Flüssige Biopsie: Alles aus einem Tropfen Blut?

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Flüssige Biopsie:
Alles aus einem Tropfen Blut?
Revolutionäre Erkenntnisse in der molekularen Diagnostik ermöglichen den
frühzeitigen Nachweis von Krebserkrankungen im Blut und erhöhen so die
Heilungschancen für den Patienten enorm.
© Klaus Eppele-Fotolia
Charakterisierung der Tumorzellen
aus einer Gewebeprobe
wird. Im Falle eines heterogenen Krebsherdes werden
Mutationen in angrenzenden Tumorzellen nicht erfasst.
Genau diese könnten aber durchaus einen wesentlichen
Einfluss auf die Überlebenschance eines Patienten haben.
Je dynamischer sich ein Tumor verändert, desto mehr
nimmt auch die Aussagekraft der klassischen Biopsie ab.
Generell bestehen bei jeder Biopsie die Risiken einer Tumorzellverschleppung oder eines falsch-negativen Ergebnisses, wenn aufgrund der punktuellen Entnahme
überwiegend gesunde Gewebezellen entnommen werden.
Die Standardbiopsie ist ein chirurgischer Eingriff der
nicht nur unangenehm ist, sondern methodisch bedingt
fehlerbehaftet, da die Probe punktgenau entnommen
Sowohl genetische Veränderungen, Mutationen in der
DNA, als auch epigenetische Veränderungen, Änderungen im Mehtylierungsmuster der DNA, bilden die
Alle 2,5 Minuten stirbt allein in Deutschland ein
Mensch an Krebs. Je früher ein Tumor erkannt wird, desto
größer sind die Heilungschancen. Zur genauen Untersuchung wird normalerweise eine kleine Gewebeprobe aus
dem Tumorgewebe entnommen, eine Biopsie. Diese stellt
derzeit die Standard-Prognosemethode für Krebs dar und
kann offenkundig als völlig unzureichend beurteilt werden.
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Abb. 1: Schema zum Nachweis genetischer Veränderungen an zirkulierender zellfreier Tumor-DNA (ctDNA).
Durch Apoptose oder Nekrose der Tumorzellen gelangt
die freigesetzte DNA in die
Blutbahn. In einer Blutprobe,
der sogenannten flüssigen
Biopsie, kann diese ctDNA
nachgewiesen und untersucht werden. Sequenzierung und Datenanalyse ermöglichen die Charakterisierung von Punktmutationen,
Chromosomenaberrationen,
Methylierungsmustern oder
anderen mit Krebserkrankungen assoziierten genetischen Veränderungen. Die
ermittelten Daten bieten eine
solide Grundlage für den behandelnden Arzt bzgl. Diagnose oder Überwachung
des Krankheitsverlaufs.
Grundlage der molekularen Diagnostik. Das unkontrollierbare Wachstum der Krebszellen beruht oft auf Mutationen der DNA. Da diese in gesunden Zellen nicht auftreten, kann man sie als diagnostische Marker in der
Krebsdiagnose benutzen. Epigenetischen Veränderungen finden sich in fast allen Tumoren, und erste Studien
deuten an, dass sie sogar an deren Entstehung beteiligt
sind.
Charakterisierung der Tumorzellen
aus einer Blutprobe
Immer wenn eine Krebszelle durch Apoptose oder
Nekrose abstirbt, werden DNA-Fragmente der Tumorzelle freigesetzt und gelangen so als zirkulierende TumorDNA (ctDNA) in die Blutbahn (E Abb. 1). Diese ctDNA
kann über eine Blutuntersuchung, also eine flüssigen Biopsie, nachgewiesen und untersucht werden. Ein übergeordneter Begriff für ctDNA ist die zirkulierende Nukleinsäure aus Blut und Serum (engl. circulatic nucleic acids in
plasma and serum, CNAPS). Schon 1948 wurde erstmals
DNA im Blut nachgewiesen [1], 1977 auch direkt im Blut
von Krebskranken [2]. 1994 konnte dann der Beweis erbracht werden, dass diese DNA-Fragmente typische
Krebsmutationen aufwiesen und somit tatsächlich aus
Krebszellen stammten [3, 4]. Zur ersten praktischen Anwendung gelangte die zirkulierende DNA zunächst auf
dem Gebiet der nicht-invasiven Pränataldiagnostik. Der
Nachweis von Bruchstücken des Y-Chromosoms im Blut
von Schwangeren mit männlichen Embryos [5] markiert
den Startpunkt zur Entwicklung kommerzieller Test für
die humane Diagnostik. Die Verfeinerung dieser Methode, erlaubt nun zum Beispiel die Diagnose von Trisomien,
wie dem Down-Syndrom beim Embryo aus dem mütterlichen Blut.
Random Massively Parallel Sequencing (rMPS) ist
dabei die bisher am umfassendsten validierte und weltweit am häufigsten in der klinischen Routine eingesetzte
Methode. Ein Grund für den bevorzugten Einsatz in der
klinischen Routine ist deren hohe Zuverlässigkeit. Nimmt
man exemplarisch die aktuellen Daten der Firma Sequenom mit 250 000 Analysen aus der Routineanwendung,
liegt die Ausfallrate derzeit bei 0,9 % [6]. Beim PraenaTesth der deutschen Firma LifeCodexx beträgt die Ausfallrate derzeit sogar nur 0,6 % [7].
Zirkulierende Nukleinsäuren bergen neben ihrem Einsatz in der nicht-invasiven Pränataldiagnostik ein riesiges
Potential für die onkologische Diagnostik. Eine flüssige
Biopsie lässt sich, im Gegensatz zur Standardbiopsie,
leichter und risikoärmer durchführen. Der Tumor kann
mit der aus dem Blut der Patienten isolierten Mengen an
Erbmaterial, schnell und sicher charakterisiert werden
(E Abb. 1). In den vergangenen zehn Jahren wurden immer sensitivere Techniken zur quantitativen Analyse geringer DNA-Mengen entwickelt. Die Onkologen Bert Vogelstein und Kenneth Kinzler von der Johns Hopkins University entwickelten 2003 eine hochsensitive
Amplifikationstechnik. Dabei lässt sich ctDNA im Blut
sogar noch nachweisen, wenn das Verhältnis von DNA
aus gesunden Zellen und ctDNA 10.000:1 beträgt [8, 9].
Magnetische Partikel binden dabei spezifisch an frei zirkulierende DNA und ermöglichen deren Isolierung.
Tumor-DNA weist im Vergleich zur Wildtyp-DNA ein
verändertes epigenetisches Muster auf. Es wird eine allgemeine Abnahme der Methylierung in Tumor-DNA beobachtet. Eine Ausnahme bilden Promotorregionen von spezifischen Genen, die hypermethyliert sind [10, 11, 12].
Dies kann dazu führen, dass ein Tumorsuppressorgen
zwar unbeschädigt vorhanden ist, durch die epigenetische
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Regulation über die Zellteilung hinweg allerdings dauerhaft nicht mehr exprimiert wird. Erste Medikamente, die
am Epigenom der Krebszellen angreifen, werden seit einigen Jahren bei manchen Blutkrebs-Arten eingesetzt [13].
Um die Tumor-DNA genauer untersuchen zu können
muss sie in der Blutprobe von der Gesamt-DNA abgetrennt werden. Der Anteil der Tumor-DNA an der im Blut
vorkommenden Gesamt-DNA variiert von 0,01 % bis
93 % [14, 15]. Tumor-spezifische Anomalien, wie beispielsweise Mutationen im KRAS oder EGFR-Gen können durch gezielte Ansätze mit einer Sensitivität bis zu
0,01 % [12] nachgewiesen werden.
Die Nachweistechniken umfassen [10, 15, 16]:
I allelenspezifische Amplifikationstechnologie (engl.
Amplification refractory mutation system, ARMS)
I Polymerasekettenreaktion (z.B. dPCR, qPCR, RFLPPCR, MASA PCR)
I BEAMing (engl. Beads, Emulsion, Amplification,
Magnetics)
I CAPP-Seq (engl. Cancer personalized profiling by
deep sequencing)
I TAm-Seq (engl. Tagged-amplicon deep sequencing)
Alternativ zu den gezielten Ansätzen können auch
ganzheitliche (Genome-)Analysen durchgeführt werden.
Diese sollen im Rahmen der unspezifischen Tumortestierung alle vorhandenen Mutationen erfassen. Bekannte
Verfahren mit einer Empfindlichkeit von 1 bis 10 % sind:
I Sequenzierung des ganzen Genoms
I Sequenzierung des Exoms
I Komplett-Methylom Sequenzierung
I PARE (engl. Personalized analysis of rearranged ends)
[10]
Klare Vorteile für flüssige Biopsie
Bei der flüssigen Biopsie erhöht sich die Chance den
Krebs in seiner Gesamtheit zu diagnostizieren. Wird bei
einer klassischen Biopsie immer nur eine winzig kleine
Gewebeprobe entnommen besteht schlicht die Möglichkeit das eigentliche Tumorgewebe zu verfehlen. Im Blut
dagegen finden sich DNA-Spuren aus ganz unterschiedlichen Teilen des Krebsherds. In Kombination mit den entsprechenden Datenauswertungen kann man neben einer
detaillierten Tumorcharakterisierung eine auf die Tumorcharakteristik abgestimmte und für jeden Patienten individuell optimierte Therapie ausarbeiten. Die flüssige Biopsie eignet sich auch zur Erfolgskontrolle im weiteren
Therapieverlauf.
Vermeidung redundanter Chemotherapie
oder Bestrahlung
Wenn nach erfolgter operativer Entfernung des Tumorgewebes keine neue Tumor-DNA im Blut nachweis-
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Anwendungsbereich
Anwendung
Aktueller Forschungsstand
Diagnose
Früherkennung
Die Etablierung wird unterstützt durch einen expandierenden Datensatz von
Tumor-assoziierten Mutationen und die Entwicklung von hochempfindlichen
Genomanalysetechniken.
Behandlungsplanung
Identifizierung von
Resistenzen
Forschungen belegen eine inverse Beziehung zwischen der gemessenen
Höhe der resistenzassoziierten Mutationen in der ctDNA und dem
Therapieerfolg [17,18].
Evaluierung der Medikation
Flüssige Biopsien können, im Vergleich zu den bisher eingesetzten
konventionellen Methoden, die Entstehung von resistenten Genen bis zu
zehn Monate früher erkennen [19,20].
Überwachung der Tumordynamik unter Medikation
Flüssige Biopsien erlauben die Überwachung der Entstehung von
Resistenzmutationen während der Behandlung in Echtzeit [21,22].
Beurteilung der
Tumorprogression
Studien zeigen eine signifikante Korrelation zwischen der Tumorlast und der
Anzahl an tumorspezifischen genetischen Defekten in der ctDNA [23,24].
Früherkennung von
Anzeichen eines Rückfalls
Es existieren Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Rezidiv und
Wiederauftreten von bestimmten Tumormutationen [23,25].
Prognose
Tab. 1: Anwendung von CNAPS in der Onkologie
bar ist, kann man dem Patienten aufwendige und mit starken Einschränkungen der Lebensqualität einhergehende
Chemo- oder Radiotherapien ersparen.
Im Jahr 2007 [9] konnte der Beweis erbracht werden,
dass am ctDNA-Spiegel des Patienten abgelesen werden
kann, wie erfolgreich eine Operation verlaufen ist und ob
eine Chemotherapie im Anschluss nötig ist, um noch verbliebene Krebszellen zu eliminieren. Bei 18 Unterleibskrebs-Patienten, sank der ctDNA-Spiegel um 99 % ab,
aber in den überwiegenden Fällen nicht ganz auf null. Mit
Ausnahme eines Falls war in dieser Gruppe die Erkrankung rezidiv. Anders bei der Gruppe, bei der keine ctDNA
mehr gefunden worden war: Alle Patienten dieser Gruppe
blieben krebsfrei. Mögliche Anwendung von CNAPS in
der Onkologie sind in E Tabelle 1 dargestellt.
Vision: Für jeden Tumor die passgenaue Therapie
Viele Rezidive bei Tumoren gehen auf die Entwicklung von Resistenzen zurück, welche im Blut verfolgbar
sind. Eine regelmäßige Untersuchung auf Tumor-DNA
im Blut bietet sich somit auch zur Langzeitkontrolle an.
Bei Anzeichen für eine Resistenzentwicklung kann der
behandelnde Arzt frühzeitig und zielgerichtet die Behandlung anpassen, um die Heilungschancen der Patienten zu erhöhen.
Bei allem Optimismus stößt in einigen Fällen auch die
flüssige Biopsie an ihre Grenzen. Probleme gibt es zum
Beispiel bei Hirntumoren, vermutlich aufgrund der BlutHirn-Schranke. Diese verhindert, dass im Falle eines
Hirntumors DNA in den Blutkreislauf eingespeist wird.
Ebenso ist es momentan schwierig, Krebs im Frühstadium zuverlässig und reproduzierbar nachzuweisen.
Fazit
Die Empfindlichkeit der diagnostischen Tests wird
sich mit der Weiterentwicklung der derzeit angewandten
Methoden weiter steigern. Intensive Grundlagenforschung ermöglicht die kontinuierliche Übertragung der
Erkenntnisse in die klinische Praxis. Die in den Beispielen genannten Anwendungsmöglichkeiten bei bereits diagnostizierten Tumoren werden sich schon in wenigen Jahren auch im Krankenhausalltag umsetzen lassen.
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