Herbert M. Hurka Spiegel im Paradies Je schneller und je weiter wir vom Paradies abdriften, desto größer wird der Aufwand, diese Bewegung aufzuhalten und die Verluste auszugleichen. Jede technische Erlindung vertieft den Riß, der zwischen einer immer schneller rotierenden Gegenwart und jenem phantasierten Urzustand aufbricht, der unter der Signatur "Paradies" die kollektiven Gedächtnisse der Völker besetzt. Anstatt Sozial utopien hypen Religionen , während die Medien auf Dauersendung geschaltet sind. 1m ungünstigsten Fall ist das Paradies rechteckig und hat eine Fläche von 10 x'15 cm. Das zumindest behauptet eine Fotofirma, die preisgünstige Angebote unter dem Logo "Paradiesformat" auf den Markt bringt. Eva Rosenstiel nimmt die Offerte an und stel lt eine Endlosserie übermalter Fotografien her unter eben diesem Titel: ~Paradiesformat". Ihre Motive sind Natur und Landschaft . Präsentationsform ist eine wandfüllende Installation, bei der die Bilder zu Motivgruppen von Wald, Gewässer. Wiesen , Gestrüpp zusammengefaßt sind. Die Fotos, einfache Abbilder, die eher geknipst als fotografiert sind, erheben weder künstlerischen Anspruch noch wollen sie etwas zeigen, das nicht schon mit bloßem Auge zu sehen wäre. Die Fotos sind das Material, die handliche Fixierung m jenes "Rohstoffs des Sehens als den Paul Virilio einmal optische Umweltdaten bezeichnete. Formal gehören die Gräser, Kiesel und Weilen zur Ordnung der Fraktale. Das sind Strukturen, die Gesetzen unterliegen und dennoch unregelmäßig sind, einer anderen, poesievolleren Geometrie angehören als der Euklid'schen Geometrie der Winkel und Geraden - für das Malerauge wie geschaffen. Oie fotografische Infiltration Die Fotografie war das erste Medium, das optische Daten technisch aufzeichnen konnte, und seit es sie gibt, erzeugt sie Feedbacks mit der Malerei. In ihren Anfängen stand sie im Ranking der Künste weit unter der Malerei. Als Hilfsmittel allerdings wurde sie von den Malern gleich erkannt, denn Skizzen gegenüber hatte sie die Vorteile, schnell und leicht zu beschaffen, exakt und disponibel zu sein, so daß man im Atelier ohne direkte Anschauung der Natur arbeiten konnte. Oie Impressionisten waren die ersten, die sich Natur auf diese Weise aneigneten. Daß es eine Reihe von Malern gab, die man mit einer solchen Arbeitsweise kaum in Verbindung brächte, wie Edward Munch oder Franz von Stuck, ist darauf zurückzuführen, daß Manet und Degas ihr neuartiges Hilfsmittel zu verleugnen begannen. Zum Image der Impressionisten, die intensive Natureindrücke in die Salons übertragen wollten, hätte die Abhängigkeit von einer technischen Blackbox auch schwerlich gepaßt. 100 Jahre - so lange dauert es nach dem Medientheoretiker Marshall McLuhan, bis eine Gesellschaft den Schock, den ein neues Medium auslöst, verarbeitet hat. Für die Fotografie zumindest scheint das zuzutreffen, denn erst in den 1950er Jahren beginnt mit Künstlern wie Francis Bacon oder Robert Rauschenberg eine offensive Auseinandersetzung mit der Fotografie. So lange hat es auch gedauert, bis die Fotografie sich als Konkurrenzmedium der Malerei durchgesetzt hatte. Eva Rosenstiels Arbeiten bewegen sich entlang dieser Geschichte und setzen diese in Rich» tung neue Medien fort. 7 " « Transform ationen Die Installation ..Paradiesformat~ exponiert die Fotografie am klarsten. Aber auch die Werke davor wie die ab 2000 gemalten Feldstücke hingen. obzwar pure Malerei, immer schon an der Fotografie, denn sie sind nach Fotos gemalt. Diese Arbeiten docken nicht nur auf der Ebene der Sujets und vom Malduktus her an die Impressionisten an, sondern auch mediengeschichtlich. Fotos in der Funktion von Skizzen. Danach aber entsteht zeitgleich mit den Übermalungen eine Serie von Spiegelscans, die die Technik der Übermalung digital erweitern. Das kompliziertere Transformationsverfahren durchläuft mehrere Produktionsphasen: fotografieren, übermalen, scannen, blow up und mit Tintenstrahlprinter auf Spiegelglas drucken. Aus diesen Verfahren wiederum entwickelt sich eine Gruppe von BO x 120cm-Formaten, die ebenfalls mit Tintenstrahl gedruckt werden, doch nicht auf Glas sondern auf einem konventionellen Bildträger und in einem zusätzlichen Arbeitsgang stellenweise wieder ausgewaschen werden. Die Übermalungen und die digitalen Overdrives führen zu oszillierenden Bildzuständen, die weder Malerei noch Fotografie sind, sondern eine andere Spezies Bild, ein Crossover, das sich zu einer autonomen Textur fügt, die die Oberfläche zlJINebt. nParadiesformatMkonturiert das Paradigma des Werks am schärfsten. Die einfache Kombination von Malerei und Fotografie einschließlich der seriellen Wiederholung verdeutlichen die Medienverhättnisse in einer programmatischen Demonstration. Von diesem Punkt aus nämlich läßt sich nicht nur die 10 subkutane Vemelzung der Arbeiten ab 1999 verfolgen, sondern auch der Einspruch festmachen, mit dem die Künstlerin auf den optischen Apparat reagiert. Der Kamera sagt man den Vorteil nach, Realität objektiv wiederzugeben. Wenng leich das nicht mit Wahrheit zu verwechseln ist, so heißt das doch, daß der Fotoapparat vollkommen indifferent aufzeichnet und alles neutral aufnimmt, was in den Winkel seines Objektivs gerät. Die Kamera wertet nicht, urteilt nicht, schließt nichts aus, verdrängt nichts. Das Foto ist unhierarchisch detailgenau. die Oberfläche so perfekt, daß sie spiegelt. Die Geschwindigkeit der Aufzeichnung mißt sich in Sekundenbruchteilen Momentaufnahmen, Schnappschüsse, eingefrorene Augenblicke. Drive Die Potentiale des fotografischen Apparats werden auf der Malerseite von den körperlichen und psychischen Potentialen gekontert - Beispiel: die indifferente Aufzeichnung von der selektiven Wahrnehmung des Auges. Am nachhaltigsten macht sich die künstlerische Intervention in der Oynamisierung des Motivs bemerkbar, darin etwa. wie das Material aus seiner eigenen Gesetzlichkeit Wege und Ziele sucht, gleichzeitig aber mitgezogen wird von der Eigendynamik des kreativen Prozesses mit all seinen bewußten und unbewußten Entscheidungen für Farbauswahl, Variation und Ausstieg aus dem Prozeß. Von der Installation .. Paradiesformat ~ aus, die die medialen Operationen offenlegt, läßt sich der Wechsel zwischen gesteuerten und ungesteuerten Inputs für die ganze fotografiebezogene Werkphase beschreiben. Bei den Mumha. aus; ParadiesfOfTTlat, 2005 80 x 120 cm, Tintenstrahlprint auf Aluminium mit Wasser bearbeitet Gemälden sind Fotografie und Malerei getrennt, bei den Seans hingegen vennischen sie sieh so weit, daß sie zu Emergenzeffekten führen. Die Ingredienzen verschalten sich auf einem neuen medialen Niveau, wobei sich die ursprünglichen Inputs nicht mehr ableiten lassen. Fort - da Technischer Aufwand wird zum Leerlauf, sobald er das ästhetische Ziel dominiert - die Mittel die Zwecke überrollen. Eva Rosenstiels Arbeiten behalten immer ihre ästhetische Suggestivität, denn die Eskalation der Methoden orientiert sich an der künstlerischen Absicht und strebt immer auf dasselbe Ziel zu : Die Konstruktion eines Bildraums, der sich gleich- zeitig dem Blick verschließt. Oberfläche verwoben in Oberiläche als doppelte Absicherung im entschiedenen Widerspruch gegen das Vorurteil, daß Künstler durch ihre Werke ein öffentliches Outing betrieben, ihr sogenannt Innerstes, Geheimstes, Intimstes und was sonst noch alles nach außen kehrten, um es zur Schau zu stellen. Eva Rosenstiel zumindest veriolgt das Gegenteil, macht ihre Bilder undurchdringlich, damit sie sich - dahinter, darin - verbergen kann. Bilder, die so eindringlich sind, daß sie die Neugier von der Person abziehen und auf die Arbeit umlenken. Der Restglanz der Fotografien, expliziter noch der Glanz der Spiegel-Seans, weisen den Blick bereits physisch zurück, so daß das Ucht, die Domäne der Fotografie, eher zum Feind des Blicks wird. Trouble in paradise. 11