Chancen und Grenzen der liquid biopsy für die

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Genanalyse
Chancen und Grenzen der liquid
biopsy für die Tumordiagnostik
STEFFEN DIETZ 1 , ANJA RIEDIGER 1 , MICHAEL THOMAS 2 , UWE SCHIRMER 1 ,
HOLGER SÜLTMANN 1
1 AG KREBSGENOMFORSCHUNG, DEUTSCHES KREBSFORSCHUNGSZENTRUM (DKFZ)
UND NATIONALES CENTRUM FÜR TUMORERKRANKUNGEN (NCT), HEIDELBERG
2 ABTEILUNG ONKOLOGIE INNERE MEDIZIN, THORAXKLINIK, HEIDELBERG
Circulating DNA released from cancerous tissues has been found to harbour tumour-associated alterations and to represent the molecular composition of the tumour. Recent advances in technologies, especially in
next-generation sequencing, enable the analysis of low amounts of circulating DNA from body fluids. These “liquid biopsies” allow tumour genotyping and therapy monitoring without invasive procedures and offer the
potential for early cancer detection.
wegen der großen molekularen Heterogenität
vieler Krebserkrankungen nicht immer repräsentativ für den ganzen Tumor ist: So offenbarten erste Sequenzierungen von mehreren
Arealen eines Tumors, dass die Zahl der
Mutationen nicht nur sehr viel größer ist als
erwartet, sondern dass auch innerhalb eines
Tumors sowie zwischen Primärtumor und
Metastasen eine große molekulare Heterogenität vorliegt [1]. Oft kann eine Biopsie auch
aus ethischen Gründen nicht entnommen
werden. Schließlich sind auch die Kosten von
Gewebeentnahmen und immunhistochemischen Analysen nicht unerheblich.
Liquid biopsy zur Tumordiagnostik
DOI: 10.1007/s12268-015-0643-2
© Springer-Verlag 2015
le. Aus diesem Grund zählt die Genanalyse
von entnommenem Tumorgewebe mittlerweile zur Routineuntersuchung in der klinischen Onkologie. Die molekulare Analyse von
Tumorgewebe hat jedoch auch Limitationen:
Chirurgische Maßnahmen zur Tumorentfernung oder Biopsie-Entnahmen stellen invasive Eingriffe mit nennenswerten Risiken für
den Patienten dar. Oftmals kann nur ein kleines Gewebestück gewonnen werden, das
Eine Alternative zur Gewebeentnahme könnte die Messung von Tumorparametern in Körperflüssigkeiten (liquid biopsy) wie Blut, Urin
oder Speichel darstellen. Da durch verschiedene Prozesse Zellen und Moleküle aus
Geweben in den Blutkreislauf abgegeben werden, sind auch krankheitsassoziierte Proteine
sowie DNA und RNA im Blut zu finden. Die
Messung von frei zirkulierender DNA wird in
der Pränataldiagnostik bereits routinemäßig
verwendet. Bei Krebserkrankungen können
zirkulierende Tumorzellen (CTCs) und freie
Tumor-DNA (ctDNA) aus dem Primärtumor
Nachweisgrenze
Durchsatz
Datenanalyse
Informationsgehalt
Kosten
Biomarkeridentifizierung
Sanger-Sequencing
> 15%
gering
einfach
niedrig
gering
nein
Hochdurchsatzsequenzierung
1%
hoch
komplex
hoch
hoch
ja
Quantitative PCR
1%
gering
einfach
niedrig
gering
nein
BEAMing
< 0,1%
hoch
moderat
moderat
moderat
nein
Digitale PCR
< 0,1%
moderat
einfach
niedrig
gering
nein
Panel-Seq
0,02%
gering
moderat
niedrig
moderat
nein
ó Durch die Hochdurchsatzsequenzierung
zur Analyse von Krebserkrankungen wurden
in den letzten Jahren viele Mutationen gefunden, die mit der Tumorentstehung und -progression in Verbindung stehen. Die molekulare Ausstattung eines Tumors gibt somit
wichtige diagnostische Informationen und
spielt bei der Verwendung zielgerichteter individueller Therapien sowie bei der Einschätzung des Therapieerfolgs eine zentrale Rol-
Spezifität
˚ Abb. 1: Geeignete Technologien zur Analyse von ctDNA im Vergleich.
BIOspektrum | 07.15 | 21. Jahrgang
732
W I S S ENS CHAFT · S PECIA L : M OLE KULARE DIAG NO STI K
A
0,6
Anwendung der liquid biopsy bei
Lungenkrebs
B
Erlotinib
EGFR L858R
Mutation (FAM)
Allelfrequenz (%)
EGFR T790M
0,4
0,2
0,0
0
3
6
Zeit (Monate)
9
Wildtyp (VIC)
˚ Abb. 2: A, Analyse von ctDNA zur Überwachung des Therapieverlaufs beim nicht-kleinzelligen
Bronchialkarzinom vor, während und nach Behandlung mit Erlotinib. Die mittels digitaler PCR
ermittelte Zahl von Aktivierungs- (L858R) bzw. Resistenzmutationen (T790M) lässt Rückschlüsse
auf das Therapieansprechen zu. B, Exemplarische Darstellung der Ergebnisse einer digitalen PCR:
Positive Reaktionen für Mutation (blau) und Wildtyp (rot) sowie negative Reaktionen (gelb) werden
anhand unterschiedlicher Fluoreszenzfarbstoffe (FAM, VIC, ROX) getrennt analysiert, wodurch
sowohl die absolute Kopienzahl als auch Mutationshäufigkeit bestimmt werden können.
oder aus Metastasen im Blutkreislauf nachgewiesen werden. Art und Anzahl von
Mutationen spiegeln dabei die molekulare
Heterogenität von primären und sekundären
Tumoren bei einem Patienten wider. Da die
Blutabnahme außerdem einen relativ gering
invasiven Eingriff darstellt, kann zudem in
regelmäßigen Abständen über die liquid
biopsy anhand der tumorspezifischen DNA
eine Bestimmung der Tumorlast durchgeführt werden: So wurde gezeigt, dass die
Mutationshäufigkeit in seriell entnommenen
liquid biopsy-Proben eines Patienten Aussagen über das Ansprechen auf eine Therapie und das Wiederauftreten des Tumors
erlaubt [2]. In einzelnen Fällen war das
erneute Tumorwachstum bereits mehrere
Monate vor dem Nachweis durch bildge bende diagnostische Methoden zu erkennen [3].
Digitale PCR und Hochdurchsatzsequenzierung zum Mutationsnachweis
Ein limitierender Faktor für den Nachweis
molekularer Veränderungen in liquid biopsies liegt in dem niedrigen Anteil Tumor-assoziierter DNA, der oft weniger als ein Prozent
der gesamten zirkulierenden DNA beträgt.
Technologische Fortschritte in den vergangenen Jahren brachten jedoch immer sensitivere Verfahren zum Nachweis von ctDNA hervor (Abb. 1). Vor allem die Einführung von
DNA-Amplifikationstechniken, wie die digitale PCR oder die Amplifikation Bead-gebundener DNA-Fragmente (BEAMing) [4], ermöglichen die Messung von DNA-Fragmenten mit
einer Sensitivität von unter 0,1 Prozent. Das
Prinzip der digitalen PCR ist es, die Probe mit
einer Vielzahl an Molekülen so stark zu verdünnen, dass einzelne DNA-Moleküle separat in einer Reaktionskammer oder einem
Öltropfen (digital droplet-PCR) amplifiziert
werden können. Die Auswertung erfolgt durch
einfaches Auszählen aller positiven Fluoreszenzsignale nach der sondenbasierten PCR.
Beim BEAMing wird die DNA zunächst an
magnetische Beads hybridisiert und anschließend in einer Öl-Wasser-Emulsion amplifiziert [4].
Die PCR-basierten Methoden erfordern,
dass die jeweilige Mutation bereits bekannt
ist. Demgegenüber bietet die Hochdurchsatzsequenzierung den Vorteil, dass neu auftretende Mutationen (z. B. bei der Entwicklung
von Resistenzen) im Therapieverlauf entdeckt
werden können. Mittels Genom- oder Exomsequenzierung ist es ferner möglich, auch
chromosomale Veränderungen in ctDNA von
Krebspatienten nachzuweisen [2, 5]. Die
selektive Sequenzierung von Genomabschnitten, die in bestimmten Tumorerkrankungen häufig mutiert vorliegen, erreicht eine
höhere Sequenziertiefe und damit eine höhere Sensitivität gegenüber der genomweiten
Sequenzierung. So wurde durch eine Anreicherung der 500 am häufigsten mutierten
Exons im nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom (NSCLC) aus ctDNA (Panel-Sequenzierung) eine Sensitivität von 0,02 Prozent bei
der Bestimmung einzelner Mutationen
erreicht [3]. Diese Methode (CAPP-Seq, cancer
personalized profiling by deep sequencing)
könnte zukünftig auch in der Früherkennung
von Krebserkrankungen in Risikogruppen
zum Einsatz kommen.
Ein Beispiel für die mögliche Anwendung der
liquid biopsy zum Tumormonitoring ist Lungenkrebs, die Tumorart mit der weltweit
höchsten Todesrate. Die Hauptursache für die
ungünstige Prognose liegt in dem hohen
Anteil fortgeschrittener Tumoren (80 Prozent)
zum Zeitpunkt der Diagnose. Das NSCLC
macht mit ca. 85 Prozent den größten Anteil
der Lungentumoren aus. NSCLC zeichnet sich
durch eine hohe molekulare Diversität und
Heterogenität aus und zählt zu den Tumoren
mit den höchsten Mutationsraten [6], insbesondere in Genen des MAPK(mitogen-activated protein kinases)-Signalweges, wie EGFR,
KRAS und BRAF (63 Prozent aller NSCLCPatienten tragen eine Mutation in mindestens einem dieser Gene). Die Mutationen im
EGFR-Gen befinden sich meist in den Exons 19
(del15) und 21 (L858R), die für eine ATP-Bindedomäne des Epidermalen-Wachstumsfaktor-Rezeptors (EGFR) codieren. Dies hat eine
konstitutive Aktivierung zur Folge. In der Klinik werden zur Behandlung von NSCLCPatienten mit aktivierenden Mutationen von
EGFR die Inhibitoren Erlotinib oder Gefitinib
eingesetzt, was zu einem längeren Überleben
der Patienten führt [7]. Jedoch treten während der Therapie oftmals Resistenzmutationen insbesondere im Exon 20 (T790M) auf,
welche die Affinität von EGFR gegenüber den
Inhibitoren reduzieren. Hier könnte die liquid
biopsy eine Schlüsselrolle beim Therapiemonitoring spielen (Abb. 2): Liquid biopsy-Analysen konnten das Auftreten der T790M-Mutation im Plasma von NSCLC-Patienten nachweisen und somit die Entstehung von Resistenzen aufzeigen [8]. Murtaza und Kollegen
korrelierten hierbei das erhöhte Auftreten der
Resistenzmutation T790M im Blutplasma mit
der Progression der Tumorerkrankung [2].
Diese Beobachtung der inversen Korrelation
zwischen der Zahl von DNA-Molekülen mit
der resistenzspezifischen Mutation und dem
Ansprechen gegenüber EGFR-Inhibitoren
wurde in einer weiteren Publikation bestätigt [9]. Neuere EGFR-Inhibitoren ermöglichen
einen verbesserten Therapieansatz, da sie
zugleich gegen die aktivierenden Mutationen
als auch gegen die Resistenzmutation T790M
gerichtet sind. Dabei konnte bereits in der
Testphase eines solchen Präparates durch
Sequenzierung von ctDNA eine weitere Resistenzmutation identifiziert werden [10]: Neben
ihrem Einsatz zur Therapieüberwachung
geben liquid biopsies somit auch wichtige Einsichten in die molekulare Vielfalt der Resis-
BIOspektrum | 07.15 | 21. Jahrgang
tenzmechanismen von NSCLC. Des
Weiteren erlaubten neueste Studien
durch dynamische Überwachung von
EGFR-Mutationen in ctDNA Rückschlüsse auf die Überlebenszeit der
Patienten [11].
Ausblick
Die erwähnten Beispiele zeigen, dass
in der Analyse von ctDNA ein großes
Potenzial für die Diagnose und das
Monitoring von Tumorerkrankungen
unter Therapie liegt. Ferner könnte
ctDNA auch für das Verständnis der
intraindividuellen Tumorheterogenität
von großem Wert sein. Jedoch muss die
klinische Anwendung der liquid biopsy
noch in größeren Studien überprüft
werden. In dieser Hinsicht besteht noch
auf vielen Ebenen Optimierungsbedarf,
z. B. bei der Standardisierung der verwendeten Techniken sowie Probensammlung und -lagerung, der Wahl des
Extraktionsmaterials (Plasma, Serum)
und -verfahrens, der Wahl der optimalen Analysetechnologie sowie die
Bestimmung ihrer Sensitivität. Auf lange Sicht könnte aber die ctDNA-Analyse die Diagnose und Früherkennung
von Krebserkrankungen durch konventionelle Marker ergänzen oder gar
ersetzen.
ó
Literatur
[1] de Bruin EC, McGranahan N, Mitter R et al.
(2014) Spatial and temporal diversity in genomic
instability processes defines lung cancer evolution.
Science 346:251–256
[2] Murtaza M, Dawson SJ, Tsui DW et al. (2013) Noninvasive analysis of acquired resistance to cancer
therapy by sequencing of plasma DNA. Nature
497:108–112
[3] Newman AM, Bratman SV, To J et al. (2014) An
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tumor DNA with broad patient coverage. Nat Med
20:548–554
[4] Li M, Diehl F, Dressman D et al. (2006) BEAMing
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[8] Taniguchi K, Uchida J, Nishino K et al. (2011)
Quantitative detection of EGFR mutations in circulating tumor DNA derived from lung adenocarcinomas.
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[9] Sorensen BS, Wu L, Wei W et al. (2014)
Monitoring of epidermal growth factor receptor tyrosine kinase inhibitor-sensitizing and resistance mutations in the plasma DNA of patients with advanced
non-small cell lung cancer during treatment with
erlotinib. Cancer 120:3896–3901
[10] Thress KS, Paweletz CP, Felip E et al. (2015)
Acquired EGFR C797S mutation mediates resistance
to AZD9291 in non-small cell lung cancer harboring
EGFR T790M. Nat Med 21:560–562
[11] Mok T, Wu YL, Lee JS et al. (2015) Detection and
dynamic changes of EGFR mutations from circulating
tumor DNA as a predictor of survival outcomes in
NSCLC patients treated with first-line intercalated
erlotinib and chemotherapy. Clin Cancer Res
21:3196–3203
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Holger Sültmann
AG Krebsgenomforschung
Deutsches Krebsforschungszentrum
(DKFZ) und Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT)
Im Neuenheimer Feld 460
D-69120 Heidelberg
Tel.: 06221-565934
[email protected]
AUTOREN
Steffen Dietz, Anja Riediger, Michael Thomas, Uwe Schirmer und Holger Sültmann
(v. l. n. r.)
Die AG Krebsgenomforschung (DKFZ/NCT Heidelberg) nutzt die Hochdurchsatztechnologien der Genomforschung zur Analyse genetischer Änderungen in Geweben und Blutproben von Krebspatienten. Ziel ist es, in Kooperation mit klinischen Partnerinstitutionen wie
der Thoraxklinik Heidelberg (Prof. Dr. Michael Thomas), diese Marker in die klinische Diagnostik zu bringen.
BIOspektrum | 07.15 | 21. Jahrgang
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