Störungen der Antikörperproduktion bleiben nicht ohne Folgen – Immundefekte bei Erwachsenen Der Mensch kommt ständig mit Milliarden von mikrobiellen Erregern in Kontakt und benötigt deshalb wirksame Schutz- und Abwehrmechanismen. Erreger wie Bakterien, Viren oder Pilze gelangen über die Atemwege (Schleimhäute), die Haut oder die Nahrung in unseren Körper. Ihre Vernichtung erfolgt mit Hilfe von Immunzellen (Makrophagen, Tund B-Zellen). Die notwendigen Abwehrmechanismen sind zum Teil angeboren ('unspezifisch'), zum Teil werden sie ab dem dritten Lebensmonat entwickelt ('spezifisch') und mit jedem neuen Erregerkontakt optimiert. An der angeborenen Immunabwehr sind nur die Makrophagen im Blut beteiligt. Sie nehmen die Erreger auf und bauen sie ab. Dieser Schutz wäre aber ohne zusätzliche, im Blut vorhandene, Antikörper gegen Bakterien oder Viren nicht ausreichend. Sie kommen zunächst von der Mutter und werden über die Plazenta und über die Muttermilch auf die Nachkommen übertragen. Da diese Antikörper relativ bald verbraucht sind, muss der menschliche Organismus lernen, selbst Antikörper zu bilden. Die Antikörperproduktion erfolgt ausschließlich durch die B-Zellen. Der erste Antikörpertyp, der z.B. nach einer bakteriellen Infektion entsteht, ist ein IgM-Antikörper mit einer Verweildauer im Blut von drei bis sieben Tagen. Für einen darüber hinaus gehenden Schutz benötigen wir sogenannte IgG-Antikörper. Sie werden nur produziert, wenn Makrophagen, B-Zellen und T-Zellen miteinander in Kontakt treten und eine spezifische Immunantwort ausgelöst wird. Es kommt zur Aktivierung der Immunzellen, Freisetzung von Zytokinen (Entzündungsstoffe) und letztendlich zur Bildung von IgG-Antikörpern. Diese zirkulieren etwa drei bis vier Wochen im Blut und werden dann abgebaut. Unser 'immunologisches Gedächtnis' sorgt dafür, dass die Information über eine einmal überstandene Infektion erhalten bleibt, meist für das ganze Leben. Eine anhaltende Störung der Antikörperproduktion erhöht die Infektanfälligkeit und kann weitere Erkrankungen nach sich ziehen Der normale Gehalt an IgG-Antikörpern im Blut steigt im Laufe des Lebens an und liegt bei Erwachsenen zwischen 8 und 18 Gramm pro Liter Serum (flüssiger Bestandteil des Blutes). Der Antikörpergehalt kann zeitweilig auch deutlich niedriger sein, was aber für gesunde Menschen mit einer intakten Immunabwehr unproblematisch ist. Was passiert mit den Menschen, die aufgrund von Störungen des Immunsystems zu wenig oder vielleicht sogar gar keine Antikörper produzieren können? Bei ihnen kommt es gehäuft zu Infektionen der Atemwege mit chronischem eitrigem Schnupfen, Nasennebenhöhleninfekten, Bronchitiden und Mittelohrentzündungen. Sind es mehr als drei Infektionen pro Jahr, die länger als drei bis vier Wochen dauern, spricht man bereits von einer erhöhten Infektanfälligkeit. Ohne eine adäquate Behandlung kann diese erhöhte Infektanfälligkeit zu schweren Pneumonien, chronischen Infekten des Magen-Darm-Trakts oder chronischen Hautinfektionen mit Wundheilungsstörungen führen. Organfunktionen werden nachhaltig gestört. Die Veränderungen können Lunge, Magen, Darm, Leber, Milz und Lymphknoten betreffen. Von einem primären Immundefekt (PID) oder einem primären Antikörpermangelsyndrom spricht man, wenn die Störungen der Antikörperproduktion bereits angeboren sind. Etwa einer von 10.000 Menschen leidet unter einer solchen PID, die Hälfte davon unter einem Antikörpermangelsyndrom. Zu den Antikörpermangelerkrankungen gehören z. B. die sich bereits im Kindesalter zeigende Agammaglobulinämie (gar keine Antikörperbildung), die Hypogammaglobulinämie (verringerte Antikörperbildung) und das variable Immundefektsyndrom (CVID). -1- Die klinischen Zeichen für eine CVID zeigen sich oftmals erst zwischen den 20. und 30. Lebensjahr. Das bedeutet, dass diese Patienten öfter krank werden als andere Menschen und chronische Infekte entwickeln. Ihr Serum-IgG-Spiegel liegt deutlich unter den Normalwerten. Man nimmt an, dass in Deutschland mehrere zehntausend Menschen an CVID leiden. Durch die schleichende Verschlechterung des Gesundheitszustandes wird die Krankheit oftmals mit einer Verzögerung von zwei bis sechs Jahren oder auch gar nicht erkannt. Ist die Diagnose Antikörpermangelsyndrom oder CVID erst einmal gestellt, so kann eine regelmäßige Therapie mit Antikörperkonzentraten die Infektneigung deutlich reduzieren und Organfunktionen wieder stabilisieren. Die zu verabreichende Antikörperdosis hängt davon ab, wie viel IgG der Patient selbst noch bilden kann. Die Therapie muss in der Regel lebenslang erfolgen, da die bestehende Störung der Antikörperbildung nicht behoben werden kann. Richtig eingestellte Patienten haben eine gute Prognose. Sie werden trotzdem noch Infektionen haben, die aber deutlich weniger schwer verlaufen und gut therapierbar sind. Ihre Lebensqualität unterscheidet sich dann meist nur wenig von der anderer Menschen. -2-