Klimapolitik – national und global - IW

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Nr. 120
Hubertus Bardt
Klimapolitik – national und global
In Zusammenarbeit mit der
Bundesarbeitsgemeinschaft
Inhalt
1. Die Lage
1
Klimapolitik international
1
Deutschlands Rolle in der EU
4
2. Die Lösung
6
Klimaschutz in der Wirtschaftskrise
6
Effiziente Klimapolitik
7
Realistische Ziele
9
Klimapolitik der Zukunft
11
Treibhausgas-Reduktion: Soll und Ist
Veränderungen der Treibhausgas-Emissionen gegenüber 1990 in Prozent:
Vorgabe des Kyoto-Protokolls und der EU-internen Lastenverteilung für 2012
Tatsächliche Veränderung bis 2007
–21
Dänemark
–21
–21,3
–3,3
–17,3
Vereinigtes Königreich –13
Österreich
11,3
–13
–2,7
–8
Schweiz
7,1
–6,5
Italien
Niederlande
–6
Japan
–6
Kanada
–6
–2,1
8,2
26,2
Frankreich
0
Finnland
0
Neuseeland
0
Norwegen
Australien
Irland
Spanien
Griechenland
Portugal
–5,3
10,6
22,1
10,8
1
Schweden
–9,1
4
maximal
zulässiger
Anstieg
© 2009 IW Medien • TW 120
Deutschland
30,0
8
25,0
13
53,5
15
25
27
Auswahl: größere Industrieländer; Treibhausgase: Kohlendioxid, Methan, Lachgas,
Schwefelhexafluorid, fluorierte und perfluorierte Kohlenwasserstoffe; Quelle: UNFCCC
24,9
38,1
Thema Wirtschaft Nr. 120
1. Die Lage
Klimapolitik international
Dass sich das Klima rund um den Globus verändert,
die Temperaturen steigen, Naturkatastrophen sich
häufen und dass die Menschheit daran eine gewisse
Mitschuld trägt – das bestreitet heute kaum noch ein
Wissenschaftler. So schreibt der Weltklimarat (IPCC
= Intergovernmental Panel on Climate Change =
Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen),
der 1988 im Rahmen des Umweltprogramms der
Vereinten Nationen (UN) gegründet worden war, um
die weltweit vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Klimawandel zusammenzutragen: „Elf der
letzten zwölf Jahre (1995-2006) gehören zu den zwölf
wärmsten Jahren seit der instrumentellen Messung der
globalen Erdoberflächentemperatur.“
Sehr wahrscheinlich sei der größte Teil des globalen
Temperaturanstiegs (0,74 Grad Celsius seit Anfang
des 20. Jahrhunderts) von Menschen verursacht, nämlich durch die von ihnen produzierten Treibhausgase,
wozu nicht nur das hinlänglich bekannte Kohlendioxid
(CO2) gehört, sondern auch Methan, Lachgas, Schwefelhexafluorid sowie Kohlenwasserstoffe. All diese
Gase reichern sich in der Atmosphäre an und wirken
wie das Glasdach eines Treibhauses – sie lassen Sonnenstrahlen durch und werfen die von der Erde abgestrahlte Wärme dann wieder auf diese zurück. Folge:
Die Temperaturen steigen.
Der Weltklimarat schätzt, dass sich die Erde schon
in den kommenden zwanzig Jahren um bis zu 0,4 Grad
erwärmen wird. Bis zum Ende des 21. Jahrhunderts
droht sogar ein Temperaturanstieg um knapp 2 bis
4 Grad Celsius. Der Meeresspiegel wird bis dahin
unterschiedlichen Szenarien zufolge um 18 bis 59 Zen­
timeter steigen. Schmilzt das grönländische Inlandseis
vollständig ab – was bei einer dauerhaften Erwärmung
um über 3 Grad über Jahrtausende möglich ist – würde­
sich die Meeresoberfläche um 7 Meter heben.
Diese Gefahr zeichnet sich im Großen und Ganzen
schon seit Jahrzehnten ab. Die Vereinten Nationen
haben daher 1992 in Rio de Janeiro ihren ersten Umweltgipfel veranstaltet. Er mündete in der Klimarahmenkonvention, die die internationale Staatengemeinschaft zum Handeln verpflichtet.
Seither kommen die Vertragsstaaten jedes Jahr zu
einem Klimagipfel zusammen. Ergebnis der dritten
UN-Klimakonferenz in der japanischen Kaiserstadt
Kyoto war das sogenannte Kyoto-Protokoll. Darin
haben sich wichtige Industrienationen erstmals auf
verbindliche Vorgaben geeinigt: Im Durchschnitt
Seite 1
s­ ollen die Treibhausgas-Emissionen gegenüber dem
Basisjahr 1990 bis 2012 um 5 Prozent sinken.
Die Reduktionsverpflichtungen der einzelnen Länder­
weichen allerdings stark voneinander ab ­(Grafik auf der
Inhaltsseite). Es gilt das Prinzip des Burden Sharing
(Lastenaufteilung); das heißt, die Europäische Union
(EU-15) hat sich als Ganzes auf ein Minus von 8 Prozent festgelegt, wozu jedoch die einzelnen Mitgliedsländer einen sehr unterschiedlichen Beitrag zu leisten
haben. Generell wurde beim Burden Sharing darauf
geachtet, dass wirtschaftlich eher rückständige Länder
wie Spanien, Griechenland und Portugal in ihrem Aufholprozess nicht durch zu strenge Emissionsziele ausgebremst werden, hochindustrialisierte und wohlhabende Länder wie Dänemark, Großbritannien, Österreich und die Schweiz sich aber intensiv um klimaverträglicheres Wirtschafte­n bemühen müssen.
Den Löwenanteil der Emissionsreduktion hat
Deutschland zu stemmen. Der deutsche Beitrag von
minus 21 Prozent war jedoch nur möglich, weil sich
ein Teil davon durch den Zusammenbruch der DDRIndustrie quasi von allein erledigt hat. Laut aktueller
Datenlage hat die Bundesrepublik ihr Soll schon im
Jahr 2007 mit einem Abbau der Treibhausgas-Emissionen um gut 21 Prozent schon erreicht.
Doch ein Land allein kann den Klimawandel nicht
aufhalten. Mit seinem Reduktionserfolg genießt
Deutschland unter jenen Ländern, die das KyotoProtokoll anerkannt haben, beinahe eine Ausnahmestellung. Hinzu kommt: Das Kyoto-Abkommen wurden längst nicht von allen bedeutenden TreibhausgasVerursachern unterzeichnet. Außer der Europäischen
Union sind im Prinzip lediglich Japan und Australien
erwähnenswert. Die USA hingegen verweigerten die
Ratifizierung des Vertragswerks.
Lernziele
Die Schülerinnen und Schüler sollen eine Idee davon
bekommen, welch kompliziertes Geschäft internationale
Klimapolitik ist. Es bestehen widerstreitende Inte­ressen
zwischen Industrie- und Entwicklungsländern und Zielkonflikte zwischen Ökonomie und Ökologie. Klar ist:
Klimaschutz gibt es einerseits nicht zum Nulltarif,
andererseits führt aber auch kein Weg daran vorbei.
Entscheidend ist deshalb, dem Klimawandel auf möglichst kostengünstige – sprich effiziente – Weise entgegenzutreten. Vor dem internationalen Klimagipfel in
Kopenhagen Anfang Dezember dieses Jahres herrscht
Einigkeit darüber, dass die Treibhausgas-Emissionen
verringert werden müssen. Streit gibt es hingegen über
das Wie. Dies gilt insbesondere, solange es in anderen Industriezentren wie den USA und aufstrebenden
Schwellenländern wie China und Indien noch keine
ähnlichen Anstrengungen zum Klimaschutz gibt wie
hierzulande und in Europa.
Thema Wirtschaft Nr. 120
Seite 2
Entwicklungs- und Schwellenländer, also ehemalige
bestimmte Menge Kohlendioxid (oder einen anderen
Entwicklungsländer, die auf dem Weg von der AgrarStoff) an die Atmosphäre abzugeben. Synonyme sind
wirtschaft zu Industrialisierung und DienstleistungsEmissionsrechte, Emissionslizenzen oder auch CO2Zertifikate. Durch die Festlegung einer Obergrenze­
gesellschaft schon relativ weit fortgeschritten sind wie
für die gesamten Emissionen (Cap) wird sicher­gestellt,
zum Beispiel die Türkei, Mexiko, Brasilien, Südafrika,
dass das Umweltziel Emissionsreduktion­ tatsächlich
Malaysia und Thailand, waren gar nicht erst in die
erreicht wird. Das ist besonders effizient, weil EmisReduktionsziele einbezogen.
sionen durch den Rechtehandel (Trade) da reduziert
Dabei sind zwei ihrer herausragenden Vertreter,
werden können, wo dies mit den niedrigsten Vermeinämlich China und Indien, schon heute die Nummern
dungskosten möglich ist.
eins und vier der weltgrößten Treibhausgas-Verur­
Gleichzeitig soll der Handel mit Emissionsrechten
sacher.
sicherstellen, dass die Einsparungen dort vorgenomIn Kyoto gab es aber noch einen zweiten Lösungsmen werden, wo sie kostengünstig zu erreichen sind.
ansatz, der auf den folgenden Überlegungen beruhte:
Jene Länder, auf die das zutrifft, können ihre CO2Für das Klima kommt es letztlich nur darauf an, dass
Zertifikate an Länder mit nahezu ausgereizten Vermeiweniger Kohlendioxid (CO2) in die Atmosphäre gelangt als in den zurückliegenden Jahrzehnten. Ob das
dungsmöglichkeiten verkaufen.
Treibhausgas in den USA, EuDie Europäische Union
ropa, China oder gar Afrika
Die Emissionen an Treibhausgasen setzt diesen Punkt des Kyotoeingespart wird, macht unter spiegeln ihre wahren Kosten nicht
Protokolls seit 2005 um und
wider,
weil
sie
die
Auswirkungen
auf
ökologischen Aspekten zuist dabei sogar noch einen
nächst einmal keinen Unter- die Menschen und die Welt nicht
darstellen. Wir sind dabei, uns selbst Schritt weitergegangen: Inschied – wohl aber unter öko- zu zerstören.
nerhalb der EU handeln Unnomischen Gesichtspunkten: Nicholas Stern, Ökonom, Berater der britischen Regierung und Autor des
ternehmen mit Emissionsweltweit Aufsehen erregenden Berichts „The Economics of Climate Change“,
In Europa und besonders in der die wirtschaftlichen Kosten des Klimawandels bezifferte
bzw. Verschmutzungs­rechten,
Deutschland gab es schon früh
die ihnen der Staat zugeteilt
strikte­Klimaschutzvorgaben. Daher wird hier bereits
hat. Da diese Papiere handelbar sind, lohnt es sich für
vergleichsweise ressourcenschonend, also mit mögdie Unternehmen, energiesparend zu produzieren
lichst geringem Mitteleinsatz und CO2-arm produziert.
und dann nicht mehr benötigte Emissionsrechte zu
Europa ist nicht gerade der Klimakiller Nummer eins:
verkaufen.
Deutschland etwa steht derzeit für weniger als 3 Pro• Joint Implementation („Gemeinsame Umsetzent des weltweiten Aus­stoßes von Kohlendioxid, und
zung“): Diese Maßnahme betrifft ausschließlich jene
selbst die Europäische Union (EU-15) kommt nur auf
Industrie­länder, die im Rahmen des Kyoto-Protokolls
11 Prozent. Reduktions­verpflichtungen eingegangen sind. Wenn
Europas Verschmutzungsanteile dürften in Zukunft
beispielsweise Deutschland in ein russisches Klima­
weiter sinken. Denn die südostasiatischen Volkswirtschutzprojekt investiert, werden die eingesparten
schaften wachsen nicht nur stärker als die Industrie­
Emissionen allein Deutschland gutgeschrieben.
länder. Jede Einheit zusätzliches Sozialprodukt ist auch
• Clean Development Mechanism („Mechanismus für
mit einem höheren Energieverbrauch verbunden.
umweltverträgliche Entwicklung“): Im Prinzip geht es
China,­ Indien und Co. unternehmen bisher aber zu
um das Gleiche wie bei der Joint Implementation: Ein
wenig, um Öl, Kohle und Gas effizienter einzusetzen. Land finanziert in einem anderen ein KlimaschutzproSoll in Europa noch mehr Kohlendioxid vermieden
jekt. Zielort der Investition muss allerdings diesmal ein
werden, wären hohe Investitionen in Forschung und
Staat sein, der sich nicht am Kyoto-Protokoll beteiliFertigungstechnologie nötig. In vielen anderen Längt. Die Idee ist, dass Industrieländer einen Teil ihrer
dern hingegen lässt sich die Produktion mit relativ
Reduktionsverpflichtungen in Entwicklungsländern
geringem Aufwand auf mehr Klimafreundlichkeit
erfüllen können, die keine eigenen CO2-Ziele haben.
Praktisch umgesetzt wird der Clean Development
trimmen. Hier setzen die sogenannten flexiblen MeMechanism in Europa so: Wenn ein Unternehmen in
chanismen des Kyoto-Protokolls an:
einem der infrage kommenden Länder eine Kohlen­
• Emissionsrechtehandel: Auf dem Klimagipfel von
dioxidsparende Investition vornimmt, bekommt es
Kyoto wurde beschlossen, dass die Industrieländer undafür eine Gutschrift. Diese kann es in ein CO2-Zertereinander mit Emissionszertifikaten handeln ­können.
tifikat für den europäischen Emissionsrechtehandel
Das sind käufliche und verkäufliche Papiere, die es dem
umtauschen.
Besitzer – in diesem Fall einem Land – erlauben, eine
»
«
Thema Wirtschaft Nr. 120
Seite 3
Was Jugendliche über den Umweltschutz wissen
So viel Prozent der 15-jährigen Schüler erlangten beim PISA-Test 2006 hinsichtlich ihres Wissens und ihres Verantwortungsbewusstseins
beim Umweltschutz diese Note:
ungenügend
30,9
28,4
Japan
26,3
Kanada
6,2
10,1
8,8
Südkorea
25,7
11,1
Australien
24,3
10,9
Neuseeland
24,0
12,3
Deutschland
22,9
13,6
Belgien
21,9
14,4
Niederlande
21,6
Schweiz
21,6
13,6
Tschechien
21,1
12,5
Vereinigtes Königreich
20,4
Polen
20,1
Österreich
19,9
Irland
19,7
Ungarn
19,7
Frankreich
19,5
Dänemark
19,3
11,0
15,3
12,7
15,4
13,7
11,8
16,7
14,8
17,6
16,0
Schweden
17,6
15,0
USA
17,1
17,3
Slowakei
16,9
16,6
Spanien
16,7
15,6
Luxemburg
15,9
Norwegen
Griechenland
15,6
Island
15,4
13,4
Italien
11,1
Portugal
Türkei
Mexiko
7,1
4,3
© 2009 IW Medien • TW120
sehr gut
Finnland
18,1
19,5
17,1
22,2
20,4
30,1
32,7
Klimawandel, Kohlenstoffdioxid, Lärmschutz und Luftschadstoffe – mit
Umweltthemen kennen sich junge Leute nicht sonderlich gut aus. Eine
Sonderauswertung der 2006 erschienenen internationalen PISA-Studie
zeigt, dass die deutschen Youngster im oberen Mittelfeld rangieren; am
meisten wissen wieder einmal die Finnen.
In der PISA-Befragung hatten die OECD-Bildungsexperten nicht nur das
Know-how der 15-Jährigen in Sachen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften ermittelt. Die Schüler sollten auch darlegen, wie gut sie sich
mit Umweltthemen auskennen und wie verantwortungsbewusst sie ihrer
Meinung nach mit der Umwelt umgehen.
Vergeben wurden Noten von „sehr gut“ bis „ungenügend“. Die Note
„ausreichend“ wurde als Mindestniveau an Verständnis und Interesse
definiert, das junge Menschen benötigen, um zu kompetenten Bürgern
heranzuwachsen. Immerhin nehmen sie später als Konsumenten und
Wähler auch Einfluss auf das Umweltverhalten von Unternehmen und
Politik. Jeder sechste befragte Schüler in den OECD-Ländern schaffte
diese Mindesthürde allerdings nicht – und nur etwa 19 Prozent der
Schüler erzielten die Topnote „sehr gut“ (Grafik):
In Deutschland erreichte jeder vierte 15-Jährige Jugendliche eine sehr
gute Bewertung beim Umweltwissen; etwa jeder siebte Schüler kam
jedoch an das Mindestniveau nicht heran.
Damit hat der deutsche Nachwuchs immerhin etwas besser abgeschnitten als die Jugendlichen in Frankreich, Großbritannien oder Schweden
und Norwegen.
Am schlechtesten von allen OECD-Ländern sieht es in Mexiko aus: Jeder
dritte Schüler schaffte nicht einmal die Mindestanforderungen, und
weniger als 5 Prozent erzielten Topwerte.
Dass es aber auch für die Bundesrepublik noch Luft nach oben gibt,
zeigt der Spitzenreiter Finnland: Fast jeder dritte Schüler räumte dort die
Bestnote ab, während mit etwa 6 Prozent nur ein verschwindend
geringer Teil keine Grundkenntnisse vorwies.
Deutliche Unterschiede beim Umweltwissen gibt es nicht nur zwischen
den Ländern, sondern auch hinsichtlich anderer Merkmale, zum Beispiel
zwischen den Geschlechtern. So schneiden Schülerinnen aus Katar,
Jordanien, Thailand oder auch Bulgarien bei den Befragungen besser ab
als ihre männlichen Altersgenossen; in den meisten anderen Ländern
verhält es sich genau umgekehrt. In Deutschland ist der Abstand
zwischen Schülerinnen und Schülern in Sachen Umweltwissen von allen
OECD-Ländern sogar am größten.
Noch tiefer als die Kluft zwischen den Geschlechtern ist die zwischen
Schülern mit und ohne Migrationshintergrund. Erstere tun sich in allen
OECD-Ländern mit Ausnahme Australiens schwerer als einheimische
Schüler. Eine gewichtige Rolle für das Umweltbewusstsein spielen in allen
Ländern schließlich auch der Bildungsstand und das Einkommen der
Eltern.
Ursprungsdaten: OECD
Auf der UN-Klimakonferenz 2009, die Anfang
Dezember in Kopenhagen stattfindet, wird über ein
Nachfolgeabkommen für das Ende 2012 auslaufende
Kyoto-Protokoll verhandelt. Die größte Herausforderung wird sein, einen Modus zu finden, der die Schwellen- und Entwicklungsländer sowie die USA ins Boot
holt und der für alle Beteiligten wirtschaftlich tragbar
ist. Um eine Einigung zumindest in den Bereich des
Möglichen zu rücken, hat die EU ärmeren Staaten
inzwischen konkrete Hilfen zur Bekämpfung des
Klimawandels zugesagt. Die Entwicklungsländer sollen bis 2020 etwa 15 Milliarden Euro erhalten, davon
will Deutschland allein fast 3 Milliarden aufbringen.
Die weltweiten Kosten für den Kampf gegen den
Klimawandel werden von der EU-Kommission auf
jährlich 175 Milliarden Euro bis 2020 geschätzt; hin-
zu kommen noch weitere Milliarden für notwendige
Anpassungsmaßnahmen an bereits veränderte klimatische Bedingungen. Allein die Hälfte hiervon wird in
den stark betroffenen, aber kaum zahlungsfähigen
Entwicklungsländern benötigt. Der bisher erarbeitete
Entwurf eines neuen Abkommens in Kopenhagen
nennt lediglich Optionen für neue Emissionsreduktions­
ziele, Instrumente und Finanzierungsmechanismen,
die jegliche Vorschläge der Länder aufgreifen. Dazu
gehören die Absichten, Emissionseinsparungen aus
CDM-Projekten nicht mehr im bisherigen Umfang auf
nationale Reduktionsziele anrechnen lassen zu können,
sowie erstmalig den Luft- und Seefahrtssektor in die
Pflicht zu nehmen. CO2-Steuern sind ebenso im Gespräch wie die Bildung neuer Fonds zur Unterstützung
der ärmsten Länder.
Thema Wirtschaft Nr. 120
Seite 4
gutem Beispiel vorangehen und ihre TreibhausgasEmissionen gegenüber dem Stand von 2005 bis zum
Jahr 2020 um 20 Prozent senken. Kommt es im Dezember beim Klimagipfel in Kopenhagen zu einem
verbindlichen internationalen Übereinkommen zur
Verringerung der Emissionen, will die Europäische
Union sogar ein Minus von 30 Prozent anpeilen. • Die Energieeffizienz soll um 20 Prozent gesteigert
werden: Das bedeutet, dass jeder Euro reales Bruttoinlandsprodukt mit einem Fünftel weniger Energieeinsatz erzeugt würde.
• Erneuerbare Energieträger wie Wind, Wasserkraft,
Sonne und Erdwärme sollen 20 Prozent des Energieverbrauchs decken.
Im Mittelpunkt der EU-Pläne steht der Emissionshandel. In der ab 2013 bevorstehenden dritten Phase
will die EU das System dadurch verschärfen, dass ein
Großteil der Zertifikate nicht mehr kostenlos ausgegeben, sondern versteigert wird. In den Emissionsrechtehandel einbezogene Unternehmen müssen dann
viel Geld in die Hand nehmen, um überhaupt produzieren zu dürfen (vgl. Seite 7).
Konkret geht es beim europäischen Handel mit
Verschmutzungsrechten um drei Vorhaben:
Zum Ersten sollen Unternehmen generell weniger
klimawirksame Gase ausstoßen.
Zum Zweiten soll der Handel mit Verschmutzungsrechten
auf bisher nicht erfasste Branchen ausgeweitet
Deutschlands Rolle in der EU
werden.
Seit Beginn der globalen Klimaschutzbemühungen
Und zum Dritten sollen die Emissionsrechte in allen
Anfang der 1990er Jahre strebt Europa eine VorreiEU-Staaten nach einheitlichen Kriterien vergeben
terrolle an; die treibende Kraft waren dabei häufig die
werden. Gleichzeitig verpflichtet Brüssel die RegieDeutschen. Für die Zeit nach Auslaufen des Kyoto-­
rungen der EU-Staaten, die Emis­sionsrechte zu verProtokolls haben sich die Europäer ehrgeizige Ziele
steigern, statt sie kostenlos zuzuteilen. Dies trifft vor
gesteckt. Die Devise heißt 20 Prozent bis 2020, und
allem zwei Wirtschaftszweige:
zwar gleich dreimal:
• Die Stromerzeuger werden am stärks­ten in die
• Die Treibhausgas-Emissionen sollen um 20 ProPflicht genommen: Sie müssen die Zertifikate ab 2013
zent geringer ausfallen als 1990: Die EU will mit
vollständig ersteigern. AusEmissionshandel: Mehrkosten erwartet
nahmen gibt es jedoch für die
So viel Prozent der befragten Umweltexperten der Wirtschaft beurteilen die Versteigerung von
neuen Mitgliedsstaaten.
Emissionsrechten ab dem Jahr 2013 folgendermaßen:
trifft zu
ungewiss
trifft nicht zu
• Das Produzierende Gewerbe muss im Jahr 2013 ein
12,6
16,7
Fünftel der benötigten Ver30,4
schmutzungsrechte in einer
33,1
36,6
Auktion erwerben, im Jahr
56,9
30,5
2020 dann 70 Prozent und ab
53,0
2027 alle Zertifikate.
30,2
Allerdings zieht die EUKommission
eine Notbremse
Die Entscheidung zur
Wir erwarten dadurch
Die Ausnahmeregelungen
Versteigerung war richtig
steigende Kosten
reichen aus
ein. Alle fünf Jahre überprüft
Befragung von 178 Umweltexperten aus Unternehmen und Verbänden im März/April 2009;
sie, ob nicht die Gefahr beAusnahmeregelungen: z.B. für energieintensive Branchen oder Branchen, für die Standortverlagerungen
zu erwarten wären; Quelle: IW-Umweltexpertenpanel
steht, dass besonders energie© 2009 IW Medien • TW 120
Als Schritt in Richtung Kopenhagen haben sich die
G8-Länder in L’Aquila auf ein Reduktionsziel der
Treibhausgase geeinigt: Bis 2050 sollen diese um
80 Prozent gesenkt werden. Lastenverteilung oder
Mechanismen bleiben vorerst ungeklärt. Auf dem
Treffen des Major Economies Forum konnten sich
weiterhin die Industrie- und Schwellenländer gemeinsam darauf einigen, die Erderwärmung auf maximal
2 Grad gegenüber vorindustriellen Werten bis 2050
zu begrenzen. Dass sich hierzu eben auch China, Indien und die USA bekennen, ist ein Novum. Ob
amerikanisches Repräsentantenhaus und Senat diese
Entscheidung mittragen werden, bleibt abzuwarten.
Innerhalb der USA ist zugleich ein Gesetzentwurf auf
den Weg gebracht worden, der die Einführung eines
Cap-and-Trade-Systems für CO2-Emissionen nach
europäischem Modell vorsieht.
Die EU-Staaten arbeiten noch an einer geschlossenen Verhandlungsposition: Vor allem Polen zeigt
sich nicht damit einverstanden, die interne Lastenverteilung der EU erst nach Festlegung des Gesamtziels
in Kopenhagen auszuhandeln. Zu hoffen ist, dass der
kleinste gemeinsame Nenner aller Länder noch groß
genug sein wird, um das eigentliche Ziel der Veranstal­
tung zu erreichen: den anthropogenen (von Menschen
verursachten) Klimawandel nachhaltig einzudämmen.
Thema Wirtschaft Nr. 120
IKEP: Deutschland legt die Latte
noch höher
So schätzen Umweltbundesamt und Bundesumweltministerium
die Vermeidungskosten in Euro je Tonne Kohlendioxidäquivalent
2020 ein, die durch das Integrierte Klima- und Energieprogramm
(IKEP) der Bundesregierung entstehen werden:
Nr. Instrument
1
2
3
Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz
Ausbau der erneuerbaren Energien
im Strombereich
CO2-arme Kraftwerkstechnologien
Euro pro
Tonne CO2
9 bis 10
27 bis 45
Intelligente Messverfahren für Stromverbrauch
-150
Saubere Kraftwerkstechnologien
Einführung moderner Energiemanagementsysteme
-80 bis -22
7 Förderprogramme für Klimaschutz und
Energieeffizienz (außerhalb von Gebäuden)
8 Energieeffiziente Produkte
-330 bis -266
9 Einspeiseregelung für Biogas in Erdgasnetze
55
10A Energieeinsparverordnung
-268
10B Ersatz von Nachtstromheizungen
-102
4
5
6
11 Betriebskosten bei Mietwohnungen
12 CO2-Gebäudesanierungsprogramm
13 Energetische Modernisierung der sozialen
Infrastruktur
14 Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz
15 Programm zur energetischen Sanierung
von Bundesgebäuden
16 CO2-Strategie Pkw
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
Ausbau von Biokraftstoffen
Umstellung der Kfz-Steuer auf CO2–Basis
Verbrauchskennzeichnung für Pkws
Verbesserte Lenkungswirkung der Lkw-Maut
Flugverkehr
Schiffsverkehr
Reduktion der Emissionen fluorierter
Treibhausgase
Beschaffung energieeffizienter Produkte
und Dienstleistungen
Energieforschung und Innovation
Elektromobilität
Internationale Projekte für Klimaschutz und
Energieeffizienz
Energie- und klimapolitische Berichterstattung
der deutschen Botschaften und Konsulate
Transatlantische Klima- und
Technologieinitiative
-67
110
73 bis 121
-34
-130 bis -128
170 bis 180
-470
-450
-275 bis 78
-95
-390
120
410
-
© 2009 IW Medien • TW 120
hungrige Firmen ihre Geschäftstätigkeit in Länder mit
weniger strengen Bestimmungen verlagern. Diese Sektoren – etwa die Aluminiumproduzenten oder die Zementindustrie – werden dann von der vollständigen
Versteigerung ausgenommen.
Die Forschungsstelle Umwelt- und Energieökonomik
des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) hat 178
Umweltexperten der Wirtschaft befragt, was sie von den
EU-Vorhaben halten (Grafik Seite 4):
Etwas mehr als ein Drittel der Umweltfachleute
findet die Versteigerung von Zertifikaten richtig, ein
weiteres Drittel ist allerdings dagegen. Des Weiteren
erwarten 57 Prozent, dass die Kosten steigen. Kein
endgültiges Urteil geben die meis­ten Experten über die
Ankündigung der Kommission ab, Ausnahmen für
bestimmte Sektoren zuzulassen. Denn momentan weiß
niemand genau, was auf die Firmen wirklich zukommt.
Brüssel dürfte zwar in den kommenden vier Jahren
klären, wer in welchem Umfang kostenlose Zertifikate
und weitere Ausgleichsmaßnahmen erhält. Doch Betriebe müssen heute schon Investitionsentscheidungen
treffen, für welche die rechtlichen Rahmenbedingungen
ab 2013 von Belang sind.
Abgesehen vom Emissionshandel hat die EU auch
einige Regulierungsmaßnahmen ergriffen: Sie entwickelte Energieverbrauchsvorgaben für Elektrogeräte;
sie hat ein Glühlampenverbot erlassen, das in den kommenden Jahren schrittweise in Kraft tritt; sie hat von
2012 an geltende Grenzwerte für die KohlendioxidEmissionen von Neuwagen festgelegt, deren Verfehlung
für die Automobilhersteller mit hohen Strafzahlungen
verbunden wäre; und sie hat beschlossen, mehr Fördergelder bereitzustellen.
Was Deutschland zum Kampf gegen die Erderwärmung beitragen will, hat die Bundesregierung 2007 im
Rahmen der Kabinettsklausur von Meseberg erarbeitet.
Das damals entwickelte Integrierte Klima- und Energieprogramm (IKEP) legt die Latte der Ziele für
Deutschland noch einmal höher als für die EU insgesamt. So sollen die Treibhausgas-Emissionen 2020 um
40 Prozent unter ihrem Level von 1990 liegen und der
Anteil erneuerbarer Energien soll 30 Prozent betragen.
Damit das zu schaffen ist, wurden verschiedene gesetzliche Stellschrauben gedreht. Im Fokus standen
dabei Bereiche, die nicht in den EU-weiten Emissionshandel einbezogen sind. Ein paar Beispiele:
• Gebäudewirtschaft: Häuser müssen strengere Ener­
giesparauflagen erfüllen, und es wird Geld für die
Altbausanierung bereitgestellt.
• Verkehr: Sowohl in die Bemessung der Lkw-Maut als
auch der Kfz-Steuer fließt inzwischen die Emissions­
klasse des Fahrzeugs ein.
Seite 5
Vermeidungskosten: Kosten der Emissionsvermeidung
abzüglich eingesparter Energiekosten;
Quelle: Bundesregierung, 2007; Doll u.a., 2008,
Jochem u.a, 2008
• Energieverbrauch von Privathaushalten: Von 2012 an
müssen neu errichtete und sanierte Gebäude mit intelligenten Stromzählern ausgestattet werden. Zugleich
werden die Energieversorger verpflichtet, lastabhängige Tarife anzubieten: Je schwächer Kraftwerke zu
einer bestimmten Tageszeit ausgelastet sind, desto
günstiger soll die Elektrizität zu dieser Zeit sein.
Dahinter steckt die Idee, dass die Verbraucher ihren
Stromverbrauch besser über den Tag verteilen.
Thema Wirtschaft Nr. 120
Seite 6
2. Die Lösung
Klimaschutz in der Wirtschaftskrise
Die Unternehmen hierzulande bemühen sich nicht
nur wegen der staatlichen Auflagen, sondern vor allem
auch im eigenen Interesse um mehr Klimaschutz.
Betrachtet man ihre Motive (vgl. Tabelle), spielen
sowohl externe wie interne Einflussfaktoren eine
wichtige Rolle. Da es sich beim Klimaschutz um ein
globales Problem handelt, richtet sich das Augenmerk
zunächst einmal auf öffentliche Vorgaben, also auf
Regulierungen auf nationaler oder europäischer Ebene. Diese sind für drei von vier Entscheidungsträgern
der Grund für die Einführung von Klimaschutzmaßnahmen. Eine erhebliche Zahl der Befragten sieht aber
auch verbesserte Marktchancen oder mögliche Kosten­
senkungen als Motive.
Die Bemühungen der Unternehmen waren in den
vergangenen Jahrzehnten überaus erfolgreich: So hat
sich der Verbrauch aller Pkws in Deutschland seit
Anfang der 1980er Jahre um fast ein Viertel verringert.
Wenn in jüngster Zeit nicht weniger Neufahrzeuge
gekauft worden wären, mit der Folge dass die alten
„Benzinschlucker“ länger auf den Straßen geblieben
sind, wäre der Rückgang noch deutlicher ausgefallen.
Weitere technische Möglichkeiten werden aktuell
umgesetzt: So verbrauchen moderne Flugzeuge eben-
Warum Unternehmen etwas
für den Klimaschutz tun
Um gesetzliche Vorgaben zu erfüllen
73
Um ihre Marktchancen zu verbessern
54
Um freiwilligen Selbstverpflichtungen
nachzukommen
46
Um Kosten zu reduzieren
41
Weil sie sich dem öffentlichem Druck beugen
40
Weil sie vom Klimawandel selbst betroffen sind
31
Weil der Staat sie finanziell dabei unterstützt
19
Aus sonstigen Gründen
3
Befragung von 178 Umweltexperten aus Unternehmen
und Verbänden;
Quelle: IW-Umweltexpertenpanel
© 2009 IW Medien • TW 118
So viel Prozent der befragten Umweltexperten nennen diese
Gründe für Klimaschutzaktivitäten der Unternehmen:
falls deutlich weniger Kerosin – nicht wegen staatlicher
Auflagen, sondern um die stark gestiegenen Kosten in
den Griff zu bekommen. Auch die Produktion von
Stahl oder Zement ist stetig effizienter geworden; die
hier verbrauchte Energie und die freigesetzten Treibhausgas-Emissionen sind nahe an das theoretische
Minimum herangerückt. Es lässt sich also fast nichts
mehr einsparen oder verbessern.
Die seit der zweiten Jahreshälfte 2008 entstandene
globale Finanz- und Konjunkturkrise ist für den Klimaschutz ein zweischneidiges Schwert:
Gut ist, dass sich durch die weltweite Rezession
zumindest der Anstieg der Treibhausgas-Emissionen
verlangsamt. Dies gilt auch für Deutschland und Europa. Die Bundesrepublik wird ihr Kyoto-Ziel daher
aller Voraussicht nach überfüllen und auch nach 2012
weniger Kohlendioxid produzieren als bisher angenommen.
Schlecht ist, dass die Krise die notwendigen Inves­
titionen in klimafreundliche und energiesparende
Technologien erschwert. Windparks beispielsweise
werden vielfach über Windkraftfonds finanziert, also
durch private Kapitalgeber; doch denen sitzt das Geld
zurzeit nicht besonders locker. Letztlich ist es für
Unternehmen wie Privathaushalte tragisch, wenn Investitionen in eine bessere Energieausnutzung zurückgestellt werden müssen, denn dies kommt die Stromverbraucher auf lange Sicht teuer zu stehen.
Eine gute Klimapolitik muss gerade in Zeiten einer
Wirtschaftskrise zwei Grundsätze berücksichtigen:
1. Ein ausreichendes wirtschaftliches Fundament
ist unerlässlich, um anspruchsvolle Schutzziele durchzusetzen.
2. Ökologische Schäden dürfen die Grundlagen
zukünftigen Wirtschaftens nicht gefährden – gewisse
Wohlstandseinbußen heute können im mittel- und
langfristigen Kalkül also akzeptabel sein.
Daraus folgt, dass die Klimaschutzbemühungen
zwar keinesfalls eingestellt werden sollten, aber jede
Art von Regulierung auf den Kostenprüfstand gehört.
Das Zauberwort heißt effiziente Klimapolitik: Es
sollten nur jene Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt
werden, bei denen ökonomische Kosten und ökologischer Ertrag, sprich CO2-Minderung, in einem vernünftigen Verhältnis stehen.
Legt man diesen Maßstab an, bekommt auch der
theoretisch so überzeugende Emissionsrechtehandel
kein uneingeschränktes Go. Er sorgt zwar dafür, dass
ein vorgegebenes Reduktionsziel so günstig wie möglich erreicht wird – wenn aber das Ziel zu hoch gesteckt
ist, kann der Preis für den Klimaschutz trotzdem aus
dem Ruder laufen. Denn die Industrieunternehmen
Thema Wirtschaft Nr. 120
Effiziente Klimapolitik
Die Wirtschaftskrise und die damit verbundenen
zusätzlichen Knappheiten machen eine effiziente
Klimapolitik umso dringlicher. Eine Ressourcenver-
Was der Klimaschutz Privathaushalte
kostet
Energiekosten für Strom, Heizung, Kraftstoff; Drei-PersonenMusterhaushalt: Pendler, Gasheizung
1998
Insgesamt
davon staatlich veranlasst
2008
2.911
5.287
1.485
2.409
3
696
davon Klimaschutz
Stromkosten bei einer Abnahmemenge von 3.500 Kilowattstunden
in Euro
1998
2008
Insgesamt
512
735
davon verursacht durch
Ökosteuer
–
85
Emissionshandel
–
58
Energie-Einspeise-Gesetz (EEG)
3,20
© 2009 IW Medien • TW 120
sehen sich zum einen direkten Kosten ausgesetzt, weil
sie Emissionsrechte kaufen und verbrauchen müssen,
um produzieren zu können. Zum anderen entstehen
ihnen indirekte Kosten durch verteuerten Strom. Die
Energieversorger wälzen ihre Kosten für Emissionsrechte nämlich auf die Kunden über – diese Möglichkeit hat die im internationalen Wettbewerb stehende
Industrie kaum, will sie mit ihren ausländischen Konkurrenten weiterhin preislich mithalten. Zu den davon
betroffenen Branchen zählen beispielsweise Papierproduzenten, Metallerzeuger und die Chemie.
Noch weniger überzeugen kann unter dem Kriterium­
Effizienz die Versteigerung neuer Emissionsrechte
durch den Staat, die ab 2013 geplant ist. Das bedeutet
letztlich nichts anderes als eine Umschichtung finanzieller Mittel von den Unternehmen zum Staat. Denn
die Neuregelung wäre vor allem für die öffentlichen
Haushalte interessant. Wenn zum Beispiel alle heutigen Zertifikate zu einem Preis von 40 Euro versteigert werden, kassieren sie allein in Deutschland pro
Jahr 15,8 Milliarden Euro zusätzlich, in der gesamten
EU wären es 72,4 Milliarden Euro. Da ist es kein
Wunder, dass die Politiker gerne zugreifen, obwohl
die ausgestoßenen Mengen gleich bleiben und sich
beim Klima­schutz also gar nichts ändert. Die Obergrenze der Emissionen ist schließlich unabhängig von
der Art der Zuteilung. Mehr noch: Da die öffentlichen
Haushalte in der Regel chronisch klamm sind, hat die
Politik prinzipiell ein gesteigertes Interesse an hohen
Zertifikatspreisen – das genaue Gegenteil von effizientem Klimaschutz, der mit möglichst geringen ­Kosten
auskommen soll. Die Rechnung zahlen nicht nur die
Unternehmen, sondern auch die Privathaushalte, weil
die Kosten für die Emissionsrechte zum Teil auf den
Strompreis aufgeschlagen werden.
So führt ein von 20 auf 40 Euro erhöhter Zertifikatspreis in einem deutschen Standardhaushalt zu
Mehrkosten von rund 50 Euro pro Jahr.
Bei den deutschen Unternehmen werden vor allem
die energieintensiven Branchen wie die Chemie, Metalle, Papier, Zement, Glas und Raffinerien besonders
betroffen sein. Sie sehen sich sowohl den direkten
Kosten der Auktionierung gegenüber als auch den
indirekten Kosten in Form von erhöhten Strompreisen.
Das ist besonders bei international gehandelten Gütern
problematisch, bei denen die Konkurrenz im Ausland
solche Kosten nicht aufgebürdet bekommt.
Seite 7
41
Energie-Einspeise-Gesetz: Kosten für 2007
Ursprungsdaten: Eurostat, Bundesministerium der Finanzen,
Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft
geudung oder unnötige Belastungen für Unternehmen
und Haushalte darf es in dieser Situation noch weniger
geben als bisher.
Das ist bei der Vielzahl staatlicher Eingriffe – die
Fachleute sagen: beim Instrumentenmix – aber längst
nicht garantiert.
Beispiel: Durch den Emissionshandel für Kohlendioxid wird erreicht, dass für die Emissionen größerer
Industrieanlagen sowie denen der Stromproduktion
ein Preis festgelegt wird, in dem die externen Klimakosten enthalten sind – also jene Kosten, die sonst für
die Verursacher kostenlos auf die Allgemeinheit übergehen würden wie Umweltschäden oder auch Krankheitskosten. Dennoch gibt es hierzulande zahlreiche
andere Regelungen, die den Strompreis aus Klima­
schutzgründen verteuern und den Verbrauch eindämmen sollen. Denn neben dem Emissionshandel, in den
alle Stromerzeuger eingebunden sind, sollen die
Stromsteuer und das Erneuerbare-Energien-Gesetz
ebenfalls diesen Zielen dienen. Das führt sowohl für
die Industrie als auch für die Bürger zu nicht unerheblichen Zusatzkosten. Lagen die Klima­schutzkosten für
Strom aus erneuerbaren Energien, Stromsteuer und
Emissionshandel für einen typischen Haushalt mit
einer Abnahmemenge von 3.500 Kilowattstunden
(kWh) 1998 noch bei gerade 3 Euro jährlich, stiegen
sie deutlich auf 183 Euro im Jahr 2008 (vgl. Tabelle).
Ohnehin sind die Kosten der Energieversorgung
privater Haushalte für Mobilität, Hausheizung und
andere Verwendungen im jüngsten Jahrzehnt deutlich
gestiegen. Für einen Musterhaushalt (drei Personen,
Pendler, Gasheizung) betrugen sie 1998 noch knapp
Thema Wirtschaft Nr. 120
Klimaschutzkosten
Was einzelne Klimaschutzmaßnahmen kosten, steht
keineswegs in den Sternen. Im Gegenteil, es existiert mitt­lerweile eine Reihe von Schätzungen dazu, inwieweit der
Emissionsrechtehandel und andere Regulierungen die
Wirtschaft belasten. Zum Beispiel:
Plus 11,4 Prozent: So stark sind die Kosten für die
Aluminiumerzeugung aus Erz in der ersten Periode des
Emissionshandels (2005 bis 2007) gestiegen, wie eine
Studie für die Europäische Kommission ergab. Für die
Papierindustrie verteuerte sich die Produktion um 6,2 Prozent, für die Zementhersteller um 3,8 Prozent und für die
Stahlindustrie um 1,7 Prozent – für Recycling-Aluminium
hingegen nur um 0,5 Prozent.
16 Milliarden Euro: So viel Geld erhält allein der deutsche Fiskus jährlich von den Unternehmen, wenn ab 2027
alle Emissionszertifikate im heutigen Umfang zu einem
Preis von 40 Euro je Tonne CO2 versteigert werden. In
der gesamten EU summieren sich die Einnahmen aus der
Versteigerung auf gut 72 Milliarden Euro pro Jahr.
10 Milliarden Euro: Das ist die Mehrbelastung der
energieintensiven Branchen (z.B. Raffinerien, Chemie, Metallerzeugung, Papier-, Zement- und Glasindustrie im Jahr
2027 bei vollständiger Versteigerung der Emissionsrechte
für rund 40 Euro pro Tonne – in dieser Rechnung enthalten
sind sowohl die Zertifikatskosten als auch die zusätzlichen
Stromkosten. Schon 2013, wenn nur ein Fünftel der Emissionslizenzen versteigert wird, kommen 4 Milliarden Euro
an Zusatzausgaben zusammen.
50 Euro: So viel muss ein Standard-Privathaushalt in
Deutschland im Jahr mehr für seine Stromrechnung hinlegen, wenn der Zertifikatepreis von 20 auf 40 Euro steigt.
Plus 470 bis minus 410 Euro: Nicht alle Maßnahmen
des Integrierten Klima- und Energieprogramms der Bundesregierung führen unterm Strich zu Mehrkosten. Manche
rechnen sich auch, weil sie deutliche Einsparungen an Ener­
gie mit sich bringen. Je vermiedener Tonne Kohlendioxid
können Kosten von bis zu 410 Euro auflaufen, aber auch
Erträge bis zu 470 Euro, wie eine Kostenschätzung für das
Bundesumweltministerium ergab. Besonders lohnend sind
demnach die Umstellung der Kfz-Steuer auf CO2-Basis,
die Verbrauchskennzeichnung von Pkws, der Ersatz von
Nachtstromheizungen, die Entwicklung energieeffizienter
Produkte und die Einführung moderner Energiemanagementsysteme. Schlecht schneiden zum Beispiel die Förderung der Elektromobilität, der Ausbau von Biokraftstoffen
und erneuerbaren Energien sowie die Reduktion fluorierter
Treibhausgase ab (vgl. Tabelle auf Seite 5).
5 Milliarden Euro: Emissionsrechte in diesem Wert lassen sich mithilfe von internationalen Projekten im Rahmen
des Clean Development Mechanism sparen. Mittlerweile
hat die UN-Klimaschutzorganisation 1.900 Projekte anerkannt, weitere 4.000 stehen in der Pipeline. Allein durch das
laufende Klimaschutzengagement in Entwicklungs- und
Schwellenländern werden jährlich rund 325 Millionen
Tonnen­­Kohlendioxid weniger an die Atmosphäre abgegeben. Diese Einsparungen sind bares Geld wert: Kommen die
Klimaschutzprojekte die Investoren nur um 3 Euro je Tonne
CO2 günstiger als ein entsprechendes Emissionsrecht, wären ihre Klimaschutzkosten um fast 1 Milliarde Euro im
Jahr niedriger als ohne das CDM-Engagement.
Seite 8
3.000 Euro, heute sind es über 5.000 Euro jährlich.
Der staatlich veranlasste Kostenblock nahm dabei von
knapp 1.500 Euro auf fast 2.500 Euro zu. Die Klimakosten kamen von nahezu null auf zuletzt immerhin
700 Euro pro Jahr (ebenfalls Tabelle Seite 7).
Interessant werden diese Zahlen, wenn man sie mit
dem „gerechten Preis“ vergleicht, der beim Emissions­
handel erzielt wird. So belaufen sich die verschiedenen
Kostenbelastungen der Privathaushalte durch Stromsteuer, Förderung erneuerbarer Energien und Emis­
sionshandel auf insgesamt rund 80 Euro je Tonne. Das
sind aber viermal so hohe Kosten, als wenn die Zertifikate am Markt gekauft werden müssten.
Die Politik rechtfertigt ihre Maßnahmen nicht selten durch den Begriff der „wirtschaftlichen Effizienz“,
wonach der durch höhere Preise erzwungene geringere
Verbrauch die Energieimporte verringere und daher
wirtschaftlich sinnvoll sei. Dabei wird jedoch verkannt, dass es durchaus betriebs- und volkswirtschaftliche Gründe gibt, auf eine bestimmte Maßnahme zur
Steigerung der Energieeffizienz zu verzichten, sie also
nicht durchzuführen. In die ökonomischen Optimierungskalküle fließen nämlich zahlreiche Kriterien ein,
die nicht nur die Energiekosten umfassen, sondern
auch weitere Betriebskosten, Investitionsvolumen und
die voraussichtliche Nutzungsdauer.
Dem Klimaschutz nützt es wenig, wenn die Einsparung von Energie so sehr im Vordergrund steht,
dass keine Investitionen in die Entwicklung neuer
Produkte mehr stattfinden können. Das kann sogar zu
gesamtwirtschaftlich negativen Effekten führen, wenn
beispielsweise durch staatlich vorgegebene Verbrauchssenkungen für die Unternehmen so hohe
Kosten entstehen, dass die internationale Wettbewerbsposition verschlechtert wird.
Fachleute fordern deshalb, dass der staatliche Instrumentenmix aufeinander abgestimmt sein muss –
sowohl beim Klimaschutz als auch auf dem Gebiet der
Energieeffizienz.
Beim Klimaschutz ist es beispielsweise wenig
sinnvoll, der Industrie vorzuschreiben, weniger Luftschadstoffe wie Rauch, Feinstaub oder Stickoxide
auszustoßen, wenn gleichzeitig damit erhöhte CO2Emissionen verbunden sind.
Um das Ziel erhöhter Energieeffizienz zu erreichen,
reicht es, auf Energiesteuern oder ein System des
Emissionshandels zu setzen. Denn dadurch werden
die Preissignale gegeben, die es den Marktteilnehmern
ermöglichen, sowohl ökologisch als auch ökonomisch
vernünftig zu handeln. Durch den Emissionshandel
spiegeln sich die externen Kosten im Preis wider und
können in der Wirtschaftlichkeitsrechnung der Markt-
Thema Wirtschaft Nr. 120
Realistische Ziele
Deutschland und Europa sind klimapolitisch nicht
optimal aufgestellt. Insbesondere wird zu wenig darauf
geachtet, kostengünstigen Klimaschutz zu betreiben.
Eine zentrale Planung der günstigsten Klimaschutzmaßnahmen ist letztlich unmöglich. Ideal wäre ein
umfassendes marktwirtschaftliches System, das ein
Preissignal aussendet, bis zu dem Klimaschutz ökonomisch vorteilhaft ist. Der Klimaschutz ist heute
jedoch durch eine Vielzahl von unterschiedlichen
staatlichen Instrumenten geprägt. Globale Instrumente
stehen neben multinationalen und europäischen. Hinzu kommen nationale, regionale und lokale Initiativen
und Maßnahmen. Neben allgemeinen und sektorübergreifenden Regeln existiert eine Reihe von sektorspezifischen Maßnahmen oder Einzelregelungen, die nur
einzelne Aspekte oder Bereiche eines bestimmten
Sektors betreffen.
Eine effiziente Klimapolitik muss aber realistische
Ziele beinhalten. Entscheidend für den Erfolg beim
internationalen Klimagipfel in Kopenhagen ist es, die
größten Emittenten von Treibhausgasen, insbeson­dere
China und die USA, für einen Klimaschutzbeitrag
gewinnen und nach Kyoto in ein Folgeabkommen
integrieren zu können. Ohne einen signifikanten Beitrag dieser Länder sind alle Anstrengungen, Treib­
hausgase in anderen Ländern zu reduzieren, letztlich
nutzlos und unnötig teuer.
Insbesondere wird zu wenig beachtet, dass mit dem
Emissionshandel bereits ein Instrument zur Verfügung
steht, das weitere Klimaschutzmaßnahmen in den
betroffenen Sektoren überflüssig macht. In aller Regel
sind weitere, darüber hinausgehende Emissionsre­
duktionen dann nicht mehr zu erzielen. Um international einen möglichst effizienten Klimaschutz betreiben
zu können, müssen die Maßnahmen zur Vermeidung
von Treibhausgas-Emissionen an den Orten vorgenommen werden, wo dies je vermiedene Einheit am billigsten ist. Oftmals dürften diese Möglichkeiten in den
Entwicklungs- und Schwellenländern liegen, während
in den klimapolitisch aktiven Industrieländern preiswerte Vermeidungspotenziale bereits zu einem guten
Teil ausgeschöpft sind. Ein neues internationales
Klima­abkommen muss also dazu beitragen, dass die
global günstigsten Vermeidungspotenziale realisiert
werden. Dazu ist vor allem eine Ausweitung der bisherigen flexiblen Mechanismen unumgänglich. Dies
gilt insbesondere für den Clean Development Mecha-
Klimaschutz durch CDM-Projekte:
China an der Spitze
Es wird erwartet, dass durch die von der UNO-Klimaorganisation
bereits bewilligten internationalen Projekte so viel Millionen
Tonnen CO2-Äquivalente eingespart werden können:
190,9
China
36,5
Indien
Brasilien
20,9
Korea
14,9
Mexiko
9,3
Chile
4,7
Argentinien 4,2
Nigeria
Andere
© 2009 IW Medien • TW 120
teilnehmer berücksichtigt werden. Weitergehende
staatliche Eingriffe lassen sich mit Hinweis auf die
externen Kosten dann nicht mehr rechtfertigen.
Seite 9
4,2
38,1
Insgesamt
323,7
Stand: November 2009
Quelle: UNFCCC (UN-Klimasekretiariat)
nism (CDM), aber auch für Joint Implementation und
schließlich auch für die Möglichkeit des Handels mit
Emissionsrechten.
Die Klimaschutzkosten sind dann am geringsten,
wenn diejenigen Maßnahmen durchgeführt werden,
die geringere Vermeidungskosten als andere Klimaschutzbemühungen aufweisen. Als Maßstab bietet
sich der Preis für Kohlendioxid-Emissionen an, wie
er im Rahmen des Emissionshandels an den Börsen
ermittelt wird. Teurere Maßnahmen sollten hingegen
nicht umgesetzt werden.
Die Idee des CDM ist einfach (vgl. Seite 2): Ein
Unternehmen investiert in einem Land, das sich noch
nicht am Klimaschutz beteiligt, in ein Projekt zur
Reduktion von Emissionen. Dafür bekommt es eine
Gutschrift, die es in Emissionszertifikate für den europäischen Handel umtauschen kann. Damit spart das
Unternehmen den Kauf eines solchen Zertifikats an
der Börse. Im Ergebnis werden die Klimaschutzvorgaben der EU erfüllt, aber zu geringeren Kosten.
Gleichzeitig profitieren die beteiligten Schwellen- und
Entwicklungsländer durch den mit den Projekten
verbundenen Transfer von modernen Technologien.
Inzwischen werden immer mehr Projekte umgesetzt
(vgl. Tabelle). 1.900 sind von der UNO-Klimaorganisation anerkannt worden, über 4.000 befinden sich
noch in der Pipeline. Am erfolgreichsten laufen die
Projekte in China. Allein die Hälfte der Emissionsminderungen der aktuellen Projekte wird im Reich der
Mitte erwartet. Indien und Brasilien folgen auf den
Thema Wirtschaft Nr. 120
Seite 10
Was Zertifikate in Afrika bewirken können
Der Klimawandel ist auch in Äthiopien mit Wucht zu spüren. Der Journalist Markus Grabitz beschreibt, wie mit europäischer
Hilfe Lösungen aussehen könnten:
Der Bauer Gidey Gebrekristos hat es mit seinen 55 Jahren noch nie weiter geschafft als in die Hauptstadt seiner Heimatprovinz
Tigray. Er kann nicht lesen und schreiben und hat wohl noch nie etwas vom Handel mit Verschmutzungszertifikaten gehört.
Was aber der Klimawandel für ihn bedeutet, das hat er am eigenen Leib erfahren.
Dürren und Überschwemmungen
Seit 22 Jahren sitzt er auf seiner Mini-Scholle von 3.000 Quadratmetern im nördlichen Hochland von Äthiopien. Rund um
seine Hütte beim Städtchen Adwa tobten in den 1990er Jahren die Kämpfe während des Kriegs zwischen Eritrea und Äthiopien.
Die Regierung ließ die Bäume abholzen, damit sich die Rebellen dahinter nicht verstecken konnten. All die Jahre hatten seine Frau, sein Sohn und er nur acht Monate im Jahr genug zu essen, vier Monate wurde gehungert. Das war schon schwer genug.
Zuletzt ist dann auch noch das Wetter immer extremer geworden. Äthiopien hat seit der Jahrtausendwende so viele Dürren
und Überschwemmungen gehabt wie in den 20 Jahren davor nicht.
Die Regierung tut etwas dagegen
Die äthiopische Regierung nimmt die Folgen des Klimawandels aber nicht ohne weiteres hin. Sie tut etwas gegen die sich
immer mehr ausbreitende Mondlandschaft. Gidey Gebrekristos und 420 andere Kleinbauern in diesem seit Menschengedenken
von Hungersnöten geplagten Landstrich ackern mit Schippe und Hacke, damit das Land wieder fruchtbarer wird. Sie bauen
Wälle, die das abfließende Regenwasser bremsen, Sickergruben, in denen sich die wertvolle Erde absetzt, wenn die Fluten
weg sind, und pflanzen Bäume.
40 Tage im Jahr muss jeder Kleinbauer an dem Projekt teilnehmen, bei dem der Einöde Stück für Stück fruchtbare Erde
abgetrotzt wird.
Projekt wird in Kopenhagen vorgestellt
Das Projekt führt die Regierung zusammen mit dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) durch.
Die Regierung stellt die Experten, die Gebrekristos und die anderen bei der Arbeit anleiten, das WFP gibt den Bauern
Lebensmittelpakete. 3 Kilogramm Getreide bekommen die Bauern pro Arbeitstag und das höchstens drei Monate lang.
Bis Ende 2011 will das WFP so 1,7 Millionen Bauern unterstützen, die gegen die Folgen des Klimawandels kämpfen.
Das Projekt könnte Schule machen. Aus ganz Afrika kommen Politiker und wollen ähnliche Programme auflegen. Und Äthiopiens Regierungschef Meles Zenawi, der der Verhandlungsführer Afrikas bei der Klimakonferenz in Kopenhagen ist, wird
dort das in seiner Heimatprovinz Tigray gestartete Projekt vorstellen.
Afrika könnte der große Gewinner sein
Schon jetzt steht fest, dass Afrika der große Gewinner wäre, wenn in Kopenhagen der Durchbruch zu einem weltweiten
Handel mit Verschmutzungsrechten geschafft würde. Ottmar Edenhofer, Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgen­
forschung (PIK): „Afrikas Einnahmen aus dem Zertifikatehandel würden bei weitem höher sein als alles, was derzeit an
Entwicklungshilfe gezahlt wird.“ Der Grund dafür ist, dass Afrika wegen der geringen Industrialisierung und des starken
Bevölkerungswachstums viele Zertifikate übrig haben wird und in den Rest der Welt verkaufen kann.
Schon jetzt ist allerdings die Befürchtung groß, dass die Milliardensummen landen, wo es in Afrika allzu üblich ist: Die
korrupten Eliten leiten das Geld geschickt auf ihre Konten in Steuerparadiesen und sorgen dafür, dass ihre Bevölkerung
nichts abbekommt. Edenhofer fordert Mechanismen, die die klebrigen Finger der nationalen Regierungen umgehen. Das Geld könnte etwa an international operierende Fonds fließen, die vor Ort damit Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel
finanzieren.
Industrieunternehmen, die den immer strenger werdenden Klimaschutzverpflichtungen in Europa nicht nachkommen, können dann Umweltschutzprojekte in Afrika finanzieren, wie beispielsweise in der Ortschaft Ahferom im nördlichen Äthiopien:
Früher war alles hier verwüstetes Land. Sobald sich irgendwo karges Grün ansiedelte, wurde es von umherstreunenden Ziegen sofort weggefressen. Doch dann haben sich Anfang dieses Jahres einige Dorfbewohner zusammengeschlossen zu einer
Kleinbauerninitiative. Sie haben die Ziegen, die Schafe und die Kühe ausgesperrt von dem Flecken Land, haben WasserReservoirs gegraben und über 200.000 Baumsetzlinge gepflanzt. Auch hier werden die Arbeiter vom WFP für ihren Einsatz
für das Landgewinnungsprojekt mit Nahrungsmittelpaketen belohnt.
Kopenhagen ist weit entfernt …
Die äthiopische Regierung hat den Aufforstungsexperten Gebrehiwat Hailemikael geschickt. Seine Botschaft war: Aus Europa
würde jedes Jahr Geld an die Kleinbauerninitiative fließen, wenn es ihr gelänge, den Hügel wieder zu begrünen.
Derzeit decken die Blätter der jungen Bäume erst 8 Prozent der Fläche ab. Der Experte schätzt, dass es noch mindes­
tens fünf Jahre dauert, bis die nötige Blattdichte erreicht ist. Bis dahin müssen die Bäume geschützt werden. Immer wieder
müssen die anderen Kleinbauern davon überzeugt werden, dass sie ihr Vieh nicht auf das Experimentierfeld zum Weiden
schicken. „Die Bäume sind sehr verwundbar, solange sie nicht eine bestimmte Höhe erreicht haben“, erklärt Hailemikael.
Kopenhagen ist weit entfernt von Ahferom, doch die Menschen hier sind zufrieden. Ein Bauer sagt: „Selbst wenn Europa nicht
zahlen sollte – es hat sich gelohnt. Die Bäume sind gut für uns alle hier.“
Quelle: Kölnische Rundschau Thema Wirtschaft Nr. 120
Seite 11
den internationalen Klimaschutz mit eingebunden
werden.
• Internationale Klimaschutzprojekte bilden eine
Option für effizienteren und damit kostengünstigeren
Klimaschutz. Diese müssen mehr als bisher genutzt
werden.
2. Die Wettbewerbsprobleme müssen ernst genommen
werden:
• Einseitige Kosten für bestimmte Branchen schaden
der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Genau das
geschieht aber durch die Auktionierung von Emissionsrechten in Europa. Die hierdurch entstehenden
Wettbewerbsnachteile bedeuten für andere Länder
Vorteile. Wenn sie sich am globalen Klima­schutz beteiligen wollen, müssen sie jedoch darauf verzichten,
damit der Wettbewerb nicht verzerrt wird.
• Bei einseitigen klimapolitischen Anstrengungen in
Europa muss mehr als bisher die internationale Wett­
bewerbsfähigkeit betroffener Unternehmen berückKlimapolitik der Zukunft
sichtigt werden. Das gelingt nur mit den Instrumenten
Deutschland und Europa sind klimapolitisch nicht
der Klimapolitik, damit die auf Umweltschutz spezia­
optimal aufgestellt. Insbesondere wird zu wenig darauf
lisierten Unternehmen ihre internationalen Chancen
geachtet, kostengünstigen Klimaschutz zu betreiben.
nicht verlieren. Protektionismus gegenüber DrittlänDurch die zahlreichen nicht aufeinander abgestimmten
dern ist keine Lösung. Die Entwicklungsländer warnen
nationalen und internationalen Aktivitäten werden
beispielsweise vor einem „Klimaprotektionismus“ der
Privathaushalten und Unternehmen Zusatzbelastungen
Industrieländer, der die Nord-Süd-Beziehungen vergifte­
in Milliardenhöhe aufgebürdet, denen keine entspreund den Abschluss der Klimaverhandlungen in Kopenchenden Klimaschutzwirkungen gegenüberstehen.
hagen ernsthaft gefährde.­Der
Für die zukünftige Klimapolitik müssen vor allem drei
Je mehr CO2-Emissionen vermieden „neue und gefährliche Trend“
lasse sich zum Beispiel an der
Kernbotschaften berücksich­ werden, desto höher die finanziellen
Klimaschutzgesetzgebung in
tigt werden:
Lasten. ...
den USA und bei den Klima1. Bei allen Lösungsansät- Es wird immer schwieriger, Menschen
davon
zu
überzeugen,
dass
sie
heute
verhandlungen festmachen.
zen muss die Globalität des
Wachstum opfern sollen, um in
Es gebe klare Anzeichen daProblems im Vordergrund
100 Jahren minimale ökologische
für, dass einige Industriestehen:
Verbesserungen zu erzielen.
staaten, vor allem aber die
• Es scheint eine Plattitüde Björn Lomborg, dänischer Politikwissenschaftler, Leiter des Copenhagen
Consensus
Centre
und
bekannter
Skeptiker
der
Klimapolitik
USA, einseitige Maßnahmen
zu sein; aber der Klimawanwie die Einführung von Zöllen,­
del ist ein globales Problem,
Steuern oder Gebühren auf Produkte aus Entwickweshalb Klimaschutz auch nur global erfolgen kann.
lungsländern vorbereiteten und dies mit der NotwenManche Politiker aber tun so, als ob Europa allein die
digkeit des Klima­schutzes begründeten. So verpflichte
Trendwende schaffen könnte. In welchem Land oder
der American Clean Energy and Security Act den
Kontinent die Emission von Treibhausgasen reduziert
US-Präsidenten, Importeure von Produkten aus Entwerden, ist aus der Umweltperspektive jedoch gleichwicklungsländern, deren Herstellung mit einem hohen
gültig. Aus ökonomischer Perspektive müssen diejeni­Kohlendioxid-Ausstoß verbunden ist, ab 2020 zur
gen Klimaschutzprojekte umgesetzt werden, die am
­Kasse zu bitten. Die Importeure müssten Emissionskostengünstigsten sind – häufig sind dies gerade die
zertifikate erwerben, was die Produkte entsprechend
Projekte in China, Indien, Russland und verschiedenen
verteuere. Formal werde das Gesetz, das vom RepräSchwellen- und Entwicklungsländern. Dort gibt es
sentantenhaus bereits verabschiedet wurde, damit­
noch so hohe Emissionen, dass Klimaschutz allein in
begründet, dass die Wettbewerbsfähigkeit von USEuropa völlig wirkungslos bliebe.
Unternehmen, die ebenfalls für CO2-Emissionen
• Diejenigen Industrie- und Schwellenländer, die
bezahlen müssen, gewahrt bleiben solle. Im Emisbisher noch nicht mitmachen, müssen unbedingt in
Plätzen. Dabei konzentrieren sich die Maßnahmen vor
allem auf erneuerbare Energien und Emissionsminderungen durch die Behandlung von Abfällen. Aber auch
Verbesserungen von Industrieanlagen gehören dazu.
Allein mit den laufenden Projekten werden jährlich
rund 275 Millionen Tonnen Kohlendioxid eingespart.
Damit kann bei einem Kurs von 20 Euro der Kauf von
Emissionsrechten im Wert von gut 5 Milliarden Euro
gespart werden. Allerdings muss man die Kosten für
die Investitionen abziehen. Vergleicht man sie mit den
Marktpreisen für europäische Emissionsrechte, sinken
die Klimaschutzkosten immerhin um fast 1 Milliarde
Euro jährlich. Das Ganze hat noch einen anderen
wirtschaftlichen Vorteil: Durch die internationalen
Projekte kann sich der Markt für Emissionsrechte in
Europa entspannen; weitere Preisanstiege werden
vermieden.
»
«
Thema Wirtschaft Nr. 120
Seite 12
Mehr zum Thema
Hubertus Bardt: Grundzüge einer effizienten Klimapolitik, IW-Positionen, Nr. 42, zu beziehen über: www.iwmedien.de,
Bookshop
Hubertus Bardt, Jan Welf-Selke: Klimapolitik nach 2012 – Optionen für den internationalen Klimaschutz, IW-Positionen
Nr. 29, zu beziehen über: www.iwmedien.de, Bookshop
Bundesministerium für Umwelt- und Naturschutz: Themenschwerpunkt zu Klima und Energie unter: www.bmu.de
Spiegel Online: www.spiegel.de/thema/klimawandel/
Weltklimarat: www.ipcc (englisch)
4. Sachstandsbericht des Weltklimarats: deutsche Fassungen abzurufen unter: www.bmu.de/klimaschutz/internationale_
klimapolitik/ipcc/doc/39274.php
UN-Klimakonferenz in Kopenhagen: http://en.cop15.dk/ (englisch)
Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung: www.awi.de
Copenhagen Consensus Centre, Internetseite zum Klima­wandel: http://fixtheclimate.com/ (englisch)
Bundeszentrale für politische Bildung: Online-Dossier zum Klimawandel, Unterkapitel zu Klimapolitik, unter: www.
bpb.de, Themen, Gesellschaft, Klimawandel, Klima­politik
„Eine unbequeme Wahrheit“: Oscar-prämierter Dokumentarfilm über den Stand der Klimaforschung, präsentiert vom
früheren US-Vizepräsidenten Al Gore
Umweltorganisationen wie Greenpeace, Bund o.Ä.: Darstellung ihres Standpunkts auf Internet-Themenseiten zu Klimawandel und Klimapolitik, unter: www.bund.org, www.greenpeace.de
sionshandel müssen Wege gefunden werden, bestimmte Kostengrenzen für Unternehmen nicht zu
überschreiten.
3. Der Instrumentenmix muss verbessert werden, um
unnötige Kosten zu vermeiden.
• Die klimapolitischen Instrumente müssen besser
auf­einander abgestimmt werden. Doppelregulierungen
sind zu vermeiden.
• Der Emissionshandel ist inzwischen ein allgemein
anerkanntes Instrument, mit dem die Klimakosten in
den Strompreis mit einbezogen werden. Weitere In­­-
s­trumente, beispielsweise Steuern und Vorgaben zum
Stromverbrauch, müssen entsprechend abgeschafft
werden.
• Statt viele Instrumente gleichzeitig einzuführen,
muss sich die Politik auf die Maßnahmen beschränken, bei denen die niedrigsten Vermeidungskosten
ent­stehen.
• Verstärkte Forschung ist der Schlüssel, um preiswerte Klimaschutztechniken zu entwickeln, die auch
gute Absatzchancen auf den Weltmärkten bieten
und damit die deutsche Wirtschaft stärken können.
Der Autor
Hubertus Bardt, Dr. rer. pol.
Geboren 1974 in Bonn; Studium der Volkswirtschaftslehre und
der Betriebswirtschaftslehre in Marburg und Hagen, Promotion
an der Philipps-Universität Marburg; seit 2000 im Institut der
deutschen Wirtschaft Köln, seit 2009 stellvertretender Leiter
des Wissenschaftsbereichs Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik,
seit 2005 Referent für Energie- und Umweltpolitik und Leiter
der Forschungsstelle Umwelt- und Energieökonomik, zudem
Redakteur des IW-Umwelt-Service
6/2009
Herausgeber: Institut der deutschen Wirtschaft Köln,
Bundesarbeitsgemeinschaft SCHULEWIRTSCHAFT
Redaktion: Irina Berenfeld, Köln (verantw.)
Telefon: 0221 4981-522 · Fax: 0221 4981-504
[email protected] · www.iwkoeln.de · www.schule-wirtschaft.de
ISBN 978-3-602-24320-4 (Druckausgabe)
ISBN 978-3-602-45820-2 (E-Book|PDF)
© 2009 Institut der deutschen Wirtschaft Köln Medien GmbH
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Druck: Warlich Druck Meckenheim GmbH, Meckenheim
ISBN 978-3-602-24320-4
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