Höhenweg - Stadtfragen.ch

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Stadtfragen.ch / Texte / Thomas Stadelmann
in: Werk, bauen + wohnen, Nr. 12/2011, Seite 62 ff.
Höhenweg
Panoramagalerie auf Pilatus Kulm, Niklaus Graber & Christoph Steiger Architekten, Luzern
Mit der Panoramagalerie auf dem Luzerner Hausberg Pilatus leisten die Architekten Niklaus
Graber und Christoph Steiger einen ebenso soliden wie räumlich grosszügigen Beitrag zur
Diskussion, was eigenständige Tourismusarchitektur leisten kann. Dem Neubau gingen
unrealisierte Vorgängerprojekte und der Wunsch nach Umsatzsteigerung sowie nach einer
ganzjährigen, trockenen Fusses begehbaren Verbindung zwischen den Bahnstationen und den
beiden Hotels Pilatus-Kulm und Bellevue voraus. Erst ein Masterplan der Steiner Sarnen AG
über den ganzen Berg mit den Stationen Alpnachstad, Pilatus Kulm und Kriens/Luzern gab
die notwendigen Impulse und lieferte klare Vorgaben, nach denen das Werk der bisherigen
Baumeister auf dem Pilatus als Ganzes aufgeräumt und veredelt werden konnte. Die
Positionierung des neuen Verbindungsbauwerks wurde griffig auf den Punkt gebracht: „Hier
verkaufen wir Aussicht!“ Das Bauprogramm für die ganzjährig benutzbare Ankunfts-,
Aufenthalts-, Event- und Verbindungshalle mit Shoppingmöglichkeiten, für die SteinbockBar sowie das darüberliegende Aussichts- und Sonnendeck war damit vorgegeben.
Alles sehen: alpine Natur auf dem Präsentierteller
Mit dem Abschluss der Gesamterneuerung im August 2010 begann für das historische
Berghotel Pilatus-Kulm (Baujahr 1890) und die weiteren Bauten auf dem Pilatus ein neues
Kapitel. Die passende architektonische Lösung für die Reparatur und Aufwertung der
Verbindungen zwischen den Hotels, den Bergstationen und den verschiedenen
Gastronomiebetrieben wurde bereits 2008 im Rahmen eines Studienauftrags ermittelt. Die
Vorgaben folgten der allgemeinen Handlungsanleitung für die bestmögliche Wirkung
zeitgemässer Tourismusarchitektur: Wer zu Fuss oder mit der Bahn den Pilatusgrat erreicht,
sich dort kurz oder als Hotelgast aufhält, soll die atemberaubende Aussicht – die Natur auf
einen Blick –, die hier in zwei Himmelsrichtungen besonders eindrücklich ist, geniessen
können. Einheimische und Gäste sollen sehen und staunen, sich wohl fühlen und sich
überraschen lassen, sie sollen jederzeit sicher verweilen und das alpine Bergerlebnis
möglichst bequem erleben und Souvenirs erwerben können. Im Unterschied zu
Erlebniswelten, bei denen die Inszenierung am einzelnen Spektakel als künstlich geschaffen
erkennbar ist, ist die Inszenierung auf dem Pilatus die Destination selbst: das Zusammenspiel
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von alpiner Bergwelt mit der Bau- und Bahngeschichte des Ortes, der Infrastruktur und
Menschen aus aller Welt. Natur pur, auf dem Silberteller präsentiert.
Niklaus Graber & Christoph Steiger Architekten haben die Vorgaben der Destination Pilatus
Kulm und das Leitthema Aussicht auf dem zweiseitig exponierten Berggrat unmittelbar und
nach der Formel „form follows mountain“ zum Gegenstand ihrer Architektur gemacht. Im
Resultat überzeugt das Gebäude als Interpretation der räumlichen, betrieblichen und baulichen
Gratwanderung zwischen den bestehenden Gebäuden, Aussen- und Innenräumen, Aus- und
Einsichten und der natürlichen Umgebung aus schroffem Fels – und es kommt dabei ganz
ohne postmoderne Zeichenhaftigkeit aus. Die Panoramagalerie versteht sich nicht als
künstlicher Berg, sondern als Imitation der vorhandenen alpinen Tourismusdestination,
stilisiert in einem architektonischen Höhenweg. Das bestehende Sockelgebäude der Armee
wurde nicht weitergebaut, sondern als Fels behandelt, mit anderen Worten: perfekt getarnt.
Am und auf dem Berg
Trotz der wirtschaftlichen und betrieblichen Vorgaben überrascht die Panoramagalerie, indem
sie als architektonisch geformte Infrastruktur und Wahrnehmungsmaschine selbst zur
Attraktion wird. Ohne akribische Suche in der Entwurfsarbeit, ohne das Einbringen eigener
Ideen durch die Architekten und ohne den ausgeprägten Wunsch nach Grosszügigkeit wäre
dies kaum denkbar gewesen.
Der mäandrierende Grundriss lässt das Gebäude zweiseitig und unregelmässig weit über das
Sockelgebäude auskragen. Die Linienführung im Grundriss und im Gebäudeschnitt findet
ihren konzeptionellen Anschluss an die bestehenden Gebäude und an die felsige Umgebung
einmal, indem die Panoramagalerie den Felsen folgt, und einmal, indem sie sich von der
Landschaft abwendet und sie überragt. Gleichzeitig verführen die Architekten mit dem
Grundthema der räumlichen Kontinuität die Besuchenden zu horizontalen und vertikalen
Bewegungen in der Halle, den Foyers und auf dem Sonnendeck. Der Selbstversuch zeigt, dass
dadurch tatsächlich eigene, durchaus schwindelerregende Erinnerungen an Situationen am
oder auf dem Berg wach werden.
Zum historischen Hotel Pilatus-Kulm geht das Gebäude mithilfe einer Open-Air-Arena
respektvoll auf Distanz. Sie ist zugleich „the Stairway to Heaven“, dient als Aufstieg zur
imposanten Panoramaterrasse. Pragmatischer verhält sich der Neubau gegenüber dem
Bellevue: Hier mussten verschiedene Anschlüsse und Niveaus auf engem Raum überwunden
werden. Leider hat die Erschliessungsidee aus dem Wettbewerbsprojekt an dieser Stelle die
fachlich unglücklich gewählten Schnittstellen mit dem Bellevue-Umbau nicht überlebt.
Stadtfragen.ch / Texte / Thomas Stadelmann
Bilder und Menschen in Bewegung
Die Stadt Luzern hat bereits das Bourbaki-Panorama, das 1889, während sich das Hotel
Pilatus-Kulm im Bau befand, nach Luzern überführt und in einem 360-Grad-Rundbau
installiert wurde. Und Jean Nouvel bietet den Gästen auf der Terrasse des KKL in Luzern auf
über 180 Grad jenes Erlebnis an, das ein Alpenpanorama im heutigen touristischen
Verständnis ausmacht: den totalen, allerdings inszenierten Blick in die Landschaft. Mit der
Panoramagalerie hat sich nun auch der Blick von Luzern aus auf die nachts beleuchtete
Gipfelsilhouette des Pilatus verändert. Auf dem Gipfel werden jedes Jahr 350'000 Gäste aus
aller Welt die Panoramagalerie besuchen, und von der Aussicht in die durch die Architektur
der Halle veränderte Landschaft ebenfalls magisch angezogen werden. Als Betrachter vor Ort
wird einem in diesem Moment unmittelbar klar, dass die unterschiedlichen Auskragungen,
Fenster- und Brüstungshöhen vor allem eine szenografische, weniger eine technische
Funktion haben. In der Halle sind die Fenster dort am grössten, wo die Auskragung am
weitläufigsten ist. Die Landschaft präsentiert sich dadurch über die mehrschichtigen,
grossflächigen Gläser ähnlich wie auf einem überdimensionalen Dia. Die Grosszügigkeit der
Halle, die (bis jetzt!) lediglich mit leichten Einbauten möbliert ist, lässt es dabei zu, den
eigenen Abstand, den Blickwinkel individuell zu bestimmen, sich in einer Nische
niederzulassen oder die Wahrnehmung auf die eigene Bewegung in der Länge und Breite der
Halle zu richten. Die sichtbare Tragstruktur aus zwei Reihen von unterschiedlich gespreizten
V-förmiger Doppelstützen, Zugstangen für die äusseren Deckenplatten und zickzackartig
angeordneten Deckenunterzügen unterstützt konstruktiv die Idee des zweiseitig beleuchteten,
perspektivischen Galerieraums. Um dies möglich zu machen, mussten die Bauherrschaft, die
Planer und die Architekten ihre Ressourcen vor allem in den architektonischen Raum und
weniger in die Veredelung von Oberflächen investieren. Dass dies gelungen ist, erstaunt auf
Pilatus Kulm umso mehr, da Tourismusinfrastrukturen dazu neigen, im Innern nach den
bekannten touristischen Klischeevorstellungen verkleidet zu werden. Die Panoramagalerie
aber bleibt durch die vorherrschend mineralisch gehaltenen Wände und Decken auch in ihrem
Innenleben der eigenen Idee treu, die atemberaubende Landschaft und das alpine Bergerlebnis
Pilatus Kulm mit den Mitteln einer konsequent eigenständigen Architektur zu veredeln.
Thomas Stadelmann
Stadtfragen.ch / Texte / Thomas Stadelmann
Architekten: Niklaus Graber & Christoph Steiger Architekten ETH/BSA/SIA, Luzern
Mitarbeit: Philipp Käslin (Projektleitung), Monika Hausmann, Yvonne Hoffmann, Patric
Huber, Urs Schmid, Andrea Späti
Statik: Dr. Joseph Schwartz Consulting, Zug
Bauleitung: Jürg Gabathuler, Wollerau
Bauherrschaft: Pilatus Bahnen AG, Kriens
Studienauftrag: 2008
Realisierung: 2010–2011
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