Gabriele Fröhlich-Gildhoff Was tun, wenn Stress den Blutdruck in die Höhe treibt? AUS DER PRAXIS Stress ist für Viele ein Charakteristikum ➤unserer Zeit unter dem immer mehr Menschen leiden und dies scheint erhebliche Krankheitsfolgen nach sich zu ziehen. Eine Stressfolgeerkrankung kann ein erhöhter Blutdruck sein. Bei dauerhafter Erhöhung des Blutdrucks über 140/90 Psychosomatisches Verständnis und Behandlungsmöglichkeiten der essenziellen Hypertonie Zusammenfassung Psychische und soziale Faktoren spielen eine wichtige Rolle bei Entstehung und Verlauf der primären essenziellen Hypertonie, die unbehandelt zu erheblichen Folgeerkrankungen führt. Der Beitrag stellt das multimodale Behandlungskonzept der Habichtswald-Klinik in Kassel vor, wobei der Schwerpunkt auf dem psychotherapeutischen Bereich liegt. Durch kognitive Verhaltenstherapie können beispielsweise krankheitsbegünstigende Denkmuster und Verhaltensweisen erkannt und positiv verändert werden. mmHg in den Körperschlagadern (Arterien) Schlüsselwörter spricht man von Bluthochdruck (arterieller Essenzielle Hypertonie, psychosomatisch, kognitive Verhaltenstherapie, Stressbewältigung, Habichtswald-Klinik. Hypertonie). Für etwa 90–95 % der Betroffenen lässt sich keine eigenständige organische Ursache (z.B. eine Nierenerkrankung, eine Über- Abstract funktion der Nebennieren oder eine Veren- Psychological and social factors play an important role in the development as well as the course of primary essential hypertension, which leads to severe secondary diseases if it is not treated. The article presents the multimodal treatment concept of the Habichtswald-Klinik in Kassel, where the main emphasis is on psychotherapy. It is for example possible, to identify thought and behavior patterns which contribute to diseases as well as to change these patterns positively by cognitive behavior therapy. gung einer Nierenschlagader) ermitteln. Bei ihnen liegt offenbar eine Störung mehrerer, den Blutdruck beeinflussender oder regulierender Faktoren vor, die derzeit nur teilweise (z.B. die Überstimulation des vegetativen Nervensystems, Störungen im Salz- und Flüssigkeitshaushalt des Körpers, ein chronisch gesteigerter Tonus der Blutgefäße) oder nicht bekannt sind. Diese Keywords Essential hypertension, psychosomatics, cognitive behavior therapy, stress management. Form der Erkrankung wird daher als primäre oder essenzielle Hypertonie bezeichnet [11]. punkte, oft für viele Patienten zunächst un- cker- und Harnsäureerhöhung eine unheil- bemerkt. Symptome wie die die Entwicklung einer essenziellen arte- volle Allianz, die wesentlich durch die & Herzschmerzen, riellen Hypertonie begünstigen, sind hin- Lebensgewohnheiten mitbestimmt wird & Herzklopfen, gegen gut bekannt: (Abb. 1). & Belastungs- und Ruheluftnot, & psychischer Stress, & Kopfschmerzen, & Übergewicht, Nasenbluten, & Bewegungsmangel, & verstärktes Schwitzen, & kochsalzreiche Ernährung, Der essenzielle Bluthochdruck & & erhöhte Erregbarkeit, Die essenzielle Bluthochdruck-Form ist & Schlafstörungen & 48 wie Nikotinkonsum, Cholesterin-, Blutzu- Die Risikofaktoren, d.h. die Faktoren, Konsum von mehr als 20–30 g reinem Alkohol pro Tag. eine der häufigsten Erkrankungen über- stehen im Vordergrund. Dauerhafter Blut- Erbliche Faktoren spielen möglicher- haupt und man nimmt an, dass über 25 % hochdruck führt ohne rechtzeitiges Er- weise auch eine Rolle. Häufig besteht in der Bevölkerung davon betroffen sind. Die kennen und frühzeitige medizinische und der Kombination mit weiteren Faktoren, Erkrankung verläuft, trotz der o.g. Anhalts- psychotherapeutische Behandlung zu er- Fröhlich-Gildhoff G. Was tun, wenn Stress den Blutdruck in die Höhe treibt? EHK 2014; 63: 48–51 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. PRAXIS AUS D ER P R A X IS FÜ R D IE P R A X IS heblichen Folgeerkrankungen. Dabei stehen Arteriosklerose, Schlaganfall und Herzinfarkt im Vordergrund. Psychische und soziale Faktoren PRAXIS Beim essenziellen Bluthochdruck spielen psychische und soziale Faktoren eine wichtige Rolle. Zeitnot und übermäßiges Stresserleben über einen längeren Zeitraum, chronische Erwartungsspannung AUS DER PRAXIS Abb. 1: Psychischer Stress, Nikotin- und Alkoholkonsum, Übergewicht und Bewegungsmangel gehören zu den Faktoren, die die Entwicklung einer essenziellen arteriellen Hypertonie begünstigen. © Bernhard Widmann/TVG der betroffenen Menschen, die schon in der Kindheit erworben wurden, sind für die Entwicklung der Erkrankung mit hoher Wahrscheinlichkeit förderlich. Zum Beispiel könnte ein überbetont angepasster Mensch seine inneren aggressiven Affekte (Gefühle) und Impulse nur ungenügend kanalisieren und so auf dem inneren Druck sitzen bleiben, der in Form des körperlichen Symptoms resultiert („Dampfkessel“). Auch unterdrückter Ärger und Wut, die in erhöh- alarmbereitschaft. Dies ist im Unbewussten geht es darum, sich über seine Gedanken, te innere Spannungszustände münden, angelegt, jedoch im Fall des essenziellen Einstellungen und Erwartungen klar zu können die Blutdruckerkrankung einleiten Bluthochdrucks nicht mehr der eigentli- werden. Es liegt die Annahme zugrunde, [3, 5]. chen Situation angemessen, da z.B. im be- dass unsere Gedanken, unser Verhalten In der modernen Berufswelt erleben ruflichen Alltag das Ausleben aggressiver und unsere Gefühle sich gegenseitig beein- wir – mitbedingt durch die neuen Medien Impulse nur bedingt sinnvoll erscheint flussen. Das ermöglicht es, nicht zutreffen- – eine deutliche Beschleunigung sämtli- und auch die Flucht weg vom Arbeitsplatz de und belastende Überzeugungen aufzu- cher Arbeitsabläufe. Die Kommunikation keine Dauerlösung sein kann [1]. decken und zu verändern. Die Idee dahinter ist, dass es häufig nicht nur die Dinge und ist beschleunigt, Entscheidungen müssen Kognitive Verhaltenstherapie Situationen selbst sind, die uns Probleme lefonisch oder per E-Mail erreichbar sein, Aufgrund der möglichen psychischen Ziel der kognitiven Verhaltenstherapie ist örtlich und zeitlich wird erhöhte Flexibilität Mitbedingtheit der Erkrankung werden in auch nicht in erster Linie, die Ursachen erwartet. Mitarbeiter bekommen mehr der Habichtswald-Klinik verschiedene psy- der eigenen Probleme zu ergründen, son- Verantwortung zugewiesen, ohne dass chotherapeutische Behandlungsansätze dern vielmehr, die Probleme im Hier und gleichzeitig die Befugnisse und Kompeten- angeboten. In diesem Artikel wird der Jetzt anzugehen. zen erweitert werden. Dies alles erleben zu- Schwerpunkt auf die Verhaltenstherapie nehmend mehr Menschen als Überforde- gelegt. schneller getroffen werden bei deutlich verkürzter Halbwertszeit des neu Beschlossenen. Viele Berufstätige müssen jederzeit te- bereiten, sondern die Bedeutung, die wir ihnen beimessen, also wie wir sie bewerten. Die „Hilfe zur Selbsthilfe“ steht im Vordergrund: Man soll sein Leben so rasch wie rung, es entsteht Stress und sie entwickeln Vor Beginn der Psychotherapie sollten möglich wieder ohne therapeutische Hilfe als eine mögliche Stressfolgeerkrankung internistischerseits organische Ursachen bewältigen können. Dies bedeutet nicht, Bluthochdruck [4]. für den Bluthochdruck ausgeschlossen dass der Einfluss vergangener Geschehnisse Die essenzielle Form des Bluthoch- sein (s.o.). Wenn dies der Fall ist, könnte in einer kognitiven Verhaltenstherapie völ- drucks gründet sich vorrangig aus der an- z.B. eine kognitive Verhaltenstherapie am- lig ausgeblendet wird. Es geht jedoch v.a. dauernden Erhöhung des Aktivitätsniveaus bulant oder stationär in einer psychosoma- darum, aktuell belastende Denkmuster des sympathischen Nervensystems. Die- tischen Klinik aufgenommen werden. und Verhaltensweisen zu erkennen und ses Nervensystem ist evolutionsbiologisch Der Begriff „kognitiv“ ist vom lateini- eng verknüpft mit Flucht- und Aggressions- schen „cognoscere“ abgeleitet und bedeutet Die Verhaltenstherapie hat ihren Ur- impulsen. Der Organismus ist in Dauer- „erkennen“. In einer kognitiven Therapie sprung im US-amerikanischen „Behavioris- zu verändern [6, 12]. Fröhlich-Gildhoff G. Was tun, wenn Stress den Blutdruck in die Höhe treibt? EHK 2014; 63: 48–51 49 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. und Ängste dürften dabei vorrangig mitwirken. Verhaltens- und Erlebensweisen mus“. Diese Theorie geht davon aus, dass menschliches Verhalten (englisch: behaviour) angelernt ist und daher auch wieder verlernt oder neu erlernt werden kann. Im 2. Schritt wird daran gearbeitet, solche Verhaltensweisen zu ändern. Die Verhaltenstherapie ist eine auf den wissenschaft- PRAXIS lichen Erkenntnissen der Lernpsychologie beruhende Psychotherapieform, bei der mit dem Patienten gemeinsam Strategien zur Überwindung der derzeitig bestehenden Probleme erarbeitet werden. AUS DER PRAXIS In der kognitiven Verhaltenstherapie Denkmuster und Verhaltensweisen zu erkennen und zu verändern. Die Therapeuten der kognitiven Verhaltenstherapie analysieren zunächst mit ihren Patienten gemeinsam deren Einstellungen und Erwartungen und regen ggf. einen Abb. 2: Patienten mit hohem Blutdruck sollten regelmäßig Gesundheitssport betreiben. Walken, Schwimmen, Joggen, Rad fahren oder Tanzen haben eine deutlich blutdrucksenkende Wirkung und beeinflussen positiv das seelische Wohlbefinden. © Dynamic Graphics; nachgestellte Situation Perspektivenwechsel an. In einem weiteren Schritt werden veränderte Verhaltensmöglichkeiten erarbeitet und trainiert und so- 6. Analysieren nahmeuntersuchung einschließlich einer mit das Stressmanagement verbessert. 7. Regulieren Blutentnahme mit Routinelabor. Im Verlauf finden regelmäßige Arzttermine und ggf. Zu diesem Zwecke nehmen die Pa- In verschiedenen Studien konnte die tienten der Habichtswald-Klinik 2 × wö- Wirksamkeit emotionsregulierender Trai- weitere chentlich an einer Gruppentherapie teil. nings [8, 9] und speziell der TEK nachgewie- zur Überwachung und weiteren Planung Hier wird ein „Training emotionaler Kom- sen werden [2]. des Behandlungsverlaufs statt. konsiliarische Untersuchungen petenz“ (TEK) angeboten. Dieses Training Außer den 2 verhaltenstherapeuti- Außer den psychotherapeutischen An- wurde von Prof. Mathias Berking von der schen Gruppenterminen pro Woche neh- geboten werden im Rahmen des stationä- Universität Marburg entwickelt [1]. Das men alle Patienten regelmäßig an einer ren Aufenthalts die Patienten mit hohem TEK versteht unter emotionalen Kompeten- Gruppensitzung achtsamkeitsbasierte Blutdruck motiviert regelmäßig Gesund- zen Fertigkeiten, die Menschen dabei helfen Stressbewältigung nach Kabat-Zinn teil heitssport zu betreiben. Sie sollten mind. können, mit Stress und problematischen [7]. Achtsamkeit meint hier die erlernbare 4 × wöchentlich für mind. 30 min sportliche Gefühlen so umzugehen, dass langfristig Fähigkeit, sich der Erfahrungen des gegen- Aktivitäten, z.B. Walken, Schwimmen, Jog- die eigene Gesundheit erhalten bleibt wärtigen Augenblicks – in Gedanken, Kör- gen, Rad fahren, Tanzen etc. ausführen, da [13]. Das Training eignet sich besonders perempfinden und Gefühlen – bewusst zu dies eine deutlich blutdrucksenkende Wir- gut für Menschen, die ihre Stressregulati- sein, ohne sie zu bewerten und ohne darauf kung hat und auch das seelische Wohlbefin- onskompetenz in verschiedenen Lebensbe- reagieren zu müssen, seien sie erwünscht den positiv beeinflusst wird (Abb. 2). reichen erhöhen wollen, was für Menschen oder unerwünscht. mit erhöhtem Blutdruck meist äußerst Hinzu kommen regelmäßige Vorträge Hinzu kommen Kunsttherapie und zur gesunden Ernährung sowie bei Bedarf sinnvoll ist. Die vermittelten Strategien ba- Körpertherapie sowie regelmäßig Einzel- auch ein Kochkurs in der Übungsküche und sieren auf aktuellen wissenschaftlichen Er- therapie bei der Bezugstherapeutin oder Vorträge und Informationen im Rahmen kenntnissen und erfolgen in 7 Schritten: dem Bezugstherapeuten. des allgemeinen Gesundheitstrainings. 1. Muskelentspannung 2. Atementspannung 3. Bewertungsfreie Wahrnehmung 4. Akzeptieren und Tolerieren 5. Selbstunterstützung 50 Weitere Maßnahmen und Angebote Schlussbemerkung Die essenzielle Hypertonie hat viele Alle Patienten haben zu Beginn des sta- Auslöser, daher empfiehlt sich ein multi- tionären Aufenthalts eine ausführliche all- modaler Behandlungsansatz, wie ihn gemeinärztliche oder internistische Auf- z.B. die Habichtswald-Klinik anbietet: Fröhlich-Gildhoff G. Was tun, wenn Stress den Blutdruck in die Höhe treibt? EHK 2014; 63: 48–51 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. geht es v.a. darum, aktuell belastende & Psychotherapie, & Schulmedizin, & Naturheilverfahren, & sportliche Aktivitäten und & soziale Aspekte Literaturhinweise Thema Stress und Stressbewältigung Interessenkonflikte: Die Autorin erklärt, dass keine wirtschaftlichen oder persönlichen Verbindungen bestehen. im Alltag & werden ganzheitlich berücksichtigt. & http://arbeitsblaetter.stangl-taller. Online zu finden unter: at/STRESS/Stressbewaeltigung.shtml http://dx.doi.org//10.1055/s-0033-1357606 http://www.tk.de/centaurus/serv- PRAXIS let/contentblob/48660/Datei/63352/ TK-Broschuere-Der-Stress.pdf & http://www.herzstiftung.de/StressHerz.html Medizin und Psychotherapie; Dozentin für Psychosomatik, Traumafolgestörung, Traumatherapie Ev. Hochschule Freiburg; 1. Vorsitzende des Wildunger Arbeitskreises für Psychotherapie (WAP e.V.); Gründungsmitglied des Bündnisses Depression Nordhessen; bundesweite Vortragstätigkeit. Korrespondenzadresse Dr. Gabriele Fröhlich-Gildhoff Chefärztin der Psychosomatischen Abteilung, Habichtswald-Klinik Wigandstraße 1, 34191 Kassel E-Mail: Gildhoff@habichtswaldklinik.de Berlin; 2009. Im Internet: http://www.diss. fu-berlin.de/diss/servlets/MCRFileNodeServlet/FUDISS_derivate_000000004948/ RUDAT_M_DISS_final_2009_Bibliothek. pdf?hosts=; Stand: 11.01.2014 [9] Rüddel H. Ist die arterielle Hypertonie eine psychosomatische Erkrankung? Psychotherapie im Dialog 2011; 12: 61–65 [10] Senf W, Broda M, Wilms B. Techniken der Psychotherapie: Ein methodenübergrei- fendes Kompendium. Stuttgart: Thieme; 2013 [11] Steffel J, Lüscher TF. Herz-Kreislauf. Heidelberg: Springer; 2011 [12] Wilken B. Methoden der Kognitiven Umstrukturierung. Ein Leitfaden für die psychotherapeutische Praxis. 5. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer; 2010 [13] http://www.tekonline.info/ AUS DER PRAXIS [1] Berking M. Training emotionaler Kompetenzen. Heidelberg: Springer; 2010 [2] Berking M et al. General emotion-regulation skills as a treatment target in psychotherapy. Behaviour Research and Therapy 2008; 46: 1230–1237 [3] Ermann W. Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Stuttgart: Kohlhammer; 2007 [4] Faltermaier T. Gesundheitspsychologie. Stuttgart: Kohlhammer; 2005 [5] Hoffmann SO, Hochapfel G. Neurosenlehre, Psychotherapeutische und Psychosomatische Medizin. Stuttgart: Schattauer; 2003 [6] Hofmann SG. Einführung in die moderne Kognitive Verhaltenstherapie. Psychotherapeutische Lösungsansätze. Heidelberg: Springer; 2013 [7] Kabat-Zinn J, Kappen H. Gesund durch Meditation: Das große Buch der Selbstheilung mit MBSR. München: Droemer-Knaur; 2013 [8] Rudat M. Emotionsverarbeitung bei Risikoprobanden für eine essentielle Hypertonie. [Dissertation]. Berlin: Medizinischen Fakultät Charité – Universitätsmedizin Gabriele Fröhlich-Gildhoff ist Fachärztin für Psychosomatische Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Literatur