Medienrohstoff Krankheiten ursächlich und präzise behandeln Urs Meyer, Klinischer Pharmakologe, erklärt die Ursachen von Nebenwirkungen, die Entwicklung massgeschneiderter Therapien und das Potential von persönlichen Risikoanalysen. Wie wirkt ein Medikament im menschlichen Körper? Die Wirkungen von Medikamenten im menschlichen Körper sind so komplex wie unsere Körperfunktionen selber. Die meisten Arzneimittel binden für ihre Wirkung an Proteine, sogenannte Rezeptoren. Dadurch verdrängen diese Medikamente körpereigene Substanzen wie zum Beispiel Hormone, welche die Rezeptoren aktivieren oder hemmen. Medikamente können auch Substanzen beeinflussen, die das Zellwachstum beeinflussen oder die Weiterleitung von Schmerzsignalen ermöglichen. Andere hemmen Enzyme und damit den Stoffwechsel körpereigener Substanzen oder Transportvorgänge. Warum treten bei gewissen Patienten nach Medikamenteneinnahme Nebenwirkungen auf? Auch hier sind die Mechanismen äusserst komplex und oft nur teilweise bekannt. Je nach Medikament und früheren Behandlungen kann das Immunsystem des Patienten eine Überempfindlichkeit gegenüber von z.B. Antibiotika entwickeln. Solche Reaktionen können lebensgefährlich sein. Andere Nebenwirkungen entstehen oft durch die individuellen Unterschiede im Arzneimittelabbau oder im Arzneimitteltransport. Meist ist nur eine beschränkte Zahl von Patienten betroffen Warum gibt es Krankheiten - wie z.B. Krebs - bei denen noch keine heilende Therapie entwickelt werden konnte? Nur wenn die Ursache(n) einer Krankheit genau bekannt ist (sind), hat man die Möglichkeit, die Krankheit „ursächlich“ zu behandeln oder zu heilen. Bei Krebs verstehen wir die Ursachen nach wie vor nicht genau. Trotzdem haben wir durch ein Teilverständnis bei vielen Krebskrankheiten beträchtliche Behandlungsfortschritte erzielt. Das ist z.B. bei der akuten Leukämie bei Kindern der Fall. Was ist eine Genvariante und wie nimmt sie Einfluss auf die Arzneimittelwirkung? Alle Menschen sind einmalig in ihrer Genzusammensetzung – dem Erbmaterial – und auch in der Art, wie die Gene in den Körperzellen die Proteinbildung steuern. Das Erbgut besteht aus etwa zweimal drei Milliarden Buchstaben. Zwischen zwei nichtverwandten Menschen bestehen mehrere Millionen Unterschiede. Wenn diese Unterschiede Genen zugeteilt werden können, wie Verein Daten und Gesundheit, www.datenundgesundheit.ch, [email protected] 2 das bereits mehrere 10‘000 Mal geglückt ist, nennt man sie Genvarianten. Eine Genvariante kann zum Beispiel zum Verlust eines arzneimittelabbauenden Enzyms führen. In der Folge wird das Arzneimittel weniger schnell aus dem Körper entfernt, es akkumuliert. Wegen dessen zu hoher Konzentration im Körper entstehen dann Nebenwirkungen. Das Wissen um die spezifische Wirkung eines Stoffs bei einer bestimmten Genkonstellation macht sich die Individualisierte Medizin zu Nutze, um dem Patienten eine massgeschneiderte Therapie anbieten zu können. In welchem Umfang ist dies bereits heute möglich? Zur Zeit ist dies bei ca. 20 Arzneimitteln möglich, empfohlen oder sogar vorgeschrieben. Dieses Vorgehen aus dem Gebiet der Pharmakogenetik wird zunehmend angewendet. Dabei können Genvarianten bei Patienten vor der Therapieentscheidung bestimmt werden. Das Resultat beeinflusst die individuelle Auswahl des Arzneimittels oder die individuelle Dosierung eines Medikaments. Welche Bedeutung hat die Personalisierte Medizin für die zukünftige Gesellschaft? Wer profitiert besonders von ihr? Der Patient profitiert davon. Die Personalisierte Medizin trägt dazu bei, dass sein Problem möglichst effizient gelöst wird und er sich wieder gesund fühlt oder sich seine Lebensqualität verbessert. Inwiefern kann die Personalisierte Medizin helfen, das Krankheitsrisiko von einzelnen Patienten vorherzusagen? Wir Forscher lernen zunehmend, das vererbte Risiko eines Individuums für eine Krankheit in seiner Familiengeschichte und seiner Erbmasse zu erfassen. Wir müssen aber noch besser die Umweltfaktoren verstehen, die im Zusammenspiel mit den Genen das Krankheitsrisiko bestimmen. Neben den bekannten Risiken wie Rauchen, Alkohol, falsche Ernährung, Übergewicht und körperliche Inaktivität wirken auch subtilere Faktoren wie diurnale Rhythmen oder die Zusammensetzung von Darmbakterien. Das kombinierte Wissen wird künftig eine persönliche Risikoanalyse ermöglichen. Diese zeigt Möglichkeiten auf, wie durch Veränderungen des Lebensstils und andere präventive Massnahmen Krankheitsrisiken vermindert werden können. Welche Rolle kann eine zentrale, genossenschaftlich organisierte Gesundheitsdatenbank spielen, wenn es um den Fortschritt der Personalisierten Medizin geht? Eine solche Gesundheitsdatenbank birgt grosses Potenzial, unsere Erkenntnisse und Konzepte der Personalisierten Medizin zu verbessern. Sie kann individuelle Daten über Gesundheit und Krankheit in grossem Umfang und bis ins Detail erfassen und verwalten. Unter strikter Wahrung von Privatsphäre und Persönlichkeitsschutz können diese Daten dann für Forschungsfragen im Sinne einer besseren Gesundheitsversorgung verwendet werden. Rebecca Knoth, September 2013 Medienanfragen: Mathis Brauchbar: 079 407 9362 [email protected] Verein Daten und Gesundheit