Dokumentvorlage für Studienbriefe - Spiegelnde

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Musterlösung für Einsendeaufgaben – “Wirtschaftsverwaltung, Bauen und Planen in der Kommune”
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„Wirtschaftsverwaltung, Bauen und Planen in der Kommune”
Sachverhalt
Zu der öffentlichen Sitzung des Gemeinderates der Kleinstadt K im Land L ist auch der Journalist J erschienen, um für eine örtliche Tageszeitung einen Bericht anzufertigen. Als J vor sich auf
dem Tisch ein Tonbandgerät aufstellt und einschaltet, bitten mehrere Ratsmitglieder den Bürgermeister B, dies zu unterbinden. Sie begründen ihre Bitte damit, sie fühlten sich gehemmt,
wenn ihre Redebeiträge mitgeschnitten würden und sehen in einem Tonbandmitschnitt einen
Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Daraufhin fordert Bürgermeister B den J auf, das
Tonbandgerät abzuschalten. J weigert sich unter Berufung auf die Pressefreiheit zunächst,
kommt der Aufforderung aber letztlich nach.
Im weiteren Sitzungsverlauf äußern sich verschiedene Mitglieder des Gemeinderats zu der von B
gegenüber J ausgesprochenen Aufforderung, das Tonbandgerät abzuschalten. Hierzu gibt auch
das Gemeinderatsmitglied M eine Stellungnahme ab. Dabei greift er den Vorsitzenden des Gemeinderats scharf an. Als B nun weitere Tagesordnungspunkte ansprechen will, unterbricht M
den B und erklärt, die gegenüber dem J ausgesprochene Maßnahme sei rechtswidrig. Er könne
sich damit nicht abfinden. Auch nach einer Ermahnung des M seitens des B beendet dieser seine
Stellungnahme nicht. Um noch weitere Tagesordnungspunkte behandeln zu können, entschließt
sich B, den M aus dem Sitzungssaal zu verweisen.
Aufgabe 1: J möchte von Ihnen nun erfahren, ob Bürgermeister B sich ihm gegenüber rechtmäßig verhalten hat.
Aufgabe 2: Auch M will sich mit seinem Verweis nicht abfinden und erhebt dagegen Klage vor
dem örtlich zuständigen Verwaltungsgericht. Hat eine Klage des M Aussicht auf Erfolg?
Bearbeitervermerk: Das Urheberrechtsgesetz ist nicht heranzuziehen.
Das VwVfG von L (LVwVfG) entspricht seinem Wortlaut nach dem des
Bundes.
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Auszug aus der Gemeindeordnung des Landes L (GO):
§ 32 Rechtsstellung der Gemeinderäte
(1) 1Die Gemeinderäte sind ehrenamtlich tätig. 2Der Bürgermeister verpflichtet die Gemeinderäte in der ersten
Sitzung öffentlich auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Amtspflichten.
(2) 1Niemand darf gehindert werden, das Amt eines Gemeinderats zu übernehmen und auszuüben. 2Eine Kündigung oder Entlassung aus einem Dienst- oder Arbeitsverhältnis, eine Versetzung an einen anderen Beschäftigungsort und jede sonstige berufliche Benachteiligung aus diesem Grund sind unzulässig. 3Steht der Gemeinderat in einem Dienst- oder Arbeitsverhältnis, ist ihm die für seine Tätigkeit erforderliche freie Zeit zu gewähren.
(3) 1Die Gemeinderäte entscheiden im Rahmen der Gesetze nach ihrer freien, nur durch das öffentliche Wohl bestimmten Überzeugung. 2An Verpflichtungen und Aufträge, durch die diese Freiheit beschränkt wird, sind sie nicht
gebunden.
(4) Erleidet ein Gemeinderat einen Dienstunfall, hat er dieselben Rechte wie ein Ehrenbeamter.
(5) Auf Gemeinderäte, die als Vertreter der Gemeinden in Organen eines wirtschaftlichen Unternehmens (§ 104)
Vergütungen erhalten, finden die für den Bürgermeister der Gemeinde geltenden Vorschriften über die Ablieferungspflicht entsprechende Anwendung.
§ 34 Einberufung der Sitzungen, Teilnahmepflicht
(1) 1Der Bürgermeister beruft den Gemeinderat schriftlich oder elektronisch mit angemessener Frist ein und teilt
rechtzeitig die Verhandlungsgegenstände mit; dabei sind die für die Verhandlung erforderlichen Unterlagen beizufügen, soweit nicht das öffentliche Wohl oder berechtigte Interessen Einzelner entgegenstehen. 2Der Gemeinderat ist
einzuberufen, wenn es die Geschäftslage erfordert; er soll jedoch mindestens einmal im Monat einberufen werden.
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Der Gemeinderat ist unverzüglich einzuberufen, wenn es ein Viertel der Gemeinderäte unter Angabe des Verhandlungsgegenstands beantragt. 4Auf Antrag eines Viertels der Gemeinderäte ist ein Verhandlungsgegenstand auf die
Tagesordnung spätestens der übernächsten Sitzung des Gemeinderats zu setzen. 5Die Verhandlungsgegenstände
müssen zum Aufgabengebiet des Gemeinderats gehören. 6Sätze 3 und 4 gelten nicht, wenn der Gemeinderat den
gleichen Verhandlungsgegenstand innerhalb der letzten sechs Monate bereits behandelt hat. 7Zeit, Ort und Tagesordnung der öffentlichen Sitzungen sind rechtzeitig ortsüblich bekannt zu geben.
(2) In Notfällen kann der Gemeinderat ohne Frist, formlos und nur unter Angabe der Verhandlungsgegenstände
einberufen werden; Absatz 1 Satz 7 findet keine Anwendung.
(3) Die Gemeinderäte sind verpflichtet, an den Sitzungen teilzunehmen.
§ 36 Verhandlungsleitung, Geschäftsgang
(1) 1Der Vorsitzende eröffnet, leitet und schließt die Verhandlungen des Gemeinderats. 2Er handhabt die Ordnung
und übt das Hausrecht aus.
(2) Der Gemeinderat regelt seine inneren Angelegenheiten, insbesondere den Gang seiner Verhandlungen, im
Rahmen der gesetzlichen Vorschriften durch eine Geschäftsordnung.
(3) 1Bei grober Ungebühr oder wiederholten Verstößen gegen die Ordnung kann ein Gemeinderat vom Vorsitzenden aus dem Beratungsraum verwiesen werden; mit dieser Anordnung ist der Verlust des Anspruchs auf die auf den
Sitzungstag entfallende Entschädigung verbunden. 2Bei wiederholten Ordnungswidrigkeiten nach Satz 1 kann der
Gemeinderat ein Mitglied für mehrere, höchstens jedoch für sechs Sitzungen ausschließen. 3Entsprechendes gilt für
sachkundige Einwohner, die zu den Beratungen zugezogen sind.
§ 42 Rechtsstellung des Bürgermeisters
(1) 1Der Bürgermeister ist Vorsitzender des Gemeinderats und Leiter der Gemeindeverwaltung. 2Er vertritt die
Gemeinde.
(2) 1In Gemeinden mit weniger als 2 000 Einwohnern ist der Bürgermeister Ehrenbeamter auf Zeit; in Gemeinden
mit mehr als 500 Einwohnern kann durch die Hauptsatzung bestimmt werden, dass er hauptamtlicher Beamter auf
Zeit ist. 2In den übrigen Gemeinden ist der Bürgermeister hauptamtlicher Beamter auf Zeit.
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(3) 1Die Amtszeit des Bürgermeisters beträgt acht Jahre. 2Die Amtszeit beginnt mit dem Amtsantritt, im Fall der
Wiederwahl schließt sich die neue Amtszeit an das Ende der vorangegangenen Amtszeit an.
(4) In Stadtkreisen und Großen Kreisstädten führt der Bürgermeister die Amtsbezeichnung Oberbürgermeister.
(5) 1Der Bürgermeister führt nach Freiwerden seiner Stelle die Geschäfte bis zum Amtsantritt des neu gewählten
Bürgermeisters weiter; sein Dienstverhältnis besteht so lange weiter. 2Satz 1 gilt nicht, wenn der Bürgermeister
1. vor dem Freiwerden seiner Stelle der Gemeinde schriftlich oder elektronisch mitgeteilt hat, dass er die Weiterführung der Geschäfte ablehne,
2. des Dienstes vorläufig enthoben ist, oder wenn gegen ihn öffentliche Klage wegen eines Verbrechens erhoben
ist, oder
3. ohne Rücksicht auf Wahlprüfung und Wahlanfechtung nach Feststellung des Gemeindewahlausschusses nicht
wiedergewählt ist; ist im ersten Wahlgang kein Bewerber gewählt worden, so ist das Ergebnis der Neuwahl (§ 45
Abs. 2) entscheidend.
(6) Ein vom Gemeinderat gewähltes Mitglied vereidigt und verpflichtet den Bürgermeister in öffentlicher Sitzung
im Namen des Gemeinderats.
Auszug aus dem Landespressegesetz (LPresseG):
§ 4 Informationsrecht der Presse
(1) Die Behörden sind verpflichtet, den Vertretern der Presse die der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe dienenden Auskünfte zu erteilen.
(2) Auskünfte können verweigert werden, soweit
1. hierdurch die sachgemäße Durchführung eines schwebenden Verfahrens vereitelt, erschwert, verzögert oder
gefährdet werden könnte oder
2. Vorschriften über die Geheimhaltung entgegenstehen oder
3. ein überwiegendes öffentliches oder schutzwürdiges privates Interesse verletzt würde oder
4. ihr Umfang das zumutbare Maß überschreitet.
(3) Anordnungen, die einer Behörde Auskünfte an die Presse allgemein verbieten, sind unzulässig.
(4) Der Verleger einer Zeitung oder Zeitschrift kann von den Behörden verlangen, dass ihm deren amtliche Bekanntmachungen nicht später als seinen Mitbewerbern zur Verwendung zugeleitet werden.
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Musterlösung
Aufgabe 1:
Rechtmäßigkeit des Verhaltens des B gegenüber J
Die Untersagung der Tonbandaufnahme des J durch den B war rechtmäßig, wenn die formellen
und materiellen Voraussetzungen für eine solche gegeben waren.
I.
Ermächtigungsgrundlage
Gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2, Var. 1 GO übt der Vorsitzende die Ordnungsgewalt, gemäß § 36
Abs. 1 Satz 2, Var. 2 GO übt er das Hausrecht im Gemeinderat aus.
Fraglich ist also, ob die Aufforderung des B an den J, das Tonbandgerät abzuschalten die Ausübung der Ordnungsgewalt oder des Hausrechts darstellt. Zu klären ist deshalb zunächst, welche
Maßnahmen von der Ordnungsgewalt und welche von dem Hausrecht erfasst sind. Die Ordnungsgewalt könnte Maßnahmen gegenüber Ratsmitgliedern, das Hausrecht Maßnahmen gegenüber Zuhörern umfassen. Hierfür spricht, dass die kommunalrechtlichen Ordnungsvorschriften
über den Verlauf der Sitzung sich nur an Ratsmitglieder wenden. Da es sich hier um eine Maßnahme gegenüber einem Zuhörer handelt, hätte B damit in Ausübung seines Hausrechts gehandelt. Möglich erscheint aber auch, dass die Ordnungsgewalt alle Vorgänge im Sitzungssaal umfasst und das Hausrecht nur solche, welche einen Bezug nach außen haben, wie etwa die
Verweisung aus dem Sitzungssaal. Hierfür spricht, dass das Hausrecht die Befugnis zur Entscheidung darüber umfasst, welche Personen sich in einem Gebäude oder Gebäudeteil aufhalten
dürfen. Die Untersagung der Tonbandbenutzung wäre demnach als Maßnahme im Sitzungssaal
Teil der Ordnungsgewalt. Es lässt sich auch anführen, die Ordnungsgewalt verdränge das Hausrecht während der Gemeinderatssitzungen. Hierfür spricht die Parallele zu § 176 GVG, wonach
die sog. Sitzungspolizei dem Hausrecht vorgeht, weil ansonsten durch Gebrauch des Hausrechts
die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen beeinträchtigt werden könnte. Als Maßnahme
während der Sitzung wäre die vorliegende dann eine der Ordnungsgewalt.
Da sowohl die Ausübung des Hausrechts als auch die der Ordnungsgewalt durch § 36 Abs. 1
Satz 2 GO abgedeckt sind, kommt es nicht darauf an, ob Ermächtigungsgrundlage § 36 Abs. 1
Satz 2, Var. 1 oder Var. 2 GO ist.
B untersagte die Tonbandaufzeichnung, um eine Störung des Sitzungsverlaufs zu verhindern,
§ 36 Abs. 1 Satz 2 GO ist folglich Ermächtigungsgrundlage für die Untersagung.
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II. Formelle Rechtmäßigkeit
Die Untersagung müsste zunächst formell rechtmäßig sein.
1.
Zuständigkeit
B müsste im Rahmen seiner Zuständigkeit gehandelt haben. Zuständig, die Ordnungsgewalt und
das Hausrecht im Gemeinderat auszuüben, ist gem. § 36 Abs. 1 Satz 1 GO der Vorsitzende. Vorsitzender des Gemeinderats ist gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 GO der Bürgermeister. B war somit
zuständig.
2.
Form, Verfahren
Form- oder Verfahrensfehler sind nicht ersichtlich.
III. Materielle Rechtmäßigkeit
Die Untersagung der Tonbandaufnahme müsste auch materiell rechtmäßig sein.
1.
Störung der Ordnung der Gemeinderatssitzung
Dazu müsste die Tonbandaufnahme eine Störung der Ordnung der Gemeinderatssitzung darstellen. Eine Störung der Gemeinderatssitzung ist jede Einwirkung auf den Sitzungsablauf, die mit
den für die Durchführung der Ratssitzungen geltenden Rechtsvorschriften nicht im Einklang
steht.
a)
Allgemeines Persönlichkeitsrecht
Die Störung der Ordnung der Sitzung durch eine Tonbandaufnahme könnte in der Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Ratsmitglieder gemäß Art. 1 Abs. 1, Art. 2
Abs. 1 GG liegen.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst auch das Recht am gesprochenen Wort. Ob die
Ratsmitglieder sich hierauf berufen können, ist jedoch fraglich. Zum einen nehmen die Ratsmitglieder in amtlicher, also hoheitlicher Funktion an Ratssitzungen teil; da die Grundrechte Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat darstellen, ist eine Berufung der Ratsmitglieder in dieser
Position auf die Grundrechte schon von daher ausgeschlossen. Zum anderen bezweckt die Ordnungsgewalt des Vorsitzenden auch nicht den Schutz privater Grundrechte, sondern die Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Sitzungsbetriebs; auch aus diesem Grund stellt die Verletzung
des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Ratsmitglieder keine Störung des Sitzungsablaufs dar,
die ein Eingreifen des Vorsitzenden ermöglicht.
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b)
Ungehinderte Teilnahme an der Ratssitzung
Eine Störung des Sitzungsablaufs könnte aber in der Beeinträchtigung des Rechts der Gemeinderatsmitglieder auf ungehinderte Teilnahme an den Ratssitzungen gemäß §§ 32 Abs. 2 Satz 1, 34
Abs. 3 GO liegen.
aa)
Eingriff in das Teilnahmerecht
Die Tonbandaufnahmen könnten die Ratsmitglieder an der ungehinderten Teilnahme an der
Ratssitzung hindern, die Voraussetzung des Funktionierens der Selbstverwaltung ist. Durch die
Konservierung des gesprochenen Wortes mittels technischer Aufzeichnungsgeräte wird die unbefangene Erörterung der anstehenden Sachfragen behindert. Ratsmitglieder können hierdurch
befürchten, dass ihre – möglicherweise wenig elegant formulierten Redebeiträge – verbreitet
werden, und sich damit an einer unbefangenen Teilnahme an der Diskussion gehindert sehen.
Die Tonbandaufnahme beeinträchtigt mithin die ungehinderte Teilnahme der Ratsmitglieder an
der Ratssitzung.
bb) Rechtfertigung des Eingriffs durch die Pressefreiheit
Der Eingriff in das Teilnahmerecht könnte aber im Hinblick auf die Pressefreiheit des J gemäß
Art. 5 Abs. 1 Satz 2, Var. 1 GG hinzunehmen sein. Dann müsste die Untersagung der Tonbandaufzeichnung eine Verletzung der Pressefreiheit des J darstellen.
(1)
Eingriff in den Schutzbereich der Pressefreiheit
Dazu müsste zunächst ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 2, Var. 1 GG gegeben sein.
(aa) Persönlicher Schutzbereich der Pressefreiheit
Art. 5 Abs. 1 Satz 2, Var. 1 GG schützt alle natürlichen und juristischen Personen, die an der
Erstellung von Presseerzeugnissen beteiligt sind. Als Journalist für die örtliche Tageszeitung ist J
folglich vom persönlichen Schutzbereich der Pressefreiheit erfasst.
(bb) Sachlicher Schutzbereich der Pressefreiheit
In sachlicher Hinsicht schützt die Pressefreiheit die Verbreitung von an die Allgemeinheit gerichteten Druckerzeugnissen; umfasst sind dabei alle wesensmäßig mit der Pressearbeit zusammenhängenden Tätigkeiten einschließlich der Informationsbeschaffung. J fertigt hier einen Mitschnitt der Gemeinderatssitzung, um die Redebeiträge zu einem Bericht für eine Tageszeitung zu
verarbeiten. Damit ist auch der sachliche Schutzbereich eröffnet.
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(cc) Eingriff in die Pressefreiheit
Die Untersagung der Anfertigung von Tonbandmitschnitten ist eine hoheitliche Maßnahme, die
das Recht der Pressefreiheit verkürzt.
(2)
Rechtfertigung des Eingriffs in die Pressefreiheit
Der Eingriff in die Pressefreiheit des J könnte aber gerechtfertigt sein.
(aa) Schranke der Pressefreiheit
Die Pressefreiheit findet ihre Schranken in den allgemeinen Gesetzen, Art. 5 Abs. 2 GG. Allgemeine Gesetze sind dabei alle Gesetze, die sich nicht gegen die Äußerung von Meinungen durch
die Presse als solche richten, sondern die vielmehr dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht
auf eine bestimmte Meinungsäußerung zu schützenden Rechtsguts dienen.
Der Eingriff erfolgt hier auf Grundlage des § 36 Abs. 1 Satz 2 GO. Dieser richtet sich nicht spezifisch gegen die Presse, sondern dient dem Schutz des ordnungsgemäßen Ablaufs der Gemeinderatssitzungen. Er ist deshalb ein allgemeines Gesetz i.S.d. Art. 5 Abs. 2 GG.
(bb) Verhältnismäßigkeit
Der Eingriff in die Pressefreiheit des P müsste auch verhältnismäßig sein. Die Verhältnismäßigkeit ist dann gegeben, wenn bei einer Abwägung zwischen Pressefreiheit und dem öffentlichem
Interesse an einem ordnungsgemäßen Sitzungsablauf letzteres überwiegt. Das Grundrecht der
Pressefreiheit ist für die demokratische Grundordnung von überragender Bedeutung. Es könnte
deshalb das Interesse an einem ordnungsgemäßen Sitzungsablauf überwiegen. Andererseits ist
auch ein ordnungsgemäßer Sitzungsablauf von überragender Bedeutung für die Ausübung der
freimütigen und ungezwungenen Diskussion im Gemeinderat, die Voraussetzung für das Funktionieren der Selbstverwaltung ist. Deshalb könnte auch das öffentliche Interesse an einem ordnungsgemäßen Sitzungsablauf überwiegen. Für letzteres spricht, dass ein Vergleich mit § 169
Satz 2 GVG, der Tonbandaufnahmen im Gerichtsverfahren regelt, zeigt, dass eine von psychologischen Hemmnissen möglichst unbeeinträchtigte Atmosphäre für den Ablauf von Verhandlungen eine erhebliche Rolle spielt. Zu berücksichtigen ist auch, dass es sich hier um den Gemeinderat einer Kleinstadt handelt, die Gemeinderatsmitglieder sind also keine berufsmäßigen
Parlamentarier, die an Bild- und Tonaufzeichnungen ihrer Redebeiträge gewöhnt sind. Letztlich
ist die Tonbandaufzeichnung auch kein unersetzliches Mittel, um Informationen über den Sitzungsablauf zu erlangen; dem J bleibt es unbenommen, sich Notizen zu den Redebeiträgen zu
machen und seinen späteren Bericht darauf und auf seine Erinnerung zu stützen.
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Der Eingriff in die Pressefreiheit des J ist damit auch verhältnismäßig.
(3)
Zwischenergebnis
Die Einschränkung der Pressefreiheit des J ist gerechtfertigt. Die Pressefreiheit vermittelt mithin
kein Recht auf Tonbandmitschnitte der Gemeinderatssitzung.
cc)
Rechtfertigung gemäß § 4 Abs. 1 LPresseG
Der Eingriff in das Teilnahmerecht der Ratsmitglieder könnte aber in Hinblick auf § 4 Abs. 1
LPresseG hinzunehmen sein.
§ 4 Abs. 1 LPresseG begründet einen Anspruch der Presse auf Auskünfte, die der Erfüllung ihrer
öffentlichen Aufgabe dienen. Auskünfte sind dabei Tatsachen- oder Rechtsmitteilungen, die auf
Ersuchen eines Pressevertreters ergehen. Vorliegend fertigt J den Mitschnitt einer Ratssitzung.
Das in der Ratssitzung gesprochene Wort ist aber keine Mitteilung an J, die auf sein Ersuchen
hin ergeht, d.h. keine Auskunft; J möchte aus eigener Anschauung über den Verlauf und die Ergebnisse der Ratssitzung berichten. Er hat damit keinen Anspruch auf Anfertigung von Tonbandmitschnitten aus § 4 Abs. 1 LPresseG.
2.
Verhältnismäßigkeit
Die Maßnahme des B müsste auch verhältnismäßig sein. Wie bereits festgestellt, überwiegt bei
einer Abwägung zwischen dem Interesse an einem ordnungsgemäßen Sitzungsablauf und der
Pressefreiheit erstgenanntes. Die Verhältnismäßigkeit ist mithin gegeben.
3.
Ermessen
Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.
IV.
Ergebnis
Die durch B gegenüber J ausgesprochene Anordnung, die ihm die Benutzung eines Tonbandgeräts untersagt, ist formell und materiell rechtmäßig.
Aufgabe 2:
Erfolg einer Klage des M
Eine Klage des M hat Erfolg, soweit sie zulässig und begründet ist.
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I.
Zulässigkeit
Die Klage ist zulässig, wenn die Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen.
1.
Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs
Zunächst müsste der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sein. Da keine aufdrängende Sonderzuweisung ersichtlich ist, ist auf die Generalklausel des § 40 I 1 VwGO abzustellen, wonach der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art
eröffnet ist, die nicht durch Gesetz einer anderen Gerichtsbarkeit zugewiesen sind.
a)
Öffentlich-rechtliche Streitigkeit
Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit ist dann gegeben, wenn die streitentscheidende Norm eine
solche des öffentlichen Rechts ist (sog. modifizierte Subjektstheorie). Eine Norm des öffentlichen Rechts ist dabei eine solche, die einen Hoheitsträger einseitig berechtigt oder verpflichtet.
Vorliegend streiten der Vorsitzende des Gemeinderats und ein Mitglied des Gemeinderats um
Rechte und Pflichten aus organschaftlichen Stellungen als Angehörige des Gemeinderats (sog.
„Kommunalverfassungsstreit“); die streitentscheidenden Normen sind dabei der GO zu entnehmen (§ 36 Abs. 3 GO). Selbst wenn der Ausschluss auf Grundlage des Hausrechts erfolgt sein
sollte, ist die streitentscheidende Norm eine der GO, nämlich § 36 Abs. 1 Satz 2 GO. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist mithin gegeben.
b)
Nichtverfassungsrechtlicher Art
Eine Streitigkeit ist nur dann verfassungsrechtlicher Art, wenn eine doppelte Verfassungsunmittelbarkeit gegeben ist. Diese liegt dann vor, wenn Verfassungsorgane um Verfassungsrecht streiten. Ungeachtet der missverständlichen Bezeichnung als „Kommunalverfassungsstreit“ sind hier
keine Verfassungsorgane im staatsrechtlichen Sinn an dem Streit beteiligt; die Streitigkeit ist
somit nichtverfassungsrechtlicher Art gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
c)
Abdrängende Sonderzuweisung
Auch eine abdrängende Sonderzuweisung ist nicht ersichtlich.
2. Statthafte Klageart
Die Statthaftigkeit der Klageart richtet sich nach dem Begehren des Klägers, § 88 VwGO. M
möchte hier gegen den Verweis aus dem Sitzungssaal vorgehen. Es handelt sich damit um die
Klage des M in seiner Eigenschaft als Ratsmitglied gegen den B in seiner Eigenschaft als Rats-
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vorsitzender und damit um einen Kommunalverfassungsstreit. Fraglich ist, wie dieser zu behandeln ist.
Möglich erscheint, dass das Kommunalverfassungsstreitverfahren eine Klage sui generis ist, da
die in der VwGO geregelten Klagearten auf Außenrechtsbeziehungen zugeschnitten sind. Möglich erscheint auch, dass es sich bei dem Kommunalverfassungsstreit um eine sog. „allgemeine
Gestaltungsklage“ handelt, die im Wege richterlicher Rechtsfortbildung aus der VwGO zu entwickeln ist. Überzeugender erscheint es jedoch, den Kommunalverfassungsstreit in das System
der Klagearten der VwGO einzuordnen, da diese ausreichend Rechtsschutz gewähren können.
Der M könnte sein Klagebegehren mit der Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1
Satz 4 VwGO erreichen, wenn es sich bei dem Saalverweis um einen erledigten Verwaltungsakt
i.S.d. § 35 Satz 1 LVwVfG handelt. Gemäß § 35 Satz 1 LVwVfG ist ein Verwaltungsakt auf
unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet. Der Saalverweis jedoch ist eine innerorganisatorische Maßnahme ohne Außenwirkung und deshalb kein Verwaltungsakt. Die Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ist folglich unstatthaft.
Der M könnte aber eine allgemeine Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO erheben, die
auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Ausschlusses von der Gemeinderatssitzung gerichtet
ist. Dann müsste jedoch die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines konkreten
Rechtsverhältnisses begehrt sein. M begehrt hier die Feststellung der Berechtigung des B, ihn
von der Ratssitzung auszuschließen und des Saales zu verweisen. Klagegegenstand ist damit die
Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses. Die allgemeine Feststellungsklage gem.
§ 43 Abs. 1 VwGO ist somit statthaft.
3.
Feststellungsinteresse gemäß § 43 Abs. 1 VwGO
Der M müsste gemäß § 43 Abs. 1 VwGO ein Feststellungsinteresse haben. Das ist jedes nach
vernünftigen Erwägungen anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher
oder ideeller Art. Bei in der Vergangenheit liegenden Rechtsverhältnissen ist zu fordern, dass sie
Wirkung in die Gegenwart entfalten.
Das Interesse des M liegt vorliegend darin, in Zukunft nicht mehr von Ratssitzungen ausgeschlossen zu werden. Da eine Wiederholungsgefahr nicht auszuschließen ist, ist das Feststellungsinteresse damit gegeben.
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4.
Klagebefugnis analog § 42 Abs. 2 VwGO
Fraglich ist, ob bei einem Kommunalverfassungsstreit in Form einer allgemeinen Feststellungsklage die Klagebefugnis neben dem Feststellungsinteresse (§ 43 Abs. 1 VwGO) überhaupt noch
zu prüfen ist. Hierfür spricht, dass aus der allgemeinen Feststellungsklage ansonsten ein objektives Beanstandungsverfahren würde, das System der VwGO aber auf Individualrechtsschutz angelegt ist.
Um klagebefugt zu sein, muss M geltend machen können, durch den Ausschluss und die Verweisung möglicherweise in seinen Rechten verletzt zu sein. Als eine solche Verletzung kommt
hier die Beeinträchtigung des Rechts auf Teilnahme an den Gemeinderatssitzungen gemäß §§ 32
Abs. 2 Satz 1, 34 Abs. 3 GO in Betracht. Da die Klagebefugnis des M damit jedenfalls gegeben
ist, kann dahinstehen, ob diese erforderlich ist oder nicht.
5.
Beteiligtenfähigkeit
B und M sind nicht nach § 61 Nr. 1 VwGO als natürliche Personen beteiligtenfähig, da sie hier
in ihrer Eigenschaft als Teil eines Kollegialorgans einer Gemeinde streiten. Fraglich ist, nach
welcher Vorschrift sich ihre Beteiligtenfähigkeit richtet. Zum einen könnten sie gemäß § 61
Nr. 1 VwGO analog beteiligtenfähig sein. Zum anderen kommt eine Beteiligtenfähigkeit aber
auch gemäß § 61 Nr. 2 VwGO analog in Betracht, da den streitenden Organteilen bestimmte
Befugnisse zur selbständigen Ausübung zugewiesen sind und Eingriffe seitens anderer Organe
oder Organteile in diese Befugnisse abgewehrt werden können müssen. Diese Situation ist mit
der in § 61 Nr. 2 VwGO geregelten Teilrechtsfähigkeit von Vereinigungen vergleichbar. B und
M sind demnach gemäß § 61 Nr. 2 VwGO analog beteiligtenfähig.
6.
Zwischenergebnis
Die Klage des M ist zulässig.
II.
Begründetheit
Die Feststellungsklage ist begründet, soweit der Beklagte passivlegitimiert ist und das behauptete Rechtsverhältnis besteht, also B nicht berechtigt war, den M von der Sitzung auszuschließen.
1.
Passivlegitimation
Bei B müsste es sich um den richtigen Klagegegner handeln, er müsste also passivlegitimiert
sein. Grundsätzlich ist bei der allgemeinen Feststellungsklage analog § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO
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der Rechtsträger des handelnden Organs oder Organteils passivlegitimiert. Dies wäre hier die
Stadt K als Rechtsträger des Gemeinderats. Bei einem Innenrechtsstreit wie einem Kommunalverfassungsstreitverfahren ist der Rechtsträger des handelnden Organs oder Organteils jedoch
zugleich Rechtsträger des verletzten Organs oder Organteils; daher ist hier nicht der Rechtsträger
passivlegitimiert, sondern das Organ oder der Organteil, mit dem der Streit besteht. Dies ist hier
B als Vorsitzender des Gemeinderats.
2.
Berechtigung des B zum Ausschluss des M
a)
Ermächtigungsgrundlage
Ermächtigungsgrundlage für den Ausschluss des M aus dem Sitzungssaal ist § 36 Abs. 3 Satz 1,
1. Halbs. GO.
aa)
Grobe Ungebühr oder wiederholte Verstöße gegen die Ordnung
M müsste sich in der Ratssitzung grob ungebührlich verhalten haben oder wiederholt gegen die
Ordnung verstoßen haben.
Grob ungebührlich ist ein solches Verhalten, das in besonders hohem Maße den Ablauf der Verhandlungen stört. Es ist damit ein besonderes Fehlverhalten, bei dem die Grenzen des Tragbaren
erheblich überschritten sind.
Wiederholte Verstöße gegen die Ordnung sind mehrfach aufeinander folgende Ordnungswidrigkeiten.
Vorliegend hat M trotz Ermahnung des B den Fortgang der Beratungen verhindert und damit den
Ablauf der Verhandlung gestört. Er hat sich damit grob ungebührlich verhalten.
bb)
Verhältnismäßigkeit
Die Maßnahme des B müsste auch verhältnismäßig gewesen sein. Die Verhältnismäßigkeit ist
dann gegeben, wenn bei einer Abwägung zwischen dem Teilnahmerecht des M gemäß §§ 32
Abs. 2 Satz 1, 34 Abs. 3 GO, und dem öffentlichen Interesse an einem ordnungsgemäßen Sitzungsablauf letzteres überwiegt. Das Recht von Ratsmitgliedern, an Sitzungen teilzunehmen, ist
von hoher Bedeutung für die Selbstverwaltung und eine demokratische Meinungsbildung im Rat.
Durch das Ausschließen von Ratsmitgliedern könnte der Bürgermeister letztlich alle Ratsmitglieder von Diskussionen und Abstimmungen fernhalten, die einer anderen Auffassung als er
selbst sind, und somit den Verlauf von Diskussionen und Abstimmungen beeinflussen. Andererseits ist aber auch ein ordnungsgemäßer Sitzungsablauf von überragender Bedeutung für die demokratische Grundordnung und die Selbstverwaltung, da andernfalls Diskussionen und Abstim-
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mungen im Rat überhaupt nicht durchzuführen sind. Es muss deshalb unterbunden werden können, dass einzelne Ratsmitglieder durch Störungen einen ordnungsgemäßen Sitzungsablauf derart verhindern, dass Abstimmungen und Diskussionen gar nicht mehr möglich sind. Somit überwiegt das öffentliche Interesse an einer ordnungsgemäßen Sitzung das Recht des einzelnen
Ratsmitglieds, uneingeschränkt an Sitzungen teilnehmen zu können.
Die Maßnahme des B war mithin verhältnismäßig.
cc)
Ermessen
Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.
b)
Zwischenergebnis
B war zum Ausschluss des M berechtigt.
3.
Ergebnis
Die Feststellungsklage des M ist zulässig, aber unbegründet.
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