Planungsleitfaden Verhaltenstherapie

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2. Auflage
Ubben
Planungsleitfaden
Verhaltenstherapie
Sitzungsaufbau, Probatorik,
Bericht an den Gutachter
E-BOOK INSIDE +
ARBEITSMATERIAL
ONLINE-MATERIAL
Ubben
Planungsleitfaden Verhaltenstherapie
Bernd Ubben
Planungsleitfaden Verhaltenstherapie
Sitzungsaufbau, Probatorik, Bericht an den Gutachter
Mit E-Book inside und Arbeitsmaterial
2., überarbeitete Auflage
Anschrift des Autors:
Dipl.-Psych. Bernd Ubben
Dresdner Akademie für Psychotherapie
Alaunplatz 2
01099 Dresden
E-Mail: [email protected]
Dieses E-Book ist auch als Printausgabe erhältlich
(ISBN 978-3-621-28263-5).
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2., überarbeitete Auflage 2015
1. Auflage 2010
! Beltz Verlag, Weinheim, Basel 2015
Werderstraße 10, 69469 Weinheim
Programm PVU Psychologie Verlags Union
http://www.beltz.de
Lektorat: Charlotte Schwesinger
Herstellung: Uta Euler
Umschlagbild: veer/WFP0007686
Satz: Beltz Bad Langensalza GmbH, Bad Langensalza
E-Book
ISBN 978-3-621-28282-6
Inhaltsübersicht
Vorwort
Einleitung
11
13
Teil I
17
1
2
Aspekte moderner Verhaltenstherapie
Steuerung des verhaltenstherapeutischen Arbeitsprozesses
Teil II
3
4
5
Verhaltenstherapeutischer Prozess
18
63
Planung und Durchführung der Anfangs-, Bearbeitungs- und
Commitmentphase einer Verhaltenstherapie
Zehn Planungsschritte der Probatorik
Probatorische Sitzungen (ABC-Modell)
Verhaltenstherapeutische Supervision
87
88
103
189
Teil III Bericht an den Gutachter
211
6
7
212
221
Planung einer Verhaltenstherapie als schriftlicher Bericht
Instrumente zum Verfassen des Berichtes an den Gutachter
Zusammenfassung und Ausblick
243
Anhang
247
Arbeitsblätter
Hinweise zum Arbeitsmaterial
Literaturverzeichnis
Sachwortverzeichnis
248
310
311
315
Inhaltsübersicht
5
Inhalt
Vorwort
Einleitung
Teil I
1
Verhaltenstherapeutischer Prozess
Aspekte moderner Verhaltenstherapie
1.1
1.1.1
1.1.2
1.2
1.2.1
1.2.2
1.2.3
1.3
1.3.1
1.3.2
1.3.3
1.3.4
1.4
1.4.1
1.4.2
2
11
13
Allgemeine Merkmale der Verhaltenstherapie
Phasen des verhaltenstherapeutischen Prozesses
Allgemeine Psychotherapie-Wirkfaktoren in der Verhaltenstherapie
Abstimmung von Methodeneinsatz und Beziehungsgestaltung
im Therapieprozess
Verhaltenstherapeutische Beziehungsmerkmale
Konzepte zur Gestaltung der therapeutischen Beziehung
Die individualisierte Anwendung von Standardtechniken
Von der Verhaltensanalyse zur individualisierten Diagnosestellung
Das verhaltensanalytische SORK-Modell als individualisierte
Planungsheuristik
Die diagnostische Fundierung einer Verhaltenstherapie
Die Dialektik verhaltensanalytischer und klassifikatorischer
Diagnostik
Diagnostische und konzeptionelle Maßnahmen während
Probatorik und Therapieverlauf
Verhaltenstherapie als kontrollierte Praxis
Drei Stufen kontrollierter Praxis
Heuristische Kompetenz und Handlungskompetenz
Steuerung des verhaltenstherapeutischen Arbeitsprozesses
2.1
2.2
2.3
2.3.1
2.3.2
Arbeitsphasen einer Verhaltenstherapie
Steuerung einer verhaltenstherapeutischen Sitzung nach dem
ABC-Modell
Evaluation der Therapiesitzung
Die Bedeutung von systematischen Rückmeldungen in der
Supervision
ABC-Check-up
17
18
18
19
22
25
27
32
43
44
44
50
53
55
59
59
60
63
64
65
80
80
83
Inhalt
7
Teil II
3
Zehn Planungsschritte der Probatorik
4
Probatorische Sitzungen (ABC-Modell)
5
Verhaltenstherapeutische Supervision
3.1
3.2
4.1
4.1.1
4.1.2
4.1.3
4.2
4.2.1
4.2.2
4.2.3
4.3
4.3.1
4.3.2
4.3.3
4.4
4.4.1
4.4.2
4.4.3
4.5
4.5.1
4.5.2
4.5.3
5.1
5.1.1
5.2
5.3
5.3.1
5.3.2
5.3.3
8
Planung und Durchführung der Anfangs-, Bearbeitungsund Commitmentphase einer Verhaltenstherapie
Inhalt
Die Aufgaben der Orientierungsphase
Aufgaben des Therapeuten und Ergebnisse für den Patienten
Erste probatorische Sitzung bzw. Erstgespräch
Aufgaben und Ziele
Aufbau
Materialien
Zweite probatorische Sitzung
Aufgaben und Ziele
Aufbau
Materialien
Dritte probatorische Sitzung
Aufgaben und Ziele
Aufbau
Materialien
Vierte probatorische Sitzung
Aufgaben und Ziele
Aufbau
Materialien
Fünfte probatorische Sitzung
Aufgaben und Ziele
Aufbau
Materialien
Die Bedeutung von systematischen Rückmeldungen in der
Supervision
ABC-Rating
Prämissen für eine videogestützte Supervision
Bestandteile eines verhaltenstherapeutischen Supervisionsmodells
Suchheuristik zur Eingrenzung relevanter Supervisionsanliegen
Ein Arbeitsmodell für die Durchführung einer Supervisionssitzung
Die Evaluation von Verhaltenstherapie-Supervision
87
88
88
90
103
103
103
106
111
116
116
117
121
136
136
138
144
156
156
157
163
171
171
172
179
189
189
191
195
198
198
203
208
Teil III
6
Planung einer Verhaltenstherapie als schriftlicher Bericht
6.1
6.2
7
Bericht an den Gutachter
Bericht an den Gutachter zur Beantragung einer Verhaltenstherapie
Inhalt des Berichtes an den Gutachter und häufige Fehler
Instrumente zum Verfassen des Berichtes an den Gutachter
7.1
Fragen zum Erstellen des Berichtes an den Gutachter
Zusammenfassung und Ausblick
Anhang
Arbeitsblätter
Hinweise zum Arbeitsmaterial
Literaturverzeichnis
Sachwortverzeichnis
211
212
212
214
221
222
243
247
248
310
311
315
Inhalt
9
Vorwort
Empathie ist eine Herzensangelegenheit. Psychotherapeuten bieten ihren Patienten
damit einen wesentlichen Halt für eine vertrauensvolle und gedeihliche Zusammenarbeit. Professionelle Empathie verbindet sich in diesem Beruf mit den parallel
gebotenen Haltungen der Neutralität und Abstinenz. Therapeuten können ihren
Patienten nur dann verantwortungsvoll Halt bieten, wenn sie darauf verzichten, sich
mit ihren eigenen Bedürftigkeiten in deren Leben einzumischen. Somit steht einem
solchen wohlwollenden, sich bescheidenden und enthaltsamen Herzen als Berater
immer auch ein kühler und umsichtiger Kopf zur Seite.
Verhaltenstherapeuten haben in diesem Sinne die hilfreiche Aufgabe, ihren Patienten einen roten Faden an die Hand zu geben, an dem entlang diese ihren Weg aus dem
Labyrinth ihrer Störung finden. Sie verfügen nämlich über die fachliche Expertise, wie
man aus diesem Irrgarten heraus einen Weg findet. Vom sicheren Ort der Therapiebeziehung aus ermöglichen sie ihren Patienten, Strickmuster ihrer typischen Problemsituationen und Bezüge zur eigenen Lebensgeschichte zu erkennen, sie führen
diese zu einem Orientierungsmodell ihrer Störung. Und sie ermöglichen es ihnen,
daraus Ziele abzuleiten. Ziele, für deren Erarbeitung die Patienten dann auch bereit
sind, persönlich Verantwortung zu übernehmen und diese mit aller Hartnäckigkeit zu
erarbeiten. Kommt in einem solchen geordneten und sicheren Orientierungsrahmen
ein vertrauensvolles und belastbares Arbeitsbündnis zustande, dann können beide
verlässlich miteinander ein therapeutisches Bündnis eingehen, um sich auf den Weg zu
den Zielen des Patienten zu machen. Bei diesem konzentrierten Besinnungsraum
handelt es sich um die Probatorik.
Damit es Therapeuten während der probatorischen Sitzungen entsprechend mit
Herz und Verstand gelingt, ihre Patienten sowohl motivational als auch kognitiv auf
den therapeutischen Veränderungsprozess vorzubereiten, benötigen sie selbst einen
roten Faden, an dem entlang sie die Planungsphase gestalten können. Diese Anfangsphase der Verhaltenstherapie sollte die Patienten bereits in ein effizientes Arbeitsmodell einführen, das auch anschließend bei der Durchführung der evidenzbasierten
Interventionsphase beibehalten wird.
Einen solchen roten Faden möchte ich mit diesem Manual zur Verfügung stellen.
Nach der großen Resonanz der ersten Auflage des Planungsleitfadens konnte ich die
erfolgreiche Zusammenarbeit mit Melanie Claus, Wiebke Rudloff, Antje Prüfer und
Andrea Horn fortsetzen: Mit ihnen habe ich Lehrvideos zu Probatorik und Behandlung produziert (Ubben, 2014). Außerdem konnte ich das bewährte Modell zum
verhaltenstherapeutischen Arbeitsprozess mit den A-Schritten der Anfangsphase,
B-Schritten der Bearbeitungsphase und C-Schritten der Commitmentphase auf die
Selbsterfahrung übertragen und dazu ein Manual erstellen (Verhaltenstherapeutische
Selbsterfahrung, Ubben, 2013).
Vorwort
11
Neu zur Arbeitsgruppe hinzu gekommen ist Reiner Kroymann. Er hat mit seiner
»Software zur Berichterstellung in der Verhaltenstherapie (S-VT)« eine äußerst
praktikable Begleitung über den Pfad der Verhaltenstherapie-Planung geschaffen
(Kroymann & Ubben, 2015). Dabei orientiert er sich eng an den Arbeitsschritten des
in diesem Buch vorgestellten Planungsleitfadens. Parallel zu einer konsistenten
Therapieplanung ermöglicht dieser »rote Faden« sehr zeitökonomisch die Erstellung
des Berichtes an den Gutachter und entlastet niedergelassene Kollegen außerordentlich
bei der Formulierung der geforderten Texte.
Der Planungsleitfaden verkörpert ausdrücklich meine Idee eines lebendigen und
gleichzeitig gut strukturierten verhaltenstherapeutischen Arbeitsprozesses.
Dresden, Mai 2015
12
Vorwort
Bernd Ubben
Einleitung
An wen richtet sich dieses Buch?
Könnte ich heute, nach über 30 Jahren klinischer Praxiserfahrung, dem jungen
Verhaltenstherapeuten, der ich einmal war, einen kurz gefassten Rat für sein therapeutisches Arbeiten geben, würde sich der etwa so anhören:
»Arbeite von Anfang an strukturiert, fokussiere den Patienten in jeder Therapiesitzung
auf seine Ziele, und achte in jedem Moment des therapeutischen Beziehungsprozesses
auf die Möglichkeiten und Grenzen dieses Menschen.«
Dieser Planungsleitfaden hilft bei der Umsetzung einer solchen strukturierten, ressourcenorientierten und zielgerichteten Vorgehensweise. Er richtet sich an Verhaltenstherapeuten, die in ihrem klinischen Alltag sichere Routinen benötigen, um
" ihre Therapien evidenzbasiert und individualisiert zu konzipieren,
" jede einzelne Therapiesitzung wirksam zu steuern
" und die Berichte an den Gutachter zeitökonomisch und aussagekräftig zu verfassen.
Erfahrene Therapeuten stützen sich bei der Bewältigung dieser Aufgaben auf eingespielte Denk- und Handlungsabläufe. Fehlen solche Routinen, oder sind sie suboptimal aufgebaut, resultieren inkonsistente Behandlungsprozesse. Das Verfassen der
Berichte an den Gutachter wird häufig so aversiv erlebt, dass die Erledigung dieser
Aufgabe lange aufgeschoben oder manchmal gar gegen teures Geld an einen »Berater«
delegiert wird.
Als Ergänzung zu diesem Buch werden folgende Materialien empfohlen:
" Lehrvideos, die anschauliche Modelle für die Durchführung der Probatorik und der
einzelnen Therapiesitzungen vorstellen (Verhaltenstherapie – Fallvideos zu Probatorik und Behandlung, Ubben, 2013)
" Ein Lehrvideo zur Durchführung verhaltenstherapeutischer Supervision (s. »Hinweise zum Arbeitsmaterial« weiter hinten im Buch)
" Eine Planungssoftware zum Verfassen des Berichtes an den Gutachter (Kroymann
& Ubben, 2015)
Von diesem Buch können verschiedene Gruppen profitieren:
" Ausbildungskandidaten der Verhaltenstherapie, die noch damit befasst sind, geeignete Planungs- und Handlungsroutinen einzuüben.
" Erfahrene Verhaltenstherapeuten, also VT-Profis, die ihre Therapieplanung und
-durchführung optimieren möchten oder bei sich ineffiziente Arbeitsabläufe
identifiziert haben, die sie korrigieren möchten. So vermissen sie in ihren Therapiestunden einen roten Faden oder wollen nicht weiterhin ganze Wochenenden für das
Verfassen der Antragsberichte an den Gutachter opfern. Aber auch Kollegen ohne
Einleitung
13
"
solche Problemanliegen sind eingeladen, die Planungsvorschläge dieses Buches als
Anreicherungsmöglichkeiten für ihre eigene klinische Praxis zu prüfen.
Lehrtherapeuten und dabei speziell Supervisoren an Verhaltenstherapie-Ausbildungsinstituten, deren Aufgabe darin besteht, Ausbildungsteilnehmern eben die
Fertigkeiten zu vermitteln, auf die dieses Buch abzielt: Der ABC-Arbeitsalgorithmus zur Anfangs-, Bearbeitungs- und Commitmentphase einer Verhaltenstherapie
bietet ebenfalls Anhaltspunkte für die Gestaltung verhaltenstherapeutischer Supervision und erlaubt Supervisoren mithilfe der ABC-Ratinginstrumente den Supervisanden zielführende Rückmeldungen zu deren Verhalten in Therapiesitzungen zu
geben.
Aufbau des Buches
Die zentralen Planungsaufgaben, die Verhaltenstherapeuten während einer Behandlung zu leisten haben, bestimmen die Gliederung des Buches in drei Abschnitte:
Vorgestellt werden ein Algorithmus für die Steuerung der einzelnen Therapiesitzungen, Handlungsempfehlungen für die Durchführung der verhaltenstherapeutischen Probatorik und ein Leitfaden zum Erstellen des Berichtes an den Gutachter.
" Im ersten Teil »Verhaltenstherapeutischer Prozess« werden in Kapitel 1 Aspekte
moderner Verhaltenstherapie erörtert, und die Aufgabe des Therapeuten wird als
balancierter Einsatz methodischer und interaktioneller Interventionen beschrieben. Außerdem wird Verhaltenstherapie im normalen Versorgungskontext als
»kontrollierte Praxis« charakterisiert, die sich an klinischen Handlungsempfehlungen mit hinreichender Evidenz orientiert. Kapitel 2 stellt ein Modell vor, mit
dessen Hilfe sich der verhaltenstherapeutische Arbeitsprozess auf der konkreten
Handlungsebene steuern lässt. Dieser »ABC-Algorithmus« gliedert den verhaltenstherapeutischen Arbeitsprozess in eine Anfangs-, Bearbeitungs- und Commitmentphase und bildet notwendige Schritte ab, die vom Therapeuten im Rahmen
der Gesamttherapie und vor allem während einer Therapiesitzung in einer
bestimmten Reihenfolge zu realisieren sind. Ein ABC-Ratinginstrument wird
eingeführt, mit dessen Hilfe die Realisierung dieser Komponenten aus Therapeuten- und aus Patientensicht beurteilt werden kann. Die Ergebnisse solcher Ratings
zur Qualität einzelner Therapiesitzungen unterstützen Therapeuten bei ihrer
rekursiven Therapieplanung; außerdem lassen sich hieraus exakte Supervisionsanliegen ableiten.
" Der zweite Teil »Planung und Durchführung der Anfangs-, Bearbeitungs- und
Commitmentphase einer Verhaltenstherapie« beschreibt, wie diese Abschnitte
sinnvoll gegliedert werden und gibt hilfreiche Handlungsanweisungen für deren
konkrete Umsetzung in den Sitzungen. Kapitel 3 untergliedert die probatorische
Anfangsphase der Therapie in zehn Teilschritte. Hierbei wird erläutert, in welcher
Weise der Patient bei der Erarbeitung des roten Fadens für den weiteren Therapieprozess maximal einbezogen werden kann. In Kapitel 4 werden zur Durchführung
der fünf probatorischen Sitzungen entlang des ABC-Algorithmus differenzierte
Handlungsempfehlungen vorgestellt. Kapitel 5 stellt ein Modell für eine nicht-
14
Einleitung
"
gestützte Supervision vor. Auch der Aufbau einer Supervisionssitzung orientiert
sich dort am ABC-Arbeitsalgorithmus. Als Anschauungsmaterial wird ergänzend
zum Buch ein Lehrvideo bereitgestellt (s. a. »Hinweise zum Arbeitsmaterial«).
Der dritte Teil »Bericht an den Gutachter« widmet sich der Aufgabe von Psychotherapeuten, ergänzend zum Antrag des Patienten auf eine Verhaltenstherapie
einen Bericht an den Gutachter zu verfassen. Eine Fragencheckliste zeigt den Pfad
der hierzu erforderlichen Informationsverarbeitung und erleichtert das Verfassen
der Berichte. Mithilfe einer Planungssoftware (Kroymann & Ubben, 2015) lässt sich
dieser Vorgang deutlich ökonomisieren.
In diesem Buch sind personenbezogene Bezeichnungen teilweise im Femininum,
teilweise im Maskulinum dargestellt. Diese sind verallgemeinernd gemeint und
beziehen sich in allen Fällen auf beide Geschlechter.
Materialien
Den einzelnen Kapiteln sind zahlreiche Arbeitsblätter, Übersichten und Beispielkästen
hinzugefügt. Viele dieser Materialien enthalten Instruktionen für das methodische
Vorgehen bei der Probatorik und beim Verfassen des Berichtes an den Gutachter.
Andere erläutern in knapper Weise theoretische Wissensbestände, die explizit in die
therapeutische Arbeit mit den Patienten, etwa in die Psychoedukation, eingebracht
werden können.
Die im Text erläuterten Arbeitsblätter sind im Kleinformat an den entsprechenden
Stellen im Text eingefügt. Da diese lediglich der Visualisierung dienen, ist bei mehrseitigen Arbeitsblättern nur die jeweils erste Seite abgebildet. Alle Arbeitsblätter in
Originalgröße finden Sie als Kopiervorlage im Anhang dieses Buches sowie als
Druckvorlage in den Online-Materialien. Sie gelangen zu diesen, indem Sie bei
http://www.beltz.de auf die Seite des Titels gehen und den Link zu den Materialien
anklicken (s. a. »Hinweise zum Arbeitsmaterial«).
Erfahrene und belesene Praktiker finden im Materialienteil der Kapitel schnelle
Zugriffe zu ihnen bekannten nutzbaren Theoriebefunden. Die im Text angebotenen
Überblicke zu wichtigen Aspekten der modernen Verhaltenstherapie sollen aber auch
Interesse für ein vertiefendes Studium der angegebenen Literatur wecken. Es entspricht
dem Selbstverständnis der Verhaltenstherapie, dass Behandler über fundierte Kenntnisse zu erforschtem Störungs- und Veränderungswissen verfügen und entsprechend
evidenzbasierte Behandlungskonzepte nutzen. Therapeuten erzielen vor diesem Hintergrund gute Behandlungsergebnisse und haben Freude an ihrer Sinn erfüllenden
Arbeit.
Einleitung
15
Teil I
Verhaltenstherapeutischer
Prozess
1
Aspekte moderner Verhaltenstherapie
2
Steuerung des verhaltenstherapeutischen
Arbeitsprozesses
1
Aspekte moderner Verhaltenstherapie
1.1 Allgemeine Merkmale der Verhaltenstherapie
Wie keine andere psychotherapeutische Grundorientierung sorgt die Verhaltenstherapie seit über fünf Jahrzehnten für eine Verknüpfung der Befunde der empirischen
Psychologie mit der konkreten klinischen Alltagspraxis (Margraf, 2009). Aus ihrem
traditionellen »Nahverhältnis zur Forschung« (Reinecker, 2009, S. 84; Schweiger,
2014) ergibt sich, dass Verhaltenstherapie-Praktiker ihr klinisches Vorgehen explizit
an aktuellen Befunden der Psychotherapieforschung orientieren und Therapieforscher
wiederum die Anforderungen der Versorgungsrealität in ihren Fragestellungen berücksichtigen. Der Typus des Psychotherapeuten, »der in seine klinischen Alltagsroutinen wissenschaftliche Methoden und Forschung integriert«, wird als »scientistpractitioner« bezeichnet (Meinlschmidt & Tegethoff, 2009, S. 922). Dabei kam es in
diesem Entwicklungsprozess mehrfach zu Erweiterungen des verhaltenstherapeutischen Paradigmas, die jeweils als – kognitive, verhaltensmedizinische, emotionale –
»Wende« oder »Welle« bezeichnet wurden. Vor allem gelang in den letzten 20 Jahren
eine enorme Weiterentwicklung der konkreten Anwendungsmöglichkeiten im klinischen Alltag.
Während aus Forschersicht der »scientist-practitioner« den idealen Therapeuten
darstellt, sieht sich der klinische Praktiker als »heuristischer Nutzer«, der mit großem
Interesse die evidenzbasierten Handlungsempfehlungen seiner Forscherkollegen rezipiert und, sollten sich diese Empfehlungen in der Praxis bewähren, in sein therapeutisches Denken und Handeln integriert. Über diesen Konsens der Wissenschaftsnähe
hinaus lässt sich die moderne Verhaltenstherapie mit den folgenden drei Merkmalspaaren charakterisieren:
Problemlöseorientiert und aktivierend. Patienten werden von Beginn der therapeutischen Zusammenarbeit an aktiviert, das Problemlösemodell zu nutzen. Zum verhaltenstherapeutischen Arbeitsprinzip gehören sowohl die Beteiligung der Patienten
an Problemanalyse und Zielableitung, als auch ihre maximale Aktivierung zur eigenverantwortlichen Mitarbeit beim Veränderungsprozess. Das verhaltenstherapeutische
Arbeitsbündnis setzt dabei komplementär an den Beziehungsbedürfnissen und Ressourcen des Patienten an. In welcher Weise dies in der therapeutischen Zusammenarbeit erfolgen soll, ist explizit zu planen (s. Abschn. 1.2).
Evidenzbasiert und individualisiert. Die Befunde der Psychotherapieforschung weisen
auf die hohe Wirksamkeit störungsspezifischer und manualisierter Behandlungskonzepte und Therapieleitlinien hin. Gleichzeitig verlangt die klinische Praxis von den
Therapeuten, im Sinne einer rekursiven Therapieplanung ihr Vorgehen an die tatsächlichen Bedingungen des therapeutischen Prozesses anzupassen und die oft hohe
Komorbidität von Patienten zu berücksichtigen. Entsprechend sollten Behandlungs-
18
1 Aspekte moderner Verhaltenstherapie
konzepte individualisiert-verhaltensanalytische und diagnoseorientiert-evidenzbasierte Befunde organisch miteinander verbinden. Durch die sorgfältige Erarbeitung
verhaltensanalytischer Störungsmodelle können Behandlungspläne optimal individualisiert werden. Indem klassifikatorische Störungsdiagnosen erhoben werden, kann
gezielt auf evidenzbasierte Behandlungskonzepte zurückgegriffen werden. Beides,
Verhaltensanalyse und klassifikatorische Diagnosestellung, sind also bei der Therapieplanung zu berücksichtigen und dialektisch aufeinander abzustimmen (s. Abschn. 1.3
und Kap. 3).
Gegenwartsbezogen und kompetenzaufbauend. Das verhaltensanalytische Störungsmodell bildet die Phänomenologie und Funktionalität der gegenwärtigen Störung ab.
Mithilfe einer vom Therapeuten angeleiteten Problemanalyse wird dem Patienten
zunächst ermöglicht, zum Experten der eigenen Störung zu werden. Als solcher verfügt
er über ein differenziertes Störungsmodell und kann gemeinsam mit dem Therapeuten
plausible Zielalternativen zu seiner aktuellen Störung ableiten. Der Therapeut stellt
dem Patienten daraufhin zielführende Techniken und Methoden zur Verfügung und
er versetzt ihn in die Lage, diese in seinem Lebensalltag wirksam einzusetzen. Entlang
eines von ihm erstellten evidenzbasierten Behandlungsplans ermöglicht er dem
Patienten einen Lernprozess, bei dem dieser zunehmend Selbstmanagementkompetenz erwirbt, also selbständiger Problemlöser wird. Um auf Patientenseite hierfür
ein hinreichendes Commitment zu erreichen, stimmt er dabei während des gesamten
Therapieprozesses seine Methodengestaltung mit dessen Beziehungsbedürfnissen ab.
Dies geschieht auf der Grundlage einer ständig aktualisierten Interaktionsanalyse
(s. Abschn. 1.2).
1.1.1 Phasen des verhaltenstherapeutischen Prozesses
Der verhaltenstherapeutische Behandlungsprozess lässt sich in eine Anfangs-, Bearbeitungs- und Commitmentphase unterteilen:
Anfangsphase. Diese erste Phase umfasst in der Regel die fünf probatorischen
Sitzungen, in deren Verlauf vor allem zwei Aufgaben verfolgt werden:
Zum einen wird auf der Grundlage einer Problemanalyse (Psychischer und Somatischer Befund, Verhaltensanalyse, klassifikatorische Diagnose) eine individualisierte
und evidenzbasierte Therapiekonzeption (Ziel- und Behandlungsplanung) erarbeitet,
die als Handlungsleitfaden für die anschließende Interventionsphase dient. Zum
anderen ist der Schwerpunkt dieser einleitenden Phase der Aufbau eines konstruktiven
therapeutischen Arbeitsbündnisses. Der Patient sollte gleich in den ersten Sitzungen
der Psychotherapie eine positive Bindung zum Therapeuten aufbauen können. Erlebt
er sich vom Therapeuten gut verstanden und behandelt, fällt es ihm deutlich leichter,
einen Zugang zu den eigenen Ressourcen herzustellen. Durch seine komplementäre
Beziehungsgestaltung in dieser Phase erwirbt der Therapeut einen »Beziehungskredit«
beim Patienten (s. auch Abschn. 1.2). Dieser ist nun hinreichend motiviert, um sich
mit den Belastungen und Anforderungen der folgenden therapeutischen Interventionen und Beziehungsrückmeldungen auseinanderzusetzen.
1.1 Allgemeine Merkmale der Verhaltenstherapie
19
Bearbeitungsphase. Im Rahmen des dann folgenden zentralen Behandlungsabschnittes, der Bearbeitungsphase, werden die therapeutischen Interventionen im engeren
Sinne realisiert, d. h. die Symptomatik wird abgebaut, die Erreichung der verabredeten
Ziele aufgebaut.
Commitmentphase. Die abschließende Commitmentphase schafft beim Patienten eine
Bereitwilligkeit und Fähigkeit dafür, die erworbenen therapeutischen Ressourcen in
ein stabiles und belastbares Selbstmanagement einzufügen. Der Patient hat sich
inzwischen durch die erfolgte »Destabilisierung seiner Störungsattraktoren« (vgl.
Grawe, 1999) gewissermaßen aus den Teufelskreisen seiner Störung befreit. Deshalb
verfügt er nun über deutlich verbesserte Voraussetzungen, um sich eigenverantwortlich (und ausdrücklich ohne weitere therapeutische Hilfe) mit seinen teilweise noch
offenen Entwicklungsaufgaben auseinanderzusetzen.
Um während des Behandlungsprozesses eine rekursive Therapieplanung sicherzustellen, beobachtet und beurteilt der Therapeut kontinuierlich den Therapieprozess,
erhebt über Zielerreichungsskalen und testdiagnostische Instrumente fortlaufend
Evaluationsdaten und passt auf dieser Grundlage seine Interventionen den Gegebenheiten an. Eine angemessene Therapieplanung verlangt vom Behandler also zunächst,
sich in der therapeutischen Zusammenarbeit mit dem Patienten permanent an seinem
klinischen Eindruck zu orientieren. Außerdem sollten im Sinne einer kontrollierten
Praxis ergänzend testdiagnostische Objektivierungsmethoden hinzugezogen werden.
Diese werden entsprechend nicht nur als Prä-Post-Messungen am Beginn und Ende
der Therapie eingesetzt, sondern nach Bedarf immer wieder in den laufenden
Therapieprozess eingeflochten (vgl. Abschn. 1.3).
Therapieabschluss. Am Ende der Therapie erfolgt auf der Grundlage dieser Evaluationsdaten eine diagnostische und prognostische Schlussbewertung:
" Abbau der Symptomatik: Wird objektiviert durch testdiagnostische Messungen
und klinische Beobachtungen.
" Erreichung der Therapieziele: Wird erfasst durch Einschätzungen auf den Zielerreichungsskalen.
" Qualität der Selbstmanagementkompetenz des Patienten: Wird qualitativ eingeschätzt durch den Therapeuten und ergänzt durch dessen prognostische Einschätzung der weiteren Entwicklung des Patienten (z. B. Stabilität der erreichten Ergebnisse, Benennung prognostisch einschränkender Faktoren und Risikoeinschätzung
der Restsymptomatik).
Die genannten Merkmale und Phasen der Verhaltenstherapie sollten den Patienten
begleitend zum Behandlungsablauf transparent vermittelt werden (s. auch Abschn. 2.2).
Sie sollten jederzeit dazu orientiert sein, an welcher Stelle des Therapieprozesses sie
sich gerade befinden.
20
1 Aspekte moderner Verhaltenstherapie
Phasen des Verhaltenstherapie-Prozesses im Überblick
Anfangsphase (probatorische Sitzungen)
Patient und Therapeut orientieren sich zur
" therapeutischen Beziehung (Komplementäre Beziehungsgestaltung),
" vorliegenden Störung (Diagnose/Problemanalyse) und
" Behandlungsplanung (Ziele/Behandlungsplan).
Bearbeitungsphase
Der Therapeut interveniert zielführend, d. h.:
" er stellt therapeutische Hilfsmittel zur Verfügung (Methoden- und Beziehungsgestaltung),
" er evaluiert prozessbegleitend die Interventionseffekte (Ergebnis- und Prozessevaluation)
" und er aktiviert so den Patienten zum Problemlösen (Nutzung persönlicher und
sozialer Ressourcen).
Commitmentphase
Im expliziten Transfer werden die therapeutisch erworbenen Erfahrungen/Kompetenzen
" ins Patienten-Selbstmanagement übergeleitet,
" über eine Rückfallprophylaxe stabilisiert und
" zur Neuorientierung der persönlichen Schemata genutzt.
Der folgende Kasten illustriert in wörtlicher Rede, wie die gerade genannten Phasen
der Verhaltenstherapie dem Patienten verständlich erklärt werden können.
Psychoedukation durch den Therapeuten
Verhaltenstherapie setzt zunächst direkt an den Problemen an, unter denen Sie
aktuell leiden. Zu Beginn helfe ich Ihnen dabei, diese Probleme sorgfältig zu
beschreiben und zu erklären. Bald kann ich dann auch die für Ihre Störung
zutreffende Diagnose feststellen. Das hilft mir dabei, geeignete therapeutische
Hilfsmittel zur Bewältigung Ihrer Probleme auszuwählen.
In den ersten fünf Sitzungen werden wir zu diesem Zwecke gemeinsam ein
Modell zur Beschreibung und Erklärung Ihrer Störung entwickeln. Außerdem
unterstütze ich Sie in dieser Anfangsphase dabei, Ihre Therapieziele noch weiter zu
konkretisieren. Wichtig ist auch, dass wir im Verlauf dieser so genannten »Probatorik« gemeinsam feststellen, ob wir persönlich gut zusammen arbeiten können.
Wenn uns das gelingt, und wenn eine Verhaltenstherapie für Sie Erfolg versprechend ist, dann kann ich Sie dabei unterstützen, bei Ihrer Krankenkasse die weitere
Kostenübernahme für die Behandlung zu beantragen. Nach deren Bewilligung
würden wir die »Bearbeitungsphase« der Verhaltenstherapie beginnen.
1.1 Allgemeine Merkmale der Verhaltenstherapie
21
In dieser Kernphase der Behandlung würde ich Sie darin anleiten und unterstützen,
Ihre vorher formulierten Ziele aktiv zu erreichen. Dabei stütze ich mich auf
Behandlungsempfehlungen aus der klinischen Forschung, die sich speziell für
Ihre Störung anbieten. Diese erforschte und bewährte Vorgehensweise würden
wir dann genau auf die individuellen Bedingungen Ihrer Störung abstimmen. Wie
schon für die probatorische Phase gilt dabei weiterhin als Grundregel: Damit Sie
von der Behandlung wirklich profitieren, ist Ihre aktive Mitarbeit besonders
wichtig! Das bedeutet, dass Sie während der Therapie in Ihrem Alltag bestimmte
Aspekte Ihres Denkens und Handelns systematisch beobachten, neue Denk- und
Verhaltensweisen erproben und von mir beim Erlernen hilfreicher Fertigkeiten
unterstützt werden (ggf. Einfügen anschaulicher Beispiele, die zum jeweiligen
Patienten und seiner Störung passen). Meine Aufgabe besteht darin, Ihnen auf
Ihrem aktiven Problemlöseweg zu helfen. Sie erhalten dabei von mir Hilfestellungen, die einem für Sie jederzeit nachvollziehbaren roten Faden, dem Therapieplan, folgen. Z. B. bereiten wir regelmäßig in unseren Sitzungen für Sie plausible
und praktisch erreichbare Hausaufgaben vor. Dazu verabreden wir für die Zeit
zwischen den Sitzungen, durch welche Beobachtungen, Experimente, Übungen Sie
sich in ihrem Lernprozess voranbringen können.
In der Regel treffen wir uns in dieser Zeit regelmäßig zu einem wöchentlichen
Termin. Wir erörtern dabei sorgfältig Ihre Erfahrungen, die Sie in der Zwischenzeit
mit Ihren Hausaufgaben gemacht haben und bereiten Ihre nächsten Schritte vor.
Auf diesem Wege entwickelt sich eine aufwärts führende positive Lernspirale, die
Sie immer besser in die Lage versetzt, Ihre Probleme zu verstehen und zu
bewältigen. Es kann unter bestimmten Umständen aber auch sinnvoll sein, dass
wir uns zu einzelnen Terminen außerhalb des Therapiezimmers treffen. Sie lernen
dann dort, wo Sie direkt mit Ihren Problemen konfrontiert sind, sich ggf. mit
meiner Hilfe direkt damit auseinanderzusetzen. Auf diese Weise gelingt es Ihnen,
zunächst mit mehr, später mit immer weniger Anleitung und Unterstützung
meinerseits, Ihre Probleme eigenständig zu lösen.
Der letzte Behandlungsabschnitt würde Sie dann ausdrücklich in ein solches
»Selbstmanagement« begleiten. Ich werde dann als Problemlösehelfer entbehrlich
geworden sein, und Sie haben für spätere Aufgaben- und Problemstellungen
hinreichend – wie man es in der Verhaltenstherapie nennt: »SelbstmanagementKompetenz« – erworben.
1.1.2 Allgemeine Psychotherapie-Wirkfaktoren
in der Verhaltenstherapie
Die Gliederung in Anfangs-, Bearbeitungs- und Commitmentphase impliziert eine
bestimmte Reihenfolge von therapeutischen Arbeitsschritten und Schwerpunkten.
Hierbei werden die von Klaus Grawe (1994, 2001) in seiner großen Metastudie zur
22
1 Aspekte moderner Verhaltenstherapie
Wirksamkeit psychotherapeutischer Verfahren benannten Komponenten in bestimmter Weise realisiert. Zunächst werden diese kurz dargestellt und anhand eines Beispiels
erläutert, bevor ihre Umsetzung in der Verhaltenstherapie beschrieben wird.
Wirkkomponenten von Psychotherapie (sensu Grawe)
Ressourcenaktivierung. Der Therapeut spricht den Patienten so an, dass bei diesem
bestimmte Fähigkeiten, Vorlieben, Überzeugungen (= Ressourcen) aktiviert werden.
" Er ermöglicht Bedürfnisbefriedigungen (z. B. positive Selbstwirksamkeits- und
Selbstwerterfahrungen),
" bewirkt eine Inkonsistenzreduktion (Verringern der Nichtübereinstimmung von
realen Erfahrungen und intentionalen Schemata).
" und erzeugt auf diesem Wege beim Patienten eine prozessuale Aktivierung von
Annäherungsmotiven.
Beispiel
Einem Ingenieur wird das Störungsmodell seiner Angststörung mit strukturierten
Abbildungen zu hirnphysiologischen Dysregulationen zwischen Amygdala und
präfrontalem Kortex nahegebracht.
Problemaktualisierung. Die zu modifizierenden Probleme des Patienten werden diesem
durch therapeutische Maßnahmen des Therapeuten unmittelbar erfahrbar gemacht
und können auf diesem Wege direkt bearbeitet werden.
Beispiel
In der Behandlung einer Angststörung stehen Expositionstechniken im Vordergrund. In deren Rahmen wird der Patient therapeutisch angeleitet, bisher vermiedene Situationen, in denen die Symptomatik auftritt, in vivo aufzusuchen.
Alternativ lässt sich eine prozessuale Aktivierung auch über Rollenspiele oder über
Imaginationstechniken oder lebendige Erzähltechniken in sensu erreichen.
Destabilisierung von Störungsattraktoren. Indem die therapeutischen Interventionen
direkt auf spezifische Kontrollparameter der psychischen Störung abzielen, kommt
es zum Abbau der Symptomatik. Der Therapeut vermittelt dem Patienten gezielt
Neuerfahrungen, indem er aktive Hilfen zur Problemlösung einsetzt.
Beispiel
Die Lageorientierung eines depressiven Patienten wird durch Aktivitätsaufbau
modifiziert, die Vermeidungsmuster eines agoraphobischen Patienten durch Exposition abgebaut, negative Kontrollattributionen eines sozial phobischen Patien-
1.1 Allgemeine Merkmale der Verhaltenstherapie
23
ten werden durch Verhaltensexperimente und soziales Kompetenztraining verändert.
Veränderung motivationaler Schemata. Die therapeutisch begleitete kognitiv-emotionale Verarbeitung dieser Neuerfahrungen verändert sukzessive die motivationalen
Schemata des Patienten. Auf diesem Wege entwickelt sich aus den therapeutisch
vermittelten neuen Erfahrungen »bottom up« eine Anpassung seiner
" Grundannahmen bzw. deskriptive Schemata: Selbstbild, Bild von den anderen, dem
Leben, der Welt,
" Oberpläne bzw. motivationale Schemata: Übergeordnete Ziele und Handlungspläne und
" Bewältigungsstile bzw. Handlungsschemata.
Beispiel
Ein zu Therapiebeginn ängstlich-vermeidender Patient erreicht durch das Training
sozialer Kompetenzen zunehmend selbstbehauptende Erfahrungen und einen
offensiveren Bewältigungsstil. Er erwirbt durch die Stabilisierung dieser Verhaltensmuster offensive und wehrhafte Oberpläne und verändert sein vorheriges
Selbstbild des Verlierers allmählich in Richtung der positiven Grundannahme,
ein Mensch zu sein, der seinen Platz in dieser Welt wirksam gestaltet und
behauptet.
Therapeutische Beziehung. Der Therapeut ermöglicht dem Patienten im Rahmen der
therapeutischen Beziehung positive Erfahrungen. Die therapeutische Aufgabe besteht
zunächst darin, auf der Grundlage einer feinfühligen Wahrnehmung die beim
Patienten im Rahmen der therapeutischen Begegnung aktivierten Motive und speziell
die Beziehungsbedürfnisse zu erfassen. Hat der Therapeut sich so orientiert, dann kann
er die Beziehung zum Patienten aktiv gestalten: Komplementär zu dessen Motiven
ermöglicht er diesem in der Therapiesituation positive Emotionen, und auf der Basis
solcher Erfahrungen bildet der Patient dann eine belastbare Motivation zur Mitarbeit
heraus (vgl. »Konzept der komplementären Beziehungsgestaltung« in Abschn. 1.2.2).
In der Regel werden auf diesem Wege beim Patienten auch korrigierende Beziehungserfahrungen induziert (vgl. das Reparenting-Konzept von Young, Abschn. 1.2.2).
Beispiel
Einer dependent akzentuierten Patientin wird zu Therapiebeginn vom Therapeuten deutlich signalisiert, dass sie bei therapeutischen Übungen mit seiner Unterstützung rechnen kann; in einer fortgeschritteneren Therapiephase werden ihr vom
Therapeuten entängstigende Realitätsüberprüfungen ermöglicht, und er führt sie
anfordernd an eigenständige Bewältigungserfahrungen heran.
24
1 Aspekte moderner Verhaltenstherapie
Die Realisierung der Wirkfaktoren in der Therapie
Die dargestellten allgemeinen Psychotherapie-Wirkfaktoren werden in den drei
Behandlungsphasen in unterschiedlicher Gewichtung realisiert.
Anfangsphase. In dieser ersten Phase baut der Therapeut auf der Grundlage einer
komplementären bzw. motivorientierten Beziehungsgestaltung ein konstruktives therapeutisches Arbeitsbündnis auf, er realisiert den Wirkfaktor »therapeutische Beziehung«. Er ermöglicht dem Patienten durch seine empathische Ansprache, dass dieser
sich von ihm als leidende Person gut verstanden und behandelt fühlt. Diese positive
Beziehungserfahrung führt beim Patienten zu einem ersten Entlastungserleben. Im
Rahmen dieser positiven Gefühlsaktivierung kommt es bei ihm außerdem zu einer
»Ressourcenaktivierung«, also einem Zugang zu den eigenen Möglichkeiten und
Fähigkeiten. Außerdem erwirbt der Therapeut auf diese Weise einen »Beziehungskredit«, das Arbeitsbündnis wird dadurch belastbarer, und der Patient entwickelt eine
Bereitwilligkeit, sich mit emotional belastenden Inhalten auseinanderzusetzen.
Bearbeitungsphase. Diese Phase dient der direkten Auseinandersetzung des Patienten
mit seinen Problemen. Eine solche Bearbeitung auf der Symptomebene setzt voraus,
dass der Therapeut den Patienten mit dessen Problembedingungen konfrontiert. Auf
diese Weise kommt es beim Patienten zu einer »Problemaktualisierung«. Durch die
Nutzung der parallel vom Therapeuten angebotenen »aktiven Hilfen zur Problemlösung«, nämlich der jeweils gebotenen Interventionen, bewirkt der Patient eine
Destabilisierung von Störungsattraktoren.
Commitmentphase. Diese abschließende Phase hat die Aufgabe, den Patienten in die
Lage zu versetzen, die eigenen, im bisherigen Therapieverlauf erworbenen Klärungsund Bewältigungserfahrungen in sein Selbstkonzept zu integrieren und außerdem eine
stabile Selbstmanagementkompetenz zu erwerben – entsprechend kommt es beim
Patienten zur »Veränderung motivationaler Schemata«.
1.2 Abstimmung von Methodeneinsatz und Beziehungsgestaltung
im Therapieprozess
Aufgabe des Therapeuten ist es, den verhaltenstherapeutischen Arbeitsprozess zu
steuern. Die durch den Behandlungsplan gebotenen Interventionen sind dem Patienten zunächst über eine kognitive Vorbereitung in verständlicher und plausibler Weise
nahezubringen. Weiterhin ist es erforderlich, den anfangs meist ambivalenten Patienten zu einer bereitwilligen Mitarbeit zu motivieren. Liegt schließlich bei diesem eine
belastbare Annäherungsmotivation vor, gilt es, während der emotional belastenden
Durchführung der Interventionen hinreichend Unterstützung und Verstärkung zu
bieten. Ebenso ist es wichtig, dass Therapeuten im weiteren Therapieverlauf, während
ihre Patienten ein zunehmend stabiles Selbstmanagement entwickeln, diese versorgenden Maßnahmen sukzessive zurücknehmen. Grundsätzlich gilt: Erst wenn Therapeuten explizit ein wirksames Konzept der Prozesssteuerung verfolgen, wird ein
geregelter, zielführender und ökonomischer Therapieablauf ermöglicht. Verfügen
1.2 Abstimmung von Methodeneinsatz und Beziehungsgestaltung im Therapieprozess
25
Therapeuten über zu wenig Steuerungskompetenz, greifen Patienten auf ihre problematischen störungsimmanenten Vermeide- und interpersonellen Manipulationsmuster zurück.
Beziehungsaufbau. Der Aufbau einer tragfähigen therapeutischen Beziehung ist bereits
in der Eingangsphase der Behandlung ein zentrales Ziel. Der Therapeut konzipiert
deshalb zu einem möglichst frühen Zeitpunkt des Therapieprozesses, in welcher
interaktionellen Weise die gebotenen spezifischen Behandlungsmethoden eingesetzt
werden sollen. Gelingt dem Therapeuten gegenüber dem Patienten eine solche funktionale Beziehungsgestaltung, dann besteht bei diesem eine höhere Bereitwilligkeit, die
vom Therapeuten eingeführten Methoden-Module zu bearbeiten. Vom Patienten ist
im Rahmen einer so ermöglichten Bindung eher Kooperation als Widerstand zu
erwarten.
Weiterführende Literatur zur therapeutischen Beziehung
Eine für Praktiker hilfreiche Übersicht zu relevanten Aspekten spezifisch verhaltenstherapeutischer Beziehungs- und Motivationsarbeit findet sich im »Praxisbuch
Verhaltenstherapie« von Zarbock (2008). Eine weiter gefasste Darstellung zu
allgemeinen und speziellen Aspekten der therapeutischen Beziehungsgestaltung
enthält das zweibändige »Handbuch der therapeutischen Beziehung« von Hermer
und Röhrle (2008).
Eine wichtige Heuristik für die Beurteilung und Planung des therapeutischen
Beziehungsprozesses bildet der interpersonelle Zirkel von Kiesler (1983, 1986). Im
CBASP Praxisbuch von in Brakemeier & Normann (2012, S. 61) wird die Anwendung dieses Modells in der verhaltenstherapeutischen Praxis erörtert.
Die moderne Verhaltenstherapie in ihrer »humanistischen Form« bezieht sich gemäß
Schmelzer und Rischer (2008, S. 380) ausdrücklich auf das Kanfersche Selbstmanagement-Prinzip. Hiernach dienen alle therapeutischen Maßnahmen dazu, »Menschen
möglichst effektiv und systematisch wieder in die Lage zu versetzen, ihr Leben autonom, d. h. ohne kontinuierliche therapeutische Hilfe, bewältigen zu können«. Erste
Voraussetzung dafür sei von Beginn des therapeutischen Prozesses an eine »Beziehungsgestaltung und Rollenstrukturierung«, die »Autonomie und Selbstregulation als
oberstes Ziel« verfolgt und zu diesem Zwecke eine gute Kooperation zwischen
Therapeut und Patient etabliert.
Eine explizite Planung des therapeutischen Beziehungsprozesses ist daher besonders
wichtig (in besonderem Maße auch für die Behandlung von Patienten mit einer
Persönlichkeitsstörung – dort bildet die Beziehungsarbeit des Therapeuten einen
zentralen Fokus). Die Planung des Beziehungsprozesses stellt passend zum Stand des
Therapieprozesses und abgestimmt auf die aktivierten Beziehungsbedürfnisse des
Patienten eine Balance zwischen zwei therapeutischen Interaktionsstilen her: eine
komplementär-versorgende und eine konfrontativ-anfordernde Ansprache. Auf diese
Weise bildet die therapeutische Beziehung für den Patienten ein interaktives Lern-
26
1 Aspekte moderner Verhaltenstherapie
umfeld. Mithilfe der systematisch vom Therapeuten vermittelten interaktionellen
Gegenerfahrungen beginnt der Patient, sukzessiv seine »komplexe Störung der zwischenmenschlichen Interaktion« zu modifizieren (Fiedler, 1995, S. 28).
Konzeptualisierung der Beziehungsgestaltung. Patienten haben in ihrer Lebensgeschichte häufig in massivem Ausmaß negative Beziehungserfahrungen erlitten und
daraufhin maladaptive Interaktionsstile erworben. Alternativ zu ihren automatischen
Beziehungserwartungen sollten sie deshalb in der Therapiesituation durch den Therapeuten positive Gegenerfahrungen vermittelt bekommen. Über das Therapeutenmodell können sie auf diese Weise an ein adaptiveres Interaktionsverhalten herangeführt werden. Explizit geplante Beziehungsinterventionen zielen darauf ab, bei
Patienten generell eine Bereitwilligkeit dafür zu schaffen, sich im therapeutischen
Kontext den belastenden Auseinandersetzungen mit der eigenen Störung zu stellen.
Darüber hinaus ist noch ein weiterer Grund dafür zu nennen, die interpersonellen
Prozesse in der Therapie zu konzeptualisieren, nämlich das Erfordernis einer störungsspezifischen Beziehungsgestaltung. Im »Handbuch der therapeutischen Beziehung«
(Hermer & Röhrle, 2008) wird von verschiedenen Autoren ein Überblick zu Besonderheiten der Beziehungsgestaltung bei Abhängigkeitserkrankungen, Schizophrenie,
Depressionen, Angststörungen, Zwängen, posttraumatischen Belastungsstörungen,
somatoformen Störungen und Essstörungen geboten.
Beispielsweise verlangt die Ansprache eines sozialphobischen Patienten eine Berücksichtigung seiner hohen Kritikangst und Abwertungserwartungen, und von
therapeutischer Seite werden zunächst selbstwertschonende Rückmeldungen gegeben.
Ebenso erfordert der therapeutische Umgang mit einer depressiven Patientin, die sich
störungstypisch im Kontakt passiv und hoffnungslos zeigt, eine spezifische Konzeptualisierung der Beziehungsgestaltung, hier validierende Kommentierungen der belasteten Gefühlslage und ermutigende kleinschrittige Anleitungen zur Verhaltensaktivierung.
Nach einer Übersicht grundsätzlicher verhaltenstherapeutischer Beziehungsmerkmale in Abschnitt 1.2.1 werden in Abschnitt 1.2.2 vier theoretische Konzepte zur
Gestaltung der therapeutischen Beziehung skizziert, die wichtige Orientierungshilfen
bei der Konzeptualisierung des verhaltenstherapeutischen Beziehungsprozesses bieten:
" das Konzept der komplementären Beziehungsgestaltung von Klaus Grawe (1992),
" das Modell der doppelten Handlungsregulation von Rainer Sachse (2004, 2006),
" das Kiesler-Kreismodell zum Verlauf von interagierender Kommunikation (McCullough, 1996; Schramm, 2007; Brakemeier & Normann, 2012),
" die Schematherapie nach Jeffrey Young (2005).
1.2.1 Verhaltenstherapeutische Beziehungsmerkmale
Die Realisierung der folgenden Beziehungsmerkmale bahnt konstruktive Klärungsund Veränderungsprozesse im Sinne der genannten Wirkfaktoren nach Grawe
(s. Abschn. 1.1.2).
1.2 Abstimmung von Methodeneinsatz und Beziehungsgestaltung im Therapieprozess
27
Aktive Empathie. Dieses Merkmal ist als grundlegende verhaltenstherapeutische Haltung gegenüber dem Patienten zu verstehen. Der Therapeut vermittelt diesem in
aktiver Weise Anteilnahme, Wertschätzung, Verständnis. Er schreibt ihm im Sinne
eines »wohlwollenden Hypothetisierens« persönliche Fähigkeiten und Möglichkeiten
zu – also Ressourcen, deren Nutzung für einen erfolgreichen Therapieprozess erforderlich ist. Die Ansprache des Patienten mit einem solchen therapeutischen Optimismus ist rational begründet durch das evidenzbasierte Wissen der Psychotherapieforschung (s. Grawes Wirkfaktor »Ressourcenaktivierung«). Gerade in der ersten
Therapiephase empfiehlt sich eine ressourcenorientierte Vorgehensweise, um dem
Patienten über eine Selbstwert stärkende und Orientierung bietende Ansprache einen
Zugang zu Annäherungsmotiven zu bahnen. Außerdem profitiert selbstverständlich
die therapeutische Arbeitsbeziehung davon, wenn der Patient seinen Therapeuten
empathisch, optimistisch und sympathisch erlebt. Eine weitere Form der aktiven
Empathie ist das Validieren von Gefühlen und Motiven des Patienten als akzeptanzbasierte Strategie. Hierbei »vermittelt der Therapeut der Patientin, dass ihre Reaktionen Sinn ergeben und in ihrer aktuellen Situation verstehbar sind« (Linehan, 1996,
S. 164). Beim Validieren handelt es sich keinesfalls um eine bloße Therapietechnik,
sondern vor allem um eine offene und annehmende therapeutische Grundhaltung
(vgl. Glasenapp, 2013, S. 95).
Konfrontierendes/informierendes Rückmelden. Der Patient wird hierbei mit Erlebnisaspekten konfrontiert, die er vorher habituell vermieden hat (Realisieren von Problemaktualisierung z. B. durch Einsatz von Reiz- bzw. Reaktionsexposition, aber auch
über konfrontierende Beziehungsrückmeldungen). Andererseits hat es aber auch eine
entlastende Wirkung: Der Patient erhält Informationen, die ihm eine verbesserte
Orientierung zu seiner Störung bieten (z. B. mithilfe von Psychoedukation).
Instruierendes Anleiten. Der Patient erhält aktive Hilfen zur Problemlösung (z. B.
kognitive Vorbereitung einer Exposition, Rollenspielanleitung zur Einübung sozial
kompetenten Verhaltens, Anleitung zu einem systematischen Problemlöseablauf). Er
wird vom Therapeuten zur Mitarbeit angehalten und erhält Übungsaufgaben zum
Transfer der in den therapeutischen Sitzungen vermittelten Inhalte in den Alltag (z. B.
begleitete Exposition, Hausaufgaben). Durch dieses gezielte Initiieren von Veränderungsprozessen kommt es im Sinne Grawes zur Destabilisierung von Störungsattraktoren.
Differentielles Verstärken. Das Merkmal bezeichnet die Aufgabe des Therapeuten, ein
lernwirksames Konsequenzenmanagement durchzuführen. Wenn Patienten ihr Zielverhalten realisieren, vermittelt der Therapeut kontingent dazu positive Konsequenzen
(durch Lob, sachliche Erfolgsrückmeldungen, persönliche Zuwendung). Außerdem
induziert er kontingent zum Problemverhalten des Patienten (selbstwertschonende)
kritische und konfrontierende Konsequenzen. Er trägt so zu einer konstruktiven
Verhaltensformung beim Patienten bei. Die therapeutische Beziehung ist auf diese
Weise ein Lernfeld, in dem der Patient zum einen für sein neues konstruktives
Verhalten verstärkt wird, in dem aber auch ein Differenzierungslernen ermöglicht
wird. Der Einsatz solcher operanten Shaping-Prozesse wird im Therapieverlauf
28
1 Aspekte moderner Verhaltenstherapie
Kognitiv-strukturierendes Bearbeiten
Validieren/Verstärken
Konfrontieren/Instruieren
Emotional-involviertes Auseinandersetzen
Abbildung 1.1 Das Spektrum therapeutischen Interaktionsverhaltens
zunehmend an den Patienten übertragen. Im Rahmen seines Selbstmanagementerwerbs erlernt der Patient Selbstverstärkungskompetenzen.
Verhaltenstherapeuten setzen somit ein charakteristisches Muster versorgender und
anfordernder Beziehungsmerkmale ein. Die in Abbildung 1.1 aufgeführten Merkmale
beziehen sich auf versorgende und anfordernde Aspekte des therapeutischen Interaktionsverhaltens:
Versorgende Beziehungselemente werden während des Therapieprozesses in folgender Weise eingesetzt.
" »Kognitiv-strukturierendes Bearbeiten« dient dazu, dem Orientierung suchenden
Patienten gedankliche Hilfestellungen zu geben. Im Sinne eines geleiteten Entdeckens ermöglicht der Therapeut diesem, die eigenen Erfahrungen in eine geordnete und konsistente Übersicht zu bringen. Diese Konsistenzerfahrung wird in der
Regel vom Patienten entlastend erlebt.
" »Konfrontieren« lenkt die Patientenaufmerksamkeit auf relevante Störungsaspekte,
deren Wahrnehmung dieser bisher vermieden hatte. Erst so werden diese Aspekte
der hilfreichen therapeutischen Bearbeitung zugänglich gemacht.
" »Instruieren« entspricht einer aktiven Hilfe zum Problemlösen. Der Patient erhält
für die Durchführung gebotener Interventionen vom Therapeuten verständliche
Anleitungen.
" »Informieren« bietet dem Patienten ebenfalls Orientierung und Verständnis und
verbessert dessen Konsistenzerleben.
" »Emotional involviertes Auseinandersetzen« bedeutet im Sinne aktiver Empathie,
dass der Patient vom Therapeuten ebenfalls Rückmeldungen auf der Beziehungsebene erhält. Der Therapeut setzt den Patienten darüber in Kenntnis, welche
spontanen Gefühle, Gedanken und Handlungsimpulse diese bei ihm auslöst. Auf
diese Weise informiert er den Patienten dazu, welche Konsequenzen dessen Interaktionsverhalten bei ihm auslöst (vgl. Kiesler-Kreis, Abb. 1.2).
" »Validieren« entlastet den Patienten dadurch, dass dessen Motive und Gefühle
durch den empathischen Therapeuten bestätigt werden. Er fühlt sich gut verstanden, und ihm wird hierdurch erleichtert, sich als ressourcenvolle Person zu erleben.
Gerade mithilfe des Validierens entsteht eine positive emotionale Bindung des
Patienten an den Therapeuten.
1.2 Abstimmung von Methodeneinsatz und Beziehungsgestaltung im Therapieprozess
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