Antivaskuläre Strategien – ein neues Konzept zur

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Antivaskulre Strategien – ein neues Konzept zur
Diagnose und Therapie von Kopf-Hals-Tumoren
Eine bersicht
Zusammenfassung
Abstract
Hintergrund: Angiogenese, die Bildung neuer Blutgef ße, ist ein
entscheidender Schritt bei der Progression und Metastasierung
von Kopf-Hals-Tumoren. W hrend konventionelle Therapiekonzepte, z. B. Chemotherapie und Bestrahlung, vor allem auf die Tumorzellen selbst abzielen, richtet sich ein antivaskul rer Therapieansatz auf die den Tumor versorgenden Blutgef ße. Antivaskul re Therapiestrategien kGnnen in Anti-Angiogenese und das
sog. Vascular Targeting unterteilt werden. W hrend durch eine
antiangiogenetische Therapie die Ausbildung neuer Tumorblutgef ße verhindert werden soll, ist es das Ziel des Vascular Targetings selektiv und effektiv das bereits bestehende Tumorgef ßsystem zu zerstGren. Methode: Diese Ibersichtsarbeit fasst derzeit bekannte pathophysiologische Mechanismen der Tumorangiogenese und neue Konzepte der antivaskul ren Tumortherapie
mit besonderem Hinblick auf die mGgliche Anwendung zur Behandlung von Tumoren im Kopf-Hals-Bereich zusammen. Ergebnisse: Experimentell kann durch antivaskul re Strategien
eine deutliche Verlangsamung des Tumorwachstums bis hin zu
l nger anhaltenden Remissionen erzielt werden. Derzeit befinden sich zahlreiche Substanzen in der pr klinischen und klinischen Evaluierung, ein Einzug in die klinische Routine ist erst in
einigen Jahren zu erwarten. Schlussfolgerungen: Antivaskul re
Strategien sind ein vielversprechendes Konzept zur Behandlung
von Kopf-Hals-Karzinomen und deren Metastasen. Ihr Potenzial
liegt in der Kombination mit etablierten Therapiemethoden.
Background: The development of a blood supply is a crucial step
in the progression and metastasis of head and neck cancer. While
conventional therapeutic approaches, e. g. chemotherapy and radiation, are focusing on tumor cells, antivascular therapy is directed against the tumor supplying blood vessels. Antivascular
treatment can be divided in anti-angiogenesis and vascular targeting. While antiangiogenic therapy prevents neovascularisation by inhibiting new blood vessel growth, the aim of vascular
targeting is the destruction of already existing tumor vasculature. Methods: This review will summarise current pathophysiological mechanisms underlying tumor angiogenesis and the concepts of antivascular therapy with respect to possible applications in head and neck cancer. Results: With experimental antivascular strategies a retardation of tumor growth or tumor remission may be achieved, demonstrating proof of principle. At
present, numerous drugs are preclinically and clinically evaluated. Conclusions: Antivascular strategies are a promising concept
for treatment of patients with head and neck carcinomas. They
will most likely exhibit their potential in combination with
standard tumor therapies in the future.
Key words
Tumor angiogenesis · Antiangiogenic therapy · Vascular targeting
Institutsangaben
Klinik und Poliklinik fr Hals-, Nasen- und Ohrenkranke der Ludwig-Maximilians-Universit t Mnchen,
Klinikum Großhadern (Direktor: Prof. Dr. med. E. Kastenbauer)
2
Institut fr Chirurgische Forschung der Ludwig-Maximilians-Universit t Mnchen, Klinikum Großhadern
(Direktor: Prof. Dr. med. Dr. h. c. mult. K. Meßmer)
1
Widmung
Herrn Prof. Dr. med. Ernst Kastenbauer zum 65. Geburtstag gewidmet.
Korrespondenzadresse
Dr. med. Marc Dellian · Klinik und Poliklinik fr Hals-, Nasen- und Ohrenkranke ·
Ludwig-Maximilians-Universit t Mnchen · Klinikum Großhadern · Marchioninistraße 15 ·
81377 Mnchen · E-mail: [email protected]
Eingegangen: 18. Februar 2002 · Angenommen: 13. Mai 2002
Bibliografie
Laryngo-Rhino-Otol 2002; 81: 509–515 = Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York · ISSN 0935-8943
Onkologie
Antivascular Strategies – A New Concept for Diagnosis and Therapy of Head and
Neck Cancer. A Review
509
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M. Dellian1, 2
M. E. Eichhorn 2
S. Strieth 2
Schl+sselw,rter
Kopf-Hals-Tumoren · Tumortherapie · Angiogenese · Antiangiogenetische Therapie · Vascular Targeting
Onkologie
Maligne Tumoren im Bereich der HNO-Heilkunde belegen Platz
6 der h ufigsten Krebserkrankungen mit einer j hrlichen Inzidenz von ca. 80 000 in den USA und Europa [1, 2]. Die Anzahl der
Krebserkrankungen des Mund- und Rachenraumes nimmt in
Deutschland seit den 70er Jahren zu, wobei die Erkrankungen
zu den Tumoren mit einer ußerst schlechten Prognose z hlen.
In den vergangenen 10 Jahren konnte in diesem Fachgebiet eine
nurmehr geringe Steigerung der Heilungsrate erzielt werden [3].
Angesichts der engen anatomischen Verh ltnisse erscheint eine
Verbesserung der Heilungsaussichten durch alleinige chirurgische Maßnahmen nicht mehr mGglich bzw. sinnvoll. Große Studien haben bewiesen, dass bei der prim ren Behandlung fortgeschrittener Kopf-Hals-Tumoren die kombinierte Radiochemotherapie gegenber der alleinigen Strahlentherapie berlegen
ist und eine Tumorheilung erzielen kann [4, 5]. Der insgesamt
unbefriedigende Therapieerfolg erzwingt die Suche nach neuen
Behandlungsverfahren. Im Nachfolgenden wird eine Ibersicht
ber den derzeitigen Stand antivaskul rer Strategien, der antiangiogenetischen Therapie und dem Vascular Targeting, als einem
neuen Konzept zur Diagnose und Therapie von Kopf-Hals-Tumoren gegeben.
Abb. 1 Doppel-Immunfluoreszenz-Darstellung der beiden Kompartimente eines Plattenepithelkarzinoms: Tumorzellen (grn, Antik rper
gegen Pankeratin) und Tumorblutgef"ße (orange, Antik rper gegen
Collagen IV).
den derzeit Konzepte zu Diagnose und Therapie von Tumoren
entwickelt, die direkt auf die Tumorvaskularisation abzielen.
Verschiedene Formen von antivaskul ren Strategien werden
nachfolgend erGrtert.
Angiogenese und Wachstum von Tumoren
510
Zwei-Kompartmentmodell: Tumorzellen und
Tumorgef&ßsystem
Antivaskul re Strategien zielen als alternative, indirekte Therapieformen auf dieses neuentwickelte Gef ßsystem, das solide
Tumoren mit N hrstoffen und Sauerstoff versorgt und Metaboliten abtransportiert. Mit diesen neuen Therapieformen konzentriert sich das Interesse nicht ausschließlich weiter auf die Tumorzelle selbst, sondern auf alle Kompartimente des Tumorgewebes,
insbesondere auf Gef ßsystem und Tumorstroma. Das Therapiekonzept hat zwei bemerkenswerte Vorteile: 1. Alle soliden Tumore sind von der Angiogenese, dem Wachstum von Tumorblutgef ßen, abh ngig, somit braucht die Therapie genetische Besonderheiten eines individuellen Tumors nicht zu bercksichtigen.
2. Die zu treffenden Endothelzellen sind normale, genetisch stabile Zellen, die somit weniger zur Resistenzentwicklung neigen.
Zur antiangiogenetischen Tumortherapie werden Substanzen
verwendet, die das Wachstum der Blutgef ße hemmen. Dieses
Ziel kann durch spezifische Hemmstoffe eines Schrittes oder Faktors der Angiogenese erreicht werden. Konsequenterweise wer-
Die Neubildung von Blutgef ßen im entwickelten Organismus,
Angiogenese genannt, wurde durch umfangreiche Arbeiten von
Judah Folkman in den vergangenen Jahren als wichtiger Schritt
in der Entwicklung von Tumoren weltweit anerkannt und ihre
Antagonisierung – bislang pr klinisch – erfolgreich genutzt
[6, 8, 9]. Antivaskul re Strategien, die einen selektiven Substanzantransport nutzen, erfordern Kenntnisse ber die Angiogenese
und ber die Charakteristika von Tumorblutgef ßen. Aus diesem
Grunde sollen einzelne Schritte der Tumorangiogenese im Folgenden kurz erkl rt werden (Abb. 2):
Dellian M et al. Antivaskulre Strategien … Laryngo-Rhino-Otol 2002; 81: 509 – 515
Die bestehenden Formen der Tumortherapie (z. B. Chirurgie,
Strahlentherapie, Chemotherapie) zielen prim r auf die Hemmung des Wachstums oder die direkte ZerstGrung der Tumorzellen selbst. In den letzten Jahren wurde allgemein akzeptiert, dass
der Tumor ein funktionierendes Blutgef ßsystem benGtigt [6].
Man geht heute davon aus, dass beide Kompartimente eines soliden Tumors – Tumorzellen und Tumorgef ße – pathomechanistisch zusammenwirken (Abb. 1).
Bereits im Jahr 1945 schloss Algire aus Studien zur Vaskularisierung experimenteller Tumoren, dass das Tumorwachstum von
der Entwicklung eines Tumorgef ßsystems aus Blutgef ßen des
Wirtsorganismus abh ngt [7]: „The results indicate (1) that the
rapid growth of tumor transplants is depending upon the development of a rich vascular supply, and (2) that an outstanding
characteristic of the tumor cell is its capacity to elicit continuously the growth of new capillary endothelium from the host. A
fundamental problem arising from these considerations is that of
the nature of the factors responsible for the stimulation of vascular proliferation. (…) the vessels originated from the host as capillaries. Capillary proliferation was seen as early as 3 days after
implantation in contrast with 6 days for wounds and subcutaneous tissue. Although many vessels became very large, differentiation into arterioles and venules was not evident.“
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Einleitung
Rckenhautkammer, einem Modell zur Untersuchung der Angiogenese. Ein wichtiger Faktor der Angiogenese ist VEGF, Vascular
Endothelial Growth Factor, der auch von fast allen Kopf-HalsKarzinomen exprimiert wird [14]. Somit bestehen wichtige parakrine Interaktionen zwischen Tumorzellen und Endothelzellen,
die die Bedeutung einer ausreichenden Gef ßversorgung fr das
Tumorwachstum best tigen [15,16]. Derzeit werden vier aufeinanderfolgende Phasen der Tumorangiogenese unterschieden:
1. Aktivierung und Auflockerung des Wirtsgewebsendothels;
2. Migration von Endothelzellen; 3. Endothelzellproliferation;
4. Restrukturierung der Gef ßarchitektur (Abb. 2).
Tab. 1 Eigenschaften der Tumormikrogef"ße
unzureichende Struktur der Gefßwand
lckenhaftes Endothel („Mosaic Vessels“)
erhhte Fragilitt der Gefße
wechselnde Strmungsrichtung
hohe Endothelzellproliferation
Shuntdurchblutung
chaotische Architektur der Gefße
erhhter Gefßwiderstand
heterogene, z. T. geringe Gefßdichte
erhhter Mikrohmatokrit
keine Innervation
hohe Gefßpermeabilitt
fehlende Differenzierung in Arterien,
Kapillaren, Venolen
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Abb. 3 Angiogenese eines Tumors (A-Mel-3) am Modell der transparenten Rckenhautkammer [18]: 5 Tage nach Implantation der Tumorzellen kann man das Einwachsen neugebildeter Blutgef"ße in den Tumor beobachten.
Nach der malignen Entartung kGnnen Tumore bis zu einer GrGße
von wenigen Kubikmillimetern heranwachsen, solange die Versorgung mit Sauerstoff und N hrstoffen durch Diffusion vom
umliegenden Gewebe ausreicht [6]. In diesem kritischen, frhen
Stadium halten sich Proliferation und Apoptose von Tumorzellen
im Gleichgewicht („tumor dormancy“), und die Tumore kGnnen
jahrelang klinisch unauff llig bleiben [10]. Die Tumore kGnnen
erst ber ihre durch Diffusionsern hrung limitierte „kritische
GrGße“ hinauswachsen, wenn sie das Wachstum von Blutgef ßen induziert haben („Angiogenese“). Dieser Ibergang von der
frhen Tumorform zur angiogenetisch aktiven Form wurde von
Folkman als „Angiogenic Switch“ bezeichnet [11] und geht mit
einem Ungleichgewicht in der Bildung angiogener und antiangiogener Substanzen durch die Tumorzellen einher. Der „Angiogenic Switch“ kann ausgelGst werden durch Ver nderungen des
Tumormikromilieus, wie z. B. Hypoxie [12], und/oder durch Genmutationen, wie die Aktivierung von Onkogenen oder Inaktivierung von Tumorsuppressorgenen [13]. Abb. 3 zeigt das Foto eines
Tumors mit den versorgenden Blutgef ßen in der transparenten
Tumorblutgef ße haben eine dnne Wandstruktur, unregelm ßig wirkende, „chaotische“ Architektur, und morphologisch besteht kein Unterschied zwischen der Gef ßwand von Arteriolen,
Kapillaren oder Venolen. Die Gef ße zeigen eine dnne Schicht
stark proliferierenden, gelegentlich lckenhaften Endothels, und
die Permeabilit t ist gegenber Gef ßen in Normalgeweben erhGht [18 – 21]. Der VEGF verursacht wesentlich die hohe Permeabilit t angiogenetischer Gef ße auch fr Makromolekle
[22, 23]. Dadurch ist die Extravasation von Plasmaproteinen vermehrt. Die extravasierten Proteine enthalten vernetztes Fibrin
und aktivierte Metalloproteinasen, die weitere Bestandteile der
extrazellul ren Matrix auflockern. In die neugebildete extrazellul re Matrix migrieren Fibroblasten und Endothelzellen w hrend der Angiogenese zur Bildung neuer Gef ße und des Tumorstromas hinein.
In morphologischen und funktionellen Studien haben Dvorak et
al. [21, 24] nachweisen kGnnen, dass Tumormikrogef ße große
Poren aufweisen, die fr Makromolekle und Nanopartikel
durchl ssig sind. Es ist wahrscheinlich, dass die großen Poren
im Endothel von Tumormikrogef ßen von Wachstumsfaktoren,
die von Zellen des Tumors und Tumorstromas sezerniert werden,
und anderen Substanzen induziert und reguliert werden. Fr die
angiogenetischen Faktoren VEGF und die Angiopoietine 1 und 2
scheint ein Gleichgewicht zu bestehen, bei dem VEGF die mikro-
511
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Onkologie
Abb. 2 Schematische Darstellung des Mehrstufenprozesses der Tumorangiogenese: Initialisierung durch angiogenetische Wachstumsfaktoren (z. B. VEGF), Proliferation und Migration von Endothelzellen
fhren zur Ausbildung eines tumoreigenen Gef"ßsystems.
Morphologische und funktionelle Besonderheiten von
Tumorblutgef&ßen
Gef ße des Normalgewebes weisen eine geregelte, organspezifische Wandstruktur auf. Auch durch den Einfluss zahlreicher endogener Inhibitoren ist die Proliferationsrate der Endothelzellen
ußerst niedrig, sie teilen sich nur etwa alle 50 Tage [17]. Das aus
der Tumorangiogenese hervorgegangene Blutgef ßsystem von
Tumoren weist spezifische Besonderheiten auf, die es von Blutgef ßen des Normalgewebes unterscheidet (Tab. 1):
zen. Generell zeigte bereits eine sehr niedrige Dosierung bei kontinuierlicher Gabe Wirkung [13].
Hammersen u. Mitarb. [18,19, 26] untersuchten detailliert den
Feinbau von Tumorblutgef ßen an Semidnnschnitten und
elektronenmikroskopischen Schnitten. Sie fanden als charakteristisches Merkmal der Tumorgef ße glatt konturierte Lcken
im Endothel von bis zu mehreren Sm Breite. Gelegentlich durchbrachen auch Tumorzellen das ußerst flache Endothel, das teilweise vollkommen aufgelGst war („mosaic vessels“). Die großen
Poren im Endothel der Tumormikrogef ße ergeben eine MGglichkeit, Substanzen selektiv in Tumore zu transportieren. Ist
der Molekldurchmesser der Substanzen kleiner als der der Poren des Tumorendothels, aber grGßer als derjenige der Poren in
normalen Geweben, kann die Substanz nur im Tumor extravadieren (und in das retikuloendotheliale System von Leber und
Milz aufgenommen werden). Der therapeutische Einsatz des
Chemotherapeutikums Doxorubicin enkapsuliert in Stealth-Liposomen von etwa 100 nm Durchmesser scheint dieses Prinzip
anzuwenden [27, 28].
Neue antivaskul&re Strategien: Vascular Targeting
Bei der antiangiogenetischen Therapie von Tumoren soll das
weitere Wachstum von Tumorblutgef ßen gehemmt werden.
Im Unterschied hierzu zielt das von Juliana Denekamp beschriebene Konzept des „Vascular Targeting“ darauf ab, die bereits vorhandenen, angiogenetisch entstandenen Blutgef ße von Tumoren anzugreifen und selektiv zu zerstGren [17, 33 – 35]. Die nachfolgende Isch mie fhrt erst sekund r zum Absterben von Tumorzellen (Tab. 2). Dieses Konzept grndet auf den sich durch
die insuffiziente Tumorangiogenese ergebenden morphologischen und funktionellen Unterschieden zwischen Blutgef ßen
des Normalgewebes und solchen solider Tumoren. W hrend
eine Kapillare im Normalgewebe nur eine Schicht weniger Zellen
versorgt, die im Falle des Verschlusses dieser Kapillare von einer
anderen Kapillare versorgt werden kGnnen, werden im inad quat versorgten Tumor Hunderte von Tumorzellen von einem
einzelnen Gef ß versorgt [36]. Aus der Verlegung oder ZerstGrung eines einzelnen Tumorblutgef ßes resultiert daher eine
große Anzahl absterbender Tumorzellen als Folge des Substratentzuges [37]. Eine Resistenzentwicklung, wie bei der Chemotherapie beobachtet, w re nicht zu erwarten, da die Endothelzellen solider Tumoren zwar eine hohe Proliferationsrate aufweisen, im Unterschied zur Tumorzelle aber als genetisch stabil gelten [32]. Ein Beispiel der erfolgreichen Anwendung des Vascular
Targeting ist die Embolisation der Gef ße solider Tumoren [38].
Kationische Substanzen extravasieren bevorzugt im Tumor [29].
Vor kurzem konnte gezeigt werden, dass sich insbesondere kationische Liposomen selektiv am angiogenetischen Tumorendothel anreichern [30].
512
Antiangiogenetische Applikation von Chemotherapeutika
Im Unterschied zur genetisch unstabilen Tumorzelle ist die rasch
proliferierende Zelle des Tumorendothels genetisch stabil. W hrend Tumorzellen mutieren und damit Resistenzen gegen medikamentGse Therapien entwickeln, ist eine Resistenzbildung der
Endothelzellen angiogenetischen Gewebes weniger wahrscheinlich. In Normalgeweben Erwachsener befindet sich das Gef ßendothel in einem Ruhezustand, wobei sich zu einem Zeitpunkt
nur 0,01 % der Endothelzellen in Teilung befinden. Die Proliferationsrate von Tumorendothelzellen liegt im Mittel bei einem
Faktor von 50 mit Extremwerten bis zum 1000fachen der Proliferationsrate von Endothelzellen in gesunden Geweben [31, 32].
Neben rezeptorspezifischen Therapieformen der antiangiogenetischen Therapie bildet die hohe Proliferationsrate der Tumorendothelzelle einen Angriffspunkt fr zytotoxische Medikamente.
Die neue Form der antiangiogenetischen Chemotherapie verlangt eine modifizierte Dosierung und Applikation der Substan-
Tab. 2 Antivaskul"re Therapiestrategien
Antiangiogenetische Therapie
Vascular Targeting
Inhibition der
Gefßneubildung
Zerstrung des existierenden
Tumorgefßsystems
zytostatisch
zytotoxisch
fl
Hemmung des Tumorwachstums
fl
akute Tumorregression
Tumor Dormancy
langsame Remission des Tumors
Das Auffinden geeigneter Angriffspunkte in dem Gef ßsystem
solider Tumoren fr das Vascular Targeting erwies sich bislang
als schwierig: Rezeptoren auf der luminalen Oberfl che des Gef ßendothels werden in Tumoren eher geringer als in anderen
Geweben exprimiert [39, 40]. Die Technik des „differential phage
display“ als eine vielversprechende Methode zum Auffinden geeigneter Oberfl chenmolekle hat bislang keinen geeigneten
Angriffspunkt im Tumorendothel ermitteln kGnnen [39, 41]. Die
vor kurzem beschriebene Methode der niedrig dosierten Chemotherapie ist ein weiterer mGglicher Ansatz zur Verwirklichung
des Konzeptes des Vascular Targeting [42, 43]. Auch am Effekt
vieler anderer konventioneller Therapiemodalit ten wie Hyperthermie, Strahlentherapie und photodynamischer Therapie
(PDT) ist somit die ZerstGrung des vaskul ren Endothels beteiligt
[42, 44].
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Antiangiogenetische Therapie von Tumoren
Das Konzept der antiangiogenetischen Therapie von Tumoren ist
durch die Arbeiten von Folkman bekannt geworden [6]. Die antiangiogenetische Therapie wird bereits in zahlreichen klinischen
Studien untersucht [14]. Die Wirkung der antiangiogenetischen
Therapie von Tumoren beruht darauf, dass mGglichst spezifisch
das Wachstum angiogenetischer Gef ße, wie es in soliden Tumoren und deren Metastasen stattfindet, gehemmt wird. Dennoch
wurden bei bislang eingesetzten Wirkstoffen systemische Nebenwirkungen beobachtet. Solche Nebenwirkungen kGnnten –
hnlich wie oben bei der Chemotherapie beschrieben – durch
verbesserte Zufuhr der Wirksubstanzen zum soliden Tumor reduziert werden. MGglicherweise kann durch Verwendung kationischer Substanzen eine hGhere Wirkstoffkonzentration im Tumor und insbesondere am Tumorendothel, dem Wirkort der antiangiogenetischen Therapie, erreicht werden [29].
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Onkologie
vaskul re Permeabilit t erhGht, w hrend die Angiopoietine die
Gef ßwand stabilisieren und die Permeabilit t reduzieren [25].
Abb. 4 Fluoreszenzmikroskopische Aufnahmen des Antransportes kationischer Liposomen in den Tumorblutgef"ßen der transparenten Rckenhautkammer [18]: Fluorochrom-markierte kationische Liposomen
reichern sich nach i. v. Gabe (a nach 1 min,
b nach 30 min) selektiv im sich hell kontrastierenden Tumor (Pfeile) an.
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Vascular Targeting: Diagnostik von Tumoren
Die Bildgebung solider Tumoren im CT und MRT beruht bereits
heute auf spezifischen Eigenheiten der angiogenetischen Tumorblutgef ße. Die erhGhte Anreicherung von Kontrastmitteln in soliden Tumoren ist bedingt durch eine erhGhte Durchl ssigkeit
(Permeabilit t) der Tumorvaskularisation, sowie auf einer erhGhten Gef ßdichte. Dadurch extravasieren die Kontrastmittel
verst rkt im Tumorgewebe und reichern sich in der interstitiellen Matrix an. Zuknftige Verfahren kGnnten auf der Bindung
an spezifische oder unspezifische Rezeptoren des angiogenetischen Endothels beruhen, wie den vermehrt exprimierten av-Integrinen oder VEGF-Rezeptoren. Auch die erhGhte Bindung kationischer Liposomen an das Tumorendothel erGffnet eine neue
MGglichkeit zur Verbesserung der Tumordiagnostik, indem kontrastgebende Mittel in die Liposomen inkorporiert werden [30]
(Abb. 4).
Therapeutisches Vascular Targeting durch kationische
Liposomen
Kationische Liposomen werden bevorzugt in solide Tumore aufgenommen und in Endosomen und Lysosomen des angiogenetischen Endothels von Tumoren inkorporiert [30]. Dieses Prinzip
konnte fr fluoreszenzmarkierte kationische Liposomen best -
Ziel einer antivaskul ren Gentherapie kGnnte es sein, durch selektive Expression eines zytotoxischen Proteins im angiogenetischen Tumorendothel das Gef ßsystem des Tumors zu zerstGren.
Alternativ kGnnte die Expression eines Gerinnungsfaktors das
Tumorblutgef ßsystem embolisieren [48].
Ausblick
Angiogenese, das Wachstum neuer Blutgef ße, findet im erwachsenen Organismus physiologisch berwiegend im Rahmen
der Wundheilung und des Ovarialzyklus statt. Somit ist zu erwarten, dass Therapiestrategien, die Angiogenese inhibieren
oder das angiogenetische Tumorendothel zerstGren, geringe systemische Nebenwirkungen aufweisen.
513
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Abb. 5 Vascular Targeting: Doppelfluoreszenz-Darstellung von Tumorblutgef"ßen (grn) und fluorochrom-markierten kationischen Liposomen (rot) nach i. v. Injektion; Kolokalisation der Fluoreszenzfarbstoffe ergibt durch Fluoreszenzberlagerung ein gelbes Signal.
Antiangiogenetische und antivaskul&re Gentherapie
Das Tumorblutgef ßsystem ist ein neuer Zielort der Gentherapie
[46, 47]: Die Gentherapie ermGglicht die lokale Produktion einer
antiangiogenetischen Wirksubstanz innerhalb oder außerhalb
ihrer Zielzelle in hoher Konzentration ber einen prolongierten
Zeitraum. Theoretisch kGnnen dadurch hohe lokale Wirkstoffkonzentrationen bei niedrigen systemischen Konzentrationen
und damit geringen Nebenwirkungen erzielt werden. Die Selektivit t der antiangiogenetischen Wirkung kann im Rahmen der
Gentherapie zus tzlich erhGht werden durch Verwendung tumorspezifischer Promotoren, oder von Promotoren, die vor allem
im angiogenetischen Tumorendothel hochreguliert sind (VEGFRezeptor KDR; E-Selektin; Endoglin/CD105).
Onkologie
tigt werden (Abb. 5). Dadurch ist ber das Endothel der Tumorgef ße eine Tumortherapie durch Vascular Targeting mit unterschiedlichen Substanzen mGglich. Die Verwendung kationischer
Liposomen zum bevorzugten Antransport therapeutischer Substanzen an das Tumorendothel wie Chemotherapeutika oder
Vektoren zur Gentherapie ist somit ein vielversprechender Ansatz zur Verwirklichung des Konzeptes des Vascular Targeting.
Dabei muss jedoch beachtet werden, dass durch die kationischen
Transportvehikel auch der Antransport in Normalgewebe und
Organe ver ndert werden kann. Die kurze Plasmahalbwertszeit
der kationischen Lipide deutet an, dass diese auch in anderen Organen wie Leber und Lunge rasch aufgenommen werden [45].
Onkologie
Wie die antiangiogenetische Therapie befinden sich weitere antivaskul re Therapiestrategien in verschiedenen Phasen der pr klinischen Erforschung. Iberzeugende experimentelle Resultate
lassen langfristig Erfolg erwarten. Hierbei ist zu bedenken, dass
die erste klinische Studie mit einem Angiogeneseinhibitor
(TNP-470, Fumagilin) keine 10 Jahre zurckliegt. Dieser Zeitraum
ist noch zu kurz fr dieses komplexe Gebiet, um bereits große Erfolge zu erwarten. Im Vergleich hierzu blickt die Chemotherapie
auf ber 50 Jahre Entwicklung zurck.
Ein erfolgreicher Einzug antivaskul rer Strategien in die klinische Routine ist erst in einigen Jahren zu erwarten. Gerade die
Kombination mit anderen Therapieverfahren erGffnet neue
Wege in der Tumortherapie. So konnte bereits nachgewiesen
werden, dass die Kombination von Strahlentherapie oder Chemotherapie mit antiangiogenetischer Therapie die Wirksamkeit
verst rkt. Eine solche Kombinationstherapie verspricht Erfolg
insbesondere durch ihre g nzlich unterschiedlichen Angriffspunkte, das Tumorblutgef ßsystem und die Tumorzelle selbst.
514
Im Bereich der Kopf-Hals-Karzinome erscheint eine antivaskul re Therapie denkbar nicht nur zur Therapie von Rezidivkarzinomen, sondern insbesondere zur adjuvanten und neoadjuvanten
Prim rtherapie in Kombination mit Chirurgie, Strahlentherapie
und Chemotherapie. Durch die prophylaktische Gabe einer gut
vertr glichen antivaskul ren Therapie kann in Zukunft mGglicherweise die H ufigkeit von Rezidiven, Metastasen oder Zweittumoren bei Patienten mit Kopf-Hals-Karzinomen reduziert
werden.
Wir danken mbt Munich Biotechnology AG, 82152 Martinsried
und E. Merck KGaA, 64 293 Darmstadt fr die Untersttzung der
Arbeiten.
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Danksagung
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Inzwischen finden klinische Studien von einigen Dutzend Angiogeneseinhibitoren der ersten Generation bei verschiedenen Tumorentit ten statt. Insgesamt sind die Ergebnisse ermutigend,
wenngleich noch bei bescheidenem Erfolg: Grnde hierfr mGgen liegen in einer nicht unbedingt geeigneten Patientenauswahl
(derzeit austherapierte Rezidivtumore) und noch nicht optimierten Dosierung und Sequenzierung.
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