Schutzengel oder Beelzebub?

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Schutzengel oder Beelzebub?
Die zwei Seiten des Tumorsuppressors p53
Wolfgang Deppert
Heinrich-Pette-Institut für Experimentelle Virologie und Immunologie, Universität Hamburg
Die Tumorinduktion ist ein komplexes
Geschehen, an dem Mutationen in zwei verschiedenen Gen-Klassen beteiligt sind: Die
Aktivierung von Proto-Onkogenen zu Onkogenen führt zu vermehrten Zellteilungen
und damit zu unkontrolliertem Wachstum,
die Inaktivierung von Tumorsuppressorgenen führt zum Ausschalten wichtiger Kontrollpunkte der Zellproliferation. Sowohl die
Aktivierung von Onkogenen als auch die Inaktivierung von Tumorsuppressorgenen sind
in der Regel Folge von Mutationen als Ergebnis vielfältiger endogener oder exogener
DNA-Schädigungen. Dennoch gibt es einen
wichtigen Unterschied: Da die Aktivierung
eines Proto-Onkogens einen Funktionsgewinn darstellt, genügt schon die Mutation eines Allels der beiden vom Vater oder der
Mutter stammenden Gene, um eine onkogene Wirkung, z.B. die Beschleunigung der
Zellproliferation, zu erreichen. Anders bei
den Tumorsuppressorgenen. Wird bei diesen ein Allel ausgeschaltet, so bleibt das
zweite Allel aktiv. Die funktionelle Inakti-
vierung eines Tumorsuppressorgens setzt somit voraus, dass beide Allele des Gens mutiert sind.
Im Prozess der Tumorentwicklung spielt
der Tumorsuppressor p53 eine zentrale Rolle. p53 hat vielfältige Aufgaben, die alle dazu dienen, die genetische Integrität einer
Zelle bzw. des gesamten Organismus zu
schützen.
p53 - Schlüsselprotein der
Tumorentstehung
Die zentrale Rolle des Tumorsuppressor p53
in der Tumorentstehung wird schon dadurch
belegt, dass das p53-Gen das am häufigsten
mutierte Gen in menschlichen Tumoren darstellt (ca. 50 Prozent aller Tumoren). Der enge Zusammenhang zwischen dem Verlust
der Tumorsuppressorfunktion von p53 und
der Tumorentstehung wird bei einer sehr seltenen Erbkrankheit des Menschen, dem LiFraumeni Syndrom, deutlich. Die Betroffenen haben ein ererbtes mutiertes Allel des
Abb. 1: Domänenstruktur von p53. Römische Ziffern kennzeichnen die fünf Regionen, die in allen
Vertrebraten hoch konserviert sind. Phosphorylierungs- (P) und Azetylierungsstellen (Az) sind
markiert. Die senkrechten Balken markieren häufige Punktmutationen, wobei die relative Länge der
Balken ihre relative Häufigkeit widerspiegelt. Horizontale Balken unter dem Molekül kennzeichnen
die im Text beschriebenen biochemischen Domänen von p53, darunter liegende Balken Interaktionsdomänen von p53 mit verschiedenen viralen und zellulären Proteinen. CSB: Cockayne Syndrom
Protein B; MDM2: Mouse double minute protein 2; NES: nukleäres Exportsignal; NLS: nukleäres
Importsignal; RP-A: Replikationsprotein A; SV40: Simian Virus 40; TAF: transkriptions-akvierender
Faktor; TBP: TATA-Box bindendes Protein; TF: Transkriptionsfaktor; XPB: Xeroderma pigmentosum
Protein B; XPD: Xeroderma pigmentosum Protein D.
p53-Gens, das andere Allel ist intakt. Kommt
es im Laufe des Lebens auch zum Verlust
des bis dato noch intakten p53-Allels in einzelnen Körperzellen, wird die Tumorentstehung begünstigt. Li-Fraumeni Patienten
entwickeln daher schon in relativ jungen
Jahren Karzinome und ihre mittlere Lebenserwartung ist gegenüber der Normalbevölkerung deutlich reduziert.
Multiple biochemische Funktionen
p53 ist ein multifunktionelles Protein. Es besteht aus diversen funktionellen Domänen
(Abb. 1). Die zentrale Domäne des Moleküls
(AS 102–292) vermittelt die sequenz-spezifische Bindung von p53 an DNA, und hat
außerdem intrinsische 3’-5’ ExonukleaseAktivität. Die Bedeutung der zentralen Domäne für die Tumorsuppressorfunktion von
p53 wird auch daran deutlich, dass die Mehrzahl der Mutationen im p53-Gen im Bereich
dieser Domäne liegt (siehe Abb. 1).
Im extremen N-Terminus enthält p53 eine saure Transaktivator-Domäne (AS 1–42).
Zusammen mit der zentralen Domäne wird
p53 dadurch zu einem sequenz-spezifischen
Transaktivator, der nach seiner Aktivierung
die Transkription verschiedener p53-Zielgene einleiten kann. Der sauren Transaktivatordomäne folgt eine hydrophobe Domäne mit vielen Prolinresten (AS 63–97), die
für die Auslösung der Apoptose durch p53
wichtig ist.
Auch der C-terminale Bereich des p53
Moleküls besitzt mehrere funktionelle Domänen. Er enthält die Signale für den Transport von p53 in und aus dem Zellkern, eine
Oligomerisierungsdomäne (AS 323–356), die
dafür verantwortlich ist, dass p53 in Zellen
hauptsächlich als Tetramer vorliegt. Der extreme C-Terminus (AS 363–393) besteht aus
basischen Aminosäuren. Er kann Einzelstrang und Doppelstrang-DNA oder RNA
binden und reguliert die Aktivitäten der zentralen Domäne.
Über diese Domänen interagiert p53 mit
einer Vielzahl von zellulären und viralen Proteinen (s. Abb. 1). Die physiologisch relevanteste Interaktion ist die zwischen p53
und dem MDM2 Protein. MDM2 bindet an
die N-terminale Transkativator-Domäne von
p53 und inhibiert so seine Transaktivatorfunktion. Weiterhin wird p53 durch MDM2
ubiquitiniert und in den proteasomalen Abbauweg eingeschleust. Da das mdm2-Gen
durch p53 transkriptionell aktiviert wird,
sind p53 und MDM2 über einen negativen
Feedback-Loop miteinander verbunden.
Genomische Integrität
Die best-untersuchteste TumorsuppressorFunktion von p53 ist die eines sequenz-speBIOspektrum · Sonderausgabe · 10. Jahrgang
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Abb. 2: Duale Funktion von p53 als Wächter des Genoms. Beschreibung siehe Text.
zifischen Transaktivators von Genen, die
entweder Kontrollpunkte des Zellzyklus aktivieren oder zur Apoptose führen. In Abwesenheit von zellulärem Stress wird p53
durch seine Interaktion mit MDM2 sehr
schnell abgebaut und liegt nur in geringer
Molekülzahl vor. Unterschiedliche zelluläre
Stresssituationen, vor allem aber DNA-Schädigungen, aktivieren verschiedene Signalkaskaden, die zur Phosphorylierung und
Azetylierung von p53 führen (s. Abb. 1). Dadurch wird die Interaktion zwischen p53 und
MDM2 inhibiert, was zu einer Stabilisierung
von p53 und damit zu seiner Anreicherung
in der Zelle führt. p53 wirkt dann als sequenz-spezifischer Transaktivator, der die
Expression von Genen induziert, die für
Zellzyklus-Inhibitoren wie p21waf1 oder
14.3.30 kodieren und einen transienten
Wachstumsarrest in verschiedenen Phasen
des Zellzyklus bewirken. Weiterhin induziert p53 reparatur-assoziierte Gene, wie
gadd45. Die p53-vermittelte Attenuation des
Zellzyklus erlaubt die Reparatur von DNASchäden, bevor diese während der nächsten
Runde der DNA-Replikation als Mutationen fixiert werden. p53 induziert weiterhin
eine Vielzahl von Apoptose-induzierenden
Genen, darunter bax, fas-R, PUMA, sowie einige redox-assoziierte PIG Gene. Das Apoptose-auslösende Gen konnte aber noch nicht
identifiziert werden. Die p53-vermittelte
Apoptose wird weiterhin dadurch kompliziert, dass p53 Apoptose auch über nichttranskriptionelle Mechanismen direkt aktivieren kann. Die Lösung der Frage, welche
Parameter die Selektivität der p53-Antwort
auf DNA-Schäden determinieren, und wie
diese Antwort in Richtung auf Apoptose beeinflusst werden kann, ist gegenwärtig eines
der wichtigsten Themen der p53-Forschung.
p53 interagiert mit einer Reihe von Reparatur-assoziierten Proteinen (s. Abb.1) und
ist neben den oben beschriebenen Aktivitäten auch direkt an Reparaturprozessen und
der Überprüfung ihrer exakten Durchführung beteiligt. In diesen Prozessen spielt
auch die intrinsische 3’-5’ Exonukleaseaktivität von p53 eine wichtige Rolle. Bislang
konnte gezeigt werden, dass die p53-Exonukleaseaktivität die Genauigkeit der homologen DNA-Rekombination kontrolliert.
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Abb. 3: p53 in der Vielschritt-Karzinogenese. Beschreibung siehe Text.
Ob die p53-Exonuklease auch noch an anderen DNA Reparatur- und Synthesevorgängen beteiligt ist, z.B. als „Korrektor“
(proof reader) der proof reader defizienten
DNA-Polymerasen α und β, ist derzeit noch
in der Diskussion.
Abbildung 2 fasst die vielfältigen Aufgaben von p53 in der Erhaltung der genomischen Integrität zusammen. Nach dem Modell der „dualen Funktion“ übernimmt p53
eine Basisfunktion in der Kontrolle der genomischen Integrität und schützt durch seine direkte Beteiligung an Reparaturprozessen vor Mutationen aus endogen entstehenden DNA-Schäden. Die Aktivierung von
p53 als Folge genotoxischen Stresses führt
zu seiner Funktion als übergeordnetes Kontroll- und Steuerungselement der zellulären
Schadensantwort. Basisfunktion und SignalIntegratorfunktion von p53 überlappen sich,
da auch aktiviertes p53 direkt an Reparaturvorgängen beteiligt sein kann.
Vom Schutzengel zum Beelzebub
Mutiertes p53 weist ein für einen Tumorsuppressor ungewöhnliches Mutationsspektrum auf: Während alle anderen bislang bekannten Tumorsuppressoren durch Deletion, Trunkierung oder Abschalten ihres
Gens inaktiviert werden, stehen beim p53Gen Punktmutationen im Vordergrund, wodurch eine Aminosäure im p53 Molekül ausgetauscht wird (s. Abb. 1). Bei der Tumorentstehung wird offensichtlich auf diese Mutationen selektioniert, d.h. Tumore, die ein
solchermaßen mutiertes p53 exprimieren,
müssen einen selektiven Wachstumsvorteil
aufweisen. Die onkogene(n) Funktion(en)
von p53 sind auf molekularer Basis noch wenig charakterisiert, phänotypisch zeigen sie
sich in erhöhter Tumorigenität und einem
erhöhten Metastasierunspotenzial des Tumors. Weiterhin zeigen Tumore mit mutiertem p53 häufig Resistenz gegen Strahlenund Chemotherapie. Das ist zum einen Folge des Verlusts von Wildtyp p53 und damit
dessen Fähigkeit, nach DNA-Schädigung
Apoptose zu induzieren. Zum anderen aber
liegt es auch an der von mutiertem p53 induzierten Resistenz dieser Tumorzellen gegen p53-unabhängige Apoptosewege.
präkanzeröse Zelle in ihrer Evolution zur Tumorzelle. Dieser Schritt bedingt immer die
Ausschaltung von p53, entweder durch Mutation, wie es in ca. 50% aller Tumoren der
Fall ist, oder durch Inaktivierung bzw. Umgehung von p53-Signalwegen. Ist dieser
Schritt erfolgt, beginnt nach der Phase der
Tumorinitiation die Phase der Tumorprogression, die zum Primärtumor bis hin zum
metastasierenden Tumor führen kann. Die
Tumorprogression kann auch in Gegenwart
von Wildtyp p53 erfolgen (allerdings müssen dann einige p53-Signalwege ausgeschaltet sein!), wird aber in vielen Tumoren
durch die Gegenwart von mutiertem p53 begünstigt, mit den oben beschriebenen negativen Folgen für den Tumorpatienten.
Multiple Funktionen von p53 in der
Vielschritt-Karzinogenese
Literatur
Abbildung 3 fasst die Rolle von p53 in der
Tumorentstehung zusammen. Wildtyp p53
schützt nach DNA-Schädigungen vor Mutationen, indem es die Reparatur der geschädigten Zellen einleitet, oder diese, bei
zu starker Schädigung, durch Apoptose eliminiert. Dies ist – glücklicherweise – der
häufigste Fall. Wird dennoch durch eine Mutation als Folge einer unvollständigen Reparatur ein Onkogen aktiviert, führt dies zu
einer DNA-schadens-unabhängigen Aktivierung von p53, und die präkanzeröse Zelle kann ebenfalls noch durch Apoptose oder
terminalen Wachstumsarrest (Seneszenz)
entfernt werden. Die Überwindung dieses
Blocks ist die schwierigste Hürde für eine
Oncogene Reviewheft „p53“. Oncogene 18, no.53 (1999)
Human Mutation Sonderheft: „Focus on p53 and cancer“Human mutation 21, no.3 (2003)
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Wolfgang Deppert
Heinrich-Pette-Institut für Experimentelle
Virologie und Immunologie
Universität Hamburg
Martinistr. 52
D-20251 Hamburg
Tel.: 040-48051 261
Fax: 040-48051 117
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