Molekulare Neurogenetik des olfaktorischen Systems der Maus

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Spors, Hartwig et al. | Molekulare Neurogenetik des olfaktorischen Systems der Maus
Tätigkeitsbericht 2008
Neurobiologie, Struktur- und Zellbiologie
Molekulare Neurogenetik des olfaktorischen Systems der Maus
Spors, Hartwig; Mombaerts, Peter;
Max-Planck-Institut für Biophysik, Frankfurt am Main
Abteilung - Molekulare Neurogenetik
Korrespondierende Autoren
Spors, Hartwig,
E-Mail: [email protected]
Mombaerts, Peter,
E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung
Bei Mäusen wird der Geruchssinn durch mehr als 1200 olfaktorische Rezeptoren (englisch „odorant
receptors“, OR) vermittelt, die die größte Genfamilie im Maus-Genom darstellen. Diese Geruchsrezeptoren sind G-Protein-gekoppelte Rezeptoren. Von jeder olfaktorischen Nervenzelle (englisch
„olfactory sensory neuron“, OSN) im Riechepithel wird angenommen, dass sie exakt ein Allel eines
OR-Gens exprimiert. Axone der olfaktorischen Nervenzellen, die den gleichen Rezeptor exprimieren,
vereinigen sich in denselben Strukturen des Bulbus olfactorius, den so genannten Glomeruli. Hier
bilden sie Synapsen mit den Neuronen zweiter Ordnung der ...
Abstract
In the mouse, the sense of smell (olfaction) is mediated by more than 1200 odorant receptors (ORs),
the largest gene family in the genome. These ORs are G-protein coupled receptors. Every olfactory
sensory neuron (OSN) in the main olfactory epithelium is thought to express just one OR gene, from
one allele. Axons of OSNs that express the same OR coalesce into the same structures in the olfactory
bulb, termed glomeruli, where they form synapses with second-order neurons in the olfactory pathway.
Die Arbeitsgruppe Mombaerts zog im Januar 2008 von der Rockefeller University (New York, USA)
um an das MPI für Biophysik in Frankfurt am Main. Die hier beschriebenen experimentellen Ergebnisse wurden an der Rockefeller University erzielt und stehen stellvertretend für die Projekte, die am
in Frankfurt weitergeführt werden. [1] gibt hierzu eine Übersicht.
Genauswahl für Geruchsrezeptoren
Geht die Auswahl der Gene von olfaktorischen Rezeptoren (OR) mit einer irreversiblen Umordnung
von DNA einher? Um dies zu untersuchen, haben die Wissenschaftler um Mombaerts den Nukleus
(Zellkern) von olfaktorischen Nervenzellen (OSNs), die einen bestimmten Rezeptor, M71, exprimieren, in unbefruchtete Oozyten übertragen (Kerntransfer). Die so klonierten Mäuse (Abb. 1) können
erneut verschiedene olfaktorische Rezeptoren exprimieren. Dies zeigt, dass in der Tat die Auswahl
eines OR-Gens nicht mit irreversiblen DNA-Veränderungen einhergeht.
© 2008 Max-Planck-Gesellschaft
www.mpg.de
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Abb. 1: Diese Maus wurde aus dem Nukleus einer M71-exprimierenden Zelle kloniert.
Urheber: Max-Planck-Institut für Biophysik/Mombaerts
Die neuesten Daten stellen die bislang hypothetische Funktion einer „H-Element“ genannten Sequenz
[2] in Frage: Diese Hypothese beschreibt das H-Element als einen Enhancer für OR-Promotoren in
trans-Konfiguration.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Promotoren für die OR-Gene M71 und MOR23 proximal liegen,
kurz sind und Bindungsstellen für Homeodomänenproteine und O/E-Transkriptionsfaktoren enthalten. Mombaerts und sein Team haben gezeigt, dass die Expression von OR-Genen der so genannten
Klasse II – der Mehrheit der OR Gene – vom LIM-Homeodomänenprotein Lhx2 abhängt, entweder
direkt oder indirekt über die Reifung der olfaktorischen Nervenzellen. Im Gegensatz dazu benötigt die
Expression von OR-Genen der Klasse I kein Lhx2.
Axonale Verschaltung
Um olfaktorische Nervenzellen, die den gleichen Rezeptor exprimieren, zu visualisieren oder zu
verändern, wurden für Mäuse molekulargenetische Methoden entwickelt, die auf homologer Rekombination in embryonalen Stammzellen beruhen (gene-targeted-Mutationen genannt). Eine typische
Strategie hierfür besteht darin, einen axonalen Marker wie zum Beispiel taulacZ oder tauGFP mit
einem OR-Gen gemeinsam zu exprimieren (Abb. 2). Dies ist auf der Ebene der Translation durch eine
so genannte interne ribosomale Eintrittsstelle (IRES, englisch Internal Ribosome Entry Site) möglich.
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© 2008 Max-Planck-Gesellschaft
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Abb. 2: Dorsale Ansicht beider Bulbi (Riechkolben) mit jeweils zwei genetisch markierten Glomeruli einer M72IRES-taulacZ-Maus.
Urheber: Max-Planck-Institut für Biophysik/Mombaerts
Durch gene targeting induzierte Mutationen in der OR-kodierenden Sequenz – wie zum Beispiel das
Ersetzen durch die kodierende Sequenz eines anderen OR – haben gezeigt, dass der olfaktorische Rezeptor selbst bei der axonalen Wegfindung und Vereinigung in einem Glomerulus von entscheidender
Bedeutung ist. Er bestimmt die ungefähre Position, an der sich die Axone in der glomerulären Schicht
vereinigen.
Eine umfangreiche Reihe von Mauslinien mit gezielten genetischen Veränderungen half den Wissenschaftlern, ein Modell vorzuschlagen, das auf homophiler Wechselwirkung zwischen ORs oder Membrankomplexen, die ORs enthalten, basiert und den grundlegenden Mechanismus der OR-abhängigen
Vereinigung von Axonen in Glomeruli erklärt.
Jüngst haben Mombaerts und sein Team herausgefunden, dass es zwei OSN-Typen gibt, die entweder
Klasse I- oder Klasse II-ORs exprimieren, und dass diese OSN-Typen die axonale Verschaltung auf
einer den olfaktorischen Rezeptoren übergeordneten Ebene bestimmen [3].
Olfaktorische Kodierung
Es wurde gezeigt, dass olfaktorische Nervenzellen, die denselben Rezeptor exprimieren, auf dieselben
Gerüche antworten, also dieselben Bindungspartner haben. Der molekulargenetische Austausch der
OR-kodierenden Sequenz verändert das Ligandenspektrum entsprechend.
Für mehrere olfaktorische Rezeptoren der Maus haben die Wissenschaftler Liganden identifiziert, die
als Gerüche detektiert werden können. Sie beobachten jedoch eine beträchtliche Heterogenität der
elektrophysiologischen Antworten auf denselben Geruch beim Vergleich von OSNs, die denselben OR
exprimieren.
Es wurden Mäuse hergestellt, in denen alle reifen olfaktorischen Nervenzellen einen Indikator synaptischer Aktivität exprimieren, was den Wissenschaftlern erlaubt, in vivo Geruchsantworten des Bulbus
olfactorius betäubter Mäuse zu messen (Abb. 3).
© 2008 Max-Planck-Gesellschaft
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Abb. 3: Die Glomeruli beider Bulbi sind mit einem grün fluoreszierenden Indikator für synaptische Transmission
(Synapto-pHluorin, SpH) markiert. Fluoreszenzänderungen können genutzt werden, um die neuronale Aktivierung durch Geruchsstimulation zu messen. Stimulation mit Butanal ist durch Falschfarben (blau - gelb - rot)
dargestellt und über das Ruhefluoreszenzmuster projiziert.
Urheber: Max-Planck-Institut für Biophysik/Mombaerts
Rezeptoren im Jacobson-Organ und Pheromone
Das Jacobson-Organ oder vomeronasale Organ (VNO) in der Nasenhöhle der Maus ist auf die Detektion von Pheromonen (Lockstoffen) spezialisiert. Es reagiert aber auch auf andere chemische Stimuli,
wie auch das Riechepithel Stoffe mit Pheromoneffekten detektiert. Die sensorischen Neurone des
VNOs (englisch „vomeronasal sensory neurons“, VSN) exprimieren G-Protein-gekoppelte Rezeptoren
zweier weiterer großer Genfamilien, die keine Ähnlichkeiten mit den olfaktorischen Rezeptoren aufweisen: V1Rs und V2Rs (Abb. 4).
Abb. 4: Koronarschnitt durch das vomeronasale Organ, angefärbt durch In-situ-Hybridisierung auf Gαi2 (grün)
und Gαo (rot).
Urheber: Max-Planck-Institut für Biophysik/Ishii, Mombaerts
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Tätigkeitsbericht 2008
Mit gentechnischen Methoden haben die Forscher gezeigt, dass Axone der VSN, die einen bestimmen V1R
oder V2R exprimieren, sich in mehreren kleineren Glomeruli des Bulbus olfactorius accessorius vereinigen.
Jeweils nur ein Allel eines bestimmten VR-Gens wird in einem individuellen VSN exprimiert.
Durch die Herstellung von Mäusen, denen durch chromosome engineering ein Cluster mit sechzehn
V1R Genen fehlt, wurde in vivo die Bedeutung von V1R für pheromonvermitteltes Verhalten belegt.
Mombaerts und sein Team haben eine Familie von neun nicht-klassischen MHC-Klasse I-Genen
(MHC, Major Histocompatibility) entdeckt, die H2-Mv-Gene [4]. Diese Gene werden nur im VNO
exprimiert, insbesondere in VSN, die V2R-Gene exprimieren, und außerdem in bestimmten kombinatorischen Mustern. Ihre Funktion und die Regulation ihrer Expression bleiben unklar.
Klonierung von Mäusen durch Kerntransfer
Mäuse wurden durch Kerntransfer aus embryonalen Stammzellen kloniert. Umgekehrt haben die Forscher durch Kerntransfer embryonale Stammzelllinien aus Blastozyten hergestellt. Es wurde gezeigt,
dass die Auswahl der OR-Gene nach Kerntransfer aus OSN erneut, also ein zweites Mal, stattfindet.
Es wurden Mäuse aus adulten Hautzellen kloniert.
Schließlich konnten die Wissenschaftler zeigen, dass Kerntransfer auch mit somatischen Zellen
möglich ist, die über eine längere Zeitspanne eingefroren waren, ohne gegen Kristallisationsschäden
geschützt zu sein [5].
Literaturhinweise
[1] P. Mombaerts:
Axonal wiring in the mouse olfactory system.
Annual Review of Cell and Developmental Biology 22, 713-737 (2006).
[2] S. H. Fuss, M. Omura and P. Mombaerts:
Local and cis effects of the H element on expression of odorant receptor genes in mouse.
Cell 130, 373-384 (2007).
[3] T. Bozza, A. Vassalli, S. Fuss, J. Zhang, B. Weiland, R. Pacifico, P. Feinstein and P. Mombaerts:
Mapping of class I and class II odorant receptors to glomerular domains by two distinct types of
olfactory sensory neurons in the mouse.
Neuron 61, 220-233 (2009).
[4] T. Ishii and P. Mombaerts:
Expression of non-classical class I major histocompatibility genes defines a tripartite organization
of the mouse vomeronasal system.
Journal of Neuroscience 28, 2332-2341 (2008).
[5] J. Li and P. Mombaerts:
Nuclear transfer-mediated rescue of the nuclear genome of nonviable mouse cells frozen without
cryoprotectant.
Biology of Reproduction 79, 588-593 (2008).
© 2008 Max-Planck-Gesellschaft
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