden nicht enttäuscht und genossen, bei diesem vierten Projekt einmal mehr diese ganz eigene, eigenartige, die Besucher in aller Achtsamkeitt umgarnenden Atmosphäre – eine Synthese aus Licht, Stille, Bewegung, Sprache und Gesang. Nicht vorschlagen für einen Preis bei einem Originalitätswettbewerb würde ich das Motto, den Titel des Projekts «Überall und Nirgendwo». Er wirkt zu diffus und abgedroschen. Die Ausgestaltung ist denn auch glücklicherweise origineller, zielgerichteter und zeitlos aktuell. IM FOKUS steht die Suche nach einer Art von Paradies, das, als Wunschvorstellung sich stets verändert und uns nicht ruhen lässt. Dieses Suchen und Bemühen findet Ausdruck in den anderthalbstündigen «Paradiesischen Utopien für Chor, Sprecher und Seiltänzerin»: einerseits in den von Matthias Steiger über den ganzen Abend verteilten literarisch-poetischen Miniaturen aus Italo Calvinos phantastischem Roman «Die unsichtbaren Städte», andererseits in den dreizehn Liedern und Gesängen von Komoponisten aus ganz verschiedenen Ländern und Jahrhunderten. Man findet darunter solche in italienischer, engIischer, rätoromanischer, deutscher und in franzöisischer Sprache. VIELFÄLTIG IST die musikalischstilistische Palette, die neben Liedern von Benjamin Brittcn, Hugo Wolf, Paris Rutherford, Darius Millhaud, Robert Schumann, Heinrich Schütz, Felix Mendelssohn-Bartholdy auch Werke des Bündners Gion Antoni Derungs und eine Uraufführung des jungen Westschweizer Komponisten Christophe Schiess enthielt. Dem aus zwanzig Frauen und Männern bestehenden Chor – oft in Bewegung und sich im Raum neu und anders positionierend – gelang es hervorragend, die Gesänge stil -und stimmungsgerecht, subtil akzentuierend und nuancenreich vorzutragen. Ein Leckerbissen war die Wiedergabe des letzten Liedes, «Ich muss ja glücklich sein» von Christophe Schieess, ausdrucksstark das stimmgewaltige Solo von Jakob Pilgram, der zusammen mit Olivia Heiniger und Béla Riethausen für die künstlerische Leitung verantwortlich zeichnete. Eine unvermittelte, nicht nach einer Ausdeutung verlangende kurze Einlagen in Luftartistik bot die Seiltänzerin Nadine Tobler. – Der Abend war eine Wohltat. DENN DAS PROGRAMM war mit besonderem Bedacht zusammengestellt. Es schien so aufgebaut zu sein, dass der Teil vor der Pause dem Teil danach Punkt für Punkt entsprach. Beide Teile fingen mit einer Nocturne an (E-Dur aus Op. 62, bzw. cMoll aus Op. 48). Darauf folgte nach der Pause die Sonate b-Moll (Op. 35), deren Sätze die Abfolge der Tänze vor der Pause diktiert hatte: Das grossangelegte «Grave/Doppio movimento» antwortete der «Grande Valse Brillante As-Dur» (aus Op. 34), die verzweifelte Ausgelassenheit des «Scherzo» den düsteren «Mazurken» (aus Op. 17), die berühmte «Marche funèbre» der ebenso abgründigen «Fantasie f-Moll» (Op. 49), der toll geratene Übermut des «Finale/Presto» der ausbündigen «Polonaise As-Dur» (Op. 53). Jacek Kortus selber wuchs im Verlaufe des Abends in dieses interessante Programm hinein. War mit der ersten Nocturne noch nicht so klar, was das Publikum von ihm erwarten durfte, so wurde bereits mit der Grande Valse deutlich, dass er auf alle Fälle ein Könner ist, dem man sich anvertrauen kann. Das Schmerzhafte der Mazurken brachte er zwar weniger heraus, aber vor und in der Fantasie wurde eine zunehmende innere Kraft bemerkbar. Diese kehrte sich während der darauffolgenden Polonaise leider in die äusserlich wirkende Kraft eines beinahe ständigen Fortissimo um. Fortissimo blieb die Losung auch in der Sonate, obwohl es immer wieder Augenblicke einer besonderen Helligkeit gab und einer Klarheit der Aussage, die den Hörer doch etwas beglückt heimschickte. aktuell Preis für Stadtkino Das Stadtkino Basel wird am 25. November in Berlin mit einem der drei Programmpreise der DEFA-Stiftung in der Höhe von 50 000 Euro ausgezeichnet. Die DEFA-Stiftung vergibt die Preise an Kinos und Kinematheken, die in besonderem Masse dazu beitragen, den deutschen Film zu fördern und ihn als kulturelles Erbe präsent zu halten. Das Stadtkino Basel hat sich in verschiedenen Reihen immer wieder mit dem deutschen Film beschäftigt. ( B Z )