7 2 Generalisierte Angststörung 2.1 Angststörungen im Überblick In der Regel werden Diagnosen im ambulanten und stationären Bereich mittels der International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems klassifiziert, die mittlerweile in der 10. Revision als ICD-10 vorliegt. Neben diesem Verschlüsselungssystem, das für alle Fachgruppen gültig ist, wird in der Psychiatrie auch die 4. Auflage des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-IV) verwendet. Angststörungen sind in der ICD-10 anders gruppiert als im DSM-IV, und finden sich mit anderen Störungen im Abschnitt F4 »Neurotische-, Belastungs- und somatoforme Störungen« (s. Abb. 2-1). Gemeinsames Kennzeichen der in diesem Abschnitt zusammengefassten Störungen ist die Annahme einer starken Beteiligung psychologischer Faktoren an der Entwicklung der Störungen. Die Subdifferenzierungen erfolgen dann anhand der im Vordergrund stehenden Phänomenologie oder der Beteiligung externer Faktoren (z. B. Belastungen, Traumata) an der Entstehung. Zu den spezifischen Angststörungen im engeren Sinn zählen in der ICD-10 (s. Tab. 2-1) die phobischen Störungen (F40) und sonstige Angststörungen (F41). Da, wie bei den meisten Angststörungen, bisher meist nur Studien zum DSM-IV (und Nachweis eines hohen Anteils psychischer Verursachung Untergliederung nach phänomenologischen Syndromen/äußerer Belastung Ängste auslösendes Objekt oder Situation erkennbar ja nein phobische Störung F40 sonstige Angststörung F41 Zwänge schwere äußere Belastung (als Auslöser) erkennbar Zwangsstörung F42 Reaktion auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen F43 vornehmlich körperliche Beschwerden ohne organisches Korrelat dissoziative Störungen F44 somatoforme Störungen F45 sonstige neurotische Störungen F48 Abb. 2-1 Gruppierung der Angststörungen in der ICD-10 (nach Malchow et al. 2001) 8 2 Generalisierte Angststörung Vorgängern) vorliegen, soll dieses Klassifikationssystem auch hier mit als Referenz dienen. Auf nachfolgende Angststörungen wird in diesem Kapitel näher eingegangen: 쐌 Panikstörung mit und ohne Agoraphobie 쐌 Soziale Phobie 쐌 Generalisierte Angststörung (GAS) Im DSM-IV werden zu den Angststörungen zusätzlich auch die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und die Zwangsstörungen gerechnet, auf die hier jedoch nicht näher eingegangen werden soll (s. hierzu Volz u. Stieglitz 1999). Zur Differenzierung der verschiedenen Angststörungen hat sich der in Abbildung 2-2 aufgeführte diagnostische Algorithmus als hilfreich erwiesen. Im ersten Schritt gilt es Angst als allgemeines Hauptsymptom zu differenzieren, sowie dann zu entscheiden, ob es situationsgebunden ist oder nicht. Wenn ja, wäre weiter zu klären, um welche Situationen es sich handelt. Ist die Symptomatik nicht situationsgebunden, wäre anhand der Phänomenologie, vor allem des Verlaufs, zu prüfen, ob die Symptomatik episodisch oder eher überdauernd auftritt (Panik vs. GAS). 2.1.1 Panikstörung mit oder ohne Agoraphobie Eine Panikattacke ist eine klar abgrenzbare Episode ausgeprägter Angst, die innerhalb von 10 Minuten ihren Höhepunkt erreicht und mit einer Reihe von Symptomen verbunden ist (z. B. Schwitzen, Übelkeit, Angst zu sterben). Eine Panikstörung ist gekennzeichnet durch wiederholt auftretende, meist schwer verlaufende sogenannte Panikattacken, die sich nicht auf spezifische Situationen oder besondere Umstände beschränken und für den Patienten in der Regel auch nicht antizipierbar sind. Bei der Agoraphobie handelt es sich um eine Spezifische Phobie, bei der man Tab. 2-1 Spezifische Angststörungen in der ICD-10 F40 Phobische Störungen 쐌 F40.0 – F40.00 – F40.01 Agoraphobie ohne Panikstörung mit Panikstörung 쐌 F40.1 Soziale Phobien 쐌 F40.2 Spezifische (isolierte) Phobien F41 Sonstige Angststörungen 쐌 F41.0 – F41.00 – F41.01 Panikstörung (episodische paroxysmale Angst) mittelgradig schwer 쐌 F41.1 Generalisierte Angststörung 쐌 F41.2 Angst und depressive Störung gemischt 2.1 Angststörungen im Überblick 9 Angst als Leitsymptomatik Hauptsymptom Angst? zusätzliche Symptome: l Depression (F41.2) l Angst und Depression gemischt (F41.2) l Zwang (F42) l Trauma vorhanden (F43.1) l sonst andere Abschnitte des ICD-10 (F0, F1 usw.) Angst situationsbezogen? ja Phobien (F40) Agoraphobie (F40.0) Soziale Phobie (F40.1) nein Panikstörung (F41.0) Generalisierte Angststörung (F41.1) Spezifische Phobie (F40.2) Schweregrad mit ohne Panikstörung Abb. 2-2 Systematik der Angststörungen in der ICD-10 (nach Volz u. Stieglitz 1999) Angst hat, das Haus zu verlassen, Geschäfte zu betreten, sich in Menschenmengen oder auf öffentlichen Plätzen aufzuhalten oder alleine Verkehrsmittel zu benutzen. Wenn Panikstörung und Agoraphobie gemeinsam auftreten, herrschen hinsichtlich der Gewichtung Unterschiede zwischen ICD-10 und DSM-IV. In der ICD-10 spricht man von einer Agoraphobie mit Panikstörung (F40.01), im DSM-IV von einer Panikstörung mit Agoraphobie, das heißt im ersten Fall wird die Panikstörung als zusätzlicher Schweregradindikator angenommen, im zweiten Fall die Agoraphobie. 2.1.2 Soziale Phobie Die Soziale Phobie wurde erstmalig 1980 (wie die PTBS) in die 3. Auflage des DSM (DSM-III) aufgenommen. Während sie anfänglich als eine relativ eng umschriebene Spezifische Phobie konzipiert war, hat sie sich seit Einführung der Revision (DSM-