Therapie des fortgeschrittenen Nichtkleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC) Grundlagen und Praxis OA Dr. rer. pol. O. Zaba | 31. Mai 2010 Akademisches Lehrkrankenhaus der Charité – Universitätsmedizin Berlin Lungenkarzinom – eine kurze epidemiologische Übersicht - Ein sehr häufiges Tumorleiden, ca. 45.000 Neuerkrankungen pro Jahr in der BRD - Inzidenz eher steigend, besonders bei Frauen (+0,9% bei Männern vs. +4,2% bei Frauen) - Mit Abstand häufigste Tumortodesursache (27% !) - Durchschnittliche 5-JÜR aller Patienten liegt bei 10-15% - Patienten im primär metastasiertem Stadium haben eine 5-JÜR von 1% - Die Mehrzahl der Patienten sind bei Diagnosestellung schon in einem fortgeschrittenem Stadium (IIIB + IV ca. 65%) - Es gibt also in der BRD jedes Jahr ca. 30.000 neue Patienten mit primär palliativem Ansatz ! OA Dr. rer. pol. O. Zaba | 31. Mai 2010 Seite 2 Grundlagen Bei den Nichtkleinzelligen Bronchialkarzinom (NSCLC = non small cell lung cancer) handelt sich um einen bösartigen Tumor der von den Bronchien und den Bronchiolen/Alveolen ausgeht und histologisch nicht dem Kleinzelligen Bronchialkarzinom zugeordnet werden können. Grundsätzlich können in der Gruppe der NSCLC mehrere verschiedene Tumorfamilien identifiziert werden 1. Plattenepithelkarzinom (15%-20%) 2. Adenokarzinom (25%-40%) 3. Bronchoalveoläre Karzinom (1%-5%) 4. Großzellig neuroendokrine Karzinom (1%-5%) 5. Pleomorphe Lungenkarzinom (1%-5%) 6. Sonstige (zusammen 5%-10%) OA Dr. rer. pol. O. Zaba | 31. Mai 2010 Seite 3 Lungenkarzinom - Verteilung OA Dr. rer. pol. O. Zaba | 31. Mai 2010 Seite 4 Histologisches Bild Normalbefund der Lunge OA Dr. rer. pol. O. Zaba | 31. Mai 2010 Adenokarzinom der Lunge Seite 5 Stadienverteilung NSCLC T1a = Tumorgrösse < 2cm T1b = Tumorgrösse zwischen 2cm und 3cm T2a = Tumorgrösse zwischen 3cm und 5cm T2b = Tumorgrösse zwischen 5cm und 7cm T3 = Tumorgrösse > 7cm oder 1. Satellitenherde im gleichen Lappen 2. Infiltration Brustwand, Zwerchfell, Perikard 3. Atelektase der ganzen Lunge 4. Tumor weniger als 2cm von der Karina entfernt T4 = Jede Grösse mit 1. Infiltration von Mediastinum, Herz, Aorta, Luftröhre, Wirbelkörper, Hauptkarina 2. Satellitenherde im anderen ipsilateralen Lappen OA Dr. rer. pol. O. Zaba | 31. Mai 2010 Seite 6 Fortgeschrittene Stadien Stadium IIIB mit kontralateralen Lymphknoten OA Dr. rer. pol. O. Zaba | 31. Mai 2010 Stadium IV mit Lungen- und Pleurametastasen Seite 7 Metastasierungsorte OA Dr. rer. pol. O. Zaba | 31. Mai 2010 Seite 8 Lungenkarzinom – Symptomatik (Reiz-)Husten Hämoptysen Dyspnoe Brustschmerzen Gewichtsverlust + Nachtschweiss Leistungseinbusse Rez. Pulmonale Infekte Infiltrationssymptomatik (z.B. Horner Syndrom bei Pancoast-Tumoren) Paraneoplasien (z.B. SiADH, Dermatomyositis…) Metastasenspezifisch (z.B. Pathologischer Knochenbruch, Verwirrung bei Hirnfilia) OA Dr. rer. pol. O. Zaba | 31. Mai 2010 Seite 9 Mögliche Therapiebausteine Operative Massnahmen Bestrahlung Chemotherapie Lokale Therapieoptionen Palliative symptomatische Behandlung Psychoonkologische Begleitung OA Dr. rer. pol. O. Zaba | 31. Mai 2010 Seite 10 Operative Maßnahmen Bei fortgeschrittenen Karzinomen ist eine klassische Resektion nicht indiziert. Als palliative Maßnahme kann operativ aber z.B. per Video assistierte Thorakoskopie (VATS) eine Pleurodese bei rez. Erguss erfolgen. Auch Implantationen von Ports gehören zu den möglichen operativen Maßnahmen in palliativer Situation. OA Dr. rer. pol. O. Zaba | 31. Mai 2010 Seite 11 Bestrahlung (I) Eine transthorakale Bestrahlung von Tumorgewebe ist eine örtlich gut wirksame Therapieoption besonders bei lokal fortgeschrittenem NSCLC Auch symptomatische Metastasen z.B. im Hirn oder an Knochen und Weichteilen sind gute Indikationen Bei weit disseminierter Erkrankung ist eine Bestrahlung (auch des Haupttumors) in der Regel nicht sinnvoll. Die Strahlendosis (in Gray) ist für bestimmte Gewebe auf Lebenszeit nach oben begrenzt, z.B. sollte die Lunge auf Dauer max. 66 Gy Dosis bekommen OA Dr. rer. pol. O. Zaba | 31. Mai 2010 Seite 12 Bestrahlung (II) Vor der Radiatio wird eine Behandlungssimulation angefertigt, bei der die zu erwartende Strahlendosis pro Gewebeabschnitt erkennbar wird. Die Gesamtdosis wird in viele Einzelteile fraktioniert, um die Verträglichkeit zu verbessern (z.B. 20 Einzeldosen bei Lunge + Mediastinum mit 1 Einheit pro Werktag) Der Effekt der Radiatio wird erst einige Wochen nach Radiatio komplett sichtbar. Bei Schmerzbestrahlungen z.B. an Knochenfiliae kann ein erster Effekt aber schon nach wenigen Tagen sichtbar sein. OA Dr. rer. pol. O. Zaba | 31. Mai 2010 Seite 13 Bestrahlung (III) Möglische Risiken sind die Schädigung der bestrahlten (gesunden) Gewebe. Hauptgefahrenorte : 1. Haut (Radiodermatitis) 2. Speiseröhre (Mukositis) 3. Lunge (Strahlenpneumonitis) 4. Knochenmark (Panzytopenie) 5. Hirn (Leukenzephalopathie) Bis auf die Leukenzephalopathie gehen diese Wirkungen nach einigen Wochen zurück. OA Dr. rer. pol. O. Zaba | 31. Mai 2010 Seite 14 Chemotherapie (I) Bei disseminierter Erkrankung ist, insofern der Zustand des Patienten dies zulässt, eine palliative Chemotherapie mit der Zielsetzung der Lebensverlängerung und Qualitätsverbesserung indiziert. Dabei ist die Wahl der Therapeutika von der Histologie, dem Alter und den Nebenerkrankungen abhängig. Klassisch beim NSCLC wirksame Substanzen sind z.B. Platinsalze, Etoposid, Vinorelbin, Gemcitabin und die Taxane „Neuere“ Substanzen sind z.B. Tarceva, Iressa, Avastin, Alimta OA Dr. rer. pol. O. Zaba | 31. Mai 2010 Seite 15 Chemotherapie (II) Adenokarzinom Cisplatin (80mg/m², d1) + Alimta (500mg/m² , d1) + Avastin (7,5mg/kg) , d1) Wdh d22 Docetaxel (75mg/m² , d1) Wdh d22 Tarceva (150mg abs. tgl.) durchgehend Die 1st und 2nd line wird je für 4-6 Zyklen gegeben. Der Wechsel erfolgt bei Plattenepithelkarzinom 1. Cisplatin (80mg/m², d1) + Vinorelbin (30mg/m² , d1 + d8) Wdh d 22 2. Docetaxel (75mg/m² , d1) Wdh d22 3. Gemcitabine (1250mg/m² , d1 + d8 + d15) Wdh d 28 Alle Linien werden 4-6 Zyklen lang gegeben. Der Wechsel erfolgt bei Tumorprogress. Tumorprogress. OA Dr. rer. pol. O. Zaba | 31. Mai 2010 Seite 16 Chemotherapie (III) Praxis Vor Beginn einer jeden Linie wird ein Staging (CT-Thorax/Abdomen, Rö-Th, Broncho, CCT) durchgeführt. Vor jedem Zyklus Kontrolle mittels Labor (BB, Niere, Leber, Entzündung), Rö-Th, EKG, BGA. Nach jedem Zyklus Kontrolle von BB (in etwa) an den Tagen 10, 13, 16 zur Bestimmung des Leukozytennadirs und Eintragung in den Chemotherapiepass. Anhand des Nadirs wird die Dosis für den nächsten Zyklus angepasst. Im Intervall tägliche Temperaturkontrolle durch den Patienten und Kontaktaufnahme bei Fieber oder offensichtlichen Infektzeichen. Dosisreduktionen in Schritten von 10%-50% bei Unverträglichkeiten oder Organtoxizitäten. OA Dr. rer. pol. O. Zaba | 31. Mai 2010 Seite 17 Chemotherapie (IV) Unerwünschte Wirkung Paravasat bei nicht streng intravenöser Gabe Übelkeit / Erbrechen / Inappetenz Phototoxizität (Taxane) Alopezie Panzytopenie Nephrotoxizität (Cisplatin) Neurotoxizität (Vinorelbin) Hepatotoxizität Kardiotoxizität (Anthrazykline) Fatigue Hauterscheinungen „Rash“ (Erlotinib) Mukositis (Pemetrexed) OA Dr. rer. pol. O. Zaba | 31. Mai 2010 Seite 18 Lokale Therapieoptionen – Afterloading I Als Afterloading bezeichnet man die lokale Strahlentherapie mit einer beweglichen Strahlenquelle, die endoskopisch oder operativ in die unmittelbare Nähe des Tumors gebracht wird. Prinzip : Bronchoskopisch wird ein skalierter Leitkatheter an den Tumor plaziert. Die Strahlentherapie berechnet die Zeit, die die Strahlenquelle an die Katheterspitze verbringen muss, um die entsprechende Dosis dorthin zu applizieren. Applikation findet in Abschirmeinrichtung statt (Personal verlässt für 3-5 Minuten den Raum) Es sind 2-4 Sitzungen mit je 5 Gy innerhalb von 2-3 Wochen sinnvoll. OA Dr. rer. pol. O. Zaba | 31. Mai 2010 Seite 19 Lokale Therapieoptionen – Afterloading II Liegender AL-Katheter im Röntgen OA Dr. rer. pol. O. Zaba | 31. Mai 2010 AL-Katheter und Strahlenquelle Seite 20 Lokale Therapieoptionen – APC-Therapie I APC steht für Argon Plasma Coagulation An der Spitze eines APC-Katheters befinden sich zwei Elektroden, zwischen denen eine Hochspannung erzeugt wird Es bildet sich eine sehr heiße Plasmawolke, die Gewebe thermisch zerstört und somit zur Tumormassenreduktion oder Blutstillung benutzt werden kann. Während der Koagulation muss die Sauerstoffzufuhr gestoppt sein (Explosionsgefahr !). Es besteht bei Unkenntnis der individuellen und lokalen Anatomie die Gefahr der Perforation. Der APC-Katheter kann mit einem flexiblen Bronchoskop in leichter Sedation des Patienten benutzt werden. OA Dr. rer. pol. O. Zaba | 31. Mai 2010 Seite 21 Lokale Therapieoptionen – APC-Therapie II APC-Katheter im Bronchoskop OA Dr. rer. pol. O. Zaba | 31. Mai 2010 APC-Therapie im Zwischenbronchus Seite 22 Lokale Therapieoptionen – Stentimplantation I Bei drohenden oder schon bestehenden Stenosen kann die endoskopische Stentimplantation erwogen werden. Implantation nur wenn hinter der Stenose noch geringe Restbelüftung ist, oder der Verschluss „frisch“ ist. Stent sind nur in zentralen Abschnitten möglich (Trachea, Hauptbronchien und Zwischenbronchus) Stentimplantation nur in starrer Bronchoskopietechnik und Vollnarkose mit Jet-Ventilation möglich. Hohes perioperatives Risiko, daher nur in Fachzentren mit geschultem Team durchführbar. OA Dr. rer. pol. O. Zaba | 31. Mai 2010 Seite 23 Lokale Therapieoptionen – Stentimplantation II Y-Stentapplikator OA Dr. rer. pol. O. Zaba | 31. Mai 2010 Stent im linken Hauptbronchus Seite 24 Lokale Therapieoptionen – Stentimplantation III Proximales Stentende in der Trachea OA Dr. rer. pol. O. Zaba | 31. Mai 2010 Hauptcarina im Stent Seite 25 Psychoonkologie Als Psychoonkologie bezeichnet man die psychologische Mitbehandlung krebserkrankter Patienten und deren Angehöriger während der Diagnostik, der Therapie und der Sterbebegleitung. Heutzutage ist die Psychoonkolgie ein unverzichtbarer Bestandteil der internistischen Onkologie (Pflicht bei zertifizierten Tumorzentren !) Angewandt werden sowohl spezielle Gesprächstechniken, als auch nonverbale Kommunikation. Eine wichtige Kommunikationsbrücke zwischen Patient und Ärzten, evtl. auch in Mediation. OA Dr. rer. pol. O. Zaba | 31. Mai 2010 Seite 26 Zusammenfassung Das fortgeschrittene NSCLC ist eine Erkrankung mit schlechter Prognose, bei der alle Therapiestrategien auf eine Lebensverlängerung und Lebensqualitätsverbesserung ausgerichtet sind. Nur eine individuelle interdisziplinäre Verzahnung aller denkbaren Therapieoptionen bringt ein bestmöglichstes Ergebnis. Die Therapieoptionen bestehen meist aus einer Kombination aus Chemound Strahlentherapie, gelegentlich können palliative chirurgische oder lokal ablative Verfahren benutzt werden. Eine psychoonkologische Zusatzbetreuung ist immer zu empfehlen. OA Dr. rer. pol. O. Zaba | 31. Mai 2010 Seite 27