27 Kognitive Verhaltenstherapie

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Kognitive Verhaltenstherapie
Christine Kühner
Inhalt
27.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289
27.2 Störungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
27.3 Das Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291
Typischer Ablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291
Therapeutische Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292
Interventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
Vielfalt der Anwendungsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297
Themenspezifische Ansätze für Frauen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298
27.4 Wirksamkeit und Nachhaltigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298
27.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
27.1
Einleitung
Die Verhaltenstherapie beinhaltet eine Vielzahl von Verfahren, die auf Modellen der Psychologie als wissenschaftliche Disziplin begründet sind. Grundlagenpsychologische Erkenntnisse werden auf die Diagnostik und Therapie klinischer Probleme übertragen. Die Verhaltenstherapie nahm ihren Ausgang in
den 1950er Jahren. In dieser Frühphase orientierte sie sich ausschließlich an
den Lerntheorien der experimentellen Grundlagenforschung zur klassischen
und operanten Konditionierung. Sie hat sich seither kontinuierlich weiterentwickelt, insbesondere durch die Einbeziehung kognitiver Modelle und Techniken (kognitive Verhaltenstherapie, KVT). In jüngerer Zeit findet zudem eine
Integration emotions- und achtsamkeitsbasierter Ansätze statt. Wie keine andere Psychotherapieform hat die KVT ihre Wirksamkeit bei zahlreichen Störungsbildern unter Beweis gestellt. Sie macht jedoch keine expliziten Aussagen
zu geschlechtsspezifischen Risiko- und Schutzfaktoren, und geschlechtsbezogene Wirksamkeitsvergleiche sind rar. Frauenspezifische Therapien finden
sich bei einzelnen thematischen Problembereichen.
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27.2
II Psychotherapie für Frauen – Störungsbilder und psychotherapeutische Angebote
Störungsmodell
Im verhaltenstheoretischen Modell werden psychische Störungen als klinisch
auffälliges Problemverhalten mit Leiden und Funktionseinschränkungen auf der
Ebene des subjektiven Erlebens, des offenen Verhaltens und der körperlich-physiologischen Ebene aufgefasst. Es wird verstanden als gelerntes Fehlverhalten, das
in Interaktion mit dem individuellen biologischen und sozialen Hintergrund
entsteht und aufrechterhalten wird. Die Therapie setzt an der aktuellen Problematik der Patientin oder des Patienten an.
KVT-Modelle diskutieren das Geschlecht als mögliche Moderatorvariable im Erleben
und Verhalten oder mögliche geschlechtsspezifische Kontextbedingungen nicht explizit. Diese Aspekte sind jedoch bei der individuellen Bedingungsanalyse zu berücksichtigen.
Als Bedingungsfaktoren psychischer Störungen werden folgende Faktoren als
wichtig erachtet. Sie sind von Person zu Person unterschiedlich ausgeprägt oder
kombiniert und werden in einer individuellen Bedingungsanalyse erhoben:
■
Prädisponierende Faktoren. Dies sind vorexistierende Risikofaktoren, die das
Auftreten einer Störung wahrscheinlicher machen (z. B. biologische Risiken,
Persönlichkeitsstruktur, dysfunktionale Schemata, ungünstiger Erziehungsstil,
Trennung von den Eltern, sexueller Missbrauch).
■ Auslösende Bedingungen. Diese kennzeichnen psychische, körperliche oder
soziale Belastungen, die das erstmalige Auftreten der psychischen Erkrankung
oder der gegenwärtigen Krankheitsphase vor dem Hintergrund individueller
Vulnerabilität auslösen (z. B. aktueller Verlust, sonstige aktuelle und chronische
Lebensstressoren).
■ Aufrechterhaltende Bedingungen. Hierunter fallen ungünstige Reaktionen der
betroffenen Person oder der Umwelt sowie anhaltende Belastungen, die das rasche Abklingen der Beschwerden verhindern (z. B. Vermeidungsverhalten, ungünstige Überzeugungen).
Aus diesem Modell werden Entstehungsbedingungen für eine vorliegende psychische Störung und Ansatzpunkte für die Behandlung abgeleitet. In der Behandlung selbst liegt der Schwerpunkt vor allem auf der Veränderung ungünstiger aufrechterhaltender Bedingungen, da Prädispositionen und auslösende
Stressoren häufig nicht mehr veränderbar sind. Sind diese jedoch für die gegenwärtige Problematik relevant und beeinflussbar, werden sie ebenfalls in die Behandlung einbezogen (z. B. Bearbeitung negativer Grundannahmen).
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Eine gendersensible Diagnostik in der Verhaltenstherapie muss mögliche geschlechtsspezifische Einflussfaktoren auf die Erkrankung berücksichtigen. So sind Frauen häufiger als Männer sozialen Belastungen wie Armut, fehlende Anerkennung, Abhängigkeit von anderen, multiplen Rollenbelastungen und Gewalterfahrungen ausgesetzt.
Im Hinblick auf innerpsychische Verarbeitungsprozesse ist zu beachten, dass Frauen –
im Durchschnitt – eine ausgeprägtere negative Affektivität, Angstsensitivität, Sorgenund Grübelneigung, Schuldgefühle und vermeidendes Coping aufweisen sowie sensibler auf interpersonelle Stressoren reagieren, auch solche, die ihr soziales Netzwerk
betreffen. Zudem sind mögliche Geschlechtsrollenstereotype zu beachten, die zur
aktuellen Problematik der Patientin beitragen, wie Erwartungen des sozialen Umfelds
und eigene internalisierte Ansprüche. Eine sorgfältige Diagnostik ist auch bezüglich
komorbider Erkrankungen zu stellen. Empirisch findet sich z. B. eine häufigere Komorbidität von Depressionen mit Angst- und Essstörungen bei Frauen und von Depressionen mit Substanzerkrankungen bei Männern. Schließlich sind frauenspezifische
Stressoren im Zusammenhang mit Pubertät, Schwangerschaft und Geburt sowie Abtreibung und Fehlgeburten zu berücksichtigen (Zusammenfassung bei Kühner 2007;
McLean u. Anderson 2009).
27.3
Das Verfahren
Typischer Ablauf
Der typische Ablauf einer KVT entspricht dem von Frederick H. Kanfer formulierten Prozessmodell mit folgenden Phasen (nach Kanfer et al. 2011):
• Schaffung günstiger Ausgangsbedingungen
• Aufbau von Änderungsmotivation und vorläufige Auswahl von Änderungsbereichen
• Verhaltensanalyse und funktionales Bedingungsmodell
• Vereinbaren therapeutischer Ziele
• Auswahl und Durchführung spezieller Methoden
• Evaluation therapeutischer Fortschritte und Erfolgsoptimierung
• Therapieabschluss
Dabei handelt es sich um ein rekursives Problemlösemodell: Werden bestimmte
Phasenziele nicht erreicht, kann zu Bereichen früherer Therapiephasen zurückgekehrt werden.
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