1 U1_105_tt_tif.qxd 11.03.2014 09:32 Seite 1 1/14 H AUSWIRTSCHAFT UND W ISSENSCHAFT 62. Jg., 1. Quartal 2014, Deutschland: 12,80 z Europe: 14,80 z; USA, Japan: 16,80 z Alltag Was ist das eigentlich? Der Beitrag ab Seite 28 geht dieser Frage nach. Denn „Alltag“ und „Alltagskultur“ werden ganz selbstverständlich verwendet – und dabei oft wenig analysiert und reflektiert. Auditive Medien In der Ernährungsbildung können sie neue Impulse hinsichtlich Lern- und Aufmerksamkeitsmotivation setzen (S. 38). Einsamkeit ... im Alter ist ein Problem einer Gesellschaft, in der Menschen lange leben. Eine Untersuchung zeigt, wie ehrenamtliche Arbeit eine Hilfe sein kann (S. 45). Die dgh-Jahrestagung 2013 ... hatte das Thema „... lass es mich selber machen“. Sie zeigte eine neue Rolle der Hauswirtschaft in sozialen Einrichtungen: Neben das Versorgen tritt das Begleiten. Menschen dürfen und sollen ihre Fähigkeiten einbringen und werden dabei – wenn nötig – unterstützt. Gedacht wird eine „Komposition“: Die Betreuten können ihre eigenen Melodien behalten, und diese werden in ihren individuellen Variationen zum Leitmotiv für das Zusammenspiel aller Professionen (ab S. 7). Europäische Zeitschrift für Haushaltsökonomie, Haushaltstechnik und Sozialmanagement 2 U2 11.03.2014 09:39 Seite 158 DIE THEMEN DER NÄCHSTEN HUW-AUSGABEN Ausgabe 2/14: Thema „Familie“ och einmal möchten wir Sie darauf hinweisen, dass in der kommenden Ausgabe der HAUSWIRTSCHAFT UND WISSENSCHAFT (2/2014) noch nicht „Aktuelle Technik im Haushalt“, das Thema der diesjährigen dgh-Jahrestagung, „dran“ ist (siehe Seite 4 in dieser Ausgabe), sondern aus aktuellem Anlassen „Familien“ den Schwerpunkt bilden sollen. Einer der Gründe ist der „Internationale Tag der Familie“, der am 15. Mai stattfindet (zwei Tage vorher übrigens der „Internationale Tag der Pflegenden“, was ebenfalls eine ganze Menge mit Familie zu tun hat) und zum 20. Mal begangen wird. Aus diesem Anlass lud der Internationale Verband für Hauswirtschaft e.V. (IVHW) zu einem Symposium am 22. Februar 2014. Darüber wird im kommenden Heft zu lesen sein. Sicher gibt es eine Vielzahl an Vorhaben, Gedanken und aktuelle Veröffentlichungen zum Thema „Familien“. Was Hauswirtschaft und Haushaltswissenschaft dazu beitragen, könnte in der HuW 2/2014 stehen. Denken Sie bitte daran, Ihre Kolleginnen und Kollegen anzusprechen und sie für einen Beitrag zu gewinnen, wenn sie sich mit „Familie“ beschäftigen. Welche Schwerpunkte in den nächsten Monaten die HuW füllen sollen, zeigt der Kasten. Schwerpunktthema: Das heißt, dass sich Autoren- und Leserschaft auf Kommendes einstellen können und in einer Ausgabe ein bestimmtes Sujet aus unterschiedlichen Perspektiven untersucht und beschrieben wird. N Ausgabe/ Erscheinungsmonat Thema Redaktionsschluss 2/2014 Juni Familie 2. Mai 2014 3/2014 September Aktuelle Technik im Haushalt (JT 2014) 4. August 2014 4/2014 Dezember Berufliche Bildung 3. November 2014 1/2015 März Care-Konzepte 2. Februar 2015 Das heißt nicht, dass Beiträge zu anderen Fragestellungen nicht veröffentlicht werden würden. Ganz im Gegenteil zeigen zeigen sie das Spektrum der Hauswirtschaft und Haushaltswissenschaft auf und sprechen Leserinnen und Leser an, die an dem „eigentlichen“ Schwerpunkt vielleicht gerade kein so großes Interesse haben. Scheuen Sie sich bitte nicht, die HuW-Redaktion zu kontaktieren, wenn Sie Fragen (auch zu den Terminen) haben. HuW-Red. DAS BEGUTACHTUNGS-/REVIEW-VERFAHREN as Begutachtungsverfahren (Review-Verfahren) ist ein Service der Deutschen Gesellschaft für Hauswirtschaft und ihrer Zeitschrift HAUSWIRTSCHAFT UND WISSENSCHAFT. Es besteht darin, dass ein wissenschaftlicher Originalbeitrag von mindestens zwei unabhängigen Professorinnen/Professoren bewertet wird. Bei einem positiven Votum wird der Beitrag in der Hauswirtschaft und Wissenschaft veröffentlicht. Nur ein begutachteter Beitrag erscheint unter der Rubrik „Aus der Wissenschaft”. Ein Kasten im Text weist darauf hin, dass der Beitrag die Kriterien der wissenschaftlichen Begutachtung der dgh erfüllt hat. D Der Vorteil für die Autoren: Sie können eine wissenschaftlich begutachtete Publikation vorweisen – wie es in vielen Disziplinen notwendig ist. 2 HuW 1/2014 IN DER H UW Ansprechpartnerin für das Begutachtungsverfahren: Prof. Dr. Barbara Freytag-Leyer Hochschule Fulda Fachbereich Oecotrophologie Tel. +49-(0)661-9640-355 E-Mail: [email protected] Beachten Sie bitte den zeitlichen Vorlauf Wird eine bestimmte Ausgabe für die Veröffentlichung gewünscht, so muss der zu begutachtende Beitrag mindestens ein Vierteljahr vor dem Redaktionsschluss der gewünschten Ausgabe eingegangen sein. Bei einem späteren Eintreffen kann die entsprechene Veröffentlichung nicht zugesagt werden. 3 Editorial_Editorial 11.03.2014 09:41 Seite 3 EDITORIAL Ein kultureller Wandel Dr. Inge Maier-Ruppert, Mitglied im dgh-Vorstand „…lass es mich selber machen!“ – Transformationen des Alltags: Dies war die Überschrift der Jahrestagung im September vergangenen Jahres. Die Vorträge und Gespräche auf der Tagung zeigten eine fördernde und unterstützende Hauswirtschaft, die mit einem partizipativen Ansatz tätig ist. In sozialen Einrichtungen werden hauswirtschaftliche Versorgungsaufgaben mit Betreuungsaufgaben zusammengeführt, in Form von Kompetenzpartnerschaften oder als Akzentverschiebung des hauswirtschaftlichen Handelns in Richtung Beraten, Begleiten, Anleiten, Unterstützen. Die professionelle Hauswirtschaft vollzieht damit einen kulturellen Wandel: Begleiten und unterstützen beim Selbertun werden zu weiteren Prinzipien des Tätigseins in der Hauswirtschaft, nicht nur die kompetente Übernahme der Tätigkeit zeichnet hauswirtschaftliche Professionalität aus. Voraussetzung dafür ist ein geschultes Beobachten und Einfühlen in den „Kunden“ und Sehen, was er wirklich will und braucht. Die Bereitschaft des „Kunden“, selbst zu entscheiden und sich zu beteiligen, wird dabei als selbstverständlich unterstellt. Es verändern sich die Rollen der Beteiligten: Die hauswirtschaftliche Mitarbeiterin wird zur Begleiterin, und der „Kunde“ wird von einem passiven Konsumenten zu einem aktiven „Prosumenten“, der seine Fähigkeiten einbringen will, auch wenn er dabei vielleicht Unterstützung braucht. Diese Veränderung der Konsumentenrolle wird auch von Zukunftsforschern und postindustriellen Ökonomen als kennzeichnend für das 21. Jahrhundert beschrieben. Nachhaltigkeit des Konsums bezieht sich auch auf das Verhältnis von Selbstversorgung und Fremdversorgung. Dies muss sich nicht auf den privaten Haushalt beschränken, sondern kann sich als Grundhaltung auch auf hauswirtschaftliche Dienstleistungen in sozialen Einrichtungen und die Einbeziehung der „Kunden“ ausdrücken. Was mache ich als hauswirtschaftliche Mitarbeiterin mit der Aussage des Kunden: „Lass es mich selber tun!“? Wir, die wir in Ausbildung, Fort- und Weiterbildung in den hauswirtschaftlichen Verbänden tätig sind, müssen eine Antwort finden auf die Frage: Welche Professionalität wollen wir in die verschiedenen Dienstleistungsfelder der Hauswirtschaft einbringen? Wie erreichen wir diese Kompetenzen? Eine Antwort haben wir in der dgh für die Hauswirtschaft in sozialen Einrichtungen gefunden: das Handlungskonzept der Hauswirtschaftlichen Betreuung. Die Überlegungen sind damit aber nicht abgeschlossen. Unterstützen Sie uns in den Fachausschüssen und arbeiten Sie mit! Sie sind herzlich eingeladen! HuW 1/2014 3 4 Jahrestagung + Umzug_Layout 1 11.03.2014 09:55 Seite 160 AUS DER DGH Jahrestagung 2014 uch wenn es in dieser Ausgabe der HAUSWIRTSCHAFT UND WISSENSCHAFT in mehreren Beiträgen um die Jahrestagung 2013 in Mainz geht, so gab es inzwischen bereits die Jahrestagung 2014 in Fulda, die vom 19. bis 21. Februar stattfand und ebenfalls ein großartiger Erfolg war. Ausgerichtet hatte sie der Fachausschuss Haushaltstechnik, und der Titel lautete „Aktuelle Technik im Haushalt. Perspektiven und Chancen für Hauswirtschaft und Haushaltswissenschaft“. Prof. Dr. Gerd Naumann, Vorsitzender der dgh, zeigte sich stolz über die Teilnahme von mehr als 100 Personen: „Wir haben diejenigen, die bisher zu den Jahrestagungen A Aufmerksame Zuhörerinnen und Zuhörer Die Mitgliederversammlung des FA wählte neue Vorsitzende: An der Spitze steht jetzt Prof. Dr. Jörg Andreä, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, seine Stellvertreterin ist die bisherige 1. Vorsitzende Michaela Schlich, die mit ihrem Team einen ebenso interessanten wie reibungslosen Tagungsablauf organisiert hatte. Beieindruckend war auch das Ambiente des Tagungsfests am Abend des 20. in Räumlichkeiten des Fuldaer Stadtschlosses. Zu den Themen der Jahrestagung und anderen Fragen der Technik im Haushalt dreht sich die Ausgabe 3/2014 der HAUSWIRTSCHAFT UND WISSENSCHAFT. Termin der Jahrestagung 2015 Die nächste Jahrestagung ist für den 10. /11. September 2015 in Herrsching im Haus der bayrischen Landwirtschaft geplant. Das Thema lautet: Versorgung im ländlichen Raum. Die Organisation obliegt dem FA Haushalt und Wohnen. DIE NEUE ADRESSE DER DGH-GESCHÄFTSSTELLE Die Geschäftsstelle der Deutschen Gesellschaft für Hauswirtschaft hat seit dem 01. November 2013 eine neue Adresse. Sie ist ab sofort unter folgender Anschrift erreichbar: Das Tagungsfest fand in der beeindruckenden Orangerie des Fuldaer Stadtschlosses statt und beflügelte beispielsweise mit dem barocken Dekkengemälde Fantasien und Gespräche. gekommen sind, nicht verschreckt, und wir haben andere angezogen. Das Experiment ist gelungen.“ Kein Wunder bei der Fülle unterschiedlicher Referaten, die zum Beispiel ethische Fragen stellten, neue Entwicklungen aufzeigten oder Consumer Carbon Foodprints sichtbar machten. Ganz in der Tradition des Fachausschusses hielten Nachwuchswissenschaftler Vorträge über ihre Forschungsergebnisse, und in der Tradition der dgh-Jahrestagungen standen Workshops, in denen ganz unterschiedliche Themen bearbeitet wurden. 4 HuW 1/2014 Deutsche Gesellschaft für Hauswirtschaft z. Hd. Agnes Loose Hafenstr. 9 48432 Rheine Telefonisch und per Fax ist die Geschäftsstelle unter folgenden Rufnummern erreichbar: Telefon: 0 59 71/800 73 98 Fax: 0 59 71/800 74 09 5 Inhalt_Layout 1 11.03.2014 10:08 Seite 161 INHALT HAUSWIRTSCHAFT UND WISSENSCHAFT Inhalt Europäische Zeitschrift für Haushaltsökonomie, Haushaltstechnik und Sozialmanagement ISSN: 0017-8454 HERAUSGEBER Deutsche Gesellschaft für Hauswirtschaft e.V. Vorsitzender: Prof. Dr. Gerd Naumann Geschäftstelle: Hafenstr. 9, 48432 Rheine Telefon: 0 59 71/800 73 98, Fax: 0 59 71/800 74 09 E-Mail: [email protected] REDAKTION, GESTALTUNG, ANZEIGEN Redaktionsbüro Ilse Raetsch Heiglhofstr. 39, 81377 München Tel. 089/71 01 90 84, Fax 032 12/136 17 42 E-Mail: [email protected] VERLAG HuW erscheint im Selbstverlag der Deutschen Gesellschaft für Hauswirtschaft e. V. (dgh). Kontakt: dgh, c/o Ilse Raetsch, Heiglhofstr. 39, 81377 München, Tel. 089/71019084, E-Mail: [email protected] Die Beiträge der Autoren geben nicht zwangsläufig die Meinung der Herausgeberin wider. WISSENSCHAFTLICHE BEGUTACHTUNG Originalbeiträge, die in HuW unter der Rubrik „Aus der Wissenschaft” erscheinen, haben ein Gutachterverfahren durchlaufen. Die Veröffentlichung ist an das positive Votum von mindestens zwei Gutachtern gebunden. Koordination: Barbara Freytag-Leyer, Hochschule Fulda, Fachbereich Oecotrophologie, Tel. +49-(0)661/9640-355, [email protected] ERSCHEINUNGSWEISE HuW erscheint quartalsweise (im März, Juni, September und Dezember). BEZUG Über den Buchhandel oder den Verlag. Einzelpreise 2013: Deutschland 12,80 z, Europa 14,80 z, Welt 16,80 z Aus der dgh Jahrestagung 2014 der dgh: Aktuelle Technik im Haushalt“ 4 Jahrestagung 2013 der dgh Martina Feulner, Ulrike Pfannes Hauswirtschaftliche Betreuung – ein partizipatives Konzept für nachhaltiges Handeln 7 Ursula Schukraft, Margarete Sobotka „Und was kam dabei raus?“Ideen, Fragen und Thesen der Jahrestagung der dgh 2013 20 Martina Schäfer, Alfred Vollmer Vom Menschenbild zur Charta der Hauswirtschaft 23 Werner Brandl Durch pädagogische Begleitung selbst organisiert lernen – Widerspruch oder doch konsequent? 25 Barbara Methfessel, Kirsten Schlegel-Matthies Alltagskultur: viel beschworen, wenig wissenschaftlich durchdrungen?! 28 Michaela Schlich Arbeiten mit auditiven Medien in der Ernährungsbildung 38 Johannes Behnen, Annika Laukamp, Elisabeth Leicht-Eckardt Einsamkeit und Ehrenamt im Alter 45 Termine 50 ABONNEMENT/SUBSCRIPTION Der Abonnementpreis beträgt pro Jahr (2013): 44,00 z (Studierende: 35,20 z) im Inland, 50,00 z im europäischen Ausland und 56,00 z für Lieferadressen im Rest der Welt (inkl. Porto). Das Abonnement kann jederzeit abbestellt werden. Subscription rates per year (2013): for addressees in Germany 44.00 z (students 35.20 z); in Europe 50.00 z; in the rest of the world 56.00 z. Postage included. HUW IM INTERNET Zusammenfassungen der Hauptbeiträge können Sie unter www.dghev.de recherchieren (bis 1998 zurück). Hier finden Sie auch das Merkblatt für Autorinnen und Autoren zu Beiträgen für HuW. Schreibweisen: Wenn in einem Beitrag nur die männliche oder weibliche Sprachform vorkommt, geschieht dies aufgrund der besseren Lesbarkeit des Artikels. Das jeweils andere Geschlecht ist selbstverständlich ebenfalls gemeint. TITELBILD: Matton Images REDAKTIONSSCHLUSS FÜR HEFT 2/2014: 2. MAI 2014 HuW 1/2014 5 6-19 Feulner-Pfannes_Layout 1 11.03.2014 11:40 Seite 1 DGH-JAHRESTAGUNG 2013 Neue Professionalität Auf die Haltung kommt es an Mehr als 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren vom 18. bis 20. September 2013 nach Mainz zur Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Hauswirtschaft (dgh) gekommen. Sie interessierten sich für das Thema, das nicht weniger versprach als mit der Hauswirtschaftlichen Betreuung eine neue Professionalität zu finden, die über die traditionellen Standards hinausgeht. ür sich sorgen, Verantwortung übernehmen, den eigenen Lebensstil finden und selbst gestalten, kreativ und mit allen Sinnen aktiv sein – Alltag kann all dies in sich bergen. Die Versorgungsaufgaben des Alltags liefern vielfältige Möglichkeiten, tätig zu sein, und sie helfen uns, uns auszudrücken: Wir erleben Begeisterung und Stolz auf Getanes und können im Einrichten, im Selbermachen, beim Kochen und Putzen individuell gestalten. Diese Erfahrungen lassen sich auch für die professionelle Hauswirtschaft nutzen. Es geht um die Förderung von Selbstbestimmung und den Erwerb von Alltags- und Haushaltsführungskompetenzen. Es geht darum, nicht alles selbst zu übernehmen, sondern zu unterstützen, dass Menschen mit und ohne Hilfebedarf für sich selbst sorgen können. Die Auseinandersetzung mit den neuen Ansätzen zeigt, dass eine Konzentration auf Versorgung Abhängigkeiten schaffen kann. Bildungs- und Beratungskonzeptionen dagegen befähigen, selbst tätig zu werden. F Versorgung kann Abhängigkeiten schaffen Die charakterisierende Grundhaltung in der Hauswirtschaftlichen Betreuung ist: Nicht für andere entscheiden, sondern im Dialog mit dem Gegenüber die Aufgaben des Alltags bewältigen. Nicht versorgen, sondern mit einer Haltung tätig werden, die den Menschen Assistenz und Begleitung anbietet. Hauswirtschaftliche Betreuung schafft die Grundlage, dass die Hauswirtschaft professionell im Sinne der Förderung von Selbstbestim6 HuW 1/2014 mung und Teilhabe tätig werden kann. Dieser neue Ansatz braucht den fachlichen Diskurs, entschied der Fachausschuss Hauswirtschaftliche Dienstleistungsbetriebe in der Deutschen Gesellschaft für Hauswirtschaft. Umgesetzt wurde dies in der Jahrestagung der dgh, die nicht nur von Interaktionen handelte, sondern sie auch von den Teilnehmenden forderte. Eine Tagung, während der sich Wissenschaft und Praxis gemeinsam und intensiv mit dem zweiten Handlungskonzept der Hauswirtschaft auseinandersetzten. Der Kontext Alltag steht für Normalität, für Aufgaben, die im Leben wichtig sind Die Besonderheit der hauswirtschaftlichen Betreuung liegt darin, dass sie (sozial)pädagogischen/(sozial)pflegerischen Regeln und Haltungen im Umgang und in der Zusammenarbeit mit den betroffenen Menschen folgt. Eine spezifische Wirkung entsteht durch das Alltagssetting, in dem die Hauswirtschaft tätig ist. Der Kontext Alltag steht für Normalität und damit für Aufgaben, die im Leben wichtig sind. Das macht die Einzigartigkeit der Hauswirtschaftlichen Betreuung aus, so das Resümee von Martina Feulner und Prof. Dr. Ulrike Pfannes in ihrem Einstiegsreferat (siehe ab Seite 7 in dieser Ausgabe). Ergänzend wurden Konzepte sozialer Einrichtungen vorgestellt, in denen Selbstbestimmung und Teilhabe im Vordergrund stehen. Diese Konzepte rücken das Menschenbild und die Haltung gegenüber den Klienten, Gästen oder Nutzern in den Mittelpunkt. Eine Haltung, die die Fähigkeiten und das Wissen des Gegenübers sieht, die zuhört, die Wünsche und Bedürfnisse achtet und wahrt und „selber machen“ lässt, wo immer es möglich ist. Dieses Zulassen und Fördern von Selbstständigkeit – auch bei Unterstützungsbedarf – braucht hauswirtschaftliche Fach- und Sozialkompetenz und verlangt, die oft als selbstverständlich erachtete Einstellung zu helfen in den Hintergrund treten zu lassen. Referenten der Tagung waren z. B. der Gartentherapeut Andreas Niepel oder Sven Neumann, der das Konzept der Arbeitsassistenz vorstellte. Die Teilnehmenden kamen in Murmelrunden miteinander ins Gespräch (siehe ab Seite 20). Die Zusammenfassung dieser Gespräche verstärkte die Aufforderung hauswirtschaftliche Betreuung in Einrichtungen, in Ausbildung, Schule und Hochschule, wie auch in den hauswirtschaftlichen Verbänden weiter zu vertiefen, vielleicht auch in eine Charta der Hauswirtschaft zu übersetzen (siehe ab Seite 23). Wichtigste Forderung der Teilnehmenden war die weitere Integration sozialer Kompetenzen in Aus-, Fort- und Weiterbildung. Ob und wie selbst organisiertes Lernen funktionieren kann, stellte Werner Brandl, Institutsrektor am Staatsinstitut für die Ausbildung von Fachlehrern in München vor (siehe ab Seite 25). Die Deutsche Gesellschaft für Hauswirtschaft wird in ihren verschiedenen Fachausschüssen diese Thematik weiterverfolgen. Ergänzend zum Grundlagenwerk der Deutschen Gesellschaft für Hauswirtschaft „Alltag leben! Hauswirtschaftliche Betreuung“ (siehe letzte Umschlagseite) ist aktuell eine Veröffentlichung zum Thema „Ernährung und Mahlzeitengestaltung“ in Arbeit. Bei Interesse am fachlichen Diskurs und Austausch rund um die Hauswirtschaftliche Betreuung ist der Fachausschuss Hauswirtschaftliche Dienstleistungsbetriebe die richtige Adresse. Ansprechpartnerin: Dr. Inge Maier-Ruppert Vorstandsmitglied dgh Tel. 0941-84905 Mail: [email protected] 6-19 Feulner-Pfannes_Layout 1 11.03.2014 11:40 Seite 7 HAUSWIRTSCHAFTLICHE BETREUUNG Hauswirtschaftliche Betreuung – ein partizipatives Konzept für nachhaltiges Handeln Martina Feulner, Ulrike Pfannes Mit dem Thema Betreuung befasst sich die Hauswirtschaft schon seit längerer Zeit. In den ersten Auseinandersetzungen mit Alltags- und Lebensweltorientierung in sozialen Einrichtungen wurde sehr schnell deutlich, dass Hauswirtschaft und Küche ein Handlungskonzept brauchen, das die in den neuen Konzepten gewünschte Beteiligung und damit Selbstbestimmung unterstützt und fördert. Es galt, den Neuorientierungsprozess sozialer Einrichtungen mitzugestalten. Die Grundlagen für das Handlungskonzept Hauswirtschaftliche Betreuung sind entwickelt, das Grundlagenwerk der Deutschen Gesellschaft für Hauswirtschaft dazu liegt vor1. In der betrieblichen Praxis ist es angekommen, und immer mehr Einrichtungen greifen in den aktuellen Neuorientierungsprozessen auf das Konzept zurück2. Die nächsten Schritte sind eine weitere Fundierung des Konzeptes und die Stärkung der Wissens- und Handlungskompetenz der Leitungsverantwortlichen und der in Interaktion mit den Nutzerinnen und Nutzern Tätigen. 1 Einleitung Der Beitrag fußt auf der Präsentation, die die beiden Autorinnen während der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Hauswirtschaft (dgh) 2013 in Mainz hielten. Der Titel der Tagung, die vom 18. bis 20. September vom Fachausschuss Hauswirtschaftliche Dienstleistungsbetriebe ausgerichtet worden war, lautete „... lass es mich selber machen“ – Transformationen des Alltags. er Ansatz des Konzeptes, Beziehung und Beteiligung in der Hauswirtschaft in den Mittelpunkt zu stellen bei gleichzeitiger Gewährleistung einer verlässlichen Versorgung, verändert nicht nur das Handeln selbst. Mit dem partizipativen Konzept der Hauswirtschaftlichen Betreuung können Aktivierung und Förderung direkt und unmittelbar in der tagtäglichen Daseinsvorsorge stattfinden und erweitern damit den Wirkungskreis von beteiligendem Handeln. Mit einem Handlungskonzept, das die Hauswirtschaft zu ihrem Versorgungsansatz entwickelt, erweitert sie ihr Handlungsfeld. Schulz-Nieswandt3 weist darauf hin, dass die Hauswirtschaft damit in die Kernfelder anderer Professionen (z. B. D 1 Deutsche Gesellschaft für Hauswirtschaft 2012 2 In der Altenhilfe sind es Einrichtungen, die als Haus- und Wohngemeinschaften angelegt sind, z. B. Häuser der Bremer Heimstiftung, das KlausBahlsenhaus in Hannover, St. Valentin in Karlsruhe, das St. Carolushaus in Freiburg. In der Behindertenhilfe wird das Konzept seit mehreren Jahren im Kreis der Hauswirtschaftsleitungen im Rahmen der jährlichen Fachtagung des Bundesverbandes evangelischer Behindertenhilfeeinrichtungen e.V. befördert und in der Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e.V. liegt eine erste auf die Behindertenhilfe spezialisiert ausgerichtete Veröffentlichung vor (Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie, 2010). 3 Heilpädagogik, Pflege) eindringt und die ihr zugewiesene Rolle im Facility Management bzw. der infrastrukturellen Peripherie verlässt. Inwieweit ihr eine Professionalisierung mit der Hauswirtschaftlichen Betreuung gelingt, hängt von verschiedenen Faktoren ab: von Kraftfeldern in der politischen Akteurslandschaft, der Nutzung der Ausbildungsspielräume, Persönlichkeitsentwicklung im Rahmen beruflicher Haltungssozialisation, Entwicklung von Selbstbewusstsein und Kompetenz sowie Pilotprojekten. Basis aus seiner Sicht ist die Care-Ethik der Achtsamkeit als Normhorizont (Schulz-Nieswandt 2013, S. 137 ff.). Er fordert mit Nachdruck die Hauswirtschaft auf, sich der Herausforderung zu stellen, da eine wichtige Lücke im Sorgesetting für Menschen mit Hilfebedarf zu schließen ist. Diese diffe- Im Rahmen der Fachtagung zur hauswirtschaftlichen Berufsbildung „Hauswirtschaft: Betreuung im Fokus“ am 9. März 2013 in Göppingen bezog Frank Schulz-Nieswandt, Professur für Sozialpolitik und Methoden der qualitativen Sozialforschung im Institut für Soziologie und Sozialpsychologie (ISS) sowie des Seminars für Genossenschaften an der Universität zu Köln, differenziert Stellung zu dem neuen Handlungskonzept der Hauswirtschaft. Everyday life care – developing home economics Everyday life care radically transforms institutional care to create real homes where residents and direct care staff enjoy meaningful lives, significantly enhanced control and improved care outcomes. Key attributes of the model include: normal living, self determination and participation, person-directed care and individualized approach. The concept is developed by the German Association of Home Economics and currently the differentiation is in the works. HuW 1/2014 7 6-19 Feulner-Pfannes_Layout 1 11.03.2014 11:40 Seite 8 MARTINA FEULNER, ULRIKE PFANNES renzierte Außensicht macht Mut, die nächsten Schritte zu gehen. Die Beobachtungen zeigen aber auch, dass eine wichtige Wegstrecke bis zur Professionalisierung noch zurückzulegen ist. Mit dem nachfolgenden Beitrag wird das Konzept Hauswirtschaftliche Betreuung weiter theoretisch fundiert und mit praktischen Beispielen illustriert: Dies ist einerseits wichtig für die Domäne Hauswirtschaft, um für diese Thematik die Grundlagen zu differenzieren und Detailklärungen vorzunehmen. Es ist andererseits bedeutsam im Hinblick auf die anstehenden Auseinandersetzungen mit Professionen, mit denen Hauswirtschaft in sozialen Einrichtungen und Diensten zusammenarbeitet und damit auch in Konkurrenz steht. Dies sind insbesondere Pflege, Pädagogik und Ergotherapie. Für die Hauswirtschaft ist es wichtig, das ihr eigene Betreuungsverständnis zu profilieren und in Ergänzung zu den Betreuungskonzeptionen der anderen Professionen zu platzieren. Nicht zuletzt ist der Beitrag der Hauswirtschaft für die aktuellen gesellschaftlichen und sozialen Herausforderungen transparent darzulegen, die positive Wirkung für die Nutzerinnen und Nutzer ist darzustellen, um den Mehrwert dieses Ansatzes nachvollziehbar zu begründen und damit die Domäne Hauswirtschaft in den aktuellen Diskussionen professionell zu positionieren4. 2 Kontexte und Rahmenbedingungen Die Leistungen der Hauswirtschaft sind vielfältig5. Ergänzend kommt hinzu: Da hauswirtschaftliche Dienstleistungen in allen Feldern sozialer Arbeit eine Rolle spielen, muss sie sich mit verschiedenen Kontexten auseinandersetzen und steht in der Verantwortung, jeweils passgenaue Lösungen zu entwickeln. An die Hauswirtschaft in der Altenhilfe werden andere Anforderungen gestellt als in der Behinderten- oder in der Familienhilfe. In der Konsequenz wird es notwendig, zur Professionalisierung des neuen Handlungskonzeptes in mehrere Richtungen aktiv zu werden. Hieraus ergeben sich aber auch Wechselwirkungen, die die Hauswirtschaft für ihre Professionalisierungsstrategien nutzen kann. Erfahrungen aus einem Feld können für die anderen Felder genutzt werden. Wichtig ist, dass die Domäne Hauswirtschaft selbst zur aktiven Mitgestalterin wird. Dies gilt für die Bedeutung der Hauswirtschaft in der Gesellschaft insgesamt genauso wie in den verschiedenen Feldern sozialer Leistungen und direkt in den Einrichtungen und Diensten. Entwicklungen, die aktuell genutzt werden können, zeigen ein anwachsendes Interesse an hauswirtschaftlichen Leistungen. Die Aufgaben der Alltagsgestaltung und der Alltagssicherung, wie sie in der Hauswirtschaft gebündelt sind, sind zu einer gesellschaftlich wichtigen 4 Hier sind die Auseinandersetzung mit der demografischen Entwicklung genauso zu nennen wie die Kritik an der Pflegepolitik, die Sozialraum- und Quartiersentwicklungsprozesse und die Beförderung von Selbstbestimmung und Teilhabe durch Inklusion. 5 Hauswirtschaft umfasst im engeren Sinne die Aufgaben der Verpflegung, Reinigung, Wäschepflege und Wohnumfeldgestaltung. 8 HuW 1/2014 Größe geworden, die es zu nutzen gilt. Im folgenden Kapitel werden ausgewählte Sachverhalte hierzu dargelegt. 2.1 Der Cure- und Care-Ansatz: Politikentwurf für eine nachhaltige Sicherung von Pflege und Teilhabe Immer mehr Familien stehen vor der Aufgabe, dass einer ihrer Angehörigen in sozialer, pflegerischer und hauswirtschaftlicher Hinsicht täglichen Unterstützungsbedarf hat. In der Betrachtung der notwendigen Hilfen wird klar, dass sie sich auf die gesamte Lebenssituation eines pflegebedürftigen Menschen beziehen müssen. Sie dürfen sich nicht allein auf pflegerische Leistungen beschränken. Die Alltagsbezogenheit der Hilfen wird genauso wie der Quartierbezug zu wichtigen Gradmessern, wenn vorhandene Ressourcen unterstützt und gefördert werden und der Gedanke „ambulant vor stationär“ in Betreuungssettings greifen soll. Was in privaten Kontexten längst erkannt ist, ist noch lange nicht im Pflegeverständnis angekommen und als Leistungen im Pflegeversicherungsrecht verankert. In dem 2013 veröffentlichten Diskussionspapier zur Weiterentwicklung und Sicherung der Versorgung von Menschen mit einem Pflege- und Unterstützungsbedarf wird von Hohberg/Klie/Künzel vorgeschlagen, den Inhalt dessen, was in Deutschland bisher unter Pflege verstanden wird, in Cure und Care zu differenzieren und damit das bisher zugrunde liegende Verständnis zu erweitern (Hohberg/Klie/Künzel 2013). Unter Cure werden medizinische, pflegerische und therapeutische Maßnahmen verstanden, die zur Prävention, Kuration, Rehabilitation und Palliation dienen. Zu Care zählen alle Formen der Sorge und Versorgung, wie sie im Lebensalltag erforderlich sind: personenbezogene Leistungen zur unterstützenden Alltagsgestaltung, hauswirtschaftliche Basisversorgung, Grundpflege und Förderung der sozialen Bezüge. Entwickelt wird die Idee von einem Setting, in dem Kompetenzen verschiedener vorhandener Professionen zum Tragen kommen. Diese Kompetenzen müssen aber für das neue Setting noch zugeschnitten werden. Die Differenzierung in Cure und Care wirft Fragen zu den Profilen der bestehenden Berufe im Gesundheits- und Sozialwesen auf. Pflege soll sich auf den Cure-Bereich konzentrieren. Im Rahmen beruflicher Hilfen soll der Care-Bereich von anderen Berufsgruppen wahrgenommen werden (Hoberg/Klie/Künzel 2013, S. 11 f.). Die jetzt schon in der Hauswirtschaft vorhandenen Kompetenzen und insbesondere das Konzept der Hauswirtschaftlichen Betreuung werden für eine professionelle Umsetzung wichtig. Die Eckpunkte weisen für den Bereich Care ausdrücklich darauf hin, dass hauswirtschaftliche Berufe und Assistenzberufe, die auf die Unterstützungsbedarfe und -wünsche der jeweiligen Personen ausgerichtet sind, wichtig sind. Es wird zudem explizit betont, dass übergreifende Funktionen wie z. B. Case Management allen Berufsangehörigen aus dem Cureund Care-Bereich mit entsprechender Zusatzqualifikation offen stehen (Hoberg/Klie/Künzel 2013, S. 26 f.). 6-19 Feulner-Pfannes_Layout 1 11.03.2014 11:40 Seite 9 HAUSWIRTSCHAFTLICHE BETREUUNG Aktuelle Entwicklungen: Bedeutung für die Domäne Hauswirtschaft Cure & Care Unterstützung und Management Anamnese Vereinbarung von Pflegezielen Pflegeprozess Extended Nurses/primary nursing („kleine Heilbehandlung“) professionelle Interaktion Alltagsgestaltung Cure Pflege Fachpflege Medizin Therapie Krankenbeobachtung → professionelle Hermeneutik Care Hauswirtschaft Familie persönliche Unterstützung Nachbarn Teilhabe Hauswirtschaft Assistenz Abb. 1: Differenzierung Cure und Care nach Hoberg/Klie/Künzel 2013 Vor dem Hintergrund dieser aktuellen Diskussion entwickeln sich für die Domäne Hauswirtschaft neue Herausforderungen und Chancen u. a. für eine Kompetenzpartnerschaft mit anderen Berufsgruppen. Damit wird es in den aktuellen Forschungsvorhaben6 und in den Diskussionen und Positionierungen der hauswirtschaftlichen Berufs- und Fachverbände7 zur Weiterentwicklung (des Erstberufes in) der Hauswirtschaft wichtig, sich mit diesen Neuausrichtungen auseinanderzusetzen. Bislang ist dem Care-Bereich noch keiner der bestehenden Berufsdomänen zugeordnet. Mit dem Handlungskonzept Hauswirtschaftliche Betreuung ist die Hauswirtschaft prädestiniert, hier zur Stakeholderin zu werden. Der Cure- und Care-Ansatz zeigt, dass die Verankerung beider Säulen der Hauswirtschaft – Versorgung und Betreuung – von zentraler Bedeutung ist. Hauswirtschaft liegt mit der Etablierung des neuen Konzeptes Hauswirtschaftliche Betreuung „voll im Trend“. 2.2 Entwicklungen in sozialen Einrichtungen In sozialen Einrichtungen und Diensten werden verstärkt der Alltag und die Lebenswelt von Menschen mit Hilfebedarf in den Blick genommen. In einem ersten Schritt wurde der neue Ansatz mit veränderten Anforderungen an die Wohn- und Lebenswelt in den Neubauten und Renovierungen der letzten Jahre erprobt. Entstanden sind z. B. Haus- und Wohngemeinschaften, die das Stations- und Wohnbereichsmodell ablösen (Kuratorium Deutsche Altershilfe, 2008). In den neuen Konzepten rückt das ganz normale Leben – der Alltag mit seinen Versorgungsaufgaben – in den Vordergrund. In der Folge werden Konzepte wichtig, deren Ziel der Erhalt und die Förderung von Eigenständigkeit und Selbstbestimmung im Alltag sind. Anknüpfend an die bei den Nutzerinnen und Nutzern vorhandenen Ressourcen und Kompetenzen werden Lösungen für eine möglichst eigenständige Versorgung entwickelt. Damit spielen Fragen zur Alltagsgestaltung und zur Vermittlung von Alltagskompetenzen eine große Rolle. Ähnlich wie in der Altenhilfe sind auch die Einrichtungen der Behindertenhilfe, der Kinder- und Jugendhilfe einem Wandel unterworfen. Die sozialen und ökonomischen Bezüge des Lebens gewinnen an Bedeutung, und schlüssige Konzepte sind gefragt, die den neuen Ansatz befördern. In diesem Kontext wird es für die Hauswirtschaft wichtig, ihren Ansatz, die Hauswirtschaftliche Betreuung, systematisch weiterzuentwickeln und feldbezogen zu differenzieren. 6 Durch das Bundesministerium für Wirtschaft wurde die Studie „Neue Perspektiven für die Hauswirtschaft – Analyse des Berufsfeldes, Profilschärfung und Neupositionierung der Professionalisierung“ an das Zentrum für Sozialforschung in Halle in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse im Sommer 2014 vorliegen werden. 7 Die aktuelle Arbeitsergebnisse der Strategiegruppe der Verbände unter Federführung der Bundesarbeitsgemeinschaft Hauswirtschaft sind auf den Internetseiten der Deutschen Gesellschaft für Hauswirtschaft nachzulesen: www.dghev.de 2.3 Gesellschaftliche Entwicklungen und Trends Neben der Betonung von Selbstbestimmung und Teilhabe in der Alltagsgestaltung von Menschen mit Hilfebedarf stehen die gesellschaftlichen Trends, die mit einer „Wiederentdekkung des Alltags“ einhergehen. HuW 1/2014 9 6-19 Feulner-Pfannes_Layout 1 11.03.2014 11:40 Seite 10 MARTINA FEULNER, ULRIKE PFANNES Zwei unterschiedliche Motivatoren für diese Wiederentdeckung hauswirtschaftlichen Handelns und hauswirtschaftlicher Kompetenzen lassen sich feststellen – auch wenn das Wort Hauswirtschaft in diesem Kontext zumeist nicht verwendet wird: 1. Begeisterung: Die Aufgaben des Alltags werden wieder entdeckt. Sie stehen für Spaß, Kreativität und Sinnhaftigkeit. Hauswirtschaft in neuem Gewand macht Spaß, wenn sie Teil eines positiven Lebensgefühls wird und als Freizeitaktivität nach Lust und Laune genossen werden kann: der DIY-Trend8 mit „neuer“ Handarbeit, z. B. MyBoshi9, mit Männern, die leidenschaftlich und mit neuster Technik in der Freizeit kochen, mit selbst gemachten Köstlichkeiten aus der Küche, die verschenkt werden, und mit immer wieder neuen Dekorationsideen für die eigenen vier Wände. Gleichzeitig werden traditionell im privaten Lebensumfeld angesiedelte Tätigkeiten vergemeinschaftet und tragen zur Wohnumfeldgestaltung bei. Urban gardening, wie es aktuell in vielen Städten und Gemeinden praktiziert wird, steht auch für diese neue Entwicklung. 2. Verantwortung: Haushälterisches Handeln und Verantwortung ist ein Begriffspaar, das schon immer in einer engen Verbindung zueinander stand und an Bedeutung gewinnt. Die haushälterische Vernunft wird heute abgelöst durch gemeinsam getragene Verantwortung. Hierzu einige Beispiele: a) Food Waste: nicht nur in nationalen Aktionen des Bundesministeriums für Landwirtschaft verankert, sondern weltweit gefordert wird der sorgsame Umgang mit Lebensmitteln. So programmiert die Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO) „estimates that each year, approximately one-third of all food produced for human consumption in the world is lost or wasted” (FAO 2013, S. 6). b) Bei IN FORM – Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung, einer Kampagne der Bundesministerien für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sowie für Gesundheit, steht die Gesundheitsförderung in Familien, sozialen Einrichtungen und im öffentlichen Leben mit dem Themenfeld Ernährung im Mittelpunkt10. c) Nachhaltigkeit im Umgang mit Lebensmitteln11 hat viele Facetten: Bio-Lebensmittel, Fair-Trade Produkte, vegetarische und vegane Ernährungsstile, regionaler und saisonaler Einkauf. Dahinter stehen Organisationen und Kampagnen wie Slow Food, Food-Sharing, die Transition-Town-Bewegung und Konzepte des solidarischen Wirtschaftens12. Diverse dieser Trends sind jung, aber die Wurzeln sind alt und eng mit einem Verständnis der Daseinsvorsorge verbunden, wie es in der Hauswirtschaft grundgelegt ist: schonend mit Ressourcen umzugehen, durch Hege und Pflege Werte zu erhalten und dabei in enger Beziehung zu den Menschen und zur 8 DIY: Do it yourself 9 MyBoshi®, eine Marke für selbstgehäkelte, individuelle Mützen 10 Weiterführende Informationen unter www.in-form.de Natur zu leben. In all den „neuen“ Entwicklungen wird deutlich: Hauswirtschaftliche Basiskompetenzen spielen eine große Rolle, und damit sind Kompetenzträgerinnen und -träger in diesen Entwicklungen wichtige Akteurinnen und Akteure. Nachfolgend wird mit Bezug zum Aspekt Verantwortung der Ansatz der Nachhaltigkeit weiter vertieft, da sich viele der genannten Sachverhalte hier einordnen bzw. Teilaspekte davon darstellen lassen. Nachhaltigkeit gewinnt zudem eine immer größere Bedeutung13: Hintergründe sind u. a. Umweltveränderungen durch den Menschen (Klimawandel, Ressourcenverbrauch) sowie Generationen- und Handelskonflikte (Industrie-, Entwicklungs- und Schwellenländer). Nachhaltigkeit wird nicht nur für das Handeln in privaten Haushalten zugrunde gelegt, sondern auch in institutionellen Bezügen diskutiert und umgesetzt als Corporate Social Responsibility (CSR)14, als unternehmerische Gesellschaftsverantwortung. Nachhaltigkeit wird zumeist auf zwei verschiedene Arten thematisiert, die auch für diesen Beitrag eine Relevanz haben: ■ als Ansatz, bei dem Maßnahmen, Prozesse, Aktivitäten oder Handlungen anhaltend, längerfristig und dauerhaft angelegt sind, und/oder ■ als Entwicklung, die Bedürfnisse der heutigen Generationen zu befriedigen, ohne die Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen zu gefährden. Der erste Ansatz bezieht sich auf die Schnelllebigkeit, die für unsere Gesellschaft charakteristisch ist. Diese Schnelllebigkeit birgt u. a. die Gefahr, dass viele Dinge begonnen werden (z. B. Projekte, neue Produkte) und nach kurzer Zeit schon wieder durch andere ersetzt werden. Nachhaltigkeit meint hier Verlässlichkeit und Kontinuität und die Berücksichtigung nicht nur kurzfristiger Perspektiven, sondern auch mittel- und langfristiger Auswirkungen. Der zweite Ansatz bezieht sich auf das Grundmodell der Nachhaltigkeit mit den drei Säulen: Ökonomie, Ökologie und Soziales. Unter nachhaltiger Entwicklung wird ein (gesellschaftliches) Handeln verstanden, das in verantwortlicher Weise soziale, ökologische und wirtschaftliche Anforderungen verbindet. Seit der Rio-Konferenz der Vereinten Nationen von 1992 wird es auf internationaler und nationaler Ebene zur Förderung von verantwortungsvollem und zukunftsfähigem Handeln entwickelt. ■ Dabei fällt in Bezug auf die Hauswirtschaft auf, dass der ökologische Aspekt mittlerweile vielfach diskutiert und umgesetzt wird, besonders mit dem Schwerpunkt Lebensmittel bzw. Essen und z. T. auch in Bezug auf Reinigungsmittel. ■ In den Dimensionen Ökonomie und Soziales besteht in der Hauswirtschaft Nachholbedarf. Ökonomische Aspekte – vor allem kostenrelevante Betrachtungsweisen – haben im Laufe der letzten Jahre in den bestehenden Einrichtungen eine do13 vgl. Gerlach/Stomporowski/Tecklenburg (2013), Kettschau/Mattausch (2013) 11 Nachhaltigkeit – Corporate Sustainbility im Sinne eines nachhaltigen Wirtschaftens 12 Weiterführende Informationen unter www.slowfood.de, www.foodsharing.de, www.transition-initiativen.de, www.solidarische-oekonomie.de 10 HuW 1/2014 14 CSR – Corporate Social Responsibility: Konzept, das den Unternehmen als Grundlage dient, auf freiwilliger Basis soziale Belange und Umweltbelange in ihre Unternehmenstätigkeit und in die Wechselbeziehungen mit den Stakeholdern zu integrieren. 6-19 Feulner-Pfannes_Layout 1 11.03.2014 11:40 Seite 11 HAUSWIRTSCHAFTLICHE BETREUUNG minierende Rolle eingenommen. Aufgrund des ökonomischen Drucks auf soziale Einrichtungen wird die Hauswirtschaft nicht selten als reiner Kostenfaktor betrachtet; in der Folge kam es zum verstärkten Outsourcing von hauswirtschaftlichen Leistungen. Damit wurden nicht selten Arbeitsplätze abgebaut, anstatt sie im Sinne der Nachhaltigkeit zu sichern. Gleichzeitig wurde aber durch die Schaffung von Arbeitsplätzen in hauswirtschaftlichen Dienstleistungsfeldern für Menschen mit Vermittlungshemmnissen auf dem ersten Arbeitsmarkt der ökonomischen Dimension Rechnung getragen. ■ Die soziale Perspektive der Nachhaltigkeit ist bislang in der Domäne Hauswirtschaft relativ wenig thematisiert, erhält aber durch das Konzept der Hauswirtschaftlichen Betreuung eine weitere fachliche Fundierung, die es in ihren Ausprägungen wahrzunehmen und auszubauen gilt. Mit dem Alltagskompetenzen fördernden Konzept wird gesellschaftliche Teilhabe in einem Feld gezielt gefördert, das in der Vergangenheit in den Feldern der sozialen Arbeit stiefmütterlich behandelt wurde. Die Hauswirtschaft befindet sich unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit in einem dynamischen Spannungsgefüge, mit dem sie sich auseinandersetzen muss. Darüber hinaus fällt in Bezug auf die Hauswirtschaft auf, dass soziale Einrichtungen mit Blick auf Corporate Social Responsibility oftmals „selektiv“ handeln. Während einerseits Ethik und Werte15 betont werden, gilt dies nicht selten nur für die definierten Kernleistungen Pflege und Pädagogik und nicht für die Hauswirtschaft. Für diesen Arbeitsbereich scheint nachhaltiges Handeln seitens der Gesamtleitung unbedeutend(er), oder sie wird schlicht nicht gesehen. Die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung muss von der professionellen Hauswirtschaft noch weiter ausgebaut werden: Sie kann damit einen Beitrag zu einer gerechteren (Soziales & Wirtschaft), lebenswerten (Umwelt & Soziales) und lebensfähigeren (Wirtschaft & Umwelt) Gesellschaft leisten. Die Diskussion um die Hauswirtschaftliche Betreuung ist geeignet, die ganzheitliche nachhaltige Perspektive der Hauswirtschaft und ihre Verknüpfung zur Gesamtleistung einer Einrichtung deutlich zu machen, denn es handelt sich um eine gemeinsame Aufgabe mit getrennten Zuständigkeiten verschiedener Professionen – in erster Linie zum Wohl der Nutzerinnen und Nutzer. 3 Hauswirtschaftliche Betreuung – Grundlagen Hauswirtschaftliche Betreuung ist ein Handlungskonzept, das bewusst die Aufgaben der tagtäglichen Daseinsvorsorge nutzt, um Menschen fördernd und aktivierend zu begleiten. Im Mit15 Es lassen sich im Hinblick auf ethisches Handeln in Betrieben drei Typen unterscheiden: a) funktionalistische Wirtschaftsethik: punktuell eingesetzte Maßnahmen als „Schmiermittel“ für mehr ökonomischen Erfolg; b) korrektive Wirtschaftsethik: Unternehmensethik erfolgt additiv. Es wird nach einer „rein betriebswirtschaftlich orientierten Erfolgserzielung“ der Gesellschaft etwas wieder zurückgegeben; c) integrative Wirtschaftsethik: Sie sieht vor, dass „gutes Handeln“ nicht nur additiv oder funktionalistisch hinzugefügt, sondern von vornherein integriert wird, und den Wert-Boden für jegliches unternehmerisches Handeln bildet (Ulrich 2007). telpunkt steht die Befähigung von Menschen mit Hilfebedarf, die Aufgaben des Alltags so eigenständig wie möglich wahrzunehmen. Nicht Intervention und Aktivierung in konstruierten Settings, sondern Begleitung, Assistenz, Förderung im Alltag ist die Handlungsleitlinie. Menschen mit einem Hilfebedarf werden damit zu einem möglichst selbstbestimmten Leben befähigt, und Teilhabe wird ermöglicht. Sie nehmen an persönlich bedeutsamen Lebensbereichen gestaltend teil und wirken an den Versorgungshandlungen des Alltags aktiv mit. Dabei kann der Grad der Beteiligung sehr unterschiedlich sein und reicht von a) „den Nutzern/-innen Raum geben, dabei zu sein“, über b) „Kontakt aufnehmen“ bis zu c) „die Nutzerinnen und Nutzer einbeziehen“ und ihnen d) die eigenständige Erledigung von „Aufgaben übertragen“ (Feulner 2006, S. 58). Grundlage dabei ist ein gemeinsames – zwischen der Person mit Hilfebedarf und den Mitarbeitenden abgestimmtes – hauswirtschaftliches Handeln im Rahmen der Versorgungsaufgabe. Hauswirtschaftliche Betreuung ist also immer verknüpft mit den hauswirtschaftlichen Versorgungsaktivitäten, bei denen am Ende Nutzerinnen und Nutzer sowie Verantwortliche das Versorgungsziel gemeinsam erreichen. Sie setzt bei den Möglichkeiten und Wünschen der Nutzerinnen und Nutzer mit Hilfebedarf an und entwickelt eine personen- und situationsorientierte Vorgehensweise. Dieser partizipative Ansatz ermöglicht die Aktivierung der Nutzerinnen und Nutzer, führt zu sinnstiftenden Handlungen und fördert nachhaltig das Wohlbefinden. Kommunikation, Interaktion und die Beziehung mit den Nutzerinnen und Nutzern nehmen einen breiten Raum ein: Entwickelt werden Formen der Zusammenarbeit mit einem fördernden und unterstützenden Charakter. Als Beispiele für die Hauswirtschaftliche Betreuung mit einem relativ hohen Verbreitungsgrad können genannt werden: die Alltagsbegleitung in Wohngruppen und Haus- und Wohngemeinschaften für Menschen mit einer Demenz, die Assistenz von Menschen mit Behinderungen in Wohngruppen oder auch im ambulant betreuten Wohnen. Als weitere Beispiele sind die Wohnschulen in Einrichtungen der Jugendhilfe oder auch der Behindertenhilfe als Brücken zur Verselbstständigung zu sehen und die Vermittlung von Haushaltsführungskompetenzen (z. B. mit dem Konzept HOT®, dem HaushaltsOrganisationsTraining) in der Familienhilfe. Jedes soziale Feld hat seinen eigenen auf die Nutzerinnen und Nutzer zugeschnittenen Handlungsansatz. Er ist nicht selten geprägt durch die Systematik des Sozialgesetzbuches, das die Leistungen und ihre Finanzierung regelt: Pflegeversicherungs-, Krankenversicherungs-, Kinder- und Jugendhilfegesetz. Allen Bereichen gemeinsam ist aber, dass die Förderung von Selbstbestimmung und Teilhabe eine große Rolle spielt. Ganz zentrale Fragen der Hauswirtschaft und Haushaltswissenschaft, die für die Fundierung der Hauswirtschaftlichen Betreuung wichtig sind, auf die bislang erst punktuell Antworten vorliegen, sind: Was bewirken hauswirtschaftliche Leistungen? Welche Bedeutung haben sie für die Nutzerinnen HuW 1/2014 11 6-19 Feulner-Pfannes_Layout 1 11.03.2014 11:40 Seite 12 MARTINA FEULNER, ULRIKE PFANNES und Nutzer? Praetorius bringt es folgendermaßen auf den Punkt: Daseinskompetenz liegt nicht in den einzelnen Fertigkeiten, sondern in der Kunst, das Gekonnte so einzusetzen, dass das gute Zusammenleben der Menschen ebenso genährt wird wie ihre eigenen Interessen (Praetorius 2000). Mit dieser Aussage werden erste Wirkfaktoren genannt. Darüber hinaus ist der Frage nachzugehen, welche Wirkungen z. B. bei reiner fördernden Alltagsbegleitung für Menschen mit einer Demenz erzielt werden16. Nachfolgend wird das Spektrum der Wirkungen im Überblick dargestellt, wie es im Zusammenhang mit der Konzeptentwicklung zur Hauswirtschaftlichen Betreuung entwickelt wurde. Diese Betrachtung macht deutlich, warum Hauswirtschaft bzw. Hauswirtschaftliche Betreuung dem Leben mehr Qualität geben kann – oder anders ausgedrückt „den Tagen mehr Leben geben kann“. Damit wird aber auch klar: Hauswirtschaft trägt Verantwortung bei der Gestaltung von Lebensräumen, der Daseinsvorsorge und auch für das Zusammenleben in privaten Lebenskontexten genauso wie in der Gesellschaft. Und sie trägt die Verantwortung auch dafür, dass die möglichen Wirkungen auch den Nutzerinnen und Nutzern zugänglich sind. Eine wichtige Feststellung ist: Die Wirkungen hauswirtschaftlichen Handelns unterscheiden sich nicht bei selbstDie Wirkungen (Outcome) hauswirtschaftlichen Handelns ■ versorgt sein ■ Gemeinschaft gestalten ■ Sicherheit im Alltag ■ andere versorgen ■ Begegnung und Kommunikation ■ Wissen und Fertigkeiten haben, pflegen, erweitern ■ Pflege von Gewohnheiten und Ritualen ■ persönliches Wohlbefinden ■ aktiv sein, sich bewegen ■ Gesunderhaltung ■ etwas Sinnvolles tun ■ Nachhaltigkeit leben ■ Freude erleben und Spaß haben ■ die eigene Persönlichkeit ausdrücken Abb. 2: Wirkungen des hauswirtschaftlichen Handelns ständig lebenden Menschen und bei Menschen mit einem Hilfebedarf. Der Unterschied liegt in den Möglichkeiten, an den Wirkungen zu partizipieren. Bei Menschen mit Hilfebedarf kommen viele der möglichen Wirkungen des hauswirtschaftlichen Handelns in sozialen Einrichtungen und Diensten nicht zum Tragen, wenn die Hauswirtschaft auf das traditionelle Versorgungskonzept setzt und im Falle eines Hilfebedarfs Entscheidungen für die Nutzerinnen und Nutzer übernimmt bzw. Leistungen so erbringt, dass die Nutzerinnen und Nutzer zu Dienstleistungsempfängern ohne eigene Gestaltungsmöglichkeiten werden. Als eine wichtige Dimension verfehlter Achtsamkeit in Institutionen wird „Overprotection statt Empowerment“17 gesehen. Das Konzept der Hauswirtschaftli- chen Betreuung kann eine professionelle Antwort dafür liefern, da sie genau hier ansetzt. Menschen mit Hilfebedarf profitieren vielfältig durch die Möglichkeit des „Selbermachens“, bei dem sie – je nach Bedarf – in unterschiedlichem Umfang unterstützt werden. Im reinen Versorgungshandeln können Wirkungspotenziale der Hauswirtschaft verloren gehen, die bei Menschen Lebensqualität, Wohlbefinden und Glück steigern könnten. Es lässt sich festhalten: Die alltagsintegrierte Förderung durch die Hauswirtschaftliche Betreuung ist ein eigenständiger Ansatz, der sich bewusst vom Ansatz der „reinen“ Beschäftigung abgrenzt, die zu irgendeinem festgelegten Zeitpunkt – ohne Bezug zur lebensnotwendigen Versorgungsaufgabe – Angebote der Betätigung macht, um den Alltag zu strukturieren und zu aktivieren. Die Hauswirtschaftliche Betreuung ist in sozialen Einrichtungen in der Regel eingebunden in einen pflegerischen oder pädagogischen Kontext und baut auf Zusammenarbeit und Austausch mit anderen beteiligten Professionen z. B. Pflege, Pädagogik (Deutsche Gesellschaft für Hauswirtschaft 2012, S. 13). Wird die Hauswirtschaftliche Versorgung um die Hauswirtschaftliche Betreuung erweitert, erschließen sich für Menschen mit Hilfebedarf im Alltag vielfältige Facetten, die zentrale Anliegen vieler sozialer Einrichtungen sind: z. B. Selbstbestimmung, Individualität, Lebensfreude und Glück, Kreativität, Partizipation und Teilhabe. Hauswirtschaft mit den Säulen Versorgung und Betreuung trägt also wesentlich zur Normalität in sozialen Einrichtungen und Diensten bei. 4 Handlungsgrundlagen 4.1 Menschen- und Weltbilder „In jedes Handeln im sozialen Feld gehen Bilder vom Anderen ein, die Auswirkungen auf den Beziehungs- und Handlungsspielraum der Beteiligten haben. Deshalb ist es erforderlich, die Menschenbilder, die professionelles Helfen begleiten, kontinuierlich zu prüfen und zu reflektieren – ganz gleich, ob sie aus Alltagstheorien, individuellen Erfahrungen oder wissenschaftlichen Konzepten stammen“ (Großmaß 2004, S. 8). Die Erweiterung der Hauswirtschaft mit einem eigenen Betreuungskonzept erfordert es, sich des Themas Menschenbilder anzunehmen, denn in der Arbeit mit Menschen sind diese Bilder eine zentrale Arbeitsbasis. Ein Menschenbild, das dem Handeln zugrunde liegt, hat eine nützlich orientierende Funktion, indem das Wissen über Menschen geordnet und Perspektiven für das eigene Leben und für den Umgang mit anderen Menschen gewonnen werden (Fahrenberg 2011, S. 305). Die Bilder vom anderen sind nach Großmaß „janusköpfig“ – sie liefern einerseits die notwendige Orientierung für das Handeln, zugleich sind sie aber auch anfällig für Vorurteile (Großmaß 2004, S. 2 f.). Da der Mensch Teil der Welt ist, ist das Menschenbild auch Teil des Weltbildes, und 17 16 Siehe dazu die Ergebnisse von Strunk-Richter/Sowinski 2011 12 HuW 1/2014 Überversorgung/-behütung statt Ermächtigung/Selbstbestimmung (vgl. Schulz-Nieswandt 2013) 6-19 Feulner-Pfannes_Layout 1 11.03.2014 11:40 Seite 13 HAUSWIRTSCHAFTLICHE BETREUUNG Ganzheitlichkeit Mensch und Versorgung Effektivität & Effizienz Rationaler, neutraler Mensch Ordnung und Regeln Geschlechterwelt: Mann – Frau Hausfrau: Nur Hausfrau – „Auch Hausfrau“ beide sind Teil einer umfasten die Abwärtsspirale gestützt Oikos: Geschlechtssenden Überzeugung, die das wird, während Perspektiven neutrale Haus„das Handeln in sozialen Einrichund Entwicklungen sichtbar haltsmitglieder/ tungen und Diensten prägt18. werden, wenn sich das Menganze -personen Die Domäne Hauswirtschenbild an vorhandenen ResHaus“ schaft und die Haushaltswissourcen orientiert. Betreuung Familie senschaft haben das Thema Zusammenfassend lässt und Menschenbilder mit Ausnahsich festhalten: Die BeschäftiHaushaltsarHaushalt men19 kaum explizit thematigung mit dem Thema Menbeit/ Hauswirtsiert. Es lässt sich eine Vielfalt schenbilder schaft wird an Welt- und Menschbildern ■ regt zur Reflexion über lapositiv bewertet und finden. Abb. 3 erhebt keinen tente oder explizite Bilder an Catering, wertgeschätzt Anspruch auf Vollständigkeit: (Alltagstheorien, individuelle Cleaning, Sie illustriert die Vielfalt und Erfahrungen, wissenschaftliCaring Heterogenität der typischen che Konzepte, alltagsweltliHaushaltswelt: als Arbeit und Bilder, die thematisiert werden. ches Denken), natürlich-lebendiger Organisation In der Leitlinie der Deut■ fördert die Achtsamkeit sich Ort mit Menschlichkeit Versorgungsverbund schen Gesellschaft für Hausselbst und anderen gegenüber wirtschaft „Die Potentiale der ■ liefert die Grundlage für die Hauswirtschaft nutzen“ wurde Abb. 3: Menschen- und Weltbilder in den Haushaltswissenschaften und der ethische Dimension der HausDomäne Hauswirtschaft das humanistische Menschenhaltswissenschaft und Hausbild als zentrale Handlungswirtschaft: Versorgung, Fürorientierung eingeführt (Deutsche Gesellschaft für Hauswirt- sorge, Personalisierung, Unterstützung vs. Überversorgung und schaft 2007, S. 10 ff.). Es lässt sich folgendermaßen Bevormundung, charakterisieren: Der Mensch ist im Grunde gut und kann einen wertschätzenden und respektvollen Umgang erwarten. Er Menschenbilder und die Folgen: ist fähig und bestrebt, sein Leben selbst zu bestimmen, ihm „Defizitorientierung“ Sinn und Ziel zu geben. Der Mensch ist eine ganzheitliche Einheit aus Körper – Seele – Geist. In neueren Ansätzen wird die individuelle Sichtweise ergänzt durch die Betonung der sozialen und gesellschaftlichen Bezogenheit des Menschen. Ein humanistisches Menschenbild ist in unserer Gesellschaft im Sozialbereich eine anerkannte Orientierung. Sicherlich gibt es in den unterschiedlichen Einrichtungen und Schulen Differenzierungen, aber bei genauerer Betrachtung fußen viele Bilder auf diesem humanistischen Menschenbild. Welche Auswirkungen das Menschenbild haben kann, zeigt eindrücklich der Vergleich zweier Menschenbilder. Im Folgenden werden zwei Konzepte gegenüber gestellt (Longoni 2007): ein Ansatz, in dem eine Defizitorientierung im MittelMenschenbilder und die Folgen: punkt steht, und ein zweiter Ansatz, der sich an vorhanden Kom„Ressourcenorientierung“ petenzen und Ressourcen orientiert. Die Ergebnisse machen deutlich, wie durch eine Orientierung an vorhandenen Defizi18 Menschenbilder in Betrieben können grundsätzlich zwei Blickrichtungen haben: den Kunden/Nutzer/Bewohner und die Beschäftigten. Menschenbilder in Bezug auf die Beschäftigten in Organisationen haben einen Einfluss darauf, was als „zumutbar“ oder „menschengerecht“ gilt, oder auch ob Kontrolle oder die Delegation von Verantwortung im Fokus steht (Kirchler u. a. 2004, S. 12). 19 Doris Hayn (2000) stellt fest: Ein einheitliches „Menschenbild“ ist in der Haushaltswissenschaft nicht zu finden (S. 245). Auch das von der Haushaltswissenschaft gezeichnete „Weltbild“ ist nicht einheitlich (S. 249). Über Mensch- und Weltbilder hinaus finden sich in der Haushaltswissenschaft scheinbar unumstößliche „Wahrheiten“ und haushaltswissenschaftliche Mythen z. B. Ganzheitlichkeit (S. 250). Haushaltswissenschaftliche Kontroversen um wirtschafts- versus humanwissenschaftliche Ansätze können als Dissens zwischen unterschiedlichen Menschenbildern und unterschiedlichen Rationalitätskonzepten interpretiert werden (S. 245). Abb. 4: Menschenbilder und die Folgen HuW 1/2014 13 6-19 Feulner-Pfannes_Layout 1 11.03.2014 11:40 Seite 14 MARTINA FEULNER, ULRIKE PFANNES Anforderungen heiten einstellen. Der Flow entsteht immer dann, wenn die Anforderungen und die Fähigkeiten im Gleichgewicht sind21. Der „Flow“ setzt ein, wenn wir aktiv sind: im Tun und oft 4.2 Tätig sein macht glücklich nicht in Momenten der Entspannung, Ruhe oder Ablenkung. Das Hauswirtschaftliche Betreuungskonzept setzt genau an Nach dem Blick auf Menschenbilder soll noch ein anderer Fo- dieser Stelle an, wenn man dem alltäglichen Tun Raum gibt kus des „Menschseins“ betrachtet werden, der zentral für die und andere selbst machen lässt. Und auch hier gibt es mittlerLebensqualität ist. Nicht selten wird im Alltag angenommen, weile fundierte Forschungsergebnisse, die deutlich machen, dass „nichts tun“, „faul sein“, „reich und schön sein“ glücklich dass die Ergebnisse von Csíkszentmihályi auch bei Menschen macht. Die Glücksforschung sagt etwas anderes. Das soll mit Hilfebedarf zu finden sind. nachfolgend knapp dargestellt werden, da dies einen weiteren In einem Leuchtturmprojekt des Bundesministeriums für wichtigen Begründungszusammenhang für unser Thema be- Gesundheit „Evaluation von Potentialen der Betreuung und leuchtet. Begleitung von Menschen mit Demenz in Wohn- und HausEs soll die Essenz dessen hier vorgestellt werden, was der gemeinschaften durch die Implementation von Benchmaramerikanische Forscher Mihály Csíkszentmihályi20 viele Jahre king-Prozessen“ (2008 – 2010) wurden zehn Hausgemeinerforscht hat. Seine Forschungen hat er bei vielen verschie- schaften mit 64 Personen mit der Methode Dementia Care denen gesunden Menschen in ganz unterschiedlichen Le- Mapping untersucht22. Das eigentlich nicht überraschende Erbenszusammenhängen durchgeführt: Das Spektrum reicht gebnis: Alltagsbeschäftigungen z. B. Spülen, Kuchenbacken, vom Fließbandarbeiter, der Bäuerin in einer Berghütte über Fegen, Einkäufe, Essensvorbereitung, Gartenarbeit steigern die Angestellte bis hin zu Managern, Sportlern, Musikern. Und die Wohlbefindlichkeitswerte. Die Autoren werben eindeutig für Ergebnisse dieser Forschung waren bei allen Personen er- ein Haus- und Wohngemeinschaftskonzept, das explizit die Bestaunlicherweise ähnlich. teiligung an hauswirtschaftliGlücklich sind Menschen: chen Alltagstätigkeiten konWas macht Menschen glücklich? ■ wenn sie im Einklang mit zeptionell verankert. Gerade sich und der Welt sind, dieses Tätigsein fördert das ■ wenn das Bewusstsein harWohlfühl-Gefühl der demenüberfordernde monisch geordnet ist und etziellen Bewohnerinnen und Beherausfordernde Aufgaben Aufgaben was um der Sache selbst wilwohner. Hier kommen also die len getan wird, vielfältigen Potenziale der ■wenn sie in einer Tätigkeit Hauswirtschaft23 mit dem Stress, l Angst aufgehen können. Handlungskonzept der Hausa an Dieses besondere Wohlfühlwirtschaftlichen Betreuung beK ow Gefühl nennt er „Flow“ (fliesonders zur Wirkung. „Denn l unterfordernde F ßen, strömen). Müßiggang allein macht uns Aufgaben Das Flow-Gefühl kann nicht glücklich“ (Strunk-RichFähigkeiten dann entstehen, wenn man ter/Sowinski 2011, S. 61). sich der Aktivität gewachsen Abb. 5: Das Flow-Modell von Csíkszentmihályi 2013 Auch Dühring (2006) kam in fühlt, wenn die Aktivität ein ihrer Untersuchung zur subjekdeutliches Ziel hat, wenn man weiß, was man tun muss, um das tiven und objektiven Lebenszufriedenheit dementiell ErZiel zu erreichen, wenn die Aktivität unmittelbare Rückmel- krankter in verschiedenen Formen der stationären Altenhilfe zu dung bringt, wenn man erfährt, wann etwas richtig oder falsch ähnlichen Ergebnissen. ist, wenn es ein Gefühl von Kontrolle über die Aktivität gibt, wenn sich das Gefühl für Zeit ändert. 22 DCM – Dementia Care Mapping (Standortbestimmung der Pflege demenDas Interessante an den Forschungsergebnissen ist: Grund- ziell Erkrankter) ist ein in England von Tom Kitwood und Kathleen Bredin entwickeltes personenzentriertes Evaluations- und Beobachtungsverfahren. sätzlich jede Tätigkeit, sei es Erwerbsarbeit, Sport, Hobby, Es ist insbesondere für die Abbildung der Lebensqualität und des innerpsyHausarbeit, Gartenarbeit kann diesen Flow ermöglichen. Die- chischen Wohlbefindens von Erkrankten geeignet, die keine adäquaten verbalen Rückmeldungen mehr geben können. Die Beobachtungen werden von ser Zustand kann sich nahezu überall und bei allen Gelegen- entsprechend geschulten Fachkräften (Mappern) erhoben, in dem sie die jenach Csikszentmihalyi, 2013, S.107 ■ schafft eine gemeinsame Basis für die Arbeit in multiprofessionellen/interdisziplinären Zusammenhängen. 20 Der Flow-Ansatz von Csíkszentmihályi, Professor of Psychology and Management, hat wissenschaftlich und auch populärwissenschaftlich viel Anklang gefunden (z.B. www.flow-magazin.de; www.gluecksarchiv.de). 21 Zur Abgrenzung: Flow ist etwas anderes als „fun“ oder „kick“ (Nervenkitzel) – also keine kurzzeitige, aufgeputschte Erregung, sondern eher eine länger andauernde Euphorie, die – richtig genutzt – wertvoller ist. Flow ist eine Form von Glück, auf die man Einfluss hat. Man ist „unüberspannt“, der Wille zentriert und konzentriert, ohne erzwingen zu wollen. 14 HuW 1/2014 weiligen Gepflegten in ihren alltäglichen Verrichtungen begleiten und in ihre Rolle schlüpfen, beziehungsweise sich genauso verhalten, wie der Beobachtete oder die Gruppe der Beobachteten es tut. Mapper sollen dabei nicht aktiv auf die Person zugehen, sondern sich passiv verhalten. Sie versuchen dabei, anhand von Körpersprache, Gestik und Mimik die Gefühlslage des Beobachteten zu beurteilen und kleinste Veränderungen beispielsweise in der Körperhaltung wahrzunehmen, die einen Hinweis auf das Empfinden geben. In Deutschland wird der Ansatz im Fachbereich Pflege Universität Witten Herdeke weiterentwickelt. Informationen unter: www.dcm-deutschland.de 23 Hauswirtschaft hat sinnliche, anregende, aktivierende, motorische, sinnstiftende, therapeutische, versorgende Potenziale (Pfannes 2010). 6-19 Feulner-Pfannes_Layout 1 11.03.2014 11:40 Seite 15 HAUSWIRTSCHAFTLICHE BETREUUNG Im Rahmen der 5. Generation der KDA-Quartierhäuser wird Arbeit, d. h. Familien- und Haushaltsarbeit im Modell der Lebensqualität für ältere Menschen verankert. Diese Arbeit wird ausdrücklich als ein Bestandteil benannt, der dem Leben Qualität gibt. Genannt werden: Mahlzeiten vorbereiten, Tisch decken, Kohl schneiden, Spülen, Fegen, Zimmerreinigung, Gartenarbeit (Kuratorium Deutsche Altershilfe 2012, S. 26). Verantwortliche in der Hauswirtschaft sind gefragt, die Handlungsfelder der Domäne Hauswirtschaft so zu gestalten, dass Menschen, für die sie zuständig sind, Möglichkeiten erhalten, glücklich und zufrieden zu werden. 4.3 Der partizipative Ansatz Ein Grundprinzip in der Hauswirtschaftlichen Betreuung ist die Beteiligung der Nutzerinnen und Nutzer, denn sie werden ausdrücklich als Experten für die eigene Alltagsgestaltung angesehen. Nicht die Fachkraft alleine bestimmt – vor dem Hintergrund ihrer Fachkompetenzen – das Ergebnis und die Art und Weise der Dienstleistungserbringung. Die Nutzerinnen und Nutzer werden konsequent mit eingebunden und nehmen damit Einfluss auf das gemeinsame Handeln und alle damit verbundenen Überlegungen und Entscheidungen. Zwei Überlegungen leiten diesen Ansatz: Gelebte Partizipation führt zu einer höheren Identifikation mit der anstehenden Aufgabe und die hauswirtschaftliche Fachkraft hat immer ein Gegenüber mit eigenen Erfahrungen und Vorstellungen in der Alltagsgestaltung. Damit löst sich die Hauswirtschaftliche Betreuung von einem paternalistischen24 Ansatz, in dem die fachliche Kompetenz und Entscheidungsfindung alleine bei der Fachkraft liegt. Es ist das Ziel, dass die Nutzerinnen und Nutzer – je nach Setting – ihren eigenen Alltagsgestaltungsstil finden oder entwickeln oder auch pflegen. An diesem Punkt folgt die Hauswirtschaftliche Betreuung den Erkenntnissen von Sahle zur tagtäglichen Lebensführung (Sahle 2002). Wird der Ansatz weitergedacht, dass die Lebensführung ein vom Menschen individuell gestaltetes und entwickeltes Konstrukt ist, ein System mit aufeinander abgestimmten Elementen, wird deutlich, dass alle Tätigkeiten im individuellen Alltag in einem logischen Zusammenhang stehen. Es gibt innere Verbindungen. Die einzelnen Elemente sind miteinander verwoben. Dies hat zur Folge, dass einzelne Tätigkeiten nicht beliebig verändert werden, ohne andere Tätigkeiten zu beeinflussen. Es sind Gewohnheiten und Routinen, die alle Tätigkeiten durch eine strukturelle Trägheit in den Alltag integrieren. Für die Hauswirtschaftliche Betreuung ist daraus abzuleiten, dass Förderung und Entwicklung von Alltagsund Haushaltsführungskompetenzen nur dann möglich sind, wenn die Nutzerinnen und Nutzer bei ihrer Art und ihrem Leben abgeholt werden und im gemeinsamen Handeln immer wieder die Vorlieben und Abneigungen, das Wissen und die Fertigkeiten der Nutzerinnen und Nutzer berücksichtigt werden. 24 Paternalistische Regelungen werden von den Adressaten häufig als Bevormundung angesehen. An dieser Stelle wird es noch einmal wichtig, in Erinnerung zu rufen, dass in den Feldern der sozialen Arbeit mit Menschen mit einem Hilfebedarf zusammengearbeitet wird. Und es geht immer um eine Befähigung unter besonderen Bedingungen. Es sind Beeinträchtigungen, Behinderungen, Krankheiten und Störungen, die in jeder Interaktion mit zu berücksichtigen sind. Und dabei ist es das Ziel zu befähigen, den Alltag so eigenständig wie möglich selbstständig und selbst bestimmt zu gestalten. Aus den Erkenntnissen von Sahle ist abzuleiten, dass eine selbst bestimmte Lebensführung dem Alltag eine dynamische Stabilität gibt. Ähnlich einem Fließgleichgewicht entsteht ein Gefühl von Kontinuität und damit von Sicherheit. Diese Sicherheit ist für Kinder genauso wichtig, wie für jeden erwachsenen Menschen und auch für alte Menschen mit einer demenziellen Erkrankung. Grenzen eines partizipativen Ansatzes sind überall dort zu sehen, wo sich gefährdende Konstellationen ergeben: Dies sind Gefahren in den Bereichen Sicherheit und Hygiene; es betrifft die Selbstgefährdung genauso wie Situationen der Fremdgefährdung. Kompetenz & Partnerschaft Variante 1 Variante 2 Variante 3 ... Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter der Hauswirtschaft werden eingesetzt Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter der Pädagogik/ Pflege werden eingesetzt Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter aus Hauswirtschaft, der Pflege bzw. Pädagogik werden eingesetzt Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter der Hauswirtschaft erwerben pädagogische/pflegerische Kompetenzen Hauswirtschaftliche Kompetenzen sind vorhanden Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter der Pflege/ Pädagogik erwerben hauswirtschaftliche Kompetenzen Zusammenarbeit im interdisziplinären Team Pädagogische/ pflegerische Kompetenzen sind vorhanden Hauswirtschafte und pädagogische/pflegerische Kompetenzen sind vorhanden Alltagsbegleitungs-/Assistenz-/… Kompetenzen sind zu erwerben Abb. 6: Verschiedene Varianten der Kompetenzen und Schulung für die Hauswirtschaftliche Betreuung Damit wird es auch wichtig, dass in Kontexten der Hauswirtschaftlichen Betreuung immer Fachkräfte tätig sind, die über hauswirtschaftliche Fachkompetenzen verfügen, ein fundiertes Wissen zu den Nutzerinnen und Nutzern haben (zur PerHuW 1/2014 15 6-19 Feulner-Pfannes_Layout 1 11.03.2014 11:40 Seite 16 MARTINA FEULNER, ULRIKE PFANNES son und Hintergrundinformationen, die für die Zusammenarbeit wichtig sind wie zum Beispiel die Auswirkungen von Krankheiten und Störungen), und die darin geschult sind, fördernd und begleitend zu arbeiten. Je nach Grundqualifikation sind die jeweiligen Berufsgruppen unterschiedlich zu qualifizieren. 4.4 Ziel- und lösungsorientiertes Arbeiten25 In der Hauswirtschaftlichen Betreuung liegt der Schwerpunkt darauf, in der alltäglichen Situation Lösungen zu entwickeln, damit der Alltag gelebt wird und die Versorgung sichergestellt ist. Es geht nicht darum, Problemkonstellationen zu analysieren, sich in Krankheitszusammenhängen oder Störungskonzepten zu verlieren. Wichtig alleine ist, welche Auswirkungen diese auf das Verhalten und die Handlungsmöglichkeiten der Nutzerinnen und Nutzer haben, damit die Fachkraft diese Auswirkungen in der Entwicklung von Lösungen berücksichtigen kann. Statt also mehr über Probleme und Schwierigkeiten zu erfahren, ist es wichtig, durch geeignete Interventionen Handeln zu befördern. Dabei spielen die vorhandenen Ressourcen eine wichtige Rolle, das Wissen und Können der Nutzerinnen und Nutzer genauso wie unterstützende Geräte und Materialien wie z. B. adaptiertes26 Geschirr und Besteck oder Haushaltsgeräten, die in der Zusammenarbeit befördernd eingesetzt werden können. Grundlage der Hauswirtschaftlichen Betreuung ist ein Handeln nach definierten Elementen: ■ Ausgangspunkt ist eine Analyse, in der alle wichtigen Informationen zusammengetragen werden: Personenbezogene Daten, Wohn- und Lebenskontext, biografische Daten (hauswirtschaftliche Biografie), Krankheitsbild/Behinderungsformen, Erfassung der Selbstständigkeit, Wünsche in Bezug auf die Alltagsgestaltung und Versorgung und die Beteiligung an hauswirtschaftlichen Tätigkeiten, hauswirtschaftliche Fähigkeiten und Möglichkeiten (motorisch, kognitiv, emotional), Ermittlung von Umfang und Art der benötigten Unterstützung. ■ Ein weiteres wichtiges Element sind Ziele, die für die Nutzerinnen und Nutzer bzw. für die Gruppe definiert werden. Sie sind eine wichtige Voraussetzung dafür, dass in der Zusammenarbeit die Orientierung gegeben ist und dass der Erfolg der gemeinsamen Zusammenarbeit ermittelt werden kann. ■ Die Basis eines ziel- und lösungsorientierten Arbeitens lässt sich mit folgenden Stichworten charakterisieren: zuhören und wahrnehmen, den eigenen Bezugs- und Bewertungsrahmen 25 Der ziel- und lösungsorientierte Ansatz basiert auf den Ideen für eine Kurztherapie der Psychotherapeuten Steve de Shazer und Insoo Kim Berg, in der nicht die Probleme der Klienten/-innen analysiert werden, sondern Lösungen mit den vorhandenen Ressourcen entwickelt werden, um direkt und unmittelbar handeln zu können. 26 Adaptiertes Geschirr und Besteck ist so verändert, dass z.B. durch Griffverdickungen die Handhabung bei vermindertem Tastsinn und Greifvermögen erleichtert wird. 16 HuW 1/2014 loslassen und neugierig werden auf Sichtweisen, Ziele, Ressourcen und Lösungen der Nutzerinnen und Nutzer, die Nutzerinnen und Nutzer als Experteninnen und Expertrnfür ihre eigenen Lösungen betrachten. Und immer wieder Eigeninitiative und Unabhängigkeit fördern. Im Hinblick auf die Vielfalt der Einsatzmöglichkeiten Hauswirtschaftlicher Betreuung ist es wichtig, dass der Ansatz individuell auf die Rahmenbedingungen des sozialen Feldes abgestimmt differenziert wird. Hierzu liegen in der Hauswirtschaft die ersten Ergebnisse vor, sodass eine weitere Verbreitung unterstützt ist27. Jedes soziale Feld hat seinen eigenen, auf die Nutzerinnen und Nutzer zugeschnittenen Handlungsansatz und eine eigene Systematik, oftmals geprägt durch gesetzliche Rahmenbedingungen. Dies geht z. B. mit einem spezifischen „wording“ einher, z. B. ■ in der Altenhilfe: Alltagsbegleitung/Präsenz/Betreuung, ■ in der Behindertenhilfe: Assistenz, ■ in der Kinder- und Jugendhilfe: Verselbstständigung und Befähigung, ■ in der Schule: Begleitung. Dies setzt sich in einem jeweils eigenen Verständnis von Aktivierung, Förderung und Verselbständigung fort. Hauswirtschaftliche Betreuung berücksichtigt diese Ansätze und kann für die Domäne Hauswirtschaft als eigenständiger Beitrag in diese Felder eingebracht werden, gegebenenfalls in einer „feldspezifischen Verpackung“. 5 Methode In der Hauswirtschaftlichen Betreuung wird das gemeinsame Handeln und die Interaktion zwischen Nutzerin und Nutzer sowie Mitarbeiterin und Mitarbeiter als Prozess betrachtet, dem eine systematische Erfassung, Planung, Durchführung und Reflexion von hauswirtschaftlichen Handlungen zugrunde liegt. In der Hauswirtschaft ist dazu das Modell der vollständigen Handlung als Sechs-Stufen-Modell mit den Phasen Informieren, Planen, Entscheiden, Ausführen, Kontrollieren, Beurteilen eingeführt. In der versorgenden Hauswirtschaft erfüllt dieser Ansatz die Aufgabe, Produktions- und Dienstleistungsprozesse zu steuern. Bislang steht in der Hauswirtschaftlichen Betreuung im Vordergrund, optimale Ergebnisse zu erzielen. Im Hinblick auf die Hauswirtschaftliche Betreuung wird es wichtig, den Ansatz zu verfolgen, dass Betreuung ein dynamischer Problemlösungs- und Beziehungsprozess ist, der u. a. über Rückkopplungsprozesse zu steuern ist. Damit wird das Prozessdenken in der Hauswirtschaftlichen Betreuung ein unverzichtbares Instrument. In einem Betreuungsprozess ist der Aufbau der Beziehung zwischen Nutzerin/Nutzer und Betreuerin/Betreuer die Basis 27 Z. B. Feulner Martina/Simpfendörfer Dorothea (2005): Soziale Dienste – den Alltag bewältigen, Hamburg; Bremer Dienstleistungs-Service/Trialog (Hrsg.) (2008) Handbuch für die Schulung hauswirtschaftlicher Präsenz- und Leitungskräfte in neuen Konzepten der Altenbetreuung, Bremen 6-19 Feulner-Pfannes_Layout 1 11.03.2014 11:40 Seite 17 HAUSWIRTSCHAFTLICHE BETREUUNG Abb. 7: Prozessorientiertes Denken und Handeln im Rahmen der Hauswirtschaftlichen Betreuung des gemeinsamen Tuns. Zu entwickeln ist ein gemeinsames Ziel, nämlich die Lösung einer Versorgungsaufgabe, wobei in der Aufgabenlösung beide – Nutzerin/Nutzer und Betreuerin/Betreuer – zusammenarbeiten. Die oder der Betreuende kompensiert die Teile, die von der Nutzerin oder dem Nutzer nicht übernommen bzw. nicht verantwortet werden können. Die Entwicklung gemeinsamer Ziele und Lösungsstrategien wird als Aushandlungsprozess bezeichnet. Im Betreuungsprozess sind beide Stränge wichtig, Beziehung und Lösung der Aufgabe. In ihrer Verbindung entsteht eine strukturierte und ganzheitlich angelegte, individuelle Betreuung. Der Betreuungsprozess ist eine logische, aufeinander abgestimmte und voneinander abhängige und auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtete Kette aus Überlegungs-, Entscheidungs- und Handlungsschritten, die im Sinne eines zyklischen Regelkreises einen Rückkopplungseffekt in Form der Neuanpassung und Beurteilung enthält28. Entsprechend der Handlungsfelder, in denen die Hauswirtschaft tätig ist, sind eigenständige, auf den jeweiligen Kontext abgestimmte Systematiken für die Betreuungsprozesse zu entwickeln. Abbildung 7 zeigt einen Ansatz aus der Nachbarschaftshilfe. 6 Ein Blick in die betriebliche Praxis: Hürden, Spannungsfelder und Lösungsmöglichkeiten Beim Wechsel von einem traditionell auf Versorgung ausgerichteten Denken und Handeln in der Hauswirtschaft hin zur Hauswirtschaftlichen Betreuung treten Hürden und Stolpersteine auf, die zu bearbeiten sind. Die Veränderungen sind weitreichend und tief gehend, da bislang klare Strukturen im Aufbau und Ablauf einer Einrichtung, an denen sich das tagtägliche Handeln orientiert, keine Gültigkeit mehr haben. Die 28 In der Entwicklung eines eigenständigen Prozessdenkens orientiert sich die Hauswirtschaft auch an den Pflegeprozesstheorien der Pflege. So sind die Basistexte des Pflegeprozessdenkens von Monika Krohwinkel eine wichtige Grundlagenliteratur für die Hauswirtschaft (Monika Krohwinkel 1993). Einrichtung steht vor der Aufgabe, ihr Konzept neu zu durchdenken und Handlungsabläufe neu zu definieren. Für die einzelne Mitarbeiterin und den einzelnen Mitarbeiter stellt sich die Aufgabe, das eigene Handeln auf die neuen Leitlinien auszurichten. In der Beratungspraxis werden kritische Punkte deutlich, die bislang in der Literatur noch nicht beschrieben sind. Es sind Aufgabenstellungen, wie sie in Veränderungs- und Organisationsentwicklungsprozessen auftauchen, für die zur Unterstützung der Einrichtungen Lösungen zu entwickeln sind. Folgende typische Themenfelder tauchen auf: 1 Für Leitungskräfte: eine Veränderung des Leitungsauftrages 2 Gefragt: Austausch- und Reflexionsmöglichkeiten zwischen Wissenschaft und Praxis 3 Schulung angelernter Kräfte: Didaktik und Methodik, zeitlicher Rahmen 4 Bewertung der Arbeitsleistungen und Bezahlung 5 Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen Zu 1: Vielfältige Herausforderungen stellt der neue Handlungsansatz an die Leitungskräfte in Hauswirtschaft und Küche: ■ Der Wechsel von einem System mit zentralen Versorgungstrukturen mit den auf dieses System abgestimmten Planungs-, Produktions- und Kontrollprozessen in ein System mit dezentralen Strukturen verändert den Leitungsauftrag. Wenn vorher nach vorgegebenen Standards Dienstleistungen erbracht werden, müssen die Mitarbeitenden in den neuen Konzepten situationsbedingt immer wieder selbst und in eigener Verantwortung neue Lösungen entwickeln. Für die Mitarbeitenden entstehen durch die neue Nähe zu den Nutzerinnen und Nutzern Aufgaben- und Fragestellungen, in denen die Persönlichkeiten genauso wie ihre Krankheiten und Störungen eine Rolle spielen. Damit wird es in der Führung und Begleitung der Mitarbeitenden wichtig, Begegnungen und Interaktionen zu reflektieren oder kritische Konstellationen zu klären. Für die Leitungskräfte ist es geboten, dass sie auf jeden Fall ihr Leitungs- und Führungsverständnis an die neuen Anforderungen anpassen bzw. es weiterentwickeln. ■ Darüber hinaus wird es wichtig, dass für diese Kompetenzerweiterung Weiterbildungen entwickelt werden, die passgenau zu den Bedarfen in der Praxis angelegt sind. Hier zeigt sich, dass ein kleinschrittiges Vorgehen wichtig ist, damit zum einen die Notwendigkeit der Weiterbildung erkannt wird und zum anderen vorhandene Angebote auch angenommen und genehmigt werden. An dieser Stelle sind Fort- und Weiterbildungsanbieter gefordert, sich mit den neuen Gegebenheiten auseinanderzusetzen. Zu 2: Inklusion, Förderung und Aktivierung als neue Themen in Küche und Hauswirtschaft sind mit vielfältigen Fragestellungen verbunden. Die Setzung eines fachlichen Rahmens, wie ihn die Deutsche Gesellschaft für Hauswirtschaft entwickelt hat, reicht nicht aus: ■ Von der Praxis gefordert sind Antworten auf die Frage, wie die neuen Ansätze im Alltag ganz konkret umgesetzt werden können. Dazu braucht die Domäne ihre Orte des PraxisausHuW 1/2014 17 6-19 Feulner-Pfannes_Layout 1 11.03.2014 11:40 Seite 18 MARTINA FEULNER, ULRIKE PFANNES tausches, am besten unter Beteiligung der Wissenschaft, um sich weiterentwickeln zu können. Bislang gibt es erst wenige Orte, an denen Hauswirtschafts- und Küchenleitungen sich mit den Möglichkeiten und Perspektiven in ihren Handlungsfeldern auseinandersetzen. ■ Die Diskussionen in den Fachbereichen und nicht selten auch in den Einrichtungen und Diensten werden oft ohne die Hauswirtschaft geführt. Es braucht Tagungen wie die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Hauswirtschaft, in denen diese Möglichkeiten gegeben sind. Auch das neue Tagungsformat TAGWerk, das die IN VIA Akademie mit freiberuflich tätigen Fortbildnerinnen/Fortbildner und Beraterinnen/Beratern initiiert hat, wird ein solcher Ort für Hauswirtschafts- und Küchenleitungen sein. Zu 3: In der Schulung der Mitarbeitenden für die neuen Konzepte stellt sich die zentrale Frage: Wie schult man angelernte Kräfte für die neuen Anforderungen? ■ In der Praxis werden Veränderungen oft in bestehenden Einrichtungen und Diensten vorgenommen, sodass sich für die Einrichtung die Aufgabe stellt, mit den vorhandenen Mitarbeitenden den Weg der Veränderungen zu gehen. Ein Baustein ist dabei die Entwicklung eines Schulungskonzeptes. Immer wieder wird dabei die Wissensvermittlung in den Vordergrund gestellt. In der Praxis zeigt sich, dass es ein wichtiger Baustein ist, die Mitarbeitenden in das neue Denken und Handeln einzuführen und Ängste Thema werden zu lassen. ■ Schwer auszuhalten für viele Mitarbeitende ist z. B. bei einem Neubauvorhaben die Situation, dass auch die Leitung an einem neuen Konzept arbeitet und damit noch nicht genau sagen kann, wie sich in Zukunft die Arbeitszusammenhänge der Mitarbeitenden gestalten werden: Wer mit wem zusammenarbeiten wird, wie sich Arbeitszeiten verändern usw. Eine fachlich große Herausforderung steckt darin, dass eine neue Eigenständigkeit gefordert ist, in der Mitarbeitende in der Lage sein müssen zu lernen, die eigene Arbeit, die Begegnung mit Nutzerinnen und Nutzern, den Kontakt mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Berufsgruppen zu reflektieren. ■ Hinzu kommt das Dilemma, dass die Schulungen, wie sie aktuell häufig angelegt sind, eigentlich zu kurz sind; es bräuchte eine Ausbildung, die länger, tiefer und grundlegender für das neue Handlungskonzept schult. Zu lösen ist diese komplexe Situation, wenn gezielt in der Einrichtung mit dem Kontext und den Gegebenheiten der Einrichtung geschult werden kann. Darüber hinaus ist es geboten, dass sich die Hauswirtschaft aktiv in die Weiterentwicklung der Alltagsbegleitung einbringt, damit die Anforderungen und Rahmenbedingungen verbessert werden und die Entwicklungen sich weg von einer Schulung hin zu einer Ausbildung bewegen, in der Alltagsbegleitung als Beruf vermittelt und erlernt werden kann. Zu 4: In den Veränderungsprozessen stellt sich noch ein anderes, grundständiges Thema, nämlich die Frage nach der Bewertung der Arbeit, die jetzt in den Einrichtungen und Diensten in der Alltagsbegleitung geleistet wird. ■ Bislang fehlen definierte Anforderungen an die Mitarbeitenden, die in der Alltagsbegleitung tätig sind. In der Praxis der 18 HuW 1/2014 Altenpflege werden nicht selten angelernte Mitarbeitende aus der Hauswirtschaft oder der Pflege mit einer einjährigen Ausbildung geschult. In der Bezahlung bleiben die Mitarbeitenden in den alten Gehaltsgefügen, obwohl sie – betrachtet man die Aufgaben- und Verantwortungsbereiche näher – eine höherwertige Aufgabe übernehmen. Bislang gibt es keine Initiative, dieses Dilemma zu lösen. Zu 5: Nicht zuletzt verändern sich die Bezüge und Begegnungen der Berufsgruppen, neue Kooperationen entstehen, in denen alte Werte und Normen nicht mehr gelten. ■ Pflege und Hauswirtschaft, Pädagogik und Hauswirtschaft arbeiten nun in neuen Settings zusammen, sowohl auf der Ebene der Leitung als auch auf der der Mitarbeitenden. Nicht selten ist es das Ziel der Konzepte, dass die Alltagsbegleitung in den Vordergrund rückt, da für die Nutzerinnen und Nutzer der Alltag der bedeutende Faktor ist. Der Alltag sind die 24 Stunden des Tages, während pflegerische und pädagogische Fragestellungen zeitlich begrenzt zu bearbeiten sind. Damit verschiebt sich ein traditionelles Gefüge, in dem in der Vergangenheit Pflege und Pädagogik sehr deutlich im Vordergrund standen (vgl. Schulz-Nieswand 2013). Bei den Mitarbeitenden dieser Berufsgruppen liefen die Fäden zusammen. ■ Konzepte der Betreuung und Begleitung von Nutzerinnen und Nutzern erweitern das Dienstleistungsangebot einer Einrichtung/eines Dienstes. Die Begleitung im Alltag braucht ihre Verankerung bei den dafür zuständigen Mitarbeitenden. Es braucht die Auseinandersetzung damit, dass keine Abwertung von Pflege und Pädagogik stattfindet, sondern es eine Bereicherung der Arbeitsfelder ist, wenn nun Themen der Alltagsgestaltung gemeinsam multidisziplinär eine Rolle spielen. 7 Zusammenfassung und Ausblick Mit diesem Beitrag werden Fäden des Grundlagenwerkes der Hauswirtschaftlichen Betreuung aufgenommen, und das Konzept wird weiter „gewebt“: Es werden Begründungen, Vertiefungen und Praxisbeispiele geliefert und damit weitere Bögen zwischen Theorie und Praxis gespannt. Damit einher geht eine weiterführende Profilierung und Professionalisierung des Konzepts der Hauswirtschaftlichen Betreuung für die Umsetzung in der Praxis. Weiterhin sind einerseits Faktoren außerhalb der Hauswirtschaft benannt (vgl. Cure-Care-Ansatz), die durch Lobbyarbeit der Hauswirtschaft (nur begrenzt) zu beeinflussen sind. Andererseits werden Hinweise gegeben, die durch die Domäne Hauswirtschaft und deren Akteure selbst beeinflusst werden können, um diesen Ansatz mit Erfolg in sozialen Einrichtungen und Diensten zu implementieren (z. B. Professionalisierung, Qualifizierung, Haltung). Denn klar ist: Konzepte der Betreuung, Begleitung, Assistenz und Förderung von Menschen sind heute in der Arbeit in Sozial- und Gesundheitseinrichtungen nicht mehr wegzudenken. Und eine Entwicklung zeichnet sich ab: Der Alltag, die Alltagsgestaltung werden immer wichtiger. Die Hauswirtschaft erweitert damit ihr Handlungsfeld. Nicht nur Supply (Versorgung) 6-19 Feulner-Pfannes_Layout 1 11.03.2014 11:40 Seite 19 HAUSWIRTSCHAFTLICHE BETREUUNG steht im Fokus, sondern auch Care (Betreuung) wird Teil der Hauswirtschaft. Im Hinblick auf die Zukunft sichert die Hauswirtschaft mit diesem zweiten Handlungskonzept, dass sie die Entwicklungen professionell mitgestalten kann. Quellen Bremer Dienstleistungs-Service/Trialog Consulting (Hrsg.) (2008): Handbuch für die Schulung hauswirtschaftlicher Präsenz- und Leitungskräfte in neuen Konzepten der Altenbetreuung. Bremen Bundesfachverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e. V. (Hrsg.) (2010): Hauswirtschaft teilhabeorientiert unterstützen. Arbeitshilfe zum Thema „Hauswirtschaft und ambulantes Wohnen“, CBP-Spezial Nr. 1. Freiburg Deutscher Caritasverband/Diakonie Deutschland (Hrsg.) (2009): Wenn in sozialen Einrichtungen gekocht wird – Leitlinie für eine gute Lebensmittelhygienepraxis in sozialen Einrichtungen. Freiburg Deutscher Caritasverband/Deutsche Gesellschaft für Hauswirtschaft/Diakonie Deutschland (Hrsg.) (2013): Wäschepflege in sozialen Einrichtungen – Leitlinie Wäschemanagement. Freiburg Deutsche Gesellschaft für Hauswirtschaft (Hrsg.) (2007): Die Potenziale der Hauswirtschaft nutzen – Leitlinie zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit sozialer Einrichtungen. Wallenhorst Deutsche Gesellschaft für Hauswirtschaft (Hrsg.) (2012): Den Alltag leben! Hauswirtschaftliche Betreuung. Ein innovativer Weg für soziale Einrichtungen und Dienste. Osnabrück Doppler, Klaus/Lauterburg, Christoph (2008): Change Management: Den Unternehmenswandel gestalten. Frankfurt Dühring, Angela (2006): Macht das „Setting“ den Unterschied? Der Beitrag der verschiedenen Formen der stationären Altenhilfe zur subjektiven und objektiven Lebenszufriedenheit dementiell Erkrankter, Dissertation. Kassel/Witzenhausen Fahrenberg, Jochen (2011): Annahmen über den Menschen – Menschenbilder aus psychologischer, biologischer, religiöser und interkultureller Sicht. Kröning Food and Agriculture Organization of the United Nations, FAO (Hrsg.) (2013): Food wastage footprint – Impacts on natural resources, Summary report (download 26.02.2014) Feulner, Martina (2006): Förderung und Unterstützung des Erhalts von Alltags- und Haushaltsführungskompetenzen. 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Freiburg Kettschau, Irmhild /Mattausch, Nancy (Hrsg.) (2013): Nachhaltigkeit im Berufsfeld Ernährung und Hauswirtschaft am Beispiel der Gemeinschaftsverpflegung. Hamburg Kirchler, Erich/Meier-Pesti, Katja/Hofmann, Eva (2004): Menschenbilder in Organisationen. Wien Kitwood, Tom (2008): Demenz. Der person-zentrierte Ansatz im Umgang mit verwirrten Menschen. Bern Krohwinkel, Monika (1993): Der Pflegeprozess am Beispiel von Apoplexiekranken. Eine Studie zur Erfassung und Entwicklung ganzheitlich-rehabilitierender Prozesspflege. Baden-Baden Kuratorium Deutsche Altershilfe (Hrsg.) (2008): Vom Pflegeheim zur Hausgemeinschaft. Empfehlungen zur Planung von Pflegeeinrichtungen. Köln Kuratorium Deutsche Altershilfe (Hrsg.) (2012): Die 5. Generation. KDAQuartiershäuser – Ansätze zur Neuausrichtung von Alten- und Pflegeheimen. Köln Leicht-Eckardt, Elisabeth (Hrsg.) (2006): Bewohnerorientierte Hauswirtschaft. Praktische Konzepte und ihre Umsetzung in der Altenhilfe. 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In: Blätter der Wohlfahrtspflege, Heft 2, S. 45-49 Schulz-Nieswandt, Frank (2013): Hilfe für pflegebedürftige und behinderte Menschen als professionelle Chance und ethische Herausforderung. In: Hauswirtschaft und Wissenschaft 3/2013, S. 135-141 Strunk-Richter, Gerlinde/Sowinski, Christine (2011): Ora et labora – was Menschen mit Demenz glücklich macht. In: Pro Alter Jan/Feb 2011, S. 58-61 Ulrich, Peter (2007): Integrative Wirtschaftsethik. Bern Martina Feulner H wie Hauswirtschaft – Bildung und Beratung Gerda-Weiler-Str. 10, 79100 Freiburg Tel. 0761-30357, E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Ulrike Pfannes Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg Fakultät Life Sciences – Studiendepartment Ökotrophologie Lohbrügger Kirchstraße 65, 21033 Hamburg Tel. 040-42875-611, E-Mail: [email protected] HuW 1/2014 19 20-22 Murmelrunden_Layout 1 11.03.2014 10:25 Seite 20 URSULA SCHUKRAFT, MARGARETE SOBOTKA „Und was kam dabei raus?“ Ideen, Fragen und Thesen der Jahrestagung der dgh 2013 Ursula Schukraft, Margarete Sobotka Die Jahrestagung der dgh hatte nicht nur das Thema „Lass es mich selber machen“, sondern forderte auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dazu auf, in kleinen Gruppen die vorgestellten Inhalte der Vorträge weiterzuentwickeln und ihre Konsequenzen für die Hauswirtschaft herauszuarbeiten. Dies geschah in „Murmelgruppen“, deren Ergebnisse der folgende Beitrag zusammenfasst. 1 Zustandekommen der Ergebnisse 2 Kernaussagen in allen Diskussionen ach einer grundsätzlichen Einleitung in das Konzept der hauswirtschaftlichen Betreuung (siehe Seite 7), wurden vier praktische Tätigkeitsbereiche aus unterschiedlichen Disziplinen vorgestellt. Sie befassten sich damit, dass Menschen einbezogen werden, dass sie angeleitet oder begleitet werden, etwas selbst zu tun, dass das Selbermachen unterstützt wird. Die Bespiele kamen aus folgenden Bereichen: ■ Garten und Therapie ■ Arbeit mit Menschen mit Behinderung und Inklusion ■ Aufgaben der Hauswirtschaft in einer Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung ■ Einbeziehung, Selbsttun, Inklusion als pädagogische Leitlinie beruflicher Bildung Nach den jeweils ca. 30-minütigen Vorstellungen der Ansätze wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung gebeten, sich Gruppen zuzuordnen, und zwar nach eigener Tätigkeit oder besonderem Interesse am jeweiligen Thema. Die hierbei vorgegebenen Kategorien waren „Hochschule“, „Schule“, „betriebliche Praxis“, „Fort- und Weiterbildung und Beratung“ sowie „Verbandsarbeit“. Ziele der Murmelgruppen waren ■ das Gehörte zu reflektieren und sich darüber auszutauschen, ■ über die Umsetzung im eigenen Tätigkeitsbereich nachzudenken und ■ Herausforderungen oder neue Ansätzen für die Hauswirtschaft oder die Haushaltswissenschaft herauszuarbeiten. Es sollten Lehren für die Profession Hauswirtschaft gezogen werden. Auf einer Leinwand wurden darüber hinaus Leitgedanken zum jeweiligen Vortrag präsentiert und Fragen, die besprochen werden konnten. Im Verlauf der Tagung haben die Murmelgruppen intensiv diskutiert. Die Gesprächsergebnisse, weiterführende Fragen, Anregungen, Thesen und Ideen wurden auf Karten dokumentiert und dem Plenum vorgestellt. Der Erwerb und die Entwicklung sozialer Kompetenzen müssen verstärkt in die Aus-, Fort- und Weiterbildung der Hauswirtschaft integriert werden. Darüber hinaus müssen die Bildungseinrichtungen auch methodisch vielfältige Konzepte entwickeln, um soziale Kompetenzen in der Praxis zu fördern. Grundqualifikationen und Kompetenzen sind zu erweitern im Hinblick auf: ■ Methoden- und Kommunikationskompetenz ■ interkulturelle Kompetenz ■ Inklusion und soziale Begleitung ■ Milieusensibilisierung für unterschiedlichen Kontext ■ Grundbegriffe der Psychologie ■ Personal-/Mitarbeiterführung ■ Beobachtung und Schlussfolgerungen für passgenaue Handlungskompetenzen Immer mehr brauchen auch Fach- und Führungskräfte sowie Lehrkräfte hohe Sozial- und Schnittstellenkompetenz. Daher ist eine Professionalisierung für soziale Kompetenz in der Hauswirtschaft und im Bereich Kommunikation wichtig. Es wurde gefordert, dass das Studium Studierenden den Erwerb von psychologischem Grundwissen ermöglichen muss. Voraussetzung für mehr soziale Kompetenz ist ein humanitäres Menschenbild und die Ausrichtung darauf, was der Mensch braucht, für den wir eine Dienstleistung erbringen. Dies erfordert in der Praxis positive Ideen und eine mentale Auseinandersetzung mit Sinn und Zweck der Tätigkeit sowie ein gemeinsames Tun auf gleicher Ebene. Inklusion z. B. fordert ein Umdenken beim Blick auf Menschen mit Beeinträchtigungen, um adäquate Lösungen zu finden. Hauswirtschaft ist aufgefordert, eine Grundhaltung zu vermitteln, die mehr Achtsamkeit beinhaltet und stärker den Umgang mit menschlichen Ressourcen lebt. Trotz dieser Erkenntnisse fordern die Tagungsteilnehmenden, dass in der Hauswirtschaft nachgedacht wird, ob wir das wollen, ob wir das können und ob es unserem Selbstbild als hauswirtschaftliche Profession entspricht. N 20 HuW 1/2014 20-22 Murmelrunden_Layout 1 11.03.2014 10:25 Seite 21 DGH-JAHRESTAGUNG 3 Aktionsfelder Die detaillierten Aussagen betreffen die Aktionsfelder Hochschule, berufliche Bildung, betriebliche Praxis und die Arbeit der Verbände. 3.1 Hochschule Der Erwerb sozialer Kompetenzen muss auch in der Hochschule vermehrt vermittelt werden, dazu sind neue Methoden und Formen der Lehre zu entwickeln und zu erproben. Alternative Prüfungsformen müssen zugelassen und mehr Projektarbeiten durchgeführt werden. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit an der Hochschule ist zu vertiefen. Als Grundlage für soziale Kompetenzen sind hauswirtschaftliche Grundkenntnisse weiterhin unerlässlich. Für die Hochschulen stehen auch Aufgaben im Bereich Hauswirtschaftliche Betreuung an: Das hauswirtschaftliche Kontinuum muss wissenschaftlich fundiert und begleitet werden. Es fehlen genaue Abgrenzungen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Bereiche Versorgung, Betreuung und Therapie. Es sind Forschungsmittel zur weiteren Bearbeitung einzufordern, und das Konzept muss in die Lehre eingehen. Haushaltswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler müssen weiterhin stärker Management- und Querschnittskompetenzen mit Blick auf ethische Verantwortung und „Achtsamkeit“ erhalten. 3.2 Berufliche Bildung In der beruflichen Bildung ist verstärkt auf die Verzahnung zwischen Schule und Ausbildungsstätte zu achten, um eine Vernetzung und Integration von Wissen und Können zu erreichen. Hauswirtschaftliche Fachkompetenzen sind genauso wichtig wie soziale Kompetenzen. Die Inhalte der Berufsausbildung sind passgenau zu vermitteln, und praxisnahe Lernsituationen sind gemeinsam mit den Lernenden zu suchen. Ihnen sollte mehr Verantwortung für die Entwicklung ihrer beruflichen Handlungskompetenzen übertragen werden. Leittexte und prozessmäßiges Arbeiten sind stärker in den Lernfeldern einzusetzen und abzuprüfen. Eine Ausrichtung der Ausbildung auf Generalisierung oder Expertentum ist weiter zu diskutieren. Für den Umgang mit Inklusion sind Konzepte zu entwickeln. Darüber hinaus fordern die Teilnehmenden der Tagung, dass auch die berufliche Bildung verstärkt auf eine kompetenzorientierte Ausbildungsgestaltung und -dokomentation mit Outcome-Orientierung nach dem Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) ausgerichtet wird. Folgende Aussagen wurden mit Blick auf die Lehrenden der beruflichen Bildung getroffen: Sie brauchen mehr Erfahrung und Kenntnisse der betrieblichen Praxis. Feste Beziehungen zu den Ausbildungsbetrieben sind besonders wichtig, an einigen Schulen gibt es dazu gute Erfahrungen. Auch im beruflichen Bereich ist eine in- 2013 terdisziplinäre Ausbildung zu fördern, z. B durch Kooperation mit dem Sozialwesen oder auch gemeinsame Angebote als Ringvorlesungen. 3.3 Betriebliche Praxis Als besonders wichtige Themen für die betriebliche Praxis wurden die Zusammenarbeit, die Ausgestaltung von Schnittstellen und die Kooperation mit anderen Professionen auf Augenhöhe gesehen. Die Aufhebung hierarchischer Strukturen könnte hilfreich sein, damit z. B. Leitung, Pädagogik und Hauswirtschaft einer Einrichtung auf einer Ebene zusammenarbeiten können. Ein Perspektivenwechsel und die gegenseitige Sensibilisierung führen zu Kompetenz-Partnerschaften, in denen die Berufsgruppen gleichwertig zusammenarbeiten. Um gemeinsame Ziele definieren zu können, sollte jede Profession ihre Fachkompetenzen aufzeigen, ohne überheblich zu wirken. Dabei ist es sinnvoll, die eigene Fachsprache zu beherrschen, die Fachsprache der anderen Professionen zu verstehen und gemeinsam damit umgehen zu Moderatorin Ursula Schukraft, bei der Diakonie können. Schnittstellen und koopeWürttemberg zuständig für rative Netzwerke sind gemeinsam Bildungsmanagement und zu gestalten. Hauswirtschaft Wo die Hauswirtschaft neue Aufgaben in Bereichen übernimmt, die bisher andere Professionen für sich beansprucht haben, wie z. B. in Betreuung oder Therapie, ist Offenheit und Lernen vom Gegenüber wichtig. Auch hier sind gemeinsame Ziele zu definieren und umzusetzen, um Widerstände von anderen Berufsgruppen zu vermeiden. Praktisch zeigt sich die gegenseitige Akzeptanz in Haltung und Achtsamkeit, in regelmäßigen Besprechungen und verlässlichen Absprachen. Die Zusammenarbeit zwischen den Professionen kann auch durch Rollenwechsel positiver gestaltet werden – insbesondere ist die Einbindung der Hauswirtschaft in ein Betreuungskonzept zu beachten; sonst kann nur hauswirtschaftliche Versorgung erfolgen. Die Hauswirtschaft muss ihre „Stellung“ nicht unter den Scheffel stellen, ein besseres Selbstverständnis ist schon in der Ausbildung zu vermitteln. Da hauswirtschaftliche Prozesse häufig im Hintergrund verlaufen, sind oft nur die Ergebnisse sichtbar. Es besteht die Gefahr der Produktorientierung, bei der nicht gesehen wird, dass Personal und Zeit zur Verfügung stehen müssen und Kosten anfallen. Bedauerlich ist, dass die Hauswirtschaft nicht immer adäquat/ausreichend und qualifiziert vertreten wird, z. B. in den Gewerkschaften. So muss sie selbst einfordern, dass sie auf Augenhöhe mit anderen Professionen, wie Pflege und Therapie, auch eine Wertschätzung in gleicher bzw. vergleichbarer Entlohnung erhält. HuW 1/2014 21 20-22 Murmelrunden_Layout 1 11.03.2014 10:25 Seite 22 URSULA SCHUKRAFT, MARGARETE SOBOTKA Die innerbetriebliche Fortbildung muss Themen des betrieblichen Alltags bearbeiten. Dabei ist das Prinzip der vollständigen Handlung als generelle Grundlage für die Ausbildung handlungsleitend. Auch die Ausbildung sollte ein partnerschaftliches Arbeiten und Begleiten sein, um Lernen aus Erfahrung und im Austausch untereinander zu fördern. Empfehlenswert ist es auch hier, Mitarbeitenden die Verantwortung zu übergeben und z. B. andere fachlich anzuleiten. kommen – statt nur einmal in der Woche „therapeutisch gefördert“ zu werden. 4.2 Inklusion und Diversity Eine Aufgabe der dgh und der hauswirtschaftlichen Verbände ist es, sich politisch zu engagieren, Kontakte zur politischen Ebene zu pflegen und sich in politische Prozesse einzubringen. Des Weiteren soll die dgh die Zusammenarbeit aller hauswirtschaftlichen Verbände fördern. Mit Gewerkschaften und Verbänden verwandter Professionen (z. B. Verband Gartentherapie u. a.) sowie mit weiteren Verbänden im sozialen Bereich und Wirtschaftsverbänden ist bei bestimmten Themen zu kooperieren, und es sind Netzwerke aufzubauen. Die dgh muss es als ihre Aufgabe sehen, Interdisziplinarität in Wissenschaft und Praxis zu fördern und Kompetenzpartnerschaften zu gründen. Auch Forschungsmittel für bestimmte Vorhaben sind von der dgh einzufordern. Eine weitere Aufgabe hauswirtschaftlicher Verbände ist es, das Selbstbewusstsein der Hauswirtschaft als Profession zu stärken. Dies kann z. B. dadurch geschehen, dass gesellschaftlich relevante Themen befördert werden, wie z. B. die hauswirtschaftliche Therapie. Dies könnte die Hauswirtschaft aufwerten und ihr Image verbessern. Inklusion und Diversity sind im hauswirtschaftlichen Arbeitsfeld nicht neu, sondern längst etabliert. Es gibt eine lange Tradition des Inklusionsgedankens in der Hauswirtschaft. Dies wird deutlich in der speziell für Menschen mit Beeinträchtigungen geschaffenen Ausbildung zur Hauswirtschaftshelferin bzw. neuerdings zur Fachpraktikerin Hauswirtschaft. Diese Ausbildung bereitet meist junge Menschen auf den ersten Arbeitsmarkt vor, wo sie dann häufig ihren Möglichkeiten entsprechende Tätigkeiten in der Hauswirtschaft finden. Was die Hauswirtschaft noch nicht geschafft hat, ist diese hervorragende Inklusionsleistung auch als solche in die gegenwärtige Diskussion einzubringen und sich als Vorreiterin des Inklusionsgedankens darzustellen. Hauswirtschaft besitzt in hohem Maße Inklusionskompetenz, indem auch Menschen mit Beeinträchtigungen hier eine Aufgabe finden. Diese Leistungen sind in die gegenwärtigen Diskussionen einzubringen, damit sie auch der Hauswirtschaft zuerkannt werden. Eine ebenso hohe Integrationskompetenz besitzt die Hauswirtschaft in der Zusammenarbeit in heterogenen Teams, insbesondere der Zusammenarbeit mit Menschen mit Migrationshintergrund, mit Menschen aus unterschiedlichsten Kulturen, mit An- und Ungelernten sowie mit Menschen aus allen Altersgruppen. Auch hier ist viel Erfahrung bei der Erledigung gemeinsamer Aufgaben vorhanden, von der andere lernen könnten. 4 Aussagen zu konkreten Beispielen der Tagung 5 Aufforderung Vor dem Hintergrund der Vortragsthemen wurde noch Aussagen zu den folgenden zwei Themen gemacht. Die oben zusammengefassten Ergebnisse der Jahrestagung 2013 der dgh wurden von vielen Expertinnen und Experten diskutiert und geäußert. Es sind Anregungen für die Fachausschüsse der dgh, für die hauswirtschaftlichen Verbände und alle Akteure in unserem Feld und fordern dazu auf, drüber nachzudenken, sie weiterzuentwickeln und neue Wege zu gehen. 3.4 Arbeit in den Verbänden 4.1 Gartentherapie Es muss beachtet werden, dass therapeutische Interventionen andere Ziele haben als hauswirtschaftliche Dienstleistungen. Bei einer therapeutischen Intervention geht es z. B. in erster Linie um die Entwicklung bei einem „Patienten“ und nicht um die Qualität einer Dienstleistung. Wo Hauswirtschaft therapeutisch eigesetzt wird, erfordert dies ein Umdenken im Handeln. Des Weiteren sind neue Kompetenzen erforderlich, um Hauswirtschaft auch therapeutisch einzusetzen. Derzeit fehlt weitgehend die Befähigung zu einer solchen Ausbildung. Hauswirtschaftliche Arbeitsfelder können auch therapeutisch genutzt werden. Deshalb ist ein therapeutischer Ansatz weiterzuentwickeln, da Hauswirtschaft den großen Vorteil hat, Sinnerfahrung bei hauswirtschaftlichen Tätigkeiten zu ermöglichen. Selbstständig einen Haushalt führen zu können, bedeutet auch, die eigene Versorgung sicherzustellen, weniger auf Hilfe angewiesen zu sein und damit mehr Selbstwertgefühl zu be22 HuW 1/2014 Ursula Schukraft Diakonisches Werk der Ev. Kirche in Württemberg e.V. Bildungsmanagement und Hauswirtschaft Heilbronnerstraße 180 70 191 Stuttgart [email protected] Prof. em. Dr. Margarete Sobotka Buchenstraße 10 35 745 Herborn [email protected] 23-24 Charta_Layout 1 11.03.2014 10:28 Seite 23 DGH-JAHRESTAGUNG 2013 Vom Menschenbild zur Charta der Hauswirtschaft Martina Schäfer, Alfred Vollmer Diesen Titel hatte der Vortrag der Autoren am 20. September 2013 während der dgh-Jahrestagung 2013. Es sind Überlegungen, wie die „Charta der Rechte für hilfe- und pflegebedürftiger Menschen“ im Bereich Pflege und der Hauswirtschaft umgesetzt werden kann. Martina Schäfer ist Vorsitzende, Alfred Vollmer stellvertretender Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft Hauswirtschaft in der dgh (BAG-HW). enschen können in verschiedenen Lebenslagen hilfe- und pflegebedürftig sein. Der vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie dem Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung ins Leben gerufene „Runde Tisch Pflege“ befasste sich zwischen 2003 bis 2005 mit Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der häuslichen und stationären Pflege. Die rund 200 Expertinnen und Experten aus der Altenhilfe erarbeiteten als zentrale Maßnahme eine Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen. Mit dem Anspruch der gelebten Wirklichkeit und der Umsetzung der Charta in einer Einrichtung müssen alle Aspekte des Pflege- und Betreuungskonzeptes berücksichtigt werden. Eine Herausforderung für ein Leitungsteam, bestehend aus Sozialem Dienst, Pflege und Service. Somit kann die vorliegende Charta auch zu einer Charta der Hauswirtschaft umformuliert werden. M Artikel 1: Selbstbestimmung und Hilfe zur Selbsthilfe Jeder hilfe- und pflegebedürftige Mensch hat das Recht auf Hilfe zur Selbsthilfe sowie auf Unterstützung, um ein möglichst selbstbestimmtes und selbstständiges Leben führen zu können. Hauswirtschaftliche Dienstleistungen als fördernde Hauswirtschaft einbringen. Menschen mit einem Hilfebedarf aktivieren und einbeziehen. Sei es durch Tische decken, Hilfe bei der Speisenzubereitung oder das Falten von Wäsche. Artikel 2: Körperliche und seelische Unversehrtheit, Freiheit und Sicherheit Jeder hilfe- und pflegebedürftige Mensch hat das Recht, vor Gefahren für Leib und Seele geschützt zu werden. Die Gesundheit als kontinuierliche Auseinandersetzung zwischen Mensch und Umwelt, Sicherstellung des Versorgungsauftrages und fachliche Standards durch professionelles Planen mit hauswirtschaftlicher Fachkompetenz sind hier die Themen der Hauswirtschaft. Artikel 3: Privatheit Jeder hilfe- und pflegebedürftige Mensch hat das Recht auf Wahrung und Schutz seiner Privat- und Intimsphäre. Der private Lebensraum als Ort der Sicherheit wird zum zentralen Thema des Tätigseins. Berücksichtigung lebenslanger Erfahrungen und die Verwendung privater Wäsche und Einrichtungsgegenstände finden hier ihre Bedeutung. Artikel 4: Pflege, Betreuung und Behandlung Jeder hilfe- und pflegebedürftige Mensch hat das Recht auf eine an seinem persönlichen Bedarf ausgerichtete gesundheitsfördernde und qualifizierte Pflege, Betreuung und Behandlung. Das bedeutet für jeden Betreuenden, einen Blick auf die kognitiven Fähigkeiten der Nutzerinnen und Nutzer zu haben und Vorlieben und Abneigungen zu berücksichtigen. Die Werte des Gegenübers sind entscheidend. Hauswirtschaftliche Betreuung befähigt Menschen mit Hilfebedarf, die Versorgungsaufgaben des Alltags so eigenständig wie möglich wahrzunehmen. Artikel 5: Information, Beratung und Aufklärung Jeder hilfe- und pflegebedürftige Mensch hat das Recht auf umfassende Informationen über Möglichkeiten und Angebote der Beratung, der Hilfe, der Pflege sowie der Behandlung. Hier kann die Hauswirtschaftliche Betreuung als Konzept der vollständigen Handlung gesehen werden: Bedarfsermittlung, Maßnahmenplanung, Durchführung, Reflexion. Und das geschieht im Rahmen von Ernährungsberatung und regelmäßigen Befragungen. Artikel 6: Kommunikation, Wertschätzung und Teilhabe an der Gesellschaft Jeder hilfe- und pflegebedürftige Mensch hat das Recht auf Wertschätzung, Austausch mit anderen Menschen und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. HuW 1/2014 23 23-24 Charta_Layout 1 11.03.2014 10:28 Seite 24 MARTINA SCHÄFER, ALFRED VOLLMER Das geschieht im hauswirtschaftlichen Bereich durch die Gestaltung von Festen, jahreszeitliche Orientierung und vor allen auch durch die Mitwirkung bei der Planung. schaft hin zur sozialen Dienstleistung würde damit schrittweise Wirklichkeit werden. Quelle Artikel 7: Religion, Kultur und Weltanschauung Jeder hilfe- und pflegebedürftige Mensch hat das Recht, seiner Kultur und Weltanschauung entsprechend zu leben und seine Religion auszuüben. Hauswirtschaftliche Betreuung bezieht Gewohnheiten, Rituale, Bräuche und Gegenstände, die vom jeweiligen Kulturkreis geprägt sind, in das Handeln ein, z. B. durch die Beachtung von kulturellen und religiösen Besonderheiten bei Speise und Getränken. Artikel 8: Palliative Begleitung, Sterben und Tod Jeder hilfe- und pflegebedürftige Mensch hat das Recht in Würde zu sterben. Die Themen für die Hauswirtschaft sind hier die Beachtung/ Bewertung der Biographie oder das Kochen des „Lieblingsessens“. Immer aber in enger Absprache mit dem Pflegepersonal. Mut zur prozesshaften Erstellung einer Charta der Hauswirtschaft Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen für und Jugend/Bundesministerium für Gesundheit (Hrsg.) (Stand: 10. Oktober 2010): Charta der Rechte hilfe-und pflegebedürftiger Menschen. 10. Auflage. http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/Charta-der-Rechte-hilfe-und-pflegebed_C3_BCrftigerMenschen,property=pdf,bereich=bmfsfjsprache=de,rwb=true.pdf Martina Schäfer Bundesarbeitsgemeinschaft Hauswirtschaft in der dgh (BAG-HW) Wangen 56 88356 Ostrach Tel. (07585) 2209 E-Mail: [email protected] Alfred Vollmer Referent für stationäre Altenpflege Diözesan-Caritasverband (DiCV) für das Erzbistum Köln e.V. Tel. 0221-2010-207 Fax 0221-2010-334 E-Mail: [email protected] Unser Ziel ist es, Mut zu machen zur prozesshaften Erstellung einer Charta der Hauswirtschaft. Der Wandel der Hauswirt- „Jeder Mensch hat uneingeschränkten Anspruch auf Respektierung seiner Würde und Einzigartigkeit“ Jeder Mensch hat uneingeschränkten Anspruch auf Respektierung seiner Würde und Einzigartigkeit. Menschen, die Hilfe und Pflege benötigen, haben die gleichen Rechte wie alle anderen Menschen und dürfen in ihrer besonderen Lebenssituation in keiner Weise benachteiligt werden. Da sie sich häufig nicht selbst vertreten können, tragen Staat und Gesellschaft eine besondere Verantwortung für den Schutz der Menschenwürde hilfeund pflegebedürftiger Menschen. Ziel dieser Charta ist es, die Rolle und die Rechtsstellung hilfe- und pflegebedürftiger Menschen zu stärken, indem grundlegende und selbstverständliche Rechte von Menschen, die der Unterstützung, Betreuung und Pflege bedürfen, zusammengefasst werden. Diese Rechte sind Ausdruck der Achtung der Menschenwürde, sie sind daher auch in zahlreichen nationalen und internationalen Rechtstexten verankert. Sie werden in den Erläuterungen zu den Artikeln im Hinblick auf zentrale Lebensbereiche und Situationen hilfe- und pflegebedürftiger Menschen kommentiert. Darüber hinaus werden in der Charta Qualitätsmerkmale und Ziele formuliert, die im Sinne guter Pflege und Betreuung anzustreben sind. Menschen können in verschiedenen Lebensabschnitten hilfe- und pflegebedürftig sein. Die in der Charta beschriebenen Rechte gelten in ihrem Grundsatz daher für Menschen aller Altersgruppen. Um hilfe- und pfle- 24 HuW 1/2014 gebedürftigen Menschen ihre grundlegenden Rechte zu verdeutlichen, werden sie in den Erläuterungen zu den Artikeln unmittelbar angesprochen. Zugleich soll die Charta Leitlinie für die Menschen und Institutionen sein, die Verantwortung in Pflege, Betreuung und Behandlung übernehmen. Sie appelliert an Pflegende, Ärztinnen, Ärzte und alle Personen, die sich von Berufs wegen oder als sozial Engagierte für das Wohl pflegeund hilfebedürftiger Menschen einsetzen. Dazu gehören auch Betreiber von ambulanten Diensten, stationären und teilstationären Einrichtungen sowie Verantwortliche in Kommunen, Kranken- und Pflegekassen, privaten Versicherungsunternehmen, Wohlfahrtsverbänden und anderen Organisationen im Gesundheits- und Sozialwesen. Sie alle sollen ihr Handeln an der Charta ausrichten. Ebenso sind die politischen Instanzen auf allen Ebenen sowie die Leistungsträger aufgerufen, die notwendigen Rahmenbedingungen zur Gewährleistung der hier beschriebenen Rechte, insbesondere auch die finanziellen Voraussetzungen, weiterzuentwickeln und sicherzustellen. [...] Aus: Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen, Präambel.Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen für und Jugend/Bundesministerium für Gesundheit (Quelle s. o.), ohne Fußnote b 25-27 Brandl_Layout 1 11.03.2014 10:35 Seite 25 LEHREN Durch pädagogische Begleitung selbst organisiert lernen – Widerspruch oder doch konsequent? Werner Brandl Wie kultiviere ich die Freyheit bey dem Zwange? Immanuel Kant (1803) In seinen Vorlesungen über Pädagogik hat Kant auf den Grundwiderspruch aller Bildungsanstrengungen und -bemühungen mit aller Deutlichkeit (und drastischen Worten) als Antinomie1 hingewiesen. Weniger dramatisch und modern(er) formuliert: Welche begleitenden Maßnahmen sind von den Lehrenden zu ergreifen, damit die Lernenden ihre je individuellen Lernprozesse selbst organisiert gestalten können? Lehren & Lernen it dem Tagungsmotto: „Lass es mich selber machen“ – und in Ergänzung des von Maria Montessori geprägten Anspruchs der Lernenden an die Lehrenden „Hilf mir, es selbst zu tun“ – wird eine veränderte und verändernde Sicht umschrieben, die das auch in beruflichen Kontexten „schwierige Verhältnis zwischen Lehren und Lernen“ evtl. als ein „hausgemachtes Problem“ (Reinmann 2012), einem „Wechselspiel“ zwischen „traditionellem Lehrverständnis“ und „konstruktivistischem Lernverständnis“ (Dubs 1999, S. 57) „modern“ thematisiert: Wiewohl es je individuelle Anstrengungen aufseiten der Lernenden sind, die ihre Lernprozesse bestimmen, ist dennoch die Begleitung durch die Lehrenden unabdingbar – allerdings nicht in der Form, dass deren Wissen und Können 1:1 übernommen werden (vgl. Brandl 2013), sondern dass es geradezu eigensinnige und selbstständige Konstruktionsprozesse der Lernenden sind, die eine gewünschte und gewollte Kompetenzentwicklung erst ermöglichen. Allen Konzepten autonomen, selbst regulierten usw. Lernens liegt die Betonung eines hohen Selbststeuerungs- bzw. Selbstbestimmungsanteils zugrunde: „Lernende treffen eigene Entscheidungen; sie nutzen die Möglichkeit, über Aufgaben, Methoden und Zeitaufwand (mit)bestimmen zu können und sie übernehmen die Verantwortung für den eigenen Lernprozess“ (Konrad 2008, S. 18). Demnach ist Selbstorganisation dreifach zu bestimmen, nämlich als „Voraussetzung, Ziel und Methode" (Reinmann & Mandl 2006). Die Aspekte der Selbststeuerung/-regulation/- M 1 Antinomie: Widerspruch eines Satzes in sich oder zweier Sätze, von denen jeder Gültigkeit beanspruchen kann (Duden) organisation beziehen sich nach Konrad (2008, S. 16 ff.) auf die Dimensionen ■ des autonomen Lernens: Die Lernenden selbst ordnen und regulieren die Aufnahme und Verarbeitung von Informationen, indem sie unter möglichen Lernzielen auswählen, sich ihre Lernzeit selbst einteilen und ihre Lernaktivitäten planen und organisieren, ihren eigenen Lernzustand punktuell überprüfen und auf der Basis dieser Überprüfung ihre Lernwege regeln. ■ der pädagogischen Kontrolle: Die Möglichkeiten der Selbststeuerung der Lernorganisation durch die Lernenden bestimmen – im Wechselspiel mit der Lehre – den tatsächlichen Umfang der Kontrolle der Lernprozesse. ■ der psychischen Regulation: Diese beeinflusst und bestimmt, wie Lernende Informationen aufnehmen, verarbeiten, speichern und benutzen. Self-regulation of learning and teacher guidance – a contradiction? ESelf-regulation of learning (including similiar concepts like self-organisation, self-direction etc.) and teacher guidance seem to be – at a first glance – a contradiction. A constuctivist view which emphasizes that learners construct their understanding and knowledge actively and individually indeed is often misconstrued and misunderstood pointing towards a dominance of construction in the learning process and an insignificance of instruction. On closer inspection it seems to be more an antinomy between two principles that are equally necessary and reasonable – and which can be handled within an adaptive learning environment. HuW 1/2014 25 25-27 Brandl_Layout 1 11.03.2014 10:35 Seite 26 WERNER BRANDL Pädagogik und Didaktik beruflicher Bildung präferieren deshalb auch eine moderat konstruktivistische und praxisorientierte Sichtweise (Abb. 1), die Lernen als eine persönliche Konstruktion von Bedeutungen interpretiert und instruktionale Anleitung und Unterstützung integriert: Die gemäßigt konstruktivistische Auffassung von Lernen versucht die Prinzipien von Instruktion und Konstruktion miteinander zu verbinden. Aus pragmatischer Sicht erscheint es zum einen weder möglich noch sinnvoll, im Unterricht ständig nur fertige Wissenssysteme nach fest stehenden Regeln vermitteln zu wollen; auf der anderen Seite hätte es wenig Sinn, allein auf die Konstruktionsleistungen der Lernenden zu vertrauen (Reinmann & Mandl 2006, S. 638). Instruktion & Konstruktion Eine im besten Sinne praxisorientierte integrative Modellierung von Lehr-Lernprozessen widerlegt auch die „Mär“, „dass instruktive Lehr-Lern-Methoden veraltet, unmodern, nicht mehr zeitgemäß oder Ähnliches sind“ (Renkl 2013, S. 10). Vielmehr macht sie augenscheinlich, dass es entscheidend darauf ankommt, „wie diese instruktive Methode in den Unterricht implementiert ist; denn wenn diese Methode gut implementiert ist, hat sie für das Lernen viele Vorteile“ (Renkl 2013, S. 7). Nebenbei „entlastet“ dies auch das mehr oder weniger ausgeprägt schlechte Gewissen: Wenn nämlich traditionelle Unterrichtsformen (prototypisch wird gerne der sog. Frontalunterricht genannt) zwar vehement theoretisch desavouiert und dennoch nach wie vor überwiegend praktiziert werden, indem man versöhnlich konstatiert: „Der Frontalunterricht liefert das Baumaterial (=Instruktion), die Verarbeitung (=Konstruktion) erfordert möglichst authentische Situationen, herausfordernde Probleme, Aktivität der Lernenden und oft auch Kooperation“ (Gudjons, 2011 S. 258). Dabei gilt es – wie Gudjons (2011) aufzeigen konnte – z. B. den Frontalunterricht neu zu entdecken und als überaus wertvolles und auch unverzichtbares Element in offene Unterrichtsformen zu integrieren, ohne die Vorzüge beider als Nachteile gegeneinander auszuspielen: Während geschlossene Lernumgebungen den Stoff hierarchisch gliedern, Informationen im schrittweisen Nacheinander präsentieren, eine enge Zeitstruktur haben, einem traditionellen Ablaufschema folgen und von der direkten Führung der Lehrkraft abhängen, haben offene Lernumgebungen eine explanative Struktur, der Stoff ist „flacher“ gegliedert, der Zeitrahmen flexibler, die Reihenfolge der Lernhandlungen und die Bemessung der Lernzeiten werden stärker den Lernenden selbst überlassen. (Gudjons 2011, S. 255) Frontalunterricht ist allerdings nur dann sinnvoll und unverzichtbar, „wenn er ■ erstens in Unterrichtsformen integriert ist, die Eigenständigkeit, Selbstverantwortung, Selbststeuerung und Kooperation der Lernenden fördern, und wenn er ■ zweitens im Rahmen dieser Integration als wichtige Phase eigenständige didaktische Funktionen hat 26 HuW 1/2014 Konstruktion Lernen als selbst gesteuerter, aktiver, konstruktiver, situativer und sozialer Prozess Gestaltung integrierter Lernumgebungen Instruktion Lehren als Begleiten, Unterstützen, Anregen, Beraten sowie Anleiten, Darbieten, Erklären ... Abb. 1: Praxisorientiertes integratives Modell (nach Reinmann & Mandl 2006, S. 637) ■ und drittens modern und professionell gestaltet wird“ (Gudjons 2011, S. 8). Diesem Plädoyer für die „Wiederentdeckung“ instruktiver Anteile in offenen Lehr-Lern-Formen kann sich die Berufspädagogik durchaus anschließen: „Ein moderner beruflicher Unterricht setzt auf das Zusammenwirken von Fach- und Handlungssystematik sowie lehrergeführter Instruktion und selbst gesteuerter Wissenskonstruktion“ (Riedl & Schelten 2013, S. 205). Lehrkompetenz & Lernumgebung Die Rolle der Lehrkräfte besteht damit „nicht mehr ausschließlich in der Vermittlung von Wissen. Im interaktiven Lehr-Lern-Geschehen hat sie vielmehr eine steuernde und beratende Funktion. Gleichwohl wird die Rolle der Lehrperson als Vermittlerin von Wissen nicht ausgeschlossen, wo dies für die Lernenden Erfolg versprechend ist“ (Beck et al. 2008, S. 40). Mit der Ausweitung des traditionellen „Kerngeschäfts“ der Lehrkraft geht eine Flexibilisierung in der Lehrtätigkeit hin zu einer „adaptiven Lehrkompetenz“ (Beck et al. 2008) einher: „Adaptiver Lehrkompetenz liegt ein kognitiv-konstruktivistisches Verständnis von Lernen zugrunde. Danach ist Lernen ein aktiver Prozess des In-Beziehung-Setzens. Auf der Basis seiner Vorkenntnisse baut der Lernende neues Wissen auf (strukturelles Lernen), konsolidiert und automatisiert es (verstärkendes Lernen) und wendet es schließlich an“ (Beck et al. 2008, S.39). Die daraus resultierende Herausforderung für die Lehrkräfte besteht darin, dass es ihnen qua entsprechender Planungs- und Handlungskompetenz gelingt, den Unterricht so flexibel zu gestalten, dass ■ bei aller Individualität und Heterogenität, ■ mit Sachkompetenz ausgestattet, ■ mittels eines reichhaltigen didaktischen Repertoires sowie ■ durch beratende Begleitung und sensible Führung 25-27 Brandl_Layout 1 11.03.2014 10:35 Seite 27 LEHREN ■ möglichst viele Lernende ihren Voraussetzungen und REFLEXION Möglichkeiten gemäß lernen und verstehen können (Beck et al. 2008, S. 38). Individuelle KONSTRUKTION Für die Planung und Organisation adaptiver Lernangebote und -umgebungen (Abb. 2) ist es nach Riedl und Schelten (2013, S. 133 f.) unabdingbar, die SchwerKONTEXT SITUATION punkte neu zu justieren und ■ von lebens- und berufsnahen, ganzheitlich zu betrachAdaptive INSTRUKTION tenden Problembereichen auszugehen; ■ die Vorerfahrungen und Interessen der Lernenden mitPROZESS einzubeziehen; Lernumgebung ■ neues Wissen an vorhandenes Wissen und Können anAbb. 2: Adaptive Lernumgebung zuknüpfen; ■ kollektive Diskussionen individueller Interpretationen zuzulassen; stitut für Erwachsenenbildung (DIE). [www.die-bonn.de/esprid/doku■ auch Fehler und Fehlerüberlegungen als verständnisförmente/doc-1999/dietrich99_01.pdf]. dernde Elemente zu begreifen; Gudjons, H. (2011): Frontalunterricht – neu entdeckt. Integration in offene ■ außer kognitiven Aspekten auch emotionale Aspekte und Unterrichtsformen (3., akt. Aufl.). Bad Heilbrunn persönliche Identifikation zuzulassen und Konrad, K. (2008): Erfolgreich selbstgesteuert lernen. Theoretische Grund■ den Fokus auf Fortschritte im Lernprozess und nicht auslagen, Forschungsergebnisse, Impulse für die Praxis. Bad Heilbrunn schließlich auf Lernprodukte zu legen. Reinmann, G. (2012): Das schwierige Verhältnis zwischen Lehren und LerFazit Vielleicht wird damit etwas mehr von Comenius’ Vision aus seiner „Großen Didaktik“ Wirklichkeit: „Erstes und letztes Ziel unserer Didaktik soll es sein, die Unterrichtsweise aufzuspüren und zu erkunden, bei welcher die Lehrer weniger zu lehren brauchen, die Schüler dennoch mehr lernen.“ (Didactica Magna 1657) nen: Ein hausgemachtes Problem? In: H. Giest, E. Heran-Dörr & C. Archie (Hrsg.), Lernen und Lehren im Sachunterricht. Zum Verhältnis von Konstruktion und Instruktion (S. 25-36). Bad Heilbrunn Reinmann, G. & Mandl, H. (2006): Unterrichten und Lernumgebungen gestalten. In: A. Krapp & B. Weidenmann (Hrsg.), Pädagogische Psychologie. Ein Lehrbuch (5., vollst. überarb. Aufl., S. 613-658). Weinheim Renkl, A. (2013): Instruktive Lehr-Lern-Methoden. Warum sie wichtig sind und was man beachten sollte. Schulmagazin 5-10, 10, 7-11. Riedl, A.7Schelten, A. (2013): Grundbegriffe der Pädagogik und Didaktik beruflicher Bildung. Stuttgart Quellen Beck, E./Baer, M./Guldimann, T./Bischoff, S./ Brühwiler, Ch./ Müller, P./ Niedermann, R./ Rogalla, M./Vogt, F. (2008): Adaptive Lehrkompetenz. Analyse und Struktur, Veränderbarkeit und Wirkung handlungssteuernden Lehrerwissens. Münster Brandl, W. (2013): Wissen und Handeln: Diesseits und jenseits des 'Rubikon'. Haushalt in Bildung & Forschung, 2(3), S. 3-20 Dubs, R. (1999): Lehren und Lernen – ein Wechselspiel. In S. Dietrich, E. Fuchs-Brüninghoff et al. (1999). Selbstgesteuertes Lernen. Auf dem Weg zu einer neuen Lernkultur (S. 57-70). Frankfurt am Main: Deutsches In- Werner Brandl M.A. Institutsrektor Staatsinstitut für die Ausbildung von Fachlehrern – Abteilung II – Am Stadtpark 20 D-81243 München E-Mail [email protected] Aus den Verbänden: Neuer Name des VDOE lautet „BerufsVerband Oecotrophologie“ Der Verband der Diplom-Oecotrophologen (VDOE) heißt jetzt „BerufsVerband Oecotrophologie e.V.“. Damit solle die Oecotrophologie als Ganzes herausgestellt werden, erklärte der Verband in einer Pressemitteilung vom 20.02.2014. Die Abkürzung VDOE bleibe bestehen, denn sie orientiere sich an der beim Patentamt eingetragenen Wort-Bild- Marke. Auch die Website ist weiterhin unter www.vdoe.de erreichbar. Der VDOE verstehe sich als die berufspolitische Vertretung für alle Oecotrophologen, Haushalts-, Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaftler, erklärte die Vorstandsvorsitzende Almut Feller. Die VDOE-Mitgliederversammlung hat über die Änderung im vergangenen Jahr entschieden, und der Name ist rechtskräftig eingetragen. Der Verband sieht sich seit über 40 Jahren als berufspolitische Vertretung der Absolventen und Studierenden der Oecotrophologen, Haushalts-, Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften in Deutschland. Er hat nach eigenen Angaben über 4.000 Mitglieder. Ziel ist die Erschließung und Sicherung der Arbeitsgebiete sowie der qualifikationsgerechte Einsatz. HuW 1/2014 27 28-37 Alltag_Layout 1 11.03.2014 10:42 Seite 28 BARBARA METHFESSEL, KIRSTEN SCHLEGEL-MATTHIES Alltagskultur: viel beschworen, wenig wissenschaftlich durchdrungen?! Barbara Methfessel, Kirsten Schlegel-Matthies Nach einer Definition und Diskussion der Begriffe Alltag und Kultur wird auf ausgewählte Perspektiven zur Alltagskultur eingegangen. Ausgehend von der Kritik, dass ein ungenügendes Verständnis der Alltagskultur eine Ursache für prekäre haushaltswissenschaftliche Diskurse, haushaltsbezogene Bildung und hauswirtschaftliche Interventionen und Aktivitäten sein kann, werden Herausforderungen an die Auseinandersetzung mit der alltäglichen Lebensführung im privaten Haushalt formuliert. 1 Alltag und Kultur – zum Verständnis der Begriffe und ihrer Implikationen er Begriff Alltagskultur hält zunehmend Einzug in die Diskussionen der Haushaltswissenschaft und in die haushaltsbezogene Bildung1. Neu sind weder der Begriff noch die Diskussion darum. Dennoch scheint ein gemeinsames „Grundverständnis“, eine grundlegende Bestimmung dessen, was unter Alltag und Alltagskultur zu verstehen ist, nicht vorhanden zu sein. Die Diskussion um Alltagskultur scheint wie der Alltag selbst gehandhabt zu werden, selbstverständlich – und wenig analysiert und reflektiert. D Alltag – Begriff und Definition Für eine wissenschaftliche Definition von (Alltags-)Kultur sind folgende oft genannte Kernelemente zu unterscheiden2: Unter Alltag versteht man Lebenszusammenhänge, die kontinuierlich bzw. regelmäßig das Leben der Menschen bestimmen. Sie sind bestimmt durch ■ strukturierte Räume und Zeiten, ■ wiederkehrende bzw. sich wiederholende Muster, Abläufe bzw. Prozesse und ■ routinierte Handlungen. Mit „Alltag“ wird der Blick auf den Lebenszusammenhang, das „Alltägliche“ und auf seine einzelnen Momente gelenkt (Teuteberg 2011). 1.1 Alltag Alltag, die Zusammensetzung von All(e) Tag(e), ist ein „All- lisierten Betätigungsfeldern wie ein Ehrenamt. Abweichungen tagsbegriff“, häufig benutzt und sich selbst erklärend. Doch von bestehenden Mustern und Routinen sind typisch, da ein nicht jeder Tag ist Alltag, und die Reihung der alltäglichen Pro- Merkmal des Alltags sowohl die Wiederholung, aber auch zesse gibt noch keinen Einblick in die „Gesetze des Han- der permanente Wandel ist – in Abhängigkeit von geselldelns“. schaftlichen Veränderungen und der individuellen LebensgeWieweit Alltag gefasst wird, hängt von der Perspektive ab: schichte. Einmalige oder seltene (und damit meist störende) Geht man davon aus, dass es eine allgemeine kulturelle Er- Merkmale oder Ereignisse außerhalb dieser Strukturen und rungenschaft ist, den Lebensprozess zu strukturieren, dann Routinen zählen nicht zum Alltag. Wiederholen sich solche zählen auch Feiertage zum Alltag, ebenso der Wechsel von Ar- störenden Merkmale oder Ereignisse und entwickeln damit Eibeit und Freizeit, das Zusamgenschaften eines Alltags (z. menspiel von Erwerbsarbeit B. in einem längeren Krieg), dann werden sie ebenfalls und privater Arbeit im HausEveryday life management in halt und anderen institutionadem Alltag zugerechnet. private households Wissenschaftlich wurde 1 Alltag als Kategorie erst ab Everyday life management in private households has turned into In Baden-Württemberg heißt das Studienfach an den Pädagogischen Hocha complex challenge for people of all ages. Based on the dem 19. Jh. interessant, als schulen seit 2011 „Alltagskultur und criticism concerned with the assumption that an insufficient man begann, die LebensproGesundheit“, Frauenorganisationen fordern ein Schulfach Alltagskompecomprehension of the culture of everyday life serves as a cause zesse der breiten Bevölkerung tenzen. for precarious scientific discourses in home economics, home in den Blick zu nehmen und 2 Hansen (2000) und Klein (2000) economics education, its interventions and activities, this article damit die bisher alleinige Begeben einen Überblick über die Diskussionen um (Alltags-)Kultur. identifies the challenges mentioned above. trachtung von „großen“ politi- 28 HuW 1/2014 28-37 Alltag_Layout 1 11.03.2014 10:42 Seite 29 ALLTAGSKULTUR schen (Krieg, Machtfragen) und kulturellen (Wissenschaft, Kunst) Ereignissen aufgab (Hansen 2000; Klein 2000). Zuvor war eine Beschäftigung mit dem Alltag und der Alltagskultur dann legitim gewesen, wenn sie aus anthropologischer oder ethnologischer Perspektive erfolgte und z. B. der Erkundung fremder Kulturen oder einer volkskundlichen Aufarbeitung der eigenen Geschichte diente3. Auseinandersetzungen mit dem jeweiligen „gesellschaftlichen“ Alltag finden sich zwar seit der Antike, allerdings nur vereinzelt und häufig im Rahmen normativ geleiteter Auseinandersetzungen zum „richtigen Leben“ sowie der Anleitung dazu (vgl. Hoffmann 1959; Egner 1976, 1985; Tornieporth 1979; von Schweitzer 1988, 1991; Richarz 1991, 1994; Schlegel-Matthies 1995, 1998 sowie die dort zitierte Literatur). In der Haushaltswissenschaft wird der Begriff Alltag schon länger selbstverständlich verwendet (vgl. u. a. von Schweitzer 1991), denn der Fokus liegt dort auf der privaten Alltagsbewältigung – und so teilt die Haushaltswissenschaft die fehlende Würdigung seitens anderer Wissenschaft gewissermaßen mit dem Alltag4. Kultur: Begriff und Definition Kultur wird meist abgeleitet aus den lateinischen Wörtern colo, colui oder cultus, die zum einen „pflegen, bebauen, bestellen“ und zum anderen „anbeten“ bedeuten. Ackerbau und Götterverehrung haben dabei durchaus Bezüge zueinander, denn „Ackerbau und Götterverehrung sind jene Tätigkeiten, die die Urmenschen vom Tier unterschieden“ (Hansen 2003, S. 14). Das Wort „Kultur“ ist nach Hansen (2003) in der deutschen Sprache seit Ende des 17. Jahrhunderts belegt und bezeichnet von Anfang an sowohl die Bodenbewirtschaftung als auch die „Pflege der geistigen Güter“. Kultur wird damit von Natur abgegrenzt, Kultur ist das durch menschliche Aktivität „Geschaffene“, die Natur ist das „Gegebene“. Kultur wurde dabei als höherwertig betrachtet5. Hansen (2003, S. 15) versteht unter Kultur generell die Veränderung der äußeren und inneren Bedingungen durch menschliche Tätigkeiten, die „dazu führt, dass die natürliche Ordnung durch eine von Menschen geschaffene ersetzt wird“, bzw. zugespitzt: das gemeinschaftliche, standardisierte und in Gewohnheiten übergegangene Verhalten. Dies entspricht der Definition von Plessner, der aus anthropologischer Sicht unter Kultur die empirische (d. h. erfahrbare, beobachtbare) konkrete Form der (Aus-)Gestaltung der Lebensführung und der dazugehörigen Umwelt gesehen hat, und zwar durch „innere Mittel“ wie Handeln, Denken, Träumen und durch „äußere Mittel“ wie Werkzeuge, Schöpfungen u. a. Dinge (Barlösius 2011 mit Bezug auf Plessner, S. 33 f.). Eine Grenze zwischen Natur und Kultur kann nicht gezogen werden, weil die Entwicklung der „Natur“ schon vielfältig kulturell beeinflusst ist (Hansen 2000, S. 19 ff.). Natur und Kultur können meist nur durch die Dimension einerseits der Materialhaftigkeit (allerdings nur bezogen auf den materiellen Kern, wie die Tatsache einer chemischen Zusammensetzung von Baumwolle oder Vitaminen) und andererseits der Gestaltung (d. h. der konkreten Zusammensetzung und deren Beziehung zu Produktion, Bearbeitung, Nutzung etc.) unterschieden werden6. Geht man davon aus, dass die „geistigen Schöpfungen“ letztlich den kulturellen Kern der materiellen Schöpfungen bilden, dann sind Letztere auch Ausdruck der geistigen Kultur und können nicht losgelöst von ihr betrachtet werden (Hansen 2003, S. 146). 1.2 Kultur Definitionen von Kultur wandeln sich und drücken den jeweiligen Zeitgeist, vor allem das jeweilige Verständnis von Menschen und ihrer sozialen Ordnung aus. Das so jeweils unterschiedliche Verständnis von Kultur unterlag dabei meist einem normativen Anspruch, wonach Kulturen als „richtig“ oder „falsch“ bewertet werden konnten. Geht man von einem Menschenbild aus, das den handelnden, mit seiner Umwelt interagierenden, sich zwar irrenden, aber letztlich selbstverantwortlichen Menschen im Blick hat, dann muss man auch folgern, dass Menschen immer Konstrukteure ihrer Kultur sind. Dabei sind „Experten“ ebenso im kulturellen Kontext „gefangen“ wie „Laien“. Mit der Aufklärung wurde im 18 Jh. ein Kulturbegriff entwickelt, der sich gegen die aristokratischen Kulturvorstellungen richtete und eine „bürgerlich-emanzipatorische Umdeutung“ (Klein 2000, S. 219) darstellte. Durch die mit ihm verbundenen moralischen Ansprüche wurde er auch grundlegend für humanistische Vorstellungen. Dieser Kulturbegriff wurde in kritischen Sozialtheorien als „Selbstidentifikation des Bürgertums“ (ebd.) kritisiert. Mit der sich entwickelnden (Kultur-)Soziologie (Alfred und Max Weber, Simmel, Schütz, Berger/Luckmann u. a.) bekam die Analyse der alltäglichen Handlungen und der damit verbundenen kulturellen Entwicklungen eine größere Bedeutung. Daraus und aufgrund der neueren anthropologischen und ethnologischen Diskussion 3 Vor allem in der neueren empirischen Kulturwissenschaft, die aus der Volkskunde hervorgegangen ist, befasst man sich mit der Erforschung der Alltagskultur und ihrer Phänomene. 4 Daher wundert es auch nicht, dass bei der in den 1970er.Jahren begonnenen Beschäftigung vieler Disziplinen mit dem Alltag die bis dahin in der Haushaltswissenschaft entwickelten theoretischen Grundlagen fast vollständig ignoriert wurden. Auf der anderen Seite bereicherten die aufkommenden Diskussionen der Frauenforschung oder der „Subjektiven Soziologie“ die Entwicklung der Haushaltswissenschaft (Methfessel/Schlegel-Matthies 2003). entwickelte sich das heutige wissenschaftliche Verständnis von Kultur. Dieser (moderne) Kulturbegriff ermöglichte erstmals einen deskriptiven und analytischen Zugang zum Alltag und bot damit eine wesentliche Voraussetzung für eine haushaltswissenschaftliche Forschung. Vorher wurde ein solcher Zugang – ob bewusst oder unbewusst – durch den Einfluss eines normativ orientierten bürgerlichen Kulturbegriffs verhin5 Bei den Griechen war insbesondere die Abgrenzung vom Tier relevant. Dabei wurden auch alle überlebensnotwendigen Prozesse, die – wie z. B. Sorge für Nahrung – den Menschen mit dem Tier verbinden, ebenso als niederwertig abgelehnt, wie die Menschen, die die damit verbundene Arbeit verrichten (vgl. Arendt 1989; Methfessel 1994). 6 Auf spezifische Auseinandersetzungen, wie die Gleichsetzung oder Unterscheidung zwischen Kultur und Zivilisation, soll hier nicht eingegangen werden, ebenso nicht auf das Kultur- und Naturverständnis, das in den Auseinandersetzungen um abgelehnte kulturelle Entwicklungen vertreten wurde, wie bei Rousseau oder der Lebensreformbewegung. HuW 1/2014 29 28-37 Alltag_Layout 1 11.03.2014 10:42 Seite 30 BARBARA METHFESSEL, KIRSTEN SCHLEGEL-MATTHIES dert (s. u.). Erst systematische Analysen der Strukturen der Lebensführung und der darin verborgenen handlungsleitenden „Gesetze“ können ein ausreichendes Verständnis von Alltagskulturen entwickeln helfen. Ein kritischer, reflektierter Umgang mit dem jeweiligen kulturellen Wandel ist damit nicht aus-, sondern notwendig eingeschlossen. 1.2.1 Das „Janus-Gesicht“ von Kultur(en) Aus anthropologischer Perspektive wird hervorgehoben, dass der Mensch „von Natur ein Kulturwesen“ ist (Gehlen nach Klein 2000, S. 227), dass er Kultur benötigt, d. h. „seine Welt erst herstellen muss“ (ebd.) und damit auch befähigt ist, sie zu entwickeln und zu reflektieren. Eine Kultur ist danach zum einen die Summe der Errungenschaften der Menschen. Diese Errungenschaften folgen historischen Ausprägungen von Sinnsetzungen und Bedeutungen. Damit sind mit einer bestimmten Kultur zum anderen immer auch ■ Selektionen (Prozesse des Suchens, Auswählens, Ausgrenzens), ■ Isolation bzw. Rigiditäten (vorhandene Strukturen sind träge und tragen damit zu deren Erstarrung oder Inflexibilität bei und verhindern Änderungen/Innovationen) und ■ Interessen (sie sind durch die jeweiligen Ziele und Perspektiven bestimmt) verbunden (Plessner nach Barlösius 2011, S. 36; vgl. auch von Schweitzer 1991, S. 287 ff.; Klein 2000; Hansen 2003, 303 ff.). Barlösius hebt daher, Plessner folgend, hervor: Kultur ist somit „gewordene, errungene und traditionell bewahrte Einseitigkeit, der die Menschen verfallen, wenn sie sich der Begrenztheit ihrer Werte, Umgangsformen usw. nicht bewusst sind“ (Barlösius 2011, S. 36). Zur Bewältigung des Alltags folgen Menschen zugleich der Notwendigkeit der Reduktion von Komplexität und der Schaffung von Routinen. Solche notwendigen Beschränkungen können gleichzeitig aber auch Wahlmöglichkeiten und eine Dynamik zur Veränderung verhindern und damit fördern, die Chance zu verpassen, das Andere, das Bessere zu suchen, zu erkennen und zu wählen. Das „Janusgesicht“ der Kultur bietet damit hilfreiche Strukturen, die zugleich zum „kulturellen Käfig“ werden. Kritische Reflexion von (Alltags-)Kulturen ist daher nicht nur erlaubt, sondern geboten (Schlegel-Matthies 2005; Methfessel 2005). 1.2.2 Grundlegende Analysekategorien von Kultur Eine wissenschaftliche Analyse erfordert spezifische Systematiken/Ordnungssysteme, Kategorien und/oder Perspektiven. Dies gilt ebenfalls für die Analyse und Erforschung von Kultur(en)7. Nach Hansen (2003) sind folgende Kategorien bzw. Elemente grundlegend für eine wissenschaftliche Analyse einer Kultur. 7 Diese Ordnungen und Kategorien können hier nur, bezogen auf fachspezifische Fragen, ausschnitthaft dargestellt werden. 30 HuW 1/2014 Standardisierung Von einer Kultur kann erst gesprochen werden, wenn sich aus der Vielfalt der Handlungsmöglichkeiten gemeinsame Handlungs- und Verhaltensstrukturen entwickeln, die – ob bewusst oder unbewusst – für die Menschen leitend sind. Damit wird Kultur von zufälligen Einzelaktivitäten abgegrenzt. Letztere werden erst zur „Kultur“, wenn sie längerfristig mit anderen geteilt werden. Standardisierung findet in unterschiedlichen Handlungsfeldern statt: ■ Kommunikation: durch Zeichen (nonverbale Kommunikation) und Sprache; ■ Denken: von Grundstrukturen (wie z. B. auf Glauben oder Wissenschaft bezogen) bis hin zu Wertungen und Geschmacksurteilen; ■ Empfinden: Die Existenz grundlegender Gefühle (Angst, Hass, Zuneigung etc.) ist kulturunabhängig. Welches Gefühl durch was hervorgerufen wird und wie es sich äußert, ist dagegen kulturell bedingt; ■ Verhalten und Handeln: von kulturellen Vorstellungen von Rationalität, Selbstbestimmung, Strukturierung bis zu Differenzierung der Verbindlichkeit durch Institutionen; ■ Materielle Kulturgüter: Entwicklung, Bewertung und Verteilung von Gütern, auch als Ausdruck der geistigen Errungenschaften wie z. B. Stand der Technologie oder von Machtstrukturen, ästhetische Strukturen etc.; ■ Gesetze, Normen und Werte: informell und formell. Da eine Kultur kollektives Handeln voraussetzt, muss sie zur Entwicklung in der menschlichen Gemeinschaft in Bezug gesetzt werden. Individuum und Kollektiv Menschen leben in sozialen Bezügen, welche auf unterschiedlichen Aggregations- und Kohäsions- sowie Kohärenzebenen zusammengeschlossen sind: Kollektive auf Mikro-/ Meso- und/oder Makroebene. Kollektive sind einem sozialen Wandel unterworfen. Er wie auch die Bildung neuer Kollektive kann durch Individuen initiiert und entwickelt werden, die mit anderen gemeinsame Handlungs- und Verhaltensebenen schaffen. „Zeichen“/Symbole und Rituale Kulturen unterscheiden sich auch durch spezifische Bedeutungszuweisungen zu Dingen und Handlungen, welche dann – eingebettet in Strukturen – zu Zeichen bzw. Symbolen und Ritualen werden. Menschen kommunizieren – über die Sprache und Schrift hinaus – über diese Zeichen bzw. Symbole und Rituale. Die Bedeutungszuweisung erfolgt durch „Encodierung“ und deren Interpretation durch „Decodierung“8. Wer was wie en- oder decodiert, ist (sozio-)kulturell unterschied8 Theoretische Grundlagen finden sich vielfältig, angefangen vom „Symbolischen Interaktionismus“ (Mead, später Blumer) bis hin zu neueren gesellschaftswissenschaftlichen Ansätzen (z. B. Collins 2004), die auch soziale bzw. Machtstrukturen aus der Interaktion über Symbole und Rituale erklären. Bourdieu (1993) spricht daher auch vom symbolischen Kapital. 28-37 Alltag_Layout 1 11.03.2014 10:42 Seite 31 ALLTAGSKULTUR lich und unterliegt – mit unterschiedlicher Geschwindigkeit – auch dem gesellschaftlichen Wandel. Die Entwicklung und Bedeutung der Symbole und Rituale wird in zahlreichen Theorien mit je unterschiedlichen Perspektiven analysiert (vgl. z. B. Klein 2000) – womit der Haushaltswissenschaft und -lehre jeweils auch verschiedene Impulse zur Analyse und zum Verständnis kultureller Einflüsse auf menschliches Handeln gegeben werden. Dass und wie die Nutzung und Zur-Schau-Stellung von „Symbolen“ zum „symbolischen Kapital“ werden und als solches der sozialen Distinktion dienen kann, analysiert z. B. eindrucksvoll Bourdieu (1993) und verdeutlicht damit grundlegende Strukturen der Entwicklung von Lebensstilen. Der notwendige Wandel zur Aufrechterhaltung der Distinktionsfunktion gegenüber „Nachahmern“ oder die Entwicklung neuer Symbole „für“ oder „gegen“ etwas bzw. andere machen Konsum- und Marktentwicklungen erklärbar. Wie sonst könnte man Moden erklären, die aus technisch-funktionaler Sicht (wie manche Autos oder Kleidermode) unerklärbar blieben. Unter dieser Perspektive werden auch Haushaltsentscheidungen rational, die aus begrenzter haushaltswissenschaftlicher Sicht als irrational bewertet werden. Auch „im Kleinen“ wird alltägliches Haushaltshandeln über Zeichen gestaltet, wie Kaufmann (1994, 1999, 2006) eindrucksvoll belegt. Die Bedeutung der Zeichen und Symbolik wird vor allem im interkulturellen Vergleich deutlich. Dass es auch innerhalb der sozialen Milieus Differenzen und Differenzierungen gibt, wird im Allgemeinen zu wenig beachtet. 9 Kulturelle Muster und soziale Strukturierung Kulturelle Muster dienen der sozialen Strukturierung. Durch die Entwicklung und Nutzung spezifischer soziokultureller Muster (u. a. von Denk-, Handlungs- und Verhaltensweisen) unterscheiden sich soziale Gruppen. Sie dienen der Aus- und Eingrenzung (Distinktion und Integration) und ermöglichen damit die Entwicklung sozialer Identität und von sozialem Status. Die Muster und ihre Aneignung sind unterschiedlich hierarchisch organisiert und schaffen unterschiedlich durchlässige soziale Strukturen. Auf der Ebene des Alltags kann dies durch einzelne Konsumhandlungen (z. B. Kauf von Markenprodukten) erfolgen. Kulturelle Muster sind jedoch meist inkorporiert („verinnerlicht“) und bestimmen auch mentale und psychische Strukturen sowie die daraus folgenden Entscheidungen, Geschmacksvorlieben, Interessen und Gefühle. Die soziale Wirkung solcher inkorporierten und damit kulturell in besonderer Weise institutionalisierten Strukturen wurden schon bei Weber (2010), Veblen (1997), Elias (1980), Schütz/Luckmann (1979), Berger/Luckmann (2004) u. a.10 thematisiert. Bourdieu (1993) hat das Konzept erweitert und den Begriff „Habitus“ in der wissenschaftlichen Diskussion institutiona9 Angesichts des Fachnamens-Wirrwarrs hat sich in den 1980er Jahren die Fachdidaktische Gesellschaft auf den Begriff Haushaltslehre geeinigt (vgl. Thiele-Wittig und Litschke 1989). 10 Zur Diskussion der unterschiedlichen Ansätze vergleiche zum „Einstieg“ auch Treibel (2000). lisiert. Der von Bourdieu beschriebene „Habitus“ umfasst zum einen ästhetisch-expressive Merkmale, darüber hinaus aber auch ein strukturiertes Set von (Konsum-)Präferenzen, Einstellungen, Verhaltensweisen und Geschmacksurteilen. Diese „inkorporierte Gesamtheit“ kann nur lebensgeschichtlich erworben werden und verhindert eine schnelle Integration in eine fremde soziale Gruppe. Bourdieu hat damit die Bedeutung sozialer Integration und Distinktion zur Stabilisierung des sozialen Status herausstellen wollen und können. 1.3 Zur Relevanz des Verständnisses von Kultur Das hier kurz dargestellte wissenschaftlich-analytische Verständnis von Kultur verlangt die bewusste und reflektierte Abkehr von einem (im Alltag dominanten) normativen und damit begrenzten Verständnis von Kultur. Diese Abkehr ist notwendig, damit sich in Wissenschaft und Lehre Tätige bewusst sind, dass sie selbst in einem „Korsett“ kultureller Muster gefangen sind, danach urteilen und schnell Gefahr laufen, unreflektiert eine überhebliche bzw. dominante Haltung gegenüber der Kultur anderer einzunehmen („kulturelle Hegemonie“, SchlegelMatthies 2005). Das gilt für den Umgang mit sozialen ebenso wie mit ethnischen Kulturen (Methfessel 2005) und schließt ein, dass eine solche kulturelle Hegemonie auch wissenschaftlich begründet sein kann (z. B. durch den Anspruch gesundheitsförderlichen Handelns nach vorherrschenden Konzepten). Alltagshandeln unterliegt zudem unterschiedlichen Werten und Zielen (so wird auch Gesundheit unterschiedlich begründet, z. B. religiös, genetisch) und damit z. T. nur bedingt als beeinflussbar gewertet. Ebenso sind Ressourcenumgang, Ernährung, Kleidung oder Wohnen kulturell bestimmt. Löst man sich von einer „Folklore-Sicht“ auf Kultur (Methfessel 2005; Schlegel-Matthies 2005) und nimmt das gesamte Handeln und Verhalten (den o. g. Kategorien folgend) als kulturelles Muster wahr, wird auch verstehbar, warum Menschen Einflüsse auf ihr Alltagsleben abwehren. Zudem sollte auch bedacht werden, dass inkorporierte Muster Empfindungen und Gefühle berühren (Angehörige mancher Religionen ekeln sich z. B. vor Schweinefleisch) und dass lebensgeschichtlich erworbene Muster nicht oder selten verändert werden. Ernährungs- bzw. Gesundheitsbildung bedeutet daher, die Möglichkeit zu schaffen, kulturelle Muster der Ernährung, der Gesundheit etc. zu erkennen, zu reflektieren und Entscheidungen zu ihrer Entwicklung treffen zu können. All dies ist bei unreflektierten Normsetzungen (z. B. dies oder das ist gesund) nicht möglich. Zudem kann und sollte auch hinterfragt werden, ob die Unterschiedlichkeit kultureller Muster die kulturelle Begrenztheit nicht auch erweitern kann und die Wahlvielfalt von Handlungsweisen erhöht. Diese Optionen der Akzeptanz und Übernahme neuer Verhaltensweisen sind allerdings nur soweit zu befürworten, wie damit nicht grundlegende Wertsetzungen wie Demokratie oder ein gleichberechtigtes Geschlechterverhältnis tangiert werden. Aber auch die Auseinandersetzung über grundlegende Werte verlangt zugleich eine Reflexion der eigenen Begrenztheit. HuW 1/2014 31 28-37 Alltag_Layout 1 11.03.2014 10:42 Seite 32 BARBARA METHFESSEL, KIRSTEN SCHLEGEL-MATTHIES Über Konsumverhalten und Lebensstil kann (Alltags-)Kultur analysiert werden. Dies sollte allerdings nicht (allein) auf die Spiegelung des sozialen Milieus durch die kulturellen Artefakte und deren Zeichen (z. B. Rolls-Royce = konservative Oberschicht) erfolgen, sondern (auch) durch die Analyse der jeweiligen kulturellen Errungenschaften (wie die Bedeutung des Autos generell) oder einer historischen Epoche und wissenschafts-technologischen Entwicklung sowie deren Vorund Nachteile. Generell ermöglicht der Fokus auf die kulturellen Muster des Alltags und vor allem auf deren stetigen Wandel sowohl die Reflexion der eigenen kulturellen Begrenzungen als auch die der Veränderbarkeit. Die Forderung nach Reflexion beinhaltet allerdings auch die nach dem dafür grundlegenden Wissen, welches durch Reflexion nicht ersetzt werden kann und darf. 2 Alltagskultur im Fokus wissenschaftlicher Diskurse Auf Basis der (jeweils verfügbaren) materiellen und immateriellen kulturellen Errungenschaften wird der Alltag gestaltet – und damit ist „Alltagskultur“ auch immer Veränderungen unterworfen und entwickelt sich weiter. Worauf allerdings wissenschaftlich fokussiert und wie dies analysiert und bewertet wird, hängt von den jeweiligen Fragestellungen bzw. Perspektiven ab. Mit dem Fokus auf die Bildung und die Haushaltswissenschaft werden im Folgenden exemplarisch einige Perspektiven herausgegriffen, die für die abschließend geführte Diskussion relevant sind. 2.1 Haushaltswissenschaftliche Perspektiven In Haushaltswissenschaft und -lehre steht die Bewältigung und Gestaltung des privaten Alltags mit den unterschiedlichen Handlungsfeldern (Ernährung, Wohnung, Kleidung, Konsum, Ressourcenmanagement etc.) im Mittelpunkt. Eine wissenschaftliche Beschäftigung mit diesen relevanten Lebensbereichen muss aber bis heute ständig legitimiert werden, eine Analyse des Alltags benötigt noch immer Rechtfertigung. Das Alltägliche, nicht Einmalige, das täglich von Millionen Menschen Bewältigte, erhält wenig wissenschaftliche Dignität – und dies wird auf die Haushaltswissenschaft und -lehre übertragen11. Beschäftigte man sich früher mit dem Alltag, so waren es „Anleitungen zum richtigen Leben“, d. h., in der Geschichte war eine Beschäftigung mit dem Alltag im Wesentlichen durch jeweilige Normen legitimiert, z. B., wie man sich zu verhalten hat, was als gesund gilt etc. Die Legitimation einer Haushaltswissenschaft basierte bisher vor allem auf zwei Argumentationslinien: 11 Wertschätzung finden vor allem aus den Alltagsbezügen abstrahierte Inhalts- bzw. Kompetenzbereiche wie akademische Leistungen (z. B. Lesen und Rechnen), der „Hochkultur“ zugeordnete Leistungen (wie Kunst, Musik) oder für die wirtschaftliche Entwicklung notwendige Leistungen (z. B. Informatik). 32 HuW 1/2014 ■ Die Bedeutsamkeit des privaten Haushalts für die alltägliche Lebensführung. Damit waren Konzepte zur Optimierung der Haushaltsführung zum Wohle der Einzelnen, der Familien und der Gesellschaft verbunden, die zentrale Beiträge zur Analyse der alltäglichen Lebensführung und zur Gestaltung der Alltagskultur leisten. Durch die Orientierung an bürgerlichen Normen, die unhinterfragt blieben, waren jedoch die wissenschaftliche und pädagogische Arbeit zur Erhaltung und zur Verbesserung dieser Leistungen (mehr oder weniger) begrenzt. Aus verwandten Disziplinen wurden deren Vorgaben unreflektiert übernommen, wie das Rationalitätsgebot der Wirtschaftswissenschaften oder die Festsetzungen für eine „gesunde Ernährung“ aus der Ernährungswissenschaft. Damit wurden bedeutsame „Eigengesetzlichkeiten“ der Alltagskultur und deren grundlegende Bedeutung für Identitätsbildung und „Weltsicht“ der Menschen nicht wahrgenommen. Die Wahrnehmung und Analyse solcher Alltagskulturen ermöglichen aber erst ein Verständnis des Alltagshandelns, z. B. für die „eigene Ökonomie“ der Handelnden (Methfessel 1992, Kettschau/Methfessel 1997) oder für die unterschiedliche Bedeutung scheinbar gleicher Phänomene. Und erst durch ein solches Verständnis bzw. Wissen über die Alltagskulturen können Handlungsalternativen entwickelt werden, um konkrete Haushalte bzw. die in ihnen lebenden Menschen zu unterstützen (vgl. u. a. Bödeker 1992, Thiele-Wittig 1992, 1993, 1996, Meier et al. 2003, Methfessel/Schlegel-Matthies 2003). Auch in neueren didaktischen Ansätzen in der Haushaltslehre (z. B. REVIS12) ist die Reflexion von Werten und Normen zentral wie ebenso die Auseinandersetzung mit den Konflikten, welche mit deren Umsetzung im Alltag verbunden sind. ■ Die Spezialisierung auf einzelne Aspekte der Haushaltsführung und ihre Optimierung. Hierbei lehnte sich die Haushaltswissenschaft vor allem an die Erkenntnisse aus der Wirtschafts- und Arbeitswissenschaft, aber auch der Ernährungswissenschaft, Wohnökologie und Haushaltstechnik an. Ohne den wissenschaftlichen Wert einzelner haushaltswissenschaftlicher Untersuchungen infrage stellen zu wollen, fällt auf, dass sich solche Forschung nicht nur durch den Rückzug in anerkannte Wissenschaften, sondern auch durch Entfernung vom Alltag auszeichnet. Wenn mit wirklichkeitsfremden Beispielen berechnet wird, wie man mit Sozialhilfe bzw. Hartz IV den Alltag organisiert und dabei die notwendigen Nährstoffe zu sich nimmt, ohne zu reflektieren, wie sich dies in esskulturelle Zusammenhänge einfügt, wenn die Frage, ob man mit Kindern spazieren geht, der Zeitökonomie13 untergeordnet wird, oder zur Bewältigung von Armut Vorschläge zur Eigenproduktion aus dem 19. Jahrhundert aktiviert werden, 12 Reform der Ernährungs- und Verbraucherbildung in Schulen (www.evb-online.de). 13 Wie kulturelle Setzungen und damit verbundene Strukturen – auch bezogen auf die Geschlechtsrollen – wirken und unhinterfragt weitergetragen werden, wird deutlich, wenn z. B. mit Bezug auf Gary Becker (1982) von Haushaltsökonomen berechnet wird, warum die vorherrschende Arbeitsteilung ökonomisch sinnvoll und daher auch „gut“ ist (zur Kritik vgl. u. a. Kettschau 1981, 1988, Methfessel 1992). 28-37 Alltag_Layout 1 11.03.2014 10:42 Seite 33 ALLTAGSKULTUR wird deutlich, dass die Ferne zum Alltag nicht nur analytische 2.3 Politisch-sozialkritische Perspektive Defizite beinhaltet, sondern auch zu völlig ungeeigneten Lösungsvorschlägen führt. Die dabei dominierenden bürgerlichen Die subjektiven und objektiven Handlungsalternativen von Normen sind allerdings weniger erkennbar, weil sie sich in ma- Personen (und Haushalten), aus den jeweiligen (alltags-)kulthematischen Gleichungen oder modernen Diktionen verber- turellen Strukturen auszubrechen, sind begrenzt. Für die Hausgen14. Dieser Bezug auf anerkannte haltswissenschaft und Haushaltslehre Wissenschaften bzw. sozusagen Rücksind daher auch diejenigen Erkenntzug in deren Schatten hat ebenfalls nisse einer Alltagskulturentwicklung „Eine Krise nicht zu einer höheren Dignität/Anerrelevant, die sich kritisch mit den jekann jeder Idiot haben. kennung der Haushaltswissenschaft weiligen Strukturen auseinandersetWas uns zu schaffen macht, geführt – dies gilt auch im Bildungszen. Neben einer Analyse des problebereich. matischen Wandels sozialer und ist der Alltag.“ Da der Mensch von Natur aus „ein ökonomischer Lebensbedingungen ist Kulturwesen“ ist, muss er sich die hierfür die Diskussion um Konsum A. P. Tschechow Grundlagen seiner Lebensführung anund „Massenkultur“ hervorzuheben. eignen. Für die private Lebensführung Die globalisierte Marktwirtschaft sind sozio-kulturell anzueignende Kompetenzen notwendig. hat eine inzwischen globale „Massenkultur“ hervorgebracht. Auf diesen Prämissen basiert die zentrale Legitimation der Diese spiegelt einerseits die wirtschaftlichen ErrungenschafHaushaltswissenschaft und -lehre (von Schweizer 1991, S. 127 ten, sowohl bezogen auf das Angebot von Gütern und Dienstleistungen in allen Lebensbereichen (vom Brot über die Meff.) Um wissenschaftlich fundierte Ergebnisse zu gewinnen, dien bis hin zu Musik oder Sport) als auch bezogen auf die sind fachliche Spezialisierungen notwendig. Solche Speziali- Möglichkeiten der Nutzung. Auf der anderen Seite erfolgen sierungen haben in vielen Handlungsbereichen des Alltags darüber auch eine Steuerung des Konsums und die Entwickdazu geführt, das Leben zu erleichtern. Bei aller notwendigen lung einer „gesteuerten Alltagskultur“, die unübersehbar ist. In der offiziellen politischen Debatte wird den „KonsuSpezialisierung sollte jedoch immer ein Bezug zur Alltagsmenten“ die Macht zugesprochen, durch ihre Entscheidungen kultur bzw. der Handhabbarkeit im Alltag bestehen. diese Entwicklung zu bestimmen. Aus wissenschaftlicher Sicht ist inzwischen unbestritten, dass die Einzelnen aufgrund 2.2 Gender-Perspektive der Komplexität des Alltags und des „Experten-Laien-GefälWissenschaftlich unbeachtet blieb lange Zeit nicht nur der All- les“ diese Macht gar nicht nutzen können und (u. a. daher) tag, sondern auch die Frauenarbeit im Haushalt. Selbst die Ge- auch nicht haben (Thiele-Wittig 1993, Methfessel/Schlegelschichte der Analyse der Alltagskultur und ihrer Gestaltung Matthies 2003, Haushalt in Bildung und Forschung 2013). Dazeichnet sich weitgehend durch eine solche Ignoranz aus – und gegen wachsen die Manipulationsmöglichkeiten durch die dies, obwohl sich Frauenbewegung und -forschung seit dem medialen und die wirtschaftlichen Strukturen. Bedürfnisse 19. Jahrhundert für die Anerkennung dieser Alltagsleistungen werden aktiviert, um die Bedarfe zur (scheinbaren) Bedürfeinsetzen. Durch die in den 1970er-Jahren erstarkende Frau- nisbefriedigung steuern zu können. „Lebenserleichternde“ enforschung15 wurde das Thema auch in die haushaltswissen- Angebote (wie Technik oder Convenience Food) sollen geschaftlichen Diskurse getragen, um zu einer Umbewertung der ringere zeitliche Handlungsspielräume oder fehlende KomHausfrauenarbeit beizutragen und sie als eine eigenständige petenzen kompensieren. Die Suggestion der „Machbarkeit“ und anderen Tätigkeiten vergleichbare Leistung anzuerkennen. durch Konsum fördert die Nutzung dieser Angebote und beBis dahin war immer noch vorherrschend, Hausarbeit als Lie- hindert die Reflexion ihrer Qualität und ihres Sinnes zur Bebesausdruck oder „tertiäres Geschlechtsmerkmal“ (Kettschau dürfnisbefriedigung. Damit, so die Kritik, wird zugleich der 1989) der Hausfrauen zu werten. Prozess der „Entfremdung“ der Einzelnen von der sozialen Zwiespältigkeit im Umgang mit der Frauenrolle (gleich- und materiellen Umwelt gefördert. zeitige Infragestellung und Aufwertung mit dem Ziel der SiIn früheren sozialkritischen Theorien und Diskursen (Marcherung der Haushaltsfunktionen) findet sich in vielen haus- xismus, Frankfurter Schule etc.) wurde die Kritik des Mashaltswissenschaftlichen Schriften, so auch bei von Schweitzer, senkonsums bürgerlichen Kulturtheorien entgegengesetzt. Im wenn sie in der Alltagskultur die „Objektivation fraulichen Le- Massenkonsum wird eine zentrale Grundlage für die Fremdbenssinns“ sieht (1991, S. 304). bestimmung der Alltagskultur und die Entfremdung der Menschen von ihren Grundbedürfnissen gesehen (Heller 1978; vgl. auch Klein 2000). Ohne die Problematik von Massenkonsum 14 So z. B., wenn die herrschende Arbeitsteilung im Haushalt nicht kulturell reflektiert, sondern z. B. auf Basis von Becker (1982) legitimiert wird (vgl. und Manipulation durch Medien etc. leugnen zu wollen, ist an auch Methfessel 1992). 15 Vgl. u. a. die Arbeiten von Tornieporth, Kettschau, Thiele-Wittig, Methfessel, Schmidt-Waldherr, Schlegel-Matthies und die dort zitierte Literatur. Später kamen viele andere hinzu. 16 Vgl. auch Haug (1971) zur Manipulation der Verbraucher/-innen durch die „Warenästhetik“. HuW 1/2014 33 28-37 Alltag_Layout 1 11.03.2014 10:42 Seite 34 BARBARA METHFESSEL, KIRSTEN SCHLEGEL-MATTHIES solchen „kulturpessimistischen“ Positionen zu kritisieren, dass sie Menschen nicht auch als Handelnde, sondern nur als Opfer derjenigen sehen, welche die Definitionsmacht über die kulturellen Prozesse beanspruchen und durchsetzen wollen . Als Alternative wird in der Diskussion um die „Zweite Moderne“ bzw. die „Reflexive Modernisierung“ (Beck 1986; Beck et al. 1996; Giddens 1997) entwickelt, wie neue Strukturen auch neue Wege eröffnen und z. B. „Experten“ als parteiliche Vertreter einzelner Personen(-gruppen) deren Macht stärken können. Die Geschichte lehrt, dass immer neue Entwicklungen (von der Vollwerternährung bis zur ATTAC-Bewegung) den scheinbar vorgezeichneten Weg bzw. die vermeintliche Starrheit einer Alltagskultur(en) verändern. In Abhängigkeit von gesellschaftlichen Verhältnissen verlaufen solche Entwicklungen allerdings sehr asymmetrisch. Der Schutz des Einzelnen (z. B. durch Einschränkung der Freiheit des Marktes) muss gewahrt bleiben, und die Frage danach, in welchem Verhältnis einerseits Schutz und andererseits Freiheit und das Recht auf Selbstbestimmung stehen, bleibt virulent (Haushalt in Bildung und Forschung 2013). 16 Lösungen, die individuell als „bedarfsgerecht“ oder als wünschenswert wahrgenommen werden, müssen nicht objektiv (weder für das Individuum noch für die Gemeinschaft) sinnvoll sein. Bei einer Lebensführung, bei der gesellschaftlich akzeptierte und wissenschaftlich legitimierte Normen (wie z. B. Nachhaltigkeit, Gesundheit, Einhaltung der Menschenrechte) eingehalten werden sollen, ist daher immer auch die „Machbarkeit“ und die Vereinbarkeit mit grundlegenden (alltags-) kulturellen Strukturen zu berücksichtigen. Insbesondere in Bildungsprozessen ist dies bedeutsam. Anders formuliert: Die „Verhältnisse“, unter denen die individuelle alltägliche Lebensführung gestaltet wird, sind zu beachten. Die alltägliche Lebensführung ist zwar eine individuelle Leistung, die aber durch die Rahmenbedingungen der jeweiligen sozialen Gemeinschaft/Gruppe beeinflusst, wenn nicht sogar gesteuert wird. 3 Herausforderungen 3.1 Die Macht innerer und äußerer kultureller Strukturen 2.4 Perspektive der „subjektorientierten Soziologie“ Forschungsthema der (von der Frauenforschung beeinflussten) subjektorientierten Soziologie ist die Analyse der alltäglichen Lebensführung als Ergebnis einer aktiven Lebensgestaltung (vgl. u. a. Vetter 1991; Voß 1991; Jurczyk/Rerrich 1993; Behringer 1997; Voß/Pongratz 1997; Voß/Weihrich 2001; s. auch Jurczyk/Oechsle 2008). Die Befunde verdeutlichen, wie Lebensführung die individuellen Ziele mit den Voraussetzungen und Anforderungen der unterschiedlichen Lebensbereiche vereinbaren und bewältigen muss. Damit werden zentrale Themen der Haushaltswissenschaft bearbeitet (ohne sich auf die Haushaltswissenschaft zu beziehen). Wesentlich an den Forschungen ist, dass die jeweiligen Ziel- und Wertsetzungen der handelnden Personen berücksichtigt werden. Es wird analysiert, wie die Personen damit umgehen, die erforderliche Integration und Synchronisation der individuellen Tagesabläufe, Ereignisse und Rahmenbedingungen mit den jeweiligen Lebensvorstellungen und -zielen zu erreichen. Die damit verbundenen Leistungen angesichts der Herausforderungen durch die komplexen Bedingungen und Anforderungen werden wertgeschätzt. Die Ergebnisse bieten wichtige Ansatzpunkte für die haushaltswissenschaftliche Forschung, bei der ebenfalls ein analytischer und reflektierter Zugang zum Alltag der Menschen verfolgt wird. Geht man, wie häufig in der Haushaltswissenschaft, einem transdisziplinären Ansatz nach, dann kann die jeweilige alltägliche Lebensführung umfassender verstanden und es können bedarfs- und nicht allein normgerechte Lösungen für Probleme gefunden werden17. 17 Vgl. dazu u. a. die Arbeiten der Gießener Haushaltswissenschaft der letzten Jahre um Meier-Gräwe et al. 34 HuW 1/2014 Kultur beinhaltet, wie in der Definition ausgeführt, „innere Mittel“ wie Handeln, Denken, Träumen und durch „äußere Mittel“ wie Werkzeuge, Schöpfungen u. a. Dinge. Damit verbirgt sich hinter Alltagskultur ein komplexes dynamisches Geschehen, was im Neben- und Miteinander von unterschiedlichen Kulturen viele Herausforderungen beinhaltet. Kulturen unterscheiden sich nicht (nur) durch geografische, historische, ethnische oder religiöse Bedingungen. Sie weisen auch innerhalb einer (scheinbar) homogenen Gruppe (z. B. in einer Region) viele Unterschiede auf. Eine Analyse der jeweiligen „gelebten“ Alltagskultur ist also geboten. In haushaltswissenschaftlichen Studien wird oft angenommen, dass eine kategoriengeleitete strukturierte Erfassung der Haushaltsführung (Zeit- und Handlungsrhythmen, Arbeitsabläufe, Ressourcenallokation etc.) gleichzeitig eine Analyse der Alltagshandlungen beinhalten würde. Beschränkt man sich auf solche Zusammenstellungen, dann bleibt der enge Zusammenhang zwischen den erfassten Handlungsmomenten und den damit verbundenen Vorstellungen, Werten, Zielen etc. unberücksichtigt. Wie bedeutsam dieser Zusammenhang aber ist, wird z. B. sehr gut in der Studie der „Haushaltsführung in einem sozialen Brennpunkt“ von Bödeker (1992) und in den Arbeiten von Kaufmann (1994, 1999, 2006) deutlich. Im Vergleich zu „äußeren“ sind „innere“ Strukturen schwieriger zu analysieren und zu verändern: Personen sind nicht nur durch die beobachtbaren kulturellen Grenzen und damit verbundenen alltagskulturellen Routinen beeinflusst, sondern auch durch die weniger gut beobachtbaren, aber nicht minder wirksamen „inneren“ Strukturen wie Selbstbild, Selbstwert und Alltagstheorien, die das eigene Handeln legitimieren. Das zur Analyse und Reflexion notwendige Wissen erweitert sich somit. 28-37 Alltag_Layout 1 11.03.2014 10:42 Seite 35 ALLTAGSKULTUR 3.2 Die Problematik interdisziplinärer Diskurse Durch die – notwendige – Fokussierung und Spezialisierung kann leicht ein sog. „Tunnelblick“ von Wissenschaftlerinnen/Wissenschaftlern (in der Bildung die Vertreter/-innen der jeweiligen Fächer) entstehen. Weniger bekannt und beachtet ist, dass Wissenschaftler/-innen tendenziell ihre eigene kulturelle Begrenztheit ignorieren und auch leugnen: Naturwissenschaftler/-innen sehen Naturwissenschaft „an sich“ schon als Beweis für Legitimation, Kulturunabhängigkeit und Neutralität und erkennen nicht die kulturellen Dimensionen ihrer Wissenschaftsstrukturen. Kulturwissenschaftler/-innen „panzern“ ihre Kritik an anderen durch einen Anspruch auf „reine Analyse“ und ziehen sich gerne auf diese Analysen zurück. So meiden sie Reflexionen zu transdisziplinären Folgerungen und behindern sich damit oft, Lösungen für Problemsituationen zu finden. Natur- und Kulturwissenschaften haben häufig keine „gemeinsame Sprache“. Dieses mit interdisziplinärer Zusammenarbeit verbundene Problem wird in der Schule entweder durch arbeitsteilige Unterrichtseinheiten (UE) gelöst oder durch Zusammenstückelung einzelner Inhaltsbereiche. Die fachabhängigen UE bieten in der Regel keine Möglichkeiten (und nicht die Wissensbasis) der Reflexion bestehender fachübergreifender Zusammenhänge und der Beachtung der Relevanz dieser Zusammenhänge für den Alltag. 3.3 Umgang mit Werten und Normen Die alltägliche Lebensführung ist ein durch die Alltagskultur gesteuerter individueller und kollektiver Gestaltungsprozess. Die dazu notwendige Kompetenz wird durch kulturelle Systeme (Sozialisation, Erziehung und Bildung) an die nächste Generation weitergegeben. Verschiedene Wissenschaften analysieren diesen Prozess und generieren zugleich notwendiges Wissen für seine Optimierung bzw. Veränderung. In der Haushaltswissenschaft wurde und wird diskutiert, wieweit die Forschungsziele durch die allgemeinen Haushaltsfunktionen, -aufgaben und -ziele und die damit verbundenen individuellen und gesellschaftlichen Bedingungen bestimmt sein sollten. Eine solche Orientierung ist Voraussetzung dafür, Erkenntnisse zu liefern, mit denen eine Veränderung der Lebensführung (Erleichterung, Verbesserung, Optimierung) gelingen kann. Dabei geht es einerseits um das Wissenschaftsverständnis und die Sorge um die Eingrenzung der Forschung (vgl. Seel 1993). Andererseits wird, wie in der Diskussion um die „prädikativen Lebensstandards“ (von Schweitzer 1991, 1993), die Frage aufgeworfen, mit welchem Recht in welchem Bereich mit welcher Legitimation definiert werden kann, was denn eine „gute“ Lebensführung ist (vgl. Kettschau/Methfessel 1997). Damit verbunden ist auch der Konflikt, wieweit die Fremd- und Selbstbestimmung der Haushaltsmitglieder gehen darf, wenn ihr Handeln zum einen gesellschaftliche Auswirkungen hat, also nicht nur „individuell“ ist. Zum anderen zeigt die Entwicklung der Wissenschaften, dass deren Ergebnisse auch vielfältigen Begrenzungen unterliegen (ebd.). Wissenschaften, die wie die Ernährungs- und Haushaltswissenschaft auch transdisziplinär ausgerichtet sind, stehen ebenso wie die Bildung in der Kritik, normativ ausgerichtet zu sein. Kritiker/-innen vergessen dabei häufig, dass jegliches (auch ihr eigenes) Handeln – ob bewusst oder unbewusst – durch Werte und Normen geleitet ist. Das Verständnis der eigenen kulturellen Struktur impliziert, dass wissenschaftliches Arbeiten dieses transparent machen und offen begründen und reflektieren sollte, welche Werte und Normen die Arbeit leiten. Bildung hat die Aufgabe, die für die Erlangung „kultureller Kompetenzen“ notwendigen Inhalte zu definieren, und zwar auf dem Hintergrund des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes. Schon die Entwicklung eines solchen Curriculums ist durch Werte und Normen geleitet. Aufgabe der Pädagogik und Didaktik ist daher, die diesen Prozessen zugrunde liegenden Werte und Normen zu definieren, offenzulegen und wissenschaftlich, d. h. über Wissen zu begründen – und damit auch der Analyse und Reflexion zugänglich zu machen. Bildung hat – im heutigen demokratischen Verständnis – die Aufgabe, die kulturell notwendigen Kompetenzen (dem Entwicklungsstand der Lernenden entsprechend) zu vermitteln und zu begründen. Dem Bildungsverständnis der Aufklärung folgend beinhaltet dies Werte und Normen ebenso wie deren Offenlegung und Reflexion. Die im Beitrag geleistete Kritik an Inhalten, Curricula und Normen bezieht sich daher nur auf unhinterfragte und wissenschaftlich nicht begründete/begründbare normative Setzungen im Sinne präskriptiver Festlegungen. Die hier geforderte Analyse und Reflexion von alltagskulturellen Zusammenhängen sollen dazu dienen, die jeweiligen implizierten Werte und Normen offenzulegen, um diese – und deren kulturelle Begrenztheit und wissenschaftliche Legitimierbarkeit – hinterfragen zu können (Methfessel/Schlegel-Matthies 2013). Prinzipiell gegen Normen zu sein, ist weder realistisch noch demokratisch. Der Bildungsauftrag, allen Menschen eine aktive Teilhabe an der Gesellschaft und ihren Kulturen zu ermöglichen, beinhaltet also auch die Vermittlung gesellschaftlich anerkannter Normen und Werte, aber immer mit der Vorgabe, diese im Bildungsprozess inhaltlich zu hinterfragen und reflektieren zu lernen. Eine solche Reflexion ist von den Lehrkräften ebenso gefordert, welche die jeweiligen Herausforderungen erkennen und annehmen können sollten: So könnte z. B. der alte Bildungsinhalt „Auskommen mit dem Einkommen“ als Hilfe zur Lebensbewältigung und gleichzeitig zur Stabilisierung gesellschaftlicher Verteilungsverhältnisse beitragen oder mit einer kritischen Sichtung der Lebensbedingungen verbunden werden. Die Forderung nach nachhaltiger Ernährung ist ein Gebot der „Zukunftsfähigkeit“, das jedoch nicht (nur) als Orientierung für privates Handeln, sondern (auch) als Aufgabe der politischen Bildung mit dem Ziel der Veränderung gesellschaftlicher Strukturen zu verstehen ist. Die Auseinandersetzung mit Alltagskultur eröffnet so neue und notwendige Perspektiven, mehr Verständnis für Menschen und ihr Handeln – d. h. auch für die eigenen Denk- und Handlungsstrukturen. Sie fordert zugleich eine kritische Aus- HuW 1/2014 35 28-37 Alltag_Layout 1 11.03.2014 10:42 Seite 36 BARBARA METHFESSEL, KIRSTEN SCHLEGEL-MATTHIES In der Diskussion der Fachdidaktik sind folgende Aspekte zu beachten: 1. Da Menschen (hier Lehrkräfte und Lernende) immer zugleich Subjekte und Objekte kultureller Prozesse sind, ist die (durch Wissen fundierte) Kompetenz zur kritischen Analyse und (Selbst-)Reflexion Voraussetzung dafür, dass sie zu selbstbestimmten und verantwortlichen Gestalterinnen/Gestaltern von Kultur werden. 2. Da die Beteiligten mit (unterschiedlichen) inkorporierten kulturellen Mustern interagieren, ist eine gleichberechtigte Auseinandersetzung über diese Muster wichtig (sofern diese Muster nicht dem Grundgesetz oder allgemeinen Menschenrechten widersprechen). 3. In dieser Auseinandersetzung ist immer vom Konflikt zwischen a. wissenschaftlichem (meist theoriegeleitetem, analytischem) und b. alltagssprachlichem (normativem) Kulturverständnis auszugehen. Dies zeigt sich in Sprache wie in Sinngebung und Wertung. Von Lehrkräften wird Ersteres erwartet, damit sie kompetent und konstruktiv mit Alltagsvorstellungen und Präkonzepten umgehen und Lernende zur Reflexion anleiten können. Ohne diese Kompetenz können sie nur zwischen den Begrenzungen der Kulturkonzepte agieren. 4. Kinder und Jugendliche haben zunächst die Wahrnehmung, dass die sie gerade betreffende Kultur statisch ist. Kultur und Gesellschaft sind aber – mehr oder weniger – dynamisch. Das Bewusstsein von dieser Dynamik und vom Anteil aller Beteiligten an diesem Wandel ist Voraussetzung für die verantwortliche (Mit-)Gestaltung von Kultur. 5. Kulturelle Bildung kann nicht gelingen, wenn Kultur und Kulturen nur unter „Folklore“-Gesichtspunkten behandelt werden. Die Begrenzung auf Beispiele materieller und immaterieller Ausdrücke der Lebensweise von Gruppen (z. B. Beschreibung von Ess- oder Kleidungskulturen) ohne theoretische und soziale Einordnung kann weder Verständnis noch (Selbst-)Reflexion fördern. 6. Die Auseinandersetzung mit der Konsumgesellschaft ist immer eine Auseinandersetzung mit den Einflüssen durch den Massenkonsum (von Produkten über Medien bis hin zu Geschmacksorientierungen und Überzeugungen). Die Auseinandersetzung um Moden und Lebensstile darf nicht zur „Anklage an den Konsum“ werden (dies würden Lernende ablehnen), sondern sollte zur Analyse und Reflexion anregen. einandersetzung mit der Geschichte und den Orientierungen der Haushaltswissenschaft und Haushaltslehre. Dies ist eine Auseinandersetzung, die zunächst verunsichern kann, aber dann bereichern sollte. Literatur Arendt, H. (1989): Vita Activa oder Vom tätigen Leben. München Barlösius, E. (2011): Soziologie des Essens. Eine sozial- und kulturwissenschaftliche Einführung in die Ernährungsforschung. 2. Auflage, Weinheim Beck, U. (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt/M. Beck, U.; Giddens, A.; Lash, S. (1996): Reflexive Modernisierung. Eine Kontroverse. 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Das didaktische Potenzial der Nutzung auditiver Medien sollte in der Ernährungsbildung stärker beachtet werden, weil durch diese Medien auditive Lerntypen angesprochen und neue Impulse in Bezug auf die Lern- und Aufmerksamkeitsmotivation gesetzt werden können. Die vorliegende Studie untersucht die Eignung von auditiven Medien in der Ernährungsbildung. Mit einem entwickelten auditiven Koch buch soll geprüft werden, ob sich Fertigkeiten der Lebensmittelzubereitung und Kenntnisse über Lebensmittelinhaltsstoffe ausschließlich auditiv vermitteln lassen. Zu diesem Zweck haben 100 Probanden ein entwickeltes auditives Kochrezept genutzt, das sämtliche Arbeitsschritte erklärt sowie Hintergrundinformationen zu den Lebensmitteln und Garverfahren liefert, und in einer anschließenden Befragung evaluiert. 1 Einleitung stimmt ist, ist es enorm wichtig, auch den Kindern eine Chance zu geben, sich in dieser Gesellschaft orientieren zu können und zurechtzufinden“ (Roehling 2010, S. 3). Daher stellt sich nun die Frage, ob es sinnvoll wäre, ein Medium „Auditives Kochbuch“ in der Ernährungs- und Verbraucherbildung (EVB) zu nutzen. Dabei ist zu beachten, dass auditive Medien in der gängigen Schulpraxis stark vernachlässigt werden und in der Mehrheit der Curricula keine ausdrückliche Erwähnung finden, was sich sowohl in der Fachdidaktik als auch in der Lehrer- und Lehrerinnenaus- und -fortbildung sowie im kulturgeschichtlichen Kontext zeigt (Wermke 2003, S. 19). Um festzustellen, ob auditive Koch- und Backbücher eine sinnvolle Ergänzung und Bereicherung für den Unterricht und die Lerneffektivität der Schülerinnen und Schüler darstellen, werden 100 Probanden ein entwickeltes auditives Kochrezept, das sämtliche Arbeitsschritte erklärt sowie Hintergrundinformationen zu den Lebensmittel und Garverfahren liefert, anwenden und im Anschluss über die Arbeit mit dem Medium befragt. Wichtig dabei ist zu prüfen, ob das bei der Lebensmittelzubereitung von der Sprecherin vermittelte Ernährungs- und Lebensmittelwissen später abrufbar ist. n den letzten Jahren ist eine zunehmende Belebung des Hörbuchmarktes zu verzeichnen (Abraham et al. 2007, S. 213), weshalb davon auszugehen ist, dass sich dieses Medium auch in der Ernährungs- und Verbraucherbildung (EVB) in Form auditiver Koch- und Backbücher etablieren könnte. Bei dieser Methode werden auditive Medien mit der praktischen Arbeit bei der Lebensmittelzubereitung kombiniert. Es stellt sich die Frage, wie diese Integration gelingen kann, und welche positiven Effekte dies auf den Lernprozess und den Kompetenzerwerb bei den Schülerinnen und Schülern haben kann. Der „Große Bruder“ Hörbuch hat es trotz enormer Startschwierigkeiten geschafft, sich zu einem führenden Medium in der Literaturrezeption zu entwickeln, auch wenn anfangs die reine Profitorientierung der Verlage im Mittelpunkt des Interesses stand (Rühr 2008, S. 91 f.). Die jährlichen zweistelligen Wachstumsraten in diesem Segment (Germann 2008, S. 12) lassen darauf schließen, dass „das Hörbuch [...] in mediengeschichtlicher Perspektive kein Kind mehr ist, sondern schon im besten Erwachsenenalter“ (Rautenberg 2007, S. 8). Die verschiedenen Methoden des Lernens werden schon seit Jahrzehnten vermehrt erforscht, ausgearbeitet, diskutiert Auditive media in the field of nutritional und überarbeitet. Die Fortschritte und Erkenntnisse sind enorm und nehmen beeducation – development and validation sonders im schulischen Bereich einen of an „Auditive Cooking Manual“ großen Stellenwert ein. Vor allem der Begriff Medienpädagogik hat in den letzten Learning can be achieved by different media. School books typically use visual effects to be attractive for learners. Obviously, there is a lack of auditive media at school. The zehn Jahren an Bedeutung gewonnen und present study investigates the feasibility of auditive media for nutritional education. wird vermehrt, nicht nur im schulischen Additionally, it is proved if the „know how“ of cooking procedures and food ingredients Alltag, angewendet bzw. eingesetzt. „Gecan be transferred to the pupils. 100 subjects were tested in practical tests which were rade in der heutigen Informationsgesellsupported by MP3 media. The results demonstrate that auditive media are best suitable schaft, in der der soziale Zusammenhang as didactic methodology for all kind of pupils especially for aural style learners. The von modernen Informations- und Komconvincing learning effects of auditive media could be proved. munikationstechnologien vorrangig be- I 38 HuW 1/2014 38-44 Auditive Medien_Layout 1 11.03.2014 10:45 Seite 39 AUDITIVE MEDIEN 2 Das Sinnesorgan Ohr und mediendidaktische Vorüberlegungen „Die auditive Wahrnehmung bildet das Fundament jeglicher menschlicher Entwicklung. Eine gut funktionierende Wahrnehmung ist somit unabdingbare Grundlage aller kindlichen Lern- und Kommunikationsprozesse“ (Günther, 2008, S. 6). Die auditive Wahrnehmung – das Hören – gilt allgemein als Voraussetzung der Sprache, da jedes Kleinkind durch Zuhören und Nachahmen Sprache erlernt und versteht. Darüber hinaus umfasst die auditive Wahrnehmung den gesamten Vorgang des Eintreffens von Schall im Ohr über seine Weiterleitung durch die Gehörnerven ins Gehirn bis hin zur dortigen Verarbeitung sowie zu den damit verbundenen Reaktionen und Fähigkeiten (Reimann-Höhn 2012). Um die Tragweite und Bedeutsamkeit auditiver Medien einschätzen zu können, ist es vonnöten, die Funktionen und Eigenschaften des menschlichen Sinnesorgans Ohr zu kennen. Der Mensch nimmt seine Umwelt v. a durch Sehen wahr, darauf folgt das Hören (Roehling 2010, S. 4). Beide Funktionen weisen unterschiedliche Qualitäten auf. Zu den Besonderheiten des Ohrs gehört die Funktion, dass es, genau wie das Auge, der Orientierung im Raum dient, aber im Gegensatz zum Auge immer „wach“ ist, da es nicht zu schließen ist und somit eine Art Schutzfunktion übernimmt. Jedoch kann nicht davon ausgegangen werden, dass Hören gleich Zu- bzw. Hinhören bedeutet, da dies Wahrnehmungsformen sind, und das allgemeine Hören eher eine unspezifische Offenheit zur Welt beschreibt (Roehling 2010, S. 4, Huber 2000, S. 11). Auch werden menschliche Gefühle und Phantasie durch Hören intensiver angeregt als über jedes andere Sinnesorgan (Roehling 2010, S. 4). Trotz dieser positiven Funktionen des Ohrs bzw. gerade deswegen ist es wichtig, auditive Medien im Vorfeld sorgfältig vorzubereiten, auszuwählen und auf ihre Eigenheiten zu achten. Denn verschiedene Einflüsse wie Tonhöhe, Klangfarbe, Sprachrhythmus der Stimme, Lautstärke sowie Nebengeräusche usw. entscheiden darüber, wie wir das Gehörte empfinden, und bestimmen somit zugleich, ob wir uns dazu entscheiden, zuzuhören bzw. hinzuhören, und ob wir das Gehörte aufnehmen oder nicht. Dies ist der Akt, der aus einem physiologischen Phänomen eine psychologische Handlung macht. Den Ausgangspunkt dessen bildet das Zusammenspiel von Sprache, Geräuschen und Musik. Die Inhalte auditiver Medien sind im Unterschied zu denen der visuellen Medien nicht sichtbar und wecken daher die Suggestiv- und Assoziationskraft im Menschen. Neben der Komponente des richtigen Zusammenspiels muss auch beachtet werden, dass etwas Unsichtbares schnell dazu führen kann, dies aus Bequemlichkeit zu ignorieren (Roehling 2010, S. 13). 3 Auditive Medien als Bildungsmedium und das auditive Gedächtnis „Der Begriff Bildungsmedien bezieht sich auf den Einsatz von Medien in bestimmten Kontexten, vorrangig gemeint sind Institutionen, die wir dem Bildungswesen zuordnen.“ (Huber 2000, S. 11). Dazu gehören zum Beispiel Kindergärten, Vorschulen, Schulen usw. Jedoch gehört auditives Lernen zu autodidaktischem Lernen mit Medien und ist deshalb eine uns selbstverständliche Art des Wissenserwerbs, die ohne interpersonelle Kommunikation auskommt und auch keinen institutionellen Rahmen benötigt (Kerres 2001, S. 44). Die Selbstverständlichkeit dieses Wissenserwerbs beinhaltet auch, dass wir über auditive Medien oftmals unbewusst lernen, was den Vorteil hat, dass der Empfänger keinen Druck oder Zwang verspürt und das Gehörte selbstverständlicher und unvoreingenommener aufnimmt. Im schulischen Bereich werden auditive Medien meist in gestaltete Lernumgebungen eingebettet, die das Medium unterstützen sollen und kommunikative Elemente integrieren (Roehling 2010, S. 6, Günther 2008, S. 28) Der Begriff des Lernens ist ein häufig verwendeter Begriff. Jeder kann sich darunter etwas vorstellen, doch was er wirklich bedeutet, ist selbst in der Wissenschaft noch nicht eindeutig geklärt. „Unter allen menschlichen Leistungen scheint das Lernen seiner Natur nach zum Verborgensten und Unbekanntesten zu gehören“ (Mitgutsch 2007, S. 9). Lernen ist dementsprechend ein mehrdeutiger Ausdruck, der, je nach Betrachtungsperspektive, unterschiedlich definiert und beschrieben werden kann. Außerdem ist er in die Untersuchungen zahlreicher Wissenschaften eingebettet, was seine Mehrdeutigkeit nochmals verdeutlicht und erklärt. Aus diesem Grund existieren zahlreiche Definitionen, die sich dem Begriff aus unterschiedlichen Blickwinkeln nähern (Kiesel 2012). Gudjons hält Lernen für einen wertneutralen Begriff, der sich durch die Änderung menschlicher Verhaltensdispositionen nachweisen lässt. Die Ursache hierfür sieht er in der Erfahrungsverarbeitung (Gudjons 2008, S. 212). Des Weiteren ist er der Ansicht, dass die Fähigkeit, lernen zu können, für die Spezies Mensch eine überlebenswichtige Komponente darstellt (ebenda, S. 211). Diese Ansichten sind nur ein kleiner Ausschnitt von dem, was es an Definitionen für den Lernbegriff gibt. Sie reichen aber aus, um einen Überblick über den Begriff zu geben und seine Mehrdeutigkeit, Wichtigkeit und Existenzberechtigung in zahlreichen Wissenschaften zu erklären. „Es gibt unterschiedliche Lerntypen, jeder Mensch ist anders organisiert“ (Gaßner 2007, S. 45). Auch im Schulalltag finden sich erste Ansätze, um den unterschiedlichen Lerntypen und ihren Begabungen gerecht zu werden, da es vermehrt zur Anwendung innerer und äußerer Fachleistungsdifferenzierungen kommt. Diese Methodenvielfalt schließt offene Unterrichtsformen wie z. B. die Partner- bzw. Gruppenarbeit, das Stationenlernen, aber auch den gemeinsamen Unterricht ein, mit dem Ziel, eine möglichst hohe Anzahl an Schülern zu fördern, um so einen gleichberechtigten und aktiven Unterricht zu gewährleisten. Es gibt individuelle Differenzen, auf welchem Weg die Menschen Lerninhalte aufnehmen. Die bevorzugte Art der Wahrnehmung führt dazu, dass das Kind bereits in den ersten beiden Lebensjahren den entsprechenden LernHuW 1/2014 39 38-44 Auditive Medien_Layout 1 11.03.2014 10:45 Seite 40 MICHAELA SCHLICH typ entwickelt (Gaßner 2007, S. 35). Werden die Lerninhalte auf unterschiedliche Art und Weise vermittelt, ließe sich demzufolge die Lerneffektivität erhöhen. In Anlehnung an die Sinnesorgane ist davon auszugehen, dass es vier verschiedene Lerntypen gibt: Den motorischen, visuellen, kommunikativen und auditiven Lerntyp. Jeder Mensch lernt auf eine andere Art und Weise und dabei unterschiedlich stark über die verschiedenen Sinne. Die meisten Lerntypen sind in der Regel Mischtypen und lernen über mehrere Sinne. Das heißt, dass sie am effektivsten lernen, wenn sich verschiedene Medien verbinden und aufeinander aufbauen. Dadurch werden mehrere Sinneskanäle gleichzeitig angesprochen und das Gelernte verarbeitet (Sütterlin 2004). Dieses Phänomen wird in der Schule „ganzheitlicher Unterricht“ genannt Durch ganzheitlichen Unterricht wird versucht, die fünf Sinne der Wahrnehmung – also Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten – des Schülers durch verschiedene Medien zu aktivieren, wodurch ein starker Verinnerlichungs- und Lerneffekt erzielt wird. Die Möglichkeiten des Erinnerns und Behaltens sind umso vielseitiger, je unterschiedlicher wir den Lernstoff erwerben (Sütterlin 2004). Es ist bekannt, dass der Mensch im Mittel 70 Prozent seines Wissens über das visuelle Organ erlernt, 20 Prozent über das auditive Organ und zehn Prozent durch andere Sinnesorgane. Kombiniert der Lernende also die Medien und versucht, möglichst viele der fünf Wahrnehmungssinne am Lernprozess zu beteiligen, so steigt die Erinnerungsquote bis auf 90 Prozent an. Eine Kombination aus Sehen, Hören, Diskutieren und Arbeiten mit den Händen könnte als ideales Beispiel gelten (Kröschel 2009). Wenn gezielt auditive Medien eingesetzt werden, spricht das vor allem jene an, die zu einem Teil oder vollständig zum auditiven Lerntyp gehören. Der auditive Lerntyp kann besonders gut gehörte Informationen aufnehmen, sie behalten und wiedergeben (Kröschel 2009). Dadurch wird deutlich, dass das Maß an Lernerfolg durch auditive Medien nicht klar definiert werden kann, da auditives Lernen nicht nur von dem Medium abhängig ist, sondern auch durch den Lerntyp des Einzelnen bestimmt wird. Jedoch ist es durchaus möglich, die Quantität und Qualität des Lernerfolgs bei auditiven Medien zu beeinflussen. Denn wie bereits erwähnt, gibt es verschiedene Einflüsse, die sich auf die Bereitschaft des Zuhörens und deshalb auch auf das Maß des Lernerfolgs auswirken. Ausschlaggebend für Schüler ist neben der äußeren Form eines auditiven Mediums auch das Thema des Gehörten an sich. Entscheidet sich der Schüler zum Zuhören und findet das Thema interessant, werden die Informationen automatisch abgespeichert. Im schulischen Rahmen beeinflussen neben dem Medium selbst auch die didaktischen Methoden der Lehrperson, inwieweit die auditiven Medien zu einem Lernerfolg führen. Werden Medien falsch eingesetzt, kann der Lernerfolg gehemmt werden oder sogar ganz ausbleiben. Im Unterricht können auditive Medien vielfältig eingesetzt werden und bieten die Möglichkeit, unbewusst oder bewusst Wissen zu vermitteln. Hören ist die Basis der Sprache, und 40 HuW 1/2014 deshalb werden auditive Medien gerade im fremdsprachlichen Bereich in der Schule oder anderen Institutionen eingesetzt. Aber auch in anderen Fächern haben auditive Medien einen hohen Stellenwert, denn Medien im Allgemeinen sind oftmals an die Lebenswelt der Schüler angepasst, da die Zugänge zu Medien allgegenwärtig sind. Dies steigert meist die Motivation der Schüler und dadurch gleichzeitig den Lernerfolg. Abschließend lässt sich sagen, dass auditive Medien zur Informations- und Wissensvermittlung durchaus geeignet sind, wenn die unterschiedlichen Einflüsse auf auditive Medien beachtet und möglichst begleitend weitere Sinne angesprochen werden, damit die Möglichkeiten des Erinnerns und Behaltens vervielfältigt werden. 4 Lebensmittelpraxis in der Ernährungsund Verbraucherbildung Ernährungsbildung gilt an den Schulen als unverzichtbarer Bestandteil der Vermittlung zentraler Kompetenzen für die Lebensgestaltung und insbesondere der Gesundheitsförderung. Ihr wird große Bedeutung für das Individuum und die Gesellschaft zugebilligt. Ziel dieser Bildung ist es, den lebenslangen selbst bestimmten und verantwortlichen Umgang mit Essen, Ernährung und Nahrung zu gewährleisten und in diesem Sinne zu fördern (Richtlinie Verbraucherbildung RLP 2011). Ein wichtiger Bereich der Ernährungsbildung ist die Praxis der Lebensmittelzubereitung, indem die Schüler befähigt werden, Nahrung und Mahlzeiten gesundheitsförderlich zu planen und zu gestalten. In diesem Zusammenhang planen die Schüler Mahlzeiten situations- und alltagsgerecht und beziehen sich hierbei stets auf die Aspekte einer ausgewogenen Ernährung. Darüber hinaus lernen die Schüler fundamentale Techniken der Lebensmittelzubereitung kennen und setzen diese anschließend planmäßig um. Zusätzlich erlangen die Schüler Wissen über Hygiene, Lebensmittelkennzeichnung und Vorratshaltung von Lebensmitteln. Weiter befasst sich die Lebensmittelpraxis inhaltlich vor allem mit den Bestandteilen der Lebensmittel, ihren Wirkungsweisen und den Zusammenhängen zwischen Ernährung und Gesundheit (Richtlinie Verbraucherbildung RLP 2011, Eiter et al. 2008). Üblicherweise wird im Klassenverbund über das Rezept und die erforderlichen Arbeitsschritte bei der Zubereitung gesprochen, und die Schülerinnen und Schüler bereiten im Anschluss in Gruppen die Lebensmittel zu. Die Zubereitung mit dem auditiven Kochbuch erfolgt in Einzelarbeit. Wie kann das auditive Kochbuch sinnvoll in der Lebensmittelpraxis eingesetzt werden? Welche Vor- oder Nachteile bringt diese Methodik? 5 Arbeiten mit auditiven Kochbüchern Im Rahmen des vorliegenden Projekts haben 100 Probanden an einem auditiven Kochprojekt teilgenommen. Deren Aufgabe besteht darin, einen praktischen Vorgang durchzuführen, 38-44 Auditive Medien_Layout 1 11.03.2014 10:45 Seite 41 AUDITIVE MEDIEN der allein durch akustische Signale (Anweisungen) wahrgenommen wird. Jeder Proband hat neben den erforderlichen Zutaten einen MP3-Player zur Verfügung, der das Rezept in gesprochener Form wiedergibt und durch den Zubereitungsprozess führt. Anschließend erhalten die Teilnehmer einen dreiseitigen Fragebogen, um Ergebnisse und Erfahrungen während des Prozesses dokumentieren zu können. Den Ausgangspunkt der vorliegenden Studie bildet ein auditives Rezept zur Herstellung von Minipizzen. In der Einführung erklärt die Sprecherin, was zubereitet werden soll und für wie viele Personen die Mengen ausreichen. Der Text lautet folgendermaßen: „Heute bereiten wir Minipizzen mit Mais und Pilzen zu. Dieses Rezept ist für fünf Personen ausgelegt.“ Anschließend werden die Hygieneinformationen vorgestellt, die gleichzeitig auch die Verletzungsgefahr minimieren sollen. „Bevor du mit dem Zubereiten der Pizzen beginnst, binde dir die Haare zusammen, lege lange Schals sowie Schmuck, den du an Händen und Armen trägst ab und wasche deine Hände gründlich.“ Im Folgenden werden die Zutaten und Arbeitsgeräte genannt, die für die Zubereitung zwingend erforderlich sind. Dann erklärt die Sprecherin in einem moderaten Sprechtempo Schritt für Schritt die Zubereitung der Minipizzen. „Um den Teig für die Pizzen zuzubereiten, wiege 250g Mehl ab, gib es in eine Schüssel und brösele ½ Würfel Hefe dazu. Anschließend kommen 125 ml lauwarmes Wasser, 1 Prise Zucker, 1 Esslöffel Öl und ½ Teelöffel Salz dazu. Damit aus diesen Zutaten ein Teig entsteht, musst du sie mit dem Handrührgerät kneten. Stecke dazu die beiden Knethaken in das Rührgerät und prüfe, ob sie richtig feststecken. Schließe das Handrührgerät an und knete den Teig auf niedrigster Stufe. Halte dabei die Schüssel gut fest. Sobald sich die Zutaten miteinander verbinden, kannst du das Handrührgerät eine Stufe höher stellen. Wenn aus deinen Zutaten ein bröseliger Teig entstanden ist, schaltest du das Handrührgerät aus, ziehst den Stecker aus der Steckdose und legst es beiseite […].“ Wartezeiten, die bei der Teigbereitung, bei Zerkleinerungsvorgängen, beim Backen oder bei Reinigungsschritten entstehen, werden mit verschiedenen Informationen über die verwendeten Zutaten und über die angewendeten Garverfahren begleitet. Dieses Wissen wird später in der Befragung mittels Fragebogen überprüft. „In der Zwischenzeit noch ein paar Informationen zu Pilzen und Mais: Pilze gehören zum Gemüse, unterscheiden sich dennoch von anderen Gemüsesorten. Sie benötigen zum Beispiel kein Licht zum Wachstum, jedoch Wärme und Feuchtigkeit. Pilzen geben den Speisen durch einen sehr hohen Aromastoffgehalt einen guten Geschmack. Sie bestehen überwiegend aus Wasser und haben einen relativ hohen Vitamin- gehalt. Mais ist eine Getreideart, die 60-70% Stärke, ca. 5% Fett und 8-10% Proteine enthält und zu 16% aus Wasser besteht. Der Ursprung des Mais liegt in Südamerika. Vom Mais können Samen, Kolben und die Ganzpflanze genutzt werden. Die Pflanze als Ganzes wird oft zu Viehfutter verarbeitet.“ 6 Darstellung der Studienergebnisse Im Anschluss werden die Ergebnisse der Studie aufgezeigt. Dabei wird zuerst auf die demographischen Angaben eingegangen und im Anschluss die von 100 Probanden nach der praktischen Arbeit beantworteten Fragebögen ausgewertet. Der Fragebogen beinhaltet Fragen, die sich auf die praktische Anwendbarkeit beziehen, wie etwa Vollständigkeit der Zutaten oder sprachliche Qualitäten. Zusätzlich wird überprüft, ob die angesprochenen theoretischen Hintergründe abprüfbar sind. An der Studie haben 58 Prozent weibliche und 42 Prozent männliche Probanden teilgenommen. Die Zusammensetzung bezogen auf das Alter zeigt Abbildung 1. Alter Abb. 1: Alter der Probanden (absolut) Frage 1 bezieht sich darauf, wie gut der Proband während der Arbeit mit der Technik zurecht gekommen ist, wobei fünf Antwortalternativen von „sehr gut“ bis „schlecht“ zur Wahl stehen. Frage 1: Wie gut kamen Sie während der Arbeit mit der Technik (mp3 Player) zurecht? Die meisten Probanden sind mit der Technik während der praktischen Arbeit sehr gut und gut zurechtgekommen (85 Prozent, siehe Abbildung 2 auf der nächsten Seite). Das gemischte Klientel der Studie hat keinen Einfluss darauf, wie die Testpersonen mit der Technik zurechtkommen. Sowohl ein achtjähriges Mädchen als auch eine 50-jährige Frau beherrschen diese problemlos, was eine erste Aussage über die Sinnhaftigkeit auditiver Medien in Bezug auf deren technische Beherrschbarkeit liefert. Frage 2 hat als erkenntnisleitende Fragestellung die Formulierung, ob die Zutaten für die Zubereitung vollständig HuW 1/2014 41 38-44 Auditive Medien_Layout 1 11.03.2014 10:45 Seite 42 MICHAELA SCHLICH Arbeiten mit Mp3-Player Umsetzbarkeit der Arbeitsanweisungen in Prozent Abb. 2: Arbeiten mit dem Mp3 Player Abb. 3: Umsetzbarkeit der Arbeitsanweisungen aufgelistet sind. Die möglichen Antworten lauten von „absolut vollständig“ bis hin zu „lückenhaft“. Hier treten unter den Testpersonen die ersten Diskrepanzen auf. Für einige ist es möglich, die fehlenden Angaben ohne langes Überlegen zu ergänzen, andere tun sich schwer. Die angemerkten Lücken sind mannigfaltig und reichen vom Nichterwähnen der Art des zu verwendenden Öls über die Höhe der Platzierung des Backblechs im Ofen bis hin zu unklaren Gewichtsangaben. Mit den Augen der Schülerinnen und Schüler betrachtet, besteht dort sicherlich Verbesserungsbedarf, da sich diese auf den Zubereitungsprozess fokussieren sollten, da sonst schnell die Lust am Herstellungsprozess verloren geht und eine kognitive Überforderung denkbar wäre. Dieser Punkt kann natürlich nicht partout allen auditiven Koch- und Backbüchern angerechnet werden, was von den Testern auch beachtet wird, die insgesamt recht gut bewerten: 79 Prozent sind absolut zufrieden und 21 Prozent noch zufrieden. Werden die fehlenden Angaben noch ergänzt, können sich später alle Schülerinnen und Schüler beteiligen, wodurch das sicherlich vorhandene didaktische Potenzial voll zur Geltung kommen kann und unterschiedliche Lerntypen angesprochen werden können. Frage 3 beschäftigt sich damit, ob die zusätzlich benötigten Materialien klar erläutert worden sind. Die Antwortalternativen reichen von „absolut klar“ bis hin zu „unklar“. Hier treten so gut wie keine Probleme auf, was auf die umfassende Erläuterung zurückzuführen ist. Eine achtjährige Probandin urteilt zwar „nur“ mit „noch klar erläutert“, was aber darauf hindeutet, dass das Medium auch im Grundschulunterricht verwendet werden kann. 77 Prozent sagen, dass die Materialien absolut klar erläutert werden und 20 Prozent antworten mit „noch klar erläutert“, lediglich drei Prozent sind nicht zufrieden. Frage 4 (Abb. 3) beschäftigt sich mit der Umsetzbarkeit der Arbeitsanweisungen des auditiven Kochbuches – ein ganz zentraler Punkt, wenn es darum geht, ob eine Etablierung im Schulalltag möglich bzw. sinnvoll ist. Die fünf Kategorien erstrecken sich von „sehr gut“ auf der einen Seite bis hin zu „schlecht“ auf der anderen Seite. Dieser Punkt spricht eine mehr als deutliche Sprache. Für fast alle Teilnehmer, darunter auch ein Grundschulkind, sind alle Arbeitsanweisungen mindestens gut umsetzbar, was für die erwähnte Etablierung spricht. Die beiden folgenden Fragen befassen sich mit den sprachlichen Qualitäten der Sprecherin. Zunächst geht es in Frage 5 (Abb. 4) um die Verständlichkeit. Als mögliche Bewertung ist zwischen „absolut verständlich“ bis hin zu „unverständlich“ zu wählen. Frage 4: Sind die Arbeitsanweisungen für Sie umsetzbar? 42 HuW 1/2014 Frage 5: Ist die sprechende Person verständlich? Verständlichkeit der sprechenden Person in Prozent Abb. 4: Verständlichkeit der sprechenden Person Das Ergebnis überrascht weniger, weil die sprechende Person perfekt zu verstehen ist, was von den Probanden auch genauso honoriert wird. Die nächste Frage (Abb. 5) analysiert das Sprechtempo der Erzählerin, wobei die fünf Kriterien von „sehr gut“ bis „schlecht“ reichen. Frage 6: Ist das Sprechtempo passend gewählt? 68 Prozent der Befragten halten das Sprechtempo für adäquat, sprich über die Hälfte ist zufrieden. Interessant sind die 32 Prozent der Probanden, die mit dem Sprechtempo Probleme haben. Sollen auditive Medien in der EVB Verwenung finden, sollte unbedingt auf ein angemessenes Sprechtempo geachtet werden, weil sonst gerade lernschwache Schülerinnen und 38-44 Auditive Medien_Layout 1 11.03.2014 10:45 Seite 43 AUDITIVE MEDIEN Wahl des Sprechtempos in Prozent Viele verschiedene Schülerinnen und Schüler werden angesprochen, wenn eine Methodenvielfalt den Tagesablauf mitbestimmt. Das Klassenklima kann dadurch ebenfalls positiv beeinflusst werden, wenn nahezu jeder am Unterrichtsgeschehen partizipieren kann. Zum Abschluss steht eine Gesamtbewertung der Arbeit mit dem auditiven Kochbuch an. Frage 8: Wie bewerten Sie die Arbeit mit dem auditiven Kochbuch? (Mehrfachantworten sind möglich) Abb. 5: Wahl des Sprechtempos Schüler dem Unterrichtsgeschehen nicht mehr folgen können und so die primär sicherlich vorhandene Motivation einbüßen. Selbst längst erwachsene Menschen zeigen beim gewählten Sprechtempo noch deutliche Probleme bezüglich der Aufnahmefähigkeit, was die Wichtigkeit dieser These ebenfalls unterstreicht. Die siebte Frage (Abb. 6) behandelt das Fachwissen zu Pilzen und Mais. Die zugehörigen Informationen hören die Probanden während der für den Gärvorgang der Hefe erforderlichen Waretezeit. Im Fragebogen wird gezielt nach Informationen gefragt, die auf der Audio-Datei enthalten sind, um Wartezeiten, die zum Beispiel bei der Teigzubereitung oder bei Schneidevorgängen entstehen, zu überbrücken. Eine Frage lautet zum Beispiel: „Was ist das Besondere an Pilzen?“ Frage 7: Wissensfragen zum Thema Pilze und Mais. Die Antworten sind im Wortlaut sehr individuell. Die Ergebnisse zeigen jedoch, dass während der praktischen Arbeit vermitteltes Wissen noch abprüfbar ist. Dieser Punkt spricht dafür, dass es unterschiedliche Lerntypen gibt, sprich: Jedes Individuum unterscheidet sich in der bevorzugten Wahrnehmung bzw. im Lernverhalten. Im Ansatz wird deutlich, dass eine Etablierung im Schulalltag, die mit einer Lernökonomisierung einhergehen kann, sinnvoll ist. Bewertung der Arbeit mit dem auditiven Kochbuchs Abb. 7: Bewertung des auditiven Kochbuchs Die überwiegende Mehrheit spricht sich entschieden für das Medium „Auditives Kochbuch“ in der EVB aus und lobt die Testreihe ausdrücklich. Nicht übersehen werden darf allerdings, dass einige Probanden auditive Koch- und Backbücher als unnötig bezeichnen, was hauptsächlich mit dem erhöhten Zeitaufwand im Vergleich zu konventionellen Koch- und Backbüchern begründet wird. Das entstandene Ergebnis trügt dies nicht, weil die Grafik eine eindeutige Sprache spricht. Eine Etablierung ist aus all den genannten Gründen dringend erforderlich und nützlich. Um ein Gesamtbild der teilnehmenden Probanden zu erhalten, wird auch auf die Häufigkeit der Lebensmittelzubereitung Bezug genommen. Lebensmittelzubereitung pro Woche Antworten Wissensfragen in Prozent Abb. 6: Antworten Wissensfragen Abb. 8: Häufigkeit der Lebensmittelzubereitung pro Woche HuW 1/2014 43 38-44 Auditive Medien_Layout 1 11.03.2014 10:45 Seite 44 MICHAELA SCHLICH Die Probanden unterscheiden sich in der Häufigkeit der Lebensmittelzubereitung. Über 50 Prozent der Teilnehmer sagen von sich, das an mindestens vier Tagen in der Woche Lebensmittel im Haushalt zubereiten werden. 7 Fazit Es gibt bis dato keine einheitliche, exakte Bestimmung des Begriffs „Lernen“, sondern vielmehr zahlreiche, mehr oder weniger ähnliche Definitionen. Es gibt individuelle Differenzen, auf welchem Weg die Schüler/innen Lerninhalte aufnehmen, wodurch sich bei wechselndem Modus der Vermittlung die Lerneffektivität erhöhen lässt. Der visuelle und der kinästhetische Lerntyp ziehen aus der Etablierung auditiver Koch- und Backbücher den geringsten Nutzen, da sie am ökonomischsten mittels Sehen bzw. Bewegung lernen. Demgegenüber kann der auditive Lerntyp von der Etablierung deutlich profitieren, da das Hören dessen bevorzugtes Rezeptionsverhalten bzw. Rezeptionsmedium darstellt. Anhand der ausgewerteten Studienergebnisse lässt sich belegen, dass auditiven Medien eine größere Bedeutung in der EVB zukommen sollte. Grund dafür sind die unterschiedlichen Lerntypen bzw. die unterschiedlichen Präferenzen des Lernens. Eine Integration auditiver Medien in der EVB wäre demnach ratsam, ohne diese aber überbewerten zu wollen. Sie sollten lediglich für eine Ergänzung, Veränderung oder auch Belebung des Unterrichts sorgen. Dazu sollten sie im Sinne einer Methodenvielfalt und zur Förderung aller Lerntypen fest in den Unterricht integriert werden. Zu beachten ist auch, wie mit dem Medium gearbeitet wird. Einzelarbeitsplätze sind bei üblichen Gruppengrößen von 16 Personen nicht immer zu gewährleiten. Es sollte überprüft werden, ob die Bearbeitung auch in Zweiergruppen möglich ist. Damit diese auditiven Medien in der Fachdidaktik etablieren werden können, ist es ratsam, die entsprechenden Lehrkräfte durch Fortbildungen zu schulen. Ferner ist die Forschung in diesem Bereich zu forcieren, um weitere empirische Befunde durch den Einsatz auditiver Medien zu erhalten. Dazu bieten sich Testreihen in Schulen an, bei der unterschiedliche Altersgruppen betrachtet werden. Darüber hinaus scheint auch die Aufnahme auditiver Medien in das Curriculum von Schulen und Universitäten zwingend erforderlich. Nach der im vorliegenden Testlauf gewonnenen Erfahrung könnte ein Zitat aus der Einleitung wie folgt modifiziert werden: Auditive Koch- und Backbücher sind in mediengeschichtlicher und in didaktischer Perspektive keine Kinder mehr, sondern schon im besten Erwachsenenalter (modifiziert nach: Rautenberg 2007, S. 8). Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, darf das didaktische Potenzial der Nutzung auditiver Medien nicht länger missachtet werden, weil so auch andere Lerntypen angesprochen und neue Impulse in Bezug auf die Lern- und Aufmerksamkeitsmotivation gesetzt werden können. 44 HuW 1/2014 Literaturverzeichnis Abraham, U./ Beisbart, O./ Koß, G./ Marenbach, D. (2007): Praxis des Deutschunterrichts. 5. Aufl., Donauwörth Eiter, J./ Eder, G./ Mair, M. (2008): Ernährungslehre und Diätetik für Gesundheits- und Krankenpflege. Linz Gaßner, E. (2007): Lerntypen und Lernstrategien. 1. Aufl., Schaffhausen Germann, H. (2008): Marktüberblick: Hörspiele, Hörbücher für Kinder. 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In diesem Kontext wurde 2011 das Projekt „Einsamkeit und Ehrenamt im Alter“ vom niedersächsischen Familienministerium initiiert, um Handlungsempfehlungen zu erarbeiten, die zu Engagement bzw. -aktivitäten motivieren und dadurch Einsamkeit im Alter vorbeugen können. In drei Modellregionen Niedersachsens, die das Spektrum der regionalen Unterschiedlichkeiten widerspiegeln, wurden innerhalb von 18 Monaten (2012/2013) vorhandene Engagementangebote systematisch identifiziert und analysiert. Zusätzlich erfolgte eine schriftliche Befragung von Menschen im Übergang von der Erwerbstätigkeit. Die erhobenen Daten zeigen ein stark ausdifferenziertes Spektrum an generationsübergreifenden Engagementmöglichkeiten – allerdings kaum spezielle Angebote für Menschen kurz vor oder im Ruhestand. Bei denjenigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die sich zum Zeitpunkt der Befragung engagierten (N = 125), war der Anteil der Wenig-Einsamen fast zehn Prozent höher als bei denen, die sich zum Zeitpunkt der Befragung nicht engagierten (N = 44). 1 Informations- und Hilfeangebote zur Vermeidung von Einsamkeit im Alter gionaler Ebene ist das freiwillige Engagement von Bürgerinnen und Bürgern ein Schlüssel für die Zukunftsfähigkeit der Kommunen. In diesem Zusammenhang werden vor allem effektive Informations- und Hilfeangebote benötigt, die zu möglichst längerfristigen und verlässlichen Engagementaktivitäten motivieren. Vor allem zielgruppengerechte Lösungen zur Vermeidung von Einsamkeit im Alter sind dringend erforderlich. Angesichts regionaler und individueller Verschiedenheiten fehlen jedoch fundierte Erkenntnisse über die jeweiligen Ausprägungen von Einsamkeit bzw. Engagement. ür viele Menschen sind es bekannte Bilder: Der ältere Herr, der kaum noch aktiv ist und nur noch wenige soziale Kontakte hat, seitdem er im Ruhestand ist. Oder die ältere Dame, die ihren Ehemann verloren hat und seither alleine und zurückgezogen in ihrer Wohnung lebt. Die Verbindung von Alter und Vereinsamung ist ein gängiger Stereotyp in der Gesellschaft des langen Lebens. Einsamkeit ist allerdings nicht zwangsläufig mit einer objektiv geringen Anzahl an Sozialkontakten verbunden. Einsamkeit ist subjektiv, ein durch- 2 Modellprojekt in Niedersachsen dringendes Gefühl des Mangels an sozialen Beziehungen, das 2.1 Formaler Rahmen mit gravierenden Konsequenzen für die unter Einsamkeit Leidenden und deren Umfeld verbunden ist (Bannwitz 2009, S. 4). Mit der Unterschiedlichkeit der Regionen in Niedersachsen Angesichts spezifischer Risiken zur Vereinsamung im Alter differieren auch die vorhandenen Engagementangebote. Der (z. B. bei Kinderlosigkeit oder Verwitwung) und absehbarer Folgen der älter werdenden Seniors’ loneliness and honorary work Gesellschaft (z. B. wachsender Bedarf an Pflegeheimen, sinLoneliness is a pertinent problem for an aging society. Sustainable solutions tailored to specific target groups to prevent loneliness are needed. High expectations are related to honorary work at kender Anteil Erwerbstätiger) regional level. Institutions offering various courses mostly focus on active seniors as target groups. verwundert es nicht, dass das Getting in contact with seniors at home, maybe already isolated, is challenging. So the project Thema „Einsamkeit im Alter“ “seniors’ loneliness and honorary work” was initiated in 2011 by the Ministry for Families of Lower zunehmend Aufmerksamkeit Saxony to develop political guidelines for retiring people that motivate to work honorary and in Öffentlichkeit, Politik und probably prevent loneliness. Regarding the variety of regions in Lower Saxony, three model regions Wissenschaft erfährt (Petrich have been selected. Within a comparable scientifically based frame institutional offers for retiring 2011, S. 13). Freiwillige Enpeople were identified and analysed in 2012/13. Specific characteristics of the target group were gagementaktivitäten in der investigated (questionnaire). Project results demonstrate a broad spectrum of intergenerational Übergangsphase von der Eroptions, but only a few specific possibilities for retiring people. The investigation of specific werbstätigkeit in den Ruhecharacteristics of the target group shows a higher proportion (ten percent) of participating retiring stand könnten einen auspeople feeling less lonely in people actively working honorary (N = 125) than retiring people not sichtsreichen Ansatz darstellen. working honorary (N = 44). Besonders auf lokaler bzw. re- F HuW 1/2014 45 45-49 Lissy_Layout 1 11.03.2014 10:48 Seite 46 JOHANNES BEHNEN, ANNIKA LAUKAMP, ELISABETH LEICHT-ECKARDT demografische Wandel wirkt sich regional verschiedenartig aus: Die Räume unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich Bevölkerungsdichte, Siedlungsstruktur, Lage im Raum und Wirtschaftsstruktur, sondern beispielsweise auch hinsichtlich ihrer Funktionen und Entwicklungspotentiale. Haushalts-, Wohnund Lebensformen älterer Menschen sind wie angestrebte Lebenssituationen im und für das Alter individuell unterschiedlich. Alterseinkommen sinken bei Neurentnerinnen und Neurentnern, vor allem bei Alleinlebenden, Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund und Teilen der ausländischen Bevölkerung. Gemeinsam ist Menschen im Erwerbsleben, dass sie für ihren Ruhestand umfassende Veränderungen im Alltag erwarten und teilweise auch vorbereiten, um Einsamkeit und Langeweile zu vermeiden. Seniorenservicebüros in Niedersachsen bieten bereits grundsätzlich Information und Bereitstellung von Beratungs- und Unterstützungsangeboten zur Bewahrung und Förderung von Selbstständigkeit und Lebensqualität der Älteren. Sie koordinieren zudem Hilfeangebote vor Ort und fördern bürgerschaftliches Engagement. Die Hilfeangebote sind bisher aber nicht spezifisch für das jeweilige Umfeld definiert, differenziert und evaluiert. Um eine verbindliche, bedarfsgerechte und finanzierbare Hilfestruktur aufzubauen, bedarf es einer Vernetzung von familiären, bürgerschaftlichen/ehrenamtlichen und professionellen Angeboten aus Wirtschaft und Sozialwirtschaft sowie kommunalen Strukturen. Deshalb hat das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration das Projekt „Einsamkeit und Ehrenamt im Alter“ für drei Modellregionen sowie die wissenschaftliche Begleitung für 18 Monate gefördert. Als Partner in den Modellregionen wurden die Gesundheitsregion Göttingen (semiurbaner Raum), die Stadt Osnabrück (urbaner Raum) und der Sozialdienst Katholischer Frauen und Männer Papenburg e.V. (ruraler Raum) ausgewählt. Die wissenschaftliche Projektbegleitung und Projektkoordination wurde der Hochschule Osnabrück übertragen. Das Ziel des von Anfang 2012 bis Mitte 2013 durchgeführten Projekts war es, Handlungsempfehlungen für Angebote des ehrenamtlichen Engagements zu formulieren, die zu Engagement bzw. -aktivitäten motivieren und dadurch möglicherweise Einsamkeit im Alter vorbeugen. 2.2 Inhaltliche Grundlagen Zunächst wurden die grundlegenden Begriffe für das Projekt definiert: „Ehrenamt“ ist nach Dinges (2009, S. 13) eine nach institutionellen Vorgaben ausgeführte, freiwillige und individuell frei wählbare Tätigkeit. Der Unterschied zu einer Berufstätigkeit liegt dementsprechend darin, dass kein Einkommen erzielt wird, keine Weisungsgebundenheit besteht und keine bestimmten Voraussetzungen bzw. Kompetenzen zwingend erforderlich sind – freiwillige Tätigkeiten sind allerdings mit normativen Verhaltenserwartungen verbunden (ebd.). Es ist festzuhalten, dass es für den Begriff „Ehrenamt“ in Deutschland keine einheitliche Definition gibt (Wallraff 46 HuW 1/2014 2010, S. 13). Vielmehr wird der damit verbundene Gegenstand durch eine Vielzahl an unterschiedlichen Begriffen und Bedeutungen überlagert. Beispielsweise kann zwischen „Altem Ehrenamt“ und „Neuem Ehrenamt“ unterschieden werden. Innerhalb traditioneller Rahmenbedingungen („Altes Ehrenamt“) ist die freiwillige Aktivität an Vereine (z.B. Sport- oder Kulturverein), Verbände oder Organisationen (Wohlfahrtsverbände, z. B. das Deutsche Rote Kreuz) gebunden und wird oftmals über einen festgelegten Zeitraum ausgeübt (Backes 2011, S. 66 f.). Im Vergleich zum herkömmlichen Engagement spiegelt der Begriff „Neues Ehrenamt“ strukturelle Weiterentwicklungen wieder. In Abgrenzung zum traditionell verstandenen Ehrenamt liegen weder ein klassisches Amt noch eine ehrenhafte Tätigkeit vor. Ehrenamtliche handeln hier nicht nur zum Wohl der Allgemeinheit, sondern auch individuelle Motive können der Antrieb sein (Igl et al. 2002, S. 30). Nach der Enquête-Kommission des Deutschen Bundestags verfolgen die neuen Ehrenamtsformen des bürgerschaftlichen Engagements eher das Prinzip der Selbsthilfe, beispielsweise in Selbsthilfegruppen oder Initiativen. Somit unterstützen sie die Umsetzung von Eigeninteressen (Pfau-Effinger; Schmidt 2002, S. 70). Die prominentesten Begriffe sind laut Freiwilligensurvey „Freiwilligenarbeit“ sowie „Ehrenamt“. Dies zeigt, dass das eher traditionelle Begriffsverständnis in der Zielgruppe überwiegt, bei dem individuelle Motive eher eine untergeordnete Rolle des Antriebs spielen und es wenig flexiblen Rahmenbedingungen gibt. Im Kontext der Pluralität der Begriffe bzw. den damit verbundenen Bedeutungsschwerpunkten umfasst „Ehrenamt“ im Rahmen des Projekts „Einsamkeit und Ehrenamt im Alter“ grundsätzlich freiwillige und frei wählbare Aktivitäten, die innerhalb eines breiten Spektrums an verschiedenen Engagementformen und -bereichen stattfinden (angelehnt an Dinges 2009, S. 13). Im Zusammenhang mit dem „Alter“ werden dabei informelle Aktivitäten eingeschlossen, da im Alter persönliche Beziehungen im Kreis von Freunden, Bekannten und Nachbarn, deren Inhalte häufig konkrete Hilfeleistungen sind, eine wichtige Rolle bei der gesellschaftlichen Teilhabe spielen (vgl. dazu Dathe 2011, S. 52). Der Begriff „Einsamkeit im Alter“ wird im Rahmen des Projekts als negatives Phänomen aufgefasst, als subjektives Mangelgefühl an sozialen Beziehungen im Sinne sozialer und emotionaler Einsamkeit. Fälschlicherweise werden Einsamkeit und Isolation in der Literatur des Öfteren synonym verwendet. Einsamkeit wird subjektiv wahrgenommen; Isolation hingegen ist ein objektiver Zustand und entsprechend messbar. Jedoch resultiert Isolation nicht zwangsläufig aus Einsamkeit und auch nicht umgekehrt (Bannwitz 2009, S. 5). Das Vorhandensein und die individuelle Interpretation der Sozialbeziehungen sowie die Integration in Netzwerke bedingen jedoch die Entstehung und den Umfang von Einsamkeitsgefühlen. In diesem Zusammenhang wird im Rahmen des Projekts der Stellenwert des Übergangs in den Ruhestand hinterfragt, da der Ruhestand meist den Verlust eines vertrauten Netzwerks 45-49 Lissy_Layout 1 11.03.2014 10:48 Seite 47 ALTER und der Rolle darin impliziert. Das Alter wird als Zeitabschnitt der dritten Lebensphase eines Menschen aufgefasst, die mit dem Übergang in den Ruhestand verbunden ist; sie dient in diesem Projekt als Eingrenzungskriterium zur Festlegung der Zielgruppe. 3 Methodik Da freiwillige Engagementaktivitäten in der Übergangsphase von der Erwerbstätigkeit in den Ruhestand einen aussichtsreichen Ansatz zur Vermeidung von Einsamkeit im Alter darstellen könnten, wurden in den ausgewählten Modellregionen für Menschen in dieser Phase sowohl Engagementangebote als auch Zielgruppenspezifika untersucht. Die wissenschaftliche Begleitung des Projekts hat zwei Analysepakete entwickelt und gemeinsam mit den Modellregionen durchgeführt. keiten von Personen im Übergang von der Erwerbstätigkeit in den Ruhestand wurden bezüglich ihres Engagements sowie ihrer empfundenen Einsamkeit erfragt. Zur Selbsteinschätzung der empfundenen Einsamkeit wurde eine bereits erprobte deutsche Übersetzung der UCLA-Skala mit 18 Items verwendet, die die Begriffe „Einsamkeit“ und „einsam“ bewusst nicht verwendet (Windisch; Kniel 1988, S. 384 f.). Anhand von 18 Aussagen schätzen die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Befragung das Ausmaß ein, inwieweit die jeweilige Aussage zum Befragungszeitpunkt auf sie zutrifft – von „nie“ bis „immer“. In der Auswertung konnte so für jede teilnehmende Person ein Einsamkeitswert bestimmt werden, der zur Auswertung einem von insgesamt vier Einsamkeitsbereichen zugeordnet wurde: 1. sehr gering, 2. gering, 3. erhöht, 4. sehr hoch. 4 Ergebnisse 3.1 Identifizierung und Analyse der Engagementangebote Zunächst wurde, im ersten Analysepaket, für die Zielgruppe in den Modellregionen die Angebotsseite für mögliches Engagement von Menschen in der Übergangsphase von der Erwerbstätigkeit in den Ruhestand untersucht. Dazu erfolgte, um eine Tiefenanalyse von Best-Practice-Beispielen mit einer nachvollziehbar vergleichbaren Stichprobe zu ermöglichen, in allen ausgewählten Modellregionen zunächst eine Bestandsaufnahme existierender Informations- und Hilfsangebote. Mit deren Ergebnissen wurde eine Nutzwertanalyse durchgeführt. Die so generierte Stichprobe an Angeboten bot die Basis für die Tiefenanalyse von Best-Practice-Beispielen mithilfe von leitfadengestützten Experteninterviews. 3.2 Analyse der Zielgruppenspezifika In den Modellregionen wurde, als zweites Analysepaket, eine schriftliche Befragung von Menschen in der Phase des Übergangs von der Erwerbstätigkeit in den Ruhestand zu thematisch relevanten Zielgruppenspezifika durchgeführt. Die Verteilung der Fragebögen erfolgte über je ein ansässiges produzierendes Unternehmen und eine soziale Einrichtung pro Modellregion. Grundsätzlich wurde der Übergang in den Ruhestand dabei als Einstieg in die Lebensphase „Alter“ aufgefasst – gleichwohl als wichtiges persönliches Ereignis, das mit einer neuen Rolle bzw. durch eine neue persönliche Situation gekennzeichnet ist (Burzan 2008, S. 50). Auch wenn die Altersgrenze für den Ruhestand derzeit durch verschiedene Vorruhestandsprogramme, ansteigende Arbeitslosigkeit im Alter und Frühverrentung verschwimmt, wurde das Renteneintrittsalter bei 65 Jahren für Männer und Frauen angenommen (vgl. dazu Rehner 2009, S. 42). Der Fokus der Befragung lag auf Merkmalen, die die Beziehung zwischen Engagement und Einsamkeit unter Berücksichtigung des Lebensphasenübergangs von der Erwerbstätigkeit in den Ruhestand betreffen. Entsprechende spezifische Ausgangslagen und Möglich- Im Folgenden werden die Ergebnisse der Bestandsaufnahme und Tiefenanalyse sowie die analysierten Zielgruppenspezifika dargestellt. 4.1. Informations- und Hilfeangebote Die Anzahl der jeweils in den Modellregionen identifizierten Informations- und Hilfeangebote reichte von 104 Angeboten in Osnabrück über 198 Angebote in Göttingen bis zu 241 Angeboten in Papenburg. Spezielle Engagementmöglichkeiten für Menschen im Übergang von der Erwerbstätigkeit in den Ruhestand konnten unter den insgesamt 543 identifizierten Angeboten kaum festgestellt werden. Vielmehr war das Spektrum an Engagementmöglichkeiten in den beteiligten Modellregionen stark ausdifferenziert. In Papenburg und Göttingen lag der Schwerpunkt auf „Vereinen“ und dabei besonders im Engagementbereich „Sport und Bewegung“. In der Modellregion Osnabrück hingegen verteilten sich die ermittelten Informations- und Hilfsangebote auf unterschiedliche Bereiche: Die Engagementform „Vereine“ im Bereich „Kultur und Musik“ war ebenso wie die Engagementform „Verbände“ im „Sozialen Bereich“ am häufigsten vertreten. Zur Quantifizierung des jeweiligen Nutzwertes der aufgenommenen Informations- und Hilfeangebote in den Modellregionen wurden Best-Practise-Kriterien festgelegt: Die Angebote wurden einheitlich hinsichtlich der Nachhaltigkeit des Erfolgs, der Messbarkeit der Ergebnisse, des Innovationsgrades sowie der Wiederholbarkeit bewertet. Auffällig waren dabei durchweg niedrige Bewertungen bei dem Kriterium der Messbarkeit der Ergebnisse, da nur sehr selten eindeutige Zielformulierungen bei den Anbietern vorlagen. Die Tiefenanalyse der elf systematisch identifizierten Best-Practice-Beispiele lieferte ebenfalls Hinweise auf Verbesserungspotenziale bei der Zielorientierung der Informations- und Hilfeangebote. Dies gilt v. a. bei der Berücksichtigung der Zieldimension „Vermeidung von Einsamkeit“, die bei den Best-Practice Angeboten praktisch keine Rolle spielte. HuW 1/2014 47 45-49 Lissy_Layout 1 11.03.2014 10:48 Seite 48 JOHANNES BEHNEN, ANNIKA LAUKAMP, ELISABETH LEICHT-ECKARDT 4.2 Zielgruppenbefragung Die Erhebung von Zielgruppenspezifika in den drei Modellregionen zeigte anhand des Datenmaterials (544 postalisch versendete Fragebögen, Rücklaufquote 32,2 Prozent) vergleichbare Verhältnisse in den beteiligten Modellregionen, z. B. was die Einschätzung der Gesundheit und (Aus-)Bildung angeht. Die Verteilung von Männern und Frauen war in den Modellregionen sehr unterschiedlich, was auf die unterschiedliche Anzahl befragter Personen im produzierenden Gewerbe und in den dienstleistenden Institutionen zurückzuführen ist. Bei der Betrachtung der Altersgruppen der Stichprobe wurde ersichtlich, dass im Rahmen der Befragung in der Modellregion Osnabrück keine Person über 65 Jahre teilgenommen hat. Dafür war hier die Altersgruppe der unter 64-Jährigen deutlich stärker vertreten als in den anderen beiden Modellregionen Göttingen und Papenburg. In Bezug auf das durchschnittliche Alter der Befragten in den Modellregionen bestanden keine statistisch signifikanten Unterschiede. Hoch signifikant waren die Unterschiede in Bezug auf die Anzahl der Kinder und Enkelkinder in den Modellregionen: Die befragten Personen in Papenburg haben deutlich mehr Kinder bzw. Enkelkinder als die Befragten in den anderen beiden Modellregionen. Allen Modellregionen gemeinsam war, dass der Hauptschulabschluss als höchster schulischer Bildungsabschluss am häufigsten genannt wurde. In Göttingen fiel auf, dass der Anteil der befragten Personen mit Abitur deutlich höher lag als in den anderen Modellregionen. Der am häufigsten vorkommende höchste Ausbildungsabschluss unter den Befragten war in allen drei Modellregionen die Berufsausbildung. Entsprechend dem häufiger vorkommenden Abitur bei den Befragten in Göttingen war der Hochschulabschluss unter den Befragten in Göttingen als höchster Ausbildungsabschluss deutlich häufiger vertreten, als in den anderen Modellregionen. Neben den Unterschieden bei den Bildungsabschlüssen zeigten sich bei der Summe aller Nettoeinkünfte ebenfalls deutliche Unterschiede. In Göttingen und Osnabrück ist unter den Befragten die Ausprägung von „1500 Euro bis unter 2000 Euro“ Nettoeinkommen pro Person und Monat am stärksten vertreten. In Papenburg liegt die am häufigsten genannte Ausprägung („500 Euro bis 1000 Euro“) deutlich darunter. In Bezug auf die Anbindung an den ÖPNV am Wohnort bestehen hoch signifikante Unterschiede zwischen den Modellregionen: In Papenburg bewerteten über die Hälfte der Befragten die Anbindung an den ÖPNV als schlecht oder sogar sehr schlecht. Im Gegensatz dazu wurde die Anbindung in Göttingen und Osnabrück größtenteils mit gut oder sogar sehr gut bewertet. Die Beurteilung der allgemeinen Infrastruktur am Wohnort war zum Teil ebenfalls sehr unterschiedlich. Zwischen den Modellregionen Papenburg und Osnabrück gab es signifikante Unterschiede: Die Infrastruktur wurde von den Befragten in Papenburg deutlich schlechter beurteilt als in Os- 48 HuW 1/2014 nabrück. In Göttingen wurde sie mit über 50 Prozent am häufigsten gut oder sehr gut eingeschätzt. 4.2.1 Ehrenamt Das gegenwärtige Engagement der Befragten war in allen Modellregionen mit über 60 Prozent sehr stark ausgeprägt, wobei in Osnabrück im Gegensatz zu den anderen Modellregionen das formelle Engagement stärker vertreten war und das informelle dafür im Vergleich etwas geringer. Bei den Befragten, die sich nicht engagieren, variierten die angegebenen Hinderungsgründe recht stark: In Göttingen gaben die Befragten am häufigsten an, dass sie lieber für einen guten Zweck spenden, die Befragten in Papenburg nannten gesundheitliche Probleme und in Osnabrück wurde zu wenig Zeit als häufigste Antwort angegeben. Als Hauptmotiv für ein Engagement war bei den Engagierten in allen Regionen die „soziale Verantwortung“ hervorstechend. Am wenigsten bedeutend in Bezug auf die Motivation, sich zu engagieren, war in allen Modellregionen die „soziale Beeinflussung“, also das Ausmaß, in dem das soziale Umfeld die eigenen Engagementaktivitäten beeinflusst. Die häufigsten freiwilligen Aktivitäten im Sinnes eines Engagements fanden – wie die Ergebnisse der Bestandsaufnahme ebenfalls zeigten – in allen drei Modellregionen in der Engagementform „Vereine“ statt. Hoch signifikanten Unterschied zwischen den Modellregionen gab es bezüglich der Häufigkeit des Engagements in der Form Kirche/religiöse Vereinigungen, das in Papenburg besonders häufig stattfindet. Ebenfalls analog zu den Ergebnissen der Bestandsaufnahme war der am stärksten vertretene Engagementbereich bei der Befragung in Papenburg der „Soziale Bereich“. In den anderen beiden Modellregionen fand in diesem Bereich deutlich weniger Engagement statt 4.2.2 Einsamkeit Bei der empfundenen Einsamkeit (18 Items der UCLA-Skala) konnten keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich eines Vergleichs der Modellregionen oder des Geschlechts festgestellt werden. In allen drei Modellregionen erzielten mehr als 85 Prozent der Teilnehmenden der Befragung geringe Einsamkeitswerte auf der verwendeten Selbsteinschätzungsskala, d. h., sie schätzen sich selber zum Zeitpunkt der Befragung als wenig einsam ein. Weder in Papenburg noch in Osnabrück waren, im Gegensatz zu Göttingen, Personen unter den Befragten, die sich besonders stark einsam gefühlt haben oder die sich besonders schwach einsam gefühlt haben. 4.2.3 Zusammenhänge von Einsamkeit und Ehrenamt Ein Vergleich der empfundenen Einsamkeit bei den Teilnehmenden, die sich zum Zeitpunkt der Befragung engagierten (N = 125) und denen, die sich nicht engagierten (N = 44) zeigte, 45-49 Lissy_Layout 1 11.03.2014 10:48 Seite 49 ALTER dass von den nicht engagierten Personen etwas mehr als 80 Prozent ihre Einsamkeit als gering einschätzten, und bei den engagierten lag der Anteil bei fast 90 Prozent. Daraus wird deutlich, dass der Anteil der Personen, die ihre Einsamkeit als gering einschätzten, bei den ehrenamtlich engagierten Teilnehmenden fast zehn Prozent höher war als bei nicht engagierten. 5 Fazit Die in den drei Modellregionen durchgeführten Analysen haben einen Einblick in das komplexe soziale Themenfeld „Einsamkeit und Ehrenamt im Alter“ für die Zielgruppe „Menschen in der Übergangsphase von der Erwerbstätigkeit in den Ruhestand“ geliefert. Unter Berücksichtigung der Verschiedenartigkeit der Modellregionen sowie einer entsprechend pragmatisch gezogenen Stichprobe wurde eine geeignete Datenbasis geschaffen, die Hinweise für die Ableitung von Handlungsempfehlungen für Angebote des ehrenamtlichen Engagements erlaubt. Regional verankerte Zugänge zu dem Feld „Engagement“ sind hilfreich bei der Vermittlung und Förderung eines Engagementinteresses bei der Zielgruppe, können aber nicht jedes Bedürfnis befriedigen. Angesicht des breiten Spektrums an Engagementmöglichkeiten sind systematische Informationen zur Orientierung für Menschen, die sich engagieren möchten, hilfreich. In den von den Modellregionen erfassten Angeboten fehlen häufig klare und angemessen kommunizierte Ziele. Eine verbesserte Zielformulierung und transparentere Kommunikation von Seiten der Anbieter wäre für (potenziell) Interessierte ebenso wichtig wie für eine systematische Evaluierung und Qualitätssicherung. „Voneinander lernen“ könnte verborgene Potenziale auf und zwischen unterschiedlichen Ebenen (Vermittler, Anbieter, Arbeitgeber, Engagierte) mobilisieren. Ferner sollten Anbieter im Rahmen ihrer lokalen oder regionalen Vernetzung spezielle Aufforderungen an diejenigen Personen richten, die in ihrem Umfeld Menschen kennen, die einsam sind (z. B. Besuchsdienste in Zusammenarbeit mit Anbietern häuslicher Pflege). Der Stellenwert des Alters im Rahmen von „Einsamkeit im Alter“ hängt von den individuellen Voraussetzungen der Personen ab. Aus dem Vergleich der drei unterschiedlichen Modellregionen kann durch diese Studie abgeleitet werden, dass es einen besonders hohen Stellenwert von Engagementaktivitäten und deren Vernetzungsbedarf im unmittelbaren bzw. nahen Wohnumfeld für an Engagement interessierte Personen gibt. Insbesondere Einflussfaktoren wie ÖPNV und allgemeine Infrastruktur stellen in diesem Zusammenhang aber Barrieren dar, die zum einen bewusst gemacht, zum anderen möglichst beseitigt werden sollten. Bannwitz, J. (2009): Emotionale und soziale Einsamkeit – Eine empirische Analyse mit dem Alterssurvey 2002. 2009. http://www.dza.de/fileadmin/dza/pdf/Bannwitz_Emotionale_und_soziale_Einsamkeit_im_Alter.p df. Zugriff am 23.11.2012 Burzan, N. (2008): Quantitative Forschung in der Sozialstrukturanalyse. Anwendungsbeispiele aus methodischer Perspektive. Wiesbaden Dathe, D. (2011): Engagement: Unbegrenzte Ressource für die Zivilgesellschaft. In: Priller E., Alscher A., Dathe D., Speth R. (Hrsg.): Zivilengagement – Herausforderungen für Gesellschaft, Politik und Wissenschaft. Münster: Lit Verlag, S. 41-55 Dinges, S. (Hrsg.) (2009): Freiwillige dringend gesucht: Ehrenamtliches Engagement in Altenpflegeheimen. Hannover Igl, G.; Jachmann, M.; Eichenhofer, E. (2002): Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement im Recht – ein Ratgeber. Opladen Petrich, D. (2011): Einsamkeit im Alter – Notwendigkeit und (ungenutzte) Möglichkeiten Sozialer Arbeit mit allein lebenden alten Menschen in unserer Gesellschaft, Jenaer Schriften zur Sozialwissenschaft Band Nr. 6. Jena Pfau-Effinger, B.; Schmidt, T. (2002): Bürgerschaftliches Engagement, Wandel im Geschlechter-Arrangement und neue Anforderungen im Bereich der sozialen Dienstleistungen, In: Deutscher Bundestag (Hrsg.): Bürgerschaftliches Engagement und Erwerbsarbeit, Opladen, S. 69-82 Rehner, A. (2009): Gesundheitsbezogene Lebensqualität und soziale Eingebundenheit älterer Menschen im Bezirk Berlin Mitte Konzeptualisierung und Durchführung einer quantitativen Befragung . 2009. http://www.berlin.de/imperia/md/content/bamitte/publikationen/ges/publ_gf_gbe_rehner.pdf?start&ts=1268393556&file=publ_gf_gbe_rehner.pdf. Zugriff am 20.03.2012 Wallraff, B. (Hrsg.) (2010): Professionelles Management von Ehrenamtlichen: Eine empirische Studie am Beispiel von Greenpeace Deutschland. Opladen Windisch, M.; Kniel, A. (1988): Zur Messung von Einsamkeit und sozialer Abhängigkeit behinderter Menschen, Ergebnisse einer Reliabilitäts- und Validitätsanalyse, Zeitschrift für Soziologie, Jg. 17, Heft Oktober 1988, S. 382-389 M.A. Johannes Behnen [email protected] B. Sc. Annika Laukamp [email protected] Prof. Dr. Elisabeth Leicht-Eckardt [email protected] Hochschule Osnabrück Postfach 1940 49009 Osnabrück Der Abschlussbericht des Projektes ist verfügbar unter http://www.ms.niedersachsen.de/aktuelles/presseinformationen/sozialministerin-cornelia-rundt-ehrenamtliches-engagement-hilft-gegen-einsamkeit--118608.html Quellen Backes, G. M. (2011): Geschlechterdifferenz im Engagement. In: Olk, T.; Hartnuss, B. (Hrsg.): Handbuch Bürgerschaftliches Engagement. Weinheim u.a. 2011, S. 65-75 HuW 1/2014 49 50 Temine,_Layout 1 11.03.2014 09:26 Seite 6 TERMINE APRIL 2014 3. Mönchengladbacher Symposium für Gesunde Arbeit Arbeit nimmt einen immer größer werdenden Part in unserem Leben ein. Längere Arbeitszeiten und kontinuierlich zunehmende physische und psychische Belastungen sind Ausdruck dieser Entwicklung. Was sind die Ursachen hierfür? Wie kann betriebliche Gesundheitsförderung Auswege aus dem Belastungsdilemma aufzeigen? Wie kann die Gesundheit der Beschäftigten und ihr Bewegungsverhalten effektiv gefördert werden? Antworten will das „3. Mönchengladbacher Symposium für Gesunde Arbeit“ liefern, das dieses Jahr unter dem Motto „Schritt für Schritt gesund und fit“ steht. Veranstalter ist der Fachbereich Oecotrophologie der Hochschule Niederrhein in Kooperation mit dem REFA-Bezirksverband Mittlerer Niederrhein e.V., der AOK Rheinland/Hamburg und dem Institut für Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF). Das Symposium findet am Freitag, 4. April 2014, in der Hochschule Niederrhein von 9.30 bis ca. 16.30 Uhr statt (Webschulstraße 39, 41065 Mönchengladbach, Gebäude S, 3. Obergeschoss) und kostet 185 Euro zzgl. MwSt. (inkl. Verpflegung). Bei Anmeldung von zwei Personen 20 Prozent Ermäßigung für die zweite Person, bei drei Personen 30 Prozent Ermäßigung für die zweite und dritte Person. Bei vier Personen ist die vierte Anmeldung frei. Liebe Leserin, lieber Leser, die Seite „Termine” soll Ihrer längerfristigen Planung dienen. Damit dies möglich ist, bitten wir alle Veranstalter und Organisatoren, uns ihre Termine frühzeitig mit einer Mail mitzuteilen: [email protected]. Der nächste Redaktionsschluss ist am 02. Mai 2014. Das Heft erscheint im Juni. Themen sind: ■ Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) – betrieblicher Luxusartikel oder ökonomische Notwendigkeit? (Gregor Mertens, Institut für Betriebliche Gesundheitsförderung) ■ Individuelle BGM-Konzepte = höhere Mitarbeitermotivation? Praktische Erfahrungen eines Gesundheitsdienstleisters (Anke Stauch und Christiane Clauss, Salvea Krefeld/Lust auf Gesundheit) ■ Warum Spazierengehen nicht nur sonntags gut tut! (Dr. Sabine Puhl, Puhl bewegt/Coaching und Gesundheitsberatung) ■ Wie Sie einfach und effektiv die Gesundheit Ihrer Mitarbeiter fördern können (Prof. Dr. Ingo Froböse, Sporthochschule Köln) ■ Mehr Bewegung ins Unternehmen – Ausbildung von Bewegungs-Scouts“, Produktvorstellung und Erfahrungsbe- richt (Gregor Mertens und Günter Roggenkamp, Deutsche Rentenversicherung Rheinland) ■ Heute schon gelobt? Guter Chef tut gut (Iris Dohmen, TÜV Rheinland) ■ Praxisbeispiel Gesunde Führung – die Mühe lohnt sich! (Michael Müller, Lackwerke Peters, Kempen) ■ Zusammenfassung und Ausblick: Fit und entspannt in den Feierabend (Dr. Sabine Puhl) Weitere Infos/Anmeldung: REFA BV Mittlerer Niederrhein, Kaiserstraße 41, 41061 Mönchengladbach, Telefon 02161/ 92689 - 16, Telefax 02161/ 92689 - 30, Mail: [email protected] SEPTEMBER 2014 Versorgung im ländlichen Raum Der Fachausschuss der dgh „Haushalt und Wohnen“ veranstaltet am Mittwoch, 10., und Donnerstag, 11. September 2014 (Anreise: 9. September), seine 10. Fachtagung, Ort ist Görlitz. Der Arbeitstitel lautet „Versorgung im ländlichen Raum“. Am Donnerstag stehen Exkursionen auf dem Programm. Erwartet werden auch Kolleginnen und Kollegen aus Polen. Informationen: Barbara Freytag-Leyer, Hochschule Fulda, Fachbereich Oecotrophologie, Tel. +49-(0)661/9640-355 E-Mail: barbara.freytag-leyer@ he.hs-fulda.de Zu guter Letzt: Vitalität mit der HuW Fachzeitschriften sollen ertüchtigen – das ist sozusagen ihr Daseinszweck. Das gilt natürlich auch für die HAUSWIRTSCHAFT UND WISSENSCHAFT. Bei ihr könnte allerdings neben dem Inhalt noch etwas anderes Kräfte verleihen: die Farbe. Das „HuW-Rot“ besteht nämlich zu 100 Prozent aus der Farbe Magenta (mit einer kleinen Beimischung von Gelb). Zu Magenta schreibt Ingrid Kraaz von Rohr in ihrem Büchlein „Meine tägliche Farbe zur Stärkung der Persönlichkeit“ Folgendes: „Magenta hilft immer da, wo Lebenskraft zu wenig wird. Es vitalisiert die körperlichen Kräfte und lässt Ihr Gefühlsleben wieder aufleben.“ Ingrid Kraaz von Rohr arbeitet nach eigenen Angaben seit vielen Jahren in der Erfahrungsmedizin und Naturheilkunde und als Autorin, viele ihrer Publikationen drehen sich um Farben (http://www.ingridkraazvonrohr.de/ person.html, 10.03.2014). Zu dem genannten Buch gibt es Farbkarten. Entspannt soll man eine der verdeckten Karten ziehen. Die so ausgewählte Farbe kann und soll dann den Tag dominieren, zum Beispiel über die Kleidung und in der Ernährung. Der Rezeptvorschlag zu Magenta? Rote Grütze mit Sahne. Guten Appetit und gute Lektüre wünscht Ihre HuW-Redaktion. Quelle: Ingrid Kraaz von Rohr (2008): Meine tägliche Farbe zur Stärkung der Persönlichkeit. Krummwisch bei Kiel (Set: Buch und Karten) 50 HuW 1/2014 51 U3_Editorial 11.03.2014 10:58 Seite 155 Wäschepflege in sozialen Einrichtungen Die Leitlinie richtet sich an soziale Einrichtungen, in denen Wäsche gewaschen wird (ausgenommen Krankenhäuser). Der neue und eigenständige Ansatz liegt darin, dass die Wäscheversorgung in sozialen Einrichtungen konsequent an den Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer ausgerichtet wird. Die Mitarbeitenden werden somit unterstützt, die Qualität der Wäscheversorgung nutzerorientiert und rechtlich abgesichert zu erbringen. Die Voraussetzungen hierfür werden praxis- und handlungsorientiert erläutert, Umsetzungsmöglichkeiten in den Einrichtungen werden aufgezeigt. – Informationen zu dem Buch erhalten Sie unter http://www.lambertus.de/de/shop-details/waeschepflege-in-sozialen-einrichtungen,1085.html Deutscher Caritasverband (Hrsg.), Deutsche Gesellschaft für Hauswirtschaft e.V. (Hrsg.), Diakonie Deutschland (Hrsg.) Wäschepflege in sozialen Einrichtungen Leitlinie für das Wäschemanagement ISBN 978-3-7841-2097-3 1. Auflage, Juli 2013, Kartoniert/Broschiert, 156 Seiten mit zahlreichen Abbildungen Lambertus-Verlag, Freiburg, 19,90 € HuW 1/2014 51 52 U4_Layout 1 11.03.2014 11:13 Seite 52 ► Was hat Hauswirtschaft mit Betreuung zu tun? ► Wie kann Hauswirtschaft einen Beitrag zur Befähigung von Menschen mit Hilfebedarf leisten? ► Wie und was kann Hauswirtschaft zur Weiterentwicklung von sozialen Organisationen beitragen? Antworten darauf gibt die neue Veröffentlichung der Deutschen Gesellschaft für Hauswirtschaft (dgh), in der konzeptionelle Grundlagen der hauswirtschaftlichen Betreuung differenziert und systematisch entwickelt werden. Für die Hauswirtschaft ist damit ein eigenständiger Handlungsansatz für die Arbeit alltags- und lebensweltbezogener Wohn- und Betreuungsformen beschrieben. Hauswirtschaftliche Betreuung hat jetzt ein Konzept! Angesprochen werden Akteure/innen in der Hauswirtschaft ebenso wie Leitungsverantwortliche sozialer Einrichtungen und Schnittstellenpartner/innen z. B. aus Pflege oder Pädagogik. Die Veröffentlichung steht in zwei Versionen zur Verfügung ► Kostenfrei als Download auf den Internetseiten der dgh unter www.dghev.de ► In gedruckter Form zum Preis von 15,- Euro zzgl. Versandkosten über die Geschäftsstelle der Deutschen Gesellschaft für Hauswirtschaft – Geschäftsstelle Hafenstr. 9, 48432 Rheine Fax: 0 59 71/800 74 09; E-Mail: [email protected], www.dghev.de