Pasdzierny_Goldener Bock

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Matthias Pasdzierny
Fernsehoper auf der Bühne?
Egon Monks Regiepläne für die Uraufführung von Ernst Kreneks
Der goldene Bock 1964 in Hamburg
In einem Interview mit der Tageszeitung Der Standard wurde Gladys
Krenek unlängst gefragt, welches Werk ihres verstorbenen Gatten sie
gerne wieder einmal auf der Bühne sehen würde. Es sei dies die Oper Der
goldene Bock, so ihre Antwort, da seinerzeit „bei der Hamburger
Uraufführung im Jahr 1964 […] so gut wie gar nichts funktioniert“ habe.
„Diese Oper wäre es wert, in einer intakten Produktion präsentiert zu
werden.“1 Eine solche Aussage wirft Fragen auf, vor allem danach, was der
Anlass für den schlechten Leumund der Hamburger
Uraufführungsproduktion in Gladys Kreneks Erinnerung sein könnte.
Zweifellos handelt es sich um eine der ambitioniertesten
Opernkompositionen Kreneks aus der Zeit nach 1945. Nicht nur die große
Zahl von 28 teilweise sehr schwierigen Gesangspartien, die hochkomplexe
Partitur mit seriellen, aleatorischen und elektronischen Elementen, sondern
auch in der Handlung vorgesehene Reisen durch Raum und Zeit,
zahlreiche Verwandlungen und Umbauten auf offener Bühne sowie
Kampfszenen und Verfolgungsjagden etwa auf Motorrädern oder gar
zwischen Jumbojet und fliegendem Drachen stellten damals (und sicher
auch noch heute) selbst für ein großes Haus wie die Hamburger Staatsoper
eine echte Herausforderung dar. Doch gerade der Perfektion, ja virtuosen
Leichtigkeit, mit der die für Bühnenmaschinerie und Regie-Team so
anspruchsvollen Passagen der Oper in Hamburg umgesetzt wurden,
zollten die Uraufführungs-Rezensenten seinerzeit höchsten Respekt,
ebenso wie, bei aller Kritik am Stück selbst, der Leistung des Ensembles
und des Orchesters. So sprach Hans Heinz Stuckenschmidt von den
„technische[n] Wunder[n]“ der Inszenierung,2 Heinz Joachim von einer
„wahrhaft zauberisch angelegten Regie“3 und selbst die Hamburger
1
2
3
Peter Vujica: Ernst Krenek war doch Österreicher. Gladys Krenek im Gespräch, in: Der
Standard 22.1.2009.
Hans Heinz Stuckenschmidt: Sonja mit den Drachenzähnen. Kreneks „Goldener Bock“
Uraufführung in der Hamburger Staatsoper, in: FAZ 19.6.1964.
Heinz Joachim: Parodistische Reise durch Zeit und Raum, in: Welt 19.6.1964.
1
Ausgabe der Bild-Zeitung stimmte in ihrem Kurzurteil in das einhellige Lob
für die Produktion ein: „Die Zukunft soll dieser Musik die Sterne geben, die
sie verdient. Für die Aufführung und die Sänger: 6 Sterne
[Höchstwertung]“4. Nicht wenige Kritiker vertraten sogar die Ansicht, dass
das enorme Engagement von Regisseur, Bühnenbildner und technischem
Leiter das Werk gerettet, dass „ohne diese ebenso aufwendige wie präzise
Regie“ die Uraufführung der Oper aufgrund ihrer vermeintlichen
kompositorischen und konzeptionellen Schwächen „mit hoher
Wahrscheinlichkeit zu einer Bruchlandung mit Totalschaden geworden“
sei.5
Wertet man den seit kurzem im Archiv der Berliner Akademie der Künste
zugänglichen Nachlass des Regisseurs der Uraufführung, Egon Monk,6 und
die zwischen Monk, Krenek, dem Bühnenbildner Alfred Siercke und dem
Hamburger Intendanten Rolf Liebermann geführte Korrespondenz um die
Uraufführung von Der goldene Bock aus, so werden die großen Probleme
sichtbar, die das Projekt begleiteten. Denn sowohl Monk wie auch Krenek
waren ursprünglich daran interessiert gewesen, Verfahrensweisen des
Films in dieser Produktion großen Platz einzuräumen, ein Vorhaben, das
letztlich an technischen Problemen scheitern sollte. Egon Monk (1927–
2007), von Hause aus ein Regie-Schüler Bertolt Brechts, war 1953 nach
Westdeutschland gekommen, hatte sich dort vor allem als Hörspielautor
einen Namen gemacht und 1960 die Leitung der Abteilung Fernsehspiel
des NDR übernommen. Heute ist er vor allem bekannt als Regisseur des
1988 im ZDF ausgestrahlten Mehrteilers Die Bertinis, der auf dem
autobiographischen Roman von Ralph Giordano basierenden dramatischen
Verfolgungsgeschichte einer deutsch-jüdisch-italienischen Familie im
Hamburg der NS-Zeit. Rolf Liebermann, als Intendant Anfang der 1960er
Jahre an der Etablierung Hamburgs als Zentrum der zeitgenössischen
Oper besonders interessiert, hatte Monk bereits zuvor als Regisseur
engagiert, da er sich von ihm sowohl als Brecht-Schüler wie auch als
Fernseh-Fachmann Modernisierungsimpulse für die Opernregie erhoffte.
Im Rahmen der Uraufführungsproduktion von Ernst Kreneks Der goldene
Bock sah Monk die Gelegenheit gekommen, erstmals ausgiebig mit
4
5
6
Walter Schröder: Schon die alten Griechen kochten in Hexenküchen. Der goldene Bock
in der Staatsoper, in: Bild [Hamburg] 18.6.1964.
Susanne Materleitner: Zwischenfälle bei einer Notlandung. Zur Uraufführung von Ernst
Kreneks Oper „Der goldene Bock“ in der Hamburgischen Staatsoper, in: VZ Kieler
Morgen-Zeitung 19.6.1964.
Archiv der Akademie der Künste Berlin, Egon Monk Archiv.
2
Filmprojektionen auf der Bühne zu experimentieren. Dieses heutzutage
geradezu inflationär angewandte Theatermittel war zwar in Einzelfällen
schon im Musiktheater der späten Weimarer Republik benutzt worden
(etwa von Caspar Neher, dem Bühnenbildner Brechts). Nicht zuletzt die
Einschnitte der nationalsozialistischen Kulturpolitik aber hatten die
avancierte künstlerische Auseinandersetzung mit dem neuen Medium
abgebrochen, noch ehe sie richtig in Fahrt gekommen war. Auch die
Opernregisseure der Nachkriegszeit hatten sich, zunächst aus ganz
pragmatischen Gründen (etwa wegen der fehlenden technischen
Ausstattung), nur sehr zögerlich wieder damit auseinandergesetzt. Dass
Kreneks Der goldene Bock die großflächige Verwendung von Projektionen
geradezu herausforderte (und zwar auf ganz spezifische Weise), hing vor
allem mit der vom Komponisten konzipierten Handlung und
dramaturgischen Anlage der Oper zusammen. In seiner von ihm als
„surrealistisch“ bezeichneten Variante der Argonautensage nämlich
verlagerte Krenek große Teile der antiken Vorlage – die Suche Jasons und
seiner Gefährten nach dem sagenumwobenen Goldenen Vließ, die
Begegnung mit Medea et cetera – in die Konsumgesellschaft der USA der
Nachkriegszeit und schuf auf diese Weise eine turbulent-bittere Persiflage
auf den American Way of Life.
Bühnenbildentwurf zu Der goldene Bock von Alfred Siercke, Hamburg 1964,
Theaterwissenschaftliche Sammlung der Universität Köln, Abdruck mit freundl.
Genehmigung von Alfred Siercke (Sohn), Theaterwissenschaftliche Sammlung der
Universität Köln, Inventarnr. 32102b
3
Zugleich war es die Gattung Oper selbst, die Krenek in seinem Stück
parodistisch aufs Korn nahm, etwa durch verballhornte Zitate bekannter
Opernpassagen (etwa Jasons Satz „Nun sei bedankt mein lieber Kahn“ bei
der Landung in Amerika als Anspielung auf Richard Wagners Lohengrin),
die Anlage der Figuren als Abzieh- oder Zerrbilder bestimmter Rollen- und
Stimmfachklischees (so der sich konsequent seiner Heldenbariton-Rolle
verweigernde Jason) sowie die exzessive, bisweilen ins Groteske
umschlagende Verwendung von Bühnen- und Theatereffekten (wie in der
genannten Verfolgungsjagd von Flugzeug und fliegendem Drachen, s.
Abb.). Das dabei praktizierte Aufbrechen des Prinzips einer stringenten, in
Bezug auf Zeit und Raum logischen Dramaturgie ließ auch Krenek von der
Nähe dieser Oper zum Film sprechen:
Auch hier [in „Der goldene Bock“] ist lückenlose Kontinuität in der Abfolge
der oft sehr kurzen Szenen unbedingt erforderlich, gerade weil die Sequenz
der Szenen nicht auf einem rational erfaßbaren Nacheinander beruht. […]
Die Zeitkoordinaten schneiden sich absurd, wenn Medea, eine heutige
Indianerschönheit, ihrem Jason aus der „Medea“ des Euripides vorliest,
was sie ihm in der gegebenen Situation zu sagen hat. Die filmischen
Möglichkeiten dieses phantastischen Konzeptes liegen auf der Hand.7
Entsprechend setzte Monk mit der Verwendung der Projektionen vor allem
an genau diesen „Schnittpunkten“ der „Zeitkoordinaten“ an. In mehreren,
langen Briefen erläuterte er Krenek, wie er sich die Verwendung der Filme
vorstellte. Zunächst einmal ging es darum, mit Hilfe von Filmsequenzen
schwerfällige Umbauten zu vermeiden, um die erforderliche größtmögliche
Leichtigkeit der fast schon revueartigen Szenenfolge zu erreichen.
Projektionen dienten dabei nicht als (womöglich illusionistischer)
Hintergrund oder spezieller Lichteffekt (wie etwa gelegentlich bei Wieland
Wagner)8, sondern als gleichwertiger Bestandteil der Inszenierung, der die
Bühnenhandlung erweitern, kommentierten oder auch konterkarieren
konnte:
7
8
Ernst Krenek: Musiktheater – Fernsehen – Film, in: IMZ Bulletin, 3/4 (1968), S. 21–28,
hier S. 21.
Vgl. zur Verwendung von Projektionen bei Wieland Wagner Ingrid Kapsamer: Wieland
Wagner. Wegbereiter und Weltwirkung, Graz 2010.
4
Die Filme, um endlich zur Hauptsache zu kommen, werden nicht nur, wie
früher manchmal im Theater, Hintergründe für auf der Bühne stattfindende
Handlungen zeigen. Sie werden selbst Handlungen zeigen. Und zwar nicht
getrennt von der Bühnenhandlung, sondern verbunden mit ihr.9
Offenbar ging es Monk darum, ein Wechselspiel von Medialität und
„Authentizität“, von Bühne und Film, von räumlicher Tiefe und
Zweidimensionalität der Leinwand zu betreiben. Dass dabei die jeweiligen
Zuordnungen keineswegs klar sein, vielmehr auch hier
Erwartungshaltungen durchkreuzt werden sollten, wird etwa in Szenen wie
Jasons Amerika-Überfahrt auf der Argo deutlich. Monks Regievorschlag
hierfür bestand darin, als Projektion zwar ein Meer zu zeigen, aber „nicht
das ,natürliche‘ Meer, sondern ein Theatermeer“.10
Die ambitionierten Film-Pläne Monks fanden allerdings nach ersten
vielversprechenden Probeaufnahmen bereits im November 1963 ein jähes
Ende, als die technische Leitung der Hamburger Oper entschieden hatte,
eine Positionierung der erforderlichen leistungsstarken Projektoren auf und
hinter der Bühne (und damit direkt unter dem Kulissenturm) aus
Brandschutzgründen nicht zu gestatten.11 Auf diese Weise zum
Umdisponieren gezwungen, entwickelten Monk und der zuständige
Bühnenbildner Alfred Siercke ein ausgeklügeltes System durchsichtiger
Schleiervorhänge an den Bühnenrändern, hinter denen je nach
Beleuchtung Personen und Requisiten erscheinen und verschwinden
können. „[W]ozu vordem der Film verhelfen sollte, [soll nun] vom Licht
gemacht werden“,12 erläuterte Monk Krenek sein „Ersatzkonzept“, wobei er
offen zugab, dass „der Verzicht [auf die Projektionen] einen wirklichen
Verlust bedeutet[e]“.13
Wie Ernst Krenek seinerzeit auf diesen „Verlust“ reagierte, geht aus den im
Umfeld der Produktion erhaltenen Archivalien nicht hervor.
Überschwänglich bedankte er sich nach Beendigung der Hamburger
Aufführungsserie (an der er selbst als Dirigent mitgewirkt hatte) für die
„prächtige Uraufführung“, in der die „,technischen Wunder‘, zu denen das
Stück herausfordert, […] in Präzision und Eleganz der Ausführung die
9
10
11
12
13
Brief Egon Monk an Ernst Krenek, Hamburg 11.6.1963, Ernst Krenek Institut (im
Folgenden EKI) 13/18–19.
Brief Egon Monk an Ernst Krenek, Hamburg 11.9.1963, EKI 13/18–19.
Ebd.
Brief Egon Monk an Ernst Krenek, Hamburg 4.3.1964, EKI 13/18–19.
Brief Egon Monk an Ernst Krenek, Hamburg 15.11.1963, EKI 13/18–19.
5
hochgespannten Erwartungen [übertrafen]“.14 Ob es sich bei diesen
Äußerungen um eine rhetorisch-diplomatische Pflichtübung handelte, lässt
sich aus heutiger Sicht ebenso wenig beurteilen wie die Wirkung, die das
ursprünglich geplante Regiekonzept für Der goldene Bock erzielt hätte. Es
wäre sicher interessant zu sehen, was eine heutige Produktion mit den
aktuellen technischen Möglichkeiten aus dieser Oper machen würde – und
damit in jedem Fall zumindest in dieser Hinsicht Gladys Krenek einhellig
zuzustimmen, dass Der goldene Bock knapp 50 Jahre nach der
Uraufführung trotz aller Schwierigkeiten es unbedingt wert wäre, wieder
einmal auf die Bühne gebracht zu werden.
Matthias Pasdzierny, wiss. Mitarbeiter an der Universität der Künste Berlin sowie im DFGProjekt Kontinuitäten und Brüche im Musikleben der Nachkriegszeit (www.udkberlin.de/musikwissenschaft/rueckkehr), Dissertation Wiederaufnahme? Rückkehr aus dem
Exil und westdeutsche Musikleben nach 1945, Universität der Künste Berlin 2013.
14 Brief Ernst Krenek an die Intendanz der Hamburgischen Staatsoper, o.O., [ca. August]
1964, EKI 13/18–19.
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