Der Onkologe Organ der Deutschen Krebsgesellschaft e.V. Elektronischer Sonderdruck für F. Overkamp Ein Service von Springer Medizin Onkologe 2015 · 21:297–304 · DOI 10.1007/s00761-014-2795-y © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 F. Overkamp Herausforderungen zielgerichteter Substanzen an die onkologische Supportivtherapie Diese PDF-Datei darf ausschließlich für nichtkommerzielle Zwecke verwendet werden und ist nicht für die Einstellung in Repositorien vorgesehen – hierzu zählen auch soziale und wissenschaftliche Netzwerke und Austauschplattformen. www.DerOnkologe.de Leitthema Onkologe 2015 · 21:297–304 DOI 10.1007/s00761-014-2795-y Online publiziert: 25. März 2015 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 F. Overkamp Der folgende Beitrag skizziert die Anforderungen an die Supportivthera pie im Hinblick auf verschiedene Substanzklassen unabhängig von einzelnen Tumorentitäten. Dieser Übersicht liegen neben der genannten Literatur die Fachinformationen der zugelassenen Substanzen der jeweiligen Substanzklassen und die Guidelines der MASCC [5] zugrunde. und Rezeptorblockaden durch monoklonale Antikörper finden naturgemäß nicht nur in Tumorzellen, sondern auch in gesunden Körperzellen und Gefäßzellen statt. Dies erklärt die unerwünschten Wirkungen der Substanzen. Die Summe aller zellulären Kinasen bezeichnet man als Kinom. Zielgerichtete Substanzen wie monoklonale Antikörper, Tyrosinkinasehemmstoffe oder mTOR-Inhibitoren haben in den letzten 15 Jahren die Therapie solider Tumoren und hämatologischer Systemerkrankungen in hohem Maße verändert und bereichert. Aktuell gewinnen zudem Immunonkologika wie Checkpointinhibitoren eine rasch zunehmende Bedeutung. Eine Chronifizierung der Verläufe ist durch diese neuen Substanzklassen bei vielen Entitäten möglich geworden; teilweise ergeben sich auch kurative Chancen durch den Einsatz in neoadjuvanten und adjuvanten Konzepten. Die neuen Chancen bedeuten jedoch auch neue Herausforderungen und zusätzliche Lernkurven für die behandelnden Ärzte. Denn die neuen Medikamente verursachen ein im Vergleich zu konventionellen zytostatischen Therapien anderes Spektrum an unerwünschten Wirkungen und erfordern entsprechend neue Konzepte für deren Management. Nebenwirkungen durch Kinaseinhibition und Blockierung des EGF-Rezeptors Blockierungen der Signaltransduktion durch Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI) Recklinghausen Herausforderungen zielgerichteter Substanzen an die onkologische Supportivtherapie » Zwischen den vielen TKI bestehen erhebliche Unterschiede Zwischen den zahlreichen verfügbaren TKI bestehen erhebliche Unterschiede, was das Ausmaß der Bindung des Kinoms betrifft: Ein dualer Tyrosinkinaseinhibitor wie Lapatinib bindet z. B. nur ca. 5% des Kinoms, ein Multikinaseinhibitor wie Sunitinib hingegen knapp 60%. Für ein professionelles Nebenwirkungsmanagement ist es daher notwendig, die unterschiedlich starken Kinombindungen zu berücksichtigen. Die Hemmung der rezeptorassoziierten Tyrosinkinasen des EGF- und des HER2-Rezeptors kann prinzipiell ähnliche Effekte zur Folge haben wie die Blockierung des Rezeptors selbst. Für die häufigen Nebenwirkungen von TKI und Anti-EGFR-Antikörpern an Haut, Schleimhäuten und Nägeln sind mittlerweile professionelle dermatologische Handlungsempfehlungen standardisiert [10]. Die genannten Substanzen blockieren den EGF-Rezeptor eben nicht nur an den Tumorzellen, sondern z. B. auch auf Epidermiszellen, Haarfollikeln und Schweißdrüsen. Folgen sind eine verringerte Proliferation der Keratinozyten und eine dysregulierte Homöostase im Bereich der Basalzellschicht der Haut. Ein papulo- pustulöses Exanthem, der sog. „Rash“, ist ebenso typisch wie eine starke Austrocknung von Haut und Schleimhäuten [12]. Die Beteiligung von Händen und Füßen (Hand-Fuß-Syndrom) stellt eine besondere Herausforderung dar [4]. Neben harnstoffhaltigen Externa verdichten sich aktuell Hinweise, dass der prophylaktische Einsatz von Mapisal hilfreich sein könnte1 [1, 9]. Bei Langzeittherapie mit TKI und Anti-EGFR-mAB (mAB monoklonale Antikörper) kann es zu Nageldystrophien (Paronychien) kommen; auch Rhagaden an Fingern und Zehen, borstige Haarveränderungen und Hypertrichosen werden beobachtet. Gelegentlich wird eine erhöhte Lichtempfindlichkeit berichtet. Entscheidend sind eine gute Prophylaxe und die rechtzeitige Intervention beim Auftreten einer Haut- oder Nageltoxizität [13]. Entsprechend ist eine eingehende Aufklärung der Patienten über möglicherweise auftretende Hautveränderungen und prophylaktische Maßnahmen notwendig. » Ein häufiges Problem ist die Mukosatoxizität Ein weiteres häufiges Problem ist die Mukosatoxizität der genannten Substanzen. Die orale Mukositis (Stomatitis) und die intestinale Mukositis sind dabei klinisch besonders bedeutsam. Die pathophysiologische Genese der Diarrhö unter TKI ist noch nicht vollstän1 Bei immunmodulatorischen und liquorgängigen Substanzen zeichnen sich aktuell neue Nebenwirkungsspektren ab, die es zu beherrschen gilt [1]. Der Onkologe 4 · 2015 | 297 Leitthema dig geklärt. Häufigkeit und Intensität variieren stark bei den verschiedenen TKI. In seltenen Fällen kann die Diarrhö schwerwiegend und lebensbedrohlich sein. Aber auch eine leichte bis mittelgradige Diarrhö ist bei langwierigem Verlauf insbesondere bei älteren Patienten in Folge des Wasser- und Elektrolytverlusts potenziell bedrohlich. Die Kardiotoxizität spielt bei den neuen Substanzen im Vergleich zur Toxizität an Haut und Schleimhäuten insgesamt eine geringere Rolle. Das kardiotoxische Potenzial der TKI ist dabei deutlich geringer als das der monoklonalen Antikörper, was insbesondere auf die im Vergleich zur Antikörpertherapie fehlende ADCC („antibody-dependant cellular cytotoxicity“) mit entsprechend geringerer Apoptoseinduktion zurückgeführt wird. Eine Expression von HER2 kommt zu einem geringen Anteil auch an Herzmuskelzellen vor. Zum komplexen Wirkmechanismus von Trastuzumab am HER2-Tyrosinkinsaserezeptor gehört unter anderem eine Hemmung des PI3K/AKT-Signalwegs. Über diese Inhibition können u. U. die Myozyten des Herzmuskels vermehrt in die Apoptose geraten, gleichzeitig wird die zytoskelettale Architektur gestört und der Zellmetabolismus dysreguliert. Zusätzlich kann auch über den ADCC-Mechanismus eine Apoptose der kardialen Myozyten induziert werden. Neben der HER2-Expression auf Herzmuskelzellen kann auch eine Expression des Rezeptors auf Endokardzellen vorkommen. Als Folge einer Rezeptorblockierung durch eine Anti-HER2-gerichtete Therapie können hier ebenfalls apoptotische Prozesse und ein gestörter endokardialer Metabolismus auftreten. Letztlich können die endokardialen und myokardialen Alterationen zu Myokardinsuffizienz und -ischämie führen [7]. » Besondere Vorsicht ist bei Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren geboten Klinisch ist die Inzidenz einer linksventrikulären Dysfunktion dennoch selten: Sie liegt bei ca. 5% unter Anti-HER2-gerichteten Substanzen. In Kombination mit kardiotoxischer Chemotherapie liegt sie höher und wird in der Literatur mit ca. 15–20% angegeben. 298 | Der Onkologe 4 · 2015 Besondere Wachsamkeit ist naturgemäß bei Patienten mit kardialer Vorschädigung (z. B. Myokardinsuffizienz, Rhythmusstörungen, koronare Herzkrankheit) und kardiovaskulären Risikofaktoren (arterielle Hypertonie, Hyperlipidämie, Diabetes mellitus) geboten [3]. Ein kardiologisches Monitoring mit EKG und Echokardiogramm vor und während einer Therapie mit Anti-HER2-gerichteten Substanzen ist obligat. Standard sind 3-monatige Intervalle unter Therapie und 6-monatige nach Abschluss einer Therapie über insgesamt 2 Jahre. Die kardioprotektive Medikation sollte in Anlehnung an die entsprechenden Leitlinien der Kardiologie und nach Vorgabe des mitbehandelnden Kardiologen erfolgen. Nebenwirkungen durch mTOR-Inhibition Schleimhaut- und Hautveränderungen sind auch bei dieser Substanzklasse häufig zu beobachtende unerwünschte Wirkungen [8]. Eine nichtinfektiöse Pneumonitis ist eine sehr seltene, wahrscheinlich immunologisch induzierte Nebenwirkung. Im Gegensatz zu Stomatitis und Hauttoxizität treten diese Veränderungen eher nach längerer Behandlungsdauer auf, meist nach mehrmonatiger Therapie. Eine Prophylaxe gibt es nicht, daher ist eine frühzeitige Erkennung entscheidend [11]. Klinisch sollten unspezifische pulmologische Beschwerden wie Husten, Dyspnoe und subfebrile Temperaturen an die Möglichkeit des Auftretens einer Pneumonitis denken lassen. Das Computertomogramm zeigt oft milchglasartige Trübungen, manchmal herdförmige Verdichtungen, aber kein eindeutig pathognomonisches Bild. Die Aufnahmen sind nur schwer von einer Lymphangiosis carcinomatosa oder einer Pleurakarzinose zu unterscheiden. Im Vordergrund der diagnostischen Bemühungen sollte der schnellstmögliche Ausschluss einer infektiösen Ursache (z. B. Legionellenpneumonie, Pneumocystis-carinii-Pneumonie o. ä.) stehen. Hierzu sind eine Sputumkultur und ggf. eine bronchoalveoläre Lavage (BAL) sinnvoll. Aufgrund der immunsuppressiven Wirkung der mTOR-Inhibitoren sind Infektionen zwar seltene, aber mögliche Komplikationen. In der BAL kann eine Lymphozytose bei fehlendem Nachweis von Keimen Hinweis auf eine nichtinfektiöse Pneumonitis sein (passend zu der histologisch typischen granulomatösen Entzündung mit lymphozytärer Infiltration und Vaskulitis). Nach Ausschluss einer infektiösen Ursache und klinischem Verdacht ist die Therapie der Wahl eine Steroidbehandlung [2]. Nebenwirkungen durch Angiogenesehemmung Zur Hemmung der tumorassoziierten Angiogenese stehen mittlerweile zahlreiche Substanzen zur Verfügung: monoklonale Antikörper gegen VEGF oder VEGFR sowie verschiedene TKI, die ebenfalls antiangiogene Effekte entfalten. Wenn man sich vergegenwärtigt, an welchen Stellen im Organismus VEGF eine tragende Rolle spielt, wird deutlich, dass auch diese Substanzklasse nennenswerte unerwünschte Wirkungen verursachen kann. VEGF wird u. a. zur Blutdruckregulation, zur Steuerung der Nierenfunktion, zur Aktivierung der Gerinnungskaskade, zur Aufrechterhaltung einer vaskulären Homöostase, zur Immunmodulation und zur Regulierung der Knochenmarkfunktion benötigt. Insgesamt sind unerwünschte Wirkungen unter Angiogenesehemmstoffen selten; wenn sie auftreten, können sie jedoch schwer sein. Die Entwicklung einer arteriellen Hypertonie ist eine typische Nebenwirkung, wenn antiangiogene Effekte auf die Blutgefäße übertragen werden. Grundsätzlich muss eine Hypertonie, die als unerwünschte Wirkung unter Angiogenesehemmung auftritt, nach denselben Leitlinien behandelt werden wie jede chronische Hypertonie. ACE-Hemmer, Diuretika und Kalziumantagonisten werden dabei bevorzugt eingesetzt. Eine akute hypertensive Krise lässt sich meist gut mit Nitrendipin (z. B. als Phiole) beherrschen. Neben hypertensiven Entgleisungen können thromboembolische Ereignisse und Blutungen mögliche weitere schwerwiegende Folgen unter einer Therapie mit Angiogenesehemmstoffen sein. Sehr selten treten Perforationen im Gastrointes- Zusammenfassung · Abstract Onkologe 2015 · 21:297–304 DOI 10.1007/s00761-014-2795-y © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 F. Overkamp Herausforderungen zielgerichteter Substanzen an die onkologische Supportivtherapie Zusammenfassung Hintergrund. Aufgrund der immer präziseren Kenntnisse über Signaltransduktion und Rezeptorexpression sowie über Angiogenese und immunonkologische Mechanismen wurde in den letzten 15 Jahren eine Vielzahl neuer, zielgerichteter Substanzen etabliert. Es handelt sich dabei um „small molecules“ und monoklonale Antikörper, die an diversen Targets ansetzen und die Signalübertragung zum Zellkern stören, Rezeptoren blockieren oder immunologische Effekte erzeugen. Bei hämatologischen Systemerkrankungen war das Prinzip der zielgerichteten Therapie schon früher entwickelt und erfolgreich umgesetzt worden; neu in den letzten 15 Jahren war die Übertragung dieser Therapieansätze auf solide Tumoren. Einige Entitäten sind durch die neuen Optionen deutlich besser behandelbar und chronifizierbar geworden. Diese neuen Chancen waren und sind aber auch mit besonderen Herausforderungen an die Supportivtherapie verbunden. Alle neuen Substanzklassen haben ein ande- res Toxizitätsspektrum als die klassische Chemotherapie. Material und Methoden. Es erfolgte eine Recherche und Auswertung von Literatur, klinischen Studien und wissenschaftlichen Fachinformationen. Ergebnisse. Die Blockierung von EGF- oder HER2-Rezeptoren, die Hemmung zellulärer Tyrosinkinasen und die Unterbrechung des mTOR-Signalwegs sind bei verschiedenen Tumoren etablierte zielgerichtete Therapieoptionen. Die Unterdrückung der Angiogenese (durch monoklonale Antikörper oder Tyrosinkinaseinhibitoren) ist eine weitere Option, die ebenfalls zur Targeted Therapy gerechnet wird. Das Nebenwirkungsmanagement dieser Substanzklassen gilt inzwischen als gut etabliert. Als eine weitere neue Therapieform hat die Immunonkologie mit den ersten Checkpointinhibitoren Einzug in den Therapiealltag gefunden, die ein anderes Nebenwirkungsspektrum aufweisen als die Targeted Drugs. Bei den in Studien derzeit geprüf- ten Pi3K-Inhibitioren, PARP-Inhibitoren und CDK4/6-Inihibitoren zeichnen sich wiederum ganz neue Nebenwirkungen ab: So scheinen z. B. stark liquorgängige Substanzen mehr neuropsychiatrische Nebenwirkungen zu verursachen. Substanzen mit Wirkung nah am Zellkern ähneln in ihrem Nebenwirkungsspektrum wieder eher der klassischen Chemotherapie. Jede neue Substanzklasse bringt auch neue Anforderungen an die Supportivtherapie mit sich. Die professionelle Umsetzung supportiver Maßnahmen trägt nachweislich zum Therapieerfolg bei. Dies gilt für Prophylaxe und Behandlung von Nebenwirkungen gleichermaßen. Schlüsselwörter Signalweghemmung · Tyrosinkinaseinhibitoren · Monoklonale Antikörper · Angiogenesehemmung · Immunonkologie Challenges of targeted substances for oncological supportive therapy Abstract Background. Due to an increasingly more precise understanding of signal transduction and receptor expression, angiogenesis and immuno-oncological mechanisms, a multitude of new targeted substances have been established in the last 15 years. These include small molecules and monoclonal antibodies, which bind to diverse targets and disrupt signal transfer to the cell nucleus, block receptors or produce immunological effects. The principle of targeted therapy was developed earlier and successfully implemented for systemic hematological diseases and this therapy approach was transferred to solid tumors in the last 15 years. Some entities can clearly be treated better and are now chronifiable. These new options were and still are associated with special challenges for supportive therapy. All new substance classes have a different toxicity spectrum than the classical chemotherapy. tinaltrakt oder eine nekrotisierende Fasziitis auf. Material and methods. This study involved a literature search, an evaluation of clinical studies and specialist scientific information. Results. Blocking of epidermal growth factor (EGF) receptors and human epidermal growth factor receptor 2 (HER 2), inhibition of cellular tyrosine kinases (TKI) and interruption of the mammalian target of rapamycin (mTOR) signal pathway are established targeted therapy options for various tumors. Suppression of angiogenesis (by monoclonal antibodies or TKI) is a further option which is also a form of targeted therapy. The management of side effects of this class of substances is now well established. Immuno-oncology with the first checkpoint inhibitors is another new form of therapy, which has been implemented into routine therapy and shows a different spectrum of side effects than targeted drugs. The phosphoinositide 3-kinase (PI3K) inhibitors, poly(ADP-ribose) poly- Nebenwirkungen auf Stoffwechsel, Blutbildung und Nierenfunktion Unerwünschte Wirkungen zielgerichteter Substanzen betreffen nicht selten auch die 300 | Der Onkologe 4 · 2015 merase (PARP) inhibitors and cyclin-dependent kinase (CDK) 4/6 inhibitors currently being tested in studies again show totally new side effects. For example, strong substances which can cross the blood-brain barrier seem to have more neuropsychiatric side effects and substances with effects close to the cell nucleus show a similar spectrum of side effects to classical chemotherapy. Every new substance is accompanied by new challenges for supportive therapy. The professional implementation of supportive measures has been proven to contribute to therapy success. This is equally true for prophylaxis and treatment of side effects. Keywords Signal pathway inhibition · Tyrosine kinase inhibitors · Monoclonal antibodies · Angiogenesis inhibition · Immuno-oncology Hämatopoese, den Stoffwechsel sowie die Leber- und Nierenfunktion. Anämie, Hyperlipidämie und Hyperglykämie sowie ein Kreatininanstieg sind beispielsweise die unter mTOR-Inhibitoren wie Everolimus oder Temsirolimus Leitthema am häufigsten beobachteten Laborwertveränderungen. Auch ein Abfall des Serumphosphatspiegels ist gelegentlich zu beobachten. Klinisch sind ein Anstieg des Blutzuckers und des Kreatinins am bedeutsamsten; das Auftreten einer Anämie ist eher seltener. » Patienten mit einem latenten Diabetes haben ein erhöhtes Risiko zu entgleisen Patienten mit einem latenten Diabetes weisen ein erhöhtes Risiko auf, unter der Therapie mit einem mTOR-Inhibitor zu entgleisen. Die Behandlung einer Hyperglykämie entspricht der eines Diabetes mellitus mit oralen Antidiabetika oder Insulin. Bei einem Anstieg des Kreatinins genügt es meist, die Trinkmenge zu erhöhen und eine weitere nephrotoxische Medikation zu vermeiden. Der Blutdruck sollte stets gut eingestellt sein. Ein Kreatininanstieg ist in der Regel geringfügig und passager, aber es sind in Einzelfällen auch manifeste Niereninsuffizienzen bis zum akuten Nierenversagen beobachtet worden. Zur Behandlung einer unter der Einnahme von mTOR-Inhibitoren auftretenden Anämie ist gelegentlich der Einsatz von Erythropoetin gerechtfertigt. Bei einem klinisch bedeutsamen Hb-Abfall kann die Transfusion von Erythrozytenkonzentraten notwendig sein (die Abklärung bzw. der Ausschluss anderer Ursachen des Hb-Abfalls vorausgesetzt). Eine Hyperlipidämie ist in der Regel harmlos. Jedoch sollte beim Einsatz von Statinen auf mögliche Interaktionen mit dem CYP3A4-Stoffwechsel geachtet werden. In jedem Falle sollten zu Beginn der Behandlung mit mTOR-Inhibitoren und im Verlauf folgende Parameter regelmäßig kontrolliert werden: Differenzialblutbild, Kreatinin, Phosphat, Glukose, Cholesterin, Triglyzeride, Transaminasen. Nebenwirkungen durch Checkpointinhibitoren Immunonkologische Medikamente werden aufgrund vielversprechender Stu- 302 | Der Onkologe 4 · 2015 diendaten bereits als eine weitere tragende Säule der medikamentösen Tumortherapie angesehen. Mit Ipilimumab ist bereits ein erster Checkpointinhibitor verfügbar; weitere werden in Kürze folgen. Wegen der durch diese Substanzen verursachten Alteration des Immunsystems werden beispielsweise immunvermittelte Entzündungen an Darm, Leber oder Hypophyse beobachtet. Das Management dieser unerwünschten Wirkungen ist günstig; ein rasches und professionelles Handeln ist jedoch obligat, um die häufig zu erwartenden positiven Anti-Tumor-Effekte nicht zu verspielen. Ausblick Neue antitumorale Substanzen stellen auch die Supportivtherapie stets vor neue Herausforderungen. Das Nebenwirkungsmanagement von TKI, Anti-EGFR-Antikörper und mTOR-Inhibitoren ist inzwischen gut etabliert. Die Anforderungen an die onkologische Supportivtherapie sind jedoch mit jeder neuen Substanzklasse anzupassen: FLaufende Studien mit neuen Pi3K-Inhibitoren zeigen beispielsweise eine sehr gute Liquorgängigkeit, was zusätzliche Optionen bei einer zerebralen Metastasierung bedeutet, aber auch ein ganz neues neuropsychiatrisches Nebenwirkungsspektrum verursacht. FBei den derzeit ebenfalls in zahlreichen Studien untersuchten CDK4/6Inhibitoren ähneln die unerwünschten Effekte wieder eher der klassischen Chemotherapie. FWeitere neue immunmodulierende Substanzen scheinen ein ähnliches Spektrum an Nebenwirkungen wie die bereits verfügbaren Checkpointinhibitoren aufzuweisen. Es ist vielfach belegt, dass ein professionelles Nebenwirkungsmanagement das Outcome verbessern kann. Insofern muss auch die onkologische Supportivtherapie für jede neue Substanzklasse optimiert werden. Fazit für die Praxis FNeue Substanzen bedeuten stets auch neue Herausforderungen an die Supportivtherapie. FJede Substanzklasse der modernen zielgerichteten Therapien entfaltet ein für sie typisches Nebenwirkungsspektrum. FDas Nebenwirkungsmanagement von Anti-EGFR-Antikörpern, TKI und mTOR-Inhibitoren ist inzwischen gut etabliert. FDie professionelle Umsetzung supportiver Maßnahmen trägt nachweislich zum Therapieerfolg bei. FEine optimale Supportivtherapie kann das Outcome der Patienten wesentlich verbessern. Korrespondenzadresse Dr. F. Overkamp Springstraße 24, 45657 Recklinghausen [email protected] Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt. F. Overkamp gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Alle im vorliegenden Manuskript beschriebenen Untersuchungen am Menschen wurden mit Zustimmung der zuständigen Ethik-Kommission, im Einklang mit nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration von Helsinki von 1975 (in der aktuellen, überarbeiteten Fassung) durchgeführt. Von allen beteiligten Patienten liegt eine Einverständniserklärung vor. Literatur 1. Gencer D, Schneeweis A, Schulz H (2014) PROCAPP: a randomized, open-label phase III trial comparing mapisal and urea hand-foot-cream as prophylaxis for capecitabine-induced hand-foot skin reaction (HSR) in patients with gastrointestinal tumors or breast cancer – a study of the AIO Quality of Life Working Group. J Clin Oncol 32:5s (suppl; abstr 9631) 2. Grünwald V, Weikert, S, Pavel, ME et al (2013) Practical managament of Everolimus-related toxicities in patients with advanced solid tumors. Onkologie 36(5):295–302 3. Goldhar HA, Yan A, Ko D (2014) Long-term risk of heart failure associated with adjuvant trastuzumab in breast cancer patients. J Clin Oncol 32:5s (supp.; abstr. 9504) Fachnachrichten 4. Gutzmer R, Wollenberg A, Ugurel S et al (2012) Kutane Nebenwirkungen von neuen medikamentösen Tumortherapien: Klinik und Management. Dtsch Ärztebl Int 109(8):133–140 5. Multinational Association of Supportive Care in Cancer. http://www.mascc.org/guidelines 6. Overkamp F (2015) Management von Nebenwirkungen zielgerichteter Substanzen in der Senologie. In: Harbeck N (Hrsg) Zielgerichtete Therapien beim Mammakarzinom – Der Praxisguide 7. Perez EA, Morgan JP (2013) Cardiotoxicity of trastuzumab and other HER2-targeted agents. UpToDate 8. Peterson ME (2013) Management of adverse events in patients with hormone-receptor-positive breast cancer treated with everolimus: observation from a phase III clinical trial. Support Care Cancer 21(8):2341–2349 9. 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Dtsch Med Wochenschr 135(4):149– 215 304 | Der Onkologe 4 · 2015 Neues Zentrum für personalisierte Medizin in Tübingen Kliniker sprechen von individualisierter, Wissenschaftler von zielgerichteter oder maßgeschneideter Medizin und gesundheitsaffine Politiker wie der amerikanische Präsident Obama nennen sie Präzisionsmedizin. Diese neue medizinische Richtung beginnt sich ausgehend von der Krebsmedizin flächendeckend durchzusetzen. Im amerikanischen Haushalt 2015 werden 215 Mrd. EUR dafür zur Verfügung gestellt; 130 Mrd. EUR für die National Institutes of Health, die eine nationale Datenbank mit genetischen Profilen und medizinischen Befunden für eine Million Amerikaner enthalten soll. Nur gut 2 Mio. EUR wurden der Medizinischen Fakultät Tübingen als Anschubfinanzierung für das Zentrum für personalisierte Medizin (ZPM) in Aussicht gestellt. Finanziell erscheint das wenig, dennoch ist es ein starkes Signal für die fast drei Dutzend deutschen Universitätskliniken. Die Sammlung und Analyse großer Datenmengen entscheiden nach Überzeugung von Nisar Malek, dem Ärztlichen Direktor an der Inneren Medizin I im Klinikum Tübingen, über die Erfolgsaussichten neuer, molekularbiologisch ausgerichteter Therapien. In Tübingen hat Malek in kürzester Zeit aus der Plattform „Klinische Forschung“ und den mit der Exzellenzinitiative eingeworbenen Geldern ein Netzwerk aus Grundlagenforschung, Kliniken und universitären Instituten aufgebaut. Bioinformatiker integrieren 110.000 Patientendaten aus dem Krebsregister und die molekularen Informationen aus einer 30.000 Proben starken Datenbank. In der Krebsmedizin wurden durch solche systemischen Ansätze bereits echte Therpiefortschritte etwa beim Melanom oder Lungenkrebs erzielt. Die Integrierung dieser bisher nur eingeschränkt nutzbaren und nicht standardisierten Datenmengen ist eine Herausforderung. Auch Konzepte zur Datensicherheit und Persönlichkeitsschutz, der sog. Pseudonymisierung, werden in Tübingen bereits ausgearbeitet. Die Aussicht mit einer maßgeschneiderten Therapie Nebenwirkungen von Medikamenten zu vermeiden und die Heilungsverlauf viel genauer vorhersagen zu können, sind ein großer Anreiz für alle beteiligten Mediziner, Software-Ingenieure und Bioinformatiker. Quelle: FAZ, 18.02.2015, S. N4: Joachim Müller-Jung, Auf molekularer Tuchfühlung mit dem Patienten.