Verordnung und Wirksamkeit von Antispasmodika (Parasympatolytika) Bei der Behandlung der Reflexinkontinenz im Rahmen der neurogenen Blasenfunktionsstörung ist es ein anerkanntes Therapiekonzept die Detrusoraktivität medikamentös vollständig zu unterdrücken und die Patienten anzulernen, ihre Harnblase intermittierend mit Selbstkatheterismus zu entleeren. Dieses Konzept wird durch viele prospektiv-randomisierte klinische Studien unterstützt. Die Drang- und Reflexinkontinenz wird durch Antispasmodika positiv durch die Erhöhung der Detrusorelastizität, der Detrusoraktivität und der Kontraktilität beeinflusst. Dieses ist eindeutig durch urodynamische Untersuchungen belegt. Es werden vor allem Anticholinergika vom Typ der tertiären und quartären Amine eingesetzt. Die Deutsche Kontinenzgesellschaft e. v. (GIH) bezeichnet diese modernen Spasmolytika als hochwirksame Medikamente. Bestrebung der KGV, SVdGKV und dem BMG, alle urologischen Spasmolytika als Medikamente mit umstrittener Wirkung einzustufen, um sie aus dem Arznei- und Hilfsmittelbudget herauszunehmen, werden daher von der GIH sowie der Deutschen Gesellschaft für Urologie abgelehnt. Deren Forderung ist, dass auch in der Zukunft die Antispasmodika auf Kosten der GKV verordnungsfähig bleiben. Moderne Parasympatolytika in der Behandlung der hyperaktiven Blase Das weit verbreitete Symptom des Dranges bzw. der Dranginkontinenz kann das Leben der Betroffenen stark beeinflussen. Es handelt sich um ein deutlich altersabhängiges Krankheitsbild. In der Altersgruppe der Menschen mit 75 Jahren liegt die Prävalenz der gesamten Bevölkerung bei 30—40 %. Ein großes Problem stellt die hohe Zahl der unbehandelten Patientinnen dar, die meist aus Schamgefühlen heraus nur zu 30% mit Ihrem Arzt über die Beschwerden sprechen. Drang und Dranginkontinenz die auf eine Überaktivität des Detrusor vesicae zurückzuführen sind, werden heute vor allem mit der Stoffgruppe der Anticholinergika behandelt. Diese erreichen eine Dämpfung der hyperaktiven Blasenmuskulatur und erhöhen die Blasenkapazität. Ihr Wirkort ist der Muskarinrezeptor. Im menschlichen Organismus werden 5 verschiedene muskarinerge Rezeptoren unterschieden. Vor allem Muskarinrezeptoren Typ 2 und 3 werden auf Detrusorzellen nachgewiesen. M2Rezeptoren hemmen die ß3-adrenerg vermittelte Detrusorrelaxation, sie führen daher indirekt zu einer Detrusorkontraktion. Bei Patientinnen mit overactiv bladder werden vermehrt M2Rezeptoren gefunden. Bei Patientinnen mit neurogenen Blasen können die instabilen Kontraktionen durch M2-Rezeptoren vermittelt sein. Für die Kontraktion und somit die Blasenentleerung sind aber vor allem M3-Rezeptoren, die 20% der Rezeptoren auf den Detrusorzellen stellen. Die Rolle der M2-Rezeptoren ist noch nicht letztlich geklärt, sie scheinen aber die Wirkung der M3-induzierten Kontraktion zu verstärken. Mit dem Ziel, die Verträglichkeit dieser Substanzen zu steigern, werden selektive Anticholinergika eingesetzt. Das Wissen über die Verteilung der Rezeptorsubtypen an verschiedenen Organen erklärt das Auftreten von Nebenwirkungen. Ob die Gabe eines überwiegend M3- Rezeptoren hemmenden Anticholinergikums eine höhere Effektivität bewirken kann, ist derzeit noch nicht hinreichend belegt. Hinsichtlich der rezeptorvermittelten Nebenwirkungen kann durch Selektivität des Anticholinergikums das Nebenwirkungsprofil begünstigt sein. Die Erfahrung zeigt, dass bei Unverträglichkeit eines Anticholinergikums, sei es selektiv oder unselektiv, ein Präparatewechsel den eventuellen positiven Effekt am Detrusor weiterhin gewährleisten kann, bei geringeren Nebenwirkungen. Anticholinergika können auch transdermal appliziert oder intravesikal instilliert werden. Retardpräparate und Präparate, die leberunabhängig verstoffwechselt werden sind ebenfalls erhältlich. Nebenwirkungen der Anticholinergica sind nach Absetzen der Therapie rasch reversibel. Häufig auftretende Nebenwirkungen sind Mundtrockenheit, Obstipation, Akkomodationsstörungen sowie Tachykardie. Bei Glaukompatientinnen sollte die Behandlung nur nach Rücksprache mit dem betreuenden Augenarzt eingeleitet werden. Die Patientin sollten vor Behandlungsbeginn eingehend über diese möglichen Symptome informiert werden. Die Verdachtsdiagnose der Blasenhyperaktivität wird bestätigt durch die Verbesserung der Situation unter Therapie. Ein Auslassversuch nach ansprechender Therapie kann nach sechs Monaten versucht werden. Bei Wiederauftreten der Symptome ist dann eine längerfristige Therapie indiziert. nach: Armin Fischer: Praktische Urogynäkologie – spannungsfrei; Verlag Haag & Herchen, Frankfurt 2006; ISBN 3-89846-371-0