Sarah Schulmeister_Krenek und der Austrofaschismus

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Sarah Schulmeister
Krenek und der Austrofaschismus
Krenek setzte sich Anfang der 1930er Jahre stark für den „christlichen
Ständestaat“ ein, ein Engagement, das er auch späterhin nicht
leugnete. Wohl aber verwies er im Nachhinein immer auf die Bedrohung
durch den Nationalsozialismus, um sein Eintreten für die
„österreichische Idee“ zu erklären:
„[…] wenn man die Meuchelmörder am Haustor rütteln hört, scheint der
lokale ‚Faschismus gemildert durch Schlamperei‘ als immerhin
denkbarer Schutzraum […]“ 1
Dass Krenek hier im „christlichen Ständestaat“ die einzige wirkungsvolle
Verteidigung gegen den Nationalsozialismus gesehen zu haben scheint,
mutet aus heutiger Sicht paradox an, wurde doch bei aller mitunter auch
scharf formulierter Abwehrrhetorik eine Abgrenzung – geschweige denn
Widerstand – gegenüber Deutschland im „Ständestaat“ nie ernsthaft
versucht. Krenek, ein Antinationalsozialist der ersten Stunde, der aber
gleichzeitig der politischen Linken in keinster Weise zugeneigt war,
nahm hier bei seiner politischen Positionierung wie auch in
künstlerischen Belangen den Platz „zwischen den Stühlen“ ein.
Kreneks erste propagandistische Äußerungen für ein „neues Österreich“
fallen in das Jahr 1931. Bis ins Frühjahr 1935 bekannte er sich in
zahlreichen Zeitungsartikeln zum Austrofaschismus. Vor allem zu
kunstpolitischen Fragen äußerte er sich häufig und versuchte auch
innerhalb der „Vaterländischen Front“ eine der modernen Kunst
aufgeschlossene Haltung anzuregen. Der italienische Faschismus sollte
hierbei als Vorbild dienen.
Als die Regierung Dollfuß am 12. Februar 1934 brutal gegen die
Sozialdemokratie vorging, begann Kreneks Unterstützung für das
1
Krenek, Ernst: Erinnerungen an die Entstehung meiner Oper „Karl V.“ vor 45 Jahren.
In: Programmheft des Staatstheaters Darmstadt, Nr. 19, 1978. Zitiert nach: Rothmaier,
Monika: Das Bühnenwerk „Karl V.“ von Ernst Krenek. Eine musikdramatische
Untersuchung. Diplomarbeit. Universität Freiburg i. Br., S. 2
1
austrofaschistische Regime langsam zu bröckeln. Zwar klagte er die
Zerschlagung der Sozialdemokratie nicht offen an, doch mit seinem
kurz darauf in der Wiener Zeitung veröffentlichten Plädoyer für eine
Miteinbeziehung radikaler Kräfte übte Krenek indirekt Kritik an dem
Vorgehen der Regierung:
„Es muß [...] die Erkenntnis durchgesetzt werden, daß das Radikale, als
geistiges Element, ein unumgänglich notwendiges Komplement des
echten Konservativismus darstellt, ohne welches er in Sterilität
verkümmern muß. Andererseits bedarf die radikale Geisteshaltung des
festen Bodens, den ihm [sic] die konservative bietet [...]“2
Diese Worte klingen fast wie eine Selbstcharakterisierung Kreneks, und
in kaum einem seiner Werke kommt diese dialektische Haltung
deutlicher zum Ausdruck als in der zwischen 1931 und 1933
entstandenen Oper Karl V., vereint sie doch tief konservative
Geisteshaltung mit radikalsten Ausdrucksmitteln. Der Einfluss von
Kreneks weltanschaulicher Überzeugungen dieser Jahre auf Wahl und
Gestaltung des Opernstoffes wird bei einem näheren Blick auf das
Werk, das er 1935 als „wesentliche[s] künstlerische[s] Resultat meines
Weges nach Österreich“3 bezeichnete, offensichtlich. Inhalt der Oper ist
das Leben des Habsburgerkaisers Karl V., erzählt als die Geschichte
seines Scheiterns an der von Gott an ihn gestellten Aufgabe der
Errichtung der Civitas Dei. Karls Mahnrufe, die heilige Ordnung einer
christlich geeinten Welt nicht durch Nationalismen zu gefährden,
durchziehen die Oper; die Bezüge zur politischen Situation der 1930er
Jahre sind dabei überdeutlich zu erkennen.
Krenek wählte ein eigenwilliges dramaturgisches Konzept, um das
Publikum über die Kontemplation hinaus zur eigenständigen Reflexion
anzuregen. Durch eine fragmentarische und bewusst uneinheitliche,
immer in Relation zu verschiedenen Reflektionsebenen stehende
Darstellung der Bühnenhandlung sollten die Zuseher angeregt werden,
sich selbst eine Meinung zu bilden, und sich mit der Relevanz der auf
2
Krenek, Ernst: Konservativ und radikal. In: Wiener Zeitung 231/56 (25. Februar 1934),
Sonntagsbeilage, S. 1
3
Krenek, Ernst: Der Weg nach Österreich / Vorwort zu einem geplanten Sammelband
mit Aufsätzen Kreneks, dessen Publikation für 1935 im Reinholdverlag geplant war,
aber nicht zustande kam. Typoskript mit handschriftlichen Anmerkungen, Wienbibliothek
(ZPH 291, Archivbox 2, 1.7.2.7.)
2
der Bühne dargebrachten Problematiken für das eigene Leben
auseinanderzusetzen. Kreneks Kunstgriff, das Leben des
Habsburgerkaisers in Form einer Beichte am Sterbebett erzählen zu
lassen, verstärkt diesen Effekt der moralischen Reflexion noch. Gerade
weil Karl nicht als schillernder Held, sondern als zutiefst problematische
Figur auftritt, reizen seine verzweifelten Mahnrufe zu persönlicher
Auseinandersetzung. Mit den letzten Worten der Oper geht Krenek
noch einen Schritt weiter und wendet sich direkt an das Publikum:
„Mit diesem Mann starb eine Zeit. Unvollendet ist sein Werk. Doch bleibt
uns ewig aufgegeben, was er heldenhaft versuchte.“4
Hier gemahnt er die ZuseherInnen, dass Gottes Auftrag nach Einigung
der Welt unter dem Christentum auch heute noch auf seine Erfüllung
wartet, und einem jeden aufgegeben sei, denn, wie er andernorts
schreibt, „der Gang der Geschichte ist […] eine ganz konkrete Aufgabe,
an der der einzelne mitzuwirken hat“5.
Zum musikalischen Ausdrucksmittel seiner „Bekenntnisoper“ wählte
Krenek die Zwölftontechnik. Dieser Entscheidung ging eine lange Zeit
der Gewissensprüfung und der Zweifel voraus, angeregt und begleitet
allen voran von Theodor W. Adorno, mit dem Krenek 1929 in einen
regen Dialog trat. Mit den sich immer weiter zuspitzenden politischen
Entwicklungen in Mitteleuropa wuchs Kreneks Drang, selbst
gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, wovon seine enorme
publizistische Tätigkeit für den Austrofaschismus dieser Jahre Zeugnis
ablegt. Adorno hingegen verortete eine solche Verantwortung im
künstlerischen Schaffensprozess selbst, und forderte Krenek mit dieser
Haltung, die mit einem offensiven Werben für die Zwölftontechnik
einherging, heraus und konnte ihn schließlich auch überzeugen.
Adornos für Krenek so prägende Auffassung erinnert mit ihrer
Kompromisslosigkeit in mancherlei Hinsicht an die Prinzipien einer
anderen Leitfigur Kreneks, deren Einfluss auf seine Entwicklung nicht
zu unterschätzen ist: Karl Kraus und seine Maxime von der einheitlichen
4
Ernst Krenek: Karl V. Bühnenwerk mit Musik in zwei Teilen. In: H. H. Stuckenschmidt
(Hg.): Spectaculum. Texte moderner Opern, Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1962, S. 230
5
Krenek, Ernst: Künstlerische und wissenschaftliche Geschichtsbetrachtung (1935).
Abgedruckt in: Krenek, Ernst: Zur Sprache gebracht. Essays über Musik.
Herausgegeben von Friedrich Saathen, Albert Langen/ Georg Müller, Regensburg 1958,
S. 192.
3
Persönlichkeit. So ist es kein Zufall, dass Krenek seine ersten Versuche
mit der Zwölftontechnik bei der Vertonung von Gedichten von Kraus
unternahm.
Der Gedanke der Einheit ist ein zentrales Element der Oper Karl V. Am
offensichtlichsten tritt das in der Handlung zu Tage, aber auch die
Zwölftontechnik selbst sah Krenek in ihrem gleichberechtigten
Umfassen des gesamten Tonmaterials als Ausdruck des
Einheitsgedankens auf kompositionstechnischer Ebene an. Hier suchte
er eine Verbindung zum austrofaschistischen Leitspruch der „Einheit in
der Vielfalt“ herzuleiten. Die ordnende Kraft der göttlichen Vorsehung
entsprach dem „Zwang des musikalischen Materials“ – hier wie dort
eine höhere Ordnung, der sich der Einzelne zu fügen hat. Die
Zwölftontechnik wurde so von Krenek zur ästhetischen Entsprechung
des universalistischen politischen Anspruchs stilisiert.
Die Hoffnungen, die Krenek in den Austrofaschismus legte, hatten mit
der kulturpolitischen Realität jedoch kaum etwas gemein. So war es
denn auch ausgerechnet eine Intrige der austrofaschistischen
Heimwehr, die die für 1934 geplante Uraufführung jener Oper, mit der
Krenek „eine Art Festspiel für Österreich“6 schaffen wollte, zu Fall
brachte.
Sarah Schulmeister, geboren 1988 in Wien, studierte Musikwissenschaften und
Romanistik (Französisch und Italienisch) an der Universität Wien und an der Università
degli studi di Pavia/Cremona (Erasmus Stipendium). 2004-2011 Mitarbeit bei der
Jeunesse – Musikalische Jugend Österreichs, seit 2011 beim Musikverein Wien im
Künstlerischen Betriebsbüro der Neuen Säle. Sie ist Stipendiatin der Ernst Krenek
Institut Privatstiftung und schreibt ihre Diplomarbeit an der Universität Wien bei Univ.Prof. Dr. Michele Calella.
6
Vgl.: Krenek, Ernst: Vorbemerkung zur Lesung „Karl V“ in Graz am 3. 2. 1936,
Manuskript Wiener Stadt- und Landesbibliothek, Teilnachlass Ernst Krenek, ZPH 291,
Archivbox 2, Sig. 1.9.2.9
4
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