Nr. 120 Hubertus Bardt Klimapolitik – national und global In Zusammenarbeit mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Inhalt 1. Die Lage 1 Klimapolitik international 1 Deutschlands Rolle in der EU 4 2. Die Lösung 6 Klimaschutz in der Wirtschaftskrise 6 Effiziente Klimapolitik 7 Realistische Ziele 9 Klimapolitik der Zukunft 11 Treibhausgas-Reduktion: Soll und Ist Veränderungen der Treibhausgas-Emissionen gegenüber 1990 in Prozent: Vorgabe des Kyoto-Protokolls und der EU-internen Lastenverteilung für 2012 Tatsächliche Veränderung bis 2007 –21 Dänemark –21 –21,3 –3,3 –17,3 Vereinigtes Königreich –13 Österreich 11,3 –13 –2,7 –8 Schweiz 7,1 –6,5 Italien Niederlande –6 Japan –6 Kanada –6 –2,1 8,2 26,2 Frankreich 0 Finnland 0 Neuseeland 0 Norwegen Australien Irland Spanien Griechenland Portugal –5,3 10,6 22,1 10,8 1 Schweden –9,1 4 maximal zulässiger Anstieg © 2009 IW Medien • TW 120 Deutschland 30,0 8 25,0 13 53,5 15 25 27 Auswahl: größere Industrieländer; Treibhausgase: Kohlendioxid, Methan, Lachgas, Schwefelhexafluorid, fluorierte und perfluorierte Kohlenwasserstoffe; Quelle: UNFCCC 24,9 38,1 Thema Wirtschaft Nr. 120 1. Die Lage Klimapolitik international Dass sich das Klima rund um den Globus verändert, die Temperaturen steigen, Naturkatastrophen sich häufen und dass die Menschheit daran eine gewisse Mitschuld trägt – das bestreitet heute kaum noch ein Wissenschaftler. So schreibt der Weltklimarat (IPCC = Intergovernmental Panel on Climate Change = Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen), der 1988 im Rahmen des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UN) gegründet worden war, um die weltweit vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Klimawandel zusammenzutragen: „Elf der letzten zwölf Jahre (1995-2006) gehören zu den zwölf wärmsten Jahren seit der instrumentellen Messung der globalen Erdoberflächentemperatur.“ Sehr wahrscheinlich sei der größte Teil des globalen Temperaturanstiegs (0,74 Grad Celsius seit Anfang des 20. Jahrhunderts) von Menschen verursacht, nämlich durch die von ihnen produzierten Treibhausgase, wozu nicht nur das hinlänglich bekannte Kohlendioxid (CO2) gehört, sondern auch Methan, Lachgas, Schwefelhexafluorid sowie Kohlenwasserstoffe. All diese Gase reichern sich in der Atmosphäre an und wirken wie das Glasdach eines Treibhauses – sie lassen Sonnenstrahlen durch und werfen die von der Erde abgestrahlte Wärme dann wieder auf diese zurück. Folge: Die Temperaturen steigen. Der Weltklimarat schätzt, dass sich die Erde schon in den kommenden zwanzig Jahren um bis zu 0,4 Grad erwärmen wird. Bis zum Ende des 21. Jahrhunderts droht sogar ein Temperaturanstieg um knapp 2 bis 4 Grad Celsius. Der Meeresspiegel wird bis dahin unterschiedlichen Szenarien zufolge um 18 bis 59 Zen­ timeter steigen. Schmilzt das grönländische Inlandseis vollständig ab – was bei einer dauerhaften Erwärmung um über 3 Grad über Jahrtausende möglich ist – würde­ sich die Meeresoberfläche um 7 Meter heben. Diese Gefahr zeichnet sich im Großen und Ganzen schon seit Jahrzehnten ab. Die Vereinten Nationen haben daher 1992 in Rio de Janeiro ihren ersten Umweltgipfel veranstaltet. Er mündete in der Klimarahmenkonvention, die die internationale Staatengemeinschaft zum Handeln verpflichtet. Seither kommen die Vertragsstaaten jedes Jahr zu einem Klimagipfel zusammen. Ergebnis der dritten UN-Klimakonferenz in der japanischen Kaiserstadt Kyoto war das sogenannte Kyoto-Protokoll. Darin haben sich wichtige Industrienationen erstmals auf verbindliche Vorgaben geeinigt: Im Durchschnitt Seite 1 s­ ollen die Treibhausgas-Emissionen gegenüber dem Basisjahr 1990 bis 2012 um 5 Prozent sinken. Die Reduktionsverpflichtungen der einzelnen Länder­ weichen allerdings stark voneinander ab ­(Grafik auf der Inhaltsseite). Es gilt das Prinzip des Burden Sharing (Lastenaufteilung); das heißt, die Europäische Union (EU-15) hat sich als Ganzes auf ein Minus von 8 Prozent festgelegt, wozu jedoch die einzelnen Mitgliedsländer einen sehr unterschiedlichen Beitrag zu leisten haben. Generell wurde beim Burden Sharing darauf geachtet, dass wirtschaftlich eher rückständige Länder wie Spanien, Griechenland und Portugal in ihrem Aufholprozess nicht durch zu strenge Emissionsziele ausgebremst werden, hochindustrialisierte und wohlhabende Länder wie Dänemark, Großbritannien, Österreich und die Schweiz sich aber intensiv um klimaverträglicheres Wirtschafte­n bemühen müssen. Den Löwenanteil der Emissionsreduktion hat Deutschland zu stemmen. Der deutsche Beitrag von minus 21 Prozent war jedoch nur möglich, weil sich ein Teil davon durch den Zusammenbruch der DDRIndustrie quasi von allein erledigt hat. Laut aktueller Datenlage hat die Bundesrepublik ihr Soll schon im Jahr 2007 mit einem Abbau der Treibhausgas-Emissionen um gut 21 Prozent schon erreicht. Doch ein Land allein kann den Klimawandel nicht aufhalten. Mit seinem Reduktionserfolg genießt Deutschland unter jenen Ländern, die das KyotoProtokoll anerkannt haben, beinahe eine Ausnahmestellung. Hinzu kommt: Das Kyoto-Abkommen wurden längst nicht von allen bedeutenden TreibhausgasVerursachern unterzeichnet. Außer der Europäischen Union sind im Prinzip lediglich Japan und Australien erwähnenswert. Die USA hingegen verweigerten die Ratifizierung des Vertragswerks. Lernziele Die Schülerinnen und Schüler sollen eine Idee davon bekommen, welch kompliziertes Geschäft internationale Klimapolitik ist. Es bestehen widerstreitende Inte­ressen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern und Zielkonflikte zwischen Ökonomie und Ökologie. Klar ist: Klimaschutz gibt es einerseits nicht zum Nulltarif, andererseits führt aber auch kein Weg daran vorbei. Entscheidend ist deshalb, dem Klimawandel auf möglichst kostengünstige – sprich effiziente – Weise entgegenzutreten. Vor dem internationalen Klimagipfel in Kopenhagen Anfang Dezember dieses Jahres herrscht Einigkeit darüber, dass die Treibhausgas-Emissionen verringert werden müssen. Streit gibt es hingegen über das Wie. Dies gilt insbesondere, solange es in anderen Industriezentren wie den USA und aufstrebenden Schwellenländern wie China und Indien noch keine ähnlichen Anstrengungen zum Klimaschutz gibt wie hierzulande und in Europa. Thema Wirtschaft Nr. 120 Seite 2 Entwicklungs- und Schwellenländer, also ehemalige bestimmte Menge Kohlendioxid (oder einen anderen Entwicklungsländer, die auf dem Weg von der AgrarStoff) an die Atmosphäre abzugeben. Synonyme sind wirtschaft zu Industrialisierung und DienstleistungsEmissionsrechte, Emissionslizenzen oder auch CO2Zertifikate. Durch die Festlegung einer Obergrenze­ gesellschaft schon relativ weit fortgeschritten sind wie für die gesamten Emissionen (Cap) wird sicher­gestellt, zum Beispiel die Türkei, Mexiko, Brasilien, Südafrika, dass das Umweltziel Emissionsreduktion­ tatsächlich Malaysia und Thailand, waren gar nicht erst in die erreicht wird. Das ist besonders effizient, weil EmisReduktionsziele einbezogen. sionen durch den Rechtehandel (Trade) da reduziert Dabei sind zwei ihrer herausragenden Vertreter, werden können, wo dies mit den niedrigsten Vermeinämlich China und Indien, schon heute die Nummern dungskosten möglich ist. eins und vier der weltgrößten Treibhausgas-Verur­ Gleichzeitig soll der Handel mit Emissionsrechten sacher. sicherstellen, dass die Einsparungen dort vorgenomIn Kyoto gab es aber noch einen zweiten Lösungsmen werden, wo sie kostengünstig zu erreichen sind. ansatz, der auf den folgenden Überlegungen beruhte: Jene Länder, auf die das zutrifft, können ihre CO2Für das Klima kommt es letztlich nur darauf an, dass Zertifikate an Länder mit nahezu ausgereizten Vermeiweniger Kohlendioxid (CO2) in die Atmosphäre gelangt als in den zurückliegenden Jahrzehnten. Ob das dungsmöglichkeiten verkaufen. Treibhausgas in den USA, EuDie Europäische Union ropa, China oder gar Afrika Die Emissionen an Treibhausgasen setzt diesen Punkt des Kyotoeingespart wird, macht unter spiegeln ihre wahren Kosten nicht Protokolls seit 2005 um und wider, weil sie die Auswirkungen auf ökologischen Aspekten zuist dabei sogar noch einen nächst einmal keinen Unter- die Menschen und die Welt nicht darstellen. Wir sind dabei, uns selbst Schritt weitergegangen: Inschied – wohl aber unter öko- zu zerstören. nerhalb der EU handeln Unnomischen Gesichtspunkten: Nicholas Stern, Ökonom, Berater der britischen Regierung und Autor des ternehmen mit Emissionsweltweit Aufsehen erregenden Berichts „The Economics of Climate Change“, In Europa und besonders in der die wirtschaftlichen Kosten des Klimawandels bezifferte bzw. Verschmutzungs­rechten, Deutschland gab es schon früh die ihnen der Staat zugeteilt strikte­Klimaschutzvorgaben. Daher wird hier bereits hat. Da diese Papiere handelbar sind, lohnt es sich für vergleichsweise ressourcenschonend, also mit mögdie Unternehmen, energiesparend zu produzieren lichst geringem Mitteleinsatz und CO2-arm produziert. und dann nicht mehr benötigte Emissionsrechte zu Europa ist nicht gerade der Klimakiller Nummer eins: verkaufen. Deutschland etwa steht derzeit für weniger als 3 Pro• Joint Implementation („Gemeinsame Umsetzent des weltweiten Aus­stoßes von Kohlendioxid, und zung“): Diese Maßnahme betrifft ausschließlich jene selbst die Europäische Union (EU-15) kommt nur auf Industrie­länder, die im Rahmen des Kyoto-Protokolls 11 Prozent. Reduktions­verpflichtungen eingegangen sind. Wenn Europas Verschmutzungsanteile dürften in Zukunft beispielsweise Deutschland in ein russisches Klima­ weiter sinken. Denn die südostasiatischen Volkswirtschutzprojekt investiert, werden die eingesparten schaften wachsen nicht nur stärker als die Industrie­ Emissionen allein Deutschland gutgeschrieben. länder. Jede Einheit zusätzliches Sozialprodukt ist auch • Clean Development Mechanism („Mechanismus für mit einem höheren Energieverbrauch verbunden. umweltverträgliche Entwicklung“): Im Prinzip geht es China,­ Indien und Co. unternehmen bisher aber zu um das Gleiche wie bei der Joint Implementation: Ein wenig, um Öl, Kohle und Gas effizienter einzusetzen. Land finanziert in einem anderen ein KlimaschutzproSoll in Europa noch mehr Kohlendioxid vermieden jekt. Zielort der Investition muss allerdings diesmal ein werden, wären hohe Investitionen in Forschung und Staat sein, der sich nicht am Kyoto-Protokoll beteiliFertigungstechnologie nötig. In vielen anderen Längt. Die Idee ist, dass Industrieländer einen Teil ihrer dern hingegen lässt sich die Produktion mit relativ Reduktionsverpflichtungen in Entwicklungsländern geringem Aufwand auf mehr Klimafreundlichkeit erfüllen können, die keine eigenen CO2-Ziele haben. Praktisch umgesetzt wird der Clean Development trimmen. Hier setzen die sogenannten flexiblen MeMechanism in Europa so: Wenn ein Unternehmen in chanismen des Kyoto-Protokolls an: einem der infrage kommenden Länder eine Kohlen­ • Emissionsrechtehandel: Auf dem Klimagipfel von dioxidsparende Investition vornimmt, bekommt es Kyoto wurde beschlossen, dass die Industrieländer undafür eine Gutschrift. Diese kann es in ein CO2-Zertereinander mit Emissionszertifikaten handeln ­können. tifikat für den europäischen Emissionsrechtehandel Das sind käufliche und verkäufliche Papiere, die es dem umtauschen. Besitzer – in diesem Fall einem Land – erlauben, eine » « Thema Wirtschaft Nr. 120 Seite 3 Was Jugendliche über den Umweltschutz wissen So viel Prozent der 15-jährigen Schüler erlangten beim PISA-Test 2006 hinsichtlich ihres Wissens und ihres Verantwortungsbewusstseins beim Umweltschutz diese Note: ungenügend 30,9 28,4 Japan 26,3 Kanada 6,2 10,1 8,8 Südkorea 25,7 11,1 Australien 24,3 10,9 Neuseeland 24,0 12,3 Deutschland 22,9 13,6 Belgien 21,9 14,4 Niederlande 21,6 Schweiz 21,6 13,6 Tschechien 21,1 12,5 Vereinigtes Königreich 20,4 Polen 20,1 Österreich 19,9 Irland 19,7 Ungarn 19,7 Frankreich 19,5 Dänemark 19,3 11,0 15,3 12,7 15,4 13,7 11,8 16,7 14,8 17,6 16,0 Schweden 17,6 15,0 USA 17,1 17,3 Slowakei 16,9 16,6 Spanien 16,7 15,6 Luxemburg 15,9 Norwegen Griechenland 15,6 Island 15,4 13,4 Italien 11,1 Portugal Türkei Mexiko 7,1 4,3 © 2009 IW Medien • TW120 sehr gut Finnland 18,1 19,5 17,1 22,2 20,4 30,1 32,7 Klimawandel, Kohlenstoffdioxid, Lärmschutz und Luftschadstoffe – mit Umweltthemen kennen sich junge Leute nicht sonderlich gut aus. Eine Sonderauswertung der 2006 erschienenen internationalen PISA-Studie zeigt, dass die deutschen Youngster im oberen Mittelfeld rangieren; am meisten wissen wieder einmal die Finnen. In der PISA-Befragung hatten die OECD-Bildungsexperten nicht nur das Know-how der 15-Jährigen in Sachen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften ermittelt. Die Schüler sollten auch darlegen, wie gut sie sich mit Umweltthemen auskennen und wie verantwortungsbewusst sie ihrer Meinung nach mit der Umwelt umgehen. Vergeben wurden Noten von „sehr gut“ bis „ungenügend“. Die Note „ausreichend“ wurde als Mindestniveau an Verständnis und Interesse definiert, das junge Menschen benötigen, um zu kompetenten Bürgern heranzuwachsen. Immerhin nehmen sie später als Konsumenten und Wähler auch Einfluss auf das Umweltverhalten von Unternehmen und Politik. Jeder sechste befragte Schüler in den OECD-Ländern schaffte diese Mindesthürde allerdings nicht – und nur etwa 19 Prozent der Schüler erzielten die Topnote „sehr gut“ (Grafik): In Deutschland erreichte jeder vierte 15-Jährige Jugendliche eine sehr gute Bewertung beim Umweltwissen; etwa jeder siebte Schüler kam jedoch an das Mindestniveau nicht heran. Damit hat der deutsche Nachwuchs immerhin etwas besser abgeschnitten als die Jugendlichen in Frankreich, Großbritannien oder Schweden und Norwegen. Am schlechtesten von allen OECD-Ländern sieht es in Mexiko aus: Jeder dritte Schüler schaffte nicht einmal die Mindestanforderungen, und weniger als 5 Prozent erzielten Topwerte. Dass es aber auch für die Bundesrepublik noch Luft nach oben gibt, zeigt der Spitzenreiter Finnland: Fast jeder dritte Schüler räumte dort die Bestnote ab, während mit etwa 6 Prozent nur ein verschwindend geringer Teil keine Grundkenntnisse vorwies. Deutliche Unterschiede beim Umweltwissen gibt es nicht nur zwischen den Ländern, sondern auch hinsichtlich anderer Merkmale, zum Beispiel zwischen den Geschlechtern. So schneiden Schülerinnen aus Katar, Jordanien, Thailand oder auch Bulgarien bei den Befragungen besser ab als ihre männlichen Altersgenossen; in den meisten anderen Ländern verhält es sich genau umgekehrt. In Deutschland ist der Abstand zwischen Schülerinnen und Schülern in Sachen Umweltwissen von allen OECD-Ländern sogar am größten. Noch tiefer als die Kluft zwischen den Geschlechtern ist die zwischen Schülern mit und ohne Migrationshintergrund. Erstere tun sich in allen OECD-Ländern mit Ausnahme Australiens schwerer als einheimische Schüler. Eine gewichtige Rolle für das Umweltbewusstsein spielen in allen Ländern schließlich auch der Bildungsstand und das Einkommen der Eltern. Ursprungsdaten: OECD Auf der UN-Klimakonferenz 2009, die Anfang Dezember in Kopenhagen stattfindet, wird über ein Nachfolgeabkommen für das Ende 2012 auslaufende Kyoto-Protokoll verhandelt. Die größte Herausforderung wird sein, einen Modus zu finden, der die Schwellen- und Entwicklungsländer sowie die USA ins Boot holt und der für alle Beteiligten wirtschaftlich tragbar ist. Um eine Einigung zumindest in den Bereich des Möglichen zu rücken, hat die EU ärmeren Staaten inzwischen konkrete Hilfen zur Bekämpfung des Klimawandels zugesagt. Die Entwicklungsländer sollen bis 2020 etwa 15 Milliarden Euro erhalten, davon will Deutschland allein fast 3 Milliarden aufbringen. Die weltweiten Kosten für den Kampf gegen den Klimawandel werden von der EU-Kommission auf jährlich 175 Milliarden Euro bis 2020 geschätzt; hin- zu kommen noch weitere Milliarden für notwendige Anpassungsmaßnahmen an bereits veränderte klimatische Bedingungen. Allein die Hälfte hiervon wird in den stark betroffenen, aber kaum zahlungsfähigen Entwicklungsländern benötigt. Der bisher erarbeitete Entwurf eines neuen Abkommens in Kopenhagen nennt lediglich Optionen für neue Emissionsreduktions­ ziele, Instrumente und Finanzierungsmechanismen, die jegliche Vorschläge der Länder aufgreifen. Dazu gehören die Absichten, Emissionseinsparungen aus CDM-Projekten nicht mehr im bisherigen Umfang auf nationale Reduktionsziele anrechnen lassen zu können, sowie erstmalig den Luft- und Seefahrtssektor in die Pflicht zu nehmen. CO2-Steuern sind ebenso im Gespräch wie die Bildung neuer Fonds zur Unterstützung der ärmsten Länder. Thema Wirtschaft Nr. 120 Seite 4 gutem Beispiel vorangehen und ihre TreibhausgasEmissionen gegenüber dem Stand von 2005 bis zum Jahr 2020 um 20 Prozent senken. Kommt es im Dezember beim Klimagipfel in Kopenhagen zu einem verbindlichen internationalen Übereinkommen zur Verringerung der Emissionen, will die Europäische Union sogar ein Minus von 30 Prozent anpeilen. • Die Energieeffizienz soll um 20 Prozent gesteigert werden: Das bedeutet, dass jeder Euro reales Bruttoinlandsprodukt mit einem Fünftel weniger Energieeinsatz erzeugt würde. • Erneuerbare Energieträger wie Wind, Wasserkraft, Sonne und Erdwärme sollen 20 Prozent des Energieverbrauchs decken. Im Mittelpunkt der EU-Pläne steht der Emissionshandel. In der ab 2013 bevorstehenden dritten Phase will die EU das System dadurch verschärfen, dass ein Großteil der Zertifikate nicht mehr kostenlos ausgegeben, sondern versteigert wird. In den Emissionsrechtehandel einbezogene Unternehmen müssen dann viel Geld in die Hand nehmen, um überhaupt produzieren zu dürfen (vgl. Seite 7). Konkret geht es beim europäischen Handel mit Verschmutzungsrechten um drei Vorhaben: Zum Ersten sollen Unternehmen generell weniger klimawirksame Gase ausstoßen. Zum Zweiten soll der Handel mit Verschmutzungsrechten auf bisher nicht erfasste Branchen ausgeweitet Deutschlands Rolle in der EU werden. Seit Beginn der globalen Klimaschutzbemühungen Und zum Dritten sollen die Emissionsrechte in allen Anfang der 1990er Jahre strebt Europa eine VorreiEU-Staaten nach einheitlichen Kriterien vergeben terrolle an; die treibende Kraft waren dabei häufig die werden. Gleichzeitig verpflichtet Brüssel die RegieDeutschen. Für die Zeit nach Auslaufen des Kyoto-­ rungen der EU-Staaten, die Emis­sionsrechte zu verProtokolls haben sich die Europäer ehrgeizige Ziele steigern, statt sie kostenlos zuzuteilen. Dies trifft vor gesteckt. Die Devise heißt 20 Prozent bis 2020, und allem zwei Wirtschaftszweige: zwar gleich dreimal: • Die Stromerzeuger werden am stärks­ten in die • Die Treibhausgas-Emissionen sollen um 20 ProPflicht genommen: Sie müssen die Zertifikate ab 2013 zent geringer ausfallen als 1990: Die EU will mit vollständig ersteigern. AusEmissionshandel: Mehrkosten erwartet nahmen gibt es jedoch für die So viel Prozent der befragten Umweltexperten der Wirtschaft beurteilen die Versteigerung von neuen Mitgliedsstaaten. Emissionsrechten ab dem Jahr 2013 folgendermaßen: trifft zu ungewiss trifft nicht zu • Das Produzierende Gewerbe muss im Jahr 2013 ein 12,6 16,7 Fünftel der benötigten Ver30,4 schmutzungsrechte in einer 33,1 36,6 Auktion erwerben, im Jahr 56,9 30,5 2020 dann 70 Prozent und ab 53,0 2027 alle Zertifikate. 30,2 Allerdings zieht die EUKommission eine Notbremse Die Entscheidung zur Wir erwarten dadurch Die Ausnahmeregelungen Versteigerung war richtig steigende Kosten reichen aus ein. Alle fünf Jahre überprüft Befragung von 178 Umweltexperten aus Unternehmen und Verbänden im März/April 2009; sie, ob nicht die Gefahr beAusnahmeregelungen: z.B. für energieintensive Branchen oder Branchen, für die Standortverlagerungen zu erwarten wären; Quelle: IW-Umweltexpertenpanel steht, dass besonders energie© 2009 IW Medien • TW 120 Als Schritt in Richtung Kopenhagen haben sich die G8-Länder in L’Aquila auf ein Reduktionsziel der Treibhausgase geeinigt: Bis 2050 sollen diese um 80 Prozent gesenkt werden. Lastenverteilung oder Mechanismen bleiben vorerst ungeklärt. Auf dem Treffen des Major Economies Forum konnten sich weiterhin die Industrie- und Schwellenländer gemeinsam darauf einigen, die Erderwärmung auf maximal 2 Grad gegenüber vorindustriellen Werten bis 2050 zu begrenzen. Dass sich hierzu eben auch China, Indien und die USA bekennen, ist ein Novum. Ob amerikanisches Repräsentantenhaus und Senat diese Entscheidung mittragen werden, bleibt abzuwarten. Innerhalb der USA ist zugleich ein Gesetzentwurf auf den Weg gebracht worden, der die Einführung eines Cap-and-Trade-Systems für CO2-Emissionen nach europäischem Modell vorsieht. Die EU-Staaten arbeiten noch an einer geschlossenen Verhandlungsposition: Vor allem Polen zeigt sich nicht damit einverstanden, die interne Lastenverteilung der EU erst nach Festlegung des Gesamtziels in Kopenhagen auszuhandeln. Zu hoffen ist, dass der kleinste gemeinsame Nenner aller Länder noch groß genug sein wird, um das eigentliche Ziel der Veranstal­ tung zu erreichen: den anthropogenen (von Menschen verursachten) Klimawandel nachhaltig einzudämmen. Thema Wirtschaft Nr. 120 IKEP: Deutschland legt die Latte noch höher So schätzen Umweltbundesamt und Bundesumweltministerium die Vermeidungskosten in Euro je Tonne Kohlendioxidäquivalent 2020 ein, die durch das Integrierte Klima- und Energieprogramm (IKEP) der Bundesregierung entstehen werden: Nr. Instrument 1 2 3 Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz Ausbau der erneuerbaren Energien im Strombereich CO2-arme Kraftwerkstechnologien Euro pro Tonne CO2 9 bis 10 27 bis 45 Intelligente Messverfahren für Stromverbrauch -150 Saubere Kraftwerkstechnologien Einführung moderner Energiemanagementsysteme -80 bis -22 7 Förderprogramme für Klimaschutz und Energieeffizienz (außerhalb von Gebäuden) 8 Energieeffiziente Produkte -330 bis -266 9 Einspeiseregelung für Biogas in Erdgasnetze 55 10A Energieeinsparverordnung -268 10B Ersatz von Nachtstromheizungen -102 4 5 6 11 Betriebskosten bei Mietwohnungen 12 CO2-Gebäudesanierungsprogramm 13 Energetische Modernisierung der sozialen Infrastruktur 14 Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz 15 Programm zur energetischen Sanierung von Bundesgebäuden 16 CO2-Strategie Pkw 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 Ausbau von Biokraftstoffen Umstellung der Kfz-Steuer auf CO2–Basis Verbrauchskennzeichnung für Pkws Verbesserte Lenkungswirkung der Lkw-Maut Flugverkehr Schiffsverkehr Reduktion der Emissionen fluorierter Treibhausgase Beschaffung energieeffizienter Produkte und Dienstleistungen Energieforschung und Innovation Elektromobilität Internationale Projekte für Klimaschutz und Energieeffizienz Energie- und klimapolitische Berichterstattung der deutschen Botschaften und Konsulate Transatlantische Klima- und Technologieinitiative -67 110 73 bis 121 -34 -130 bis -128 170 bis 180 -470 -450 -275 bis 78 -95 -390 120 410 - © 2009 IW Medien • TW 120 hungrige Firmen ihre Geschäftstätigkeit in Länder mit weniger strengen Bestimmungen verlagern. Diese Sektoren – etwa die Aluminiumproduzenten oder die Zementindustrie – werden dann von der vollständigen Versteigerung ausgenommen. Die Forschungsstelle Umwelt- und Energieökonomik des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) hat 178 Umweltexperten der Wirtschaft befragt, was sie von den EU-Vorhaben halten (Grafik Seite 4): Etwas mehr als ein Drittel der Umweltfachleute findet die Versteigerung von Zertifikaten richtig, ein weiteres Drittel ist allerdings dagegen. Des Weiteren erwarten 57 Prozent, dass die Kosten steigen. Kein endgültiges Urteil geben die meis­ten Experten über die Ankündigung der Kommission ab, Ausnahmen für bestimmte Sektoren zuzulassen. Denn momentan weiß niemand genau, was auf die Firmen wirklich zukommt. Brüssel dürfte zwar in den kommenden vier Jahren klären, wer in welchem Umfang kostenlose Zertifikate und weitere Ausgleichsmaßnahmen erhält. Doch Betriebe müssen heute schon Investitionsentscheidungen treffen, für welche die rechtlichen Rahmenbedingungen ab 2013 von Belang sind. Abgesehen vom Emissionshandel hat die EU auch einige Regulierungsmaßnahmen ergriffen: Sie entwickelte Energieverbrauchsvorgaben für Elektrogeräte; sie hat ein Glühlampenverbot erlassen, das in den kommenden Jahren schrittweise in Kraft tritt; sie hat von 2012 an geltende Grenzwerte für die KohlendioxidEmissionen von Neuwagen festgelegt, deren Verfehlung für die Automobilhersteller mit hohen Strafzahlungen verbunden wäre; und sie hat beschlossen, mehr Fördergelder bereitzustellen. Was Deutschland zum Kampf gegen die Erderwärmung beitragen will, hat die Bundesregierung 2007 im Rahmen der Kabinettsklausur von Meseberg erarbeitet. Das damals entwickelte Integrierte Klima- und Energieprogramm (IKEP) legt die Latte der Ziele für Deutschland noch einmal höher als für die EU insgesamt. So sollen die Treibhausgas-Emissionen 2020 um 40 Prozent unter ihrem Level von 1990 liegen und der Anteil erneuerbarer Energien soll 30 Prozent betragen. Damit das zu schaffen ist, wurden verschiedene gesetzliche Stellschrauben gedreht. Im Fokus standen dabei Bereiche, die nicht in den EU-weiten Emissionshandel einbezogen sind. Ein paar Beispiele: • Gebäudewirtschaft: Häuser müssen strengere Ener­ giesparauflagen erfüllen, und es wird Geld für die Altbausanierung bereitgestellt. • Verkehr: Sowohl in die Bemessung der Lkw-Maut als auch der Kfz-Steuer fließt inzwischen die Emissions­ klasse des Fahrzeugs ein. Seite 5 Vermeidungskosten: Kosten der Emissionsvermeidung abzüglich eingesparter Energiekosten; Quelle: Bundesregierung, 2007; Doll u.a., 2008, Jochem u.a, 2008 • Energieverbrauch von Privathaushalten: Von 2012 an müssen neu errichtete und sanierte Gebäude mit intelligenten Stromzählern ausgestattet werden. Zugleich werden die Energieversorger verpflichtet, lastabhängige Tarife anzubieten: Je schwächer Kraftwerke zu einer bestimmten Tageszeit ausgelastet sind, desto günstiger soll die Elektrizität zu dieser Zeit sein. Dahinter steckt die Idee, dass die Verbraucher ihren Stromverbrauch besser über den Tag verteilen. Thema Wirtschaft Nr. 120 Seite 6 2. Die Lösung Klimaschutz in der Wirtschaftskrise Die Unternehmen hierzulande bemühen sich nicht nur wegen der staatlichen Auflagen, sondern vor allem auch im eigenen Interesse um mehr Klimaschutz. Betrachtet man ihre Motive (vgl. Tabelle), spielen sowohl externe wie interne Einflussfaktoren eine wichtige Rolle. Da es sich beim Klimaschutz um ein globales Problem handelt, richtet sich das Augenmerk zunächst einmal auf öffentliche Vorgaben, also auf Regulierungen auf nationaler oder europäischer Ebene. Diese sind für drei von vier Entscheidungsträgern der Grund für die Einführung von Klimaschutzmaßnahmen. Eine erhebliche Zahl der Befragten sieht aber auch verbesserte Marktchancen oder mögliche Kosten­ senkungen als Motive. Die Bemühungen der Unternehmen waren in den vergangenen Jahrzehnten überaus erfolgreich: So hat sich der Verbrauch aller Pkws in Deutschland seit Anfang der 1980er Jahre um fast ein Viertel verringert. Wenn in jüngster Zeit nicht weniger Neufahrzeuge gekauft worden wären, mit der Folge dass die alten „Benzinschlucker“ länger auf den Straßen geblieben sind, wäre der Rückgang noch deutlicher ausgefallen. Weitere technische Möglichkeiten werden aktuell umgesetzt: So verbrauchen moderne Flugzeuge eben- Warum Unternehmen etwas für den Klimaschutz tun Um gesetzliche Vorgaben zu erfüllen 73 Um ihre Marktchancen zu verbessern 54 Um freiwilligen Selbstverpflichtungen nachzukommen 46 Um Kosten zu reduzieren 41 Weil sie sich dem öffentlichem Druck beugen 40 Weil sie vom Klimawandel selbst betroffen sind 31 Weil der Staat sie finanziell dabei unterstützt 19 Aus sonstigen Gründen 3 Befragung von 178 Umweltexperten aus Unternehmen und Verbänden; Quelle: IW-Umweltexpertenpanel © 2009 IW Medien • TW 118 So viel Prozent der befragten Umweltexperten nennen diese Gründe für Klimaschutzaktivitäten der Unternehmen: falls deutlich weniger Kerosin – nicht wegen staatlicher Auflagen, sondern um die stark gestiegenen Kosten in den Griff zu bekommen. Auch die Produktion von Stahl oder Zement ist stetig effizienter geworden; die hier verbrauchte Energie und die freigesetzten Treibhausgas-Emissionen sind nahe an das theoretische Minimum herangerückt. Es lässt sich also fast nichts mehr einsparen oder verbessern. Die seit der zweiten Jahreshälfte 2008 entstandene globale Finanz- und Konjunkturkrise ist für den Klimaschutz ein zweischneidiges Schwert: Gut ist, dass sich durch die weltweite Rezession zumindest der Anstieg der Treibhausgas-Emissionen verlangsamt. Dies gilt auch für Deutschland und Europa. Die Bundesrepublik wird ihr Kyoto-Ziel daher aller Voraussicht nach überfüllen und auch nach 2012 weniger Kohlendioxid produzieren als bisher angenommen. Schlecht ist, dass die Krise die notwendigen Inves­ titionen in klimafreundliche und energiesparende Technologien erschwert. Windparks beispielsweise werden vielfach über Windkraftfonds finanziert, also durch private Kapitalgeber; doch denen sitzt das Geld zurzeit nicht besonders locker. Letztlich ist es für Unternehmen wie Privathaushalte tragisch, wenn Investitionen in eine bessere Energieausnutzung zurückgestellt werden müssen, denn dies kommt die Stromverbraucher auf lange Sicht teuer zu stehen. Eine gute Klimapolitik muss gerade in Zeiten einer Wirtschaftskrise zwei Grundsätze berücksichtigen: 1. Ein ausreichendes wirtschaftliches Fundament ist unerlässlich, um anspruchsvolle Schutzziele durchzusetzen. 2. Ökologische Schäden dürfen die Grundlagen zukünftigen Wirtschaftens nicht gefährden – gewisse Wohlstandseinbußen heute können im mittel- und langfristigen Kalkül also akzeptabel sein. Daraus folgt, dass die Klimaschutzbemühungen zwar keinesfalls eingestellt werden sollten, aber jede Art von Regulierung auf den Kostenprüfstand gehört. Das Zauberwort heißt effiziente Klimapolitik: Es sollten nur jene Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt werden, bei denen ökonomische Kosten und ökologischer Ertrag, sprich CO2-Minderung, in einem vernünftigen Verhältnis stehen. Legt man diesen Maßstab an, bekommt auch der theoretisch so überzeugende Emissionsrechtehandel kein uneingeschränktes Go. Er sorgt zwar dafür, dass ein vorgegebenes Reduktionsziel so günstig wie möglich erreicht wird – wenn aber das Ziel zu hoch gesteckt ist, kann der Preis für den Klimaschutz trotzdem aus dem Ruder laufen. Denn die Industrieunternehmen Thema Wirtschaft Nr. 120 Effiziente Klimapolitik Die Wirtschaftskrise und die damit verbundenen zusätzlichen Knappheiten machen eine effiziente Klimapolitik umso dringlicher. Eine Ressourcenver- Was der Klimaschutz Privathaushalte kostet Energiekosten für Strom, Heizung, Kraftstoff; Drei-PersonenMusterhaushalt: Pendler, Gasheizung 1998 Insgesamt davon staatlich veranlasst 2008 2.911 5.287 1.485 2.409 3 696 davon Klimaschutz Stromkosten bei einer Abnahmemenge von 3.500 Kilowattstunden in Euro 1998 2008 Insgesamt 512 735 davon verursacht durch Ökosteuer – 85 Emissionshandel – 58 Energie-Einspeise-Gesetz (EEG) 3,20 © 2009 IW Medien • TW 120 sehen sich zum einen direkten Kosten ausgesetzt, weil sie Emissionsrechte kaufen und verbrauchen müssen, um produzieren zu können. Zum anderen entstehen ihnen indirekte Kosten durch verteuerten Strom. Die Energieversorger wälzen ihre Kosten für Emissionsrechte nämlich auf die Kunden über – diese Möglichkeit hat die im internationalen Wettbewerb stehende Industrie kaum, will sie mit ihren ausländischen Konkurrenten weiterhin preislich mithalten. Zu den davon betroffenen Branchen zählen beispielsweise Papierproduzenten, Metallerzeuger und die Chemie. Noch weniger überzeugen kann unter dem Kriterium­ Effizienz die Versteigerung neuer Emissionsrechte durch den Staat, die ab 2013 geplant ist. Das bedeutet letztlich nichts anderes als eine Umschichtung finanzieller Mittel von den Unternehmen zum Staat. Denn die Neuregelung wäre vor allem für die öffentlichen Haushalte interessant. Wenn zum Beispiel alle heutigen Zertifikate zu einem Preis von 40 Euro versteigert werden, kassieren sie allein in Deutschland pro Jahr 15,8 Milliarden Euro zusätzlich, in der gesamten EU wären es 72,4 Milliarden Euro. Da ist es kein Wunder, dass die Politiker gerne zugreifen, obwohl die ausgestoßenen Mengen gleich bleiben und sich beim Klima­schutz also gar nichts ändert. Die Obergrenze der Emissionen ist schließlich unabhängig von der Art der Zuteilung. Mehr noch: Da die öffentlichen Haushalte in der Regel chronisch klamm sind, hat die Politik prinzipiell ein gesteigertes Interesse an hohen Zertifikatspreisen – das genaue Gegenteil von effizientem Klimaschutz, der mit möglichst geringen ­Kosten auskommen soll. Die Rechnung zahlen nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Privathaushalte, weil die Kosten für die Emissionsrechte zum Teil auf den Strompreis aufgeschlagen werden. So führt ein von 20 auf 40 Euro erhöhter Zertifikatspreis in einem deutschen Standardhaushalt zu Mehrkosten von rund 50 Euro pro Jahr. Bei den deutschen Unternehmen werden vor allem die energieintensiven Branchen wie die Chemie, Metalle, Papier, Zement, Glas und Raffinerien besonders betroffen sein. Sie sehen sich sowohl den direkten Kosten der Auktionierung gegenüber als auch den indirekten Kosten in Form von erhöhten Strompreisen. Das ist besonders bei international gehandelten Gütern problematisch, bei denen die Konkurrenz im Ausland solche Kosten nicht aufgebürdet bekommt. Seite 7 41 Energie-Einspeise-Gesetz: Kosten für 2007 Ursprungsdaten: Eurostat, Bundesministerium der Finanzen, Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft geudung oder unnötige Belastungen für Unternehmen und Haushalte darf es in dieser Situation noch weniger geben als bisher. Das ist bei der Vielzahl staatlicher Eingriffe – die Fachleute sagen: beim Instrumentenmix – aber längst nicht garantiert. Beispiel: Durch den Emissionshandel für Kohlendioxid wird erreicht, dass für die Emissionen größerer Industrieanlagen sowie denen der Stromproduktion ein Preis festgelegt wird, in dem die externen Klimakosten enthalten sind – also jene Kosten, die sonst für die Verursacher kostenlos auf die Allgemeinheit übergehen würden wie Umweltschäden oder auch Krankheitskosten. Dennoch gibt es hierzulande zahlreiche andere Regelungen, die den Strompreis aus Klima­ schutzgründen verteuern und den Verbrauch eindämmen sollen. Denn neben dem Emissionshandel, in den alle Stromerzeuger eingebunden sind, sollen die Stromsteuer und das Erneuerbare-Energien-Gesetz ebenfalls diesen Zielen dienen. Das führt sowohl für die Industrie als auch für die Bürger zu nicht unerheblichen Zusatzkosten. Lagen die Klima­schutzkosten für Strom aus erneuerbaren Energien, Stromsteuer und Emissionshandel für einen typischen Haushalt mit einer Abnahmemenge von 3.500 Kilowattstunden (kWh) 1998 noch bei gerade 3 Euro jährlich, stiegen sie deutlich auf 183 Euro im Jahr 2008 (vgl. Tabelle). Ohnehin sind die Kosten der Energieversorgung privater Haushalte für Mobilität, Hausheizung und andere Verwendungen im jüngsten Jahrzehnt deutlich gestiegen. Für einen Musterhaushalt (drei Personen, Pendler, Gasheizung) betrugen sie 1998 noch knapp Thema Wirtschaft Nr. 120 Klimaschutzkosten Was einzelne Klimaschutzmaßnahmen kosten, steht keineswegs in den Sternen. Im Gegenteil, es existiert mitt­lerweile eine Reihe von Schätzungen dazu, inwieweit der Emissionsrechtehandel und andere Regulierungen die Wirtschaft belasten. Zum Beispiel: Plus 11,4 Prozent: So stark sind die Kosten für die Aluminiumerzeugung aus Erz in der ersten Periode des Emissionshandels (2005 bis 2007) gestiegen, wie eine Studie für die Europäische Kommission ergab. Für die Papierindustrie verteuerte sich die Produktion um 6,2 Prozent, für die Zementhersteller um 3,8 Prozent und für die Stahlindustrie um 1,7 Prozent – für Recycling-Aluminium hingegen nur um 0,5 Prozent. 16 Milliarden Euro: So viel Geld erhält allein der deutsche Fiskus jährlich von den Unternehmen, wenn ab 2027 alle Emissionszertifikate im heutigen Umfang zu einem Preis von 40 Euro je Tonne CO2 versteigert werden. In der gesamten EU summieren sich die Einnahmen aus der Versteigerung auf gut 72 Milliarden Euro pro Jahr. 10 Milliarden Euro: Das ist die Mehrbelastung der energieintensiven Branchen (z.B. Raffinerien, Chemie, Metallerzeugung, Papier-, Zement- und Glasindustrie im Jahr 2027 bei vollständiger Versteigerung der Emissionsrechte für rund 40 Euro pro Tonne – in dieser Rechnung enthalten sind sowohl die Zertifikatskosten als auch die zusätzlichen Stromkosten. Schon 2013, wenn nur ein Fünftel der Emissionslizenzen versteigert wird, kommen 4 Milliarden Euro an Zusatzausgaben zusammen. 50 Euro: So viel muss ein Standard-Privathaushalt in Deutschland im Jahr mehr für seine Stromrechnung hinlegen, wenn der Zertifikatepreis von 20 auf 40 Euro steigt. Plus 470 bis minus 410 Euro: Nicht alle Maßnahmen des Integrierten Klima- und Energieprogramms der Bundesregierung führen unterm Strich zu Mehrkosten. Manche rechnen sich auch, weil sie deutliche Einsparungen an Ener­ gie mit sich bringen. Je vermiedener Tonne Kohlendioxid können Kosten von bis zu 410 Euro auflaufen, aber auch Erträge bis zu 470 Euro, wie eine Kostenschätzung für das Bundesumweltministerium ergab. Besonders lohnend sind demnach die Umstellung der Kfz-Steuer auf CO2-Basis, die Verbrauchskennzeichnung von Pkws, der Ersatz von Nachtstromheizungen, die Entwicklung energieeffizienter Produkte und die Einführung moderner Energiemanagementsysteme. Schlecht schneiden zum Beispiel die Förderung der Elektromobilität, der Ausbau von Biokraftstoffen und erneuerbaren Energien sowie die Reduktion fluorierter Treibhausgase ab (vgl. Tabelle auf Seite 5). 5 Milliarden Euro: Emissionsrechte in diesem Wert lassen sich mithilfe von internationalen Projekten im Rahmen des Clean Development Mechanism sparen. Mittlerweile hat die UN-Klimaschutzorganisation 1.900 Projekte anerkannt, weitere 4.000 stehen in der Pipeline. Allein durch das laufende Klimaschutzengagement in Entwicklungs- und Schwellenländern werden jährlich rund 325 Millionen Tonnen­­Kohlendioxid weniger an die Atmosphäre abgegeben. Diese Einsparungen sind bares Geld wert: Kommen die Klimaschutzprojekte die Investoren nur um 3 Euro je Tonne CO2 günstiger als ein entsprechendes Emissionsrecht, wären ihre Klimaschutzkosten um fast 1 Milliarde Euro im Jahr niedriger als ohne das CDM-Engagement. Seite 8 3.000 Euro, heute sind es über 5.000 Euro jährlich. Der staatlich veranlasste Kostenblock nahm dabei von knapp 1.500 Euro auf fast 2.500 Euro zu. Die Klimakosten kamen von nahezu null auf zuletzt immerhin 700 Euro pro Jahr (ebenfalls Tabelle Seite 7). Interessant werden diese Zahlen, wenn man sie mit dem „gerechten Preis“ vergleicht, der beim Emissions­ handel erzielt wird. So belaufen sich die verschiedenen Kostenbelastungen der Privathaushalte durch Stromsteuer, Förderung erneuerbarer Energien und Emis­ sionshandel auf insgesamt rund 80 Euro je Tonne. Das sind aber viermal so hohe Kosten, als wenn die Zertifikate am Markt gekauft werden müssten. Die Politik rechtfertigt ihre Maßnahmen nicht selten durch den Begriff der „wirtschaftlichen Effizienz“, wonach der durch höhere Preise erzwungene geringere Verbrauch die Energieimporte verringere und daher wirtschaftlich sinnvoll sei. Dabei wird jedoch verkannt, dass es durchaus betriebs- und volkswirtschaftliche Gründe gibt, auf eine bestimmte Maßnahme zur Steigerung der Energieeffizienz zu verzichten, sie also nicht durchzuführen. In die ökonomischen Optimierungskalküle fließen nämlich zahlreiche Kriterien ein, die nicht nur die Energiekosten umfassen, sondern auch weitere Betriebskosten, Investitionsvolumen und die voraussichtliche Nutzungsdauer. Dem Klimaschutz nützt es wenig, wenn die Einsparung von Energie so sehr im Vordergrund steht, dass keine Investitionen in die Entwicklung neuer Produkte mehr stattfinden können. Das kann sogar zu gesamtwirtschaftlich negativen Effekten führen, wenn beispielsweise durch staatlich vorgegebene Verbrauchssenkungen für die Unternehmen so hohe Kosten entstehen, dass die internationale Wettbewerbsposition verschlechtert wird. Fachleute fordern deshalb, dass der staatliche Instrumentenmix aufeinander abgestimmt sein muss – sowohl beim Klimaschutz als auch auf dem Gebiet der Energieeffizienz. Beim Klimaschutz ist es beispielsweise wenig sinnvoll, der Industrie vorzuschreiben, weniger Luftschadstoffe wie Rauch, Feinstaub oder Stickoxide auszustoßen, wenn gleichzeitig damit erhöhte CO2Emissionen verbunden sind. Um das Ziel erhöhter Energieeffizienz zu erreichen, reicht es, auf Energiesteuern oder ein System des Emissionshandels zu setzen. Denn dadurch werden die Preissignale gegeben, die es den Marktteilnehmern ermöglichen, sowohl ökologisch als auch ökonomisch vernünftig zu handeln. Durch den Emissionshandel spiegeln sich die externen Kosten im Preis wider und können in der Wirtschaftlichkeitsrechnung der Markt- Thema Wirtschaft Nr. 120 Realistische Ziele Deutschland und Europa sind klimapolitisch nicht optimal aufgestellt. Insbesondere wird zu wenig darauf geachtet, kostengünstigen Klimaschutz zu betreiben. Eine zentrale Planung der günstigsten Klimaschutzmaßnahmen ist letztlich unmöglich. Ideal wäre ein umfassendes marktwirtschaftliches System, das ein Preissignal aussendet, bis zu dem Klimaschutz ökonomisch vorteilhaft ist. Der Klimaschutz ist heute jedoch durch eine Vielzahl von unterschiedlichen staatlichen Instrumenten geprägt. Globale Instrumente stehen neben multinationalen und europäischen. Hinzu kommen nationale, regionale und lokale Initiativen und Maßnahmen. Neben allgemeinen und sektorübergreifenden Regeln existiert eine Reihe von sektorspezifischen Maßnahmen oder Einzelregelungen, die nur einzelne Aspekte oder Bereiche eines bestimmten Sektors betreffen. Eine effiziente Klimapolitik muss aber realistische Ziele beinhalten. Entscheidend für den Erfolg beim internationalen Klimagipfel in Kopenhagen ist es, die größten Emittenten von Treibhausgasen, insbeson­dere China und die USA, für einen Klimaschutzbeitrag gewinnen und nach Kyoto in ein Folgeabkommen integrieren zu können. Ohne einen signifikanten Beitrag dieser Länder sind alle Anstrengungen, Treib­ hausgase in anderen Ländern zu reduzieren, letztlich nutzlos und unnötig teuer. Insbesondere wird zu wenig beachtet, dass mit dem Emissionshandel bereits ein Instrument zur Verfügung steht, das weitere Klimaschutzmaßnahmen in den betroffenen Sektoren überflüssig macht. In aller Regel sind weitere, darüber hinausgehende Emissionsre­ duktionen dann nicht mehr zu erzielen. Um international einen möglichst effizienten Klimaschutz betreiben zu können, müssen die Maßnahmen zur Vermeidung von Treibhausgas-Emissionen an den Orten vorgenommen werden, wo dies je vermiedene Einheit am billigsten ist. Oftmals dürften diese Möglichkeiten in den Entwicklungs- und Schwellenländern liegen, während in den klimapolitisch aktiven Industrieländern preiswerte Vermeidungspotenziale bereits zu einem guten Teil ausgeschöpft sind. Ein neues internationales Klima­abkommen muss also dazu beitragen, dass die global günstigsten Vermeidungspotenziale realisiert werden. Dazu ist vor allem eine Ausweitung der bisherigen flexiblen Mechanismen unumgänglich. Dies gilt insbesondere für den Clean Development Mecha- Klimaschutz durch CDM-Projekte: China an der Spitze Es wird erwartet, dass durch die von der UNO-Klimaorganisation bereits bewilligten internationalen Projekte so viel Millionen Tonnen CO2-Äquivalente eingespart werden können: 190,9 China 36,5 Indien Brasilien 20,9 Korea 14,9 Mexiko 9,3 Chile 4,7 Argentinien 4,2 Nigeria Andere © 2009 IW Medien • TW 120 teilnehmer berücksichtigt werden. Weitergehende staatliche Eingriffe lassen sich mit Hinweis auf die externen Kosten dann nicht mehr rechtfertigen. Seite 9 4,2 38,1 Insgesamt 323,7 Stand: November 2009 Quelle: UNFCCC (UN-Klimasekretiariat) nism (CDM), aber auch für Joint Implementation und schließlich auch für die Möglichkeit des Handels mit Emissionsrechten. Die Klimaschutzkosten sind dann am geringsten, wenn diejenigen Maßnahmen durchgeführt werden, die geringere Vermeidungskosten als andere Klimaschutzbemühungen aufweisen. Als Maßstab bietet sich der Preis für Kohlendioxid-Emissionen an, wie er im Rahmen des Emissionshandels an den Börsen ermittelt wird. Teurere Maßnahmen sollten hingegen nicht umgesetzt werden. Die Idee des CDM ist einfach (vgl. Seite 2): Ein Unternehmen investiert in einem Land, das sich noch nicht am Klimaschutz beteiligt, in ein Projekt zur Reduktion von Emissionen. Dafür bekommt es eine Gutschrift, die es in Emissionszertifikate für den europäischen Handel umtauschen kann. Damit spart das Unternehmen den Kauf eines solchen Zertifikats an der Börse. Im Ergebnis werden die Klimaschutzvorgaben der EU erfüllt, aber zu geringeren Kosten. Gleichzeitig profitieren die beteiligten Schwellen- und Entwicklungsländer durch den mit den Projekten verbundenen Transfer von modernen Technologien. Inzwischen werden immer mehr Projekte umgesetzt (vgl. Tabelle). 1.900 sind von der UNO-Klimaorganisation anerkannt worden, über 4.000 befinden sich noch in der Pipeline. Am erfolgreichsten laufen die Projekte in China. Allein die Hälfte der Emissionsminderungen der aktuellen Projekte wird im Reich der Mitte erwartet. Indien und Brasilien folgen auf den Thema Wirtschaft Nr. 120 Seite 10 Was Zertifikate in Afrika bewirken können Der Klimawandel ist auch in Äthiopien mit Wucht zu spüren. Der Journalist Markus Grabitz beschreibt, wie mit europäischer Hilfe Lösungen aussehen könnten: Der Bauer Gidey Gebrekristos hat es mit seinen 55 Jahren noch nie weiter geschafft als in die Hauptstadt seiner Heimatprovinz Tigray. Er kann nicht lesen und schreiben und hat wohl noch nie etwas vom Handel mit Verschmutzungszertifikaten gehört. Was aber der Klimawandel für ihn bedeutet, das hat er am eigenen Leib erfahren. Dürren und Überschwemmungen Seit 22 Jahren sitzt er auf seiner Mini-Scholle von 3.000 Quadratmetern im nördlichen Hochland von Äthiopien. Rund um seine Hütte beim Städtchen Adwa tobten in den 1990er Jahren die Kämpfe während des Kriegs zwischen Eritrea und Äthiopien. Die Regierung ließ die Bäume abholzen, damit sich die Rebellen dahinter nicht verstecken konnten. All die Jahre hatten seine Frau, sein Sohn und er nur acht Monate im Jahr genug zu essen, vier Monate wurde gehungert. Das war schon schwer genug. Zuletzt ist dann auch noch das Wetter immer extremer geworden. Äthiopien hat seit der Jahrtausendwende so viele Dürren und Überschwemmungen gehabt wie in den 20 Jahren davor nicht. Die Regierung tut etwas dagegen Die äthiopische Regierung nimmt die Folgen des Klimawandels aber nicht ohne weiteres hin. Sie tut etwas gegen die sich immer mehr ausbreitende Mondlandschaft. Gidey Gebrekristos und 420 andere Kleinbauern in diesem seit Menschengedenken von Hungersnöten geplagten Landstrich ackern mit Schippe und Hacke, damit das Land wieder fruchtbarer wird. Sie bauen Wälle, die das abfließende Regenwasser bremsen, Sickergruben, in denen sich die wertvolle Erde absetzt, wenn die Fluten weg sind, und pflanzen Bäume. 40 Tage im Jahr muss jeder Kleinbauer an dem Projekt teilnehmen, bei dem der Einöde Stück für Stück fruchtbare Erde abgetrotzt wird. Projekt wird in Kopenhagen vorgestellt Das Projekt führt die Regierung zusammen mit dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) durch. Die Regierung stellt die Experten, die Gebrekristos und die anderen bei der Arbeit anleiten, das WFP gibt den Bauern Lebensmittelpakete. 3 Kilogramm Getreide bekommen die Bauern pro Arbeitstag und das höchstens drei Monate lang. Bis Ende 2011 will das WFP so 1,7 Millionen Bauern unterstützen, die gegen die Folgen des Klimawandels kämpfen. Das Projekt könnte Schule machen. Aus ganz Afrika kommen Politiker und wollen ähnliche Programme auflegen. Und Äthiopiens Regierungschef Meles Zenawi, der der Verhandlungsführer Afrikas bei der Klimakonferenz in Kopenhagen ist, wird dort das in seiner Heimatprovinz Tigray gestartete Projekt vorstellen. Afrika könnte der große Gewinner sein Schon jetzt steht fest, dass Afrika der große Gewinner wäre, wenn in Kopenhagen der Durchbruch zu einem weltweiten Handel mit Verschmutzungsrechten geschafft würde. Ottmar Edenhofer, Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgen­ forschung (PIK): „Afrikas Einnahmen aus dem Zertifikatehandel würden bei weitem höher sein als alles, was derzeit an Entwicklungshilfe gezahlt wird.“ Der Grund dafür ist, dass Afrika wegen der geringen Industrialisierung und des starken Bevölkerungswachstums viele Zertifikate übrig haben wird und in den Rest der Welt verkaufen kann. Schon jetzt ist allerdings die Befürchtung groß, dass die Milliardensummen landen, wo es in Afrika allzu üblich ist: Die korrupten Eliten leiten das Geld geschickt auf ihre Konten in Steuerparadiesen und sorgen dafür, dass ihre Bevölkerung nichts abbekommt. Edenhofer fordert Mechanismen, die die klebrigen Finger der nationalen Regierungen umgehen. Das Geld könnte etwa an international operierende Fonds fließen, die vor Ort damit Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel finanzieren. Industrieunternehmen, die den immer strenger werdenden Klimaschutzverpflichtungen in Europa nicht nachkommen, können dann Umweltschutzprojekte in Afrika finanzieren, wie beispielsweise in der Ortschaft Ahferom im nördlichen Äthiopien: Früher war alles hier verwüstetes Land. Sobald sich irgendwo karges Grün ansiedelte, wurde es von umherstreunenden Ziegen sofort weggefressen. Doch dann haben sich Anfang dieses Jahres einige Dorfbewohner zusammengeschlossen zu einer Kleinbauerninitiative. Sie haben die Ziegen, die Schafe und die Kühe ausgesperrt von dem Flecken Land, haben WasserReservoirs gegraben und über 200.000 Baumsetzlinge gepflanzt. Auch hier werden die Arbeiter vom WFP für ihren Einsatz für das Landgewinnungsprojekt mit Nahrungsmittelpaketen belohnt. Kopenhagen ist weit entfernt … Die äthiopische Regierung hat den Aufforstungsexperten Gebrehiwat Hailemikael geschickt. Seine Botschaft war: Aus Europa würde jedes Jahr Geld an die Kleinbauerninitiative fließen, wenn es ihr gelänge, den Hügel wieder zu begrünen. Derzeit decken die Blätter der jungen Bäume erst 8 Prozent der Fläche ab. Der Experte schätzt, dass es noch mindes­ tens fünf Jahre dauert, bis die nötige Blattdichte erreicht ist. Bis dahin müssen die Bäume geschützt werden. Immer wieder müssen die anderen Kleinbauern davon überzeugt werden, dass sie ihr Vieh nicht auf das Experimentierfeld zum Weiden schicken. „Die Bäume sind sehr verwundbar, solange sie nicht eine bestimmte Höhe erreicht haben“, erklärt Hailemikael. Kopenhagen ist weit entfernt von Ahferom, doch die Menschen hier sind zufrieden. Ein Bauer sagt: „Selbst wenn Europa nicht zahlen sollte – es hat sich gelohnt. Die Bäume sind gut für uns alle hier.“ Quelle: Kölnische Rundschau Thema Wirtschaft Nr. 120 Seite 11 den internationalen Klimaschutz mit eingebunden werden. • Internationale Klimaschutzprojekte bilden eine Option für effizienteren und damit kostengünstigeren Klimaschutz. Diese müssen mehr als bisher genutzt werden. 2. Die Wettbewerbsprobleme müssen ernst genommen werden: • Einseitige Kosten für bestimmte Branchen schaden der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Genau das geschieht aber durch die Auktionierung von Emissionsrechten in Europa. Die hierdurch entstehenden Wettbewerbsnachteile bedeuten für andere Länder Vorteile. Wenn sie sich am globalen Klima­schutz beteiligen wollen, müssen sie jedoch darauf verzichten, damit der Wettbewerb nicht verzerrt wird. • Bei einseitigen klimapolitischen Anstrengungen in Europa muss mehr als bisher die internationale Wett­ bewerbsfähigkeit betroffener Unternehmen berückKlimapolitik der Zukunft sichtigt werden. Das gelingt nur mit den Instrumenten Deutschland und Europa sind klimapolitisch nicht der Klimapolitik, damit die auf Umweltschutz spezia­ optimal aufgestellt. Insbesondere wird zu wenig darauf lisierten Unternehmen ihre internationalen Chancen geachtet, kostengünstigen Klimaschutz zu betreiben. nicht verlieren. Protektionismus gegenüber DrittlänDurch die zahlreichen nicht aufeinander abgestimmten dern ist keine Lösung. Die Entwicklungsländer warnen nationalen und internationalen Aktivitäten werden beispielsweise vor einem „Klimaprotektionismus“ der Privathaushalten und Unternehmen Zusatzbelastungen Industrieländer, der die Nord-Süd-Beziehungen vergifte­ in Milliardenhöhe aufgebürdet, denen keine entspreund den Abschluss der Klimaverhandlungen in Kopenchenden Klimaschutzwirkungen gegenüberstehen. hagen ernsthaft gefährde.­Der Für die zukünftige Klimapolitik müssen vor allem drei Je mehr CO2-Emissionen vermieden „neue und gefährliche Trend“ lasse sich zum Beispiel an der Kernbotschaften berücksich­ werden, desto höher die finanziellen Klimaschutzgesetzgebung in tigt werden: Lasten. ... den USA und bei den Klima1. Bei allen Lösungsansät- Es wird immer schwieriger, Menschen davon zu überzeugen, dass sie heute verhandlungen festmachen. zen muss die Globalität des Wachstum opfern sollen, um in Es gebe klare Anzeichen daProblems im Vordergrund 100 Jahren minimale ökologische für, dass einige Industriestehen: Verbesserungen zu erzielen. staaten, vor allem aber die • Es scheint eine Plattitüde Björn Lomborg, dänischer Politikwissenschaftler, Leiter des Copenhagen Consensus Centre und bekannter Skeptiker der Klimapolitik USA, einseitige Maßnahmen zu sein; aber der Klimawanwie die Einführung von Zöllen,­ del ist ein globales Problem, Steuern oder Gebühren auf Produkte aus Entwickweshalb Klimaschutz auch nur global erfolgen kann. lungsländern vorbereiteten und dies mit der NotwenManche Politiker aber tun so, als ob Europa allein die digkeit des Klima­schutzes begründeten. So verpflichte Trendwende schaffen könnte. In welchem Land oder der American Clean Energy and Security Act den Kontinent die Emission von Treibhausgasen reduziert US-Präsidenten, Importeure von Produkten aus Entwerden, ist aus der Umweltperspektive jedoch gleichwicklungsländern, deren Herstellung mit einem hohen gültig. Aus ökonomischer Perspektive müssen diejeni­Kohlendioxid-Ausstoß verbunden ist, ab 2020 zur gen Klimaschutzprojekte umgesetzt werden, die am ­Kasse zu bitten. Die Importeure müssten Emissionskostengünstigsten sind – häufig sind dies gerade die zertifikate erwerben, was die Produkte entsprechend Projekte in China, Indien, Russland und verschiedenen verteuere. Formal werde das Gesetz, das vom RepräSchwellen- und Entwicklungsländern. Dort gibt es sentantenhaus bereits verabschiedet wurde, damit­ noch so hohe Emissionen, dass Klimaschutz allein in begründet, dass die Wettbewerbsfähigkeit von USEuropa völlig wirkungslos bliebe. Unternehmen, die ebenfalls für CO2-Emissionen • Diejenigen Industrie- und Schwellenländer, die bezahlen müssen, gewahrt bleiben solle. Im Emisbisher noch nicht mitmachen, müssen unbedingt in Plätzen. Dabei konzentrieren sich die Maßnahmen vor allem auf erneuerbare Energien und Emissionsminderungen durch die Behandlung von Abfällen. Aber auch Verbesserungen von Industrieanlagen gehören dazu. Allein mit den laufenden Projekten werden jährlich rund 275 Millionen Tonnen Kohlendioxid eingespart. Damit kann bei einem Kurs von 20 Euro der Kauf von Emissionsrechten im Wert von gut 5 Milliarden Euro gespart werden. Allerdings muss man die Kosten für die Investitionen abziehen. Vergleicht man sie mit den Marktpreisen für europäische Emissionsrechte, sinken die Klimaschutzkosten immerhin um fast 1 Milliarde Euro jährlich. Das Ganze hat noch einen anderen wirtschaftlichen Vorteil: Durch die internationalen Projekte kann sich der Markt für Emissionsrechte in Europa entspannen; weitere Preisanstiege werden vermieden. » « Thema Wirtschaft Nr. 120 Seite 12 Mehr zum Thema Hubertus Bardt: Grundzüge einer effizienten Klimapolitik, IW-Positionen, Nr. 42, zu beziehen über: www.iwmedien.de, Bookshop Hubertus Bardt, Jan Welf-Selke: Klimapolitik nach 2012 – Optionen für den internationalen Klimaschutz, IW-Positionen Nr. 29, zu beziehen über: www.iwmedien.de, Bookshop Bundesministerium für Umwelt- und Naturschutz: Themenschwerpunkt zu Klima und Energie unter: www.bmu.de Spiegel Online: www.spiegel.de/thema/klimawandel/ Weltklimarat: www.ipcc (englisch) 4. Sachstandsbericht des Weltklimarats: deutsche Fassungen abzurufen unter: www.bmu.de/klimaschutz/internationale_ klimapolitik/ipcc/doc/39274.php UN-Klimakonferenz in Kopenhagen: http://en.cop15.dk/ (englisch) Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung: www.awi.de Copenhagen Consensus Centre, Internetseite zum Klima­wandel: http://fixtheclimate.com/ (englisch) Bundeszentrale für politische Bildung: Online-Dossier zum Klimawandel, Unterkapitel zu Klimapolitik, unter: www. bpb.de, Themen, Gesellschaft, Klimawandel, Klima­politik „Eine unbequeme Wahrheit“: Oscar-prämierter Dokumentarfilm über den Stand der Klimaforschung, präsentiert vom früheren US-Vizepräsidenten Al Gore Umweltorganisationen wie Greenpeace, Bund o.Ä.: Darstellung ihres Standpunkts auf Internet-Themenseiten zu Klimawandel und Klimapolitik, unter: www.bund.org, www.greenpeace.de sionshandel müssen Wege gefunden werden, bestimmte Kostengrenzen für Unternehmen nicht zu überschreiten. 3. Der Instrumentenmix muss verbessert werden, um unnötige Kosten zu vermeiden. • Die klimapolitischen Instrumente müssen besser auf­einander abgestimmt werden. Doppelregulierungen sind zu vermeiden. • Der Emissionshandel ist inzwischen ein allgemein anerkanntes Instrument, mit dem die Klimakosten in den Strompreis mit einbezogen werden. Weitere In­­- s­trumente, beispielsweise Steuern und Vorgaben zum Stromverbrauch, müssen entsprechend abgeschafft werden. • Statt viele Instrumente gleichzeitig einzuführen, muss sich die Politik auf die Maßnahmen beschränken, bei denen die niedrigsten Vermeidungskosten ent­stehen. • Verstärkte Forschung ist der Schlüssel, um preiswerte Klimaschutztechniken zu entwickeln, die auch gute Absatzchancen auf den Weltmärkten bieten und damit die deutsche Wirtschaft stärken können. Der Autor Hubertus Bardt, Dr. rer. pol. Geboren 1974 in Bonn; Studium der Volkswirtschaftslehre und der Betriebswirtschaftslehre in Marburg und Hagen, Promotion an der Philipps-Universität Marburg; seit 2000 im Institut der deutschen Wirtschaft Köln, seit 2009 stellvertretender Leiter des Wissenschaftsbereichs Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik, seit 2005 Referent für Energie- und Umweltpolitik und Leiter der Forschungsstelle Umwelt- und Energieökonomik, zudem Redakteur des IW-Umwelt-Service 6/2009 Herausgeber: Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Bundesarbeitsgemeinschaft SCHULEWIRTSCHAFT Redaktion: Irina Berenfeld, Köln (verantw.) Telefon: 0221 4981-522 · Fax: 0221 4981-504 [email protected] · www.iwkoeln.de · www.schule-wirtschaft.de ISBN 978-3-602-24320-4 (Druckausgabe) ISBN 978-3-602-45820-2 (E-Book|PDF) © 2009 Institut der deutschen Wirtschaft Köln Medien GmbH Postfach 10 18 63, 50458 Köln Konrad-Adenauer-Ufer 21, 50668 Köln Telefon: 0221 4981-452 Fax: 0221 4981-445 [email protected] www.iwmedien.de Druck: Warlich Druck Meckenheim GmbH, Meckenheim ISBN 978-3-602-24320-4