NEUE MEDIKAMENTE SORGEN FÜR DÜNNES BLUT

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Schwerpunkt
DIE GERINNUNGSHEMMUNG
NEUE MEDIKAMENTE
SORGEN FÜR DÜNNES BLUT
Bei vielen Erkrankungen des Herzens und Gehirns sind gefährliche Blutgerinnsel im Spiel. Um solche Gerinnsel zu verhindern, werden Gerinnungshemmer eingesetzt. In den letzten Jahren sind viel versprechende neue
Medikamente entwickelt worden. Wem bringen sie etwas?
Könnte unser Blut nicht gerinnen und sich verfestigen,
wäre jede kleine äussere oder innere Verletzung ein
Todesurteil. Das Blut flösse dann einfach weiter und
wir würden verbluten. Umgekehrt kann das Blut auch
stocken, wenn es fliessen sollte. Zum Beispiel bei Erika
M. Sie leidet unter Vorhofflimmern, in ihrem linken
Herzvorhof kann jederzeit ein Blutpfropf entstehen, ins
Hirn gelangen und dort ein Gefäss verschliessen. Es
käme dann zu einem Hirnschlag – fast jeder fünfte
entsteht auf diese Weise. Um das Hirnschlagrisiko zu
senken, nimmt sie Marcoumar. Das Medikament ist
ein Gerinnungshemmer – umgangssprachlich auch
«Blutverdünner» genannt.
Alternative nach über 50 Jahren
Einerseits weiss Erika M., dass Marcoumar möglicherweise gar ihr Leben rettet. Andererseits bedeutet die vorbeugende Therapie auch eine Umstellung der Gewohnheiten. Sie muss täglich eine Tablette schlucken und auch
monatlich ihr Blut überprüfen lassen. Deshalb fragt sie
sich, ob die neuen Gerinnungshemmer, von denen sie in
letzter Zeit immer wieder liest, für sie vorteilhaft wären
und ob sie überhaupt wechseln kann. In der Tat: Seit
2011 sind in der Schweiz Gerinnungshemmer einer
neuen Generation im Einsatz. Sie werden auch neue
orale Antikoagulantien (NOAK) genannt. Zu ihnen gehören die Wirkstoffe Dabigatran (Pradaxa), Rivaroxaban
(Xarelto) und Apixaban (Eliquis). Sie sind Alternativen zu
den altbekannten Medikamenten Phenprocoumon
(Marcoumar) Acenocoumarol (Sintrom). Diese wiederum
zählen zu den Vitamin-K-Antagonisten (VKA), weil sie
die Wirkung des Vitamin K hemmen und so die Gerinnungsneigung des Bluts herabsetzen. Seit über 50 Jahren
werden sie bei bestehenden oder drohenden Blutgerinnseln in den Venen eingesetzt, also bei Venenthrombosen
und Lungenembolien und später zur Reduktion des Hirnschlag-Risikos bei Vorhofflimmern. Daneben kommen sie
auch nach gewissen Operationen zum Einsatz.
Geringeres Risiko einer Hirnblutung
«Die neuen Gerinnungshemmer werden gerade bei der
Hirnschlag-Vorsorge inzwischen als Therapie der Wahl
angesehen», sagt PD Dr. Jan Steffel, Kardiologe am Universitätsspital Zürich. Zum einen reduzieren sie das Hirn-
An dieser Ausgabe haben folgende Experten mitgewirkt:
PD Dr. med.
Jan Steffel
Zürich
Kardiologie
Dr. med.
Marc Sollberger
Basel
Neurologie
Redaktion
Medizinischer Beirat
Prof. Dr. med.
Wilhelm
Rutishauser
Genf
Kardiologie
1/2015 Herz und Hirnschlag
Prof. Dr. med.
Heinrich
Mattle
Bern
Neurologie
Jen Haas
Wissenschaftlicher
Redaktor
[email protected]
Schwerpunkt
schlag-Risiko mindestens gleich gut wie die Vitamin-KAntagonisten. Pradaxa, Xarelto und Eliquis haben
darüber hinaus jedoch vor allem ein günstigeres Sicherheitsprofil als die herkömmlichen Medikamente Marcoumar und Sintrom. Und das ist ein grosser Vorteil.
Gegenmittel gesucht
Mit Sicherheitsprofil meint der Kardiologe die Gefahr
einer schweren Blutung, denn Gerinnungshemmer
können zu stark wirken. Die Folgen sind manchmal
kleinere, ganz selten auch schwere, lebensbedrohliche
Blutungen, insbesondere die gefürchtete Hirnblutung.
Solche Fälle sind sehr bedauerlich. Doch: «Grosse unabhängige Studien zeigen heute, dass gerade eine
schwerwiegende Hirnblutung unter den neuen Gerinnungshemmern seltener vorkommt als unter den
alten», erklärt Dr. Jan Steffel, «es kann passieren, aber
deutlich seltener». Auch die Tatsache, dass bei einer
starken Blutung unter den neuen Medikamenten noch
kein Gegenmittel zur Verfügung steht, relativiert
Dr. Steffel. Denn Gegenmittel der alten Vitamin-K-Antagonisten normalisieren zwar die Blutgerinnung; auf
die Gesamtprognose haben sie, insbesondere bei der
Hirnblutung, meist wenig Einfluss. Diesbezüglich
schneiden die neuen oralen Antikoagulantien nach
heutigem Wissen etwa gleich ab. Und: Fürs nächste
Jahr erwartet man für sie die ersten Gegenmittel.
Einfachere Handhabung
Neben dem geringeren Risiko einer Hirnblutung haben
die Neuen weitere Vorteile: Die Therapie ist unkomplizierter. Bei den alten Gerinnungshemmern muss der
Patient oder die Patientin über eine gewisse Zeit mit
wiederholten Messungen eingestellt werden, bis die
individuell richtige Dosierung gefunden wird. Auch
wenn gut eingestellt ist, können die INR-Werte schwanken. Deshalb sind regelmässige Blutuntersuchungen
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Vorsicht auch bei den Neuen
Die neuen oralen Gerinnungshemmer (NOAK) sind
zwar einfacher zu handhaben, trotzdem müssen
einige Regeln eingehalten werden:
• Halten Sie sich genau an die Dosierung und nehmen Sie die Tabletten wie vorgeschrieben pünktlich ein. Schon bei einer ausgelassenen Dosis
gehen gerinnungshemmende Effekte verloren.
• Wenn Sie eine Dosis vergessen haben, beachten
Sie die Anweisungen des Arztes oder der Unterlagen, die Ihnen der Arzt oder die Ärztin mitgegeben hat.
• Nehmen Sie keine Medikamente ein, ohne vorher
den Arzt zu konsultieren. Viele Schmerz- und
Rheumamittel, z.B. ASS (Aspirin), Diclofenac
(Voltaren), Ibuprofen (Brufen, Irfen), erhöhen das
Blutungsrisiko.
• Achten Sie auf Anzeichen von Blutungen. Also:
Häufig Nasen- und Zahnfleischbluten oder Blutergüsse, rosa oder roter Urin, schwarzer Stuhl.
• Kontaktieren Sie bei einer Erkrankung, z.B. Durchfall, Infekt, ihren Hausarzt. Insbesondere eine Verschlechterung der Nierenfunktion kann
die Blutungsneigung erhöhen.
• Tragen Sie einen Notfallausweis auf sich, worin
vermerkt ist, dass Sie Gerinnungshemmer einnehmen. Einen solchen Ausweis erhalten Sie bei
der Schweizerischen Herzstiftung (Adresse letzte
Seite) oder auf: www.swissheart.ch/publikationen
Herz und Hirnschlag 1/2015
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Schwerpunkt
«Die Behandlung mit den neuen
Gerinnungshemmern wird einfacher.»
PD Dr. Jan Steffel
nötig. Mindestens alle vier Wochen misst man den INR.
Die Handhabung der neuen Medikamente ist hingegen
einfacher: Die Dosis bleibt immer gleich, eine Kontrolle
fällt weg. Für gewisse Patienten, die umstellen, ist dies
ungewohnt. Ihnen fehlt die Gewissheit, dass das Medikament wirkt. «Doch dies ist auch bei vielen anderen
Medikamenten der Fall. Ob das Aspirin bei Ihnen so
wirkt, dass Sie morgen keinen Herzinfarkt haben, wissen Sie auch nicht», sagt Dr. Jan Steffel. Jedes neue
Medikament ist auch eine Gewöhnungssache.
Umstellen oder nicht?
Patienten, die neu mit einer Hirnschlagvorsorge beginnen, bekommen heute meist einen der neuen oralen
Antikoagulantien. In Europa und der Schweiz wird dies
Standardtherapie. Doch lohnt sich eine Umstellung bei
Patienten mit Marcoumar und Sintrom? «Wer die alten
Gerinnungshemmer regelmässig nimmt und mit der
Einstellung nicht in den grünen Bereich kommt, bei dem
lohnt es sich auf jeden Fall!», meint Dr. Jan Steffel. Bei
Patienten, die mit Marcoumar und Sintrom lange gute
Erfahrungen gemacht hätten, sei ein Wechsel nicht
angezeigt, er könne aber sinnvoll sein, so Dr. Steffel. Der
Zusatznutzen sei bei ihnen wahrscheinlich am geringsten, doch das Risiko insbesondere einer Hirnblutung
sinke dennoch. Etwa die Hälfte seiner Patienten steige
um.
Nicht für alle geeignet
Schliesslich ist die Wechselwirkung mit anderen Medikamenten und mit Lebensmitteln bei den neuen Gerinnungshemmern geringer. Dennoch kommen sie für
gewisse Patientengruppen nicht in Frage, beispielsweise
schwangere und stillende Frauen, sie sind von den Studien ausgeschlossen worden. Gewisse Patienten, z.B.
HIV-Patienten, eignen sich aufgrund ihrer bereits bestehenden Medikation nicht für die neuen Medikamente
und bei solchen mit einer schwer eingeschränkten Nierenfunktion ist man aufgrund fehlender Daten sehr vorsichtig. Bei künstlichen Herzklappen dürfen sie nicht eingesetzt werden.
Ist bei Patienten mit Vorhofflimmern eine Therapie mit
Gerinnungshemmern sehr schwierig oder nicht möglich,
bietet sich als Lösung ein Eingriff an: Beim sogenannten
Vorhofohrverschluss dichtet man die Stelle im linken
Herzvorhof, wo oft Blutgerinnsel entstehen, ab. «Das
bedeutet zwar eine kleine Operation», sagt PD Dr. Jan
Steffel, «dafür hat man einen dauerhaften, guten
Schutz vor einem Blutgerinnsel und kann in der Regel
komplett auf Gerinnungshemmer verzichten.»
So werden Blutgerinnsel verhindert
Die Blutgerinnung läuft in mehreren
Stufen ab, am Schluss entsteht ein
stabiler Blutpfropf oder Thrombus.
Medikamente greifen auf ganz
unterschiedlichen Stufen ein, um
einen solchen Thrombus zu
verhindern.
• Plättchenhemmer
• Gerinnungshemmer
Gerinnungshemmer, auch Antikoagulantien genannt, vermindern
oder hemmen die Gerinnungsfaktoren im Blutplasma. Sie werden bei Venenthrombosen,
Lungenembolien, Vorhofflimmern
und nach gewissen Operationen
verwendet. Heparin-Präparate
werden als Infusion verabreicht
oder gespritzt. Die bekanntesten
oralen Gerinnungshemmer sind
die Vitamin-K-Antagonisten (VKA)
Marcoumar und Sintrom sowie die
neuen Wirkstoffe (NOAK) Xarelto,
Eliquis und Pradaxa.
Plättchenhemmer (Thrombozytenaggregationshemmer) vermindern
das Verklumpen der Blutplättchen
an der Gefässwand. Sie werden bei
verengten Arterien, einer Arteriosklerose, eingesetzt, um ein Blutgerinnsel in Herzkranz-, Bein- und
Hirngefässen zu verhindern. Ebenfalls verwendet werden sie nach
• Gesunder Lebensstil
einem Herzinfarkt, Hirnschlag oder
Wer mit dem Rauchen aufhört,
einer Stent-Implantation. Häufig
verringert das Verklumpen der
verwendete Plättchenhemmer sind:
Blutplättchen. Bewegung wiedeAspirin, Plavix, Efient, Brilique und
rum aktiviert die Fibrinolyse, d.h.
die entsprechenden Generika.
den körpereigenen Mechanismus
1/2015 Herz und Hirnschlag
zur Auflösung von Blutgerinnseln.
Und eine ausgewogene Ernährung
wirkt einer Verstopfung der Arterien entgegen.
Erfahren Sie mehr zum Thema in
unserer Patientenbroschüre
«Gerinnungshemmung» mit nützlichen Ratschlägen und Informationen. Bestelladresse auf der letzten
Umschlagseite oder auf www.
swissheart.ch/publikationen
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