© H.-J. Wuthenow K U LT U R B A U T E N Wo wohnen die Musen im 21. Jahrhundert? Vier aktuelle Kulturprojekte mit unterschiedlichen Ansätzen: Die Architekturwettbewerbe für Erweiterung/Sanierung des Wien Museums, Erweiterung des Bauhaus Archivs Berlin samt Museum für Gestaltung, für den Neubau des Bauhaus Museums in Dessau sowie den Bau des Guggenheim Helsinki im Vergleich. Museumsarchitektur lässt sich wie eine theatrale Inszenierung verstehen, sie schafft und bildet gleichzeitig einen semantischen Rahmen für das Gezeigte: als Medium, das andere Medien inszeniert. Im späten 20. Susanne Karr Jahrhundert wird das Museum oftmals zu einer Etappe der Tournee von Kunstwerken, nicht mehr nur der Präsentationsort für ansässige Werke. Der reine „Ort des Bewahrens“ hat ausgedient. Das Museum heute muss vielfach interpretierbar und bespielbar sein, vielseitig ausdeutbar. Zudem wird Platz für urbane Infrastruktur wie Cafés, Museumsshops und Vortragsräume verlangt. 6 Das Museum selbst wird zur kulturellen Attraktion, wie sich an besonders spektakulären Projekten wie etwa dem 2014 in Lyon eröffneten Musée des Confluences von Coop Himmelb(l)au nachvollziehen lässt. Das Museum in seiner heutigen Ausprägung entstand aus Wunderkammern und Kunstgalerien privater Sammler der Spätrenaissance und des Barock. Die K U LT U R B A U T E N Wettbewerb Bauhaus Archiv und Museum für Gestaltung, Berlin: Erster Preis Staab Architekten, Berlin. Museums nach. Die zentrale Frage heißt gerade in partizipativen Gesellschaften: Wer sagt, was gezeigt werden soll? Die Komponente des Kuratierens spielt in alle Sammlungs- und Ausstellungskonzeptionen hinein. Was soll wem gezeigt werden? Was bedeutet es nun, im 21. Jahrhundert, einen Museums(neu)bau zu beauftragen? Für wen werden Museen gestaltet – dienen sie einer offenen Gesellschaft oder gehören sie in den Kanon einer Bildungselite? Und für die Architektur gilt natürlich die zentrale Frage: Welche Erscheinung soll die Umhüllung jener Inhalte annehmen? Welche Materialien, welche Form entsprechen dem Thema? Wie kann ein Entree geschaffen werden, durch das möglichst viele Besucherinnen und Besucher diesen speziellen Ort betreten? Für den Neubau eines Museums muss zunächst differenziert werden zwischen Räumlichkeiten, die für die Bestände überbordender Archive Platz schaffen sollen, und solchen, die Freiraum für noch zu interpretierende Ausstellungsmöglichkeiten schaffen. Beide Typen von Museen wurden in den aktuellen internationalen Wettbewerben zur Neugestaltung ausgeschrieben. Mehr oder weniger international besetzte Juries hatten die spannende und anspruchsvolle Aufgabe der Entscheidungsfindung. Wien Museum Seit langem gab es Diskussionen, wie das aus allen Nähten platzende Archiv zur Geltung gebracht werden könne. Die Sammlung vereint Objekte aus Malerei, Skulptur, Fotografie, Grafik und Kunsthandwerk, die mit der Geschichte der Stadt im Zusammenhang stehen. Eine Idee von der schillernden Identität einer lebendigen großen, alten Stadt zu vermitteln, gehört zu den anspruchsvollsten Aufgaben eines Stadtmuseums. Aktualität und Geschichte zu repräsentieren, die Vielschichtigkeit der Biografien unterschiedlichster Stadtbewohner sichtbar zu machen – all dies wird von einem solchen Archiv verlangt. Wiens Stadtrat für Kultur und Wissenschaft, Andreas Mailath-Pokorny bezeichnet das Projekt als „ersten größten Kulturbau Wiens im 21. Jahrhundert“. Hier soll, so der Ausschreibungstext, ein in jeder Hinsicht exemplarisches, modernes, optisch wirkungsvolles Großstadtmuseum ein Statement setzen. In der Wettbewerbsausschreibung spiegeln sich zentrale Werte der österreichischen Hauptstadt: Stolz auf das reiche kulturelle Erbe möchte man an die Weltgewandtheit früherer imperialer Zeiten è © Sergio Pirrone Bezeichnung entstammt dem griechischen Wort „Museion“ mit der Bedeutung „Heiligtum der Musen“. Diese künstlerisch spirituellen Archive mit besonderen Büchern, spektakulären Pflanzen, Edelsteinen und farbenfrohen Schmetterlingen verweisen auf Zusammenhänge in der Welt. Zu Zeiten der aufstrebenden Naturwissenschaften wurden weitere, auch bürgerliche Sammlungen gegründet, die dem Geist des Vermessens und Kategorisierens Rechnung trugen. Sie waren der Bildung gewidmet, aber auch dem Vergnügen. Diese Entwicklungsgeschichte wirkt auch in der heutigen Interpretation des Im 21. Jahrhundert wird das Museum selbst endgültig zur kulturellen Attraktion, wie das Musée des Confluences in Lyon von Coop Himmelb(l)au. 7 K U LT U R B A U T E N anschließen, Offenheit zeigen, gleichzeitig aber nahe an der Tradition bleiben. Konkret zeigt sich dieser Anspruch in der Forderung, das neu zu interpretierende Museumsgelände dürfe die Priorität der barocken Karlskirche nicht gefährden. Der Karlsplatz mitten in Wien wird häufig als zerstückelte Fläche wahrgenommen, deren Bebauung zwar Gestaltungsvielfalt demonstriert, aber einer tatsächlichen Wahrnehmung als gewollter und geplanter Platz zuwiderläuft. Die Vorschrift nun, den Neubau einem zentralen Gebäude, nämlich der Karlskirche, unterzuordnen, und gleichzeitig das Platzensemble stärker in den Vordergrund zu rücken, stellt eine nicht ganz widerspruchsfreie Forderung dar. Sie steht für die klare Bevorzugung eines geschichtlich interpretierten Stadtbildes, könnte man folgern. Andererseits soll aber die Stadt in ihrer Veränderlichkeit gezeigt werden und bewusst auch all jene Wienerinnen und Wiener ansprechen, die neu hinzukommen. Es geht hier nicht nur um Wiener Klassik, sondern zugleich um ein Bild des Stadtbewohners als „citoyen“, der nicht durch seine Herkunft, sondern durch sein Tun definiert wird, der aktiv und eigenverantwortlich an der Gestaltung der Gesellschaft teilnimmt. Siegerprojekt und Details Die Gewinner des zweistufigen internationalen, EU-weiten, offenen, anonymen Realisierungswettbewerbs, zu dem 274 Projekte eingereicht wurden, sind die österreichischen Architektenteams Winkler © Winkler, Ruck, Certov Wien Museum Neu: Innenansicht. © Winkler, Ruck, Certov Wien Museum Neu: Siegerentwurf von winkler + ruck architekten mit Ferdinand Certov (Architektur) und Winkler Landschaftsarchitektur, Klagenfurt - Graz 8 + Ruck (Klagenfurt) und Ferdinand Certov (Graz) (siehe Wettbewerbsdokumentation Seite 56). In ihrem Entwurf wird der Zubau auf das bestehende Gebäude aufgesetzt, als würde eine Neuinterpretation über dem alten Bau schweben. Die dunkle Fassade widerstrebt allerdings dem Eindruck der Wolkenhaftigkeit und akzentuiert den Aufbau als klares Gestaltungselement. Hier werden die temporären Ausstellungen präsentiert werden. Mit dem „Wien-Raum“, einer zu allen Seiten hin verglasten Zwischenetage zwischen bestehender Substanz und neuen Bauelementen, werden pittoreske Aussichten auf die Stadt eröffnet. Auf dieser Ebene werden sich ein Café und vermietbare Veranstaltungsräume befinden. Den Ein- und Ausgang zum Karlsplatz hin öffnet das Museum mit einem Portalbau, darunter wird ein großflächiges Depot angelegt. Das Budget für das Projekt bewegt sich gemäß Mailath-Pokorny zwischen 70 bis 100 Millionen Euro. Bereits im kommenden Jahr wird mit der Umsetzung begonnen, in den baubedingten Schließungszeiten will das Wien Museum auf seine zahlreichen Außenstellen ausweichen. Für 2019/2020 ist die Wiedereröffnung geplant. K U LT U R B A U T E N Siegerprojekt Bauhaus-Archiv Berlin, Staab Architekten. Innenperspektive und Modell © Staab Architekten Gestaltung denkmalgerecht saniert und erweitert werden. Als Budget wird eine Summe von 56,3 Millionen Euro angegeben, die je zur Hälfte vom Bund und vom Land getragen wird. Das von Walter Gropius entworfene Bauhaus Archiv gilt selbst als Ikone der modernen Architektur, die gebaute Umgebung ihrerseits wartet mit prominenten Namen wie Scharoun (Philharmonie), Mies van der Rohe (Nationalgalerie) und Stüler (Matthäuskirche) auf. Die Ausschreibung verlangt auch in diesem Fall zugleich die beeindruckende Geste und die Anpassung an bereits vorhandene Autoritäten. Der Entwurf der Staab Architekten aus Berlin entwickelt das Bestandsensemble gemäß Vorgabe weiter, die ein als Gesamtfigur erleb- und bespielbares neues Ensemble verlangte. Mit dem filigranen Turm wird ein transparentes Landmark in Berlin Mitte gesetzt. Durch seine freie Stellung soll er Besucherströme aus allen Richtungen anlocken und Niedrigschwelligkeit kommunizieren. Gestalterische Zurückhaltung Was es für das Renommee eines international ausgerichteten Museums heißt, dass der Auftrag der Neugestaltung ausgerechnet an ein österreichisches Team vergeben wird, mag dahingestellt sein. Auch dass ein Projekt gewählt wurde, dass in seiner Gestaltung sehr zurückhaltend wirkt, eher wie eine Hommage an den bestehenden Bau als wie eine gewagte eigenständige Geste. Nicht wenige Kommentare beziehen sich auf den hohen Kosteneinsatz für das häufig als unspektakulär bezeichnete Ergebnis. Die gestalterische Zurückhaltung bedingt sich mit Sicherheit auch aus der Vorgabe, die historische Priorität nicht zu gefährden. Die Jury hat jedenfalls wesentlich gewagtere Projekte von vornherein abgewählt. Was außerdem auffällt: Für die zweite Stufe wurden nur Architekturbüros aus Österreich, Deutschland und der Schweiz ausgewählt. Soll die Weltstadt Wien nur aus nächster Nähe interpretierbar sein? Bauhaus Archiv und Museum für Gestaltung, Berlin In einem nicht-offenen Wettbewerb wurde ein Gewinner für den Neubau bzw. die Erweiterung des Bauhaus Archivs in Berlin gesucht. In einem vorgeschalteten Bewerbungsverfahren wurden 35 Teilnehmer ausgelost, aus diesen 5 Preisträger ermittelt und weitere Anerkennungen verliehen, darunter an das Wiener Architekturbüro PPAG architects. Die architektonische Ausgangssituation ist insofern mit dem Wien Museum vergleichbar, als es beim Projekt um einen Erweiterungsbau und eine sensible Sanierung der bestehenden Bausubstanz geht. Zum 100. Geburtstag des Bauhauses 2019 soll das Bauhaus-Archiv / Museum für 9 Kein offener Wettbewerb Die 6.700 m2 große Erweiterung wird Platz für neue Ausstellungsräume und die weltweit größte Sammlung von Materialien zur Geschichte der Bauhaus Schule bieten. Experimentelle Qualität und geistige Offenheit des Bauhauses sollen aufleben. Anzumerken bleibt jedoch, dass eine solche Geste auch dem Wettbewerb gut zu Gesicht gestanden hätte: Ein offener Wettbewerb wäre im Sinne des Bauhauses sicher konsequenter gewesen. Das Archiv versteht sich als Hüterin der einflussreichsten Architektur-Bewegung der Moderne, die außerdem starken Einfluss auf die Lebensgestaltung selbst ausübte. Dass das Siegerprojekt – unbenommen seiner Qualität – von einem Berliner Architekturbüro stammt, lässt sich zwar mit der Kenntnis der Lage vor Ort argumentieren, passt aber ebenfalls nicht unbedingt zu einem weltoffenen Prozess. è K U LT U R B A U T E N Neubau Bauhaus Museum Dessau, Innenraum: Siegerentwurf von GONZALEZ HINZ ZABALA, Barcelona. Jungen Büros eine Chance: Das Museum Bauhaus in Dessau Ein ganz anderer Prozess fand in Dessau statt. Die umfangreiche Sammlung mit ihren etwa 44.000 Objekten ist derzeit nur innerhalb einer Präsentation im Bauhausgebäude zugänglich. Diesem Manko wird durch den Bau des neuen Bauhaus Museum Dessau abgeholfen. Ein internationaler, offener Wettbewerb wollte gerade auch jungen Büros eine Chance geben. Über zwei Phasen hat das Preisgericht aus den 831 Einreichungen vier Preisträger und drei Anerkennungspreise ermittelt: Die weltweit zweitgrößte Sammlung zum Bauhaus wird sich in einem Gebäude des jungen, spanischen Büros Gonzales Hinz Zabala wiederfinden und erstmals wirklich öffentliche Sichtbarkeit erlangen. Das Museum soll Stadt und Park miteinander in Beziehung setzen, durch seine Glasfassade zum Besuch einladen und dem Bauhaus-Gedanken der Sichtbarkeit aller Elemente Rechnung tragen. Wenn man innen ist, soll auch das Äußere präsent sein. Der Park mit Pflanzen und Spaziergängern gehören zum Gesamtbild. Ein weiterer Hotspot urbanen Kulturlebens in Dessau-Roßlau soll entstehen. Die Jury lobte Leichtigkeit und Durchlässigkeit des Entwurfs, mit dem die Bauhaus-Tradition einen zeitgemäßen Ausdruck findet. Helsinki Guggenheim: Vergleich mit Starbucks Wie wird man zum Standort für ein Guggenheim Museum? Und welche Vorteile bringt die H. Solomon R. Guggenheim Foundation an den Ort ihrer Entfaltung? Allein die Zahl der eingereichten Projekte, über 1.700, bezeugte das hohe Renommee des Projektes. Es geht hier um ein Areal mit einer Grundfläche von 12.000 m2 und 4.000 m2 Ausstellungsfläche. Die Hafenfront des Südhafens Eteläsatama soll durch zeitgenössische Architektur und Kunst, die Leitideen der Guggenheim-Museen, aufgewertet werden. Das Ansinnen, ein zugänglicheres „Museum der Zukunft“ zu schaffen, klingt ehrgeizig, wirkt jedoch etwas herablassend gegenüber bestehenden Initiativen. Überhaupt gab es in Helsinki nicht nur Jubel über das Projekt. Bei einer Gegeninitiative mit dem Namen „The Next Helsinki“ rief Michael Sorkin, der Guggenheim mit Starbucks vergleicht, finnische Architekten und Künstler auf, alternative Ideen einzubringen. Zentral sollte die Einzigartigkeit bleiben, die durch den bereits bestehenden Ruf der Stadt als Standort moderner Architektur längst gegeben ist und nicht durch Show-Architektur erst erzeugt werden muss. © GONZALEZ HINZ ZABALA 2015 Neubau Bauhaus Museum Dessau: Siegerentwurf von GONZALEZ HINZ ZABALA, Barcelona. 10 K U LT U R B A U T E N Jurybegründung beruft sich denn auch auf den respektvollen Umgang mit dem Ort und auf das nicht-hierarchische Konzept. Immer eventhafter gestaltete Museen machen möglicherweise Kunstgegenstände zu Nebendarstellern. Zudem entstehen in den Juries immer widersprüchlichere, schwer analysierbare Entscheidungen. Ist es daher nicht an der Zeit, die großteils zivilgesellschaftlich finanzierten Projekte bereits in der Entscheidungsphase partizipativer zu machen? • Die Kosten für die Stadt, auf 130 Millionen Euro geschätzt, bildeten einen weiteren Stein des Anstoßes. Grundsätzlich stellt sich die Frage: Wieso soll eine elitäre amerikanische Stiftung der finnischen Hauptstadt zu einem attraktiveren Image verhelfen müssen? The Next Helsinki verwies auf den Wunsch nach sozialer und umweltverträglicher Gerechtigkeit der Bürger. Das Logo eines kulturellen Großkonzerns wolle man nicht tragen. Die offizielle Stimme der Stadt, Bürgermeister Jussi Pajunen, bekennt sich jedoch zum Großprojekt und betont eine bevorstehende Aufwertung des riesigen Potenzials des Südhafens. Zu seinem angestrebten Image von Helsinki als einer sauberen Stadt ohne Randfiguren scheint das teure Projekt gut zu passen. 2. Platz im Wettbewerb Guggenheim Museum Helsinki: „Two-in-One Museum“, AGPS Architecture, Zürich / Los Angeles. © AGPS Architecture Image für wen? Der Siegerentwurf des Pariser Architektenteams Moreau Kusunoki Architectes vereint dunkle Pavillons mit konkaven Dächern. Auf einer Seite wird ein Aussichtsturm mit verglastem Top für einen spektakulären Ausblick sorgen. Die Architekten sprechen von einer neuen, emotionalen Art von Architektur, die aktuelle urbane Anliegen spiegelt. Die unmittelbare Umgebung wirkt jedoch bereits jetzt sehr belebt: Täglich findet hier ein beliebter Markt statt, bevölkert von Einheimischen und Touristen. Die Siegerprojekt des internationalen Wettbewerbs Guggenheim Museum Helsinki, Finnland: Moreau Kusunoki Architectes, Paris. 11