Laborbefunde: Hinweisende Laborparameter sind neben einer

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B
Merkmalskatalog des Münchner-Alkoholismustests (MALT)
Vom Arzt zu beurteilen (F):
Vom Patienten selbst zu beurteilen (S):
1. Lebererkrankung: mindestens ein klinisches
Symptom (z. B. vermehrte Konsistenz, Vergrößerung,
Druckdolenz) und mindestens ein pathologischer
Laborwert (z. B. GOT, GPT, γ-GT) sind notwendig.
1. In der letzten Zeit leide ich häufiger an Zittern der
er Hände.
2. Polyneuropathie (wenn keine anderen Ursachen
bekannt sind, z. B. Diabetes mellitus oder eindeutige
chronische Vergiftungen).
R
E
2. Ich hatte zeitweilig, besonders morgens, ein Würgegefühl
oder einen
Würgeg
e
Brechreiz.
3. Ich habe schon einmal versucht, Zittern oder morgendlichen Brechreiz mit
Alkohol zu kurieren.
4. Zurzeit fühle ich mich verbittert wegen meiner
Probleme
m
me und Schwierigkeiten.
Sc
keite
3. Delirium tremens (jetzt oder in der Vorgeschichte).
5. Es kommt nicht selten vor, dass ich vor dem Mittagessen
n bzw. zweiten
zw
Frühstück Alkohol trinke.
4. Alkoholkonsum von mehr als 150 ml (bei Frauen
120 ml) reinem Alkohol pro Tag mindestens über
einige Monate.
6. Nach den ersten Gläsern
se Alkohol
ohol habe ich ein unwiderstehliches
e Verlangen,
weiter zu trinken.
T
S
7. Ich denke häufig
Alkohol.
ufig an A
5. Alkoholkonsum von mehr als 300 ml (bei Frauen
dann Alkoholl getrunken, wenn
a
we es vom Arzt verboten
240 ml) reinem Alkohol ein- oder mehrmals im Monat. 8. Ich habe manchmal auch
wurde.
6. Foetor alcoholicus (zur Zeit der ärztlichen Unter9. In Zeiten
erhöhten
Alkoholkonsums habe ich
en er
en Alkohol
h weniger gegessen.
suchung).
10.
An
der
Arbeitsstelle
hat
man
mir
schon
einmal
Vorhaltungen wegen meines
.
m
7. Familienangehörige oder engere Bezugspersonen
Alkoholtrinkens gemacht.
Alkoh
ht.
haben schon einmal Rat gesucht wegen Alkoholproblemen des Patienten (z. B. beim Arzt, dem
Sozialdienst oder anderen entsprechenden
Einrichtungen).
11.
11 Ich trinke Alkohol lieber, wenn ich allein bin.
12.
1 Seitdem
em ich mehr Alkohol trinke,
nk bin ich weniger tüchtig.
13. Ich habe nach dem
de Trinken von Alkohol schon öfters Gewissensbisse
(Schuldgefühle) g
gehabt.
n Trinksystem
Trink
14. Ich habe ein
versucht (z. B. nicht vor bestimmten Zeiten zu
trinken).
U
15. Ich glaube, ich sollte mein Trinken einschränken.
1 Ohne Alk
16.
Alkohol hätte ich nicht so viele Probleme.
17 Wenn ich aufgeregt bin, trinke ich Alkohol, um mich zu beruhigen.
17.
18 Ich glaube, der Alkohol zerstört mein Leben.
18.
1 Einmal möchte ich aufhören mit dem Trinken, dann wieder nicht.
19.
20. Andere Leute können es nicht verstehen, warum ich trinke.
M
21. Wenn ich nicht trinken würde, käme ich mit meinem Partner besser zurecht.
22. Ich habe schon versucht, zeitweilig ohne Alkohol zu leben.
23. Wenn ich nicht trinken würde, wäre ich mit mir zufrieden.
24. Man hat mich schon wiederholt auf meine „Alkoholfahne“ angesprochen.
zutreffende
ffende Pu
Punkte
kte unter (F) × 4, unter
u
(S) × 1 = Summenwert
nkte: Verdacht auf Alkoholi
6–10 Punkte:
Alkoholismus, > 11 Punkte: Alkoholismus
C Antons-Vollmerg K.: MünchnerAlkoholismus-Test (MALT). Beltz Test GmbH, Göttingen1999; Bezugsquelle:Testzentrale
Feuerlein W.,, Küfner H., Ringer C.,
bert-Quan
Göttingen, Herbert-Quandt-Str.
4, 37081 Göttingen, www.testzentrale.de
gliche Art der Vervielfältigung ohne Genehmigung des Verlages nicht gestattet.
Nachdruck und jegliche
Laborbefunde: Hinweisende Laborparameter sind neben einer Erhöhung von Homocystein vor allem die in Tab. B-14.10 aufgelisteten Parameter.
≡ B-14.10
Laborparameter, die auf Alkoholismus hinweisen
Normalwerte
Normalisierung nach Abstinenz
Mann
Frau
γ-GT
< 66 U/l
< 39 U/l
2–5 Wochen*
GOT
< 38 U/l
< 32 U/l
1–3 Wochen
GPT
< 41 U/l
< 32 U/l
1–4 Wochen
MCV
< 96 fl
GLDH
< 4,0 U/l
HDL-Cholesterin
< 50 mg/dl
CDT
< 3–5 %**
< 3,0 U/l
4 Wochen
γ-GT = Glutamyl-Transferase, GOT = Glutamat-Oxalacetat-Transferase, GPT = Glutamat-Pyruvat-Transaminase, MCV = mittleres korpuskuläres Erythrozytenvolumen, fl = femtoliter, GLDH = Glutamatdehydrogenase, CDT = Carbohydrate-deficient Transferrin
* ist bei 30 % der Abhängigen normal, **% des Gesamt-Transferrins, je nach Test
Laborbefunde: Erhöhungen von Homocystein und die in Tab. B-14.10 aufgelisteten Parameter.
≡ B-14.10
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≡ B-14.9
355
14.2 Alkoholismus
356
B
CCT/MRT: Diffuse Atrophie von Kortex und
Kleinhirn (Abb. B-14.17).
Diagnostische Leitlinien psychischer Folgekrankheiten s. Tab. B-14.11.
Kraniale Computertomografie (CCT) bzw. MRT: Sie zeigen bei chronischem Alkoholismus typischerweise eine diffuse Atrophie von Kortex und Kleinhirn, die nach Abstinenz (partiell) reversibel ist (Abb. B-14.17).
Die diagnostischen Leitlinien der wichtigsten psychischen Folgekrankheiten des Alkoholismus gemäß ICD-10 und DSM-5 sind in Tab. B-14.11 zusammengefasst.
Diagnostische Leitlinien für Delir, psychotische Störung und amnestisches Syndrom nach ICD-10 und diagnostische
Kriterien bei Alkoholkonsumstörung und Alkoholentzug nach DSM-5 (Zusammenfassung von 2 Kriterienkästen/Auszüge)
ICD-10
Delir
■
■
■
■
■
■
■
■
Störung des Bewusstseins und der Aufmerksamkeit
Störung der Kognition und Wahrnehmung, meist
optische Halluzinationen
inkohärentes Denken, Auffassungsstörung
(zeitliche) Desorientiertheit
Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses
psychomotorische Störungen (Hypo- oder Hyperaktivität)
Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus
affektive Störungen (Depression, Angst, Reizbarkeit)
DSM-5
Störung durch Alkoholkonsum (Alkoholkonsumstörung)
■
mindestens 2 der folgenden Kriterien liegen innerhalb eines Zeitraumes von 12
Monaten vor:
1. Alkohol wird häufig in größeren Mengen oder länger als beabsichtigt konsumiert
2. anhaltender Wunsch oder erfolglose Versuche, den Alkoholkonsum zu verringern
oder zu kontrollieren
3. hoher Zeitaufwand, um Alkohol zu beschaffen, zu konsumieren oder sich von
seiner Wirkung zu erholen
4. Craving oder ein starkes Verlangen, Alkohol zu konsumieren
5. Versagen bei der Erfüllung wichtiger Verpflichtungen bei der Arbeit, in der Schule
oder zu Hause
6. fortgesetzter Alkoholkonsum trotz ständiger oder wiederholter sozialer oder
zwiscenmenschlicher Probleme, die durch die Auswirkungen von Alkohol
verursacht oder verstärkt werden
7. wichtige soziale, berufliche oder Freizeitaktivitäten werden aufgrund des
Alkoholkonsums aufgegeben oder eingeschränkt
8. Wiederholter Alkoholkonsum in Situationen, in denen der Konsum zu einer
körperlichen Gefährdung führt
9. fortgesetzter Alkoholkonsum trotz Kenntnis eines anhaltenden oder wiederkehrenden körperlichen oder psychischen Problems
10. Toleranzentwicklung
11. Entzugssymptome
Schweregrad
■ leicht (2 bis 3 Symptomkriterien erfüllt)
■ mittel (4 bis 5 Symptomkriterien erfüllt)
■ schwer (6 oder mehr Symptomkriterien sind erfüllt)
Alkoholentzugsdelir
■
■
Prodromi: Schlaflosigkeit, Zittern, Angst; eventuell
Entzugskrämpfe
klassische Symptome: Bewusstseinsstörung und
Verwirrtheit, lebhafte Halluzinationen, ausgeprägter
Tremor, Wahnvorstellungen, Unruhe, Schlaflosigkeit, vegetative Übererregbarkeit
Alkoholentzug
■
■
Beendigung (oder Reduktion) von schwerem und langandauerndem Alkoholkonsum
mindestens 2 der folgenden Symptome:
1. vegetative Hyperaktivität (z. B. Schwitzen)
2. Handtremor
3. Insomnie
4. Übelkeit oder Erbrechen
5. vorübergehende visuelle, taktile oder akustische Halluzinationen oder Illusionen
6. psychomotorische Unruhe
7. Angst
8. Krampfanfälle
psychotische Störung (organisch bedingtes Wahnsyndrom, Halluzinose)
■
■
■
Auftreten während oder unmittelbar nach
Einnahme der Substanz
meist nur von kurzer Dauer
Halluzinationen
amnestisches Syndrom (Korsakow-Psychose)
■
■
■
Störung des Kurzzeitgedächtnisses, des Zeitgefühls,
Amnesie (Immediatgedächtnis ungestört)
Beweise für chronischen und hochdosierten Missbrauch von Alkohol oder psychotropen Substanzen
evtl. Konfabulationen, Persönlichkeitsveränderung
ICD-10: Dilling, H., Mombour, W., Schmidt, M.H. (Hrsg): Internationale Klassifikation psychischer Störungen. ICD-10 Kapitel V(F). Klinisch-diagnostische
Leitlinien. 9. Auflage; Verlag Hans Huber, Bern 2014
DSM-5: Abdruck erfolgt mit Genehmigung vom Hogrefe Verlag Göttingen aus dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Fifth Edition, © 2013
American Psychiatric Association, dt. Version © 2015 Hogrefe Verlag
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≡ B-14.11
14 Abhängigkeit und Sucht
B
⊙ B-14.17
357
14.2 Alkoholismus
Alkoholtoxische Hirnatrophie bei chronischem Alkoholismus im MRT (axiale T 2-Bilder)
a Deutliche Atrophie des Kleinhirnwurms.
b Erweiterung der Seitenventrikel.
c Kortikale Atrophie frontal und
parietal.
(Masuhr K.-F., Masuhr F., Neumann M.:
Duale Reihe Neurologie. Thieme; 2013)
b
c
Differenzialdiagnose: Nicht selten setzen Depressive Alkohol im Sinne eines Behandlungsversuchs ein, sodass hier die Gefahr eines sekundären Alkoholismus besteht
bzw. sich eine Komorbidität von Depression und Alkoholmissbrauch/-abhängigkeit
einstellt. Hierbei ist zu beachten, dass depressive Alkoholkranke eine hohe Suizidtendenz aufweisen. Andererseits können die nicht selten bei Alkoholkranken ausgeprägten Verstimmungszustände fälschlicherweise zur für Arzt und Patient „angenehmeren“, sozial akzeptierten Fehldiagnose einer (alleinigen) Depression führen.
Wenn Konflikte das Bild bestimmen, muss an zugrunde liegende neurotische oder
Persönlichkeitsstörungen gedacht werden.
Bei Vorliegen von Orientierungs- und Gedächtnisstörungen sowie Persönlichkeitsveränderungen („Wesensänderung“) sind hirnorganische Psychosyndrome anderer
Ursache auszuschließen. Außerdem müssen internistische und neurologische
Grunderkrankungen ausgeschlossen werden. Akute Alkoholintoxikationen können
z. B. mit hypoglykämischen Anfällen verwechselt werden, ein Alkoholdelir mit psychischen Veränderungen bei Coma hepaticum. Wichtige Differenzialdiagnosen sind
wegen der häufig bestehenden Angstsymptomatik auch die Hyperthyreose sowie
vegetative Störungen.
Differenzialdiagnose: Nicht selten setzen
Depressive Alkohol im Sinne eines Behandlungsversuches ein. Stehen Konflikte im Vordergrund, muss an eine neurotische oder
eine Persönlichkeitsstörung gedacht werden.
14.2.4 Therapie
14.2.4 Therapie
Ziel der Behandlung von Alkoholabhängigen ist dauerhafte Abstinenz (Abb. B-14.18),
aber auch eine Verlängerung der Abstinenzphasen bzw. eine Reduktion der Rückfallhäufigkeit kann als Behandlungserfolg gewertet werden. Als niederschwelliges, realistischeres Ziel wird zunehmend die Reduktion der konsumierten Trinkmenge (u. a.
„heavy drinking days“) als erstes Etappenziel angestrebt. Stets ist eine individuelle
Planung der Behandlung nötig. Basis für die erforderliche Einstellungsänderung ist
die Änderungsbereitschaft des Patienten.
Es lassen sich folgende Therapieformen unterscheiden (Abb. B-14.19):
■ Kurzinterventionen in hausärztlichen Praxen (sog. motivierende Gesprächsführung): Bei diesen niederschwelligen Ansätzen stehen Früherkennung, Frühdiagnostik und Frühintervention im Zentrum. Durch jeweils ca. 10-minütige Gespräche anhand eines Leitfadens bzw. Manuals in 3–7 Sitzungen können Allgemeinärzte (Zusatzqualifikation „Suchtmedizinische Grundversorgung“) bei ihren Patienten
eine Reduktion des Alkoholkonsums bewirken bzw. eine Entzugs- und Entwöhnungsbehandlung einleiten. Der Arzt sollte dabei eine empathische Grundhaltung
einnehmen mit Verzicht auf Konfrontation, die Diskrepanzwahrnehmung und Veränderungsbereitschaft fördern, Vertrauen aufbauen und gemeinsam erarbeitete
Behandlungsziele vereinbaren. Techniken sind offene Fragen ohne Wertung, reflektierendes Zuhören, positive Rückmeldungen und strukturiertes Zusammenfassen. Ziel ist es, selbstmotivierende Aussagen des Patienten zur Änderung der Trinkgewohnheiten, den sog. „Change Talk“, zu fördern. Entwickelt wurden Programme
zur Reduktion von Alkoholproblemen (1–4 Kontakte nach dem FRAMES-Ansatz
[feedback, responsibility, advice, menu, empathy, self-efficacy]), zur motivierenden
Gruppen-Psychotherapie im qualifizierten Entzug und die sog. Motivationssteigerungstherapie (4 Sitzungen). Angesichts des großen Versorgungsbedarfes sind derartige Interventionen wichtig und auch kosteneffizient.
Ziel der Behandlung von Alkoholabhängigen
ist eine dauerhafte Abstinenz (Abb. B-14.18),
eine Verlängerung der Abstinenzphasen, eine
Reduktion der Rückfallhäufigkeit bzw. (zunächst) eine Reduktion der konsumierten
Trinkmenge im Sinne der „harm reduction“.
Bei Orientierungs- und Gedächtnisstörungen
sind hirnorganische Psychosyndrome anderer Ursachen auszuschließen. Außerdem
müssen internistische und neurologische
Grunderkrankungen ausgeschlossen werden.
Folgende Therapieformen lassen sich unterscheiden (Abb. B-14.19):
■ Kurzinterventionen in der hausärztlichen
Praxis (sog. motivierende Gesprächsführung): Wichtig sind dabei
– eine empathische Grundhaltung,
– Förderung der Veränderungsbereitschaft,
– Aufbau von Vertrauen,
– Vereinbarung von Behandlungszielen.
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a
358
⊙ B-14.18
B
14 Abhängigkeit und Sucht
⊙ B-14.18
Versorgung Alkoholkranker
Fachkliniken
1,5–2 %
traditionelle
Suchtkrankenhilfe
Beratungsstelle
6–8 %
Selbsthilfegruppen
6–8 %
medizinische
Basisversorgung
niedergelassene Ärzte
70–80 %
Psychiatrische Kliniken
3,5–4,5 %
psychosoziale/
psychiatrische
Versorgung
Wohnungslosenhilfe
3–4 %
Allgemeinkrankenhäuser
30–35 %
Pflegeheime?
JVA?
Polizei?
u.v.a.
(Laux G., Möller H.-J.: Memorix, Psychiatrie und Psychotherapie. Thieme; 2011)
⊙ B-14.19
⊙ B-14.19
Behandlungskette für Alkoholkranke
Kontakt- und Motivierungsphase*
• Hausarzt, Facharzt
• Suchtberatungsstelle
• betrieblicher
Sozialdienst
• Behörden
• Psychiatrische Klinik
• Allgemeinkrankenhaus
Entgiftungsphase*
* fallen häufig zusammen
stationär
Klinik
• Psychiatrische Klinik
(qualifizierter Entzug)
• Allgemeinkrankenhaus
akute
Einweisungsgründe:
1. Suizidhandlungen
2. Entzugssyndrome
3. abnorme Rauschund Erregungszustände
4. Alkoholfolgekrankheiten und Unfallverletzungen
Dauer: 1–4 Wochen
Entwöhnungsphase
ambulant
Fachambulanz
Dauer: 12–18 Monate
Voraussetzungen:
• ausreichende Abstinenzfähigkeit
• keine soziale Isolierung
• vorhandener Arbeitsplatz bzw.
dem Arbeitsmarkt vermittelbar
stationär
Entwöhnungsfachklinik
Dauer:
• 16 Wochen „Langzeittherapie“
ggf. mit anschließender
Adaptionsphase
• alternativ 4–8 Wochen
„Kurzzeittherapie“
Nachsorge- und Rehabilitationsphase
• Hausarzt, Facharzt
• Suchtberatungsstelle, Selbsthilfegruppe (z. B. AA)
• Patientenclub
Dauer: mehrere Jahre
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Sozialpsychiatrische Dienste
4,5–5,5 %
■
359
14.2 Alkoholismus
Entzugsbehandlung: Die stationäre Entzugsbehandlung sollte in suchtmedizinischen Abteilungen von Psychiatrischen Kliniken als „qualifizierte Entzugsbehandlung“ erfolgen. Neben einer differenzierten Diagnostik erfolgen die Behandlung der Entzugssymptome („Entgiftung“) und der Begleit- bzw. Folgeerkrankungen sowie psychotherapeutische Interventionen (Beziehungs- und Motivationsarbeit). Neben Gruppen- und Einzeltherapiesitzungen sowie der Einbeziehung
von Angehörigen wird auch die ambulante Weiterbehandlung gebahnt, einschließlich Einbeziehung von Selbsthilfegruppen. Etwa 25 % aller Alkoholabhängigen begeben sich mindestens 1-mal pro Jahr in eine solche „Entgiftung“; ca. 75 %
werden binnen 3 Monaten nach stationärer Entgiftung rückfällig!
– Ein Alkoholentzugssyndrom (AES) wird neben Substitution von Flüssigkeit, Elektrolyten und Vitamin B1 mit Benzodiazepinen (Diazepam, Oxazepam) oder mit
Carbamazepin (600–1200 mg/d) evtl. kombiniert mit Tiaprid behandelt. Die Therapie des Delirs muss aufgrund der hohen Mortalität stationär erfolgen, zur Therapie (S. 616) werden neben allgemeinmedizinischen Maßnahmen (z. B. Flüssigkeitszufuhr, Elektrolytsubstitution, Vitamin-B1-Gabe) Clomethiazol und Benzodiazepine, vor allem bei psychotischen Symptomen zusätzlich eventuell Haloperidol, bei kardiovaskulären Risikopatienten zusätzlich Clonidin eingesetzt.
▶ Merke. Clomethiazol ist bei Alkoholintoxikation kontraindiziert und darf wegen
■
Entzugsbehandlung: stationäre Entgiftung
und „qualifizierte Entzugsbehandlung“.
– Ein Alkoholentzugssyndrom (AES) wird
mit Flüssigkeit, Elektrolyten, Vitamin B1
und Benzodiazepinen behandelt. Die Therapie des Delirs erfolgt stationär v. a. mit
Clomethiazol und Benzodiazepinen. Vor
allem das unvollständige Alkoholentzugsdelir wird in Allgemeinkrankenhäusern
leicht übersehen.
▶ Merke.
seines hohen Suchtpotenzials nur kurzfristig zur Delirbehandlung eingesetzt werden.
■
■
Therapie von „Folgeerkrankungen“:
– Eine Wernicke-Enzephalopathie wird als akuter Notfall stationär mit Thiamin
parenteral behandelt (mindestens 300–400 mg/d). Typischerweise sprechen die
Störungen der Okulomotorik binnen weniger Stunden auf die Gabe von Thiamin
an. Die Behandlung einer hepatischen Enzephalopathie beinhaltet in Anbetracht
des Vorliegens einer schweren chronischen Lebererkrankung u. a. die Verminderung des neurotoxischen Ammoniakspiegels (Diät, Neomycin-Gabe).
– Die Behandlung der floriden Alkoholhalluzinose erfolgt durch Antipsychotika
(z. B. Haloperidol), bei Vorliegen eines chronischen alkoholtoxisch bedingten
hirnorganischen Psychosyndroms (Persönlichkeitsveränderung, Demenz) ist
häufig eine leitsymptomorientierte Psychopharmakotherapie mit Antipsychotika, Antidepressiva oder Carbamazepin erforderlich.
(Teil-)Stationäre Entwöhnungsbehandlung: Diese erfolgt im Anschluss an die Entzugsbehandlung typischerweise in Suchtfachkliniken über einen Zeitraum von ca.
6 Monaten. In jüngerer Zeit werden kürzere, wohnortnahe Therapiemodelle entwickelt und teilstationäre sowie ambulante Entwöhnungsbehandlungen etabliert.
▶ Merke. Nur ca. 10 % der Alkoholabhängigen sind in qualifizierter Behandlung, d. h.
■
Therapie von „Folgeerkrankungen“:
– Die Wernicke-Enzephalopathie wird als
akuter Notfall stationär mit Thiamin parenteral behandelt. Bei einer hepatischen
Enzephalopathie muss der AmmoniakSpiegel gesenkt werden (Diät, NeomycinGabe).
– Die Behandlung der Alkoholhalluzinose
erfolgt mit Neuroleptika/Antipsychotika.
Bei chronischem alkoholtoxisch bedingtem hirnorganischem Psychosyndrom ist eine symptomorientierte Therapie erforderlich.
■
(Teil-)Stationäre Entwöhnungsbehandlung: meist in Suchtfachkliniken nach der
Entzugsbehandlung.
▶ Merke.
unterziehen sich einer Entwöhnungstherapie.
■
■
Ambulante Langzeittherapie: In den letzten Jahren wurden innovative Behandlungsansätze entwickelt, z. B. die ambulante Langzeit-Intensivtherapie für Alkoholkranke (ALITA) direkt im Anschluss an den stationären Entzug oder das integrative ambulante Kurzzeitbehandlungsprogramm (IAK) mit Informationsvermittlung, Bedingungsanalyse, Motivationsförderung und Aufbau von Problemlösekompetenzen.
Nachsorge- und Rehabilitationsphase: langfristige Stabilisierung, ambulante Betreuung durch Suchtberatungsstellen und Selbsthilfeorganisationen; Aufbau einer
beruflichen und sozialen Existenz.
▶ Merke. Der richtige Umgang mit dem alkoholkranken Patienten ist die Grundlage
und Voraussetzung für eine erfolgreiche Entwöhnung (Prinzip der „engagierten
Gleichgültigkeit“ bzw. „konstruktiven Konfrontation“). Dies beinhaltet, dass der
Arzt/Therapeut sich zwar empathisch aber konsequent engagiert, der Alkoholkranke aber zu seiner Krankheit stehen und diese aktiv (aus oft unterschiedlichen Motiven und zum Teil nur mit begrenztem Leidensdruck) angehen muss.
■
Ambulante Langzeittherapie: im Anschluss an den stationären Entzug.
■
Nachsorge und Rehabilitationsphase:
Suchtberatungsstellen, Selbsthilfeorganisationen.
▶ Merke.
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B
Verhaltensregeln zum Umgang mit Alkoholkranken:
■ hilfsbereite, aber kompromisslos-konsequente ärztliche Haltung
■ keine „Appelle an die Vernunft“
■ Angehörige, Sozialdienst u. a. einbeziehen.
Etabliert ist heute die multiprofessionelle
(multidisziplinäre) Therapiekonzeption.
Das Ziel der absoluten Abstinenz ist der „Königsweg“ in der Behandlung der Alkoholabhängigkeit. Als Behandlungsmethoden
werden vor allem Verhaltens-, Gruppen- und
Familientherapieprogramme angewandt
(Tab. B-14.12).
≡ B-14.12
B
14 Abhängigkeit und Sucht
Wichtige Verhaltensregeln für den Umgang mit Alkoholkranken:
■ verständnisvolle, hilfsbereite, aber kompromisslos-konsequente ärztliche Haltung
■ Förderung der Wahrnehmung von Diskrepanzen zwischen Zielen und Wünschen
des Patienten und seinem Konsum
■ Thematisierung der Abwehr (gestörte Interaktion zwischen Patient und Arzt)
■ keine „Appelle an die Vernunft“
■ Angehörige einbeziehen
■ Sozialdienste, Beratungsstellen, evtl. auch Arbeitgeber einbeziehen.
Empfehlenswert sind offene Fragen, ein reflektierendes Zuhören ohne Wertung
(kein Moralisieren, keine Schuldzuweisungen, keine direktiven Anweisungen) und
Unterstützung durch positive Rückmeldungen.
Eine multiprofessionelle (multidisziplinäre) Therapiekonzeption, bestehend aus Ärzten, Psychologen, Sozialarbeitern, Suchttherapeuten, Ergotherapeuten und Physiotherapeuten, gilt heute als etabliert.
Das Ziel der absoluten Abstinenz stellt den „Königsweg“ in der Behandlung der Alkoholabhängigkeit dar. Die Psychotherapie umfasst die Motivation des Patienten zur
Aufnahme einer weiterführenden Behandlung, bis hin zur stationären Psychotherapie im Rahmen der Entwöhnung und beinhaltet Verfahren wie Verhaltenstherapie
(Erlernen von Selbstkontrolle, Stimuluskontrolle, Selbstsicherheitstraining, Expositionsbehandlung [Cue Exposure]), tiefenpsychologische Methoden, Paar-, Gruppenund Familientherapie. Als Zusatzverfahren kann angesichts der zumeist hohen Suggestibilität Suchtkranker Hypnotherapie eingesetzt werden. Sinnvoll ist die Kombination verschiedener Verfahren (Tab. B-14.12).
≡ B-14.12
Behandlung in der Entwöhnungsphase
■
Gruppenpsychotherapie („Du brauchst nicht“)
■
Verhaltenstherapie
■
Soziotherapie (Training sozialer Kompetenz, Angehörigenarbeit)
■
medikamentöse Unterstützung: Acamprosat, evtl. Disulfiram (Aversionstherapie)
■
Cave: Kontraindikationen und mögliche Komplikationen beachten!
■
Doxepin bei episodischer Verstimmung, postalkoholischer Depression
Keine Benzodiazepine, Stimulanzien, Analgetika (Cave Umsteigen „Pulle“ → „Pille“)!
Alkoholiker-Selbsthilfegruppen sind bei der
Therapie von eminenter Bedeutung. Die
Selbsthilfegruppen der Anonymen Alkoholiker
vertreten das Prinzip, dass ein Alkoholiker lebenslang durch Alkohol gefährdet ist. Wichtig
sind außerdem Angehörigengruppen; nicht
selten besteht eine „Koabhängigkeit“ Angehöriger.
▶ Merke.
Sowohl in der Motivierungs- als auch in der Nachsorgephase sind die AlkoholikerSelbsthilfegruppen wie Anonyme Alkoholiker (AA), Blaues Kreuz, Kreuzbund oder
Guttempler von eminenter Bedeutung. Die Selbsthilfegruppen der Anonymen Alkoholiker vertreten das Prinzip, dass ein Alkoholiker lebenslang durch Alkohol gefährdet ist. Zum Konzept gehört das Prinzip der kleinen Schritte, um den Alkoholkranken nicht zu überfordern („12-Stufen-Programm“). Ebenfalls wichtig sind Angehörigengruppen (z. B. Al-Anon). Nicht selten besteht eine „Koabhängigkeit“ Angehöriger. Diese richten ihr eigenes Leben völlig auf den Erkrankten aus, ordnen diesem
eigene Bedürfnisse unter und unterstützen bewusst oder unbewusst die Abhängigkeitserkrankung des Betroffenen.
▶ Merke. Beim „trockenen“ Alkoholiker ist darauf zu achten, dass keine alkoholhal-
tigen Medikamente verordnet werden (pflanzliche Elixiere!), da schon bei geringen
Alkoholmengen Rückfallgefahr besteht. Auch das Kochen mit Alkohol zur Geschmacksverbesserung von Speisen beinhaltet für diesen Personenkreis ein Risiko.
Eine pharmakogestützte Rückfallprophylaxe besteht neuerdings durch sog. „Anti-Craving“-Medikamente. Dazu zählen:
■ Acamprosat: Erhöhung der Abstinenzrate
nach Entgiftung
■ Naltrexon und Nalmefen: Verringerung
der Trinkmenge bei Alkoholabhängigen.
Zur Aversionstherapie kann (in schweren Fällen) Disulfiram (S. 542) eingesetzt werden.
Medikamentöse Rückfallprophylaxe: Alkoholiker führen häufig ein starkes Verlangen („craving“) als wesentlichen Grund dafür an, nicht abstinent zu werden oder zu
bleiben. Auf pharmakologischem Gebiet wurden in den letzten Jahren Medikamente
entwickelt, die einen „Anti-Craving“-Effekt haben. Zu diesen „Anti-Craving“-Substanzen zählen:
■ Acamprosat: Dieser Glutamat-Modulator steigert nach kontrollierten Studien die
Abstinenzraten im Verlauf eines Jahres um 100 %; d. h., werden die zur Abstinenz
motivierten Patienten nach Entgiftung 1 Jahr mit Acamprosat rückfallprophylaktisch behandelt, kommt es zu einer Verdoppelung der Abstinenzrate gegenüber
Plazebo. Neben der Abstinenzrate war auch die Anzahl trinkfreier Tage unter
Acamprosat signifikant größer.
Nach Entgiftung werden zumeist 3 × 2 Tbl. (1998 mg/d) über 1 Jahr eingesetzt.
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360
B
361
14.2 Alkoholismus
Naltrexon: Für diesen Opiat-Antagonisten konnte eine Verringerung der Trinkmenge bei Alkoholabhängigen nachgewiesen werden.
■ Nalmefen: Unter dem neu zugelassenen Opioid-Rezeptor-Modulator konnte eine
Reduktion des Alkoholkonsums („heavy drinking days“, Gesamtkonsum) gezeigt
werden.
Die Kombination Acamprosat + Naltrexon erwies sich in neuen Studien als effektiv
und sicher.
Diskutiert werden derzeit unterschiedliche Craving-Prototypen („reward craving“
[Erwartung positiver Substanzwirkung] vs. „relief craving“ [Befürchtung von Entzugssymptomen]), die auf Substanzen mit verschiedenen Wirkmechanismen (opoiderg,
dopaminerg, GABAerg, glutamaterg) unterschiedlich erfolgreich ansprechen.
Zur Aversionstherapie kann bei motivierten Patienten mit geringer Selbstkontrollfähigkeit ein medikamentöser Behandlungsversuch mit dem alkoholsensibilisierenden Medikament Disulfiram (S. 542) versucht werden.
■
▶ Informationen zur Evidenz.
14.2.5 Verlauf
14.2.5 Verlauf
Trotz sehr unterschiedlicher individueller Krankheitsverläufe gibt es eine typische
Verlaufskurve der Entwicklung zur Alkoholabhängigkeit (s. Abb. B-14.10):
■ präalkoholische Phase: gehäuftes Erleichterungstrinken
■ Prodromalphase: heimliches Trinken, dauerndes Denken an Alkohol, gieriges Trinken, „Black outs“, Vorratssammlung, Meidung des Themas Alkohol
■ kritische Phase: Stimmungsschwankungen, Abstinenzversuche, Kontrollverlust,
Interesseneinengung, „Alibis“, körperliche Folgen
■ chronische Phase: deutliche Schädigungsfolgen, sinkende Alkoholtoleranz, morgendliches Trinken, verlängerte Räusche, sozialer Abstieg, Depravation, evtl. „billige Ersatzstoffe“.
Im weiteren Verlauf der Erkrankung kommt es dann im Rahmen der Rehabilitationsphase zu ersten Schritten im Hinblick auf die Wiedererlangung wirtschaftlicher Stabilität, Zunahme der emotionalen Kontrolle, realistischem Denken, Rückkehr der
Selbstachtung, Aufkommen von Hoffnung und dem ehrlichen Wunsch nach Hilfe.
Alkoholmissbrauch geht bei etwa jedem 2. Patienten in eine manifeste Abhängigkeit
über, die Zeitspanne dazwischen beträgt etwa 5–6 Jahre. Wegen des schleichenden
Beginns sollten gefährdete Personen möglichst früh identifiziert werden. Eine große
Studie aus den USA zeigte, dass von den Personen, die bereits vor dem 13. Lebensjahr Alkohol getrunken haben, später 40 % abhängig geworden sind.
Es gibt einen typischen Entwicklungsverlauf
der Abhängigkeit (s. Abb. B-14.10):
■ präalkoholische Phase: Erleichterungstrinken
■ Prodromalphase: u. a. heimliches, gieriges
Trinken, dauerndes Denken an Alkohol
■ kritische Phase: u. a. Kontrollverlust, körperliche Folgen
■ chronische Phase: u. a. morgendliches
Trinken, sozialer Abstieg.
▶ Merke. Die Lebenserwartung von Alkoholkranken ist im Vergleich zur Bevölke-
Alkoholmissbrauch geht bei etwa jedem zweiten Patienten in eine manifeste Abhängigkeit über, die Zeitspanne dazwischen beträgt
etwa 5–6 Jahre.
▶ Merke.
rung um ca. 15 % (= 12 Jahre) reduziert. Mehr als 74 000 Menschen sterben in
Deutschland jährlich an den Folgen des Alkoholismus.
Die Prognose wird unter anderem determiniert durch die vorliegenden Organschäden (somatischer Circulus vitiosus) und deren psychische Folgen (somatopsychischer Circulus vitiosus). Neuere Untersuchungen zeigen, dass sich alkoholbedingte Hirnschädigungen zumindest teilweise zurückbilden können: Bei Abstinenz nach
kürzerer Abhängigkeitsdauer nahm das Gehirnvolumen zu und es konnte eine Regeneration von Nervenzellen verifiziert werden.
Da die Therapiemotivation Alkoholkranker häufig unzureichend und schwankend
ist, sind die Behandlungserfolge begrenzt. Nach qualifiziertem ambulantem Alkoholentzug waren nach 1 Jahr noch 33 % der Gesamtstichprobe abstinent. Nach stationärer Entwöhnungstherapie liegen die 1-Jahres-Abstinenzraten bei 32–55 %, in
größeren Studien nach 1–4 Jahren bei ca. 45–55 %.
Die Prognose wird u. a. determiniert durch
die vorliegenden Organschäden und deren
psychische Folgen.
Die Abstinenzrate in kontrollierten Untersuchungen liegt zwischen 30 und 50 %.
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▶ Informationen zur Evidenz. Alkoholismus
Evidenzbasiert sind psychotherapeutische Verfahren (Motivationssteigerungsansatz, kognitivverhaltenstherapeutisches Bewältigungstraining, soziales Kompetenztraining, Reizexpositionsverfahren, Paar- und Familientherapie). Gesprächstherapeutische Kurzinterventionen bewirken
eine signifikante Reduktion des Alkoholkonsums (I a). Unter den pharmakologischen Verfahren
sind in der medikamentösen Rückfallprophylaxe Acamprosat, Naltrexon und Nalmefen wirksam
(Ia). Delire sind grundsätzlich stationär zu behandeln, wirksam sind Clomethiazol und Benzodiazepine, ggf. kombiniert mit einem Antipsychotikum (Evidenzgrad Ia).
362
▶ Merke.
B
14 Abhängigkeit und Sucht
▶ Merke. Ca. 85 % aller entgifteten Alkoholabhängigen werden ohne spezifische
therapeutische Intervention rückfällig. Trotz intensiver Interventionen kommt es
bei ca. 50 % der Patienten innerhalb von 1–2 Jahren zu einem Rückfall!
Prognostisch günstig sind gute Schul- und
Berufsausbildung und Zusammenleben mit
einem Partner, ungünstig ist das Vorliegen
einer organischen Persönlichkeitsveränderung
und neurotischer Persönlichkeitszüge. Alkoholkranke Jugendliche sind ohne Milieuwechsel schwierig zu behandeln.
▶ Merke.
Prognostisch günstig sind gute Schul- und Berufsausbildung, Berufstätigkeit und
Zusammenleben mit einem Partner, besonders ungünstig ist das Vorliegen neurotischer Persönlichkeitszüge sowie einer organischen Persönlichkeitsveränderung
(„Depravation“).
Alkoholkranke Jugendliche sind ohne Milieuwechsel schwierig zu behandeln, auch
wenn noch keine Abhängigkeit vorliegt. Frauen weisen eine raschere Progression im
Verlauf auf.
▶ Merke. Relativ häufig missbrauchen Alkoholiker zusätzlich Medikamente zur
14.2.6 Komorbidität
14.2.6 Komorbidität
Häufig liegt eine Komorbidität mit Angststörungen, (dissozialen) Persönlichkeitsstörungen und Depressionen vor.
Häufig liegt bei Alkoholabhängigen eine Komorbidität mit Angststörungen, (dissozialen) Persönlichkeitsstörungen und Depressionen vor. Über die Hälfte aller Alkoholkranken sind von 2 Drogen abhängig, nahezu alle Alkoholiker sind nikotinabhängig. Etwa 25 % der Opiatabhängigen sind gleichzeitig von Alkohol abhängig.
In Anbetracht der häufigen Komorbidität zwischen Alkoholabhängigkeit und affektiven Erkrankungen (Depression) sowie Angst- und Panikstörungen kann eine adjuvante medikamentöse Therapie mit einem Antidepressivum sinnvoll bzw. notwendig sein. Auch zur Behandlung postalkoholischer Depressionen können Antidepressiva (für ca. 6–12 Wochen) eingesetzt werden.
Wegen der häufigen Komorbidität zwischen
Alkoholabhängigkeit und affektiven Erkrankungen kann eine adjuvante Antidepressivatherapie notwendig sein.
Internet-Links: Leitlinien unter www.alkohol-leitlinie.de, www.awmf-online.de,
www.dhs.de und www.bzga.de
▶ Klinischer Fall.
▶ Klinischer Fall. Der 47-jährige Zollbeamte Herr M. stellte sich erstmals ambulant in der Poliklinik vor, weil sein Hausarzt ihm gesagt habe, dass er nun endlich einmal etwas gegen sein
Alkoholproblem tun müsse.
Aktueller Hintergrund war gewesen, dass dem Hausarzt anlässlich einer Durchuntersuchung
des Patienten wieder einmal stark erhöhte Leberwerte aufgefallen waren. Herr M. erzählte nun,
dass die Sache mit dem Alkohol in den letzten Jahren wirklich immer drängender geworden sei.
Begonnen habe das Ganze vor etwa 25 Jahren: Herr M. hatte erhebliche Potenzprobleme (Ejaculatio praecox) in seiner Ehe; allerdings machte er bald die Erfahrung, dass er nach Konsum
einer bestimmten Menge Alkohol den Koitus vollziehen konnte.
Die Ehe ging nach insgesamt 17 kinderlosen Jahren auf Drängen der dominierenden Ehefrau
auseinander. Für Herrn M., der schon immer wenig kontaktfreudig gewesen war, begann daraufhin eine Phase zunehmender Vereinsamung. In dieser Zeit steigerte sich der bis dahin sporadische Alkoholkonsum und wurde zunehmend regelmäßiger. Seit etwa 1/2 Jahr trank Herr M.
auch morgens, um ein leichtes Händezittern und verstärkte innere Anspannung zu kupieren.
Mehrfach hatte er schon auf Anraten des Hausarztes versucht, den Alkoholkonsum einzuschränken, was aber stets misslang. Bei einem Umtrunk mit Kollegen aus Anlass eines Dienstjubiläums
hatte er sich fest vorgenommen, nur Mineralwasser zu trinken. Nachdem er mit den Worten
„ein Gläschen in Ehren soll keiner verwehren“ gedrängt worden sei, wenigstens doch ein Glas
Sekt mitzutrinken, habe er danach immer weiter getrunken, sodass er letztlich sogar von einem
Kollegen nach Hause gebracht werden musste.
Seine Scham über dieses 1-malige Ereignis war so groß, dass er für 2 Tage der Arbeit fernblieb,
mit der Begründung eines grippalen Infekts. Obwohl er sich vorgenommen hatte, von nun an
abstinent zu sein, trank er am Morgen des ersten Arbeitstages einen Kognak und putzte sich
hinterher noch 1-mal die Zähne, damit keiner der Kollegen etwas rieche.
Schon sein ganzes Leben war Herr M. ein zur Ängstlichkeit neigender Mensch gewesen. Sein
Selbstwertgefühl war eher gering ausgeprägt, und er hatte eigentlich in der ständigen Angst gelebt, dass er etwas falsch machen könnte. Er konnte sich noch gut daran erinnern, dass er schon
während der Schulzeit einen ganz schnellen Herzschlag bekam, wenn der Lehrer ihn bloß beim
Namen rief. Genauso erging es ihm während seiner Verwaltungsausbildung bei Gericht, hinzu
kam eine hohe Empfindlichkeit gegenüber jeder, auch nur geringfügigen Kritik an seiner Arbeit.
Diese Empfindlichkeit konnte er allerdings nicht nach außen artikulieren, sondern „fraß“ sie in
sich hinein. Auseinandersetzungen mit Vorgesetzten ging er daher meist aus dem Weg, selbst
wenn er im Recht war, weshalb er von seiner damaligen Frau wiederholt „Schlappschwanz“ genannt worden war.
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Steigerung oder Verlängerung des Alkoholeffektes, zur Vermeidung von Entzugserscheinungen oder als Ersatzstoff. So kann eine Polytoxikomanie entstehen.
B
363
14.3 Drogen-, Medikamenten- und Tabakabhängigkeit
Mittlerweile lebte Herr M. vereinsamt in seiner Wohnung und hatte außerhalb der beruflichen
Sphäre so gut wie keine Kontakte mehr. War er früher am Wochenende wenigstens hin und
wieder einmal in den Schachverein gegangen, saß er nun in seiner Freizeit fast ausschließlich
vor dem Fernseher und trank Wein.
Zu Auffälligkeiten im Straßenverkehr war es bisher noch nicht gekommen, wie auch überhaupt
nach seinen Worten nur wenige ahnten, dass er zu viel trinke.
Diagnose: Alkoholabhängigkeit (F10.1) auf dem Boden einer ängstlich-selbstunsicheren Persönlichkeit (ängstlich/vermeidende Persönlichkeitsstörung F60.6). (In gekürzter Form zitiert aus dem
Fallbuch Psychiatrie, Klinische Fälle zum Kapitel V [F] der ICD-10, Freyberger und Dilling 1999).
14.3 Drogen-, Medikamenten- und
14.3
Tabakabhängigkeit
14.3.1 Allgemeines
Drogen-, Medikamenten- und
Tabakabhängigkeit
14.3.1 Allgemeines
▶ Definition.
Nach ICD-10 bestehen zusätzlich Hinweise auf eine verminderte Fähigkeit, den Gebrauch der Drogen bzw. Medikamente zu kontrollieren (Kontrollverlust), ein eingeengtes Verhaltensmuster beim Substanzgebrauch, zunehmende Vernachlässigung
anderer Aktivitäten und Interessen sowie anhaltender Gebrauch trotz Hinweisen
auf schädliche Folgen.
Nach ICD-10 bestehen zusätzlich Hinweise
auf Kontrollverlust, eingeengtes Verhaltensmuster, zunehmende Vernachlässigung anderer Aktivitäten und Interessen.
Epidemiologie: Etwa 27 % der Bevölkerung in Deutschland hat zumindest 1-Mal im
Leben eine illegale Droge konsumiert, 5 % innerhalb der letzten 12 Monate – weit
überwiegend Cannabis, von dem inzwischen ein privater Hobbyanbau verbreitet ist.
Die Jahresprävalenz der Abhängigkeit von illegalen Drogen beträgt bei deutschen
Erwachsenen ca. 0,4–0,7 % (Cannabis ca. 0,5 %, Kokain 0,2 %, Amphetamine 0,1 %).
Die Prävalenz des Opiatkonsums liegt bei etwa 0,8 %, opiatabhängig sind ca. 0,2 %
der Bevölkerung (ungefähr 150 000 Personen). Die Zahl der Drogentoten liegt jährlich bei etwa 1 000, zumeist als Folge einer Überdosis.
Illegale Drogen werden überwiegend von 14–30-Jährigen konsumiert, Männer
überwiegen im Verhältnis etwa 2 : 1. Die Abhängigkeit von „harten Drogen“ führt
bei Männern meist zur Beschaffungskriminalität, während der Weg drogenabhängiger Frauen oft in der Prostitution endet. Nach Schätzungen besitzen etwa 40 % der
12–19-Jährigen Drogenerfahrung (Abb. B-14.20).
Epidemiologie: Ca. 27 % der deutschen Bevölkerung hat zumindest 1-Mal im Leben illegale Drogen konsumiert. Cannabis ist die
weitaus am häufigsten konsumierte illegale
Droge. Die Zahl der Drogentoten liegt bei ca.
1 000 jährlich.
⊙ B-14.20
⊙ B-14.20
Rauschgiftsicherstellungen (polizeilich erfasste Fälle 2011)
40 000
35 000
32 100
erfasste Fälle
30 000
25 000
20 000
15 000
9 300
10 000
5 600
5 000
3 300
1 200
0
Cannabis
Amphetamine
Heroin
(Darstellung basierend auf Werten des Jahrbuchs Sucht der DHS 2012)
Kokain
Illegale Drogen werden überwiegend von
14–30-Jährigen konsumiert, Männer überwiegen etwa im Verhältnis 2 : 1 (Abb. B-14.20).
Ecstasy
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▶ Definition. Als wesentliches Charakteristikum gilt das zwanghafte Bedürfnis, die betreffende(n) Substanz(en) zu konsumieren und sich diese unter allen Umständen zu
beschaffen. Neben der psychischen besteht meist eine physische Abhängigkeit in Form
von Toleranzentwicklung (Dosissteigerung) und Auftreten von Entzugserscheinungen.
Es entstehen, wie bei der Alkoholkrankheit,
hohe direkte und indirekte Krankheits- und
Behandlungskosten.
Die Zahl der Medikamentenabhängigen
liegt bei etwa 1,4 Mio., hiervon sind etwa 2/3
Frauen (v. a. Analgetika, Hypnotika, Tranquilizer, Antitussiva, Psychostimulanzien bzw.
Appetitzügler, Laxanzien).
In Arztpraxen erhalten ca. 5 % aller Patienten
Medikamente mit Abhängigkeitspotenzial.
Bedenklicher Modetrend ist der Konsum von
Psychostimulanzien von Gesunden zur Leistungssteigerung, sog. Gehirn-Doping.
Dank gesetzlicher Rauchverbote ist die Zahl
der Raucher, insbesondere bei Jugendlichen,
rückläufig, ca. 30 % der über 15-Jährigen rauchen.
Ätiopathogenese: Es existiert ein multifaktorielles Bedingungsgefüge (Abb. B-14.21).
Medikamentenmissbrauch entsteht meist
durch die Behandlung von somatischen oder
funktionellen Beschwerden (Abb. B-14.22).
▶ Merke.
B
14 Abhängigkeit und Sucht
Die Abhängigkeit von „harten Drogen“ besiegelt in den meisten Fällen nicht nur das
persönliche Schicksal der Betroffenen, sondern führt häufig auch zu familiärem
Elend. Durch direkte und indirekte Krankheits- und Behandlungskosten entstehen
für Staat und Gesellschaft, ähnlich wie bei der Alkoholkrankheit, gravierende wirtschaftliche Belastungen.
Die Zahl der Medikamentenabhängigen liegt bei etwa 1,4 Mio. Betroffen sind mit
etwa zwei Drittel überwiegend Frauen zwischen 40 und 50 Jahren. Die am häufigsten missbrauchten Medikamente sind Analgetika, Hypnotika, Tranquilizer, Antitussiva und Psychostimulanzien bzw. Appetitzügler. Einen beträchtlichen Anteil machen hierbei frei verkäufliche, nicht rezeptpflichtige Medikamente aus. Besonders
bei älteren Menschen weit verbreitet ist auch der Missbrauch von Laxanzien.
In Arztpraxen erhalten ca. 5 % aller Patienten Medikamente mit Abhängigkeitspotenzial rezeptiert. Die Verschreibung erfolgt in 2/3 der Fälle an Frauen, über 60Jährige überwiegen dabei deutlich.
Als zeitgeistassoziiert dürfte der zunehmende Missbrauch von Medikamenten zur
(vermeintlichen) Leistungssteigerung (sog. Gehirn-Doping) anzusehen sein. Zum
Einsatz kommen vor allem Psychostimulanzien wie Amphetamine (Ritalin), Modafinil oder Koffeintabletten.
Kriminalistisch-forensische Bedeutung (Raub, Vergewaltigung) hat die heimliche
Verabreichung sog. K.o.-Tropfen erlangt. Diese enthalten Substanzen wie Barbiturate, Benzodiazepine, Antihistaminika und die Partydroge Gammahydroxybutyrat
(GHB, sog. Liquid Ecstasy) und führen zu Bewusstseinstrübung und Gedächtnisverlust. Bemerkenswerterweise ist die GHB-Prodrug Gammabutyrolacton (GBL) als
„Kuscheldroge“ legal verfügbar (urspr. technisches Lösungsmittel).
Gesetzliche Rauchverbote haben, insbesondere bei Jugendlichen, zu einem erfreulichen Rückgang des Rauchens geführt: derzeit rauchen in Deutschland regelmäßig
ca. 33 % der über 15-Jährigen Männer, 27 % der Frauen. An den Folgen des Rauchens
sterben jährlich ca. 100 000 Menschen. Die jährlichen direkten tabakbedingten Kosten belaufen sich auf ca. 18 Mrd. Euro, die indirekten auf ca. 31 Mrd. Euro. Die Tabaksteuereinnahmen liegen bei ca. 13 Mrd. Euro.
Ätiopathogenese: Auch bei der Entstehung der Drogen- bzw. Medikamentenabhängigkeit liegt ein multifaktorielles Bedingungsgefüge vor (Abb. B-14.21).
Medikamentenmissbrauch basiert häufig auf der Behandlung somatischer oder
funktioneller Beschwerden wie Kopfschmerzen, psychosomatische Störungen,
Schlaf- oder Verdauungsstörungen (Abb. B-14.22). Im Gegensatz zu Alkohol- und
Drogenabhängigen sind Medikamentenabhängige in der Regel (lange Zeit) „unauffällig“ und sozial angepasst bis überangepasst („stille, unsichtbare Sucht“).
▶ Merke. Der Arzt kann „Täter und Komplize“ bei der Entstehung und Aufrecht-
erhaltung einer Medikamentenabhängigkeit sein!
Beim Drogenabusus spielen psychosoziale
Faktoren wie Gruppenzwänge und „Neugier“
eine bedeutende Rolle.
Persönlichkeits- und lernpsychologische
Modelle betonen die Bedeutung positiver
Verstärkung, die Rolle der Konditionierung,
eine verminderte Frustrationstoleranz, fehlende Entwicklung adäquater Konfliktbewältigungsstrategien, Reizhunger und eine neurotische Fehlentwicklung.
Im Zentrum der neurobiologisch-pharmakologischen Theorien steht das mesolimbische
Belohnungssystem des Gehirns („Suchtgedächtnis“).
Der weitere Verlauf wird vor allem durch die
Suchtpotenz der Substanz, biologisch-konstitutionelle, sozioökonomische und lernpsychologische Faktoren bestimmt.
Bei der Entstehung eines Abusus illegaler Drogen spielen zu Beginn psychosoziale
Faktoren wie Verfügbarkeit, Gruppenzwänge und „Neugier“ eine bedeutende Rolle.
Persönlichkeits- und lerntheoretische Modelle betonen die Bedeutung folgender
Faktoren:
■ positive Verstärkung: Durch Drogen induzierte angenehme Zustände verstärken
deren Einnahme positiv
■ Konditionierung: Umgebungsfaktoren, soziale Situation
■ verminderte Frustrationstoleranz
■ fehlende Entwicklung adäquater Konfliktbewältigungsstrategien
■ „Sensation seeking behaviour“ (Reizhunger)
■ neurotische Fehlentwicklung: Ich-Schwäche, Labilität.
Im Zentrum der neurobiologisch-pharmakologischen Theorien steht das mesolimbische Belohnungssystem des Gehirns mit dem Nucleus accumbens als „Schaltzentrale“. Offenbar werden Erinnerungen, die mit der ersten Drogenerfahrung assoziiert
sind, zu potenziellen Triggern für die nächste Drogeneinnahme („Suchtgedächtnis“).
Der weitere Verlauf wird vor allem durch die pharmakologische Suchtpotenz der
Substanz, biologisch-konstitutionelle Faktoren sowie sozioökonomische und lernpsychologische Faktoren bestimmt. Starken Einfluss hat die „Subkultur“ der Drogenszene, durch die bestimmte Leitbilder und Lebensinhalte vermittelt werden.
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364
B
⊙ B-14.21
365
14.3 Drogen-, Medikamenten- und Tabakabhängigkeit
⊙ B-14.21
Bedingungsgefüge und Entstehungsbedingungen von Drogen- bzw.
Medikamentenmissbrauch und -abhängigkeit
(nach Köster R.: Allgemeine Suchtproblematik und Arzt. Z Allg Med (1982),
58: 1829 – 1834)
„Ich“-Schwäche
Identitäts-Problematik
„Freunde“
Verführung
„Probieren“
Beeinflussbarkeit
Erlebnissucht
Selbstwertkrisen
„Komplexe“
Imitationstrieb
„Spaß“ am Verbotenen
„Spaß“ am Risiko
Problemverdrängung
Kontaktstörungen
Langeweile ( Frust“)
“
Freizeit-Vakuum
Geltungsdrang
„Über-Kompensation“
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Dealer
Sucht
Probleme,
Versagen in:
Probleme
in der Familie:
Schule
Erziehungsfehler
Autoritätskrisen
Ausbildung
Studium
„Broken
Home“
soziale
Devianz
Verwöhnung
„Geld statt Gespräch“
„Außenseiter“
Flucht
aus der
Familie
Beziehungsstörung
Kontakt-Defizit
Beruf
Familie
⊙ B-14.22
Schule
Beruf
„Gesellschaft“
Medikamentenkonsum und Entwicklung einer „Medikamentenkarriere“
Medikamentenkarriere
Arbeits- und
Lebensbedingungen
Konflikte und Spannungen
Beschwerden
ambulante Behandlung
restriktive Arbeit
Zeitdruck
emotionale Belastung
Freizeitvakuum
Ausgebranntsein („burn out“)
Isolation
Einsamkeit
Partnerkonflikte
Sinnentleerung
Kopfschmerzen
Schmerzen im Stütz- und
Bewegungsapparat
Angst
Unruhe
Depressivität
erste Verordnung
Ausprobieren von
Medikamenten
Dauerrezepturen
stationäre Behandlung
Nacht- und
Bedarfsmedikation
Altenheime:
Sedierung zur Reduktion
der Personalausgaben
Bewältigungsversuche
Selbstmedikation
Einnahme rezeptpflichtiger Medikamente
14.3.2 Symptomatik und klinische
Subtypen
Die Symptome sind je nach Drogentyp unterschiedlich. Psychisch stehen ängstliche Unruhe und Spannung häufig im Vordergrund. Daneben bestehen als Zeichen der körperlichen
Abhängigkeit vegetative Symptome (z. B. Tachykardie). Durch Einnahme immer höherer
Dosen kommt es zur Toleranzentwicklung.
Je nach Substanz kommt es früher oder später
zu Veränderungen der Persönlichkeit (z. B.
Einengung, Nivellierung). Die Kranken stumpfen ab, vernachlässigen Hygiene und Körperpflege. Eventuell kommt es zu dissozialem
Verhalten. Als Prototyp der skizzierten Symptomatik gilt heute der Heroinabhängige.
Das klinische Bild bei Konsum von Kokain
(S. 369) und Amphetaminen sieht anders
aus. Diese Substanzen können zum Teil als
„Modedrogen“ künstlerischer und pseudointellektueller Kreise („Schickeria“) angesehen
werden.
Nach der ICD-10 werden je nach Substanzgebrauch verschiedene Subtypen/Kategorien unterschieden.
B
14 Abhängigkeit und Sucht
14.3.2 Symptomatik und klinische Subtypen
Die Symptome und Verhaltensmuster unterscheiden sich je nach Drogentyp. Ganz
allgemein wird das alltägliche Leben der Betroffenen durch die Substanz und deren
Beschaffung bestimmt. Zeichen der psychischen Abhängigkeit sind unter anderem
ängstliche Unruhe und Anspannung, daneben bestehen vegetative Symptome wie
Schwitzen, Tachykardie, Übelkeit. Diese Symptome sistieren nach Zufuhr der Droge
(körperliche Abhängigkeit). Um den gewünschten Effekt zu erreichen, müssen häufig immer höhere Dosen eingenommen werden (Toleranzentwicklung).
Je nach Substanz- bzw. Drogentyp kommt es früher oder später in unterschiedlichem Ausmaß zu Veränderungen der Persönlichkeit wie z. B. Einengung oder Nivellierung. Die Kranken brechen zwischenmenschliche Beziehungen ab, isolieren sich
zunehmend, verkehren nur noch in „ihrem Milieu“ (Szene), entwickeln eine eigene
Drogensprache („Drogenjargon“), stumpfen in ihren Interessen ab und vernachlässigen Hygiene und Körperpflege. Eventuell kommt es zu dissozialem Verhalten (z. B.
Beschaffungskriminalität). Als Prototyp der skizzierten Symptomatik kann heute der
Heroinabhängige (früher: Morphinist) gelten.
Anders sieht das klinische Bild bei Konsum von Kokain und Amphetaminen (S. 369)
aus. Diese Substanzen können zum Teil als „Modedrogen“ künstlerischer und pseudointellektueller Kreise („Schickeria“) angesehen werden. Hieran wird deutlich, dass
sich das Erscheinungsbild des Drogenabhängigen in den letzten Jahren dahingehend
verändert hat, dass neben sozial entwurzelten, aus schwierigen Verhältnissen stammenden Jugendlichen offenbar zunehmend auch Erwachsene aus „bürgerlichen“,
gut situierten Kreisen oder aus ideologischen, ein „alternatives“ Leben propagierenden Gruppierungen stammen.
Nach der ICD-10 werden folgende Subtypen/Kategorien unterschieden:
■ Störungen durch Opioide (F11)
■ Störungen durch Cannabinoide (F12)
■ Störungen durch Sedativa oder Hypnotika (F13)
■ Störungen durch Kokain (F14)
■ Störungen durch andere Stimulanzien, einschließlich Koffein (F15)
■ Störungen durch Halluzinogene (F16)
■ Störungen durch Tabak (F17)
■ Störungen durch flüchtige Lösungsmittel (F18)
■ Störungen durch multiplen Substanzgebrauch und Konsum anderer psychotroper
Substanzen (F19).
Opioide
Opioide
Hierzu zählen Morphin, Heroin, Methadon,
Codein sowie stark wirksame Analgetika (z. B.
Pethidin).
Zu dieser Gruppe zählen unter anderem die Substanzen Morphin, Heroin (Diacetylmorphin), Codein, Methadon sowie die stark wirksamen Analgetika Pethidin, Pentazocin, Tilidin und Buprenorphin. Fast alle diese Stoffe unterliegen dem Betäubungsmittelgesetz.
Opiate und Opioide besitzen unter den Drogen das höchste Abhängigkeitspotenzial
und sind gekennzeichnet durch eine ausgeprägte psychische und physische Abhängigkeit mit rascher Toleranzentwicklung. Die Anwendung erfolgt in der Regel intravenös, der „Kick“ tritt meist schon nach 10–20 Sekunden ein, die heroininduzierte
Euphorie dauert typischerweise 10–30 Minuten. Eine echte Intoxikation entwickelt
sich bei hohen Dosen typischerweise 2–5 Minuten nach intravenöser Zufuhr.
Alle Mittel dieser Gruppe bewirken eine ausgeprägte Schmerzstillung. Bei Missbrauch beherrschen Euphorie und ein Gefühl des Entrücktseins das Bild, schnelle
i. v. Injektion führt zu einem „Flush“ mit wohligem Wärme- und Glücksgefühl, weitere Symptome sind Somnolenz und Affektlabilität. Typischerweise entwickelt sich
eine Wesensänderung.
An somatischen Symptomen finden sich bei Abhängigen häufig Bradykardie, Gewichtsverlust, Inappetenz, spastische Obstipation, Miktionsstörungen, Tremor und
eine trocken-fahlgraue Haut. Typische Begleiterkrankungen sind Spritzenabszesse
(Abb. B-14.23), häufig kommt es, z. B. durch Verwendung unsauberer Nadeln, zu
einer Hepatitis- und/oder HIV-Infektion.
Opiate und Opiode besitzen unter den Drogen das höchste Abhängigkeitspotenzial
(psychische und physische Abhängigkeit).
Alle Mittel dieser Gruppe bewirken eine ausgeprägte Schmerzstillung. Bei Missbrauch beherrscht Euphorie das Bild. Typischerweise
entwickelt sich eine Wesensänderung.
Heroinabhängige weisen zahlreiche somatische Symptome auf (Abb. B-14.23). Die Verwendung unsauberer Nadeln birgt die Gefahr
einer Hepatitis- und/oder HIV-Infektion.
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366
⊙ B-14.23
367
14.3 Drogen-, Medikamenten- und Tabakabhängigkeit
Heroin-Injektionsstellen und Spritzenabszesse
Die klinische Symptomatik einer Opiat-/Heroin-Intoxikation wird durch die Trias Koma, Atemdepression und Miosis bestimmt. Da zur „Streckung“ des Heroins häufig
ungeeignete Zubereitungsformen oder toxische Substanzen verwendet werden,
kann es bei Intoxikationen auch zu Lungenödemen oder einer Rhabdomyolyse kommen (s. Tab. B-14.19).
Entzugssymptome treten bei Opiatabhängigkeit ca. 6–12 Stunden nach der letzten
Einnahme auf und erreichen nach 24–48 Stunden ihren Höhepunkt. Die Entzugssymptomatik umfasst Drogenhunger (craving), Unruhe, Rhinorrhö, Gänsehaut, Muskelschmerzen, Gähnzwang, Parästhesien, Schlaflosigkeit, Mydriasis, Temperaturund Blutdruckanstieg sowie Durchfall und Erbrechen. Die Symptome klingen im
Verlauf von etwa 10 Tagen ab.
Neugeborene opiatsüchtiger Mütter zeigen ein neonatales Abstinenzsyndrom.
Die neue Modedroge „Krokodil“ enthält das Opioidanalog Desomorphin mit ca. 10facher Morphinstärke und wird wegen einfacher Herstellbarkeit und geringem finanziellem Aufwand von Heroinabhängigen konsumiert.
▶ Patientensicht. Opiatabhängigkeit
Ein 28-Jähriger berichtet: „Im Alter von 12 Jahren habe ich zu Rauchen begonnen, meinen ersten Alkoholrausch hatte ich mit 14. Ab dem 15. Lebensjahr habe ich regelmäßig gekifft. Meine
erste Freundin habe ich mit 17 kennen gelernt; erst später habe ich gemerkt, dass sie mit Heroin
drauf war. Ich wollte sie davon wegbringen, doch sie hat gemeint, ich soll es doch selbst einmal
probieren. Damals hatte ich Probleme in der Lehre und Stress mit meinen Eltern, von daher war
mir so ziemlich alles egal. Den ersten Schuss hat mir meine Freundin gesetzt, der Kick war ein
sagenhaftes Gefühl, das ich seither so nicht mehr erlebt habe und nach dem ich beständig weiter suche. Schon bald war es so weit, dass ich einige Stunden nach dem Heroinkonsum durch
extreme Unruhe, Kälte- und Hitzeschauer und Schmerzen gequält war. Um das Geld für Heroin
aufzutreiben, habe ich Diebstähle verübt und später selbst gedealt. Überbrückend habe ich mir
vom Schwarzmarkt Methadon und Fentanyl-Pflaster besorgt. Diese Substanzen habe ich mir
ebenfalls gespritzt, die Fentanyl-Pflaster in Streifen geschnitten, mit Ascorbinsäure aufgekocht
und in einer Insulinspritze aufgezogen. Mittlerweile hat es meine Freundin nicht mehr mit mir
ausgehalten, die über eine Methadon-Substitution vom Heroinkonsum weggekommen ist.
Nachdem ich bei den Bullen verpfiffen wurde, war ich 4 Monate in U-Haft und habe eine gerichtliche Therapieauflage erhalten. Zum Glück habe ich mich noch nicht mit Hepatitis C infiziert, wie mehr als die Hälfte meiner Mitpatienten, die ich in der Drogenentzugsstation kennen
gelernt habe. Während der Entgiftung habe ich eine weiterführende Entwöhnungstherapie beantragt, hatte jedoch vorher zu Hause noch einiges zu regeln. Ich war zu der Langzeittherapie
echt motiviert. Plötzlich klingelt es an der Wohnungstür, ein Bekannter aus der Szene lässt ein
Pack mit Stoff vor mir fallen und meint: ‚Du brauchst jetzt nicht zu zahlen, Du hast Kredit bei
mir.‘ Da hat es mir den Schalter umgelegt.“
⊙ B-14.23
Die klinische Symptomatik einer Opiatintoxikation wird bestimmt durch die Trias
■ Koma,
■ Atemdepression und
■ Miosis (s. Tab. B-14.19).
Entzugssymptome treten bei Opiatabhängigkeit ca. 6–12 Stunden nach der letzten Einnahme auf und erreichen nach 24–48 Stunden ihren Höhepunkt. Sie klingen innerhalb
von 10 Tagen ab.
Neugeborene opiatsüchtiger Mütter zeigen
ein neonatales Abstinenzsyndrom.
▶ Patientensicht.
Cannabinoide
Cannabinoide
Cannabis ist die am häufigsten verwendete illegale Droge. Hauptwirkstoff ist das Tetrahydrocannabinol (THC). Es existieren zwei Formen, die beide aus der weiblichen
Pflanze des indischen Hanfs stammen: Haschisch (Harz der Blütenstauden) und Marihuana (getrocknete Blüten und Blätter).
Cannabis ist häufig Einstiegsdroge für weitergehende Suchterkrankungen.
Es existieren zwei Formen: Haschisch und Marihuana. Diese sind häufig Einstiegsdroge für
andere Suchterkrankungen.
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B
Cannabis-Konsum führt zu Euphorie und Gedächtnisstörungen. Körperliche Symptome
sind Tachykardie, Konjunktivitis, Störungen
der Feinmotorik und Bronchitis.
Chronischer Konsum kann zu Teilnahmslosigkeit, Passivität und Apathie führen (Amotivationssyndrom). Entzugssymptome äußern
sich u. a. durch Craving, Aggressivität und Unruhe. Unter akuter stärkerer Substanzeinwirkung kann eine Intoxikationspsychose, nach
chronischem höher dosiertem Konsum eine
Cannabis-Psychose auftreten (Cannabis-Konsum verdoppelt das Psychoserisiko).
▶ Patientensicht.
Sedativa und Hypnotika
Barbiturate und ihre Analoga (Meprobamat,
Diphenhydramin) haben ein erhebliches Abhängigkeitspotenzial und beträchtliche Toxizität.
Barbiturate sind als Hypnotika heute obsolet.
Bei Missbrauch treten zahlreiche psychische
(z. B. Sedierung, Affektlabilität) und körperliche Symptome (z. B. Ataxie) auf.
▶ Merke.
B
14 Abhängigkeit und Sucht
Hauptwirkungen der Cannabis-Intoxikation sind: Euphorie, Entspannung und psychomotorische Verlangsamung, Ideenflucht, Dehnung des Zeiterlebens und Konzentrationsstörungen. Der Cannabis-Rausch ist in der Regel nach 3–5 Stunden abgeklungen.
Etwa 10 % der Cannabis-Konsumenten erfüllen die Abhängigkeitskriterien (Kontrollverlust, Entzugssymptome, Toleranz). Körperliche Symptome sind Rötung der
Konjunktiven, Tachykardie, Störungen der Feinmotorik sowie insbesondere eine
Bronchitis. Nach anhaltend regelmäßigem Konsum kann ca. 10 Stunden nach dem
letzten Konsum ein mildes Entzugssyndrom u. a. mit den Symptomen Craving, Aggressivität, Schlafstörungen, Unruhe, Hyperalgesie und Dysphorie auftreten. Unter
akuter stärkerer Substanzeinwirkung kann eine Intoxikationspsychose (transiente
psychotische Episode) auftreten, nach chronischem höher dosiertem Konsum eine
Cannabis-Psychose mit schizophreniformer Symptomatik. Cannabis-Konsum ist bei
Schizophrenen relativ häufig, das Risiko der Auslösung einer schizophrenen Psychose ist mindestens 2-fach erhöht. In Einzelfällen sind Nachhallpsychosen (sog.
Flashbacks) beschrieben. Chronische Intoxikationszustände können zu einem amotivationalen Syndrom mit Lethargie, Passivität und Teilnahmslosigkeit führen.
Synthetische Cannabinoide in Form von Räuchermischungen wie Spice dienen als
Cannabis-Ersatzstoffe.
Wie in manchen anderen Ländern steht auch in Deutschland, trotz gewisser Bedenken, die Zulassung von Cannabis zur Behandlung schwerkranker Schmerzpatienten
an.
▶ Patientensicht. Cannabis-Rausch
Seine Erlebnisse unter Marihuana schildert T. Gautier (1840):
„In einem verschwommenen Licht flatterten in unendlichem Gewimmel Milliarden von
Schmetterlingen, deren Flügel wie Fächer rauschten. Riesenhafte Blumen mit Kristallkelchen,
gewaltige Stockrosen, silberne und goldene Linien stiegen vor mir auf und entfalteten sich in
einem Geprassel, das an das Platzen von Feuerwerkskörpern erinnerte. Mein Gehör hatte sich
wunderbar entwickelt: Ich hörte den Klang der Farben, grüne, rote, blaue, gelbe Töne kamen in
deutlich unterscheidbaren Wellen zu mir. Das Geräusch, das ein umgeworfenes Glas verursachte, das Knistern eines Lehnstuhls, ein geflüstertes Wort dröhnte in mir wie Donnergrollen; meine eigene Stimme erschien mir so stark, dass ich nicht zu sprechen wagte aus Angst, die Mauern
könnten einstürzen oder ich könnte wie eine Bombe explodieren. Mehr als 500 Pendeluhren
sangen mir die Zeit in silbernen Flöten oder in strahlenden Trompetenstimmen zu. Jeder Gegenstand, den ich berührte, gab den Ton einer Glasharmonika oder Aeolsharfe von sich. Ich
schwamm in einem Ozean von Tönen […]“
Sedativa und Hypnotika
Häufig missbräuchlich verwendete Substanzgruppen sind neben dem Alkohol Benzodiazepine, Barbiturate, Meprobamat, Clomethiazol und Diphenhydramin.
Barbiturate und ihre Analoga (Meprobamat, Diphenhydramin) besitzen ein erhebliches Abhängigkeitspotenzial und im Falle von Diphenhydramin beträchtliche Toxizität (relativ häufige Anwendung bei Suizidversuchen).
Barbiturate sind als Hypnotika heute obsolet. Verwendung finden sie im Rahmen
der Antikonvulsivabehandlung.
Bei Missbrauch kommt es zu Euphorie, Sedierung, Affektlabilität, Dysphorie, Gedächtnislücken, zum Teil auch paradoxer Aktivierung. Körperliche Symptome sind
unter anderem Dysarthrie, Ataxie sowie Exantheme. Das Barbiturat-Abstinenzsyndrom zeigt sich mit allgemeiner Schwäche, Tremor, Myoklonien, Übelkeit, orthostatischer Dysregulation und Albträumen.
▶ Merke. Nach längerfristiger Einnahme hoher Dosen und schlagartigem Absetzen
kann es zu deliranten Zustandsbildern mit ängstlicher Unruhe und zerebralen
Krampfanfällen kommen.
Die längere Einnahme von Benzodiazepinen
kann u. a. zu Dysphorie, Gleichgültigkeit, Leistungsminderung und paradoxen Reaktionen
führen.
Die Benzodiazepin-Abhängigkeit wird unterteilt in eine Hochdosis- und eine Niedrigdosisabhängigkeit.
Die längerfristige Einnahme von Benzodiazepinen kann zu dysphorischen Verstimmungen, Gleichgültigkeit und psychischer Leistungsminderung führen. Als paradoxe Reaktionen auf Benzodiazepine sind Erregungszustände, Agitiertheit und Schlafstörungen möglich.
Die Benzodiazepin-Abhängigkeit wird unterteilt in eine Hochdosisabhängigkeit und
eine Niedrigdosisabhängigkeit (low dose dependence). Das Abhängigkeitsrisiko
steigt mit zunehmender Behandlungsdauer (kontinuierliche Einnahme länger als 4
Monate) und Höhe der Dosierung.
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368
369
14.3 Drogen-, Medikamenten- und Tabakabhängigkeit
Abruptes Absetzen von Benzodiazepinen kann besonders nach längerer Einnahme
höherer Dosen sowie von Benzodiazepinen mit kurzer Halbwertszeit zu ReboundPhänomenen (Angst, Schlafstörungen) führen. Zu den Entzugssymptomen zählen
vegetative Dysregulationen, Schlafstörungen, Tremor, Tachykardie, Unruhe, Desorientiertheit, Dysphorie, evtl. treten zerebrale Krampfanfälle auf. Typisch sind Perzeptionsstörungen wie optische Wahrnehmungsverzerrungen und kinästhetische Störungen (z. B. Liftgefühl, s. Tab. B-14.20).
▶ Klinischer Fall. Zur Aufnahme kommt eine 38-jährige Arzthelferin. Sie berichtet, dass sie seit
ca. 6 Jahren regelmäßig Lorazepam einnehme, dieses Präparat sei ihr „wegen Depressionen“
nach dem Tod ihrer Mutter verordnet worden. Da die Tablette nach einigen Monaten nicht
mehr recht gewirkt habe, habe sie die Dosis gesteigert, um weiterhin ein „schönes Gefühl“ zu
haben und Erleichterung zu spüren. Aufgrund der jahrelangen Einnahme habe sie jetzt vom
Hausarzt kein neues Rezept mehr bekommen. Wenige Tage nach der letztmaligen LorazepamEinnahme habe sie vermehrte Angstgefühle, Schlaflosigkeit, Zittern, Schwindel, vermehrtes
Schwitzen und Kribbeln in den Beinen bemerkt. Schließlich habe sie an der Tapete zu Hause
Gesichter gesehen.
Bei Aufnahme klagte die Patientin über Lichtscheu und dass ihr „komisch im Kopf sei“. Sie höre
die ganze Umgebung übermäßig laut, Lesen strenge sie an, in den letzten Tagen sei sie ganz
„durcheinander“ gewesen, so habe sie z. B. mehrfach die falsche Herdplatte eingeschaltet.
Psychopathologisch ist die Patientin voll orientiert, die Sprache ist leicht verwaschen. Gedrückte Stimmungslage mit eingeschränkter affektiver Schwingungsfähigkeit. Der internistische Befund ist bis auf eine Hyperhidrosis und Tachykardie o. B., neurologisch bestehen eine leichtgradige Gangataxie, feinschlägiger Händetremor und ausgeprägte Hyperreflexie. Typisches BetaEEG mit zeitweiligen langsameren Kurvenabläufen im Sinne einer Vigilanzstörung.
Die Patientin entwickelte eine ausgeprägte Entzugssymptomatik mit Schlaflosigkeit, vegetativer
Entgleisung, motorischer Unruhe und Verwirrtheit. Nach Gabe des sedierenden Antidepressivums Doxepin Abklingen der Entzugssymptomatik, die Patientin wird stimmungsmäßig zunehmend ausgeglichener. Primärpersönlich zeigt sich eine Neigung zu hypochondrischer Selbstbeobachtung mit phobischen Zügen. Bei der Patientin wird eine verhaltenstherapeutische Behandlung eingeleitet.
Abruptes Absetzen von Benzodiazepinen kann
zu Rebound-Phänomenen (Angst, Schlafstörungen) führen. Zu den Entzugssymptomen
zählen u. a. vegetative Dysregulationen,
Schlafstörungen, Tremor, Tachykardie, Desorientiertheit (s. Tab. B-14.20).
▶ Klinischer Fall.
Kokain
Kokain
Kokain wird aus den Blättern des Kokastrauchs gewonnen. Die Applikation erfolgt
entweder intranasal durch „Schnupfen“, intravenös durch Spritzen oder alveolär
durch Rauchen (insbesondere Kokainbase Crack). Zum Teil wird Kokain mit Opiat
(en) gemischt konsumiert („Speedball“). Es kommt zu einer starken psychischen, jedoch keiner physischen Abhängigkeit.
Die akute Kokainwirkung, auch frühe Stimulationsphase oder „Kick“ genannt, verursacht ein euphorisches Stadium mit gehobener Stimmung, Glücksgefühl, Rededrang, Abbau von Hemmungen, Libidosteigerung, subjektiver Steigerung von Leistungsfähigkeit und Kreativität sowie reduziertem Hunger-, Durst- und Schlafgefühl.
Insbesondere im nachfolgenden Rauschstadium treten dann z. T. auch taktile, optische oder akustische Halluzinationen und paranoide Gedanken stärker in den Vordergrund. Im anschließenden „depressiven Stadium“ stehen Angst und Depression
im Vordergrund. Hier setzt das Verlangen nach nochmaliger Einnahme zur Beendigung dieses negativ erlebten Zustands ein (starke Verstärkerfunktion).
Bei chronischem Kokainkonsum kommt es zu taktilen und akustischen Halluzinationen, paranoid-halluzinatorischen Psychosen (Verfolgungs- und Beziehungsideen)
sowie kognitiven Beeinträchtigungen. Körperliche Symptome sind u. a. Tachykardie,
Temperaturerhöhung, Impotenz und Nasenseptumdefekte durch die nasale Applikation.
Bei Intoxikation finden sich Ataxie, Tachyarrhythmie, maligne Hyperthermie, epileptische Anfälle und Mydriasis. Zu den Entzugssymptomen zählen Dysphorie und
„Katerstimmung“ (s. Tab. B-14.21).
Hier finden sich eine starke psychische und
keine physische Abhängigkeit.
▶ Patientensicht. Kokainwirkung
Ein 30-Jähriger schildert: „Ich war fit wie ein Rennpferd am Start, innerlich bebend. Ich fühlte
mich absolut fit, konnte stundenlang arbeiten, empfand keinerlei Schlafbedürfnis. Von 2 Kokablättern als Flügel getragen flog ich durch 77 348 Welten, eine prächtiger als die andere.“
Akut kommt es zu einem euphorischen
Glücksgefühl, zu Libidosteigerung, Abbau von
Hemmungen, subjektiver Steigerung von
Kreativität und Leistungsfähigkeit, reduziertem Hunger-, Durst- und Schlafgefühl (Kick).
Im „Rauschstadium“ treten Halluzinationen
in den Vordergrund, anschließend „depressives Stadium“.
Bei chronischem Kokainkonsum finden sich
taktile und akustische Halluzinationen, paranoid-halluzinatorische Psychosen sowie körperliche Symptome.
Zu den Entzugssymptomen zählen Dysphorie und „Katerstimmung“ (s. Tab. B-14.21).
▶ Patientensicht.
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B
B
▶ Klinischer Fall.
14 Abhängigkeit und Sucht
▶ Klinischer Fall. Der Fall des Chansonniers und Liedermachers Konstantin Wecker vor Gericht
wird in den Medien wie folgt berichtet: „Alle schilderten eine albtraumhafte Welt, in der Wecker viele Monate lebte. Es begann damit, dass er sich angewöhnte, Kokain und Natron ,aufzubacken‘, wie das in Drogenkreisen so nett heißt, dass er also Crack rauchte, was nach seinen
Worten schon nach dem ersten Zug ,total süchtig‘ macht. Und es hörte auf Ende vergangenen
Jahres, als ihn die Polizei in seiner Grünwalder Wohnung verhaftete und er die Beamten laut
Protokoll so begrüßte: ,Gott sei Dank, seid ihr da!.‘ Nur noch eins hatte er im Kopf: Wo ist der
nächste Stoff, wo die nächste Pfeife? Er konsumierte regelmäßig bis zu 10 g am Tag, schlief nicht
mehr, ‚weil ich Angst hatte, 1., dass ich sterbe, und 2., dass ich im Schlaf nicht rauchen kann‘.
Wecker sagt vor Gericht: ,Ich habe mich nicht mehr geduscht, weil ich wusste, da drin kann ich
nicht rauchen.‘ Die Folge war die völlige Verwahrlosung, die im Prozess ausführlich (von anderen) beschrieben wird: Schweres Übergewicht, so lange Zehennägel, dass kaum ein Schuh mehr
passt, schlimmste Hautkrätze an den Beinen […] Er sagt, er habe alle Spiegel zugehängt, ,ich
konnte nicht ertragen mich anzusehen‘ […] Nichts war zu hören vom magischen Drogenrausch
und künstlerischen Höhenflügen, dafür aber von Angstzuständen, Nierenversagen und Herzattacken. Seine ehemalige Managerin erzählt, wie paranoid er war, immer von kleinen Zwergen
redete, die er herumlaufen sah. Und sie schildert den Tag, als sie kündigen wollte und er geweint hat und sie bat, dazubleiben […].
Der Staatsanwalt […] wollte wissen, wie er in einem solchen Zustand überhaupt noch Konzerte
geben konnte. Er sei oft während der Vorstellung eingeschlafen, manche Lieder wurden verkürzt, damit er draußen eine Pfeife rauchen konnte, oft habe er den Bühnenausgang nicht mehr
gefunden. Dass er es aber trotzdem irgendwie geschafft hat, liegt wohl in erster Linie daran,
dass Konzerte (mit meist 20 Zugaben) immer sein Leben waren, dass er noch Klavier spielen
kann, wenn er schon so orientierungslos ist, dass er nachts zu Hause die Toilette nicht mehr
findet […]. Die 10 Monate seit der Entlassung aus der U-Haft hatte er genutzt. Tests ergaben, er
sei clean, bei wieder überraschend guter physischer Verfassung besucht er regelmäßig eine Therapie. Psychologische Gutachten stellten ihm eine günstige Prognose, da Todesnähe bei ihm eine
Wende eingeleitet habe. Aus Sicht des Gerichts, hieß es, sei günstig zu werten, wie intensiv er
sich in die Arbeit stürze. Was er schon deshalb besonders intensiv tun muss, weil die Folgen
seiner Sucht rund 2 Mio. Mark Schulden sind […]“ (gekürzt zitiert aus: „Der Fall Wecker: Ein
Musterprozess?“ von Stephan Lebert, Süddeutsche Zeitung vom 28.09.1996).
Andere Stimulanzien
Andere Stimulanzien
Hierzu zählen die synthetisch hergestellten
Amphetamine und amphetaminähnlichen
Substanzen (sog. Weckamine). Vollsynthetisch im Labor hergestellte Drogen werden als
Designerdrogen bezeichnet. Hierzu gehören
auch synthetische Halluzinogene wie z. B.
„Angel’s Dust“ und „Speed“ (Abb. B-14.24).
Es entsteht psychische, keine körperliche Abhängigkeit.
Hierzu zählen die meist illegal in „Waschküchenlabors“ synthetisch hergestellten
Amphetamine und amphetaminähnlichen Substanzen (sogenannte Weckamine). In
Chemielabors vollsynthetisch hergestellte Drogen werden auch als „Designerdrogen“ bezeichnet. Zu den Designerdrogen werden neben den „klassischen“ synthetischen Halluzinogenen (S. 372) LSD und DOM auch Phencyclidin (PCP, „Angel’s
Dust“), Ketamin, Phenyläthylamine wie Amphetamin (Speed) sowie „Designernarkotika und -opiate“ (MPPP, Fentanyl) gezählt (Abb. B-14.24). Zu den Amphetaminlike-Substances (ATS) zählt N-Methyl-Amphetamin („Crystal Meth“).
⊙ B-14.24
a
Veränderung von Orientierung und Wahrnehmung unter Amphetamin (Speed) im Tierversuch
b
a Spinnennetz vor, b unter, c 24 Stunden nach Amphetamingabe.
c
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370
Neue psychoaktive Substanzen (NPS) im Sinne von „Research Chemicals“/„Legal
Highs“ werden neuerdings unter zweckentfremdeten Namen („Badesalze“, „Kräutermischungen“) als Ersatz für illegale Substanzen insbesondere über das Internet
und Headshops vermarktet. Ihre Zusammensetzung ist unklar, rasch veränderbar,
die Folgen entsprechend unvorhersehbar.
Therapeutisch können Psychostimulanzien bei Narkolepsie und ADHS (hyperkinetischen Syndromen, z. B. Methylphenidat) eingesetzt werden, vgl. ADHS (S. 471).
Der Missbrauch von Amphetaminen erfolgt zur Antriebssteigerung („Doping“) im
Sinne einer (vermeintlichen) Leistungssteigerung sowie als „Appetitzügler“ durch
Unterdrückung des Hungergefühls. Die Toleranzzunahme entwickelt sich langsam.
Psychische Symptome sind Unruhe, Nervosität, Enthemmung, Kritiklosigkeit, Euphorie, Ideenflucht, optische und akustische Sinnestäuschungen, paranoide Symptome und Angst. Körperlich kommt es neben der Appetitzügelung zu einem Blutdruckanstieg mit Gefahr des Herz-Kreislauf-Versagens. Nach langfristiger Einnahme
können sich Persönlichkeitsveränderungen, (motorische) Stereotypien und paranoid-halluzinatorische Psychosen manifestieren (s. Tab. B-14.22).
Unter den Designerdrogen ist Ecstasy (XTC) derzeit am weitesten verbreitet
(Abb. B-14.25). Ecstasy ist ein Sammelbegriff für verschiedene Methylendioxymethamphetamine (MDMA), deren Hauptvertreter 3,4-MDMA ist. Die Droge ruft sowohl
eine amphetamintypische Aktivierung als auch eine halluzinogene Wirkung hervor.
Da sie vor allem auf der kommunikativen und emotionalen Ebene wirkt, wird sie zu
den Entaktogenen (lat. Name für Stoffe, die eine Berührung des eigenen Inneren
ermöglichen) gerechnet. Als Massenprodukt der chemischen Industrie (Reinigungsund Lösungsmittel) verfügbar ist GBL (Gamma-Butyro-Lacton), das zu GHB (GammaHydroxy-Buttersäure) verstoffwechselt wird – sog. „Liquid Ecstasy“.
⊙ B-14.25
371
14.3 Drogen-, Medikamenten- und Tabakabhängigkeit
Der Missbrauch von Amphetaminen erfolgt
zur Leistungssteigerung („Doping“) sowie als
„Appetitzügler“. Psychische Symptome sind
Unruhe, Enthemmung, Euphorie, Ideenflucht
sowie paranoide Symptome. Körperlich
kommt es neben der Appetitzügelung zu
einem Blutdruckanstieg (s. Tab. B-14.22).
Unter den Designerdrogen ist Ecstasy (XTC)
derzeit am weitesten verbreitet (Abb. B-14.25).
Hauptvertreter ist 3,4-Methylendioxymethamphetamin (MDMA). Es ruft eine amphetamintypische und halluzinogene Wirkung
hervor.
⊙ B-14.25
Beispiele für Ecstasy-Tabletten
(mit freundlicher Genehmigung des
BKA Wiesbaden)
Gegenüber MDMA entwickeln sich schnell Toleranz und eine ausgeprägte psychische, jedoch keine körperliche Abhängigkeit. Etwa 20–60 Minuten nach Einnahme von 75–150 mg MDMA tritt eine plötzliche Stimmungsaufhellung und Euphorisierung, verbunden mit erhöhter Kontaktbereitschaft, Emotionalität, Stimulation
und verbesserter Introspektion auf. Da MDMA überwiegend als Serotonin-Agonist
und zusätzlich schwach dopaminerg und adrenerg wirksam ist, kommt es nach der
Einnahme zu einer Erschöpfung im Serotonin-System.
Die Hauptgefahr des Missbrauchs liegt bei potenziellen psychiatrischen Komplikationen wie Panik- und Derealisationsstörungen, Depressivität und drogeninduzierten
Psychosen. Körperliche Symptome sind Anstieg von Herzfrequenz und Blutdruck,
auch zerebrale Krampfanfälle sind beschrieben, ein neuro-, nephro- und hepatotoxischer Effekt ist belegt. Bei bisher beschriebenen Todesfällen hatten die Betroffenen
während Technopartys stundenlang getanzt, ohne zu pausieren oder zu trinken. Da
MDMA direkt in die zentrale Temperaturregulation eingreift, können die Überhitzung des Körpers sowie der hohe Flüssigkeitsverlust zu Hyperthermie, Rhabdomyolyse und disseminierter intravasaler Koagulation führen.
Manche Konsumenten mixen eine Tablette Ecstasy „als Basis für das Grundgefühl“
mit „einer Nase“ Speed (klassisches Amphetamin) oder Kokain für den „motorischen
Kick“ sowie einen halben Schnipsel LSD „für die Fantasie“.
Gegenüber MDMA entwickeln sich schnell Toleranz und eine ausgeprägte psychische, jedoch keine körperliche Abhängigkeit.
Neben psychiatrischen Komplikationen wie
Panikstörungen, Depressivität und Psychosen
können somatisch-neurologische Komplikationen wie Hyperthermie und Blutgerinnungsstörungen auftreten.
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B
372
B
14 Abhängigkeit und Sucht
Neuerdings wird „Liquid Ecstasy“ (γ-Hydroxybuttersäure, GHB) als sog. K.o.-Tropfen
für sexuelle Übergriffe eingesetzt (durch unbemerktes Einbringen in Getränke).
▶ Patientensicht. Ecstasy-Rausch:
Ein 20-jähriger Ecstasy-User erzählt von seinem ersten Rausch:
„Mein Hirn schien sich allmählich zu öffnen, ich spürte, wie die ganze Energie vom Kopf durch
den Körper in die Beine strömte und sich dann in den Armen und Fingern sammelte. Ich bekam
panische Angst, fror, und plötzlich lief mit eiskalter Schweiß von der Stirn. Ich hörte auf zu tanzen, weil ich dachte, dass mein Kreislauf zusammenbricht. Ich suchte Halt an der Wand, ein
Freund legte mir den Arm um die Schulter und sagte „Das geht vorüber“, dann gab er mir zu
trinken. Wenig später gab es plötzlich eine Explosion in meinem Kopf, als würde sich ein Vakuum hinter der Stirn mit Leben füllen. Ich fühlte mich an den Energiestrom der Musik und der
Lichtwellen angeschlossen, sie durchströmten meinen ganzen Körper, der sich jetzt innerlich
wohlig und warm anfühlte. Innerhalb kürzester Zeit verlor sich die Schwere in den Armen und
ich malte zum Rhythmus der Musik pantomimische Figuren mit meinen Händen, als würde ich
auf einem Piano spielen. Ich formte meine Hände, als würde ich einen Ball zwischen den Fingern halten – so fing ich die Energieströme ein. Mein Körper bewegte sich automatisch, die
Klänge erreichten mich wie ein Glockenspiel in der sensiblen Nische meines Hirns. Im Kopf öffneten sich die Schleusen einer hinteren Kammer, deren Türen im Zustand der Nüchternheit verschlossen scheinen.“
Halluzinogene
Halluzinogene
Typisch sind optische Halluzinationen und
Wahrnehmungsverzerrungen, hervorgerufen durch z. B. LSD, Mescalin, Psilocybin, DOM
sowie Phencyclidin (PCP, „Angel’s Dust“). Zu
den phenycyclidinähnlichen Substanzen zählt
das Narkotikum Ketamin.
Als Halluzinogene werden Substanzen bezeichnet, die lebhafte Wahrnehmungsstörungen unterschiedlicher Art hervorrufen. Hierzu gehören LSD (Lysergsäurediäthylamid), Mescalin, Psilocybin, DOM (Dimethoxymethylamphetamin) sowie Phencyclidin (PCP, „Angel’s Dust“ ), das chemisch den Amphetaminen ähnelt. Die Substanzen sind teils pflanzlichen (Pilze, Kakteen, sog. biogene Suchtmittel), teils synthetischen Ursprungs. Zu den phencyclidinähnlichen Substanzen zählt auch das
Narkotikum Ketamin. Es handelt sich hierbei um eine heterogene Gruppe von Substanzen, die auch unter dem Begriff Psychotomimetika oder psychedelische Drogen
zusammengefasst werden.
Es besteht eine unterschiedlich stark ausgebildete psychische Abhängigkeit, eine
physische Abhängigkeit fehlt. Insbesondere gegenüber LSD entwickelt sich schnell
ein hoher Grad von Toleranz.
Der Halluzinogenrausch äußert sich in ekstatischer Gefühlsintensivierung, psychedelischen Effekten, optischen (Pseudo-)Halluzinationen, Depersonalisation, Ideenflucht, starker Affektlabilität und in Omnipotenzgefühlen. Neben Wahrnehmungsverzerrungen, Verkennungen und Halluzinationen finden sich vor allem Veränderungen des Ich-Erlebens, Körpergefühls und Raum-Zeit-Erlebens. Das Bild wird hierbei entscheidend durch die psychische Ausgangsverfassung des Konsumenten
geprägt. Die durch diese Substanzen hervorgerufenen psychopathologischen Syndrome werden auch als „Modellpsychose“ bezeichnet. Körperlich kommt es zum Anstieg von Herzfrequenz und Blutdruck, Hyperreflexie und Mydriasis, zum Teil tritt
auch Übelkeit auf.
Typischerweise werden 4 Phasen unterschieden:
■ Initialstadium mit innerer Unruhe, Tachykardie und Schwindel
■ Rauschphase mit psychedelischen Effekten und Veränderungen der Orientierung
und Wahrnehmung (z. B. Gefühl, fliegen zu können)
■ Erholungsphase
■ Nachwirkungsphase mit Erschöpfung, Angst und depressiver Verstimmung.
Relativ häufig kommt es zu einem atypischen Verlauf. Beim sogenannten Horrortrip
treten panische paranoide Angst und deutliche Wahrnehmungsstörungen auf.
Flashbacks (Echopsychosen, Nachhallpsychosen) treten mit unterschiedlicher Latenz spontan nach der letzten Halluzinogeneinnahme in Form eines Wiederaufflackerns früherer drogeninduzierter Erlebnisse auf.
Im Trend sind sog. „Naturdrogen“ – hierzu zählen Tollkirsche, Stechapfel, Kakteen.
Aztekensalbei („Hexenkräuter“) und die als Garten- und Zierpflanze verbreitete Engelstrompete. (Abb. B-14.26). Sie enthält vor allem die halluzinogen wirksamen Alkaloide Scopolamin und Atropin. 30–60 Minuten nach Einnahme treten typische
Symptome einer Atropin-Vergiftung auf (Mydriasis, Desorientiertheit, Halluzinationen, evtl. Delir).
Es besteht eine unterschiedlich starke psychische, aber keine physische Abhängigkeit.
Der Halluzinogenrausch äußert sich in Gefühlsintensivierung, psychedelischen Effekten,
optischen Halluzinationen, Ideenflucht und
Veränderungen des Ich-Erlebens, Körpergefühls und Raum-Zeit-Erlebens. Das Bild wird
entscheidend durch die psychische Ausgangsverfassung des Konsumenten geprägt. Anstieg von Herzfrequenz und RR, Hyperreflexie,
Mydriasis sind körperliche Symptome.
Phasen des Rauschverlaufs:
Initialstadium
■ Rauschphase
■ Erholungsphase
■ Nachwirkungsphase.
■
Relativ häufig kommt es zu einem atypischen
Rauschverlauf mit Horrortrip und Flashbacks
(Echopsychosen).
Modetrend ist der Gebrauch von „Naturdrogen“. So wird die Garten- und Zierpflanze Engelstrompete auch als halluzinogene Droge
verwendet (Abb. B-14.26).
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▶ Patientensicht.
B
⊙ B-14.26
373
14.3 Drogen-, Medikamenten- und Tabakabhängigkeit
⊙ B-14.26
Engelstrompete
30–60 Minuten nach Einnahme treten typische
Symptome einer AtropinVergiftung auf (Mydriasis,
Desorientiertheit u. a.).
(© wira91/Fotolia.com)
▶ Patientensicht.
Tabak
Tabak
Etwa 30–50 % der Raucher weisen ein klinisch bedeutsames Abhängigkeitssyndrom
auf. Zeichen der Abhängigkeit entwickeln sich schon binnen 2 Jahren nach Konsumbeginn. Tabakabhängigkeit ist die häufigste Komorbidität zu anderen psychischen
Erkrankungen (Schizophrenie, Alkohol- und Drogenabhängigkeit). Raucher erleben
den Tabakkonsum subjektiv als stressmindernd, objektive Untersuchungen zeigen
ein erhöhtes Stressniveau (Kortisolerhöhung, Pulsbeschleunigung etc.). Raucherschäden entstehen durch Nikotin, polyzyklische aromatische Kohlenstoffe, Nitrosamine u. a. Inhaltsstoffe. Tabakbezogene Symptome umfassen Raucherhusten, pulmonale Symptome und Infektanfälligkeit. Zu den Entzugssymptomen gehören Dysphorie, Reizbarkeit, Unruhe, Schlafstörungen, Appetitsteigerung und Rauchverlangen (craving).
Etwa 50 % der Raucher sind abhängig. Tabakabhängigkeit ist die häufigste Komorbidität
zu anderen psychischen Erkrankungen. Tabakbezogene Symptome sind Raucherhusten, pulmonale Symptome und Infektanfälligkeit. Zu den Entzugssymptomen gehören
Dysphorie, Reizbarkeit, Unruhe, Schlafstörungen, Appetitsteigerung und Rauchverlangen
(craving).
Lösungsmittel (Inhalanzien, „Schnüffelsucht“)
Lösungsmittel (Inhalanzien,
„Schnüffelsucht“)
Rauschzustand durch Inhalation von Klebstoffen, Klebstoff- und Nitroverdünnern, Aceton
sowie Lacken. Betroffen sind meist Jugendliche. Es entsteht eine ausgeprägte psychische, jedoch keine physische Abhängigkeit.
Nach kurzem Erregungsstadium mit Reizung
der oberen Atemwege tritt ein traumähnlicher Zustand mit Euphorie auf. Es kann zu
deliranten Syndromen kommen.
Um einen Rauschzustand zu erzeugen, inhalieren vorwiegend ältere Kinder und Jugendliche Klebstoffe, Klebstoffverdünner, Aceton, Äther, Lacke und Nitroverdünner.
So wird z. B. Pattex in einem Plastikbeutel ausgestrichen und dann inhaliert. Charakteristisch ist der aromatische Geruch des Lösungsmittels in Atemluft und Kleidung.
Es entwickelt sich eine ausgeprägte psychische, jedoch keine physische Abhängigkeit.
Die Wirkungen ähneln der einer Inhalationsnarkose: Nach einem kurzen Erregungsstadium mit Reizung der obere Atemwege tritt ein traumartiger Zustand bis zur Bewusstseinstrübung auf. Neben Euphorie und Entspannung kommt es im akuten
Rausch zu deliranten Syndromen mit Desorientiertheit und optischen Halluzinationen.
Zu den körperlichen Symptomen gehören Übelkeit, Ataxie, Dysarthrie, Nystagmus,
Mydriasis und konjunktivale Injektion. Als gravierende Komplikationen können
Herzrhythmusstörungen, Polyneuropathien, Leber- und Nierenschäden sowie Bronchopneumonien auftreten.
Butan-Sniffer stecken den Nippel einer Feuerzeug-Nachfülltube zwischen die Zähne,
auf Druck schießen dann die Schwaden in die Mundhöhle. Neben Euphorie treten
Verwirrtheit und Halluzinationen auf. Da das Gas eine Temperatur von ca. –20 °C
hat, können ein „Gefrierbrand“ der Atemwege oder ein reflektorischer Herzstillstand auftreten.
Als Komplikationen können Herzrhythmusstörungen, Polyneuropathien, Leber- und Nierenschäden sowie Bronchopneumonien auftreten.
Butan-Sniffer schießen sich mit Druck Feuerzeuggas in die Mundhöhle. Neben Euphorie
treten Verwirrtheit und Halluzinationen auf.
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▶ Patientensicht. LSD-Trip
Ein 20-Jähriger schildert seinen LSD-Trip:
„Nach wenigen Minuten überkam mich ein starkes Schwindelgefühl, mein Herz fing an wie rasend zu schlagen. Plötzlich begannen sich die Wände und die Zimmerdecke zu bewegen und
laut zusammenzuschlagen. Die harmlosesten Gegenstände nahmen etwas Drohendes und Erdrückendes an, aus dem Bilderrahmen starrten mich böse Fratzen an. Als ich mich im Schlafzimmerspiegel sah, erschrak ich: Mein Gesicht war vollkommen entstellt, die Pupillen so groß
wie die ganzen Augen, Lippen dick geschwollen, das Gesicht kreideweiß mit hochroten Backen.
Schließlich hatte ich das Gefühl zu schweben, das Fenster zog mich magisch an, mich drängte
es, wie eine Fledermaus über den Dächern der Stadt zu schweben. Ein Rausch von Musik aus
anderen Sphären und bunte Farbvisionen umgaben mich […]“
374
B
Multipler Substanzgebrauch
Multipler Substanzgebrauch
▶ Synonym.
▶ Synonym. Polyvalente Sucht, Polytoxikomanie.
Ein hoher Prozentsatz der Drogenabhängigen konsumiert zusätzlich z. B. Alkohol
und Medikamente (sog. „Beigebrauch“) als Ersatzstoffe gegen Entzugssymptome,
oder um drogeninduzierte Befindlichkeitsstörungen wie Sedierung oder Schlafstörungen zu lindern. Hierbei dominieren vor allem Benzodiazepine (Flunitrazepam,
Diazepam) und Kodein-Zubereitungen. Durch diese Mehrfachabhängigkeit wird die
Diagnostik und Behandlung erheblich kompliziert (Tab. B-14.13).
Viele Drogenabhängige weisen eine Mehrfachabhängigkeit auf und konsumieren zusätzlich z. B. Alkohol und Medikamente (v. a.
Benzodiazepine, Kodein-Zubereitungen) als
Ersatzstoffe gegen Entzugssymptomatik oder
Befindlichkeitsstörungen (Tab. B-14.13).
Verschiedene Substanzklassen und deren Abhängigkeitsprofil
Abhängigkeit
Missbrauch
Intoxikation
Entzugssyndrom
Alkohol
X
X
X
X
Entzugsdelir
X
Amphetamine
X
X
X
X
–
–
Cannabis
X
X
X
(X)
Halluzinogene
X
X
X
–
–
Inhalanzien
X
X
X
–
X
Koffein
–
–
X
–
–
Kokain
X
X
X
X
–
Nikotin
X
–
–
X
–
Opiate
X
X
X
X
–
Phencyclidine
X
X
X
–
–
Sedativa, Hypnotika oder Anxiolytika
X
X
X
X
X
14.3.3 Diagnostik und Differenzialdiagnose
Diagnostik: Es gelten die in Tab. B-14.3 zusammengefassten Kriterien. Daneben können
auch „Indizien“ wie z. B. Einstichmarken oder
ein positiver Urintest Hinweise auf eine Drogensucht liefern. Hauptziel ist die Früherkennung drogenabhängiger Patienten
(Tab. B-14.14, Tab. B-14.15).
Bei der klinischen Untersuchung fallen meist
pathologische Laborwerte und ein positiver
Drogennachweis im Urin auf. Medikamentenabhängige klagen häufig über chronische
Schlaflosigkeit, Schmerzen und „Nervosität“.
≡ B-14.14
14.3.3 Diagnostik und Differenzialdiagnose
Diagnostik: Für die Diagnose einer Abhängigkeit von psychoaktiven Substanzen gelten die bereits genannten Kriterien (s. Tab. B-14.3). Neben diesen klassischen Zeichen von Toleranzentwicklung und körperlicher Abhängigkeit können auch „Indizien“ wie z. B. Einstichmarken oder ein positiver Urintest sowie Hinweise auf unkontrollierten Gebrauch, ausgeprägte Interessenausrichtung auf die Droge und Vernachlässigung von Verpflichtungen und Tätigkeiten diagnostische Hinweise liefern
(Tab. B-14.14, Tab. B-14.15). Hauptziel ist die Früherkennung drogenabhängiger Patienten. Aus diesem Grund muss der Arzt Kenntnis von den zu beachtenden Warnzeichen, Geschick in der Anamneseerhebungstechnik und eine entsprechende Sensibilität besitzen, um Verhaltensmuster wie Dissimulation, Manipulation, Verleugnung und Täuschung zu erkennen.
Bei der klinischen Untersuchung fallen unter Umständen neben pathologischen Laborwerten (z. B. γ-GT, Transaminasen, Elektrolyte) ein positiver Drogennachweis im
Urin, Hyperthermie und Exsikkose oder ein blass-fahles Hautkolorit mit bräunlicher
Pigmentierung auf. Besonders bei Medikamentenabusus klagen die Patienten über
chronische Schlaflosigkeit und/oder Schmerzen und verlangen (steigende Dosen)
von „ihrem“ Präparat (Wunschverordnung).
Hinweise auf Drogeneinnahme
psychisch
somatisch
■
Rausch/Benommenheit
■
Einstichstellen
■
passagere Verwirrtheit
■
Spritzenabszesse
■
erhöhtes Schlafbedürfnis
■
■
Leistungsabfall
■
■
Affektlabilität
■
Nervosität, Reizbarkeit
sozial
Nachweismethoden
■
Verhaltensänderungen („DrogenJargon“, Ideologie)
■
Drogen-Screening (im
Urin)
Ataxie
■
Interesseneinengung
■
Haaranalyse
enge/weite Pupillen
■
Vernachlässigung der Körperpflege
■
Pupillometrie
■
Appetitlosigkeit
■
Kriminalität
■
Hyperthermie, Exsikkose
■
Prostitution
■
blass-fahles Hautkolorit
■
Outfit, Szenenmode
■
Voralterung
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≡ B-14.13
14 Abhängigkeit und Sucht
≡ B-14.15
Hinweise auf Patienten mit Abususrisiko/Abhängigkeitsproblematik
■
häufiger Arztwechsel bzw. Parallelkonsultationen
■
„Wunschverschreibungen“, „Beigebrauch“
■
regelmäßige Einnahme frei verkäuflicher Medikamente
■
geringe Frustrationstoleranz, Ich-Labilität
■
abnehmende Leistung, Fehlzeiten, Unfälle
■
Optimierung gestörter Befindlichkeit
■
Konsummuster (z. B. morgendliches Rauchen)
■
Dosissteigerung
■
somatische Folgeerkrankungen
■
Entzugserscheinungen
Durch eine Blutentnahme kann zudem der Serumspiegel verschiedener Substanzen
bestimmt werden (Drogen-Screening). Auch im Urin lassen sich verschiedene psychotrope Substanzen nachweisen (z. B. Opiate, THC, Kokain, LSD, Amphetamine).
Die Haaranalyse lässt eine Aussage über einen Konsum noch nach mehreren Wochen oder Monaten zu.
Zur Diagnostik der Nikotin-/Tabakabhängigkeit hat sich der Fagerström-Test etabliert (Tab. B-14.16). Die Messung von CO in der Ausatemluft dient der Objektivierung des Rauchverhaltens (> 10 ppM mehr als 10 Zigaretten). Im Blut sind (hohe)
Spiegel des Nikotin-Hauptabbauproduktes Cotinin nachweisbar.
≡ B-14.16
375
14.3 Drogen-, Medikamenten- und Tabakabhängigkeit
3
2
1
0
Punkte
Punkte
Punkt
Punkte
2. Finden Sie es schwierig, an Orten, wo das Rauchen verboten ist,
das Rauchen sein zu lassen?
ja
nein
1 Punkt
0 Punkte
3. Auf welche Zigarette würden Sie nicht verzichten wollen?
die 1. am Morgen
andere
1 Punkt
0 Punkte
4. Wie viele Zigaretten rauchen Sie im Allgemeinen pro Tag?
bis 10
11–20
21–30
mehr als 30
0
1
2
3
Punkte
Punkt
Punkte
Punkte
5. Rauchen Sie in den ersten Stunden nach dem Aufwachen
mehr als am Rest des Tages?
ja
nein
1 Punkt
0 Punkte
6. Kommt es vor, dass Sie rauchen, wenn Sie krank sind und
tagsüber im Bett bleiben müssen?
ja
nein
1 Punkt
0 Punkte
Summe:
__Punkte
Auswertung:
0–2 Punkte: geringe Abhängigkeit
3–5 Punkte: mittelstarke Abhängigkeit (< 20 Zigaretten/d)
6–7 Punkte: starke Abhängigkeit
8–10 Punkte: sehr starke Abhängigkeit (> 30 Zigaretten/d)
Durch Blutentnahme und Urinkontrollen ist
der Nachweis verschiedener Substanzen möglich.
Zur Diagnostik der Nikotin-/Tabakabhängigkeit hat sich der Fagerström-Test etabliert
(Tab. B-14.16).
≡ B-14.16
Fagerström-Test für Nikotinabhängigkeit (FTND)
1. Wann nach dem Aufwachen rauchen Sie Ihre erste Zigarette?
innerhalb von 5 min
innerhalb von 6–30 min
innerhalb von 31–60 min
nach 60 min
≡ B-14.15
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B
376
B
Differenzialdiagnose: Anhand der klinischen Hauptwirkung sowie der Befunde des
Drogen-Screenings muss zunächst eine Zuordnung zu dem oder den konsumierten
Suchtstoffen erfolgen (Tab. B-14.17).
Differenzialdiagnostisch kommen vor allem (drogeninduzierte) Psychosen aus dem
schizophrenen Formenkreis infrage (gleiche Altersgruppe, paranoid-halluzinatorische Symptomatik). Auch Erkrankungen aus dem affektiven Formenkreis (z. B. Manie) und körperliche Erkrankungen müssen ausgeschlossen werden.
Differenzialdiagnose: Primär Zuordnung des
konsumierten Stoffs (Tab. B-14.17).
Differenzialdiagnostisch kommen Psychosen
aus dem schizophrenen Formenkreis infrage, aber auch affektive Störungen (z. B. Manie).
Übersicht über die Wirkungen von Drogen
eher beruhigend
eher anregend
halluzinogen
euphorisierend
Alkohol
X
–
–
X
Tranquilizer
X
–
–
X
Opiate
X
–
–
X
Cannabis (Haschisch, Marihuana)
X
–
X
–
Amphetamine
–
X
–
X
Kokain
–
X
–
X
LSD
–
X
X
–
organische Lösungsmittel
–
–
X
X
14.3.4 Therapie
14.3.4 Therapie
Die Behandlungskonzepte umfassen die medikamentöse Therapie, Psychotherapie, Soziotherapie und Selbsthilfegruppen (z. B. Anonyme Alkoholiker). Allgemeine Behandlungsprinzipien sind in Tab. B-14.18 aufgeführt.
Die Behandlungskonzepte umfassen die
■ medikamentöse Therapie (akut: Entgiftung; pharmakogestützte Rückfallprophylaxe)
■ Psychotherapie (Verhaltenstherapie, psychodynamische Therapie, Gruppen- und
Familientherapie)
■ Soziotherapie
■ Selbsthilfegruppen (z. B. Anonyme Alkoholiker).
Zu den allgemeinen Behandlungsprinzipien zählen die in Tab. B-14.18 aufgeführten
Regeln.
≡ B-14.18
≡ B-14.18
Allgemeine Behandlungsprinzipien bei Drogenabhängigkeit
■
„Talking down“
■
keine Appelle an Vernunft, Wille oder abschreckende Hinweise!
■
nicht „Du darfst nicht“, sondern „Du brauchst nicht“!
■
engmaschige Zusammenarbeit mit Drogenberatungsstellen und Selbsthilfegruppen
■
keine Verordnung von „Überbrückungsmitteln“! (Therapiemotivation → Polytoxikomanie)
■
kritische, begrenzte, persönliche Rezeptur von Analgetika/Psychopharmaka
■
abrupter Entzug, außer bei Opiaten, Barbituraten, Tranquilizern
Die Zielhierarchie für die Suchtbehandlung ist in Abb. B-14.27 wiedergegeben.
Zielhierarchie der Suchtbehandlung
s. Abb. B-14.27.
Behandlung der Opiatabhängigkeit: Bei Intoxikation wird Naloxon als Antidot eingesetzt (Tab. B-14.19).
Behandlung der Opiatabhängigkeit: Bei Opiatintoxikation wird als Antidot Naloxon
verabreicht, dessen Wirkung nach i. v. Gabe schnell einsetzt (Tab. B-14.19).
▶ Merke.
▶ Merke. Die Halbwertszeit von Naloxon ist mit ca. 60 min kürzer als die des Mor-
phins (2,5 h). Daher ist eine weitere stationäre Kontrolle erforderlich.
≡ B-14.19
Drogenabhängigkeit vom Opiattyp
Intoxikation
Symptome:
u. a.
■ Miosis
■
Koma
■
Atemdepression
Entzug
Therapie:
Naloxon
(0,4 mg i. v.)
Symptome:
■ Beginn 4–12 h nach letzter Einnahme, maximal 2.–4. Tag
■
„Opiathunger“, Unruhe, dysphorische Verstimmung, Angst,
Gähnen, Schwitzen, Gänsehaut, Anorexie, Tränenfluss, evtl.
Entzugsdelir
■
Muskelschmerzen, Mydriasis, ↑ RR, ↑ Puls,
↑ Temperatur, evtl. protrahiertes Abstinenzsyndrom:
■
Schlafstörung, ↑ RR, ↑ Puls; Miosis, Apathie,
↑ Temperatur
Therapie:
■ Clonidin 0,3–2,4 mg/d
■
Antidepressiva z. B. Doxepin
3 × 25 mg (i. m.)
■
Buprenorphin 2–4 mg/d
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≡ B-14.17
14 Abhängigkeit und Sucht
B
⊙ B-14.27
377
14.3 Drogen-, Medikamenten- und Tabakabhängigkeit
Allgemeine Therapieprinzipien bei Drogenabhängigkeit
Drogenabhängiger
Selbstentzug
Lebensgestaltung in
Zufriedenheit
nicht suchtspezifische
SuchtBetreuungsstelle
beratungsstelle
(z.B. Gesundheitsamt)
Hausarzt
Nervenarzt/
Psychiater
dauerhafte Abstinenz
Entgiftung (Entzug)
(mit/ohne medikamentöse Unterstützung)
Verlängerung
der Suchtstoff-freien Perioden
Entwöhnung
Rehabilitation/Nachsorge
Sicherung
des möglichst gesunden Überlebens
Selbsthilfegruppe
(betreutes) Wohnen
(beschützter) Arbeitsplatz
Sicherung des Überlebens
Hausarzt/Psychiater
(evtl. Substitutionsprogramm)
a
b
a Therapiekette. b Zielhierarchie für die Suchtbehandlung.
Der Opiatentzug sollte am besten mit viel Zuwendung ohne medikamentöse Unterstützung durchgeführt werden („kalter Entzug“). Eventuell kann eine unterstützende Gabe von Antipsychotika (sedierende und antiemetische Wirkung) bei Auftreten
von Übelkeit und Erbrechen indiziert sein. Bewährt hat sich zudem Clonidin, welches das während des Entzugs freigesetzte Noradrenalin blockiert (Wirkung auf αadrenerge Rezeptoren) und die vegetative Entzugssymptomatik deutlich mildern
kann.
Lange Zeit galt der kalte Entzug als oberste Therapiemaxime. Um insbesondere nur
schwer zum Entzug motivierbare langjährige Drogenabhängige erreichen zu können, werden auch opioidgestützte Entzugsprogramme, z. B. mit Methadon, angeboten („warmer Entzug“).
Der Opiatentzug sollte am besten mit viel
Zuwendung ohne medikamentöse Unterstützung („kalter Entzug“), evtl. mit Antipsychotika (antiemetisch, sedierend), Clonidin oder
methadongestützt („warmer Entzug“)
durchgeführt werden.
Behandlung der Abhängigkeit von Sedativa oder Hypnotika: Siehe Tab. B-14.20.
Behandlung der Sedativa-Abhängigkeit:
Siehe Tab. B-14.20.
▶ Merke. Benzodiazepine müssen bei längerem Konsum bzw. Missbrauch, vor al-
▶ Merke.
lem aber bei Hochdosisabhängigkeit, langsam über Wochen bzw. Monate abgesetzt
werden. Eventuell kann adjuvant ein sedierendes Antidepressivum (z. B. Doxepin,
Trimipramin) gegeben werden.
≡ B-14.20
Abhängigkeit von Sedativa
Intoxikation
Symptome:
leichte Exzitation
Entzug
■
Somnolenz bis Koma
Therapie:
■ evtl. Haloperidol und
Diazepam
■
Atemdepression
■
■
bei BZD: Flumazenil
(BZD-Antagonist)
Symptome:
■ Unruhe, Schwitzen, Tremor
■
Gliederschmerzen
Therapie:
■ benutztes Mittel langsam
ausschleichen
■
Entzugsdelirien/-anfälle
■
■
evtl. Psychosen
bei Benzodiazepinen zudem:
■
Perzeptionsstörungen
■
dysphorischer Verstimmungszustand
(oft Wochen andauernd)
evtl. Diazepam, Doxepin
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Reduzierung des Konsums
und der Exzesse
378
B
Behandlung der Kokain-Abhängigkeit: Siehe Tab. B-14.21.
Behandlung der Kokain-Abhängigkeit: Siehe Tab. B-14.21.
≡ B-14.21
14 Abhängigkeit und Sucht
Abhängigkeit von Kokain
Intoxikation
Entzug
Symptome:
■ Erregungs- oder Dämmerzustand
Therapie:
Diazepam
Symptome:
■ kein typisches Entzugssyndrom
■
Kokain-Schock*
■
Therapie:
evtl. Antidepressiva (z. B. Doxeevtl. schwere Depression mit Suizidgefahr pin)
■
delirantes Syndrom
■
Dysphorie
■
Mydriasis, Hyperthermie, Tachyarrhythmie
■
Erschöpfung
* akut lebensbedrohliche Komplikation mit RR-Abfall, zerebralen Krampfanfällen, Koma
Behandlung der Amphetamin-Abhängigkeit: Siehe Tab. B-14.22.
Abhängigkeit von Stimulanzien
Intoxikation
Symptome:
Mydriasis
■
Entzug
Therapie:
evtl. Haloperidol und
Diazepam
Symptome:
kein typisches Entzugssyndrom
■ extreme Müdigkeit oder Schlaflosigkeit/ Unruhe
■
Erregung
■
Hyperthermie
■
Schmerzen
■
Bluthochdruckkrise
■
Heißhunger
■
Erschöpfungsdepression mit Suizidalität
Therapie:
evtl. Antidepressiva (z. B. Doxepin,
Amitriptylin)
Ecstasy-Intoxikationen werden mit äußerer
Abkühlung, Flüssigkeitszufuhr, Diazepam sowie ggf. Antihypertonika und Haloperidol behandelt.
Ecstasy-Intoxikationen werden mit äußerer Abkühlung, Flüssigkeitszufuhr (Elektrolyte, Glukose), Dantrolen, Benzodiazepinen (10 mg Diazepam i. v., ggf. repetitiv),
eventuell Antihypertonika und bei psychotischer Symptomatik mit Haloperidol
(5 mg) behandelt.
Behandlung sonstiger Abhängigkeiten: Verhaltenstherapie bei Cannabis-Abhängigkeit.
Bei massiver Unruhe und zerebralen Krampfanfällen erfolgt die Gabe von Diazepam.
Behandlung sonstiger Abhängigkeiten: Bei Cannabis-Abhängigkeit werden motivationsverstärkende und verhaltenstherapeutische Techniken eingesetzt. Zu beachten
sind behandlungsbedürftige Begleiterkrankungen wie Angststörung, Depression und
Persönlichkeitsstörung. Bei massiver Unruhe und zerebralen Krampfanfällen kann
die Gabe von Diazepam erforderlich sein. Es tritt kein typisches Entzugssyndrom auf.
Ausgeprägte LSD-Trips bzw. Intoxikationen mit Halluzinogenen können die Gabe
von Haloperidol und/oder Diazepam erforderlich machen. Ein spezifisch zu behandelndes typisches Entzugssyndrom tritt nicht auf. Engelstrompeten-(Atropin-)Vergiftungen werden mit Physostigmin behandelt.
Nach Missbrauch flüchtiger Lösungsmittel (Schnüffelsucht) stehen Kreislaufstützung sowie die Gabe von Diazepam im Vordergrund. Adrenalin-Derivate dürfen wegen der Gefahr des Kammerflimmerns nicht appliziert werden. Es tritt kein typisches Entzugssyndrom auf.
Bei der Behandlung der Nikotinabhängigkeit (Raucherentwöhnung) hat sich die
Kombination aus Pharmakotherapie und Psychotherapie (Gruppentherapie) am
besten bewährt: Zuerst erfolgt die Einstellung des Rauchens (publik gemachter Tag
für den Rauchstopp, Beseitigung von Rauchutensilien, Vermeidung typischer Rauchsituationen, Belohnung z. B. durch „Urlaubskasse“, Aufbau alternativer Verhaltensweisen) unterstützt durch motivierende Beratung (Psychoedukation) und Teilnahme an einer primär verhaltenstherapeutisch orientierten Raucherentwöhnungsgruppe (evtl. auch mittels internetbasiertem Programm) mit dem Ziel der Verhaltensänderung. Studien belegen für Medikamente eine 2- bis 3-fach erhöhte
Wahrscheinlichkeit eines Rauchstopps. Eingesetzt werden die Nikotinersatztherapie
(Pflaster, Kaugummi, Nasalspray, Inhaler, Lutschtabletten) für ca. 8–12 Wochen, Bupropion und Vareniclin. Letzteres zeigt die höchste Wirksamkeit, ist aber nebenwirkungsbelastet (kardiovaskuläre Ereignisse, Depressionen).
Wie bereits ausgeführt, besteht der Schwerpunkt der Therapie der Drogenabhängigkeit in der psychosozial-psychotherapeutisch orientierten Entwöhnungsbehandlung. Diese erfolgt in speziellen Einrichtungen und Fachkliniken (ca. 4 000 Therapieplätze) und vermehrt auch ambulant. Hauptprobleme sind das Erreichen einer Therapiemotivation, Vermeidung von Behandlungsabbrüchen und Bereitstellung ausreichender Therapieplätze.
Bei Intoxikationen mit Halluzinogenen Behandlung mit Haloperidol und/oder Diazepam. Bei Engelstrompeten-Intoxikation:
Gabe von Physostigmin.
Bei flüchtigen Lösungsmitteln (Schnüffelsucht) stehen Kreislaufstützung und die Gabe
von Diazepam im Vordergrund.
Bei der Behandlung der Nikotinabhängigkeit
(Raucherentwöhnung) hat sich die Kombination Pharmakotherapie (Nikotinersatzpräparate, Vareniclin, Bupropion) mit Psychotherapie (Gruppentherapie) am besten bewährt.
Der Schwerpunkt der Therapie der Drogenabhängigkeit liegt in der psychosozial-psychotherapeutisch orientierten Entwöhnungsbehandlung.
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≡ B-14.22
Behandlung der Amphetamin-Abhängigkeit: Siehe Tab. B-14.22.
379
14.3 Drogen-, Medikamenten- und Tabakabhängigkeit
Seit einigen Jahren hat sich die Substitutionsbehandlung etabliert. Diese ist in der
Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMVV) und in der Richtlinie zur substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger geregelt und dann indiziert,
wenn die Opiatabhängigkeit seit mehr als 2 Jahren besteht, Abstinenzversuche unter ärztlicher Kontrolle keinen Erfolg erbracht haben und/oder eine drogenfreie Therapie derzeit nicht durchgeführt werden kann. Auch Schwangerschaft ist eine Indikation. Ziel ist die Überleitung des abhängigen illegalen Konsums in eine ärztlich
kontrollierte Abhängigkeit. Durch die Opioidgabe werden Entzugsbeschwerden und
das Craving unterdrückt. Als Substanzen zulässig sind Methadon, Levomethadon
und Buprenorphin sowie neuerdings Morphin retard. Das Razemat D-L-Methadon
wird als Trinklösung oder als Fertigarzneimittel (in Flüssigkeit gelöste Tabletten) in
einer Initialdosis von 30–40 mg/d (empfohlene Zieldosis 80–120 mg/d) verordnet.
Das interaktions- und nebenwirkungsärmere Levomethadon liegt als Fertigtropfen
vor; für die „Take-Home-Verordnung“ muss die Lösung in eine nicht injizierbare
Form überführt werden (Zusatz in Apotheke). Die Dosierung beträgt 25–50 mg/d
(Relation zu Methadon 1 : 2).
Buprenorphin wird als Sublingualtabletten verabreicht. Die Initialdosis beträgt 2–
4 mg, die maximale tägliche Dosierung 24 mg (entsprechend 3 Sublingualtabletten à
8 mg). Als Kombinationspräparat von Buprenorphin und Naloxon ist Suboxone im
Handel. Durch diese Kombination soll das Risiko des Missbrauchs von Buprenorphin
gesenkt werden. Aktuell wird in einigen Bundesländern ein gefördertes Heroinmodellprojekt (Diamorphinbehandlung) durchgeführt.
Morphin retard (Substitol®) wird täglich bis zu 1200 mg dosiert, die Abbruchrate
(Haltequote) soll geringer als unter anderen Substitutionsmitteln sein. Bislang gibt
es keine Hinweise für Toleranzentwicklung.
Substituierende Ärzte müssen nach der Fachkunde „suchtmedizinische Grundversorgung“ qualifiziert sein, an die Dokumentation und die Qualitätssicherung werden besondere Anforderungen gestellt (u. a. Meldung an ein Zentralregister, Einnahme unter Aufsicht, Überwachung des Beigebrauchs). Von der substitutionsgestützten Behandlung erhofft man sich vor allem einen Rückgang von Beschaffungskriminalität, Prostitution, HIV-Infektionen sowie eine beruflich-soziale Reintegration der
Betroffenen.
Obligater Teil einer lege artis durchgeführten Opiatsubstitution ist die psychosoziale
Betreuung bzw. psychotherapeutische Mitbehandlung. Etwa 78 000 Drogenabhängige – also ca. jeder Zweite – sind derzeit in Substitutionsprogrammen.
▶ Informationen zur Evidenz. Drogen-, Medikamenten- und Tabakabhängigkeit
Bei Cannabis-Abhängigkeit Erwachsener sind motivationsverstärkende und kognitiv-verhaltenstherapeutische Kurzinterventionen und Beratungsarbeit (Case-Management) wirksam (Evidenzgrad Ib). Buprenorphin ist bei Opiatentzug wirksam (Evidenzgrad Ib), bei Heroinabhängigkeit ist die (Levo-)Methadon-Substitution effektiv (Evidenzgrad Ia). Abhängigkeit von Kokain
und anderen Psychostimulanzien kann erfolgreich mit Verhaltenstherapie, Familientherapie
und einigen Antidepressiva behandelt werden (Evidenzgrad II). In der Entwöhnungstherapie
der Tabakabhängigkeit sind Nikotinersatztherapie, Bupropion und Vareniclin Plazebo signifikant überlegen, Beratungsprogramme sind ebenfalls effektiv (Evidenzgrad I b).
Die Substitutionsbehandlung unterliegt
einer strengen Indikationsstellung. Substitutionsmittel sind Methadon, Levomethadon
und Buprenorphin. Seit Neuestem ist ein
Kombinationspräparat von Buprenorphin
und Naloxon im Handel.
Substitutionsbehandlung erfordert die
Fachkunde „suchtmedizinische Grundversorgung“ und eine strenge Dokumentation
und Durchführung. Erhofft werden der Rückgang von Beschaffungskriminalität, Prostitution und HIV-Infektionen sowie eine beruflichsoziale Reintegration.
Die psychosoziale Betreuung ist obligat.
▶ Informationen zur Evidenz.
14.3.5 Verlauf
14.3.5 Verlauf
Je nach vorliegendem Abhängigkeitstyp sind Verlauf und Prognose unterschiedlich.
So schaffen z. B. weniger als 10 % der Opiatabhängigen den „Selbstentzug“. Besonders ungünstig ist die Prognose beim Opiat-, Halluzinogen- und Amphetamin-Typ.
Studienergebnisse deuten darauf hin, dass zwischen 30 und 50 % der Patienten im 1.
Jahr nach Abschluss der Behandlung abstinent bleiben konnten. Eine deutsche prospektive Längsschnittstudie von über 300 Drogenabhängigen ergab, dass nach
4 Jahren 45 % weiterhin bzw. erneut drogenabhängig, inhaftiert, in stationärer Behandlung oder bereits verstorben waren.
Die Drogenabstinenzraten nach Entwöhnungsbehandlung in Fachkliniken liegen in
den meisten Untersuchungen zwischen 20 und 40 %. Die Mortalität Drogenabhängiger ist im Vergleich zur gleichaltrigen Bevölkerung ca. 15-fach erhöht. Hauptursachen sind akzidentielle Überdosis, Suizid, Unfälle und Infektionen (Hepatitis, HIV).
In Deutschland sterben durch Überdosis jährlich ca. 1 000 junge Menschen.
Die Prognose beim Opiat-, Halluzinogen- und
Amphetamin-Typ ist besonders ungünstig.
Nur etwa 30–50 % der Drogenabhängigen
bleibt abstinent.
Die Abstinenzraten nach Entwöhnungsbehandlung liegen zwischen 20 und 40 %. Die
Mortalität (z. B. durch Überdosis, Suizid) ist
hoch.
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B
380
B
14 Abhängigkeit und Sucht
▶ Klinischer Fall.
▶ Klinischer Fall. Polytoxikomanie – „Drogenkarriere“ 22-jähriger Patient, belastete biografische Anamnese: Trennung der Eltern als er 3 Monate alt war, im Wechsel bei der Mutter und
den Großeltern aufgewachsen, Mutter alkoholabhängig, Suizid des Onkels mit Schusswaffe, kein
Schulabschluss, Heim für schwer erziehbare Jugendliche, disziplinarisch entlassen, seitdem bei
der Mutter lebend, arbeitslos. Drogenkonsum als Lebensinhalt.
Suchtanamnese: Ab dem 7. Lebensjahr Lösungsmittel (Feuerzeugbenzin) geschnüffelt, seit dem
11. Lebensjahr zusätzlich Cannabis, Alkohol und Tabakkonsum. Ab dem 14. Lebensjahr zusätzlich Amphetamine und Halluzinogene (LSD, Meskalin, Psilocybin). Seit dem 16. Lebensjahr zusätzlich Opiate i. v. (vor allem MST), Tramadol, Tilidin, Barbiturate und Benzodiazepine. Diese
Medikamente habe er vom Hausarzt verordnet bekommen! Seit dem 18. Lebensjahr wiederholte stationäre Entzugsbehandlungen, 3 Entwöhnungstherapien (zum Teil mit Auflagen nach § 35
BtMG), vorzeitig abgebrochen. Gemäß § 64 StGB für 2 ½ Jahre in forensischen Psychiatrien. Unter den Diagnosen Polytoxikomanie, Alkoholentzugssyndrom, emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ, Hepatitis C. Aktuell wieder stationäre Entzugsbehandlung.
Vor Kontrolle der Vitalparameter auf Station induziert der Patient durch forcierte Liegestützen
die Symptome Zittern, Schwitzen und Tachykardie, um Diazepam zu erhalten. Er habe dann die
Einnahme von Diazepam vorgetäuscht, dieses einem Mitpatienten im Benzodiazepin-Entzug
zum Tausch für Fremdurin angeboten, um seinen unerlaubten Beikonsum von THC, Kokain und
Buprenorphin kaschieren zu können. Praktiziert zahlreiche Täuschungsmanöver bei der Urinkontrolle (Hinhaltetaktik, Ablenkungsmanöver, Verfälschung durch Salz und Seife, Anzweifeln
der Befunde – „Laborfehler, Verwechslung, Wechselwirkungen“). Gibt schließlich zu, Fremdurin
von einem Mitpatienten aus einer präparierten Colaflasche über die Harnröhre in die eigene
Blase gedrückt zu haben, weist darauf hin, daß via Internet ein kommerzielles Kit zur Probenvertauschung angeboten werde.
14.3.6 Komorbidität
14.3.6 Komorbidität
Mehr als die Hälfte der Patienten leiden unter
mindestens einer anderen psychischen Störung (schizophrene Psychosen, affektive und
Persönlichkeitsstörungen).
Mehr als die Hälfte der drogen- und medikamentenabhängigen Patienten leiden unter mindestens einer anderen psychischen Störung. Am häufigsten sind Schizophrenien (bei fast 50 % liegt komorbider Substanzmissbrauch vor!), affektive Störungen
und Persönlichkeitsstörungen.
Internet-Link: www.dhs.de (Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e. V.)
14.3.7 Drogenterminologie
14.3.7 Drogenterminologie
Tab. B-14.23.
Siehe hierzu Tab. B-14.23.
≡ B-14.23
≡ B-14.23
Drogenterminologie (alphabetisch sortiert)
Abgewrackt
durch exzessiven Drogengebrauch erschöpft
Acid
LSD
Adam
Ecstasy
Affe schieben
auf Entzug sein
Affig
entzugig (v. a. von Opiaten)
Afghane
Haschisch-Sorte
Anfixen (anturnen)
jemanden zur i. v.-Applikation von Drogen verleiten oder
anlernen
Angel’s dust
PCP (Phencyclidin)
Asco
Ascorbinsäure (Vitamin C als Beimischung zur Erhöhung der
Löslichkeit von Heroin in Wasser)
Badesalz
sog. Cathinone, z. B. Mephedron oder Methylendioxypyrovaleron (MDPV), Substanzen, die unter Namen wie „Ivory Wave“,
„Aura“, „Vanilla Sky“ oder „Pure Ivory“ verkauft werden
Ballern
Drogen i. v. injizieren
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Eine typische „Drogenkarriere“ ist z. B.:
■ ab 11. Lebensjahr: Nikotin
■ ab 13. Lebensjahr: Alkohol und Cannabis
■ ab 15. Lebensjahr: Partydrogen
■ ab 17. Lebensjahr: Heroin
Durch kombinierte Raucherentwöhnungsprogramme (Gruppenpsychotherapie und
Medikation) lassen sich nach 6 Monaten Abstinenzquoten von ca. 20–30 % erreichen.
≡ B-14.23
381
14.3 Drogen-, Medikamenten- und Tabakabhängigkeit
Drogenterminologie (alphabetisch sortiert) (Fortsetzung)
Base
Kokain + Ammoniak
Besteck
Utensilien zum Spritzen
Blanko
Kokain oder weißes Heroin
Bodypacking
Transportieren von Drogen im Körper (z. B. im Ausscheidungstrakt oder in der Vagina)
Bodystuffing
Verschlucken von Drogen (Betäubungsmitteln) zum
Verbergen
breit
intoxikiert
Brown Sugar
Heroin
clean
frei von Drogen
Cocktail
Heroin + Kokain
Cold Turkey
Entzug von Opiaten ohne medikamentöse Stützung (kalter
Entzug)
Crystal, „Crystal Meth“,
Crystal-Speed
Synonym für Methamphetamin in kristalliner Form
Dealer
Drogenhändler
Dias
Diazepam
dicht
intoxikiert
Downers
Substanzen mit dämpfender Wirkung (Barbiturate u. Ä.)
Drücken
Drogen i. v. injizieren
E
Ecstasy
E-Film
Ecstasy-Trip
Einunddreißiger
Verräter (Kronzeugenregelung des § 31 BtMG)
Einwerfen
oral aufnehmen
E-Teile
Ecstasy-Pillen
Feeling
Gefühl des ausgeglichenen Wohlseins nach Drogenaufnahme
Fixen
intravenös injizieren
Flunis
Flunitrazepam
GBL
Gamma-Butyro-Lacton
GHB
Gamma-Hydroxy-Buttersäure
Goldener Schuss
(un-)beabsichtigte Einnahme einer tödlichen Überdosis
eines Rauschgiftes (meist Heroin)
Gras
Marihuana
Gun
Injektionsspritze
H (englisch ausgesprochen)
Heroin
Hasch
Cannabis (Haschisch)
Haze
sehr spät reifende Cannabis-Zuchtsorte
high
Euphorie nach Drogenapplikation (insbesondere Cannabis)
Hofmänner
LSD
Hofmänner einbauen
LSD konsumieren
Horror-Trip
LSD-Rausch mit panikartiger Angst
ICE
Methamphetamin
Joint
Marihuana-Zigarette bzw. Zigaretten mit Haschisch-Zusatz
Junkie
Fixer
Kanone
Injektionsspritze
Kate
Ketamin
Kick
Flash bei der i. v. Applikation von Kokain
Kiffen
Haschisch rauchen
Koks
Kokain
„Krok“, „Krokodil“
Desomorphin, („Droge des armen Mannes“)
„Legal Highs“
angeblich legale Stimulanzien
Libanese
Haschisch-Sorte
≡ B-14.23
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B
≡ B-14.23
B
14 Abhängigkeit und Sucht
≡ B-14.23
Drogenterminologie (alphabetisch sortiert) (Fortsetzung)
Line
eine Linie aus Kokain oder Amphetamin zu pernasalen
Inhalation
Liquid X (Ecstasy)
GHB, Gamma-Hydroxy-Butyrat
Magic Mushrooms
psychoaktive Pilze, v. a. Psilocybin enthaltend
Marokkaner, grüner
Haschisch-Sorte (neben roter Libanese, schwarzer Afghane)
Material
Rauschmittel, insbes. Heroin
Meter
Mengenangabe für Polamidon-Lösung (ml)
Meth
Abkürzung für N-Methylamphetamin
Metha
Methadon
Pack
1/10 g Heroin
Peace
Haschisch
Peace
PCP, Phencyclidin
Pepp
Amphetamin
Piece
Stück Haschisch
Pistole
Injektionsspritze
Po, Pola
Methadon (Polamidon)
Pot
Marihuana
prall
intoxikiert
Pumpe
Injektionsbesteck
„Research Chemicals“
chemische psychoaktive Substanzen, Abfallprodukte der
Pharmaindustrie, für Bestellung im Internet oft mit zweckentfremdeten Begriffen wie Dünger oder Badesalz versehen
Schieß/Schuss
intravenös injizieren
Schnee
Kokainkristalle
Schnüffeln
Inhalieren von Lösungsmitteln
Schore
Heroin
Shake
schüttelfrostähnlicher Zustand infolge (verunreinigter) i. v.
Drogenapplikation
Shit
Haschisch
Sniefen
Drogenapplikation durch die Nase (z. B. Kokain)
Snow
Kokain
Special-K
Ketamin
Speed
Methylamphetamin bzw. Weckamine
Speed Ball
Mischung von Heroin mit zumeist Kokain
Spice
Droge, die aus synthetischen Cannabinoidensowie verschiedenen getrockneten Pflanzenteilen besteht, ähnliche
Produkte unter den Namen „Lava red“ und „Bonzai
Winterboost“
Steckies
miotische Pupillen (durch Opiatkonsum)
Stoff
Rauschmittel
stoned
sedierende Rauschwirkung von Drogen aus Hanfsorten
Strecken
Vermischen eines Rauschgiftes mit anderen Stoffen
Szene
Drogenmilieu, Treffpunkt von Händlern und Konsumenten
Ticket
LSD
Tinke
Lösung von Morphinbase in hochprozentiger Essigsäure
Trip
Intoxikation mit einem Halluzinogen
Uppers
Psychostimulanzien (Amphetamine u. Ä.)
Uppers and Downers
Schaukelsucht
User
Drogenverbraucher
Vitamin K
Ketamin
Zeug
Rauschmittel
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