Analyse psychiatrischer Konsultationen durch somatische

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,Aus der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
der
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Direktor: Prof. Dr. J. Kornhuber
Analyse psychiatrischer Konsultationen durch somatische Disziplinen am Beispiel
einer Universitätsklinik
Inaugural-Dissertation
zur Erlangung der Doktorwürde
der Medizinischen Fakultät
der
Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg
vorgelegt von
Regina Theresa Schmid
aus
Burghausen
2011
Gedruckt mit Erlaubnis der
Medizinischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg
Dekan:
Prof. Dr. med. Dr. h.c. Jürgen Schüttler
Referent:
Prof. Dr. med. Wolfgang Sperling
Korreferent:
Prof. Dr. med. Norbert Thürauf
Tag der mündlichen Prüfung:
18.06.2012
Für meine Eltern
INHALTSVERZEICHNIS
Zusammenfassung/Summary ....................................................................................................... 1
1 EINLEITUNG........................................................................................................................... 4
2 PATIENTEN UND METHODEN .......................................................................................... 11
2.1 Rahmenbedingungen ............................................................................................................ 11
2.2 Patienten............................................................................................................................... 11
2.3 Diagnostik und Dokumentation ............................................................................................ 11
2.4 Datenerfassung und Auswertung .......................................................................................... 12
3 ERGEBNISSE ........................................................................................................................ 15
3.1 Studienpopulation ................................................................................................................ 15
3.2 Alter und Geschlecht ............................................................................................................ 15
3.3 Inanspruchnahme des psychiatrischen Konsiliardienstes ..................................................... 16
3.3.1 Absolute Inanspruchnahme ............................................................................................... 16
3.3.2 Relative Inanspruchnahme ................................................................................................ 18
3.4 Somatische Hauptdiagnosen der Konsilpatienten ................................................................. 19
3.5 Psychiatrische Morbidität, Suizidalität, Verdachtsdiagnosen und Vorbehandlung ............... 21
3.5.1 Psychiatrische Morbidität .................................................................................................. 21
3.5.2 Suizidalität ........................................................................................................................ 23
3.5.3 Verdachtsdiagnosen der Somatiker und Übereinstimmung ............................................... 23
3.5.4 Vorbehandlung .................................................................................................................. 25
3.6 Gründe für die Konsilanforderung ....................................................................................... 25
3.7 Konsiliarische Empfehlungen zum weiteren Prozedere ....................................................... 26
3.8 Konsiliarische Medikationsempfehlungen ........................................................................... 27
3.9 Psychiatrische Komorbidität bei somatischen Hauptdiagnosen ............................................ 29
4 DISKUSSION ......................................................................................................................... 32
4.1 Soziodemographische Daten ................................................................................................ 32
4.2 Inanspruchnahme des Konsiliardienstes ............................................................................... 32
4.3 Psychiatrische Morbidität im Konsiliardienst....................................................................... 35
4.4 Verdachtsdiagnose der Somatiker ........................................................................................ 37
4.5 Vorbehandlung ..................................................................................................................... 38
4.6. Konsilanforderungsgründe .................................................................................................. 38
4.7 Konsiliarische Empfehlungen .............................................................................................. 39
4.8 Psychiatrische Morbidität bei somatischen Hauptdiagnosen ................................................ 40
4.8.1 Somatische Morbidität ...................................................................................................... 40
4.8.2 Psychiatrische Komorbidität ............................................................................................. 41
4.9 Ausblick: Perspektiven und zukünftige Aufgaben der Konsiliarpsychiatrie ......................... 42
4.10 Visionen für die Zukunft .................................................................................................... 44
5 LITERATURVERZEICHNIS................................................................................................. 46
6 TABELLEN UND ABBILDUNGSVERZEICHNIS .............................................................. 52
Danksagung ............................................................................................................................... 54
Lebenslauf .................................................................................................................................. 55
1
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Zusammenfassung
1. Hintergrund und Ziele
Das Fachgebiet der Konsiliarpsychiatrie und die Bedeutung der Integration von psychiatrischen
Versorgungsmöglichkeiten in somatische Fachabteilungen gewinnt in Zukunft an Wichtigkeit.
Am Universitätsklinikum Erlangen wurde in den letzten Jahren eine starke Zunahme der
konsiliarischen Aktivität beobachtet. Da bisher aber noch keine systematische Untersuchung
diesbezüglich erfolgte, war Intention dieser Arbeit, diese Tätigkeit zu analysieren, das
konsiliarisch gesehene Patientenkollektiv zu charakterisieren und Besonderheiten im Hinblick
auf
mögliche
Optimierungsmöglichkeiten
herauszuarbeiten.
Untersucht
wurde
das
psychiatrische Konsilaufkommen eines Jahres hinsichtlich folgender Hauptgesichtspunkte:
Bedarf der einzelnen somatischen Teilkliniken, Anforderungsgründe sowie psychiatrische und
somatische Diagnosen der Patienten.
2. Methoden
Es wurden die Durchschläge aller Konsilscheine (n=637) des Jahres 2008, die zentral im
Sekretariat der psychiatrischen Ambulanz archiviert waren, herangezogen und retrospektiv
ausgewertet.
Entsprechend
der
Fragestellungen
wurden überwiegend
Methoden
der
darstellenden Statistik gewählt.
3. Ergebnisse und Beobachtungen
Das Durchschnittsalter der dem Konsildienst vorgestellten Patienten betrug 53 Jahre. Die größte
Gruppe der Studienpatienten war zwischen 40 und 45 Jahre alt. Das Verhältnis von Männern
und Frauen war wider Erwarten weitgehend ausgeglichen. Die Prävalenzzahl psychiatrischer
Konsile betrug für das gesamte Universitätsklinikum 0,9%. Damit wurde weniger als jeder
hundertste Patient des Klinikums konsiliarpsychiatrisch mitbetreut, dies war - verglichen mit
der Literatur - gering. Der Konsildienst der Psychiatrischen Klinik wurde hauptsächlich von der
Neurologie (35,7%) und der Inneren Medizin (32,8%) in Anspruch genommen, während die
Chirurgie und die Frauenklinik eine auffällig geringe relative Inanspruchnahme von 0,5%
aufwiesen. Die drei häufigsten psychiatrischen Diagnosen waren entsprechend der Literatur die
Neurotischen, Anpassungs- und Somatoformen Störungen (27,8%), die Hirnorganischen
Störungen (17,5%) und die Affektiven Störungen (16,2%). Die im Konsildienst betreuten
Patienten befanden sich am häufigsten wegen Tumor- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sowie
der Epilepsie in stationärer Behandlung. Mit der Literatur übereinstimmend waren in dieser
Studie die am weitaus häufigsten Gründe für die Anforderung eines psychiatrischen Konsils
akute psychiatrische Symptome (43%), körperliche Symptome die organisch nicht zu erklären
waren (15,3%), sowie der Verdacht auf eine akute Suizidalität (14,2%). Die häufigsten
konsiliarischen Empfehlungen waren die Behandlung mit einem Psychopharmakon (37,5%) und
2
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die Aufnahme auf eine psychiatrische Station (11%). Auffällig war in dieser Studie, dass 132
von 607 Patienten - dies entspricht etwa jedem fünften Patienten - keine psychiatrische
Diagnose erhalten hatten. Dies war weitaus häufiger, verglichen mit den in der Literatur
angegebenen Zahlen.
4. Praktische Schlussfolgerungen
Es kann demnach gefolgert werden, dass dem psychiatrischen Konsildienst vermehrt Patienten
zugewiesen werden, welche die Kriterien für eine psychische Störung nicht erfüllen, das heißt in
der Regel nur leichte psychische Beeinträchtigungen aufweisen. Daraus ergibt sich die
Vermutung,
dass
bei
einem
großen
Teil
der
Konsile
hauptsächlich
Fragen
der
Krankheitsbewältigung sowie das Bedürfnis nach einem entlastenden Gespräch im Vordergrund
stehen. In diesem Zusammenhang halten wir die stärkere Miteinbeziehung von nicht-ärztlichen
Berufsgruppen wie der klinischen Psychologie in die Betreuung von somatisch Kranken mit
psychischer Komorbidität für gerechtfertigt.
Summary
1. Background and aims
Consultation psychiatry and the need for psychiatric services among inpatients of somatic
hospital departments will gain importance in the future. In the University Hospital of Erlangen
an increasing number of consultation activities has been observed in recent years. Up to now, no
systematic study concerning this matter has been made. The aim of this study was to analyze
and describe these activities, and to characterize the patient population, as well as to develop
ways to improve. We investigated consultations during the course of one year with special
regard to: the frequency of need and utilization by the various somatic departments, reasons for
referral, and the somatic and psychiatric diagnoses of the referred patients.
2. Methods
This study was based on an evaluation of copies of all consultation forms (n=637) for the year
2008, archived in the records of the Psychiatric Outpatients Department. Based on the types of
questions, methods of representative statistics were primarily the ones chosen.
3. Results
The average age of patients referred to the Consultation Service was 53 years, most of them
between the ages of 40 and 45. The proportion of men and women was almost equal. The
prevalence of psychiatric consultation services for the entire hospital was 0.9% in total. The
need for consultation was highest among neurology patients (35.7%) and patients from internal
medical wards (32.8%), while the need for consultation among patients coming from surgical
3
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and gynecological wards was remarkably low. The three most frequent psychiatric diagnoses
corresponded with the literature: neurotic-, adjustment-, and somatization disorder (27.8%),
organic mental disorder (17.5%) and affective disorder (16.2%). The majority of patients in
consultation were suffering from cancer, cardio-vascular disease or epilepsy. Reasons for
referral to a psychiatrist were mainly acute psychiatric symptoms, symptoms which could not be
explained by somatic reasons, and suicidal tendencies. The most frequent recommendation was
psychopharmacological treatment or admission to a psychiatric ward. It is remarkable that
consultations were held among 132 of 607 patients who did not get a psychiatric diagnosis
during this process. This was a lot higher compared to the rates found in literature.
4. Conclusion
Accordingly, it can be concluded that 20% of all patients who were seen by a consultation
psychiatrist did not fulfill criteria for any mental disorder, which means that they suffered from
less severe mental distress. Therefore, one can presume that in a large number of consultations,
the most prevalent issues encountered were those of coping with the sickness as well as the need
for therapeutic dialog. It seems to make sense to integrate non-medical professionals, such as
clinical psychologists, in the treatment of somatically ill patients having a comorbid mental
disorder.
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1 EINLEITUNG
Das Konsil in der Medizin ist definitionsgemäß die Hinzuziehung eines spezialisierten Kollegen
durch einen anderen Arzt bei der Behandlung eines Patienten im Krankenhaus. Ein Konsil wird
meist dann angefordert, wenn der Stationsarzt bei therapeutischen oder diagnostischen Fragen,
die seinen Patienten betreffen, nicht weiter weiß, und den Rat eines meist erfahreneren, und auf
das Fachgebiet spezialisierten Kollegen zu Rate ziehen möchte. Ein Konsil hat somit in erster
Linie die Optimierung der Behandlung des Patienten zum Ziel, die durch eine Zusammenarbeit
zwischen dem Stationsarzt - der die ganzheitliche Patientenbetreuung garantiert - und einem
Spezialisten auf dem die Frage betreffenden Fachgebiet erreicht werden soll. Der fachliche
Austausch zwischen Kollegen unterschiedlicher Fachrichtungen, der im Rahmen eines Konsils
stattfindet, ist somit zum einen für den Patienten von essentieller Bedeutung, zum anderen dient
er auch der Qualität der Ausbildung von Ärzten und damit dem intellektuellen Niveau der
Klinik (Krapf 2005).
Trotz des auf den ersten Blick scheinbar geringen Bedarfs an der Kompetenz des
psychiatrischen Konsiliardienstes, der sich im Rahmen von etwa 1% bewegt (Diefenbacher &
Arolt 2004, Huyse et al. 2001), steigen die Konsiliaraktivitäten in den letzten Jahren beachtlich
an, und die Konsiliartätigkeit macht einen immer größeren Bestandteil der Tätigkeit im
Psychiatrischen Fachgebiet aus (Ebel 2006). Als Beispiel hierfür nennt Ebel das Klinikum
Ludwigsburg, wo die Anzahl an psychiatrischen Konsilen von 579 im Jahre 1996 auf 1409 im
Jahre 2003 anstieg, und sich damit das Konsilaufkommen in einem Zeitraum von sieben Jahren
mehr als verdoppelte. Doch was sind die Gründe für diesen steigenden Bedarf an
psychiatrischer Mitbetreuung im Krankenhaus seitens der somatischen Fachgebiete?
Wie Hengeveld bereits 1987 postuliert, hängt die Entscheidung darüber, einen Patienten an
einen psychiatrischen Konsildienst zu überweisen, von weit mehr ab, als von der Stärke der
Psychopathologie, die der Patienten aufweist (Hengeveld et al. 1987). So kann die Zunahme an
Konsilen vor dem Hintergrund einer zunehmenden Akzeptanz der Konsiliar-Liaisonpsychiatrie
(CL-Psychiatrie) gesehen werden (Arolt et al. 1995a). Auch sind eine stärkere Differenzierung
der medizinischen Fachgebiete sowie eine größere Bereitschaft zu Kooperation und
Wissensaustausch mögliche Faktoren.
Die steigende Spezialisierung und Differenzierung der medizinischen Fachgebiete trägt oftmals
zu der Einstellung bei, dass - falls das identifizierte gestörte Organsystem nicht im eigenen
Zuständigkeitsbereich liegt - die Diagnostik und Behandlung des Krankheitsbildes an den dafür
zuständigen Spezialisten deligiert werden kann. Im Hinblick auf psychische Beeinträchtigungen
könnte dies ebenfalls Grund für die zunehmende Bereitschaft sein, ein psychiatrisches Konsil
anzufordern. So wird nach Delius und Mitarbeitern, der in einer Arbeit die Indikation
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psychiatrische Konsile analysierte, der psychiatrische Kollege häufig hinzugezogen, weil der
Patient Gesprächsbedarf hat, den somatischen Kollegen aber die Zeit dafür fehlt. Zudem werden
Konsile häufig angefordert, um Konflikte aus der eigenen somatischen Fachabteilung
hinauszuverlagern, indem man sie an den zuständigen Experten delegiert (Delius et al. 1993).
Weiterhin lässt die fortschreitende Verkürzung der Krankenhausverweildauer, durch den DRG
bedingten Entlassungsdruck, eine künftige Zunahme der Konsilanforderungen erwarten
(Diefenbacher & Arolt 2004).
In Zusammenhang mit der beobachteten generellen Zunahme von psychischen Störungen in der
Bevölkerung wird dem tiefgreifenden Wandel von Gesellschaft und Arbeitswelt als möglicher
Auslöser bzw. manifestationsfördernder Faktor, eine große Bedeutung zugeschrieben. So finden
sich Menschen im 21. Jahrhundert zunehmend in unsicheren sozialen und emotionalen
Beziehungen in Partnerschaft und Familie vor. Eine als bedrohlich erlebte Krankenhaussituation
und eine beängstigende Diagnose kann so oftmals die Anpassungsleistung der Patienten
überfordern und depressive Syndrome auslösen (Weber et al. 2006). Das Risiko diesbezüglich
steigt bei allein lebenden, chronisch kranken, älteren oder durch Migration entwurzelten
Menschen,
insbesondere
wenn
gleichzeitig
soziale
Unterstützung
bei
der
Krankheitsbewältigung fehlt (Pontzen 2005). Nicht zuletzt aufgrund des medizinischen
Fortschritts bei der Therapie von lebensbedrohlichen Erkrankungen, die tendenziell eine längere
Anpassungsleistung erfordern, werden in der Krankenhausversorgung tätige Ärzte in
zunehmendem Maße mit Problemen konfrontiert, die sich nicht mehr alleine mittels ihres
medizinischen (somatischen) Fachwissens lösen lassen (Bauer & Vollmann 2004). Diese
Entwicklungen sind ein weiterer Grund dafür, warum der Bedarf an psychiatrischpsychotherapeutischer Diagnostik und Therapie in Zukunft weiter steigen und sich auch auf die
Zahl der Konsilanforderungen auswirken wird (Pontzen 2005).
Die Konsiliar-Liaison Psychiatrie (CL-Psychiatrie) ist der Bereich der Psychiatrie, der sich
speziell mit der Diagnostik und Therapie von Psychischen Störungen bei somatisch kranken
Patienten auseinandersetzt und damit als Schnittstelle zwischen somatischer und psychiatrischpsychosomatischer
Medizin
fungiert.
Für
die
Integration
von
psychiatrischen
und
psychosomatischen Diensten in somatische Funktionsbereiche existieren im Wesentlichen zwei
verschieden Modelle: das Modell der Konsultation und das Modell der Liaison (Kapfhammer
2008). Innerhalb des Modells der Konsultation konsultiert ein nicht-psychiatrisch spezialisierter
Arzt einer somatischen Abteilung einen Psychiater, wenn er bei einem seiner Patienten eine
psychiatrische Erkrankung vermutet. Wesentlich ist, dass die Verantwortung für den Patienten
in der Hand des somatischen Arztes verbleibt, und der Psychiater lediglich beratend
hinzugezogen wird. Es obliegt somit der Entscheidung des somatischen Arztes, ob und
inwieweit er die Empfehlungen des Konsiliarius umsetzt. Der Psychiater wird nicht selbständig
6
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tätig, sondern nur dann, wenn der somatische Kollege ein Konsil für indiziert erachtet. Die
Aufgabe des Konsilpsychiaters ist es, psychiatrische Komorbidiät zu beurteilen, somatische
Symptome als Ausdruck einer psychiatrischen Erkrankung zu erkennen und eine Empfehlung
zur weiteren Behandlung auszusprechen. Selbstverständlich gilt, dass die Einwilligung des
Patienten zur Durchführung eines Konsils vorliegen muss (Herzig 2005). Grundlegende
Voraussetzung für das Funktionieren dieses Modells ist jedoch das Vorhandensein einer
gewissen Sensibilität bei somatisch tätigen Ärzten, ein psychiatrisch- oder psychosomatisches
Problem beim Patienten überhaupt wahrzunehmen, und die Bereitschaft ein Konsil anzufordern
(Kapfhammer 2008). An der Tatsache, dass viele psychische Störungen unerkannt bleiben und
der Psychiater oft nur spät oder in Notfällen hinzugezogen wird, sieht man, dass dies jedoch
nicht immer die Regel ist (Diefenbacher & Arolt 2004, Grubich et al. 2007, Huyse et al. 2001).
Ein weiterer Nachteil dieses Modells ist der erfahrungsgemäße nur einmalig staffindende
Kontakt des Psychiaters mit dem Patienten. Bei komplexen Psychiatrischen Störungen erweist
sich das Konsiliarmodell somit oft als nicht ausreichend (Ebel 2006). Dessen ungeachtet
überwiegt in der deutschen und europäischen Praxis das klassische Modell der Konsultation
(Huyse et al. 2001).
Im Rahmen des Liaisonmodells ist ein Psychiater dauerhaft in den Stationsalltag einer
somatischen Station integriert. Er nimmt an Visiten und Stationsbesprechungen teil und wird
selbstständig und ohne Aufforderung tätig, wenn er psychiatrische, psychologische oder
psychosoziale Faktoren als wesentliche Krankheitsfaktoren bei einem Patienten vermutet
(Grubich et al. 2007). Er sieht grundsätzlich alle Patienten seiner Station und ist direkt an deren
Behandlung beteiligt (Ebel 2006). Durch Früherkennung und eine frühzeitige Intervention
sollen psychische Krisen möglichst verhindert werden. Neben diesen patientenbezogenen
Tätigkeiten des Liaisonpsychiaters gehört auch die Schulung und Sensibilisierung des
Behandlungsteams für psychosoziale Probleme somatisch erkrankter Patienten, in Form von
z.B. Balint Gruppen oder Schulungen zur Gesprächsführung. Eine Unterstützung und
Unterweisung des nicht-psychiatrischen Behandlungsteams einer Station ist somit ein weiterer
zentraler Bestandteil liaisonpsychiatrischer Tätigkeit. Vorteile dieses Modells liegen in der
hohen personellen Kontinuität und der sofortigen Verfügbarkeit psychiatrischer Leistungen
(Ebel 2006). Da das Liaisonmodell sowohl personal- als auch kostenintensiv ist, existiert dieses
Versorgungsmodell meist nur in medizinischen Settings, in denen Patienten und Personal
erfahrungsgemäß schweren psychischen Stresssituationen ausgesetzt sind und deshalb eine
Präventivbetreuung von Nutzen ist.
Ein noch weiterführendes Modell, das vor allem in den USA propagiert wird, sind medizinischpsychiatrische Behandlungseinheiten, sogenannte medical psychiatric units (Diefenbacher
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2007). Diese interdisziplinär-integrativen Stationen sind speziell für psychisch Kranke mit
erheblichen körperlichen Erkrankungen ausgerichtet, bei denen eine adäquate Mitversorgung
durch einen Konsiliararzt aufgrund struktureller oder personeller Probleme oder aber der
Schwere der Erkrankung nicht möglich ist. Ein multiprofessionelles Behandlungsteam
gewährleistet die frühzeitige, differenzialdiagnostische Abklärung und die Behandlung
komplexer Krankheitsbilder (Ebel 2006). In Deutschland ist dieses Modell bisher nur vereinzelt
verwirklicht (Lederbogen et al. 2008), könnte aber im Zuge der demografischen Entwicklung
und seiner Eignung im geriatrisch-gerontopsychiatrischen Bereich in Zukunft eine wichtige
Rolle einnehmen (Diefenbacher 2007).
Wirft man einen Blick auf die Entwicklung der Konsiliar-Liaisonpsychiatrie in Deutschland, so
fällt auf, dass durch die bis in die 1970er-Jahre hineinreichende ideologische Trennung der
Psychiatrie von den anderen medizinischen Fächern die Etablierung der CL-Psychiatrie erst
erheblich später erfolgte als in den USA (Diefenbacher 2002). Das Arbeitsfeld der
psychoreaktiven Erkrankungen und der Konsiliartätigkeit wurde aus oben genannten Gründen
zunächst
von
der
Psychosomatischen
Medizin
aufgegriffen,
die
sich
aus
dem
Überschneidungsgebiet von Psychiatrie und Innerer Medizin zu einem selbständigen Bereich
entwickelte (Diefenbacher & Arolt 2004). Erst als 1975 die Psychiatrie Enqûete schwere
Mängel in der Versorgung psychisch Kranker in Deutschland offenbarte, empfahl die
Sachverständigenkommission
explizit
die
Einrichtung
ständiger
psychiatrischer
Konsiliardienste an jedem größeren Krankenhaus (Diefenbacher 2002). Aufgrund dieser
historischen Entwicklung besteht in Deutschland bis heute eine Doppelversorgung durch
psychiatrische und psychosomatische CL-Dienste. Da diese Tatsache sowohl bei Patienten als
auch unter Ärzten immer wieder für Verwirrung sorgt, fordert Diefenbacher den
Zusammenschluss beider Dienste unter einer gemeinsamen Bezeichnung (Diefenbacher 2005).
Nachdem sich das Konsiliarwesen in Deutschland erst relativ spät etablierte und zunächst kaum
Gegenstand wissenschaftlichen Interesses war, nahm seit den 1990er-Jahren die Zahl an
wissenschaftlichen Publikationen zu diesem Themengebiet zu. So erschienen Mitte der 1990erJahre eine Reihe von Veröffentlichungen zu psychiatrischen Konsiliardiensten in Deutschland
(Arolt et al. 1995a, Deister 1994, Fiebiger et al. 1997, Kapfhammer 1992, Saupe &
Diefenbacher 1995). In diesen Studien wurden Überweisungsraten, Diagnoseverteilung, Art der
Therapieempfehlungen und Gründe für eine Konsilanforderung untersucht. 2001 erschien eine
internationale Studie, die sich der Lage der Konsiliarpsychiatrie in Europa widmete (Huyse et
al. 2001). Innerhalb eines Jahres wurden Daten von 56 CL-Diensten aus elf europäischen
Ländern gesammelt und hinsichtlich ihrer Organisation, der Besonderheiten und des
Diagnoseverhaltens ausgewertet. Affektive- und organische psychische Störungen waren in
dieser Studie die häufigsten Krankheitsbilder. Die Gründe für eine Konsultation waren mit
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absteigender
Häufigkeit
akute
psychiatrische
Symptome,
unerklärliche
somatische
Beschwerden, selbstschädigendes Verhalten und Substanzmissbrauch. Des Weiteren wurde
festgehalten, dass die CL-Psychiatrie in Europa den Charakter einer Notfallpsychiatrie hat.
In der Literatur wird übereinstimmend über eine Konsilanforderungsrate von 1- 2% berichtet
(Diefenbacher & Arolt 2004, Huyse et al. 2001). Dem steht gegenüber, dass in der Literatur die
Prävalenz psychischer Störungen unter Krankenhauspatienten reproduzierbar auf 20-40%
geschätzt wird (Wancata et al. 1996, Silverstone 1996, Hansen et al. 2001, Krautgartner et al.
2006), sodass man heute von einer durchschnittlichen Prävalenz von etwa 30% ausgeht (Arolt
2004). Über noch höhere Prävalenzraten wird unter neurologischen Patienten berichtet. So
werden Häufigkeiten von 35 % und 51% angegeben (Fritzsche et al. 2003, Fink et al. 2003).
Damit kann davon ausgegangen werden, dass die Prävalenzrate psychischer Störungen auf
neurologischen Stationen wesentlich höher ist als auf internistischen und auf 30-50% geschätzt
werden kann (Arolt 2004). Diese Diskrepanz zwischen Anforderung von psychiatrischen
Konsilen und der Prävalenz psychischer Störungen unter Krankenhauspatienten wird von den
Autoren als deutlicher Hinweis dafür interpretiert, dass weite Teile somatischer Fachabteilungen
psychiatrisch unterversorgt sind und die Hinzuziehung eines psychiatrischen Konsiliardienstes
bisher noch viel zu selektiv genutzt wird (Arolt et al.1997).
Angesichts der steigenden Wichtigkeit der Berücksichtigung von ökomischen Faktoren in der
Medizin erschienen in den letzten Jahren zunehmend Studien, die Effizienz und Nutzen
psychiatrischer Konsiliardienste in den Mittelpunkt des Interesses rückten: Der Bedeutung
psychiatrischer Konsiliar- und Liaisondienste liegt die Erkenntnis zu Grunde, dass
psychologische und soziale Faktoren den Beginn, die Exazerbation und den Verlauf von
somatischen Erkrankungen bestimmen und komplizieren können (Kapfhammer 2008). Dies
wiederum ist von beträchtlicher klinischer und gesundheitspolitischer Relevanz: in zahlreichen
Studien konnte bisher gezeigt werden, dass nicht erkannte oder nicht behandelte psychiatrische
Komorbidität zu erhöhter Inanspruchnahme medizinischer Leistungen, zu unangemessener
Diagnostik und Therapie, sowie zu längeren Liegezeiten im Krankenhaus und damit zu einer
erheblichen Belastung des Gesundheitssystems führen (Klesse et al. 2008, Saravay & Lavin
1994, Creed et al. 2002). Neben erhöhten Behandlungskosten (Baumeister et al. 2005) stellt
somatopsychische Komorbidität nicht nur einen unabhängigen Risikofaktor für die Morbidität
im Bereich von kardiologischen Erkrankungen dar, sie erhöht sogar die Mortalität (Barth et al.
2004). Nicht zu vergessen sind die weitreichenden sozialen Folgen psychiatrischer
Erkrankungen für die Solidargemeinschaft wie krankheitsbedingte Fehlzeiten, ein damit
verbundener Arbeitsplatzverlust, Frühberentung und die daraus resultierende Belastung der
Sozialkassen (Weber et al. 2006). Es wurde der Versuch unternommen zu zeigen, dass
integrierte psychiatrische Versorgungsmodelle nicht nur einen Nutzen für die Patienten und das
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Gesundheitssystem haben, sondern auch einen ökonomischen Nutzen für die betreffende Klinik.
Da komorbide psychische Störungen bei Patienten mit einer somatischen Erkrankung über die
DRG (diagnoses related groups) vergütet werden, kann das Nichtkodieren von FNebendiagnosen zu einer anderen DRG Gruppierung, und damit zu einer nicht unerheblichen
Erlösdifferenz für die Klinik führen (Burgmer et al. 2004). Für das Jahr 2002 konnten Burgmer
und Mitarbeiter beispielsweise einen fiktiven Mindererlös von 170 000 Euro für ein
Universitätsklinikum nachweisen (Burgmer et al. 2004). Neben diesen ökonomischen
Überlegungen sind es jedoch vor allem die nachgewiesene Verbesserung der Lebensqualität
(Baumeister et al. 2005) der Patienten und die Linderung von seelischem Leid, die zu den
grundlegenden Aufgaben ärztlicher Tätigkeit gehören und damit die Existenz und die weitere
Etablierung von CL-Diensten unabhängig von ökonomischen Faktoren rechtfertigen.
Das Fachgebiet der Konsiliarpsychiatrie und die Bedeutung der Integration von psychiatrischen
Versorgungsmöglichkeiten in somatischen Fachabteilungen gewinnt, wie aus bisherigen
Ausführungen ersichtlich, in Zukunft an Wichtigkeit. Am Universitätsklinikum Erlangen konnte
in den letzten Jahren eine steigende konsiliarische Aktivität beobachtet werden und die Anzahl
der zu bewältigenden Konsilleistungen nimmt von Jahr zu Jahr weiter zu. Dies steht in
Diskrepanz dazu, dass das Tätigkeitsfeld der Konsiliarpsychiatrie an der Universitätsklinik
bisher noch nicht systematisch untersucht wurde. Ziel und Zweck folgender Arbeit soll es
demnach sein, diese Lücke zu schließen und den aktuellen Stand der psychiatrischen
Konsiliartätigkeit - unter besonderer Berücksichtigung des Sonderstatus der Universitätsklinik
als ein Krankenhaus der Maximalversorgung - zu untersuchen. Dabei sollen die abgeleisteten
Konsile hinsichtlich Bedarf, Anforderungsgrund, gestellten Diagnosen, Weiterbehandlung und
angeordneter Medikation untersucht, sowie Besonderheiten herausgearbeitet werden. Welche
somatischen Hauptdiagnosen die konsiliarisch gesehenen Patienten hatten und welche
psychiatrisch Diagnosen vom Konsilarius gleichzeitig gestellt wurden, soll ebenfalls von
zentraler Bedeutung sein.
Anhand der gewonnenen Daten sollen folgende Fragestellungen untersucht werden:
1. Wie hoch ist die Inanspruchnahme des psychiatrischen Konsiliardienstes durch die einzelnen
Teilkliniken? Wie hoch sind die Konsilanforderungsraten der Teilkliniken bezogen auf die
Gesamtfallzahl der jeweiligen somatischen Abteilung?
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2. Wie gestalten sich die Verteilungsmuster der psychiatrischen und somatischen Diagnosen
(ICD 10) der im Konsil gesehenen Patienten?
3. Was sind die häufigsten Gründe der verschiedenen somatischen Disziplinen für die
Anforderung eines psychiatrischen Konsils? Welche Rolle spielt dabei insbesondere das Thema
Suizidalität?
4. Welche Verdachtsdiagnosen werden am häufigsten von nicht-psychiatrischen Ärzten gestellt,
und stimmen diese mit der im Rahmen des Konsils gestellten Diagnose der Patienten überein?
5. Für wie viele Patienten führte das Konsil zu einem Erstkontakt mit einem Psychiater?
6. Welche Empfehlungen zur weiteren Behandlung der Patienten wurden von den
Konsilpsychiatern am häufigsten ausgesprochen?
7. Welche Medikamente wurden am häufigsten angeordnet?
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2 PATIENTEN UND METHODEN
2.1 Rahmenbedingungen
Vorliegende Studie wurde am Universitätsklinikum Erlangen durchgeführt. Dieses ist ein
Klinikum der Maximalversorgungsstufe und neben dem Waldkrankenhaus St. Marien und dem
Klinikum am Europakanal eines von drei Krankenhäusern in Erlangen. Mit seinen an die
Fachabteilungen angeschlossenen Polikliniken nimmt es auch die Aufgaben
eines
Stadtkrankenhauses wahr. Das Klinikum umfasst 24 Teilkliniken und 16 Abteilungen, welche
sich in unmittelbarer Nähe zueinander befinden. Im Untersuchungszeitraum verfügte die Klinik
über 1302 Betten, davon 85 psychiatrische Betten und 16 tagesklinische Plätze. Im Jahr 2008
wurden insgesamt 65 660 Patienten vollstationär behandelt, darunter 1067 Patienten in der
Psychiatrischen Klinik des Universitätsklinikums. Der psychiatrische Konsiliardienst versorgt
ausnahmslos alle Abteilungen der Universitätsklinik und wurde im Untersuchungszeitraum von
den Oberärzten der Psychiatrischen Klinik ausgeführt. Da das Waldkrankenhaus St. Marien
über keine eigene Psychiatrie verfügt, wird es durch den Konsildienst des Universitätsklinikums
mitversorgt.
2.2 Patienten
Im Jahr 2008 wurden durch den psychiatrischen Konsildienst insgesamt n=637 Konsile bei
n=607 verschiedenen Patienten durchgeführt, wovon n=348 ambulant und n=289 direkt am
Krankenbett stattfanden. Die überwiegende Mehrheit der Konsile (n=627) fand dabei in 17
somatischen Teilkliniken der Universitätsklinik, sowie der Intensivstation und
des
Schmerzzentrums statt, während die übrigen n=10 Konsile im Waldkrankenhaus St. Marien
erfolgten. Die vorliegende Studie erfasst die Daten aller Patienten bei denen im Jahr 2008 ein
psychiatrisches Konsil stattfand. Die Daten dieser Konsilpatienten wurden retrospektiv so, wie
sie auf den 607 Konsilscheinen dokumentiert waren, hinsichtlich der in der Einleitung
dargestellten Fragestellungen ausgewertet. Bei Patienten, bei denen im Untersuchungszeitraum
mehrere Konsile erfolgten, wurden bei der Auswertung nur die Daten des ersten Konsils
berücksichtigt.
2.3 Diagnostik und Dokumentation
Zur Anforderung eines psychiatrischen Konsils stehen am Universitätsklinikum Erlangen
halbstandardisierte Anforderungsformulare zur Verfügung, auf denen von konsilanfordernder
Seite einige Angaben obligatorisch und überwiegend in handschriftlicher Form auszufüllen
sind. Dazu gehören Informationen über:
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a) Patientendaten: Name, Geburtsdatum, Aufnahmedatum
b) Anfordernder Arzt
c) Anfordernde Klinik/Station
d) Ambulant oder am Bett
e) Unterschrift und Datum der Anforderung
Freitextfeld:
f) Somatische Anamnese und Befund des Patienten
g) Gezielte Fragestellung
h)
evtl. psychiatrische Verdachtsdiagnose
Der untere Teil des Formulars enthält ein Freitextfeld und ist von der konsilerbringenden Seite
in freier Schriftform auszufüllen. Der Konsiliarius dokumentiert darin die psychiatrische
Anamnese, den psychopathologischen Befund, die Diagnose(n) und eine Therapieempfehlung
bzw. Angaben zum weiteren Prozedere. Durch Datum und Unterschrift bestätigt er Zeitpunkt
und Durchführung des Konsils.
Die psychiatrischen Diagnosen der untersuchten Patienten wurden im Konsildienst
routinemäßig gemäß der diagnostischen Kriterien des ICD 10 gestellt. In den seltenen Fällen in
denen die Klassifizierung nach dem ICD 10 nicht durch den ausfüllenden Arzt auf dem
Konsilschein erfolgt war, konnten diese anhand der deskriptiven Befunde im Freitextfeld post
hoc ergänzt werden. Dies gilt sowohl für die psychiatrischen als auch für die somatischen ICD
10 Diagnosen.
2.4 Datenerfassung und Auswertung
Für die Auswertung wurden die Durchschläge aller Konsilscheine, die zentral im Sekretariat der
psychiatrischen Ambulanz archiviert waren, herangezogen und ausgewertet. Der anonymisierte
Name, Alter, Geschlecht und die anfordernde Klinik konnten dem Schein direkt entnommen
werden. Auf der Grundlage der ermittelten Konsilanzahl pro Teilklinik wurde die absolute und
relative Inanspruchnahme (bezogen auf die stationäre Gesamtfallzahl) des psychiatrischen
Konsildienstes durch die einzelnen Kliniken ermittelt. Insgesamt wurden durch die
Konsiliarpsychiater
31
spezifische
psychiatrische
Diagnosen
gestellt
die,
um
eine
Auswertbarkeit der Daten zu gewährleisten, in vierzehn Diagnosegruppen erfasst wurden. Diese
orientierten sich an der Einteilung des ICD 10 :
13
______________________________________________________________________
a) keine Diagnose
b) Demenzen (F00-F03)
c) Hirnorganische Störung (F04-F07)
d) Störungen durch Alkohol (F10)
e) Störungen durch illegale Drogen und Medikamente (F11-F19)
f) Schizophrenie (F20-F25)
g) Affektive Störungen (F30-34)
h) Angst, Zwang (F40-42)
i)
Anpassungsstörung, Belastungsreaktion (F43)
j)
Konversions- und Somatoforme Störung (F44, F45)
k) Verhaltensaufälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren
(F50-F53)
l)
Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen (F60, F68.1)
m) Intelligenzminderung (F70)
n) Andere Ursache
o) Unklar
Pro Patienten wurden bis zu drei psychiatrische Diagnosen gestellt. In einem weiteren Schritt
wurden die Diagnosen nach den Hauptgruppen des ICD 10 für psychische Störungen eingeteilt,
um ein spezifischeres und damit aussagekräftigeres Abbild der im Konsildienst vorkommenden
Störungen zu erhalten. In diesem Zusammenhang wurde auch das Merkmal Suizidalität als
eigenständige Kategorie erfasst.
Die Dokumentation der somatischen Diagnosen erfolgte nach den Hauptgruppen des ICD 10.
Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurden als somatische Diagnosen nur die Gruppen der
erkrankten Organsysteme A-R (ausgenommen P und Q) verwendet. Wies eine Person mehr als
eine somatische Erkrankung auf, wurde diese als multimorbide klassifiziert. Ausnahmen
innerhalb
dieser
Einteilung
wurden
nur
für
die
Grunderkrankung
Epilepsie
und
Tumorerkrankungen des ZNS vorgenommen. Die Erkrankungskategorie Epilepsie wurde
aufgrund der hohen Vorkommenshäufigkeit als eine gesonderte Gruppe geführt. In der
Diagnosegruppe der Tumorerkrankungen schien eine gesonderte Betrachtung von Patienten mit
Tumorerkrankungen des ZNS sinnvoll. Die Anforderungsgründe auf den Konsilscheinen
wurden in neun unterschiedliche Gruppen eingeordnet. Weiterhin wurde erfasst, ob der
anfordernde somatische Arzt bereits eine psychiatrische Verdachtsdiagnose auf dem
Konsilschein vermerkt hatte, welche Diagnose angegeben wurde und ob diese mit der
endgültigen Diagnose des Konsilarztes übereinstimmte. Dabei war aus den Daten retrospektiv
nicht ersichtlich, ob der somatische Kollege diese Verdachtsdiagnose anhand der
14
______________________________________________________________________
psychiatrischen Symptome des Patienten selbstständig stellte, oder ob in der Vorgeschichte des
Patienten bereits eine psychiatrische Diagnose bekannt war und diese dann als
Verdachtsdiagnose angegeben wurde.
Anhand der psychiatrischen Anamnese, wie sie in schriftlicher Form auf dem Konsilschein
vorgefunden wurde, war ersichtlich, ob der konsiliarisch gesehene Patient schon einmal in
psychiatrischer Behandlung war, oder ob das Konsil einen Erstkontakt mit einem Psychiater
darstellte. Darüber hinaus wurden Therapieempfehlungen bzw. Empfehlungen zum weiteren
Prozedere und angeordnete Medikamente erfasst. Die 23 verschiedenen Medikamente, welche
angeordnet wurden, wurden dabei zehn Wirkstoffgruppen zugeordnet.
Aufgrund von fehlenden Daten ergaben sich bei den einzelnen Auswertungen zum Teil
unterschiedliche Stichprobenumfänge, auf die im Ergebnisteil hingewiesen wird. Um bei der
statistischen Auswertung der Diagnoseverteilungen Überschneidungen bei Patienten mit mehr
als einer psychiatrischen bzw. somatischen Diagnose zu verhindern wurde die Zuordnung dieser
Patienten in die Kategorie multimorbide bzw. mehrere Diagnosen vorgenommen. Bei
Medikationsempfehlungen und Konsiliarische Empfehlungen kam es in vielen Fällen zu
Mehrfachnennungen, weshalb die statistische Auswertung dieser Häufigkeiten unabhängig von
der Grundgesamtheit der Konsile erfolgte.
Die
statistische
Auswertung
der
Daten
erfolgte
mittels
Microsoft
Excel
wobei
Häufigkeitsauszählungen im Mittelpunkt standen. Zur Beschreibung der Stichprobe wurden
auch einfache statistische Tests durchgeführt. Die vorliegende Untersuchung hat deskriptiven
Charakter - sie dient weniger der Überprüfung von Hypothesen -, dementsprechend wurden
überwiegend Methoden der darstellenden Statistik gewählt.
15
______________________________________________________________________
3 ERGEBNISSE
3.1 Studienpopulation
Im Zeitraum vom 01.01.2008 bis zum 31.12.2008 wurden durch den psychiatrischen
Konsiliardienst der Universitätsklinik Erlangen insgesamt n=637 Konsile, bei n=607
verschiedenen Patienten durchgeführt. Davon fanden n=627 Konsile am Universitätsklinikum
statt und n=10 am Waldkrankenhaus Erlangen, das durch den Konsiliardienst der
Universitätsklinik mitversorgt wird. Von der Gesamtfallzahl n=637 wurden die Daten von 30
Konsilen
ausgeschlossen,
da
diese
Patienten
betrafen,
die
innerhalb
des
Untersuchungszeitraums mehrmals konsiliarisch gesehen wurden. Hier flossen nur die Daten
aus dem jeweils ersten stattgefundenen Konsil in die Auswertung mit ein.
3.2 Alter und Geschlecht
Das Durchschnittsalter der Patienten betrug 53,2 Jahre mit einer Standardabweichung von 19,06
bei einer Altersspanne von 18 bis 103 Jahren. Der Median ergab 53 Jahre. Von den 607
Patienten waren 292 männlich und 315 weiblich. Es ergaben sich keine statistisch signifikanten
Unterschiede hinsichtlich Alter oder Geschlecht. Ein t-Test auf geschlechts- oder
altersspezifische Unterschiede ergab dementsprechend einen p-Wert von 0,55. In den
Abbildungen 1a und 1b ist die Altersverteilung der Konsilpatienten mittels Boxplots graphisch
dargestellt: Wie Abbildung 1a zeigt, waren 25% der Patienten ≤39 Jahre und 50% der Patienten
≤53 Jahre alt. Abbildung 1b charakterisiert die Altersverteilung der Stichprobe differenziert
nach weiblichen und männlichen Geschlecht (0=männliches Geschlecht, 1=weibliches
Geschlecht). Dabei ergeben sich mit Ausnahme der Altersspanne nur geringfügige Unterschiede
zwischen Männern und Frauen. In Abbildung 1c ist zu sehen, dass die größte Gruppe der
konsiliarisch gesehenen Patienten zwischen 40 und 45 Jahre alt war.
Abb. 1a: Alter der Patienten
16
______________________________________________________________________
Abb. 1b: Alter der Patienten in Abhängigkeit des Geschlechts
(0=männliches Geschlecht, 1=weibliches Geschlecht)
Abb. 1c: Histogramm: Alter der Patienten *
*Wie Abbildung 1c zeigt, war die größte Gruppe der konsiliarisch gesehenen Patienten zwischen 40 und
45 Jahre alt.
3.3 Inanspruchnahme des psychiatrischen Konsiliardienstes
3.3.1 Absolute Inanspruchnahme
Bei der konsiliarischen Vorstellung durch die unterschiedlichen somatischen Teilkliniken
kamen über ein Drittel (35,7%) aller Patienten aus der Neurologie. Am zweithäufigsten,
nämlich 17,1% der Konsile, wurden von der Medizinischen Klinik 1 (Gastroenterologie,
17
______________________________________________________________________
Pneumologie, Endokrinologie) angefordert. Damit überwies diese mehr Patienten an den
Konsildienst als die übrigen Teilgebiete der Inneren Medizin (Kardiologie, Rheumatologie,
Nephrologie, Hämato-Onkologie) zusammen. An dritter und vierter Stelle folgten die Chirurgie
mit 8,4% und die Kardiologie (Medizinische Klinik 2) mit 7,3% aller Konsilanforderungen.
Ähnlich hohen Bedarf an psychiatrischer Mitbetreuung wie die Kardiologie hatte auch die
neurochirurgische Abteilung (siehe Abb.2). Eine sehr geringe Anforderungszahl hatten die
Psychosomatik (n=1), die Kinderklinik (n=2), die Hautklinik (n=3) und die Intensivstation
(n=5). Die absolute Anzahl an Konsilen je Teilklinik, sowie die prozentuale Verteilung der
Konsilanforderungen unter den einzelnen Teilkliniken des Universitätsklinikums im Jahr 2008
sind in Tabelle 1 dargestellt:
Tabelle 1: Anfordernde Kliniken und Anfoderungsraten
Klinik
Anzahl Konsile
Neurologie
Neurochirurgie
Gastroenterologie
Kardiologie
Rheumatologie
Nephrologie
Hämato-Onkologie
Chirurgie
Psychosomatik
Intentsiv
Augenklinik
Kinderklinik
Frauenklinik
HNO
Hautklinik
Schmerzambulanz
Strahlenklinik
Waldkrankenhaus
MKG Chirurgie
Gesamt
%
217
43
104
44
13
26
13
51
1
5
22
2
12
16
3
6
9
10
10
607
Stationäre Gesamtfallzahl
35,7%
7,1%
17,1%
7,2%
2,1%
4,3%
2,1%
8,4%
0,2%
0,8%
3,6%
0,3%
2,0%
2,6%
0,5%
1,0%
1,5%
1,6%
1,6%
100,0%
Anfoderungsrate
4586
2477
4998
4325
654
1541
947
10783
141
6334
8208
4846
2236
1856
1129
65660
4,7%
1,7%
2,1%
1,0%
2,0%
1,7%
1,4%
0,5%
0,7%
0,3%
0,1%
0,3%
0,1%
0,5%
0,9%
0,9%
*Gesamtfallzahl 2008 bei Intensivstation, Kinderklinik, Waldkrankenhaus und Schmerzambulanz
unbekannt
Zusammenfassend ist zu sagen, dass sich die die Anforderungen von psychiatrischen Konsilen
zu je einem Drittel auf die Neurologie, die Innere Medizin und die übrigen Fachgebiete
aufteilten. Abbildung 2 veranschaulicht noch einmal die im Vergleich zu den übrigen
Teilkliniken hohen Anforderungsraten seitens der Neurologie und der Gastroenterologie.
3.3.2 Relative Inanspruchnahme
Um
den
tatsächlichen
Bedarf
an
psychiatrischer
Mitbetreuung
von
Patienten
in
unterschiedlichen somatischen Fachgebieten zu eruieren, wurde die Anzahl der abgeleisteten
18
______________________________________________________________________
Konsile auf die stationäre Gesamtfallzahl betreffender Teilklinik des Jahres 2008 bezogen.
Dabei ergaben sich folgende relativen Konsilanforderungsraten (siehe Tabelle 1): Die
Teilkliniken mit den höchsten Anforderungsraten waren auch hier die Neurologie mit 4,7% und
die Gastroenterologie mit 2,1%. An dritter und vierter Stelle lagen die Fachgebiete der Inneren
Medizin, die Rheumatologie und die Nephrologie. Lässt man die einzelnen Teilgebiete der
Inneren Medizin unberücksichtigt, so liegt die Neurochirurgie mit einer Anforderungsrate von
1,7% noch vor der Inneren Medizin, die dann auf eine Rate von 1,6% kommt. Wie Abbildung 3
illustriert, liegt die Chirurgische Klinik mit einer Konsilanforderungsrate von nur 0,5% weit
hinter der Neurologie und den Teilgebieten der Inneren Medizin. Die Haut– und die
Frauenklinik forderten von allem somatischen Teilkliniken am seltensten ein psychiatrisches
Konsil an. So hielten sie nur bei etwa jedem 1000. Patienten ein psychiatrisches Konsil für
indiziert.
Abb. 2: Absolute Inanspruchnahme des Konisiliardienstes durch die einzelnen Teilkliniken im Jahr 2008
MKG Chirurgie
1,6%
Waldkrankenhaus
1,6%
Strahlenklinik
1,5%
Schmerzambulanz
1,0%
Abb.2: Anfordernde Kliniken
0,5%
Hautklinik
2,6%
HNO
2,0%
Frauenklinik
Kinderklinik
0,3%
3,6%
Augenklinik
0,8%
Intentsiv
0,2%
Psychosomatik
8,4%
Chirurgie
2,1%
Hämato-Onkologie
Nephrologie
4,3%
2,1%
Rheumatologie
Kardiologie
7,2%
17,1%
Gastroenterologie
Neurochirurgie
7,1%
35,7%
Neurologie
0,0%
10,0%
20,0%
30,0%
40,0%
Im Jahr 2008 wurden am Universitätsklinikum Erlangen insgesamt 65 660 Patienten stationär
behandelt und im gleichen Zeitraum 607 Konsile erbracht. Die Prävalenzzahl Psychiatrischer
19
______________________________________________________________________
Konsile betrug somit für das gesamte Universitätsklinikum 0,9%. Es wurde also weniger als
jeder hundertste Patient des Klinikums konsiliarpsychiatrisch mitbetreut.
Abb. 3: Relative Inanspruchnahme des Konsiliardienstes durch die somatischen Teilkliniken im Jahr 2008
Abb.3: Konsilanfoderungsraten
0,9%
MKG Chirurgie
Waldkrankenhaus
0,0%
0,5%
Strahlenklinik
0,0%
Schmerzambulanz
0,1%
Hautklinik
0,3%
HNO
0,1%
Frauenklinik
Kinderklinik
0,0%
0,3%
Augenklinik
Intentsiv
0,0%
0,7%
Psychosomatik
Chirurgie
0,5%
1,4%
Hämato-Onkologie
1,7%
Nephrologie
2,0%
Rheumatologie
Kardiologie
1,0%
2,1%
Gastroenterologie
1,7%
Neurochirurgie
4,7%
Neurologie
0,0%
1,0%
2,0%
3,0%
4,0%
5,0%
3.4 Somatische Hauptdiagnosen der Konsilpatienten
Die somatischen Hauptdiagnosen der Studienpatienten wurden den Konsilscheinen entnommen
so wie sie von konsilanfordernder Seite eingetragen waren. Da bei n=22 Personen die
somatische Diagnose fehlte, wurden diese hier ausgeschlossen. Aus Gründen der
Übersichtlichkeit wurden nur die erkrankten Organsysteme erfasst, wobei Personen mit
Erkrankung mehrerer Organsysteme zu einer eigenständigen Gruppe (multimorbide)
zusammengefasst wurden. Dies war bei n=35 von n=607 Patienten der Fall. Die überwiegende
Mehrheit der Patienten hatte während des Krankenhausaufenthalts eine somatische Diagnose
erhalten. In 3,8% der Fälle konnte kein somatischer Befund erhoben werden. Bei den
20
______________________________________________________________________
ambulanten Konsilen fand sich auch eine relativ große Gruppe an Patienten (16%) mit dem ICD
10 Schlüssel R Symptome und abnorme Befunde, bei denen folglich keine eindeutige somatische
Diagnose gestellt werden konnte. Des Weiteren gab es eine Häufung an Patienten (11,9%), die
die somatische Diagnose Verletzung oder Vergiftung erhalten hatte. Die relativ große
Diagnosegruppe Epilepsie erklärt sich daraus, dass ein psychiatrisches Konsil zur
Basisdiagnostik im Rahmen einer Behandlung im Epilepsiezentrum gehört. Am häufigsten litten
die Patienten unter Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Tumoren und Erkrankungen mehrerer
Organsysteme.
Erkrankungen
der
Haut
(n=4),
des
Atmungssystems
(n=6)
und
Infektionserkrankungen (n=6), kamen am seltensten vor. Tabelle 2 zeigt die absolute Anzahl
sowie die prozentuale Verteilung der somatischen Hauptdiagnosen der Konsilpatienten.
Abbildung 4 illustriert die vier am häufigsten vorkommenden somatischen Diagnosen der
Konsilpatienten: Symptome und abnorme Befunde, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Verletzungen
und Vergiftungen
und
die Epilepsie.
Erkrankungen der Atmung, der Haut und
Infektionserkrankungen spielten hingegen eine untergeordnete Rolle.
21
______________________________________________________________________
Abb. 4: Somatische Hauptdiagnosen der Konsilpatienten
3.5 Psychiatrische Morbidität, Suizidalität, Verdachtsdiagnosen und Vorbehandlung
3.5.1 Psychiatrische Morbidität
Bei allen Patienten, die im Rahmen eines Konsils von einem Psychiater untersucht wurden
konnte in rund 80% eine eindeutige psychiatrische Diagnose gestellt werden, darunter bei 14%
mehrere Diagnosen und bei 65,2% nur eine Diagnose.
In den rund 20% der Fällen, in denen keine Diagnose gestellt wurde, lag das entweder daran,
dass, der Patient die Kriterien für eine psychiatrische Diagnose nach ICD 10 nicht erfüllte
(18,3%)
oder,
dass
für
den
Zustand
des
Patienten
andere
Ursachen,
wie
Medikamenteninteraktion, Überdosierungen von Medikamenten, endokrine Ursachen, Exsikose
usw. (3,5%). verantwortlich waren. Außerdem kam es vor, dass eine sinnvolle Durchführung
des Konsils aufgrund der Bewusstseinslage des betreffenden Patienten nicht möglich war. Wie
Tabelle 3 zeigt, war die im psychiatrischen Konsil am häufigsten gestellte Diagnose die
Anpassungsstörung mit nahezu 15%. Ebenfalls häufig stellte der Konsiliarius eine
Hirnorganische Störung (12,2%) oder eine Affektive Störung (11,9%) fest. Andere
22
______________________________________________________________________
Störungsbilder spielten eine eher untergeordnete Rolle. Abbildung 5a zeigt, dass bei
beachtlichen 21,7% der Patienten keine psychiatrische Diagnose gestellt wurde.
Tabelle 3: Psychiatrische Diagnosen im Konsildienst
Psychiatrische ICD 10 Diagnosen
keine Diagnose/anderes
abs.
%
132
21,7%
Demenz
29
4,8%
Hirnorganisch
74
12,2%
Alkohol
26
4,3%
Störung durch illegale Drogen
10
1,6%
Schizophrenie/Psychose
17
2,8%
Affektive Störung
72
11,9%
Angst/Zwang
32
5,3%
Anpassungsstörung
90
14,8%
Somatoforme Störung
12
2,0%
8
1,3%
15
2,5%
F5
Persönlichkeitsstörung
Intelligenzminderung
mehrere Diagnosen
Gesamt
5
0,8%
85
607
14,0%
100,0%
Abb. 5a: Psychiatrische Diagnosen im Konsiliardienst
Teilt man die Psychiatrischen Diagnosen nach Hauptgruppen des ICD 10 ein und lässt
Mehrfachnennungen zu (siehe Tabelle 4), so bleiben die oben genannten drei Diagnosen
weiterhin die am häufigsten gestellten.
23
______________________________________________________________________
Tabelle 4: Psychiatrische Diagosen im Konsildienst 2*
Psychiatrische Diagnosen
abs.
%
119
57
26
110
189
10
29
8
132
680
F0
F1
F2
F3
F4
F5
F6
F7
keine Diagnose/ anderes
Gesamt
17,5%
8,4%
3,8%
16,2%
27,8%
1,5%
4,3%
1,2%
19,4%
100,0%
* Mehrfachnennungen möglich
Abb. 5b: Psychiatrische Diagnosen im Konsiliardienst nach den Hauptgruppen des ICD 10 (F0-F7) in %
3.5.2 Suizidalität
In Anbetracht der Tatsache, dass das Thema
Tabelle 5: Suizidalität
Suizidalität ein häufiges Motiv für die
Hinzuziehung eines Psychiaters ist, wurde
dieses Merkmal gesondert untersucht. Von
607 Patienten stellte der Konsiliarius bei 22
Suizidalität
vorhanden
abs.
%
22
3,6%
nicht vorhanden
585
96,4%
Gesamt
607
100,0%
Personen – dies entspricht 3,6% - eine akute
Suizidalität fest.
3.5.3 Verdachtsdiagnosen der Somatiker und Übereinstimmung
Der somatische Kollege vermerkte bei etwa zwei Drittel der Patienten eine oder mehrere
konkrete psychiatrische Verdachtsdiagnose auf dem Konsilschein. Wie in Abbildung 6
24
______________________________________________________________________
dargestellt, war die am häufigsten vermutete Diagnose die Affektive Störung (17,6%), gefolgt
von Angst/Zwang (8,4%), Hirnorganische Störungen (7,9%) und Störungen durch Alkohol
(5,3%). Die Anpassungsstörung wurde hingegen nur in 4,9% der Fälle genannt. Tabelle 6 zeigt
die am häufigsten genannten psychiatrischen Verdachtsdiagnosen der Konsilanforderer:
Tabelle 6: Psychiatrische Verdachtsdiagnosen der Somatiker*
Verdachtsdiagnosen
keine Verdachtsdiagnose
Demenz
Hirnorganisch
Alkohol
Störung durch illegale Drogen
Schizophrenie/Psychose
Affektive Störung
Angst/Zwang
Anpassungsstörung
Somatoforme Störung
F5
Persönlichkeitsstörung
Gesamt
abs.
%
183
27
54
44
22
31
129
67
32
36
9
16
650
* Mehrfachnennungen möglich
Abb. 6: Psychiatrische Verdachtsdiagnosen der Somatiker
28,2%
4,2%
8,3%
6,8%
3,4%
4,8%
19,8%
10,3%
4,9%
5,5%
1,4%
2,5%
100,0%
25
______________________________________________________________________
Eine Übereinstimmung von vermuteter und vom Psychiater tatsächlich gestellter Diagnose lag
in 33,9% vor, keine Übereinstimmung in 35,9%. In 30,1% wurde von konsilanfordernder Seite
keine Verdachtsdiagose oder eine Vermutung zum zu Grunde liegendem Störungsbild des
Patienten angegeben.
Tabelle 7: Übereinstimmung von Verdachtsdiagnose und tatsächlicher Diagnose
Übereinstimmung
abs.
kein Verdacht
keine Übereinstimmung
Übereinstimmung
Gesamt
rel.
183
218
206
607
30,1%
35,9%
33,9%
100,0%
3.5.4 Vorbehandlung
Wie Abbildung 7 verdeutlicht, hatten 37,1 %
Abb.7: Erstkontakt mit einem Psychiater
der konsiliarisch gesehenen Patienten bereits
eine vorbekannte psychiatrische Diagnose,
oder waren schon einmal in psychiatrischer
Behandlung gewesen. Für die Hälfte (50,4%)
der Patienten war das Psychiatrische Konsil
während ihres Krankenhausaufenthalts der
erste Kontakt mit einem Psychiater. In 12,5%
blieb der Vorbehandlungsstatus unklar.
3.6 Gründe für die Konsilanforderung
Grund für eine Konsilanforderung waren in der überwiegenden Mehrheit der Fälle akute
psychiatrische Symptome (43,3%) des betreffenden Patienten. Der zweithäufigste Beweggrund
der Somatiker für die Anforderung eines psychiatrischen Konsils war der Fall, dass ein Patient
körperliche Symptome zeigte, die organisch nicht zu klären waren (15,3%). Auch die
Befürchtung einer akuten Suizidalität war mit 14,2% ein häufiges Motiv. Die Basisdiagnostik
vor Transplantationen oder neurochirurgischen Eingriffen machten 7,7% aus. Eine geringe
Rolle spielten Wünsche zur Einschätzung der Geschäftsfähigkeit (2,3%) eines Patienten oder
Complianceprobleme (3,1%), wie etwa die Verweigerung eines Eingriffs. Tabelle 8 und
Abbildung 8 zeigen eine Übersicht über genannte Gründe für die Anforderung eines
psychiatrischen Konsils:
26
______________________________________________________________________
Abb. 8: Gründe für eine Konsilanforderung in%
Tabelle 8: Konsilanforderungsgrund
Grund der Konsilanforderung
abs.
rel.
akute psychiatrische Symptome
263
43,3%
Suizidalität
86
14,2%
Sucht/Entzug
45
7,4%
körperliche Symptome org.
93
15,3%
Complianceprobleme
19
3,2%
Basisdiagnostik
47
7,7%
anderes
18
3,0%
Geschäftsfähigkeit
14
2,3%
keine Angabe
22
3,6%
Gesamt
607
100,0%
nicht zu erklären
3.7 Konsiliarische Empfehlungen zum weiteren Prozedere
Am häufigsten empfahl der Psychiater den Beginn einer Pharmakotherapie (37,4%),
Psychotherapie alleine (2,9%) oder die Pharmakopsychotherapie (6,4%) hingegen spielten eine
untergeordnete Rolle. In 11,0% hielt der Psychiater die Übernahme des Konsilpatienten auf eine
27
______________________________________________________________________
psychiatrische Station für indiziert, oder er riet zu weiteren diagnostischen Maßnahmen
(10,0%). Eine Übersicht über weitere konsiliarische Empfehlungen zeigt Tabelle 9:
Tabelle 9: Konsiliarische Empfehlungen*
Empfehlung
abs.
rel.
120
269
21
46
45
79
72
67
719
keine Therapie
Pharmakotherapie
Psychotherapie
Pharmakopsychotherapie
anderes
Stationäre Aufnahme
weitere Diagnostik
Ambulante Versorgung
Gesamt
%
0,16689847
0,374130737
0,029207232
0,063977747
0,062586926
0,109874826
0,100139082
0,093184979
1
16,7%
37,4%
2,9%
6,4%
6,3%
11,0%
10,0%
9,3%
100,0%
* Mehrfachnennungen möglich
Wie Abbildung 9 verdeutlicht waren die Empfehlung einer Pharmakotherapie oder die
Übernahme des Patienten auf eine psychiatrische Station die am häufigsten angeordneten
Maßnahmen:
Abb.9: Konsiliarische Empfehlungen zum weiteren Procedere
9,3%
16,7%
10,0%
keine Therapie
Pharmakotherapie
Psychotherapie
11,0%
Pharmakopsychotherapie
anderes
6,3%
37,4%
6,4%
Stationäre Aufnahme
weitere Diagnostik
Ambulante Versorgung
2,9%
Abb.9: Konsiliarische Empfehlungen zum weiteren Procedere
3.8 Konsiliarische Medikationsempfehlungen
Bei 43% aller Patienten empfahl der Konsilpsychiater die Behandlung mit einem Pharmakon.
Lässt man jene Fälle unberücksichtigt, in denen entweder keine Diagnose gestellt wurde oder
eine sofortige stationäre Übernahme für indiziert erachtet wurde (n=54) so hielt der Psychiater
in 75,1% (411 von 547 Patienten) aller Fälle eine Pharmakotherapie für angezeigt. Dies war in
34,4% der Fälle die Behandlung mit einem Antidepressivum, wobei meist eine Einstellung auf
28
______________________________________________________________________
ein SSRI (selective serotonin reuptake inhibitor) wie Citalopram oder ein NaSSA
(noradrenergic and specific serotonergic antidepressant) wie Mirtazapin angeordnet wurde. In
20% der Fälle wurde die Behandlung mit einem Neuroleptikum empfohlen. Auch
schlafanstoßende Medikamente wie Benzodiazepine (10,6%) und den Benzodiazepinen
ähnliche Substanzen wie Zolpidem (3,1%) wurden häufig empfohlen. In 24,9% der Fälle, in
denen der Patient eine psychiatrische Diagnose erhalten hatte, erachtet der Psychiater eine
Medikation für nicht notwendig. Tabelle 10 und Abbildung 10 zeigen die Häufigkeitsverteilung
der angeordneten Substanzen. In Tabelle 10 sind nur Personen abgebildet, die eine Diagnose
erhalten hatten. Patienten die entweder keine Diagnose erhalten hatten oder aber stationär
aufgenommen wurden sind hier nicht berücksichtigt:
Tabelle 10: Konsiliarische Medikationsempfehlungen*
Medikationsempfehlung
keine
Trizyklische AD
SSRI
SNRI
NassA
Atyp. Neuroleptika
Klass. Neuroleptika
Antikonvulsiva
Benzodiaz. Ähnliche Subs.
Benzodiazepine
Antidementiva
andere
Gesamt
abs.
rel.
136
16
84
20
68
48
61
23
17
58
5
11
547
0,248628885
0,029250457
0,153564899
0,036563071
0,124314442
0,087751371
0,111517367
0,042047532
0,031078611
0,106032907
0,009140768
0,020109689
1
* Mehrfachnennungen möglich
Abb.10: Konsiliarische Medikationsempfehlungen
%
24,9%
2,9%
15,4%
3,7%
12,4%
8,8%
11,2%
4,2%
3,1%
10,6%
0,9%
2,0%
100,00%
29
______________________________________________________________________
3.9 Psychiatrische Komorbidität bei somatischen Hauptdiagnosen
Es wurde weiterhin untersucht welche Krankheitskonstellationen zwischen somatischen
Erkrankungen und psychischen Störungen besonders häufig auftraten. Kritisch anzumerken ist
in diesem Zusammenhang - die trotz hoher Gesamtfallzahl - große Anzahl an untersuchten
Merkmalen (somatische und psychiatrische Diagnosen) und die daraus resultierende multiplen
Kombinationsmöglichkeiten dieser Merkmale. Dies führt zwangsläufig zu bisweilen sehr
geringen Fallzahlen einzelner Kombinationen, was wiederum in einer beschränkten statistischen
Aussagekraft resultiert. Dies war bei dem somatischen Diagnosen Infektion n=6, endokrine
Störung n=8, Atmung n=6, Urologie n=9, und Haut n=4 der Fall, weshalb an dieser Stelle nicht
weiter darauf eingegangen wird. Tabelle 11 Psychische Erkrankungen in Abhängigkeit der
somatischen Hauptdiagnosen zeigt die aufgetretenen somato-psychischen Kombinationen.
Häufige Kombinationen sind dabei farblich hervorgehoben.
Tabelle 11: Psychische Erkrankungen in Abhängigkeit der somatischen Hauptdiagnose
Somatische Erkrankung
Infektion
Tumor
Tumor ZNS
Erkrankungen des Blutes
Endokrin
Nervensystem
Herz- Kreislauf
Atmung
Verdauung
Urologie
Schwangerschaft
Haut
Muskuloskelettal
Auge und Ohr
Verletzung/ Vergiftung
Symptome und abnorme Befunde
keine Angabe
Multimorbide
Epilepsie
F0
0,0%
21,6%
57,9%
63,6%
0,0%
10,7%
32,5%
40,0%
36,4%
55,6%
0,0%
33,3%
23,8%
18,2%
12,7%
5,6%
25,0%
27,8%
18,4%
F1
16,7%
10,8%
0,0%
0,0%
16,7%
7,1%
6,5%
20,0%
45,5%
0,0%
0,0%
0,0%
0,0%
6,1%
23,9%
13,5%
8,3%
9,3%
0,0%
F2
0,0%
2,7%
0,0%
0,0%
16,7%
3,6%
3,9%
20,0%
9,1%
0,0%
0,0%
0,0%
0,0%
9,1%
4,2%
5,6%
16,7%
3,7%
2,6%
F3
16,7%
27,0%
5,3%
0,0%
16,7%
21,4%
22,1%
20,0%
0,0%
11,1%
0,0%
0,0%
14,3%
27,3%
19,7%
22,5%
20,8%
22,2%
23,7%
F4
50,0%
35,1%
26,3%
36,4%
50,0%
53,6%
32,5%
0,0%
9,1%
33,3%
16,7%
33,3%
52,4%
30,3%
19,7%
48,3%
25,0%
29,6%
39,5%
F5
16,7%
0,0%
5,3%
0,0%
0,0%
3,6%
0,0%
0,0%
0,0%
0,0%
83,3%
0,0%
0,0%
3,0%
0,0%
0,0%
0,0%
1,9%
0,0%
F6
0,0%
0,0%
0,0%
0,0%
0,0%
0,0%
2,6%
0,0%
0,0%
0,0%
0,0%
33,3%
9,5%
3,0%
19,7%
4,5%
4,2%
5,6%
2,6%
F7
0,0%
2,7%
5,3%
0,0%
0,0%
0,0%
0,0%
0,0%
0,0%
0,0%
0,0%
0,0%
0,0%
3,0%
0,0%
0,0%
0,0%
0,0%
13,2%
Gesamt
100,0%
100,0%
100,0%
100,0%
100,0%
100,0%
100,0%
100,0%
100,0%
100,0%
100,0%
100,0%
100,0%
100,0%
100,0%
100,0%
100,0%
100,0%
100,0%
Legende:
F0: Hirnorganische Störung
F1: Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen
F2: Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störung
F3: Affektive Störung
F4: Neurotische-, Belastungs-, und somatoforme Störung
F5: Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren
F6: Persönlichkeits- und Verhaltensstörung
F7: Intelligenzminderung
Bei Patienten mit Tumorerkrankungen lag am häufigsten (35,1%) gleichzeitig eine psychische
Störung aus dem F4 Formenkreis der Neurotischen- Belastungs- und Somatoformen Störungen
vor. Betraf die Tumorerkrankung das ZNS, so lag in über der Hälfte der Fälle (57,9%) ein
Hirnorganische Störung vor. Störungen aus dem F4 Formenkreis traten besonders häufig bei
30
______________________________________________________________________
Patienten mit Erkrankungen des Nervensystems (53,6%), der Epilepsie (39,5%), bei Symptomen
und abnormen Befunden (48,3%) und bei Patienten mit muskuloskelettalen Beschwerden
(52,4%). Bei Herz-Kreislauf-Patienten verteilte sich das Diagnosespektrum relativ homogen auf
die Störungsbilder F0 (32,5%), F4 (32,5%), und F3 (22,1%), während die anderen
Störungsgruppen eine untergeordnete Rolle spielten. Bei schwangeren Patientinnen war die
häufigste psychiatrische Diagnose die Postpartum Depression, eine Störung aus dem F5
Formenkreis (83,3%). Patienten mit Erkrankungen des Verdauungssystems wiesen gleichzeitig
am häufigsten eine substanzbezogene (45,5%) oder eine Hirnorganische Störung (36,4%) auf,
während die bei anderen Krankheitsbildern relativ häufigen Störungen F3 und F4 nicht, bzw.
nur in 9,3% der Fälle vorkamen. Erkrankungen von Auge und Ohr waren relativ homogen mit
F0, F3 und F4 assoziiert. Bei Verletzung und Vergiftung war die substanzbezogenen Störungen
häufig (23,9%) aber auch die bei den übrigen Erkrankungen seltene Persönlichkeitsstörung war
mit 19,7% häufig vertreten. In Abbildung 11 sind die psychiatrischen Diagnosen in
Abhängigkeit der somatischen Hauptdiagnosen der Konsilpatienten dargestellt. Die Abszisse
zeigt dabei die somatischen Diagnosen:
In Abbildung 11 sind die psychiatrischen Diagnosen in Abhängigkeit der Somatischen
Hauptdiagnosen der Patienten dargestellt. Die Abszisse (Nummer 1-20 inkl. 40) gibt die
somatischen Diagnosen an, die Ordinate zeigt die prozentualen Häufigkeiten der psychiatrische
Diagnosen F0-F7 je nach somatischer Grunderkrankung an.
Legende:
1: Infektion
2: Tumor
3: Tumor ZNS
4: Erkrankungen des Blutes
5: Endokrin
6: Nervensystem
7: Herz-Kreislauf-Erkrankungen
8: Atmung
9: Verdauung
10: Urologie
11: Schwangerschaft
12: Haut
13: Muskuloskelettal
14: Auge und Ohr
16:Verletzung/Vergiftung
18: Symptome und abnorme Befunde
19: keine Angabe
20: multimorbide
40: Epilepsie
31
______________________________________________________________________
Abb.11: Psychiatrische Diagnosen in Abhängigkeit der somatischen Hauptdiagnosen *
32
______________________________________________________________________
4 DISKUSSION
4.1 Soziodemographische Daten
In vorliegender Arbeit wurde der psychiatrische Konsiliardienst des Universitätsklinikums
Erlangen hinsichtlich psychiatrischer und somatischer Morbidität der Konsilpatienten,
Anforderungsgründen und Therapieempfehlung untersucht. Das Durchschnittsalter der dem
Konsildienst vorgestellten Patienten betrug 53 Jahre, die größte Gruppe der Studienpatienten
war zwischen 40 und 45 Jahre alt. 25% der Patienten waren 68 Jahre oder älter. Der Grund für
das hohe Durchschnittsalter von 53 Jahren ist am ehesten darin begründet, dass dem
psychiatrischen Konsiliardienst Patienten mit körperlichen Erkrankungen vorgestellt werden,
und diese im Alter zunehmen. Da in der Literatur die Altersverteilung des gesamten
Patientenkollektivs eines Krankenhauses oft unberücksichtigt bleibt, sind Studienergebnisse zur
Altersstruktur von Konsilpatienten oft inhomogen und schwer miteinander vergleichbar.
Ungeachtet dessen beläuft sich, ähnlich zu hier vorgefundenen Zahlen, der Anteil an älteren
Patienten (≥ 65 Jahre) in einer Studie von Huyse et al. auf 30% (Huyse et al. 2001). Obwohl
etwas mehr Frauen als Männer überwiesen wurden (51,9 vs. 48.1%), war das Verhältnis von
Männern und Frauen mit 1:1,07 weitgehend ausgeglichen, wohingegen in der Literatur einhellig
darüber berichtet wird, dass mehr Frauen als Männer überwiesen werden und auch der
prozentuale Unterschied eine größere Spanne aufweist (Hengeveld et al. 1984). So kann aus
vorliegendem Ergebnis geschlossen werden, dass Männer und Frauen mit somatischen
körperlichen Erkrankungen am Universitätsklinikum in gleichem Maße als psychiatrisch
auffällig eingeschätzt und in etwa gleich oft an einen psychiatrischen Konsiliardienst
überwiesen werden.
4.2 Inanspruchnahme des Konsiliardienstes
Betrachtet man die absolute Inanspruchnahme des psychiatrischen Konsiliardienstes, so fällt
auf, dass sich diese zu je einem Drittel auf die Neurologie (35,7%) und die Innere Medizin
(32,8%) aufteilt, diese somatischen Fachgebiete somit den größten Bedarf an psychiatrischer
Mitbetreuung haben. Dieses Ergebnis passt zu Studienergebnissen, die übereinstimmend über
eine hohe Vorkommenshäufigkeit psychiatrischer Komorbidität unter internistischen (Arolt
2004) und neurologischen Patienten berichten (Schofield & Duane 1987, Fink et al. 2003,
Fritzsche et al. 2003). Über den Anteil an Konsilen in der Inneren Medizin existieren Zahlen
unterschiedlicher Studien, die zwischen 23–58% variieren (Arolt et al. 1995, Deister 1994,
Kapfhammer 1992, Fiebiger et al. 1997, Hengeveld et al. 1984). Das Ergebnis vorliegender
Studie liegt somit im unteren Mittelfeld. Über den Anteil an Patienten aus der Neurologie
werden in der Literatur geringere Häufigkeiten zwischen 20-25% genannt (Deister 1994,
Kapfhammer 1992).
33
______________________________________________________________________
Unter
den
Teilgebieten
der
Inneren
Medizin
nimmt
in
dieser
Studie
die
Gastroenterologie/Pneumologie/Endokrinologie mit 17,1% den Konsildienst weitaus häufiger in
Anspruch, als die anderen Teilgebiet der Inneren Medizin (Kardiologie, Nephrologie,
Rheumatologie und Hämato-Onkologie). Dass dies hauptsächlich in der höheren stationären
Gesamtfallzahl der Gastroenterologie/Pneumologie/Endokrinologie begründet ist, zeigt ein
Blick auf die relative Inanspruchnahme, wonach sich mit Ausnahme der Kardiologie und der
Hämato-Onkologie ein recht homogenes Bild zeigt. Da Patienten mit Tumorerkrankungen
häufig komorbide psychischen Störungen entwickeln, (Singer et al. 2007, Krauß et al. 2007)
erscheint der Anteil an Konsilen, der seitens der Hämato-Onkologie angefordert wird mit 2%
absoluter und 1,4% relativer Inanspruchnahme gering. Grund für den niedrigen Bedarf könnte
sein, dass ein psychosoziales Betreuungsangebot speziell für Tumorpatienten, bei denen oftmals
akute Belastungsreaktionen im Mittelpunkt stehen, auch durch andere Dienste existiert, wie zum
Beispiel den Psychoonkologischen Dienst. In diesem Zusammenhang könnte sich auch die sehr
geringe absolute und relative Inanspruchnahme des psychiatrischen Konsildienstes durch die
Frauenklinik erklären, die als zertifiziertes Brustzentrum über einen eigenständigen
Psychologischen Dienst verfügt. Zudem wird die Inanspruchnahme des Konisiliardienst bei
Patientinnen
von
gynäkologischen
Stationen
in
der
Literatur,
bezogen
auf
das
Gesamtaufkommen, ohnehin als gering angegeben. Bei Hengeveld et al. machen
gynäkologische Patientinnen beispielsweise nur 1,3% aller konsiliarisch gesehenen Patienten
aus (Hengeveld et al. 1984). Für die ebenfalls sehr geringe absolute und relative
Inanspruchnahme der Hautklinik könnte die räumliche Distanz zur Psychiatrischen Klinik eine
Rolle spielen. Die Hypothese von Maguire et al., dass geringe Überweisungsraten an einen
psychiatrischen Konsildienst hauptsächlich in einem geringen Interesse an psychiatrischen
Erkrankungen begründet sind und demnach nur die auffälligsten Patienten überwiesen werden,
kann in diesem Zusammenhang nicht überprüft werden. Möglicherweise könnten auch die
unterschiedlichen psychiatrischen Fähigkeiten oder eine unterschiedliche Sensibilität gegenüber
psychosozialer Probleme der Patienten unter den nicht-psychiatrischen Ärzten das
unterschiedliche Anforderungsverhalten der verschiedenen Teilkliniken beeinflusst haben.
In den operativen Fächern wie der Chirurgie (8,4%), der Neurochirurgie (7,1%), und der MundKiefer-Gesichts-Chirurgie (1,6%) fanden 17,1% aller Konsultationen statt. Der Anteil
chirurgischer Fächer am Gesamtaufkommen wird in der Literatur mit etwa 30% angegeben
(Arolt et al. 1995, Deister 1994). Betrachtet man die Anzahl der Konsilanforderungen bezogen
auf die stationären Fallzahlen dieser Fachdisziplinen im Jahr 2008, so weist die Chirurgie eine
relative Inanspruchnahme von lediglich 0,5% auf und liegt damit deutlich unter dem
Gesamtdurchschnitt aller somatischen Fachdisziplinen, der bei 0,9% liegt, aber auch deutlich
hinter der Neurochirurgie, die 1,7% all ihrer stationären Behandlungsfälle an den Konsildienst
34
______________________________________________________________________
überweist. Die geringe Inanspruchnahme psychiatrischer Konsilleistungen durch die Chirurgie
steht der hohen Prävalenz von komorbiden psychischen Störungen unter Patienten auf
chirurgischen Stationen gegenüber, die sich in einem ähnlich hohen Bereich wie auf
internistischen Stationen bewegt (Wancata et al. 1996). Die Zuweisung zum Konsildienst
erfolgt hier aber weitaus seltener (Hengeveld et al. 1984). Diese, in der Literatur bekannte
Tatsache, wurde durch unterschiedliche Autoren reflektiert. So wurde unter anderem disskutiert,
dass Internisten sensibler auf psychopathologisches Verhalten ihrer Patienten reagieren würden,
während Chirurgen diesbezüglich toleranter wären - dies auch vor dem Hintergrund eines
längeren Krankenhausaufenthalts internistischer gegenüber chirurgischer Patienten. Des
Weiteren wurde vermutet, dass Internisten öfter mit diagnostischen Problemen konfrontiert
wären als Chirurgen und deshalb den Konsildienst öfter als andere somatische Fachgebiete zu
Rate ziehen würden (nach Hengeveld et al. 1984).
Betrachtet man die in der Literatur berichteten Überweisungsraten von 1-2% (Arolt 2004),
erscheint in dieser Studie die Inanspruchnahme des psychiatrischen Konsiliardienstes mit 0,9%
vergleichsweise gering. In Anbetracht der Häufigkeit von psychischen Störungen bei Patienten
im Allgemeinkrankenhaus, die - wie bereits erwähnt - auf 30% geschätzt wird (Arolt 2004),
könnte sich der Meinung angeschlossen werden, dass eine adäquate Psychosoziale Versorgung,
für die nach Diefenbacher und Arolt eine Mindestkonsilrate von 5% notwendig ist
(Diefenbacher & Arolt 2004), nicht verwirklicht ist. Ausnahme bildet hier die Neurologie mit
einer Anforderungsrate von 4,7%, und somit die postulierte Mindestrate annähernd erreicht.
Berücksichtigt werden muss jedoch, dass das Vorhandensein psychischer Beeinträchtigungen
bei Krankenhauspatienten zwar auf einen prinzipiellen Behandlungsbedarf hinweist, es kann
jedoch nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass auch all diese Patienten
behandlungsbedürftig sind (Arolt et al. 1997). So ist zum einen der Bedarf und die
Notwendigkeit einer Zuweisung und Mitbetreuung durch einen Konsiliarpsychiater oftmals
geringer, als die Vorkommenshäufigkeiten der dedektierten psychischen Störungen (Wancata et
al. 1996, Diefenbacher 2002, Krautgartner et al. 2006, Hansen et al. 2001). Zum anderen sind an
der Betreuung von psychisch beeinträchtigten Patienten innerhalb des Universitätsklinikums
auch andere medizinische Fachgebiete, wie der psychosomatische-psychotherapeutisch
Konsiliardienst, und der Arbeitsbereich der klinischen Psychologie (im speziellen der
Psychoonkologische Dienst) beteiligt. Hinsichtlich dieser diversen Angebote besteht ein
erheblicher Unterschied zwischen der Versorgungsstruktur eines Universitätsklinikums und
Krankenhäusern
der
Grundversorgung.
Zur
Beurteilung
der
psychosozialen
Versorgungs(gesamt)situation, müsste man somit auch die Angebote und Leistungen anderer
medizinischer Arbeitsbereiche miteinbeziehen.
35
______________________________________________________________________
4.3 Psychiatrische Morbidität im Konsiliardienst
Kritisch anzumerken ist zunächst – untersucht man psychiatrische Morbidität anhand der
Diagnosen, die im Rahmen eines Konsils gestellt wurden - das Problem der diagnostischen
Unsicherheit. Der persönliche Eindruck, den der Konsilarzt bei dem meist einmaligen Kontakt
mit dem Patienten gewinnt, ist nur bedingt repräsentativ, da das psychische Befinden oft starken
Schwankungen unterliegt. So stellt ein Konsil eine Querschnittsuntersuchung dar (Herzig 2005),
unter der - verglichen mit der Längsschnittdimension der Befunderhebung im stationären
Setting - die Diagnosefindung mit einer gewissen Unsicherheit behaftet ist. Ferner kann sich die
Diagnostik einer psychischen Störung bei einem somatisch kranken Patienten aufgrund der
häufigen Überlappung psychischer und somatischer Symptome schwierig gestalten (Härter
2000). Letztlich stellt die posthoc ICD 10 Verschlüsselung der deskriptiven Diagnosen des
Konsilscheins eine methodische Fehlerquelle dieser Arbeit dar.
Diese Überlegungen vorangestellt, waren die drei häufigsten im Konsildienst gestellten
psychiatrischen Diagnosen die Neurotischen, Anpassungs- und Somatoformen Störungen (F4)
mit 27,8%, gefolgt von den Hirnorganischen Störungen (F0) mit 17,5% und den Affektiven
Störungen (F3) mit 16,2%. Diese Ergebnisse stimmen mit der Literatur überein, in der diese
Störungsbilder als die drei häufigsten im Konsildienst gestellten Diagnosen, genannt werden
(Kapfhammer 1992, Fiebiger et al.1997, Silverstone 1996). Allerdings berichten auch einige
Studien über die Störungen durch psychotrope Substanzen als eine der drei häufigsten
Diagnosen (Arolt et al. 1995b, Saupe & Diefenbacher 1996, Deister 1994). Die hier
aufgetretene prozentuale Häufung der Affektiven Störung (16,3%) stimmt mit früheren
Untersuchungen überein, die diese mit einer Häufigkeit zwischen 13,9% und 16,9 % angeben
(Kapfhammer 1992, Saupe & Diefenbacher 1996, Fiebiger et al 1997), die Prävalenz der
Hirnorganischen Störung ist mit den Ergebnissen aus der Lübecker Studie vergleichbar (Arolt
et al. 1995ab). Zu der am häufigsten vorkommenden Diagnosegruppe der Neurotischen,
Anpassungs- und Somatoformen Störungen (F4), sind die in bisherigen Studien ermittelten
Prävalenzahlen sehr inhomogen und liegen abhängig von der Erhebungsmethode zwischen 13,2
und 63,6% (Arolt et al. 1995a, Saupe & Diefenbacher 1996, Deister 1994, Kapfhammer 1992,
Fiebiger et al.1997). Die hier ermittelte Häufigkeit von 27,8% ist jedoch mit den Ergebnissen
von Fiebiger vergleichbar, der eine Vorkommenshäufigkeit von 32,3% feststellte (Fiebiger et al.
1997). Die Anpassungsstörung war mit 14,8% die am häufigsten gestellte Diagnose der F4
Gruppe, und damit in einem ähnlichen Bereich wie in der Studie von Silverstone, in der diese
Diagnose mit 13,7% am häufigsten auftrat (Silverstone 1996).
Über substanzbezogende Störungen, und insbesondere Störungen durch Alkohol unter Patienten
im Allgemeinkrankenhaus ist vielfach berichtet worden. Arolt konnte zeigen, dass in
internistischen und chirurgischen Abteilungen bei jedem vierten bis fünften Mann eine
36
______________________________________________________________________
Alkoholabhängigkeit vorlag (Arolt 2004). Von den Ergebnissen der Lübecker Studie
abweichend, in der die substanzbezogene Störung ein Viertel aller Diagnosen ausmachte, trat
diese hier nur mit einer Häufigkeit von 8,4% auf. Allerdings werden in der Literatur auch
geringere Häufigkeiten genannt (Krautgartner et al. 2006, Kapfhammer 1992). Andere als die
bisher genannten psychiatrische Diagnosen (Schizophrenie, Persönlichkeitsstörung, Störungen
des F5 und F7 Formenkreises) machten zusammen 10,8% aus und stimmen damit mit früheren
Beobachtungen überein (Arolt et al. 1997).
Auffällig war, dass beachtliche 132 von 607 Patienten (21,7%), die an den psychiatrischen
Konsildienst überwiesen wurden, keine Diagnose erhalten hatten. Diefenbacher gibt an, dass in
5-10% aller psychiatrischen Konsile der Konsiliarius keinen Therapievorschlag macht oder
keine Diagnose stellt (Diefenbacher 2007). Demnach kann gefolgert werden, dass hier dem
Konsildienst vermehrt Patienten zugewiesen werden, die die Kriterien für eine psychische
Störung nicht erfüllen. Dies könnte an dem hohen Aufkommen von Konsilen liegen, die zur
Basisdiagnostik vor neurochirurgischen Eingriffen oder Organtransplantationen gehören,
verdachtsunabhängig angeordnet werden und somit eher eine Screeningfunktion erfüllen bzw.
zur juristischen Absicherung durchgeführt werden. Darüber hinaus könnte ein weiterer Grund
für dieses Ergebnis sein, dass der Konsilpsychiater vor einer endgültigen Diagnose noch weitere
diagnostische Schritte für indiziert erachtete, was in 10% aller Fälle vorkam. Weiterhin könnte
eine
allgemeine
Verdrossenheit
und
Demoralisierung
eines
Patienten
über
den
Krankenhausaufenthalt oder die ängstliche Reaktion auf eine Diagnose, vom somatischen Arzt
als eine psychische Störung (beispielsweise eine Depression) fehlgedeutet werden, und die
Hinzuziehung des Konsilpsychiaters zur Folge haben (Grubich 2007). Ein Blick auf die
Verdachtsdiagnosen der Somatiker scheint diese These zu bestätigen. Am häufigsten, nämlich
in 19,8% der Fälle, wurde hier als Verdachtsdiagnose die Depression genannt.
Die Diagnose der Anpassungsstörung, welche in dieser Studie am häufigsten vorkam, ist in der
Konsiliarpsychiatrie aufgrund fehlender operationalisierter Kriterien umstritten (Grubich et al.
2007). Sie wird oftmals in den Fällen vergeben, in denen die Anzahl erforderlicher Symptome
für die Diagnose einer depressiven Störung nicht ausreichend ist (Grubich et al. 2007), und wird
somit oft als eine Art Restkategorie verwendet (Sonnemoser 2007). Dieser Trend zur
Anpassungsstörung, und die Tatsache, dass bei jedem fünften Patienten, der an den Konsildienst
überwiesen wurde, keine psychiatrische Erkrankung festgestellt wurde, könnte darauf
hinweisen, dass auf konsilanfordernder Seite oft Zweifel bestehen ob einer entsprechenden
Beobachtung (bei einem
Patienten) auch Krankheitswert zukommt bzw.
ob eine
Behandlungsentscheidung getroffen werden muss. Vorliegendes Ergebnis wirft dann die Frage
auf ob die Indikation für eine psychiatrisches Konsil in manchen Fällen sehr großzügig gestellt
wird, bzw. welche Motivation hinter dem Wunsch nach einem Konsil steht. Delius, der in seiner
37
______________________________________________________________________
Arbeit die Indikation psychiatrischer Konsile untersuchte, kam beispielsweise zu dem Ergebnis,
dass der Psychiater oft gerufen wird, weil der Patient ein simples Gesprächbedürfnis hat (Delius
et al. 1993). So könnte, trotz der durch zahlreiche Autoren beklagten zweifelsfreien
konsiliarpsychiatrischen Unterversorgung (Diefenbacher & Arolt 2004), durch eine zu
großzügige Delegation psychisch beeinträchtigter Patienten an die Psychiatrie die ungünstige
Konstellation entstehen, dass sich somatisch behandelnde Ärzte nicht mehr ausreichend
verantwortlich für die psychische Gesundheit ihrer Patienten fühlen und sich deshalb nicht auf
die notwendige empathische Kommunikation mit diesen einlassen. Wie bereits erwähnt, sollte
ein Konsil zur Optimierung der Behandlung des Patienten beitragen, nicht aber den Charakter
eines Alibis haben.
Neben den psychiatrischen Diagnosen wurde als eigenständiges Merkmal auch die Suizidalität
erfasst, welche ein häufiger Grund für die Anordnung eines psychiatrischen Konsils ist. Obwohl
in dieser Studie bei n=86 Patienten der Verdacht auf eine akute Suizidalität bzw. Zustand nach
Suizidversuch (zweithäufigster) Anlass der Konsilanfordernung war, wurde durch den
Konsiliararzt nur bei jedem vierten Patienten (n=22) diese auch bestätigt. In der Literatur wird
oftmals über schnelle Distanzierungs- und Bagatellisierungstendenzen bei Patienten nach einem
mißglückten Suizidversuch berichtet, die im Sinne einer Abwehr des suizidauslösenden
Konflikts geschehen (Bron 2000). Allerdings ist die Anforderung eines Konsils aufgrund eines
vermuteten Suizidrisikos zur eigenen Absicherung des behandelnden Arztes, und der damit
verbundenen Delegation der Verantwortung an die Psychiatrie, ein in der Literatur
beschriebenes und häufiges Motiv (Georgescu & Caduff 2002).
4.4 Verdachtsdiagnose der Somatiker
Auf annähernd jedem dritten Konsilschein wurde von den somatischen Konsilanforderern keine
konkrete psychiatrische Verdachtsdiagnose vermerkt. Wurde ein Verdacht geäußert, so war dies
am weitaus häufigsten eine Affektive Störung (in den meisten Fällen eine Depression) mit
19,8%. Die Verdachtsdiagnose der Angst- und Zwangsstörung, wurde mehr als doppelt so
häufig genannt (n=67) wie sie in Wirklichkeit zutraf (n=32). Grund dafür könnte sein, dass von
nicht-psychiatrisch tätigen Ärzten eine ängstliche Reaktion häufig nicht als Symptom eines
depressiven
Syndroms,
sondern
als
eigenständige
Diagnose
gedeutet
wurde.
Die
Anpassungsstörung - der Spitzenreiter unter den tatsächlichen Diagnosen - wurde hingegen in
nur ca. 5% auf dem Konsilschein als Verdachtsdiagnose genannt. Dies vermutlich aufgrund der
bereits angedeuteten Schwierigkeit in der Diagnostik und weil dieses Störungsbild NichtPsychiatern oft nicht geläufig ist. Gute Übereinstimmung in der Häufigkeit waren bei den
Störungen zu beobachten, die eher selten vorkamen, wie die Persönlichkeitsstörung F6 (n=16
vs. n=15), die Verhaltensaufälligkeit mit körperlichen Störungen F5 (n=9 vs. n=8) und der
38
______________________________________________________________________
Demenz F0 (n=27 vs. n=29). Im Falle der Demenz könnte dies an der relativ eindeutigen
Symptomatik der Erkrankung liegen. Bei den anderen beiden sehr spezifischen Störungen ist
denkbar, dass diese Diagnosen bereits im Vorfeld bekannt waren. Aufgrund der retrospektiven
Methode der Arbeit ist festzuhalten, dass über die psychiatrischen Fähigkeiten der
Konsilanfoderer mit diesen Ergebnissen nur sehr eingeschränkte Aussagen getroffen werden
können.
4.5 Vorbehandlung
Ferner wurde in dieser Studie erfasst, ob der im psychiatrischen Konsil stattgefundene Kontakt
für den Patienten einen Erstkontakt mit der Psychiatrie darstellte, oder ob dem Konsildienst
überwiegend Patienten mit vorbekannten psychiatrischen Erkrankungen vorgestellt wurden. Für
50,4% aller Patienten handelte es sich um einen Erstkontakt, während dies für 37,1% nicht der
Fall war. Leider blieb bei 12,5% der Patienten der Vorbehandlungsstatus unklar. Bei De Jonge
hatten 50% aller zum psychiatrischen Konsildienst überwiesenen Patienten von n=100 keine
psychiatrische Vorgeschichte (De Jonge et al. 2000). In einer Studie von Hansen et al. unter
internistischen Patienten - allerdings mittels eines standardisierten Fragebogens - war ein
größerer Anteil an Patienten (82,6%) mit dedektierten psychischen Störungen nicht in
psychiatrischer Vorbehandlung (Hansen et al. 2001).
Es kann vermutet werden, dass viele der konsiliarisch gesehenen Patienten keine psychiatrische
Hilfe in Anspruch genommen hätten, wären sie nicht dem psychiatrischen Konsildienst
vorgestellt worden. Hinzu kommt, dass für diese Patienten ein stigmatisierender Aufenthalt in
einer Psychiatrischen Klinik nicht notwendig war. Der Ansicht, dass der psychiatrische
Konsiliardienst eine Filterfunktion zur Erkennung psychischer Störungen bei Patienten, die sich
aufgrund einer somatischen Erkrankung in Behandlung befinden, darstellt (Diefenbacher 2005)
und, dass sich dadurch Möglichkeiten zur Sekundärprävention psychiatrischer Erkrankungen
ergeben, kann sich somit angeschlossen werden (Arolt 2004).
4.6 Konsilanforderungsgründe
Mit der Literatur übereinstimmend war in dieser Studie der am weitaus häufigsten genannte
Grund für die Anforderung eines Konsils akute psychiatrische Symptome (43%) und die Frage
nach deren Diagnostik (Saupe & Diefenbacher 1996, Fiebiger et al. 1997). Auf Platz zwei und
drei lagen körperliche Symptome organisch nicht zu erklären (15,3%) und, wie bereits erwähnt,
der Verdacht auf das Vorliegen einer akuten Suizidalität (14,2%), beide mit vergleichbaren
prozentualen Häufigkeiten. Zum Teil werden in der Literatur suizidale Tendenzen häufiger,
nämlich zwischen 25-30% (Hengeveld et al. 1987, Arolt et al. 1995a) als Anforderungsgrund
angegeben. Hierzu finden sich Studien mit ähnlichen Ergebnissen (Kapfhammer 1992). Zu den
39
______________________________________________________________________
prozentualen Häufigkeiten für körperliche Symptome organisch nicht zu erklären finden sich in
der Literatur ähnlich hohe Zahlen, zum Beispiel 17,8% bei Hengeveld (Hengeveld et al. 1984).
Die hohe Zahl an Überweisungen aufgrund somatischer Beschwerden ohne organisches
Korrelat geht mit der These einher, dass sich beispielsweise depressive Syndrome - im Sinne
einer larvierten Depression - hinter körperlichen Beschwerden verbergen können. So berichten
einer internationalen Studie zufolge bei Vorliegen einer Depression 45-95% aller Patienten
ausschließlich somatische Symptome (Simon et al. 1999). Denkbar wäre auch, dass hinter der
großen Patientengruppe mit organisch nicht erklärbaren Symptomen Somatisierungssyndrome
stehen könnten. Ein Blick auf die psychiatrische Morbidität diesbezüglich zeigt aber, dass diese
nur in 2% der Fälle vorkamen.
Obwohl die Alkoholabhängigkeit eine häufige komorbide Störung unter Krankenhauspatienten
ist (Arolt 2004), war in der Studie Sucht und Entzug (7,4%) ein vergleichbar seltener Anlass zur
Anordnung eines Konsils. Allerdings fanden sich ähnliche Ergebnisse in der Literatur
(Hengeveld et al. 1984). Grubich stellt diesbezüglich fest, dass Patienten mit Suchtproblematik
nur selten einem Konsiliarpsychiater zugeführt werden, und meist auch nur dann, wenn eine
Behandlungssunterstützung bei akut intoxikierten oder deliranten Patienten gewünscht wird
(Grubich et al. 2007). Nach Diefenbacher hat dies hauptsächlich damit zu tun, dass
Substanzmissbrauch häufig mehr als ein moralisches als ein medizinisches Problem angesehen
wird (Diefenbacher 2007). Zu begrüßen ist, dass in dieser Studie konkrete Angaben zum Grund
für die Konsilanforderungen nur auf 3,6% aller Konsilscheine fehlten. Unklare oder fehlende
Angaben über die Motivation zur Hinzuziehung eines Psychiaters können nach Hengeveld et al.
Hinweise für Interaktionsprobleme zwischen Patient und Behandlungsteam sein, oder auf
Kommunikationsprobleme innerhalb des Teams hindeuten (Hengeveld et al.1987, Hengeveld &
Rooymans 1987). Gollinger und Mitarbeiter untersuchten den Zusammenhang zwischen
unklaren Angaben zum Grund der Konsilanforderung und der Schwere der Psychopathologie
des Patienten. In den Fällen, in denen die Motivation für die Konsilanforderung unklar blieb,
hatten 61% eine schwere psychische Störung (Delir, Demenz, Schizophrenie), während bei
klaren Fragestellungen/Anforderungsgründen dies auf nur halb so viele Patienten zutraf. Er
folgerte daraus, dass je schwerer die Psychopathologie des Patienten ist, umso unklarer auch die
Fragestellung des Anforderers ausfällt (Gollinger et al.1985).
4.7 Konsiliarische Empfehlungen
Irgendeine Form der Behandlung, zu der auch die Einschaltung sozialer Dienste oder
Beratungsstellen zählte, war bei 80,1% aller Patienten indiziert, und stimmt damit weitgehend
mit den Zahlen der Lübecker Studie überein. Bei 487 der 607 Patienten wurde somit ein
Behandlungsbedarf festgestellt. Dies war am häufigsten (37,5%) die Behandlung mit einem
Psychopharmakon. In einer Literaturübersicht über acht Artikel von Hengeveld und
40
______________________________________________________________________
Mitarbeitern, liegt der Median für die Verschreibung eines Psychopharmakons bei 37,8%.
Dieser stimmt sehr gut mit den hier vorgefundenen Zahlen überein. Die Empfehlung einer
stationären Übernahme auf eine psychiatrische Station in 11% der Fälle, geht mit den
Ergebnissen anderer Studien einher (Krautgartner et al. 2006, Hengeveld et al. 1987), es
existieren jedoch auch Berichte über höhere Überweisungsraten (Arolt et al. 1995ab). Eine
Pharmakopsychotherapie wurde in 6,4% empfohlen. Eine Psychotherapie alleine bildet mit
2,9% das Schlusslicht unter den für indiziert erachteten Interventionen. Diese Zahl erscheint
sehr niedrig, betrachtet man die Lübecker Studie, in der mit 19,1% die Indikation für eine
supportive Psychotherapie sehr viel häufiger gesehen wurde (Arolt et al 1995ab), und
psychotherapeutische Interventionen besonders bei Patienten mit körperlichen Erkrankungen
und einer psychischen Komorbidität effektiv sind (Grubich 2007).
Es ist offensichtlich, dass die CL-Psychiatrie nur dann effektiv sein kann, wenn die Vorschläge
des Konsiliarpsychiaters vom Konsilanforderer auch umgesetzt werden, was als Konkordanz
bezeichnet wird. Huyse et al. stellten bezüglich der Konkordanz im stationären Setting fest, dass
kommunikationsintensive Empfehlungen und Maßnahmen, und solche die wiederholt umgesetzt
werden müssen, eine niedrige Konkordanz (≤50%) aufweisen. Medikamentengaben haben
hingegen eine hohe Konkordanzrate (≥95%), da diese leicht umzusetzen sind, und zum
Alltagsrepertoire von somatischen Mediziner gehören (Huyse et al. 1990). Vor diesem
Hintergrund, und da die Compliance somatischer Ärzte mit den Empfehlungen des Konsiliarius
ohnehin niedrig ist (Diefenbacher 2007), ist es nachvollziehbar, dass in den Konsilen
vornehmlich solche Empfehlung ausgesprochen werden, die im Anschluss an das Konsil die
höchste Wahrscheinlichkeit haben auch umgesetzt zu werden. Diese Gründe könnten für die
seltene
Anordnung
psychotherapeutische
Maßnahmen,
die
besonders
zeit-
und
kommunikationsintensiv sind, verantwortlich sein.
4.8 Psychiatrische Morbidität bei somatischen Hauptdiagnosen
4.8.1 Somatische Morbidität
Abgesehen
von der Diagnose
Symptome und
abnormen
Befunde
(16,0%) waren
Tumorerkrankungen inklusive Tumoren des ZNS (13,3%), Herz-Kreislauf-Erkrankungen
(12,4%), Verletzung und Vergiftungen (11,9%) und die Epilepsie (11,2 %) die vier häufigsten
körperlichen Erkrankungen der konsiliarisch gesehenen Patienten. Bei kardiovaskulären
Patienten kann inzwischen eine erhöhte Auftretensrate psychischer Störungen als gesichert
angesehen werden (Deuschle et al. 2002, Barth et al. 2004, Carney et al. 2002, Jacobi 2007),
und auch über hohe Komorbiditätsraten unter Tumorpatienten wird berichtet (Krauß et al. 2007,
Singer et al. 2007). Der große Anteil an Patienten mit der Diagnose Epilepsie erklärt sich durch
das Epilepsiezentrum des Universitätsklinikums und der dadurch bedingten, generell hohen
Vorkommenshäufigkeit dieser Diagnose. Der enge Zusammenhang der Epilepsie mit
41
______________________________________________________________________
komorbiden psychischen Störungen, insbesondere mit der Depression, ist in der Wissenschaft
bekannt (Kanner 2003, Ganz et al. 2003, Schmitz 2004).
Eine Studie von Wancata und Mitarbeitern ermittelte die Auftretenshäufigkeit, Verteilung und
die Art psychiatrischer Erkrankungen in einer Stichprobe von n=724 Patienten mit somatischen
Erkrankungen. Eine erhöhte Rate an psychiatrischer Komorbidität lag bei Patienten mit einer
neurologischen Erkrankung, einer Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Tumorerkrankung vor,
und geht damit mit den hier gefundenen Ergebnissen einher. Abweichend davon fand Wancata
auch bei Patienten mit endokrinen Erkrankungen gehäuft psychische Störungen (Wancata et al.
1996). Wie bereits erwähnt schließt die Diagnosegruppe Verletzung und Vergiftung vor allem
Patienten ein, die nach einem Suizidversuch ins Krankenhaus gekommen waren, aber auch
solche mit Alkoholintoxikation oder Verletzungen und Brüche als Folge von Stürzen aber auch
selbstzugefügten Verletzungen bei zu Grunde liegenden Persönlichkeitsstörungen.
4.8.2 Psychiatrische Komorbidität
Der Forschungsbereich der Konsiliarpsychiatrie lenkt den Blick zwangsläufig auf das
Phänomen der Komorbidität, denn das Besondere in diesem Fachgebiet ist das gleichzeitige
Vorliegen einer körperlichen Erkrankung und eines psychischen Leidens bei der gleichen
Person. Es bietet sich somit an zu betrachten, bei welchen spezifischen somatischen
Patientengruppen häufiger als bei anderen, ein Psychiater hinzugezogen wird, und ob sich
hinsichtlich des Diagnosespektrums Unterschiede ergeben. Dabei ist aber immer das bereits
beschriebene methodische Defizit der Diagnosefindung im Konsildienst zu berücksichtigen.
Folgende Ergebnisse sind somit rein deskriptiver Natur. Aufgrund der Anzahl der beobachteten
somatischen Diagnosen (n=19) waren bei einigen Konstellationen von somatischer und
psychischer Diagnose die Fallzahlen zu gering, um eine gültige Aussage zu treffen, weshalb an
dieser Stelle nur auf die wichtigsten Ergebnisse eingegangen wird.
Unter den Patienten mit Tumorerkrankungen waren die Neurotischen, Anpassungs- und
Somatoformen Störungen (F4) mit 35,4% die am häufigsten gestellte Diagnose. Die
Hirnorganische Störung und die Affektive Störung kamen mit 21,6% an zweiter Stelle. Dass die
Diagnose Krebs im Sinne eines critical life event für das Entstehen von depressiven Syndromen
und Belastungsreaktionen verantwortlich sein kann, ist gut nachvollziehbar. Betraf der Tumor
das ZNS, so war eine Hirnorganische Störung in 57,9% - ebenfalls gut nachvollziehbar - die
häufigste Diagnose.
Die Literatur berichtet übereinstimmend, dass Störungen aus dem F4 und F3 Formenkreis unter
Patienten mit einer Tumorerkrankung am häufigsten auftreten (Singer et al. 2007, Krauß et al.
2007). In einer Studie von Krauß et al. kamen Störungen des F4 Formenkreises mit einer zu hier
vorgefundenen sehr ähnlichen Häufigkeit (34,2%) vor (Krauß et al. 2007). Allerdings werden in
42
______________________________________________________________________
der Literatur geringere Häufigkeiten für das Auftreten einer Affektiven Störung bei
Tumorpatienten genannt. Dies könnte zum einen an Schwierigkeiten in der Diagnostik einer
Depression bei Tumorpatienten liegen, denn die Symptome einer Krebserkrankung und die
Nebenwirkungen
der
Behandlung
können
Symptome
einer
Depression
imitieren
(Spiegel&Giese-Davis 2003). Andererseits ist die Art der psychischen Störung bei
Tumorpatienten sehr stark von Faktoren wie dem Zeitpunkt und dem Stadium dieser potenziell
lebensbedrohlichen Erkrankung abhängig (Singer et al. 2007), was eine Vergleichbarkeit
unterschiedlicher Studienergebnisse erschwert. Die Diagnose der Hirnorganischen Störung
kommt in den Studien von Krauß und Singer überhaupt nicht vor, allerdings wird über ein
gehäuftes Auftreten organisch bedingter psychischer Störungen unter einer onkologischen
Behandlung ausgelöst durch eine tumortoxisch assoziierte metabolische Entgleisung oder durch
medikamentöse Nebenwirkungen der Chemotherapie berichtet (Nothdurfter 2009).
Bei Patienten mit neurologischen Erkrankungen waren in über der Hälfte der Fälle (53,6%) von
einer F4-Störung betroffen. Dies ist konform zu Studienergebnissen, wonach 55,6% eines
neurologischen Patientengutes unter Somatoformen Störungen oder Angststörungen litten (Fink
et al. 2003). Die Lifte-Time-Prävalenz einer Depression wird in der Literatur für EpilepsiePatienten mit 30% angegeben, und gilt als die häufigste komorbide psychische Störung dieser
Erkrankung (Kanner 2003). Abweichend davon war in vorliegender Studie unter EpilepsiePatienten die Neurotischen, Anpassungs- und Somatoformen Störungen (F4) die am häufigsten
diagnostizierte Störung, während die Affektive Störung (F3) auf Platz zwei folgte.
Auch bei den Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die eine überzufällig häufige Komorbidität mit der
Depression aufweisen - was in fast ausnahmslos allen Studien die seit den 1970iger Jahren
prospektiv, über einen langen Zeitraum und an einem großen Kollektiv, gezeigt werden konnte
(Deuschle et al. 2002) - lagen die Neurotischen, Anpassungs- und Somatoformen Störungen
(F4) gemeinsam mit den Hirnorganischen Störungen (F0) an der Spitze, und nicht wie erwartet
die Affektiven Störungen (F3). Allerdings treten neueren Studien zufolge Herz-KreislaufErkrankungen auch in Verbindung mit Angststörungen gehäuft auf (Härter et al. 2007, Jacobi
2007). Durch die Fokussierung auf den Zusammenhang zwischen Depressionen und
kardiovaskulären Erkrankungen in der Vergangenheit wurde die systematische Untersuchung
anderer psychiatrischer Erkrankungen in diesem Patientenkollektiv vernachlässigt (Jacobi
2007).
4.9 Ausblick: Perspektiven und zukünftige Aufgaben der Konsiliarpsychiatrie
Aus
zu
Beginn
dieser
Arbeit
geschilderten
Gründen
wird
die
Nachfrage
an
konsiliarpsychiatrischen Leistungen in Zukunft steigen (Ebel 2006, Pontzen 2005). Angesichts
dieser
Situation
stellt
sich
die
Frage
nach
weiteren
Perspektiven
und
43
______________________________________________________________________
Optimierungsmöglichkeiten dieser psychiatrischen Subspezialität. Dabei steht zunächst die aus
historischen Gründen bestehende Koexistenz von psychiatrischen und psychosomatischen CLDiensten zunehmend in der Kritik. Da sich in Studien abzeichnete, dass psychiatrische
Konsiliardienste etwa gleich viele Überweisungen aufgrund von organisch nicht zu erklärenden
Symptomen erhalten, wie ihre Kollegen der psychosomatischen Medizin, schlussfolgern
Diefenbacher und Arolt, dass es für den Konsilanforderer kaum ersichtlich ist, nach welchen
Kriterien er sich für den einen, oder anderen Dienst entscheiden soll. Die Notwendigkeit zweier
parallel existierender CL-Dienste sehen sie somit nur dann gegeben, wenn sich eine eindeutige
fachliche
Aufgabenteilung
nachweisen
lässt,
und
fordern
die
Entwicklung
von
multidisziplinären Konsildiensten (Diefenbacher & Arolt 2004). Dies hält auch Ebel, angesichts
der zum Teil erheblichen Überschneidungen im Diagnosespektrum beider Dienste, für dringend
geboten und schlägt die Einführung speziell qualifizierter Konsiliardienste im Bereich der
Onkologie, der Gynäkologie und der Schmerztherapie vor (Ebel 2006).
Ferner sollte die Bedeutung nicht-ärztlicher Berufe, wie die der medizinischen Psychologie und
die der Sozialdienste, im Hinblick auf die immer komplexeren psychosozialen Probleme von
körperlich Kranken, weiter vorangetrieben werden (Ebel 2006, Diefenbacher & Arolt 2004).
Weniger
schwere
psychische
Störungen,
die
vorwiegend
Probleme
in
der
Krankheitsbewältigung betreffen, könnten verstärkt in den Zuständigkeitsbereich von anderen
Berufsgruppen, wie den medizinischen Psychologen und Sozialarbeitern fallen - dies jedoch
unter qualifizierter psychiatrischer, oder psychosomatischer Supervision (Söllner et al. 2005).
Da sich der CL-Psychiater zunehmend in einem Feld bewegt, indem auch rechtliche und
medizinethische Faktoren an Priorität gewinnen, und bisweilen die psychiatrische Fragestellung
in den Hintergrund rückt, könnte - als Reaktion auf den steigenden ethischen Erklärungs- und
Entscheidungsbedarf in medizinischen Konfliktsituationen - der klinischen Bioethik in Zukunft
ebenfalls eine wichtigere Rolle zugeschrieben werden (Bauer & Vollmann 2004).
Durch eine genauere Definition des Zuständigkeitsbereichs der CL-Psychiatrie, und eine
Klärung der Erwartung bezüglich deren Leistungen seitens der somatischen Kollegen, soll eine
größere Effizienz der Konsilleistungen erreicht werden (Ebel 2006). In diesem Zusammenhang
gibt es bereits Entwürfe zur Standardisierung der Konsilanfrage. Mittels eines standardisierten
Formulars in Form einer Checkliste, der psychiatric consultation checklist, könnte der
somatische Mediziner bei der Erstellung einer effektiven Konsilanfrage unterstützt werden
(Zigun 1990). Mit einem Minimum an extra Aufwand und Zeit könnte somit mehr strukturierte
medizinische Information über den Patienten an den Konsiliarius übermittelt werden. Weiterhin
fordern Diefenbacher und Arolt aufgrund der demografischen Entwicklung insbesondere die
weitere Implementierung von Liaisonmodellen in geriatrische und gerontopsychiatrische
Fachabteilungen (Diefenbacher & Arolt 2004).
44
______________________________________________________________________
Wie bereits angesprochen, sind CL-Leistungen nur dann wirksam, wenn die Vorschläge des
Konsiliarpsychiaters vom Konsilanforderer auch umgesetzt werden (= Konkordanz). Bisher gibt
es nur wenige Studien zur Konkordanz bezüglich konsiliarischer Empfehlungen und welche
Faktoren Einfluss auf die therapeutische Compliance haben. In den wenigen Studien zu diesem
Aspekt wurden die Verschreibung von Psychopharmaka und die Durchführung des Konsils
durch einen Ober- oder einen Facharzt als compliancefördernd erkannt (Leentjens et al. 2010).
Mit der Identifizierung weiterer solcher Faktoren, die durch den Konsiliarius beeinflusst werden
können und eine Verbesserung der Konkordanz zur Folge haben, bietet sich die Chance zu einer
effizienteren CL-Psychiatrie und einer Optimierung der Versorgung von psychisch
beeinträchtigten Patienten in somatischen Fachabteilungen.
4.10 Visionen für die Zukunft
Welche
Schlussfolgerungen
lassen
sich
aus
der
systematischen
Untersuchung
der
Konsiliartätigkeit ziehen und wie könnte in Zukunft eine optimale Versorgung von somatisch
Kranken mit psychischer Komorbidität aussehen?
1. Einstellung von eigenen klinischen Psychologen
Beobachtet wurde, dass die Anzahl an Konsilanfragen von Jahr zu Jahr steigt, und bei
bestehender personeller Ausstattung in Zukunft von der Psychiatrischen Klinik kaum zu
bewältigen sein wird. Um die Patientenversorgung zu gewährleisten, ergibt sich die
Notwendigkeit zur Einbeziehung anderer, nicht-ärztlicher Berufsgruppen - wie die Einstellung
von eigenen klinischen Psychologen und/oder der Erweiterung der Befugnisse des
Sozialdienstes - in die Versorgung von psychisch beeinträchtigen Patienten im Krankenhaus. Da
vorliegende Untersuchung ergab, dass es sich bei den erbrachten Konsilleistungen größtenteils
um das Management weniger schwerer psychischer Störungen handelt, erscheint dies
gerechtfertigt. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass bei rund 20% der konsiliarisch gesehenen
Patienten keine Diagnose gestellt wurde, bzw. eine Anpassungsstörung die am häufigsten
gestellte Diagnose war. Es ist somit anzunehmen, dass bei einem großen Teil der Konsile
hauptsächlich das Bedürfnis nach einem entlastenden Gespräch im Vordergrund der 'Therapie'
steht. Dies trifft insbesondere für Patienten mit chronischen Erkrankungen, sowie jene, die sich
in einer palliativen Situation befinden, zu. Diese Fälle gilt es zu sondieren und deren Betreuung
in Zukunft verstärkt auch an andere Dienste zu übertragen.
2. Frühzeitiges psychosomatisches Management
An der Schnittstelle zwischen somatischer und psychiatrischer Versorgung könnte in Zukunft
ein Fallmanager – ein relativ neues Berufsbild im Gesundheitswesen - bei der Koordination der
Konsilanforderungen mitwirken und, entsprechend den gesundheitlichen Bedürfnissen des
45
______________________________________________________________________
Patienten, eine frühzeitige adäquate psychiatrische Mitbetreuung einleiten. Durch das hohe Maß
an Arbeitsteilung im Krankenhaus ist die Anzahl an Fehlerquellen bzw. an Verzögerungen und
Versäumnissen im Behandlungsablauf hoch, gerade wenn ein Patient Erkrankungen mehrerer
Organsysteme vereint und durch unterschiedliche Fachdisziplinen behandelt wird. Ursache
dafür sind häufig Kommunikationsprobleme zwischen den behandelnden Ärzten. Umso mehr
könnte ein Fallmanager als übergeordnete Instanz durch das Hinzuziehen des richtigen Dienstes
zum richtigen Zeitpunkt zu einer verbesserten, effizienteren Behandlung von Patienten, die
sowohl psychiatrisch als auch somatisch beeinträchtigt sind, beitragen.
3. Intensivierung der interdisziplinären Zusammenarbeit
Die hohe Koinzidenz von psychiatrischen Störungen bei somatisch Kranken macht schließlich
die weitere Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen somatischem und psychiatrischem
Fachgebiet notwendig. Dabei stellt vor allem die Schaffung von interdisziplinären Ambulanzen
speziell für Patienten, die unter einer chronischen somatischen Erkrankung mit psychiatrischer
Relevanz leiden, einen wichtigen Fortschritt zu einer effizienteren Versorgung dar. Durch die
Vorstellung dieser Patienten in interdisziplinär ausgerichteten Ambulanzen mit ebenso
ausgebildeten Ärzten könnten beispielsweise Hospitalisierungen vermieden werden, die in der
Vergangenheit allein aufgrund von Schwierigkeiten in der diagnostischen Einschätzung der
dargebotenen Symptome dieser Patientengruppe erfolgten, aber eher auf psychische Ursachen
zurückzuführen waren (Beispiel Somatisierung). Da psychische Störungen zudem zu einer
Verschlimmerung der bestehenden chronischen Erkrankung beitragen können, könnten dort
auch durch rechtzeitiges Erkennen und Behandeln, Komplikationen im therapeutischen
Management der somatischen Erkrankung sowie stationären Einweisungen vorgebeugt werden.
Als Vorbild für diesen Behandlungsansatz sind hier die bereits bestehenden multimodalen
Therapiekonzepte bei chronischem Schmerz zu nennen, die erfolgreich angewandt werden.
Weiterhin muss die Vertiefung wissenschaftlicher Kooperationen zwischen beiden Fachgebieten
vorangetrieben werden, zumal noch zahlreiche Fragen bezüglich der genauen biologischen
Mechanismen, die eine psychische Erkrankung auslösen können offen sind. Dies gilt
insbesondere für endokrinologische, gynäkologische und onkologische Erkrankungen.
46
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6 TABELLEN UND ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Tabellen:
Tabelle 1: Anfordernde Kliniken und Anforderungsraten
Tabelle 2: Somatische Morbidität
Tabelle 3: Psychiatrische Diagnosen im Konsildienst
Tabelle 4: Psychiatrische Diagnosen im Konsildienst 2
Tabelle 5: Suizidalität
Tabelle 6: Psychiatrische Verdachtsdiagnosen der Somatiker
Tabelle 7: Übereinstimmung von Verdachtsdiagnose und tatsächlicher Diagnose
Tabelle 8: Konsilanforderungsgrund
Tabelle 9: Konsiliarische Empfehlungen
Tabelle 10: Konsiliarische Medikationsempfehlungen
Tabelle 11: Psychische Erkrankungen in Abhängigkeit der somatischen Hauptdiagnose
Abbildungen:
Abbildung 1a: Alter der Patienten
Abbildung 1b: Alter in Abhängigkeit des Geschlechts
Abbildung 1c: Histogramm Alter
Abbildung 2: Absolute Inanspruchnahme des Konsiliardienstes durch die einzelnen Teilkliniken im Jahr
2008
Abbildung 3: Relative Inanspruchnahme des Konsiliardienstes durch die somatischen Teilkliniken im
Jahr 2008
Abbildung 4: Somatische Hauptdiagnosen der Konsilpatienten
Abbildung 5a: Psychiatrische Diagnosen im Konsiliardienst
Abbildung 5b: Psychiatrische Diagnosen im Konsiliardienst nach den Hauptgruppen des ICD 10 (F0-F7)
in %
Abbildung 6: Psychiatrische Verdachtsdiagnosen der Somatiker
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Abbildung 7: Erstkontakt mit einem Psychiater
Abbildung 8: Gründe für eine Konsilanforderung in %
Abbildung 9: Konsiliarische Empfehlungen zum weiteren Procedere
Abbildung 10: Konsiliarische Medikationsempfehlungen
Abbildung 11: Psychiatrische Erkrankungen in Abhängigkeit der somatischen Hauptdiagnosen
54
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Danksagung
Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Wolfgang Sperling, der mir die
Möglichkeit bot, das Thema dieser Dissertation zu bearbeiten und der mich stets mit seinem
fachlichen Rat unterstützt hat.
Herrn Professor Dr. Johannes Kornhuber danke ich sehr dafür, dass ich diese Arbeit an der
Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik des Universitätsklinikums der FriedrichAlexander-Universität Erlangen-Nürnberg durchführen konnte.
Außerdem möchte ich mich herzlich bei Frau Elisabeth Waldmann bedanken, die mir wertvolle
Hinweise bei der statistischen Bearbeitung des Datenmaterials gab. Nicht zuletzt gilt mein Dank
Frau Veronika Kreitlmeier, sowie Heidi und Mike Henson, die mich in der formalen Gestaltung
der Arbeit unterstützt haben.
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