ÄLTERE UND NEUERE UNTERSUCHUNGEN ÜBER SYSTEME

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ÄLTERE UND NEUERE UNTERSUCHUNGEN
ÜBER SYSTEME COMPLEXER ZAHLEN.
VON
E. STUDY IN MARBURG,
DER Zweck der folgenden Zeilen ist/, einen Überblick über eine
Reihe von Untersuchungen zu geben, in denen Systeme von
cornplexen Zahlen in Verbindung mit gewissen Transformationsgruppen auftreten. Wir gehen dabei ziemlich weit zurück, um
die Wurzeln der neueren Erkenntnisse in der älteren Litteratur
aufzudecken.—
Bekanntlich hatte Gauss eine Äusserung in dem Sinne
gethan, dass die gewöhnlichen imaginären Zahlen der Form
a?-}-V— l.y für die Bedürfnisse der Analysis ausreichten. Der
Umstand, dass man hieraus eine förmliche Verurtheilung aller
anderen Systeme von complexen Zahlen herausgelesen hat, mag
eine der Hauptursachen dafür gewesen sein, dass die Entwickelung
einer allgemeinen Theorie dieser Algorithmen so lange hat auf
sich warten lassen, wie es thatsächlich der Fall gewesen ist.—
WIE werden im ersten Theile dieses Berichtes, der die Zeit bis
zum Jahre 1888 umfasst, vorwiegend von speciellen Untersuchungen zu reden haben, die durch Hamilton's Entdeckung der
Quaterivionen (1843) veranlasst worden sind. Auf Hamilton's
eigene Arbeiten, sowie auf H. Grassmann's verwandte Gedanken
einzugehen, müssen wir uns leider1 versagen.
Frühzeitig schon ist der Zusammenhang des Quaternionencalculs mit gewissen Transformation sgruppen hervorgetreten.
Cayley hat bereits 1843 die Entdeckung gemacht, dass die von
Euler (1770) aufgefundenen und von Rodrigues (1840) vervoll-
368
E. STUDY.
ständigten Formeln zur Transformation rechtwinkliger Coordinaten oder zur Darstellung der Drehungen um einen Punkt
auf eine einfache Weise aus dem Quaternionencalcül hergeleitet
werden können*. Später haben Laguerre und Cayley gefunden, dass zwischen den Quaternionen und der Gruppe der
projectiven Transformationen x'—
L
-^ des binären Gebietes
ein enger Zusammenhang besteht f. Diese Bemerkungen sind
nachher von besonderer Wichtigkeit geworden. Sie haben den
Ausgangspunkt gebildet für eine umfangreiche Untersuchung von
Stephanos über binäre bilineare Formen^, für verschiedene Arbeiten von F. Klein § und dessen Schülern, endlich für die
modernen Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen
complexen Zahlen und Transformationsgruppen überhaupt.
Andrerseits hat die Art, wie Hamilton selbst seinen Algorithmus handhabte, zu einer wichtigen Erweiterung der Quaternionentheorie geführt. Wir meinen die von Clifford eingeführten Biquatemionen\\t von deren Anwendung auf die Geometrie
des Baumes ihr Urheber sich den grössten Nutzen versprach.
Die Biquaternionen sind ursprünglich nichts Anderes als Quaternionen mit gewöhnlichen complexen Zahlencoefficienten. Fasst
man aber die Quaternioneneinheiten und ihre Producte.mit der
imaginären Einheit V— l wiederum als neue Einheiten auf, so
erhält man ein neues System, ein System mit acht Haupteinheiten, das, wie man sagen kann, durch " Multiplication" aus dem
Quaternionensystem Q und dem System der gewöhnlichen complexen Zahlen e0 = l, 6! = V— l, oder besser, aus Q und dem
System
(1)
€02 = 60,
hervorgegangen ist.
€06! = 6^0 = 6i,
€ 1 2 =-6 0
An Stelle des Systems (1) konnte Olifford
* Oayley, Cambridge Math. Journal, t. m. 1843 ; Phüos. Mag. 1843, i.
t Laguerre, Journal de l'JÜc. Potyt., cah. 42, 1867. Cayley, Math. Arm.
Bd. 15, 1879.
J Stephanos, Math. Ann. Bd. 22 (1883).
§ F. Klein, Vorlesungen über das Icosaeder (Leipzig, 1884); s. insbes. i.
Äbschn., § 2.
|| (1873). S. Clifford, Gollected Mathematical Paperst Lond. 1882.
SYSTEME OOMPLEXEE, ZAHLEN.
369
noch eines der folgenden beiden Systeme von zwei Haupteinheiteii
setzen :
(2)
e02 = e0, e0e! = e^ = elf
e32 = 0,
(3)
e02 = e0f e0e1 = e1e0 = e1,
ei
2
=-|-e fl .
Auf diese Weise entstanden drei verschiedene Systeme von
" Biquaternionen," von denen das mittlere in einer nahen Beziehung zur Gruppe der ooG Euclidischen Bewegungen steht,
während die beiden anderen in derselben Weise den beiden
Hauptarten der Nicht-Euclidischen Geometrie, also der Gruppe
einer reellen nicht-geradlinigen und der Gruppe einer imaginären Fläche 2. O. mit reellem Polarsystem entsprechen. Allerdings
hat der frühzeitig verstorbene Olifford das Wesen dieser
Beziehungen nicht klar erkannt; doch zeigen die uns hinterlassen en, von Buch heim* bearbeiteten Bruchstücke, dass ihm
das Vorhandensein eines Zusammenhanges bekannt gewesen
ist.—Die hier zuerst benützte Operation der " Midtiplication"
zweier Systeme von complexen Zahlen, die darin besteht,
dass man die Produkte der zu beiden Systemen gehörigen
Einheiten als die Grundeinheiten eines neuen Systems definirt,
hat in den später zu nennenden Arbeiten von S cheffers eine
besondere Bedeutung gewonnen.—
Die bereits hervorgetretene Mannigfaltigkeit der Systeme von
komplexen Zahlen musste es wünschenswerth erscheinen lassen,
wenigstens für eine kleine Zahl n von Haupteinheiten die Gesammtheit dieser Algorithmen zu kennen. Diese Frage hat freilich erst viel später eine Beantwortung gefunden; wir wollen aber
hier eine umfangreiche Arbeit von B. Peirce nicht unerwähnt
lassen, in der verwandte Fragestellungen behandelt sind f. Leider
ist die Darstellungsweise von Peirce sehr unvollkommen. Es hält
daher schwer, zu erkennen, welche Probleme er eigentlich gelöst
hat, und was mit der Lösung gewonnen ist. Im Falle n = 2 ergeben sich, wie Weierstrass und Oayley bemerkt haben, nur
die oben verzeichneten Systeme (1), (2), (3)J.
* Buohheim, Am. J. v. vm. 1885.
t B. Peirce (1870), u. G. S. Peirce, Am. J. v. iv. 1881.
J Pincherle, Giornale di Matematiche xvm. 1880. Gayley, Proc. ofthe Lond.
Math. SOG. xv. (1883—84).
c. P.
24
370
E. STUDY.
Die vorhin berührte Darstellung der Bewegungen im NichtEuclidischen Raum ist inzwischen von Cayley geleistet worden,
allerdings ohne Beziehung auf die- Biquaternionen*. Cayley
gelangte zu einem Formel System, das die linearen automorphen Transformationen einer Summe von vier Quadraten
mit Hülfe der Biquaternionen, die aus obigen Formeln (.3)
'hervorgehen, in ganz ähnlicher Weise darzustellen erlaubt, wie
man vorher schon die automorphe Transformation einer Summe
von drei Quadraten mit Hülfe der Hamilton'schen Quaternionen
dargestellt hatte. ($. die obigen Bemerkungen über die Formeln
von Euler und Rodrigues.) Merkwürdiger Weise zeigte sich
aiich hier wieder-eine nahe Beziehung zu einer schon von Euler
entdeckten Formelgruppe.—
Hinter der erwähnten Formelgruppe Cayley's bleiben die
berühmten Formeln, durch die derselbe Autor das allgemeinere
Problem der automorphen Transformation einer Summe von n
Quadraten gelöst hat, in doppelter Hinsicht zurück. Einmal
gibt es, sobald n > 3 ist, lineare Transformationen, die zwar die
Summe von n Quadraten (eigentlich) in sich selbst transformiren,
sich aber der Cayley'sehen Darstellung entziehen f. Sodann ist
die Zusammensetzung der —±-=—' unabhängigen
2t
Parameter,
durch die Cayley die fragliche Transformation darstellt, nicht
"bilinear," wie der Referent sich ausdrückt. Sowohl bei der
Eulerschen Transformation einer Summe von drei Quadraten,
als auch bei der erwähnten Cayley'sehen einer Summe von vier
Quadraten, kann man nämlich sehr leicht zwei Transformationen
hinter einander ausführen \ Die vier, bez. acht homogenen Parameter der zusammengesetzten Transformation werden lineare
Functionen der Parameter einer jeden der beiden gegebenen
Transformationen. Ähnliches ist bei den allgemeineren Formeln
Cayley's nicht mehr der Fall. Hier setzt nun eine Untersuchung von Lipschitz ein|. Lipschitz zeigt, wie man mit
Hülfe eines bereits von Clifford entdeckten, aus 2n~"1 Hauptein* Gayley, Crelle's J. Bd. 32, 1846; 50, 1855.
t Die eben besprochenen, auf den Fall ?i=4 bezüglichen Formeln Cayley's.
ordnen sich seinen allgemeinen Formeln nicht ohne Weiteres unter, sondern gehen
aus ihnen erst durch Einführung eines überzähligen Hülfsparameters hervor.
J Lipschitz, Untersuchungen über die Summen von Quadraten. Bonn, 1886.
SYSTEME GOMPLBXER ZAHLEN.
371
heitert bestehenden Systems von complexen Zahlen die automorphen Transformationen einer Summe von n Quadraten so
ausdrücken kann, dass die obigen Forderungen der Darstellbarkeit einer jeden Transformation und der bilinearen Zusammensetzung erfüllt werden. Im Falle ?i = 3 kommt man auf die
Formeln von EU l er und R öd r ig u es, im Falle n = 4 (was Herrn
Lipschitz entgangen zu sein scheint) auf die erwähnten Formeln
Cayley's zurück.—Die Zahl der Einheiten, die Lipschitz
benutzt, ist, wie gesagt, 271"1, also eine Zahl, die mit steigenden
Werthen von n viel rascher wächst, nicht nur als die Zahl
^ 0—- der unabhängigen Parameter einer orthogonalen Trans2*
formation, sondern auch als die Zahl n* der Coefficienten einer
allgemeinen linearen Transformation im Gebiet ?iter Stufe. Es
bleibt daher die Frage offen, ob man nicht die automorphen
linearen Transformationen einer quadratischen Form in noch
einfacherer Weise mit Hülfe einer kleineren Zahl von Einheilen
behandeln kann. Thatsächlich kann man in dem allerdings
singulären Falle n = 6 mit Hülfe eines Systems von 16 Einheiten
die automorphe Transformation der quadratischen Form
(4)
/= x? - x* + x*- x?-t- x*- x*
6'5
durch 16 = 1 + -=- homogene Parameter mit bilinearer ZusammenJL
Setzung leisten*, und zwar ohne Auftreten irgend welcher
Ausnahmefälle; während nach der Methode von Lipschifcz
2ß = 32 Einheiten erforderlich sind, Hier ist also ein Punkt, wo
künftige Forschungen einzusetzen haben werden.
Mit den besprochenen Untersuchungen hängt nahe zusammen
eine Reihe von Arbeiten über bilineare Formen und Matrices.
Durch die lineare Schaar der bilinearen Formen 2 a^XiUjc eines
i, k
Gebietes ?iter Stufe wird in der einfachsten Weise ein System
complexer Zahlen mit nz Hauptciiiheiten definirt, wenn das
"Produkt" zweier Formen der Schaar durch die Formeln
(5)
(fl^ttt) (flfottj) = (ßiuj), (%iUk) (xiuj) = 0
(k 4= l)
erklärt wird*|-. Diese "Multiplication" der bilinearen Formen
* F. Klein, Math. Ann. Bd. 4 u, ff.
t Cayley, Phil. Trans, v. 148, 1858. Frobeniun, Grelles J. Bd. 84, 1878.
Vgl. Sylvester, "Universal Algebra," Am. J. v. vi. 1884. Bd. Weyr, Präger
24—2
372
E. STUDY.
läuft offenbar der Zusammensetzung der collinearen Transformationen ock = 2a^a?i des Gebietes rcter Stufe parallel ; wir wollen
daher sagen, dass das System von n* Einheiten e^ mit den
Midtiplicationsregeln
(6)
ene • eim = 0 (k 4= l),
eile . e% = e$
zur allgemeinen projeotiven Gruppe (der Gruppe aller collinearen
Transformationen) des Gebietes nter Stufe gehört.
Führt man zwei Transformationen 2a^^% = 0, 2ö^^wÄ = 0
hinter einander aus, so setzt sich die Matrix \CM\ der resultirenden
Transformation in einfacher Weise aus den Mafcrices |r^Ä| und |6«,|
der Componenten zusammen :
man kann daher die Multiplication zweier Zahlen unseres Systems
auch auffassen als eine " Multiplication" der zugehörigen Mafcrices.
Umgekehrt wird jede Untersuchung über die Zusammensetzung
der Matrices, oder der bilinearen Formen, oder der Transformationen der allgemeinen projectiven Gruppe, als eine Untersuchung
über das aus n2 Einheiten gebildete System (6) von complexen
Zahlen angesehen werden können,
Der auf den Fall n = 2 bezüglichen Untersuchungen von
Laguerre, Cayley und Stephanos haben wir schon gedacht.
Hier haben wir noch hinzuzufügen, dass das im Falle n = 3
entstehende System von neun Einheiten identisch ist mit dem
System der Nonionen, das von Sylvester als ein Analogon der
Harnilton'schen Quaternionen aufgestellt worden ist*, sowie,
dass das aus der Annahme n = 4 hervorgehende System zur automorphen Transformation der quadratischen Form (4) dient.
Unter den auf die Gruppe der collinearen Transformationen
bezüglichen Untersuchungen ist besonders hervorzuheben die
erwähnte Arbeit von Frobenius, die eine grosse Menge werthvoller Ergebnisse enthält. Im Schlussparagraphen dieser Abhandlung werden ausdrücklich Systeme complexer Zahlen einge-
ßerichte, 1887; Bulletin des Sei. Math. 2 s6r. xv. 1887; Wiener Monatsh. f.
Math. u. Phys. i. 1890.
* Sylvester, Johns HopMns Circular, 1882, n. Comptes Rendus, 1883, S. 1336;
1884, S. 273, 471.
SYSTEME COMPLEXER ZAHLEN.
373
führt, allerdings auf Grund einer mangelhaften Definition,
Frobenius zeigt u. A.t dass die gewöhnlichen complexen Zahlen
und die Quaternionen die einzigen Systeme complexer Zahlen swd,
bei denen ein Produkt zweier Factoren nicht verschwinden kann,
ohne dass einer der Factoren verschwindet.
Endlich wollen wir einer im Übrigen nicht ein wandsfreien
Note von Poincare 7 gedenken, der hervorgehoben hat, dass mit
jedem System complexer Zahlen zwei prqjective Gruppen oc/=aoß,
x' = xb verknüpft sind*; was uns allerdings ziemlich selbstverständlich erscheint.
In beinahe allen bis jetzt erwähnten Untersuchungen hat sich
ein Zusammenhang der Systeme complexer Zahlen mit gewissen
Transformationsgruppeii gezeigt; eine Thatsache, die allerdings
von den Autoren selbst nicht immer hervorgehoben worden ist.
Die Systeme complexer Zahlen erscheinen als ein Mittel, gewisse
Gruppen linearer Transformationen in übersichtlicher Weise
darzustellen, und die Regeln ihrer Zusammensetzung kurz zu
beschreiben. In den Arbeiten, die wir jetzt zu nennen haben
werden, wird die Theorie der complexen Zahlen von vorn herein
als ein Theil der grossen, von Sophus Lie begründeten Theorie
der TrcLnsformationsgruppen^ hingestellt. Es handelt sich darum,
die Besonderheit gewisser mit Systemen complexer Zahlen
verknüpfter Gruppen klar zu erfassen, die Zahlensysteme systematisch zum Studium dieser Gruppen zu verwerthen, endlich
umgekehrt die in der allgemeinen Theorie der Transformation sgruppen entwickelten Gedanken für das Studium der Zahlensysteme nutzbar zu machen.
Die Reihe dieser Arbeiten wird eröffnet durch eine Abhandlung von SchurJ. Schur ersetzt die Gleichungen des associativen und distributiven Gesetzes der Multiplication
(7)
a(bc) = (ab)c,
a (b + c) = ab + ac, (a + 6) c = ac -\- bc
* Poincare, Comptes Rendus, 1884, S. 740.
t Theorie der Traiisfornmtionsgruppen, unter Mitwirkung von Fr. Engel
bearbeitet von S. Lie. Leipzig (Bd. i. 1888; Bd. n. 1890).
t Schur, Math. Ami. Bd. 33, 1888.
374
E. STUDY.
durch allgemeinere Functionalgleichurigen; er zeigt sodann, dass
diese Functionalgleichungen durch Einführung von geeigneten
Veränderlichen auf die Form (*7) gebracht werden können, dass
also die durch jene Functionalgleichungen gekennzeichneten
Gruppen durch Einführung neuer Veränderlicher ans Gruppen
hervorgehen, die mit Systemen complexer Zahlen verknüpft sind.
Die Arheit ist besonders dadurch bemerkenswert!!, dass sie der
Ausgangspunkt für die wichtigen Untersuchungen geworden ist,
mit denen Schur die Theorie der Transformationsgruppen
später bereichert hat,
Bis hierher war noch kein Versuch gemacht worden, für
kleine Werthe der Zahl n die Systeme mit n Haupteinheiten
erschöpfend aufzuzählen, abgesehen von dem bereits erwähnten,
mit wenigen Federstrichen zu erledigenden Fall n = 2. Diese
Aufgabe ist vom Referenten angegriffen worden*. Man kann
der vorliegenden Frage gegenüber zwei wesentlich verschiedene
Standpunkte einnehmen: Man kann einmal zwei Systeme als
äquivalent betrachten, wenn sie durch Einführung neuer Grundzahlen vermöge einer linearen Transformation mit gewöhnlichen
complescen Coefficienten in einander übergeben (Problem der
Aufzählung der " Typen"); oder man kann die Äquivalenz durch
eine lineare Transformation mit reellen Coefficienten definiren,
wobei dann natürlich in der Multiplicationstafel auch nur reelle
Coefficienten zulässig sind (Problem der Aufzählung der '• Gestalten"). Beide Aufgaben sind vom Referenten für die Werthe
n = 3 und n = 4, durch ein elementares Verfahren, vollständig
erledigt worden. Die Systeme werden classificirt nach ihrer
Reducibilität (ein System heisst reducibel, wenn man die passend
gewählten Haupteinheiten in Gruppen ^, e K ) ... theilen kann,
derart, dass ei€K — e^ = 0 ist) und nach ihrem Grade k, einer
bereits von B. Peirce eingeführten Zahl, die angibt, wieviele
unter den Potenzen einer allgemein gewählten Zahl des Systems
linear-unabhängig, d. h. durch keine lineare Relation mit numerischen Coefficienten verknüpft sind. Ausserdem wird noch der
Fall k = n allgemein erledigt. Einige (sehr specielle) Systeme
dieser Art waren bereits vorher von Weierstrass aufgezählt
•" Study, Gott. Nachr. 1889; Monatsh.f. Math. u. Phys. i. 1890; n. 1891.
SYSTEME COMPLEXER ZAHLEN.
375
und classificirt worden*. Eine zweite Abhandlung des Referenten bringt ausführliche Darlegungen über den Zusammenhang
zwischen Systemen complexer Zahlen und Transformationsgruppen "f. Es handelt sich dabei hauptsächlich um Eigenschaften
der Gruppe
(8)
öd = IM*,
n
in der die Coefficienten Xi der Grosse x = SÄ^ als homogene
Veränderliche aufgefasst werden, und ihrer Untergruppen
(9)
x = ax9 x1 = xb,
(10)
xt = ar'lxa.
Die Gleichungen (9) stellen ein Paar von einfach-transitiven,
sogenannten reciproken projectiven Gruppen dar; aus der Zusammensetzung der Transformationen beider Gruppen entsteht
die umfassendere Gruppe (8), deren allgemeine Transformation
von 2n — m — l. wesentlichen Parametern abhängt, wenn das
vorgelegte Zahlensystem m linear-unabhängige, mit jeder Zahl
des Systems vertauschbare Zahlen x (ax = sca) enthält. Aus der
Gruppe (8) geht sodann die Gruppe (10) hervor, wenn man einen
gewissen Punkt von allgemeiner Lage festhält. Diese Gruppe
(10), deren allgemeine Transformation n —m Parameter hat, ist
nicht wesentlich verschieden von der " Adjungirten" einer jeden
der beiden Gruppen (9).
Da sich zeigen lässt, dass jedes Paar von reciproken projectiven
Gruppen durch Gleichungen von der Form (9) dargestellt werden
kann, so ist mit der Auffindung aller wesentlich verschiedenen
Zahlensysteme mit n Hauptehiheiten eine bestimmte Aufgabe
der Gruppentheorie gelöst, nämlich das Problem der Aufstellung
aller Typen von Paaren reciproker projectiver Gruppen.
Die Bedeutung dieser Sätze beruht darauf, dass sie in
gewissen Fällen zu einer besonders einfachen Darstellung contiiiuirlicher Transformationsgruppen führen. Jedesmal nämlich,
wenn die Gruppen (9) isomorph sind zu einer r-gliedrigen continuirlichen Gruppe, kann man die Transformationen dieser
* Weierstrass, G'ött. Nachr. 1884; vgl. Schwarz, Dedekind, Petersen,
Holder ebenda, 1884—1886.
t Study, Ber. d. fr. sächs. Ges. d. W. 1889; oder Monatshefte für Math, u,
Physik, i. 1890.
376
E. STUDY.
Gruppe in der Weise durch Parameter darstellen, dass für diese
Parameter "bilineare Zusammensetzung" bestdht (s. oben), womit
eine besonders einfache Grundlage für die Behandlung der
r-gliedrigen Gruppe gegeben ist,
Identificirt man das System complexer Zahlen mit den
Quaternionen, so stellen die Formeln (9) die beiden dreigliedrigen
projectiven Gruppen dar, die je eine Geradenschaar der Fläche
2. 0. a?02-H#i2 + #22 + ®* = 0 in Ruhe lassen (die sogenannten
Schiebungen dieser Fläche), (10) aber liefert die EulerCayley'sche Darstellung der Drehungen um einen festen Punkt
(s. oben).
Die ausgedehnte Aniuendbarkeit des Quaternionencalculs in &&r
Maassgeometrie beruht hiernach auf Folgendem:
Erstens darauf, dass die Gruppe der Drehungen im (Euclidischen oder Nicht-Euclidischen) Räume isomorph ist mit einem Paar
von r eciproken projectiven Gruppen,
Zweitens darauf, dass diese ihre beiden Parametergruppen
identisch sind mit den beiden Gruppen von "Schiebungen" eines
Nicht-Euclidischen Raumes,
Drittens darauf, dass die Gruppe der Drehungen um einen
festen Punkt ihre eigene adjungirte Gruppe ist.
Der letzte Umstand namentlich ermöglicht die fruchtbare
Doppel-Auffassung einer Quaternion, wonach diese bald als Symbol
eines Punktes im Räume, oder der vom Anfangspunkt nach
diesem Punkte gezogenen Strecke, bald als Symbol einer Drehung
erscheint.—
Das Problem der Classification und Bestimmung der Systeme
complexer Zahlen ist, mit umfassenderen Hülfsmittem, aufgenommen worden von Scheffers*. Scheffers gibt zunächst
ein einfaches Kriterium der Reducibilität,
Ein System S ist dann und nur dann reducibel, wenn es
ausser dem sogenannten Modul (der Zahl e, die den Bedingungen
x = eao, x = xe identisch genügt) noch mindestens eine Zahl GJ
enthält, die mit allen Zahlen des Systems vertauschbar ist (e^ = #61)
und deren Quadrat ihr selbst gleich ist. ej und (e — €j) sind dann
die Moduln zweier Systeme mit einer geringeren Zahl von
* Scheffers, Ber. d. Je. sächs. Ges. d. W. 1889; Math. Aun. Bd. 39, 1890;
Bd. 41, 1892.
SYSTEME COMPLEXER ZAHLEN.
377
Einheiten, in die das System 8 zerlegt werden kann. Die
wiederholte Anwendung dieses Kriteriums führt zur vollständigen
Zerlegung des Systems 8 in kleinere Systeme, einer Zerlegung,
die immer nur in einer Weise bewerkstelligt werden kann.
Neben die Eintheilung der Zahlensysteme in reducibele und
irreducibele stellt Scheffers eine zweite, nicht minder wichtige:
die Eiiitheilung in Quaternionsy steine und Nichtquaternionsy steine.
Nach einem fundamentalen Satze von Engel* zerfallen alle
r-gliedrigen continuirlicheii Gruppen in zwei Olassen. Die
Gruppen der ersten Classe enthalten eine dreigliedrige Untergruppe von der Zusammensetzung der projectiven Gruppe eines
Kegelschnittes in der Ebene (oder der Gruppe der Drehungen
des Raumes um einen festen Punkt); die Gruppen der zweiten
Classe sind, nach der Ausdrucksweise von S. Lie, integrabel] d. h.
jede von ihnen hat eine (r — l)-gliedrige Untergruppe, diese
wiederum hat eine (r — 2)-gliedrige Untergruppe, u. s. f. Diese
Eintheilung wird nun auf die aus n Einheiten gebildeten Systeme
complexer Zahlen übertragen, wenn man an Stelle der 9--gliedrigeii
Gruppe eine der beiden (n — l)-gliedrigeii Gruppen (9) setzt. Die
zur ersten Classe gehörigen Systeme, die Quaternionsy steine,
lassen sich, nach einem allerdings zunächst nur vermutheten
Satze*)*, immer so schreiben, dass ein Theil ihrer Multiplicationsregeln mit den Multiplicationsregeln der Quaternionen übereinstimmt. Die Haupteinheiten eines Niclitquaternionsystems lassen
sich in zwei Gruppen e l j e a i . . . e r ; 77^ 7/3,...^ s theilen, derart, dass
jedes ßißj ausdrückbar ist durch die ei und 0?- vorhergehenden
Einheiten; dass 77^° = ^ und 97,-9^ = 0 ist für i^Jc; dass endlich
alle Produkte 77^ und e^ für 7 c = l , 2,...s verschwinden mit
Ausnahme je eines einzigen, das gleich fy ist (ij^ei = ei) e^ = e,-).
Auf Grund dieses und ähnlicher Sätze gelingt es nicht nur,
die Bestimmung aller Typen auch noch für den Fall n = 5 durchzuführen, sondern auch die Fälle k = n — l und Ic = n — 2, und bis
zu einem gewissen Grade den Fall k = 2 allgemein zu erledigen.
Die Quaternionsysteme werden bis zu acht Einheiten hin
bestimmt, ohne dass der oben erwähnte Satz vorausgesetzt
würde.—Besonders bemerkenswert!! erscheint die Rolle, die der
* Engel, Ber. d. k. stielt. Ges. d. W. 1887, 1893.
t Der Satz lässt sich ans der später zu besprechenden Theorie von Molicn
ableiten.
378
E, STÜDY.
bereits besprochene Process der " Multiplication" in dieser Untersuchung spielt. Jedes Zahlensystem S, das das System Q der
Quaternionen enthält, und den Quaternionenmodul zum Gesammtmodul hat, ist das Produkt aus Q und irgend einem Zahlensystem P
8 = P.Q.—
Was wird insbesondere aus dem System S, wenn man auch das
System P mit dem Quaternionensystem identifioirt ? Mit Rücksicht auf den mehrfach besprochenen Zusammenhang der Quaternionentheorie mit den linearen Transformationen eines binären
Gebietes mögen wir die Frage zunächst noch etwas verallgemeinern, nnd dann die Antwort in den folgenden, bis jetzt
allerdings wohl noch nicht ausgesprochenen Satz fassen: Das Produkt aus den beiden Zahlensystemen Sn* und 8^, die zur allgemeinen
projectiven Gruppe eines Gebietes nter lind eines Gebietes mter
Stufe gehören, ist demselben Typus (wie auch derselben Gestalt)
zuzurechnen, wie das System S(nm)*, das zur allgemeinen projectiven Gruppe eines Gebietes (nm)ter Stufe gehört.
An die besprochenen Untersuchungen von Scheffers schliesst
sich an eine Arbeit des Eeferenten, in der die Beziehung der aus
dem System (2) und dem Quaternionensystem Q durch Multiplication entstehenden Biquaternionen zur Euklidischen Raumgeometrie klargestellt wird*. Es wird verlangt, die Coefficienten
der allgemeinen Transformation rechtwinkliger Parallelcoordinaten
im Räume durch eine möglichst kleine Zahl von Parametern in
der Weise auszudrücken, dass für diese Parameter "bilineare
Zusammensetzung" besteht, dass also bei Zusammensetzung
zweier Bewegungen die Parameter der resultirenden Transformation ganze lineare homogene Functionen der Parameter einer
jeden der gegebenen Transformationen werden. Die Lösung
geschieht mit Hülfe des erwähnten Biquaternionensystems durch
ein System von acht Parametern, zwischen denen eine quadratische
Gleichung besteht. Die gefundenen Formeln werden zur Grundlage einer umfassenden Theorie der Bewegungen sowohl wie der
symmetrischen Transformationen des Raumes gemacht.—Die
Methode lässt sich ausdehnen nicht nur auf den Nicht-Euclidischen
Raum—bei Annahme einer positiven Krümmung kommt man
* Study, Math. Ann. Bd. 39, 1891.
SYSTEME GOMPLEXER ZAHLEN.
379
dann auf die besprochenen Formeln Cayley's für die automorphe
Transformation von vier Quadraten zurück—sondern, wie beiläufig
bemerkt werden mag, auch auf die Theorie der Ähnlichkeitstransformationen des vierfach- wie des dreifach-ausgedehnten
Raumes. Zur Parameterdarstellung dieser Transformationen
nämlich kann ein System von 3 . 4 Einheiten dienen, das durch
Multiplication des Quatcrnionensystems Q mit dem System
0o
ei
02
00
00
0
02
01
0
0J
0
02
0
02
0
hervorgeht,
Eine wesentliche Vertiefung unserer Einsicht in die Structur
der Systeme von coinplexen Zahlen hat endlich eine Arbeit von
Molien gebracht*. Hier werden eine Reihe neuer und wichtiger
Begriffe entwickelt; vor Allen der des begleitenden Zahlensystems
eines gegebenen.
Lassen sich die geeignet gewählten Grundzahlen eines Zahlensystems in zwei Gruppen ^...e,., %...^ fi theilen, derart, dass alle
e^gfc sich durch die et allein ausdrücken lassen, während die
Produkte 0^, 97^, 17^ durch die m allein ausgedrückt sind, so
bilden die Grundzahlen ^...e,, ein Zahlensystem, von dem Molien
sagt, dass es das gegebene "begleitet." Ein Zahlensystem, das
kein kleineres begleitendes System enthält, heisst ein " wrsprwngliches Zahlensystem." Ein Hauptziel der Molien'sehen Arbeit ist
die Bestimmung aller dieser ursprünglichen Zahlensysteme.
Jedes ursprüngliche Zahlensystem hat eine quadratische Zahl
von Haupteinheiten, und ist identisch mit einem der Zahlensysteme,
die, wie wir oben sagten^ zur allgemeinen projectiven Gruppe eines
Gebietes mter Stufe gehören.
Wenn ein Zahlensystem nicht ursprünglich ist, so bestimmen
die oben mit ^...rjs bezeichneten Zahlen eine invariante Untergruppe einer jeden der mit dem Zahlensystem verknüpften
reciproken Gruppen (9). Ist das Zahlensystem dagegen ur* Molien, über Systeme höherer cowplexer Zahlen, Diss. Dorpat, 1892, oder
Math. Ann. Bd. 41, 1893.
380
E. STUDY.
sprünglich, so haben die zugehörigen Parametergruppen (9) überhaupt keine invarianten Untergruppen, da die allgemeine projective Gruppe bekanntlich einfach ist.
Durch den angeführten Satz sind also alle Zahlensysteme mit n
Haupteinheiten 'bestimmt, deren zugehörige Parametergruppen (9)
einfach sind.
Die Bedeutung, die die Bestimmung der ursprünglichen
Systeme für die allgemeine Theorie der Systeme complexer
Zahlen hat, geht aus dem folgenden Satze hervor:
Jedes System Sn von complexen Zahlen enthält eine endliche
Zahl p von begleitenden ursprünglichen Systemen, deren Haupteinheiten sämmtlich linear-unabhängig sind.
Seien en...elri; e^...e2rz; ...epl...rprp die Grundzahlen dieser p
begleitenden ursprünglichen Systeme, %...^ die übrigen Einheiten
des gegebenen Systems (r: + ... + rp + p = n), so werden alle Produkte
fyic • fyi = 0, sobald i=^j, und die übrigen Produkte eilc . *ft, ift. eilG und
yWm drücken sich durch die Grundzahlen ^...T)^ allein aiis.
Die Produkte e^e^ folgen den uns bereits bekannten Multiplicationsregeln.
Auf Grund dieser und anderer Sätze, auf die wir ihrer
verwickelten Natur wegen nicht eingehen können, gelangt
Molien zu einer Classification sämmtlicher Zahlensysteme. Die
Systeme werden in Classen getheilt, deren jede einem der
Scheffers'schen Nichtquaternionsysteme entspricht.
Die ursprünglichen Zahlensysteme bilden für sich allein eine Classe, die
dem System der gewöhnlichen Zahlen mit einer Haupteinheit
zugeordnet ist.
Als ein Vorzug der Molien'schen Untersuchung im Vergleich
zu der von Scheffers muss es betrachtet werden, dass Molien
sich nirgends auf Sätze stützt, die nicht der Theorie der complexen
Zahlen unmittelbar angehören, sondern mit anderen, fremdartigen
Hülfsmitteln bewiesen sind. Zu bedauern ist es jedoch, dass Herr
Molien es verschmäht hat, seine Theorie durch ausgeführte'
Beispiele zu erläutern; zu bedauern nicht allein deshalb, weil
das Heil der Wissenschaft nicht ausschliesslich in der Abstraction
liegt. Dass die Bestimmung wenigstens der Quaternionsysteme
nochmals aufgenommen und ein gutes Stück weitergeführt werden
möchte, erscheint im Interesse der geometrischen Anwendungen
jedenfalls sehr wünschenswerth.—
SYSTEME COMPLEXER ZAHLEN.
381
Wir schliessen dieses Referat mit einer Aufzählung der
zusammenfassenden Arbeiten, die der Leser, der sich näher über
unseren Gegenstand zu unterrichten wünscht, zu Rathe ziehen
möge.
H. Hankel, Theorie der complexen Zahlensysteme. Leipzig,
1867.
W. Gibbs, An address before the section of Mathematics and
Astronomy of the American Association for tJie Advancement of
Science, Buflalo Meeting, August 1886, Salem Mass. 1886.
Oayley, " On multiple Algebra," Quarterly Journal of Mathematics, v. 22 (1887), p. 270.
Study, " Über Systeme complexer Zahlen und ihre Anwendung
in der Theorie der Traiisforinationsgruppeii." Monatshefte f. Math. u.
Phys. i. (Wien, 1890), S. 283.
S chef fers, "Zurückfiihrung complexer Zahlensysteme auf typische
Formen." Math. Ann. Bd. 39, S. 293.
Molien, Über Systeme höherer complexer Zahlen. Dorpat, 1892;
oder Math. Ann. Bd. 41, 1893, S. 83.
MARBURG, im Juni 1893.
[Zu der vorliegenden Aufzählung ist noch hinzuzufügen :
Sophus Lie, Vorlesungen über continuirliche Gruppen. Leipzig,
1893. Dieses Werk bringt in Abtheilung V hauptsächlich eine
Übersicht über die Arbeiten von Study und S oh ef fers.
Ferner sind seit Abfassung dieses Referats noch zwei Abhandlungen
von Scheffers erschienen (SäcJis. Berichte, 1893 und 1894), in denen
die Functionentheorie der comiautativen Systeme entwickelt und auf
einige wichtige gruppentheoretische Probleme angewendet wird.
BONN, im Ootober 1895.]
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