7.2 Analytik und Beurteilung der

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7.2 Analytik und Beurteilung der Analysenergebnisse
▶ Hyperplasie und Autonomie. Periphere Drüsen können durch ständige Stimulation hyperplasieren. Dabei handelt es sich um eine Vermehrung der Zellzahl, z. B. die Nebennierenrindenhyperplasie bei Morbus Cushing. Es können aber auch Adenome in den peripheren Drüsen entstehen, die
autonom Cortisol produzieren. Im ersten Fall ist die ACTH-Konzentration erhöht oder hoch normal,
im letzteren supprimiert.
7.2 Analytik und Beurteilung der Analysenergebnisse
7.2.1 Befundkonstellationen
Eine Hormonüber- oder -minderproduktion führt zu typischen Konstellationen der stimulierenden zentralen und peripheren Hormone. Diese „diagnostischen Paare“ ermöglichen es, den Sitz einer Störung recht genau zu lokalisieren.
Zusatzinformation
●
●
Erniedrigtes Testosteron und erniedrigtes bzw. niedrig normales LH sind typisch für eine
zentrale, hypophysäre oder hypothalamische Störung, während ein erniedrigtes Testosteron bei erhöhtem LH typisch für eine testikuläre Störung ist.
Bei einer primären Hyperthyreose (Autonomie der Schilddrüsenzellen) wird TSH unterdrückt und man findet eine sehr niedrige TSH-Konzentration.
7.2.2 Untersuchungsmaterial, Präanalytik
und Untersuchungsmethoden
Hormone werden vorwiegend im Serum, aber auch im Plasma (z. B. ACTH) oder Urin
(z. B. Cortisol) bestimmt. Die Hormonkonzentrationen im Blut sind äußerst gering. Sie liegen meist in einer Größenordnung von nano- oder sogar pikomol/l. Diese Konzentrationen können mit hochempfindlichen Nachweisverfahren wie Enzym-, Radio-, Fluoreszenzoder Chemilumineszenzimmunoassays (S. 96) gemessen werden.
Die Immunoassays der verschiedenen Hersteller verwenden oft unterschiedliche Antiköper gegen unterschiedliche antigene Determinanten der Hormone. Zusätzlich können
Kreuzreaktionen die Antigen-Antikörper-Bindung und damit die Messungen beeinflussen. Dies kann zu sehr unterschiedlichen Messergebnissen führen. Für jedes Messverfahren gibt es daher eigene Referenzwerte. Beim Vergleich von Hormonkonzentrationen
muss das Messverfahren bekannt sein.
Die Hormone gehören unterschiedlichen Stoffklassen an, wie Proteinen, Steroiden oder
Derivaten von Aminosäuren (▶ Tab. 7.3). Einige Besonderheiten der Stoffklassen müssen
bei der Analytik berücksichtigt werden:
257
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▶ Ektope Hormonbildung. Sehr selten werden Hormone in normalerweise nicht endokrin aktivem Gewebe gebildet (z. B. Hypercortisolismus bei ACTH-bildendem Bronchialkarzinom).
7
Hormone
7
Stoffklasse
Hormon
Bildungsort
Glykoprotein
LH
Hypophysenvorderlappen
Glykoprotein
FSH
Hypophysenvorderlappen
Glykoprotein
TSH
Hypophysenvorderlappen
Polypeptid
ACTH
Hypophysenvorderlappen
Polypeptid
Wachstumshormon
Hypophysenvorderlappen
Polypeptid
Prolactin
Hypophysenvorderlappen
Oligopeptid
Adiuretin
Hypophysenhinterlappen
Oligopeptid
Ocytocin
Hypophysenhinterlappen
Glykoprotein
HCG
Placenta
Polypeptid
Parathormon
Epithelkörperchen
Polypeptid
Calcitonin
Schilddrüse
Protein
Renin
Niere
Tyrosinderivate
T4, T3
Schilddrüse
Steroid
Cortisol
Nebennierenrinde
Steroid
Aldosteron
Nebennierenrinde
Steroid
Dehydroepiandrosteron
Nebennierenrinde
Steroid
Testosteron
Hoden
Steroid
Östradiol
Ovar, Placenta
Steroid
Progesteron
Ovar, Placenta
Steroid
Östriol
Placenta
Katecholamin (Tyrosinderivat)
Adrenalin
Nebennierenmark
Katecholamin (Tyrosinderivat)
Noradrenalin
Nebennierenmark
Merke
Bestimmte Proteo- bzw. Peptidhormone wie ACTH werden durch Enzyme in der Plasmaprobe schnell abgebaut. Dies kann durch Kühlung der Probe mit Eiswasser nach der Blutabnahme, unmittelbare Zentrifugation, durch Zugabe von Proteinaseinhibitoren und
schnelles Einfrieren des Plasmas (Serums) auf –20 °C verhindert werden.
Die Kosten für die einzelne Bestimmung sind hoch (€€–€€€).
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Tab. 7.3 Stoffklasse und Bildungsort wichtiger Hormone.
7.2 Analytik und Beurteilung der Analysenergebnisse
Bei einer kompetenten Beurteilung der Analysenergebnisse müssen die Art der Beschwerden, der klinische Befund des Patienten und eine Reihe von Einflussfaktoren berücksichtigt werden: Die meisten Hormone werden nicht kontinuierlich, sondern schubweise ausgeschüttet. Es gibt Jahres-, Monats-, Tages- und Stundenrhythmen (▶ Abb. 7.3 und
▶ Abb. 7.4). Diese pulsatile Sekretion macht teilweise Stimulations- bzw. Suppressionsteste zum Ausschluss einer verminderten bzw. verstärkten Hormonbildung notwendig
(▶ Tab. 7.4).
Tab. 7.4 Beispiele endokrinologischer Funktionsdiagnostik.
Stimulationsteste
Suppressionsteste
Insulinhypoglykämietest
Glucosebelastungstest
Releasing-Hormon-Test
Dexamethasonhemmtest
Synacthentest
Clonidintest
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7.2.3 Hormonelle Rhythmen und weitere Einflussfaktoren
auf Hormonkonzentrationen
7
HCG-Test
Orthostasetest
Durstversuch
Merke
Phasenlänge biologischer Rhythmen:
● Jahr (z. B. Testosteron beim Mann)
● Monat (z. B. Östradiol bei der Frau)
● Tag (z. B. Cortisol)
● Stunden (z. B. LH, FSH)
Besonders charakteristisch ist die Tagesrhythmik der Nebennierenrindenaktivität, die
sich in zirkadianen Schwankungen der Cortisolkonzentrationen im Plasma widerspiegelt
(▶ Abb. 7.5). Am frühen Morgen erfolgt ein steiler Anstieg des Cortisols, der etwa gegen
6 Uhr sein Maximum erreicht; danach kommt es zu einem allmählichen Absinken, bis gegen Mitternacht die Konzentrationen am niedrigsten sind. Zusätzlich ist der zirkadiane
Rhythmus allerdings von sog. ultradianen Pulsationen überlagert, sodass auch morgens
während einer Sekretionspause die Cortisolkonzentration kurz sehr niedrig sein kann.
Hier können mehrere Blutabnahmen am Tage hilfreich sein (Cortisoltagesprofil). Zur
Überprüfung der Glucocorticoid- und Androgenproduktion der Nebennierenrinde eignet
sich besonders die Bestimmung der Hormone im 24-Stunden-Urin.
259
Hormone
mU/ml
ng/ml
20
15
10
14
10
2
0
Schlaf
25
15
Prolactin
mU/ml
20
ng/ml
LH
6
5
7
Schlaf
18
hGH
15
10
Schlaf
FSH
Schlaf
TSH
10
5
5
0
0
Schlaf
100
1,25
ACTH
1,00
mU/ml
pg/ml
80
60
0,75
40
0,50
20
0,25
0
18
24
6
Uhr
12
18
0
18
24
6
Uhr
12
18
Abb. 7.3 Sekretionsprofile der Hypophysenvorderlappenhormone. Die Hypophysenhormone
werden schubweise ausgeschüttet. Die Hormonkonzentrationen im Blut sind daher teils
erheblichen Schwankungen unterworfen. Dargestellt sind die Tagesprofile bei einem
Gesunden. Eine Reihe von Faktoren beeinflusst normalerweise die Ausschüttung einiger
Hormone: Tageszeit, Schlaf, Stress, Essen etc.
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Schlaf
25
7.2 Analytik und Beurteilung der Analysenergebnisse
20
15
40
10
20
5
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LH in mU/ml
+
– SEM
FSH in mU/ml
FSH
LH
60
0
0
4
8
12
16
20
24
28
Tage
300
9
+ SEM
–
7
200
5
100
3
Progesteron in ng/ml
Östradiol in pg/ml
7
Östradiol
Progesteron
1
0
0
4
8
12
16
20
24
28
Tage
Abb. 7.4 Hormonelle Veränderungen während des Zyklus. Die Zeitachse beginnt mit der
Menstruation. SEM = Standard Error of the Mean (Standardabweichung des Mittelwerts).
Merke
Wesentliche Einflussgrößen auf die Hormonkonzentration:
● Geschlecht
● Gene
● Alter
● Entwicklungsstadium
● biologische Rhythmen
● Körperlage
● Stress
● Medikamente
261
Hormone
25
15
10
5
7
0
0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
20
22
24
Uhrzeit
Abb. 7.5 Referenzbereich des Cortisols im Plasma (rot) und Individualverlauf eines
gesunden Probanden (blau).
7.2.4 Transportproteine
Niedermolekulare Hormone wie die Schilddrüsenhormone und die wichtigsten Steroidhormone sind im Blut größtenteils an Transportproteine gebunden (▶ Tab. 7.5). Das sog.
Gesamthormon setzt sich aus dem freien und dem gebundenen Anteil zusammen.
Tab. 7.5 Trägerproteine und ihre Liganden.
Trägerprotein
Ligand
TBG (thyroxinbindendes Globulin)
Thyroxin, Trijodthyronin
CBG (cortisolbindendes Globulin)
Glucocorticoid
SHBG (sexualhormonbindendes Globulin)
Östrogene, Androgene
Albumin
unspezifisch
Veränderungen der Transportproteine beeinflussen daher die Konzentration des gebundenen Anteiles und damit auch die Konzentration des Gesamthormons, nicht jedoch den
freien, biologisch wirksamen Hormonanteil, dessen Konzentration relativ konstant gehalten wird.
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Cortisol in mg/dl
20
7.3 Hypothalamus-Hypophysen-System
Zusatzinformation
7.3 Hypothalamus-Hypophysen-System
Die Hypophyse besteht aus Vorder- und Hinterlappen.
▶ Hypophysenvorderlappen. 6 Hormone werden hier gebildet: Wachstumshormon (GH =
Growth Hormone), die beiden Gonadotropine (LH und FSH), das adrenocorticotrope Hormon
(ACTH), das thyreoideastimulierende Hormon (TSH) und Prolactin. Die Ausschüttung dieser Hormone unterliegt hypothalamischer Kontrolle. Es gibt Freisetzungs-(Releasing-)Hormone für GH
(GHRH), für die beiden Gonadotropine (GnRH), für ACTH (CRH) und für TSH (TRH). Prolactin unterliegt dagegen einer inhibitorischen Kontrolle durch das hypothalamische Dopamin (prolactininhibierendes Hormon). Bei einer Störung des Hormontransportes durch den Hypophysenstiel kommt
es daher zu einer verstärkten Prolactinausschüttung und zu einer Verminderung der übrigen Hypophysenvorderlappenhormone. Erkrankungen des Hypothalamus wie Tumoren können die Freisetzung der hypothalamischen Hormone stören.
▶ Hypophysenhinterlappen. Dieser sezerniert Ocytocin und das antidiuretische Hormon, das den
Wasserhaushalt steuert.
7.3.1 Hypophyse und Hypophysenvorderlappenhormone
Erkrankungen der Hypophyse können zur Hormonüberproduktion oder -mindersekretion führen.
▶ Überproduktion. Ein Exzess an Wachstumshormon verursacht beim Erwachsenen eine Akromegalie mit übermäßigem Wachstum von Händen, Füßen und Nase, beim Kind einen Riesenwuchs.
Gonadotropinbildende Adenome können zur Pubertas praecox, die seltenen, TSH-bildenden Adenome zur Hyperthyreose und die ACTH-bildenden Adenome zum Morbus Cushing führen. Prolactinbildende Adenome verursachen typischerweise bei der Frau Galaktorrhö und Amenorrhoe,
beim Mann einen Libidoverlust.
▶ Mindersekretion. Hypophysenerkrankungen, insbesondere Adenome können zu einer verminderten Bildung der Hypophysenhormone führen. Ein Wachstumshormonmangel führt beim Kind
zum Kleinwuchs, der Ausfall der Gonadotropine LH und FSH zum Ausbleiben der Pubertät, beim
Erwachsenen zum Hypogonadismus. Bei TSH-Mangel finden sich die Zeichen der Schilddrüsenunterfunktion. Ein ACTH-Mangel zeichnet sich besonders durch Müdigkeit, Hypotonie und Übelkeit
aus. Bei einem Prolactinmangel ist ein Stillen nicht möglich.
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Beispiel: T3 und T4 sind an die Transportproteine thyroxinbindendes Globulin (TBG), thyroxinbindendes Präalbumin (= Transthyretin) und Albumin gebunden. TBG wird vermehrt
bei Schwangerschaft oder durch Östrogeneinnahme („Pille“) gebildet. Gesamt-T3 und -T4
sind dann erhöht, die freien Hormonanteile (fT3 und fT4) sind nicht beeinflusst.
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