Zelluläre Fertigungsstrassen für die Bausteine des Lebens (PDF, 5

Werbung
Zelluläre Fertigungsstrassen für die Bausteine des Lebens
Dr. Jan Marienhagen
Mit unserer täglichen Nahrung sind wir Menschen gezwungen eine Vielzahl von Vitaminen
und Mineralstoffen aufzunehmen, die unser Körper nicht selber herstellen kann. Dies trifft
auch auf acht der zwanzig Aminosäuren zu, die aus diesem Grunde auch oft als „essentielle
Aminosäuren“ bezeichnet werden. Obwohl eine ausreichende Aufnahme dieser Aminosäuren
bei einer ausgewogenen Ernährung kein Problem darstellt, können spezielle Diäten oder
Krankheiten eine gezielte Zufuhr erforderlich machen. Für uns und alle anderen Lebewesen
sind Aminosäuren von größter Bedeutung, da sie die Grundeinheiten der Proteine darstellen.
Diese sind an nahezu allen biologischen Prozessen im Körper beteiligt. So wird z. B. der
Sauerstoff im Blut durch das Protein Hämoglobin transportiert, Haut und Knochen durch das
Protein Kollagen zugbelastbar gemacht, oder die Immunabwehr durch Antikörperproteine
unterstützt. Trotz dieser unterschiedlichsten Aufgaben, die Proteine erfüllen müssen werden
sie aus einem Satz von nur zwanzig Aminosäuren perlenkettenartig zusammengesetzt
(Abbildung 1).
Abb. 1 Einzelne Aminosäuren, hier als farbige Kugeln dargestellt, werden in der Zelle zu
Proteinen zusammengefügt. Die Abfolge der Bausteine ist für jedes Protein
spezifisch und bestimmt Struktur und Funktion.
1
Die besonderen Eigenschaften jedes Proteins werden durch die jeweilige Proteinstruktur
bestimmt, die direkt auf die Abfolge der einzelnen Bausteine zurückgeführt werden kann.
Wegen ihrer zentralen Bedeutung für alle Lebewesen werden Aminosäuren auch sehr treffend
als Bausteine des Lebens bezeichnet.
Zellen als Fabriken für die industrielle Aminosäureproduktion
Aminosäuren werden nicht nur von der Pharmaindustrie für die Herstellung spezieller
Nahrungsmittel und Medikamente benötigt, sondern auch Tierfutter zugesetzt oder finden als
Bausteine in der chemischen Industrie eine Anwendung. Für diese Zwecke werden
Aminosäuren heute in einer Menge von vielen tausend Tonnen pro Jahr hergestellt. Dies
geschieht hauptsächlich mit dem Bakterium Corynebacterium glutamicum, das Aminosäuren
ähnlich wie eine Fabrik produzieren kann. Die Bakterien nehmen Nahrungsstoffe auf, und
formen diese in Synthesewegen wie auf einer industriellen Fertigungsstraße zu den
Aminosäuren um (Abbildung 2).
Abb. 2
Die Synthese von Aminosäuren (hier Alanin und Valin) kann man sehr gut mit
industriellen Fertigungsstraßen wie z. B. denen der Autoindustrie vergleichen.
2
Während in der Fabrik aus Rohmaterialen, wie Blechen und Kunststoffen durch den Einsatz
von Robotern schließlich das Auto entsteht, werden in den Bakterienzellen aus dem Rohstoff
Zucker durch Enzyme schrittweise die Aminosäuren synthetisiert. Enzyme lassen sich
tatsächlich sehr gut mit Robotern in der industriellen Produktion vergleichen, da jedes der
beteiligten Enzyme an der Fertigungsstrasse einen ganz spezifischen „Handgriff“ verrichtet
bevor das nächste Enzym das entstandene Produkt übernimmt und den darauf folgenden
Schritt zum weiteren Aufbau der Aminosäure durchführt.
Den letzten Schritt in der bakteriellen Aminosäureproduktion übernehmen in der Regel so
genannte Aminotransferasen. Obwohl die Identität der meisten Enzyme in den
Synthesewegen gut aufgeklärt ist, ist die Gruppe der Aminotransferasen vergleichsweise
schlecht untersucht. Grund dafür ist, dass diese Enzyme oft in vielen Synthesewegen
gleichzeitig ihre Arbeit verrichten können und daher ihre Aufgabenbereiche stark überlappen.
Daher kann einzelnen Aminotransferasen nur sehr schwer eine bestimmte Funktion
zugeordnet werden.
Wegen der großen wirtschaftlichen Bedeutung von Aminosäuren, besteht natürlich ein großes
Interesse die Synthesewege in C. glutamicum ständig zu verbessern. Genau dafür könnte sich
die genaue Kenntnis von Zahl und Aufgabenbereich der Aminotransferasen in C. glutamicum
sehr gut nutzen lassen.
Doch wie kann ein Forscher die verschiedenen Aminotransferaseaktivitäten in C. glutamicum
verstehen und auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse die Aminosäureproduktion mit diesen
Bakterien verbessern?
Als Analyst in der Verwaltung der Bakterienzelle
Um mehr über diese Enzyme in C. glutamicum zu erfahren, muss der Forscher gleichsam in
die Rolle eines externen Unternehmensberaters schlüpfen, der die Produktion einer Fabrik
3
effizienter machen soll. Ein solcher Berater muss auch die Abläufe in einer Firma zuerst
verstehen, damit er diese schließlich verbessern kann. Seine ersten Schritte würden ihn
sicherlich in die Verwaltung der Fabrik führen, um mehr Informationen über die in der
Fertigungsstraße eingesetzten Roboter zu erhalten. Analog dazu führte auch der erste Weg
zum Verständnis der Aminotransferasen direkt in die Schaltzentrale und Verwaltung von C.
glutamicum: Das Genom. Dort sind die Baupläne aller Proteine, die für den Bau und den
Erhalt des Bakteriums notwendig sind, in Form von DNS (Desoxyribonukleinsäure) quasi
„schriftlich“ gespeichert. Bei Bedarf können diese als Gene bezeichneten Baupläne von der
Bakterienzelle abgelesen und zum Bau von Proteinen verwendet werden. Im Genom von C.
glutamicum sind 3009 Gene hinterlegt, deren Identität in vielen Fällen aber noch vollkommen
ungeklärt ist. Da Proteine mit ähnlicher Funktion jedoch in der Regel auch ähnliche Baupläne
haben, sind einige Genabschnitte als typisch für Aminotransferasen erkennbar.
Anhand solcher Ähnlichkeiten konnten 16 Gene im Genom von C. glutamicum identifiziert
werden, die für Aminotransferasen kodieren. Durch solche Analysen ist aber noch keine
eindeutige Aussage über die Funktion dieser Enzyme möglich, da sich Aminotransferasen
untereinander einfach zu wenig unterscheiden. Dies trifft in ähnlicher Form auch auf viele
Industrieroboter zu, die zwar oft über einen gleichen Grundaufbau verfügen, an der
Fertigungsstrasse aber durchaus verschiedene Werkzeuge benutzen können.
Jede Aminotransferase kommt einzeln auf den Prüfstand
Nur durch Tests mit isolierten Aminotransferase-Proteinen können diese Enzyme
charakterisiert werden, ohne dass die Aktivitäten anderer Aminotransferasen die gewonnenen
Erkenntnisse verfälschen. Dazu wurden alle 16 identifizierten Gene einzeln aus dem Genom
ausgelesen und in das entsprechende Protein übersetzt. Anschließend wurden die
Aminotransferasen getrennt voneinander unter definierten Bedingungen (Temperatur, pH-
4
Wert und Salzkonzentration) systematisch auf die Fähigkeit zur Bildung aller Aminosäuren
überprüft. Konnte die Synthese bestimmter Aminosäuren nachgewiesen werden, so ist die
betreffende Aminotransferase auch an deren Produktion in der Bakterienzelle beteiligt.
Auf diese Weise konnten zunächst fünf Aminotransferasen identifiziert werden, die zur
Synthese der für den Menschen essentiellen Aminosäuren nötig sind (Abbildung 3). Ihre
detaillierte Untersuchung zeigte, dass sich die Aufgabenbereiche einzelner Aminotransferasen
tatsächlich sehr stark überlappen. So ist zum Beispiel die Aminotransferase HisC an der
Synthese der Aminosäuren Histidin (His) und Glutamat (Glu) beteiligt (Abbildung 3). Dieses
Enzym ist also an zwei verschiedenen Fertigungsstrassen in C. glutamicum tätig.
Abb. 3 Überlappende Aminotransferaseaktivitäten
bei der Synthese der sechs essentielle Aminosäuren
zu deren Synthese solche Enzyme beitragen. Fast
alle dieser Aminotransferasen haben zusätzlich eine
Substratspezifität für Glutaminsäure (Glu).
Aminotransferasen: Rot: HisC; Grün: DapC; Blau: AroT;
Braun: AvtA; Gelb: IlvE
Aminosäuren: Ile: Isoleucin; Leu: Leucin: Val: Valin; Phe:
Phenylalanin; His: Histidin; Lys: Lysin
Einer Aminotransferase auf die „Finger“ geschaut
Wie ist es aber möglich, dass eine Aminotransferase wie HisC die zwei verschiedenen
Zwischenprodukte Histidinolphosphat und Ketoglutarat der Histidin- bzw. GlutaminsäureSynthese erkennen und verarbeiten kann? Der Berater in der Fabrik würde sich in diesem Fall
den Roboterarm mit seinem Werkzeug direkt anschauen. Genauso muss sich auch der
Wissenschaftler verhalten: Er studiert die Struktur der Aminotransferase und wirft einen
genauen Blick in das so genannte „aktive Zentrum“ des Enzyms, in dem die Substrate
umgesetzt werden.
5
Enzyme sind allerdings so klein, dass sie selbst mit modernsten Mikroskopen nicht einfach
sichtbar gemacht werden können. So besitzt eine durchschnittliche Aminotransferase eine
Größe von nur etwa 5 nm. Das ist lediglich der 50-millionste Teil eines Zentimeters. Würde
man ein Enzym auf die Länge eines Reiskorns (5 mm) bringen, müsste man einen Menschen
(1,75 m) relativ dazu 1.750 km groß machen. Um die Struktur solch kleiner Objekte
untersuchen zu können, müssen diese also indirekt sichtbar gemacht werden. Aus diesem
Grund wurde für die Aufklärung der HisC-Struktur eine Röntgenstrukturanalyse
durchgeführt, die vom Prinzip her wie ein Schattenspiel funktioniert. Die Proteine werden mit
sehr starken Röntgenstrahlen („Lichtquelle“) beschossen, die entsprechend der Position der
einzelnen Atome im Protein abgelenkt werden. Diese so „gestreuten“ Strahlen treffen auf eine
fotofilmähnliche Oberfläche („helle Wand“), wo ihr Muster registriert und abgespeichert
wird.
Als Voraussetzung für eine ausreichend starke Streuung der Röntgenstrahlen müssen viele
Proteinmoleküle in absolut gleicher Orientierung ähnlich einer Bienenwabe angeordnet
werden (Abbildung 4a).
Abb. 4
(a) Schematisch Anordnung von Proteinen in einem Proteinkristall; (b) HisCKristalle unter dem Mikroskop.
6
Um dies zu erreichen, wird einer wässrigen Proteinlösung zunächst sehr langsam das Wasser
entzogen. Wie bei der Salzgewinnung aus Meerwasser, wo das Wasser durch Einwirkung des
Sonnenlichts verdunstet und so das Salz auskristallisiert, bilden sich schließlich
Proteinkristalle. Für HisC gelang es mit Hilfe dieser Methode etwa 0,1 mm große Kristalle
wachsen zu lassen, die die Röntgenstrahlen optimal streuten (Abbildung 4b).
Nach Röntgenbestrahlung der HisC-Proteinkristalle und Aufnahme der Streuungsmuster
wurden die Informationen dieser zweidimensionalen Bilder mit Hilfe von Computern in ein
dreidimensionales Strukturmodell umgerechnet (Abbildung 5a). Bei Betrachtung des Modells
fallen sofort unterschiedlich lange Spiralen und flach gezogene Strukturen auf. Diese
α-Helices bzw. β-Faltblätter sind wichtige Struktur gebende Elemente, die Proteine
stabilisieren und das aktive Zentrum dieses zellulären Roboters vom umgebenden Medium
abschirmen. Diese Elemente entsprechen also dem Stützgerüst und der Verkleidung eines
Industrieroboters, die ihn für seine Arbeit auslegen bzw. vor Staub und Schmutz schützen.
Abb. 5
(a) Strukturmodell für die Aminotransferase HisC (violett: α-Helices, blau: βFaltblätter, orange: Histidin-Vorstufe Histidinolphosphat). (b) Vergrößerung des
aktiven Zentrums. Durch intermolekulare Wechselwirkungen (gestrichelte Linien)
mit Aminosäuren des Proteins (rot) wird Histidinolphosphat (orange) im aktiven
Zentrum erkannt und kann umgesetzt werden.
7
Wirft man einen Blick in das aktive Zentrum, so kann man die Substratbindestelle
untersuchen, die einer Roboterhand und dem dazugehörigen Werkzeug entspricht. Als
Voraussetzung
für
eine
Umsetzung
sorgen
hier
so
genannte
intermolekulare
Wechselwirkungen mit dem Protein dafür, dass die Substrate genau in der richtigen
Orientierung stabilisiert werden (Abbildung 5b). Der HisC-Roboter muss also den Werkstoff
erst richtig greifen bevor er ihn bearbeiten kann. Durch dieses Schlüssel-Schloss-Prinzip
ergibt sich die üblicherweise sehr hohe Selektivität bezüglich der Substratauswahl jedes
Enzyms.
Da die Aminotransferase HisC die beiden strukturell sehr unterschiedlichen Substrate
Histidinolphosphat und Ketoglutarat erkennen und weiterverarbeiten kann, muss es zur
Umorganisation im aktiven Zentrum des Enzyms kommen. Wird HisC in Gegenwart beider
Substrate unabhängig voneinander kristallisiert, so wird diese Veränderung auch im
Strukturmodell deutlich sichtbar (Abbildung 6).
(a)
Abb. 6
(b)
Histidinolphosphat (a) und Glutaminsäure (b) (jeweils rot) werden im aktiven
Zentrum von HisC über unterschiedliche intermolekulare Wechselwirkungen
(gestrichelte Linien) stabilisiert. Während einige Aminosäuren des Proteins mit
beiden Substraten interagieren (grün), treten andere Aminosäuren nach
Umorganisation im aktiven Zentrum jeweils nur mit einem Substrat in
Wechselwirkung (violett).
8
Dieser HisC-Roboter an den Fertigungsstraßen für Histidin und Glutamat verfügt also über
ein ungewöhnliches Werkzeug, das durch molekulare Umordnung im aktiven Zentrum zwei
sehr unterschiedliche Zwischenprodukte erkennen und umsetzen kann. Interessanterweise
passt sich das Schloss also dem jeweiligen Schlüssel an.
Metabolic engineering – Optimierung der Fertigungsstraße für maximale Effizienz
Wie lassen sich nun aber die gewonnenen Erkenntnisse über die Aminotransferasen zur
Verbesserung der Aminosäureproduktion in der C. glutamicum-Fabrik einsetzen? Der
Unternehmensberater würde wahrscheinlich auf Basis seiner Erkenntnisse mit Hilfe eines
Ingenieurs die Roboter an einer Fertigungsstraße neu organisieren um die Produktionsabläufe
zu optimieren. Dies ist auch einer der Ansätze, den Forscher zur Verbesserung von
Synthesewegen wählen können. Ein gutes Beispiel dafür ist die Modifikation von
C. glutamicum-Zellen zur erhöhten Produktion der Aminosäure Valin.
Bisher verwendete Zelllinien produzieren neben Valin auch noch die Aminosäure Alanin als
Nebenprodukt. Dies liegt daran, dass das Ausgangsmaterial Pyruvat sowohl für die
Fertigungsstrasse von Valin als auch für die von Alanin benötigt wird. (s. Abbildung 2). Im
Zuge der systematischen Untersuchungen aller Aminotransferasen konnte eine AlaninAminotransferase (AlaT) identifiziert werden, die für diese Nebenproduktbildung
hauptsächlich verantwortlich ist. Mit dem Ziel, die Bildung von Alanin zu minimieren, wurde
deshalb das Gen für dieses Enzym mit Hilfe gentechnischer Methoden im Genom von C.
glutamicum gelöscht. Durch die Entfernung des Bauplans für den AlaT-Roboter kann dieser
nun nicht mehr zusammengebaut und in der Fabrik zur Produktion von Alanin eingesetzt
werden. Eine solche Strategie zur Modifizierung von Synthesewegen wird auch sehr treffend
als „Metabolic engineering“ bezeichnet. Experimente mit den so veränderten C. glutamicumZellen zeigten, dass die Bildung des unerwünschten Nebenproduktes Alanin um mehr als
9
75 % reduziert ist. Gleichzeitig ist aber auch die Bildung von Valin um 25 % erhöht. Grund
dafür ist, dass weniger Pyruvat zu Alanin umgesetzt wird und deshalb mehr dieses
Ausgangsmaterials für die Valin-Fertigungsstraße zur Verfügung steht.
Die so modifizierte C. glutamicum-Zelllinie wird heute durch ein Unternehmen erfolgreich
zur mikrobiellen Produktion von Valin eingesetzt Die Zellen werden dabei in großen
Rührkesseln kultiviert, die ein Volumen haben das dem eines Einfamilienhauses entsprechen
kann. Das auf den optimierten Fertigungsstraßen von C. glutamicum synthetisierte Valin
findet im Wesentlichen in Infusionslösungen eine medizinische Verwendung.
Die Arbeit der Forscher als Analysten und Ingenieure ist aber noch lange nicht getan: Viele
bakterielle
Fertigungsstraßen
mit
ihren
beteiligten
Robotern
bieten
noch
schier
unerschöpfliche Möglichkeiten für weitere faszinierende Entdeckungen im Bereich der
Grundlagenforschung und auch der Anwendung.
10
Herunterladen